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Erscheinung:19.04.2018, Stand:geändert am 26.09.2024 | Geschäftszeichen WA 31 - Wp 2002 -2017/0011 | Thema Compliance MaComp

Rundschreiben 05/2018 (WA) - Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und weitere Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten - MaComp

Inhalt

Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und die weiteren Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten nach §§ 63 ff. WpHG für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (MaComp)

AT: Allgemeine Anforderungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen

AT 1 Vorbemerkung

  1. Dieses Rundschreiben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (im Folgenden: Bundesanstalt) präzisiert einzelne Regelungen des 11. Abschnitts des WpHG sowie der Art. 21 ff. Delegierte Verordnung (EU) 2017/5651 (im Folgenden: DV). Das Rundschreiben setzt hierbei einen flexiblen und praxisnahen Rahmen für die Ausgestaltung der Geschäftsorganisation des Wertpapiergeschäfts der unter die Vorschriften fallenden Unternehmen. Das Rundschreiben soll zusätzlich – insbesondere für kleinere Unternehmen - Orientierungshilfen geben. An verschiedenen Stellen enthält das Rundschreiben eine beispielhafte Auflistung möglicher Maßnahmen, die geeignet sind, den Anforderungen der genannten Regelungen nachzukommen.
  2. Das Rundschreiben soll das Vertrauen der Anleger in das ordnungsmäßige Funktionieren der Wertpapiermärkte fördern und den Schutz der Gesamtheit der Anleger und die institutionelle Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte stärken sowie dem Schutz des Wertpapierdienstleistungsunternehmens und seiner Mitarbeiter dienen. Das Rundschreiben zielt zugleich auf die Einführung angemessener Maßnahmen zur Minderung des Risikos von aufsichtsrechtlichen Maßnahmen, Schadensersatzansprüchen gegenüber Unternehmen und Reputationsschäden für Unternehmen aufgrund von Verstößen gegen die Bestimmungen des 11. Abschnitts des WpHG und der Art. 21 ff. DV.
  3. Das Rundschreiben dient als Kompendium, das die Verwaltungspraxis der Bundesanstalt zu einzelnen Regelungen aus den o. g. Vorschriften zusammenführt. Mit diesem Rundschreiben wird den Unternehmen eine bei Bedarf zu aktualisierende Zusammenstellung sämtlicher, von der Bundesanstalt veröffentlichten und gültigen Verwaltungspraktiken zum 11. Abschnitt des WpHG und der Art. 21 ff. DV zur Verfügung gestellt.
  4. Da nur einzelne Regelungen aus den o. g. Rechtsnormen näher erläutert werden, erhebt das Rundschreiben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Bundesanstalt wird einen fortlaufenden Dialog mit der Praxis führen, um dem jeweils sich ergebenden Konkretisierungsbedarf Rechnung zu tragen.
  5. Das Rundschreiben ist modular aufgebaut, so dass notwendige Anpassungen in bestimmten Regelungsfeldern auf die zeitnahe Überarbeitung einzelner Module beschränkt werden können. In einem allgemeinen Teil (Modul AT) befinden sich grundsätzliche Prinzipien zu den im 11. Abschnitt des WpHG geregelten Organisations- und Verhaltenspflichten. Im Besonderen Teil werden einzelne konkrete Vorschriften und Pflichten näher erläutert.
  6. Das Rundschreiben enthält zum einen Anforderungen, die von der Bundesanstalt als zwingende Vorgaben aus den Regelungen des 11. Abschnitts des WpHG angesehen werden (in der Regel gekennzeichnet durch Verwendung der Formulierung „muss“, „ist“ oder „hat…zu“). Diese sind von allen unter die jeweiligen Regelungen fallenden Unternehmen einzuhalten. Weiter enthält das Rundschreiben Vorgaben, die als im Regelfall einzuhalten angesehen werden, von denen jedoch unter bestimmten Umständen abgewichen werden kann. Diese sind durch Verwendung der Formulierung „soll“ oder „ist grundsätzlich“ gekennzeichnet. Bei einigen dieser Vorgaben stellt das Rundschreiben die Anforderung auf, Abweichungen schriftlich zu begründen.
    Neben den nach der Verwaltungspraxis der Bundesanstalt zwingend und im Regelfall einzuhaltenden Anforderungen beinhaltet das Rundschreiben auch Empfehlungen, die entweder durch ausdrückliche Benennung als Empfehlung oder unter Verwendung der Formulierung „kann“ ausgestaltet sind. Mit einer Empfehlung werden unverbindliche Vorschläge oder Handlungsalternativen aufgezeigt.
    Zusätzlich enthält das Rundschreiben an vielen Stellen Beispiele zur Verdeutlichung der enthaltenen Vorgaben als auch einfache Hinweise zu unverbindlichen, informativen Zwecken, die ebenfalls als solche gekennzeichnet sind.
  7. Die in BT 1 dieses Rundschreibens enthaltenen Anforderungen richten sich an die Compliance-Funktion des Wertpapierdienstleistungsunternehmens. Der Allgemeine Teil sowie BT 2 bis BT 15 dieses Rundschreibens richten sich an das Wertpapierdienstleistungsunternehmen als solches. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen bestimmen den zuständigen Geschäftsbereich für diese Bereiche selbst.

AT 2 Quellen

AT 2.1 Internationale/europäische Quellen und Auslegungen

Den durch dieses Rundschreiben konkretisierten gesetzlichen Vorgaben liegen die folgenden supranationalen Rechtsquellen, Abkommen und Verlautbarungen zugrunde:

  1. International Organization of Securities Commissions (IOSCO)’s Objectives and Principles of Securities Regulation
  2. EU-Richtlinie 2014/65/EU und Delegierte Richtlinie (EU) 2017/593
  3. Delegierte Verordnung (EU) 2017/565
  4. Verlautbarungen der Europäischen Wertpapierbehörde (European Securities and Markets AuthorityESMA) bzw. deren Vorgänger, des Committees of European Securities Regulators (CESR):

    Guidelines on knowledge and competence vom 17.12.2015 (ESMA/2015/1886)

    Guidelines on MiFID II product governance requirements vom 02.06.2017 (ESMA35-43-620)
    Joint guidelines for complaints-handling for the securities (ESMA) and banking (EBA) sectors vom 13.06.2014 (JC 2014/43)
    Guidelines on complex debt instruments and structured deposits vom 26.11.2015 (ESMA/2015/1783)
    Guidelines on cross-selling practices under MiFID II vom 22.12.2015 (ESMA/2015/1861)
    Guidelines on certain aspects of the MiFID compliance function vom 06.07.2012 (ESMA/2012/388)
    Guidelines and Recommendations on remuneration policies and practices vom 11.06.2013 (ESMA/2013/606)
    Guidelines on certain aspects of the MiFID II suitability requirements
    ESMA Q&As on MIFID II and MiFIR investor protection topics (ESMA35-43-349)

AT 2.2 Nationale Rechtsquellen

Diesem Rundschreiben liegen die folgenden nationalen Rechtsquellen zugrunde:

  1. Gesetz über den Wertpapierhandel (Wertpapierhandelsgesetz – WpHG)
  2. Gesetz über das Kreditwesen (Kreditwesengesetz – KWG)
  3. Verordnung zur Konkretisierung der Verhaltensregeln und Organisationsanforderungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und Organisationsverordnung - WpDVerOV)
  4. Verordnung über den Einsatz von Mitarbeitern in der Anlageberatung, als Vertriebsbeauftragte oder als Compliance-Beauftragte und über die Anzeigepflichten nach § 87 des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG-Mitarbeiteranzeige-Verordnung – WpHGMaAnzV).

AT 3 Anwendungsbereich

AT 3.1 Anwenderkreis

Die Anforderungen des Rundschreibens finden auf alle Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Sinne von § 2 Abs. 10 WpHG Anwendung. Dies sind alle Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute nach § 1 Abs. 1 und Abs. 1a KWG sowie sämtliche nach § 53 Abs. 1 Satz 1 KWG tätige Unternehmen, die Wertpapierdienstleistungen nach § 2 Abs. 8 WpHG gewerbsmäßig oder in einem Umfang erbringen, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Ausgenommen sind Unternehmen, die einen Ausnahmetatbestand nach § 3 WpHG erfüllen.

Auf Zweigniederlassungen und vertraglich gebundene Vermittler mit Sitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland i. S. d. § 53b KWG, die Wertpapierdienstleistungen erbringen, finden die Anforderungen dieses Rundschreibens Anwendung mit Ausnahme von AT 4 bis AT 7, AT 9, BT 1, BT 2, BT 5 (soweit es die Anforderungen nach § 80 Abs. 9 bis 13 WpHG betrifft), BT 8 (soweit es weder die Anforderungen an das Handeln im bestmöglichen Kundeninteresse noch die Empfehlung von bestimmten Finanzinstrumenten und strukturierten Einlagen betrifft), BT 9, BT 11 (soweit es die Anforderungen an Finanzportfolioverwalter, Vertriebsbeauftragte und Compliance-Beauftragte betrifft) und BT 12. Auf im EWR ansässige Zweigniederlassungen und vertraglich gebundene Vermittler deutscher Wertpapierdienstleistungsunternehmen finden die Bestimmungen des AT sowie BT 1, BT 2, BT 5, BT 8 und BT 9 dieses Rundschreibens Anwendung.

Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute, die keine Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Sinne von § 2 Abs. 10 WpHG sind, unterliegen den allgemeinen organisatorischen Anforderungen des § 25a Abs. 1 KWG, nicht aber den Anforderungen der §§ 63 ff. WpHG und diesem Rundschreiben.

Die Anforderungen dieses Rundschreibens finden auf Kapitalverwaltungsgesellschaften Anwendung, soweit diese Dienstleistungen und Nebendienstleistungen im Sinne von § 20 Abs. 2 Nr. 1, 2, und 3 KAGB und Abs. 3 Nr. 2, 3, 4 und 5 KAGB erbringen, mit der Maßgabe, dass die Anforderungen im AT und in BT 1 keine Anwendung finden (siehe hierzu auch Abschnitt 2, Tz. 3 des Rundschreibens 1/2017 Mindestanforderungen an das Risikomanagement von Kapitalverwaltungsgesellschaften (KAMaRisk) vom 10.01.2017) und die Anforderungen in BT 2 bis BT 10, BT 12 und BT 14Anwendung finden, soweit die entsprechenden Regelungen der §§ 63 ff. WpHG über § 5 Abs. 2 KAGB gelten.

AT 3.2 Proportionalitätsgrundsatz

Das Rundschreiben trägt der heterogenen Unternehmensstruktur und der Vielfalt der Geschäftsaktivitäten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen Rechnung. Es enthält zahlreiche Öffnungsklauseln, die insbesondere abhängig von der Größe der Unternehmen, den Geschäftsschwerpunkten und der Risikosituation eine vereinfachte Umsetzung ermöglichen. Insoweit kann es vor allem auch von kleineren Unternehmen flexibel umgesetzt werden. Bei Ermittlung der jeweils angemessenen Vorkehrungen sind Art, Umfang, Komplexität und Risikogehalt des jeweiligen Geschäfts sowie Art und Spektrum der angebotenen Wertpapierdienstleistungen zu berücksichtigen.

AT 4 Gesamtverantwortung der Geschäftsleitung

Die Verantwortung für die Einhaltung der im WpHG geregelten Pflichten trägt die Geschäftsleitung. Alle Geschäftsleiter nach § 1 Abs. 2 KWG sind, unabhängig von der internen Zuständigkeitsregelung im Unternehmen oder im Konzern, für die ordnungsgemäße Geschäftsorganisation und deren Weiterentwicklung verantwortlich. Unbeschadet dessen müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen gemäß Art. 25 Abs. 1 UAbs. 2 DV festlegen, welches Geschäftsleitungsmitglied für die Überwachung und Aufrechterhaltung der jeweiligen organisatorischen Anforderungen im Unternehmen zuständig ist. Diese Verantwortung erstreckt sich auch auf ausgelagerte Aktivitäten und Prozesse. Die Verantwortung besteht bei einer Delegation von Aufgaben fort.

AT 5 Zusammenarbeit mehrerer Wertpapierdienstleistungsunternehmen

Werden Wertpapierdienstleistungen für einen Kunden durch zwei oder mehrere Wertpapierdienstleistungsunternehmen mit Sitz im EWR erbracht, beispielsweise indem ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen einen Kundenauftrag von einem Wertpapierdienstleistungsunternehmen an ein anderes Wertpapierdienstleistungsunternehmen zur Ausführung weiterleitet, dürfen die beteiligten Unternehmen grundsätzlich darauf vertrauen, dass die anderen beteiligten Unternehmen die ihnen jeweils obliegenden aufsichtsrechtlichen Pflichten erfüllen. Dies gilt auch für die gegenüber den Kunden bestehenden aufsichtsrechtlichen Pflichten, soweit gesetzlich oder vertraglich festgelegt ist, welche der Unternehmen diese zu erfüllen haben. § 71 WpHG enthält eine derartige gesetzliche Festlegung.

Dies gilt nicht, soweit einem der Wertpapierdienstleistungsunternehmen offensichtliche Anhaltspunkte vorliegen, dass eines der anderen Unternehmen seinen aufsichtsrechtlichen Pflichten nicht nachkommt.

AT 6 Allgemeine Anforderungen an Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach § 80 Abs. 1 WpHG

  1. Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen hat angemessene Grundsätze aufzustellen, Mittel vorzuhalten und Verfahren einzurichten, die darauf ausgerichtet sind, sicherzustellen, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen selbst und seine Mitarbeiter den Verpflichtungen des WpHG nachkommen. Dies erfordert insbesondere die Einrichtung einer dauerhaften und wirksamen sowie prozessbegleitend als auch präventiv tätigen Compliance-Funktion, die ihre Aufgaben unabhängig wahrnehmen kann.
  2. Die aufgestellten Grundsätze und eingerichteten Verfahren haben die effektive Durchführung der erforderlichen Kontrollhandlungen sicherzustellen. Hierbei sind zunächst die operativen Bereiche für die Einhaltung der Vorschriften und die Durchführung von Kontrollen (Selbstkontrollen), verantwortlich. Es ist sicherzustellen, dass zusätzlich – zumindest stichprobenartig –Überwachungshandlungen durch andere Bereiche, etwa eine Überwachung des Handels durch die Handelsabwicklung und/oder die Compliance-Funktion, erfolgen.
  3. Die Compliance-Funktion überwacht hierbei die zur Einhaltung der Vorschriften des WpHG, insbesondere des 11. Abschnitts, und der DV getroffenen Vorkehrungen. Die spezifischen Anforderungen an die Compliance-Funktion werden unter BT 1 dieses Rundschreibens dargestellt.

AT 6.1 Aufbau- und Ablauforganisation des Wertpapierdienstleistungsunternehmens

Die unter AT 6 Tz. 1 beschriebenen Vorkehrungen haben sich daran zu orientieren, inwieweit Wertpapierdienstleistungsunternehmen und ihre Mitarbeiter einem Interessenkonflikt unterliegen können oder ob diese regelmäßig Zugang zu compliance-relevanten Informationen haben.

Zugang zu compliance-relevanten Informationen haben insbesondere Personen, die Zugang zu Insider- oder anderen vertraulichen Informationen haben. Als Insiderinformationen gemäß Art. 7 Abs. 1 Verordnung Nr. (EU) 2014/596 sind insbesondere Kenntnisse über die im Emittentenleitfaden in Kapitel IV 2.2.4., S. 56-57 aufgeführten Sachverhalte anzusehen, sofern sie im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens geeignet sind, den Kurs/Börsenpreis eines Finanzinstruments erheblich zu beeinflussen.

Des Weiteren ist als compliance-relevante Information die bestimmungsmäßige Möglichkeit zur Kenntnisnahme von Kundenaufträgen anzusehen, soweit diese durch den Abschluss von Eigengeschäften des Unternehmens oder Mitarbeitergeschäften zum Nachteil des Kunden verwendet werden kann (insbesondere zum Vor-, Mit- oder Gegenlaufen).

AT 6.2 Mittel und Verfahren des Wertpapierdienstleistungsunternehmens

1. Zu den notwendigen Mitteln und Verfahren eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens zählen insbesondere

a. wirksame Vorkehrungen für angemessene Maßnahmen, um Interessenkonflikte bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder Wertpapiernebendienstleistungen zwischen dem Unternehmen einschließlich seiner Mitarbeiter und der mit ihm direkt oder indirekt durch Kontrolle i. S. d Art. 4 Abs. 1 Nr. 37 Verordnung Nr. (EU) 575/2013 verbundenen Personen und Unternehmen und seinen Kunden oder zwischen seinen Kunden zu erkennen und eine Beeinträchtigung der Kundeninteressen zu vermeiden,
b. Vorkehrungen, um bei Systemausfällen und -störungen Verzögerungen bei der Auftragsausführung oder -weiterleitung möglichst gering zu halten,
c. wirksame und transparente Grundsätze und Verfahren für eine angemessene und unverzügliche Bearbeitung von Beschwerden durch Kunden,
d. wirksame Verfahren zur Entwicklung und Überwachung von Produktfreigabeverfahren,
e. Vorkehrungen um sicherzustellen, dass eine regelmäßige Überwachung und Bewertung der Angemessenheit und Wirksamkeit der getroffenen organisatorischen Maßnahmen erfolgt und erforderliche Maßnahmen zur Beseitigung von Unzulänglichkeiten getroffen werden.

2. Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die in der Regel nicht über compliance-relevante Informationen im Sinne von AT 6.1 dieses Rundschreibens verfügen und deren Mitarbeiter in der Regel keinem Interessenkonflikt unterliegen, haben im Rahmen ihrer Organisationspflichten allgemeine Maßnahmen für den Fall vorzusehen, dass sie in Einzelfällen solche Informationen erhalten.

Die jeweiligen Anforderungen an die Compliance-Funktion werden in Modul BT 1 dieses Rundschreibens erläutert.

Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die in der Regel über solche Informationen verfügen, haben ausreichende Vorkehrungen zu treffen und Maßnahmen zu ergreifen, um die im Unternehmen vorliegenden Informationen zu erfassen und ihre bestimmungsgemäße Weitergabe zu überwachen.

3. Zur Erfassung und Überwachung der Weitergabe von compliance-relevanten Informationen im Sinne von AT 6.1 dieses Rundschreibens sind nachfolgend beispielhaft aufgezählte Maßnahmen und Instrumente als geeignet anzusehen.

a. Vertraulichkeitsbereiche (sog. Chinese Walls)

Chinese Walls haben zum Ziel, dass Informationen im Sinne von AT 6.1 dieses Rundschreibens, die in einem bestimmten Bereich des Wertpapierdienstleistungsunternehmens bekannt werden, den Bereich, in dem sie eingetreten sind, nur nach Maßgabe von 3.b. verlassen. Als mögliche organisatorische Maßnahmen dazu kommen in Frage:

• die funktionale oder die räumliche Trennung von Vertraulichkeitsbereichen (z.B. zwischen Kundenhandel und Eigengeschäft),
• die Schaffung von Zutrittsbeschränkungen,
• die Regelung von Zugriffsberechtigungen auf Daten.

Chinese Walls dienen dazu, die Auswirkungen von Interessenkonflikten zwischen dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen und seinen Kunden oder zwischen seinen verschiedenen Kunden möglichst gering zu halten. Hierdurch soll auf die ununterbrochene und uneingeschränkte interessenkonfliktfreie Handlungsfähigkeit der einzelnen Bereiche des Wertpapierdienstleistungsunternehmens hingewirkt werden, indem das in einem Bereich entstandene compliance-relevante Informationsaufkommen auf diesen Bereich beschränkt bleibt. Der jeweilige Bereich hat daher in eigener Verantwortung im Einvernehmen mit der Compliance-Funktion alle Vorkehrungen zu treffen, um die Vertraulichkeit der compliance-relevanten Informationen sicherzustellen. Soweit derartige Maßnahmen nicht getroffen werden können, sind andere vergleichbare organisatorische Maßnahmen zu treffen um Interessenkonflikte möglichst gering zu halten.

b. Bereichsüberschreitender Informationsfluss (Wall Crossing)

Ein bereichsüberschreitender Informationsfluss ist zulässig, soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben des Wertpapierdienstleistungsunternehmens erforderlich ist. In einem auf vielen Geschäftsfeldern tätigen, aber arbeitsteilig organisierten Wertpapierdienstleistungsunternehmen kann die Hinzuziehung von Mitarbeitern aus anderen Bereichen oder die bereichsüberschreitende Informationsweitergabe insbesondere bei komplexen Transaktionen mit hohem Schwierigkeits- und/oder Risikograd oder zur vollen Ausschöpfung der Produktpalette des Wertpapierdienstleistungsunternehmens notwendig sein.

Die bereichsüberschreitende Weitergabe von Informationen im Sinne von AT 6.1 dieses Rundschreibens und die Einschaltung von Mitarbeitern aus anderen Bereichen sind daher statthaft, wenn sich die Informationsweitergabe auf das erforderliche Maß beschränkt (Need-to-know-Prinzip).

c. Überwachungsinstrumente

Die Überwachung von Geschäften in Finanzinstrumenten kann insbesondere mit Hilfe einer Beobachtungsliste und/oder Sperrliste durchgeführt werden.

  • Beobachtungsliste


    Die Beobachtungsliste (watch-list) ist eine nicht öffentliche, laufend aktualisierte Liste von Finanzinstrumenten, zu denen im Wertpapierdienstleistungsunternehmen compliance-relevante Informationen im Sinne von AT 6.1 dieses Rundschreibens vorliegen. Die watch-list ist von der Compliance-Funktion grundsätzlich streng vertraulich zu führen. Die auf der watch-list vermerkten Werte unterliegen grundsätzlich keinen Handels- und/ oder Beratungsbeschränkungen. Die watch-list dient der Compliance-Funktion dazu, in den betreffenden Werten die Eigenhandels- bzw. Mitarbeitergeschäfte zu überwachen. Ferner dient die watch-list zur Beobachtung, ob Chinese Walls zwischen den verschiedenen compliance-relevanten Bereichen des Unternehmens eingehalten werden. In die watch-list sind alle Finanzinstrumente einer Gesellschaft aufzunehmen, über welche compliance-relevante Informationen vorliegen (meldepflichtige Werte). Mitarbeiter des Wertpapierdienstleistungsunternehmens, bei denen in Ausübung ihrer Tätigkeit compliance-relevante Informationen anfallen (Meldepflichtige), sind verpflichtet, unverzüglich eine entsprechende Meldung zur watch-list zu veranlassen.

  • Sperrliste


    Als weiteres Compliance-Instrument neben der watch-list kann ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen auch eine oder mehrere Sperrlisten (restricted-lists) führen. Die restricted-list ist eine gleichfalls stets aktualisierte Liste meldepflichtiger Werte, die jedoch im Gegensatz zur watch-list unternehmensintern nicht geheim zu halten ist und die dazu dient, den betroffenen Mitarbeitern und Bereichen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens etwaige Beschränkungen für Mitarbeiter- und Eigengeschäfte sowie Kunden- und Beratungsgeschäfte – mit Ausnahme solcher Kundengeschäfte, die ohne vorherige Beratung auf Initiative des Kunden erfolgen - mitzuteilen. Bei der Aufnahme von Werten auf die restricted-list kann die Nennung eines Grundes für die Aufnahme nur insoweit erfolgen, als die entsprechenden Tatsachen bereits öffentlich bekannt sind.

AT 7 Verhältnis §§ 63 ff. WpHG zu § 25a, § 25e KWG

  1. Der Verweis in § 80 Abs. 1 Satz 1 WpHG auf § 25a Abs. 1, § 25e KWG stellt klar, dass deren Anforderungen auch für die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen Anwendung finden. Für den Bereich der Wertpapierdienstleistungen gelten die Vorgaben in § 80 Abs. 1 WpHG und Art. 22 DV neben den Vorgaben in § 25a Abs. 1 und § 25e KWG einschließlich der Konkretisierungen durch die MaRisk.

  2. Die Compliance-Funktion ist Bestandteil des internen Kontrollsystems nach § 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 KWG. Die in AT 6 dieses Rundschreibens aufgeführten erforderlichen Grundsätze, Mittel und Verfahren sind somit Bestandteil des internen Kontrollsystems des Wertpapierdienstleistungsunternehmens.

AT 8 Aufzeichnungspflichten

Der Mindestumfang der gesetzlich vorgegebenen Dokumentationen ist im Verzeichnis der Mindestaufzeichnungspflichten gemäß § 83 Abs. 11 WpHG der Bundesanstalt wiedergegeben.

AT 9 Anforderung an das Outsourcing nach Art. 32 DV

Neben den Anforderungen aus § 25b KWG, § 80 Abs. 6 WpHG, Art. 30 und Art. 31 DV sowie von AT 9 der MaRisk sind die Vorgaben aus Art. 32 DV einzuhalten, soweit einschlägig.

  1. Die Auslagerung der Finanzportfolioverwaltung für Kunden an ein Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat darf gemäß Art. 32 Abs. 1 DV nur unter der zusätzlichen Voraussetzung erfolgen, dass das Auslagerungsunternehmen für diese Dienstleistung in diesem Staat zugelassen oder registriert und von der Behörde beaufsichtigt wird, die in der Liste der Aufsichtsbehörden mit Sitz in einem Drittstaat, mit denen die Bundesanstalt eine angemessene Kooperationsvereinbarung gemäß Art. 32 Abs. 3 DV unterhält, enthalten ist.

  2. Besondere Erläuterungen zur teilweisen oder vollständigen Auslagerung der Compliance-Funktion finden sich im Modul BT 1.3.4.

BT: Besondere Anforderungen nach §§ 63 ff. WpHG

BT 1 Organisatorische Anforderungen und Aufgaben der Compliance-Funktion nach § 80 Abs. 1 WpHG, Art. 22 DV und Art. 26 Abs. 7 DV

Dieses Modul erläutert die Anforderungen an die Organisation und die Tätigkeit der Compliance-Funktion aus § 80 Abs. 1 WpHG, Art. 22 und Art. 26 Abs. 7 DV 2. Bei der Umsetzung durch die Wertpapierdienstleistungsunternehmen findet das Proportionalitätsprinzip nach Art. 22 Abs. 1 DV Anwendung.

BT 1.1 Stellung der Compliance-Funktion

  1. Die Geschäftsleitung eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens muss eine angemessene, dauerhafte und wirksame Compliance-Funktion einrichten und ausstatten, die ihre Aufgaben unabhängig wahrnehmen kann. Sie trägt die Gesamtverantwortung für die Compliance-Funktion und überwacht deren Wirksamkeit.
  2. Die Compliance-Funktion ist ein Instrument der Geschäftsleitung. Sie kann auch einem Mitglied der Geschäftsleitung unterstellt sein. Unbeschadet dessen ist sicherzustellen, dass der Vorsitzende des Aufsichtsorgans unter Einbeziehung der Geschäftsleitung direkt beim Compliance-Beauftragten Auskünfte einholen kann 3.
  3. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen muss einen Compliance-Beauftragten benennen, der unbeschadet der Gesamtverantwortung der Geschäftsleitung für die Compliance-Funktion sowie die Berichte an die Geschäftsleitung und das Aufsichtsorgan verantwortlich ist. Der Compliance-Beauftragte wird von der Geschäftsleitung bestellt bzw. entlassen. Er soll über hohe ethische Standards und persönliche Integrität verfügen.
  4. Die Bedeutung der Compliance-Funktion soll sich an ihrer Stellung in der Unternehmensorganisation widerspiegeln.
  5. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen und seine Geschäftsleitung fördern und bestärken eine unternehmensweite „Compliance-Kultur“, durch die Rahmenbedingungen für eine Förderung des Anlegerschutzes durch die Mitarbeiter, sowie für eine Förderung der Finanzstabilität und für eine angemessene Wahrnehmung von Compliance-Angelegenheiten geschaffen werden.

BT 1.2 Aufgaben der Compliance-Funktion

BT 1.2.1 Überwachungsaufgaben der Compliance-Funktion
  1. Die Compliance-Funktion überwacht und bewertet die im Unternehmen aufgestellten Grundsätze und eingerichteten Verfahren sowie die zur Behebung von Defiziten getroffenen Maßnahmen einschließlich der Prozessabläufe für die Abwicklung von Beschwerden.
  2. Die Compliance-Funktion hat durch regelmäßige risikobasierte Überwachungshandlungen darauf hinzuwirken, dass den aufgestellten Grundsätzen und eingerichteten Verfahren, somit den Organisations- und Arbeitsanweisungen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens, nachgekommen wird und dass die Mitarbeiter der Geschäftsbereiche, die Wertpapierdienstleistungen erbringen, das nötige Bewusstsein für Compliance-Risiken aufweisen. Hierbei arbeiten die Compliance-Funktion und die Geschäftsleitung, die insoweit die Letztverantwortung trägt, zusammen.
  3. Es ist Aufgabe der Compliance-Funktion, dafür Sorge zu tragen, dass Interessenkonflikte vermieden werden bzw. unvermeidbaren Interessenkonflikten ausreichend Rechnung getragen wird. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Wahrung der Kundeninteressen. Des Weiteren hat die Compliance-Funktion darauf hinzuwirken, dass organisatorische Vorkehrungen im Unternehmen getroffen werden, um die unzulässige Weitergabe von compliance-relevanten Informationen im Sinne von AT 6.1 dieses Rundschreibens zu verhindern.
BT 1.2.1.1 Risikoanalyse
  1. Umfang und Schwerpunkt der Tätigkeit der Compliance-Funktion sind auf Basis einer Risikoanalyse festzulegen. Die Compliance-Funktion führt eine solche Risikoanalyse in regelmäßigen Abständen durch, um die Aktualität und Angemessenheit der Festlegung zu überprüfen. Neben der regelmäßigen Überprüfung identifizierter Risiken ist im Bedarfsfall eine Ad-hoc-Prüfung vorzunehmen, um aufkommende Risiken in die Betrachtung mit einzubeziehen. Aufkommende Risiken können z.B. solche aus der Erschließung neuer Geschäftsfelder oder aufgrund von Änderungen in der Struktur des Wertpapierdienstleistungsunternehmens oder gesetzlicher Vorgaben oder gesetzlicher Vorgaben sein.
  2. Im Rahmen ihrer regelmäßigen Risikoanalyse ermittelt die Compliance-Funktion das Risikoprofil des Wertpapierdienstleistungsunternehmens im Hinblick auf Compliance-Risiken. Das Risikoprofil wird auf Basis von Art, Umfang und Komplexität der angebotenen Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen, der Kategorien der Kunden, der Arten der gehandelten und vertriebenen Finanzinstrumente, der Vertriebswege sowie ggfls. der Gruppenstruktur unter Berücksichtigung der aus der Überwachung der Beschwerdeabwicklung resultierenden Informationen bestimmt. Dabei sind die von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen und seinen Mitarbeitern einzuhaltenden Verpflichtungen nach dem WpHG, den Verwaltungsvorschriften und Verlautbarungen, die von der Bundesanstalt zur Konkretisierung des WpHG erlassen worden sind sowie die einschlägigen Leitlinien und Standards von ESMA, die bestehenden Organisations- und Arbeitsanweisungen bzw. -abläufe sowie sämtliche Überwachungs- und Kontrollsysteme im Bereich der Wertpapierdienstleistungen zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind die Ergebnisse bisheriger Überwachungshandlungen durch die Compliance-Funktion, durch die interne Revision und die Prüfungsergebnisse externer Wirtschaftsprüfer und alle sonstigen relevanten Erkenntnisquellen, wie etwa aggregierte Risikomessungen, in die Risikoanalyse mit einzubeziehen. Zur Sicherstellung der umfassenden Überwachung der Compliance-Risiken werden Prioritäten festgelegt.
BT 1.2.1.2 Überwachungshandlungen
  1. Die Compliance-Funktion überprüft, ob die in den Organisations- und Arbeitsanweisungen aufgeführten Kontrollhandlungen durch die Fachabteilungen regelmäßig und ordnungsgemäß ausgeführt werden.
  2. Zusätzlich sind eigene Vor-Ort-Prüfungen oder andere eigene Prüfungen der Compliance-Funktion vorzunehmen. Hierbei hat der Compliance-Beauftragte risikoorientiert zu bestimmen, welche Vor-Ort-Prüfungen seine Organisationseinheit selbst vornimmt (Kernbereich Compliance)4. Dies ist prüfungstechnisch nachvollziehbar zu begründen. Die Anzahl der Stichproben ist festzuhalten.
  3. Die vorzunehmenden Überwachungshandlungen dürfen nicht ausschließlich auf Prüfungsergebnisse der internen Revision gestützt werden.
  4. Für die notwendigen Überwachungshandlungen müssen geeignete Quellen, Methoden und Instrumente herangezogen werden. Beispielsweise

    • soll eine Auswertung von Berichten erfolgen, die die Aufmerksamkeit der Geschäftsleitung auf wesentliche Abweichungen zwischen erwarteten und tatsächlichen Abläufen (Bericht über Ausfallerscheinungen) oder auf Situationen, die ein Tätigwerden erfordern (Problembericht), lenken;
    • sollen Arbeitsabläufe beobachtet, Akten geprüft und/oder Interviews mit verantwortlichen Mitarbeitern geführt werden; nach Ermessen der Compliance-Funktion sollen gegebenenfalls auch Interviews mit einer Auswahl relevanter Kunden geführt werden;
    • sollen im Bereich Product Governance Berichte und Arbeitsmethoden der zuständigen Bereiche und Mitarbeiter mit kritischem Blick gewürdigt werden;
    • wird eine Handelsüberwachung empfohlen.

  5. Die Compliance-Funktion überwacht den Ablauf des Beschwerdeverfahrens und zieht Beschwerden als eine Informationsquelle im Kontext ihrer allgemeinen Überwachungsaufgaben heran. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen gewährt der Compliance-Funktion uneingeschränkten Zugang zu allen Beschwerden. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen sollte unter Berücksichtigung des Proportionalitätsgrundsatzes eine Organisationsstruktur bevorzugen, bei der die Compliance-Funktion nicht an der operativen Bearbeitung der Beschwerden beteiligt ist.
  6. Die Überwachungshandlungen werden unter Berücksichtigung der Kontrollen der Geschäftsbereiche, der vom Wertpapierdienstleistungsunternehmen einzuhaltenden aufsichtsrechtlichen Anforderungen sowie der Prüfungshandlungen der Risikomanagementfunktion, der internen Revision, des Controllings oder anderer Kontrollfunktionen im Bereich der Wertpapierdienstleistungen durchgeführt.
  7. Es wird empfohlen, dass andere Kontrollfunktionen (z.B. die interne Revision oder die Risikomanagement Funktion) ihre Prüfungshandlungen mit den Überwachungshandlungen der Compliance-Funktion koordinieren und die Ergebnisse austauschen, wobei jedoch die unterschiedliche Aufgabenstellung und die Unabhängigkeit der jeweiligen Funktionen zu berücksichtigen sind. Im Gegensatz zu den Prüfungen der internen Revision führt die Compliance-Funktion ihre Überwachungshandlungen zu den aufgestellten Grundsätzen und eingerichteten Verfahren im Bereich der Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen kontinuierlich, nach Möglichkeit prozessbegleitend oder zumindest zeitnah, durch. Ein Informationsaustausch soll auch mit internen und externen Prüfern (insb. dem WpHG-Prüfer) erfolgen.
  8. Soweit Defizite in den Grundsätzen und Verfahren festgestellt werden, hat die Compliance-Funktion die notwendigen Maßnahmen, die zur Behebung von Defiziten im Bereich der bestehenden organisatorischen Vorkehrungen notwendig sind, zu ermitteln und die Geschäftsleitung darüber zu informieren sowie die Implementierung von Maßnahmen zu überwachen und regelmäßig zu bewerten. Zur Überprüfung ist wiederum die Vornahme entsprechender Überwachungshandlungen erforderlich.
BT 1.2.2 Berichtspflichten der Compliance-Funktion
  1. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen stellt sicher, dass regelmäßig schriftliche Compliance-Berichte an die Geschäftsleitung übermittelt werden. Die Berichte enthalten eine Beschreibung der Umsetzung und Wirksamkeit des gesamten Kontrollwesens hinsichtlich Wertpapierdienstleistungen sowie eine Zusammenfassung der identifizierten Risiken und der durchgeführten bzw. durchzuführenden Maßnahmen zur Behebung bzw. Beseitigung von Defiziten und Mängeln sowie zur Risikoreduzierung. Die Berichte müssen in angemessenen Zeitabständen, zumindest einmal jährlich, erstellt werden.
  2. Über die Angabe in den regelmäßigen Berichten hinaus, hat der Compliance-Beauftragte der Geschäftsleitung erhebliche Feststellungen, wie etwa schwerwiegende Verstöße gegen die Vorschriften des WpHG, unverzüglich mittels eines anlassbezogenen Ad-hoc-Berichts mitzuteilen. Der Bericht hat einen Vorschlag hinsichtlich zu ergreifender Abhilfemaßnahmen zu enthalten.
  3. Die Berichte sind auch dem Aufsichtsorgan zu übermitteln, falls ein solches vorhanden ist. Die Übermittlung des Berichts an das Aufsichtsorgan erfolgt jedoch grundsätzlich über die Geschäftsleitung. Eine Verpflichtung, Compliance-Berichte ohne vorherige Information der Geschäftsleitung unmittelbar an das Aufsichtsorgan zu übermitteln, besteht nicht.
  4. Durch die Geschäftsleitung veranlasste, inhaltliche Änderungen des Berichts sind gesondert zu dokumentieren. Über diese Änderungen ist der Vorsitzende des Aufsichtsorgans zu informieren.
  5. Die Compliance-Berichte sollen sich auf alle Geschäftsbereiche erstrecken, die an der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen beteiligt sind, sowie auf Informationen über die Abwicklung von Beschwerden. Falls ein Bericht nicht sämtliche dieser Bereiche abdeckt, ist dies ausführlich zu begründen.
  6. Für den Compliance-Bericht gilt das Proportionalitätsprinzip. Im Fall der Berichtspflichten über den Bereich Product Governance bedeutet dies z.B., dass Angaben zu einfachen, weit verbreiteten Produkten im Bericht jeweils weniger ausführlich dargestellt werden können, komplexe oder risikoreiche, innovative oder illiquide Produkte ausführlicherer Angaben bedürfen.
  7. Die Compliance-Berichte müssen, soweit einschlägig, zumindest die folgenden Angaben enthalten:

    a. Allgemeine Informationen

    • Einen Überblick über die Struktur der Compliance-Funktion, inklusive der Qualifikation der Mitarbeiter und deren Berichtslinie, sowie mögliche Änderungen im Berichtszeitraum;
    • Angaben zur Angemessenheit der Personal- und Sachausstattung der Compliance-Funktion;
    • Angaben zur Wirksamkeit und Angemessenheit der zur Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben implementierten Grundsätze und Verfahren;
    • Eine Beschreibung der Risiken, die in dem von der Compliance-Funktion überwachten Bereich identifiziert wurden;
    • Angaben zur Überprüfung der Umsetzung und Einhaltung der Regelungen zur Sachkunden und Zuverlässigkeit;
    • die Darstellung sonstiger im Berichtszeitraum aufgetretener wesentlicher Sachverhalte mit Compliance-Relevanz oder sonstiger erforderlicher Maßnahmen und Strategien, zu denen im Berichtszeitraum gewonnene Erkenntnisse Anlass gegeben haben;
    • Eine Darstellung von Situationen, in denen von dem Grundsatz abgewichen wurde, dass Geschäftsbereiche keine Weisungen gegenüber den Mitarbeitern der Compliance-Funktion erteilen oder auf sonstige Art und Weise auf deren Tätigkeit Einfluss nehmen dürfen;
    • Angaben zum wesentlichen Schriftwechsel mit den zuständigen Aufsichtsbehörden, falls die Geschäftsleitung hierauf nicht bereits auf anderem Weg aufmerksam gemacht wurde;
    • Eine Darstellung der im Berichtszeitraum eingetretenen relevanten Änderungen und Entwicklungen regulatorischer Anforderungen sowie die zur Sicherstellung ihrer Einhaltung ergriffenen bzw. zu ergreifenden Maßnahmen, soweit die Geschäftsleitung nicht bereits auf anderem Weg hierauf aufmerksam gemacht wurde;
    • Wird angesichts des Proportionalitätsgrundsatzes eine Ausnahme nach BT 1.2.1.2 Tz. 5 letzter Satz in Anspruch genommen, eine Einschätzung zur fortbestehenden Angemessenheit der Grundsätze und Verfahren, die eine Minimierung der Interessenkonflikte bewirken sollen.

    b. Art und Weise der Überwachung und Prüfung

    • Beschreibung der Überwachungsaufgabe der Compliance Funktion, insbesondere Darstellung der Früherkennung von Verstößen gegen aufsichtsrechtliche Vorgaben;
    • Eine Zusammenfassung der von der Compliance-Funktion durchgeführten Prüfungen (insbesondere Vor-Ort Prüfungen und Aktenprüfungen);
    • Eine Zusammenfassung der von der Compliance-Funktion für den nächsten Überwachungszyklus geplanten Prüfungen.

    c. Feststellungen

    • Eine Zusammenfassung der wesentlichen Feststellungen aus der Prüfung der Grundsätze und Verfahren des Wertpapierdienstleistungsunternehmens unter Angabe der in der Organisation und dem jeweiligen Compliance-Prozess festgestellten Risiken, Verstöße und Mängel;
    • Angabe der Zahl der im Beschwerdeberichtszeitraum eingegangenen Beschwerden, sofern die Geschäftsleitung hierauf nicht bereits auf anderem Weg aufmerksam gemacht wurde sowie – sofern im Rahmen der Beschwerdebearbeitung festgestellt – eine Beschreibung spezifischer Compliance- oder sonstiger Risiken für die Grundsätze und Verfahren zur Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und -nebendienstleistungen;
    • Sofern die Compliance-Funktion auch mit dem Beschwerdemanagement betraut ist: ggfls. Feststellungen im Hinblick auf die Umsetzung der Grundsätze und Verfahren zur Feststellung, Beseitigung bzw. Minimierung möglicher Interessenkonflikte, die aus der Zusammenlegung der Compliance-Funktion mit dem Beschwerdemanagement resultieren.

    d. Maßnahmen

    • Eine Zusammenfassung der Maßnahmen, die ergriffen wurden, um wesentlichen Risiken von Verstößen zu begegnen bzw. um diese zu beseitigen;
    • Eine Zusammenfassung der Maßnahmen, die aufgrund von Kundenbeschwerden eingeleitet wurden und der auf diesen ggf. basierenden Kulanzzahlungen, sofern die Geschäftsleitung hierauf nicht bereits auf anderem Weg aufmerksam gemacht wurde sowie eine Zusammenfassung der Maßnahmen im Hinblick auf spezifische Compliance- oder sonstige Risiken für die Grundsätze und Verfahren zur Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und -nebendienstleistungen, die im Rahmen der Beschwerdebearbeitung identifiziert wurden.

    e. Sonstiges

    • Informationen darüber, wo und wie die Geschäftsleitung von wichtigen Empfehlungen oder Einschätzungen der Compliance-Funktion abgewichen ist.
  8. Nach § 81 Abs. 4 WpHG hat sich der Bericht der Compliance-Funktion insbesondere auch auf den Themenbereich Product Governance zu beziehen. Dementsprechend müssen die vorstehend genannten Berichtsinhalte auch auf die Überwachung der Product Governance erstreckt werden. Es hat insbesondere eine Berichterstattung über die Angemessenheit und Wirksamkeit der Grundsätze, Mittel und Verfahren zu erfolgen, die darauf ausgerichtet sind, sicherzustellen, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen selbst und seine Mitarbeiter den Product-Governance-Vorgaben nachkommen. Es ist ein einheitlicher Bericht zu erstellen. Tritt ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen gleichzeitig als Konzepteur und Vertriebsunternehmen auf, soll der Bericht der Compliance-Funktion so gegliedert sein, dass auf beide Geschäftsfelder getrennt eingegangen wird (z.B. da sich aus beiden unterschiedliche Compliance-Risiken ergeben können, die nicht vermischt werden sollten). Dem steht nicht entgegen, dass die beiden entsprechenden operativen Einheiten jeweils einen zusätzlichen Bericht mit gleichem oder darüber hinausgehendem Inhalt an die Geschäftsführung richten

    • Dabei ist insbesondere anzugeben, ob geeignete Maßnahmen zur Behebung von Verstößen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens oder seiner Mitarbeiter gegen die Product Governance-Vorgaben oder zur Beseitigung des Risikos eines solchen Verstoßes oder aufgetretener Mängel ergriffen wurden.
    • Des Weiteren ist über die Abwicklung der die Product Governance betreffenden Beschwerden und über die daraufhin ergriffenen oder zu ergreifenden Abhilfemaßnahmen zu berichten.
    • Darüber hinaus ist zu berichten, ob und wie die Compliance-Funktion die Entwicklung und regelmäßige Überprüfung der Produktfreigabevorkehrungen überwacht und wie sie etwaige Risiken, dass Anforderungen an den Produktüberwachungsprozess nicht erfüllt werden, frühzeitig erkennt.
    • Eine Darstellung der Rolle der Compliance-Funktion im Product Governance Prozess.

  9. Schließlich muss der Compliance-Bericht auch systematische Informationen über die von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen konzipierten und empfohlenen Finanzinstrumente enthalten, insbesondere über die jeweilige Vertriebsstrategie sowie die erbrachten Dienstleistungen. Zu den systematischen Informationen zählen zumindest

    • die Zahl und Art der konzipierten bzw. vertriebenen Produkte, mit ihrem jeweiligen Zielmarkt und weiteren Angaben aus dem Produktfreigabeverfahren, die zur Beurteilung des mit den Produkten einhergehenden Compliance-Risikos erforderlich sind (z.B. die Komplexität der Produkte, Interessenkonflikte, ggf. besonders relevante Daten aus der Szenarioanalyse, das Kosten-Renditeverhältnis). Dabei sollte die Berichterstattung hauptsächlich auf neu konzipierte bzw. vertriebene Produkte sowie auf wesentliche Änderungen von Produktmerkmalen eingehen;
    • im Falle von Konzepteuren, die jeweiligen Vertriebspartner, mit einem Schwerpunkt auf neuen Vertriebspartnern, als Teil der Angaben zur Vertriebsstrategie;
    • Angaben, ob Produkte, außerhalb des (positiven) Zielmarkts vertrieben wurden/werden und in welchem Umfang.

  10. Die Compliance-Funktion prüft anlässlich jedes Compliance-Berichts, ob eine Berichterstattung auch an die übergeordnete Compliance-Funktion innerhalb des Unternehmensverbunds erforderlich ist.
BT 1.2.3 Beratungsaufgaben der Compliance-Funktion
  1. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen stellt sicher, dass die Compliance-Funktion ihren Beratungs- und Unterstützungspflichten nachkommt. Zu diesen zählen unter anderem die Unterstützung bei Mitarbeiterschulungen (auch für Mitarbeiter in Führungspositionen), die tägliche Betreuung von Mitarbeitern und die Mitwirkung bei der Erstellung neuer Grundsätze und Verfahren innerhalb des Wertpapierdienstleistungsunternehmens (z.B. bei den Vergütungsgrundsätzen oder den Product Governance Grundsätzen und Verfahren).
  2. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen sorgt dafür, dass seine Mitarbeiter (auch in Führungspositionen) in ausreichendem Maße geschult sind. Die Compliance-Funktion unterstützt die operativen Bereiche (d.h. sämtliche Mitarbeiter, die direkt oder indirekt an der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen beteiligt sind) bei der Durchführung von Schulungen oder führt diese selbst durch. Hierbei hat die Compliance-Funktion insbesondere folgende Schwerpunkte zu berücksichtigen:

    • interne Grundsätze und Verfahren des Wertpapierdienstleistungsunternehmens und seine organisatorische Struktur im Bereich der Wertpapierdienstleistungen;
    • Anforderungen des WpHG, der DV, der WpDVerOV und der WpHGMaAnzV, einschlägige Verlautbarungen von ESMA (insb. Leitlinien), Verlautbarungen der Bundesanstalt sowie andere relevante aufsichtsrechtliche Anforderungen, jeweils einschließlich möglicher Änderungen.

  3. Schulungen müssen in regelmäßigen Abständen und erforderlichenfalls anlassbezogen durchgeführt werden. Die Schulungen sind je nach Bedarf an alle Mitarbeiter, einzelne Geschäftsbereiche oder einzelne Mitarbeiter zu richten.
  4. Die Schulungsinhalte sind bei relevanten Änderungen, wie etwa gesetzlichen Neuerungen, neuen Verlautbarungen von ESMA (insb. Leitlinien) bzw. Verlautbarungen der Bundesanstalt sowie Änderungen der Unternehmensorganisation und der Organisations- und Arbeitsanweisungen, unverzüglich zu aktualisieren.
  5. Die Mitarbeiter der Compliance-Funktion haben die Geschäftsbereiche und die Mitarbeiter des Unternehmens im Hinblick auf die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen sowie der Organisations- und Arbeitsanweisungen auch zur Product Governance zu beraten und zu unterstützen. Sie stehen insbesondere für Fragen zur Verfügung, die sich aus der täglichen Arbeit ergeben.
BT 1.2.4 Beteiligung der Compliance-Funktion an Prozessen
  1. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen stellt sicher, dass die Compliance-Funktion in die Entwicklung der relevanten Grundsätze und Verfahren im Bereich der Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen, insbesondere in die Erstellung interner Organisations- und Arbeitsanweisungen und deren ständige Weiterentwicklung - soweit diese eine Compliance-Relevanz aufweisen - eingebunden wird.
  2. Unbeschadet der Verantwortung der operativen Bereiche ist die Compliance-Funktion hierbei möglichst frühzeitig einzubeziehen, um darauf hinzuwirken, dass die Organisations- und Arbeitsanweisungen geeignet sind, Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen zu verhindern.
  3. Durch die Einbindung muss es der Compliance-Funktion ermöglicht werden, die operativen Bereiche insbesondere bezüglich aller strategischen Entscheidungen, wesentlichen organisatorischen Veränderungen – etwa im Rahmen des Entscheidungsprozesses hinsichtlich der Erschließung neuer Geschäftsfelder, Dienstleistungen, Märkte und Handelsplätze oder der Auflage neuer Finanzprodukte sowie der Einführung neuer Werbestrategien im Bereich der Wertpapierdienstleistungen – zu beraten und ihre Sachkenntnis einzubringen. Der Compliance-Funktion muss das Recht eingeräumt werden, frühzeitig in die Produktgenehmigungs- und anderen Product Governance-Prozesse – etwa durch Interventionsrechte – einbezogen zu werden. Ein Übergang der Verantwortung von den operativen Bereichen auf die Compliance-Funktion ist hiermit nicht verbunden.
  4. Im Übrigen bestärkt die Geschäftsleitung die Geschäftsbereiche, die Compliance-Funktion in ihre Tätigkeit einzubeziehen. Wenn wesentlichen Empfehlungen der Compliance-Funktion nicht gefolgt wird, hat die Compliance-Funktion dies entsprechend zu dokumentieren und in ihren Compliance-Berichten (wo erforderlich ggf. in einem ad-hoc Bericht) darzustellen.
  5. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen stellt sicher, dass die Compliance-Funktion bei jedem wesentlichen, nicht-routinemäßigen Schriftwechsel mit den zuständigen Aufsichtsbehörden im Bereich der Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen und mit den Handelsüberwachungsstellen der Börsen mit einbezogen wird.
  6. Die Compliance-Funktion ist weiterhin insbesondere bei den folgenden Aufgaben einzubeziehen:

    • Ermittlung der Kriterien zur Bestimmung der Compliance-Relevanz der Mitarbeiter;
    • Festlegung der Grundsätze für Vertriebsziele bei der Ausgestaltung des Vergütungssystems für relevante Personen im Sinne des BT 8; ist das Wertpapierdienstleistungsunternehmen ein Tochterunternehmen einer Gesellschaft mit Sitz im Ausland, das diesbezüglich Vorgaben von dieser Gesellschaft erhält, so prüft die Compliance-Funktion, ob die Vorgaben des Mutterunternehmens mit den deutschen aufsichtsrechtlichen Vorgaben im Einklang stehen;
    • Einrichtung von Vertraulichkeitsbereichen;
    • Ausgestaltung der Prozesse zur Überwachung der persönlichen Geschäfte im Unternehmen;
    • Festlegung der Grundsätze zur bestmöglichen Auftragsausführung und gegebenenfalls Grundsätze zur Weiterleitung bei Ausführung durch ein drittes Unternehmen;
    • Ausgestaltung des Produktüberwachungsprozesses sowie der übrigen Product Governance-Prozesse.

BT 1.3 Organisatorische Anforderungen an die Compliance-Funktion

BT 1.3.1 Wirksamkeit

Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Unternehmens abwägen, welche Vorkehrungen, insbesondere im Hinblick auf Organisation und Ausstattung der Compliance-Funktion, am besten geeignet sind, deren Wirksamkeit sicherzustellen. In die Abwägung sind insbesondere folgende Kriterien einzubeziehen:

  • die Art der angebotenen Wertpapierdienstleistungen, Wertpapiernebendienstleistungen und sonstigen Geschäftsaktivitäten (einschließlich derer, die in keiner Verbindung zu Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen stehen);
  • die Wechselwirkung zwischen Wertpapierdienstleistungen, Wertpapiernebendienstleistungen und den sonstigen Geschäftsaktivitäten;
  • das Spektrum und das Volumen der erbrachten Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen (im absoluten und relativen Vergleich zu den sonstigen Geschäftsaktivitäten), die Bilanzsumme und die Einkünfte aus Provisionen, Gebühren und anderen Einkommensquellen im Zusammenhang mit dem Angebot von Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen;
  • die Art der angebotenen Finanzinstrumente;
  • die Art der durch das Wertpapierdienstleistungsunternehmen angesprochenen Kunden (professionelle Kunden, Privatkunden, geeignete Gegenparteien);
  • die Anzahl der Mitarbeiter;
  • ob das Wertpapierdienstleistungsunternehmen Teil eines Unternehmensverbunds im Sinne von Art. 2 Nr. 11 Richtlinie (EU) 2013/34 ist;
  • Dienstleistungen, die durch ein geschäftliches Netzwerk, etwa durch vertraglich gebundene Vermittler oder Zweigstellen, erbracht werden;
  • grenzüberschreitende Tätigkeiten des Wertpapierdienstleistungsunternehmens;
  • Organisations- und Entwicklungsstand der IT-Systeme.
BT 1.3.1.1 Ausstattung und Budget
  1. Die Compliance-Funktion muss über angemessene Mittel für ihre Aufgabenerfüllung verfügen. Bei der Ausstattung der Compliance-Funktion mit personellen, sachlichen und sonstigen Mitteln, hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen das Geschäftsmodell, den Umfang und die Art der erbrachten Wertpapierdienstleistungen, Wertpapiernebendienstleistungen und sonstigen Dienstleistungen sowie die daraus resultierenden Aufgaben der Compliance-Funktion zu berücksichtigen. Es ist insbesondere auch für eine hinreichende IT-Ausstattung der Compliance-Funktion zu sorgen.
  2. Werden in dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen für bestimmte Tätigkeiten oder Bereiche Budgets vergeben, muss auch der Compliance-Funktion grundsätzlich ein eigenes Budget zugeteilt werden, das dem Compliance-Risiko des Unternehmens angemessen Rechnung trägt. Der Compliance-Beauftragte ist bei der Festlegung des Budgets hinzuzuziehen. Das Budget kann für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die Teil eines Konzerns sind, ganzheitlich bestimmt werden. Wesentliche Kürzungen des Budgets sind schriftlich zu begründen. Das Aufsichtsorgan ist über alle wesentlichen Kürzungen zu informieren.
  3. Werden die Aktivitäten der Geschäftsbereiche wesentlich erweitert, sind Ausstattung und Tätigkeit der Compliance-Funktion an das veränderte Compliance-Risiko anzupassen. Die Geschäftsleitung hat regelmäßig, mindestens jährlich, zu überprüfen, ob die Anzahl der Mitarbeiter der Compliance-Funktion und deren Qualifikation für die Erfüllung ihrer Aufgaben noch ausreichend ist.
  4. Ist die Compliance-Funktion auch mit anderen Kontrollfunktionen oder anderen Aufgaben betraut (so etwa im Bereich Geldwäsche), so hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen sicher zu stellen, dass die Compliance-Funktion insbesondere mit ausreichenden Mitteln zur Überwachung des in BT 1 beschriebenen Bereichs ausgestattet wird.
BT 1.3.1.2 Befugnisse der Compliance-Mitarbeiter
  1. Die Mitarbeiter der Compliance-Funktion müssen mit den zur wirksamen Ausübung ihrer Tätigkeit erforderlichen Befugnissen ausgestattet werden. Ihnen ist jederzeit Zugang zu allen relevanten Informationen in Bezug auf ihre Tätigkeit zu gewähren, und sie sind in sämtliche relevante Informationsflüsse, die für die Aufgabe der Compliance-Funktion von Bedeutung sein können, einzubinden. Ihnen ist ein uneingeschränktes Auskunfts-, Einsichts- und Zugangsrecht zu sämtlichen Räumlichkeiten und Unterlagen, Aufzeichnungen, Tonbandaufnahmen (insb. Aufzeichnungen von Telefongesprächen und elektronischer Kommunikation nach Art. 76 DV), Datenbanken und sonstigen IT-Systemen sowie weiteren Informationen, die für die Ermittlung relevanter Sachverhalte erforderlich sind, zu gewähren. Mitarbeiter dürfen die Herausgabe von Unterlagen oder die Erteilung compliance-relevanter Auskünfte nicht verweigern. Das Auskunfts-, Einsichts- und Zugangsrecht muss aus eigener Initiative wahrgenommen werden können.
  2. Zur ständigen Übersicht des Compliance-Beauftragten über die Bereiche des Wertpapierdienstleistungsunternehmens, in denen vertrauliche oder für die Aufgabenerfüllung der Compliance-Funktion erforderliche Informationen aufkommen können, muss ihm zusätzlich Zugang zu internen und externen Prüfberichten oder anderen Berichten an die Geschäftsleitung bzw. das Aufsichtsorgan (soweit vorhanden) gewährt werden, soweit diese für seine Tätigkeit relevant sein können. Soweit für die Aufgabenerfüllung der Compliance-Funktion erforderlich und gesetzlich zulässig, soll dem Compliance-Beauftragten das Recht eingeräumt werden, an Sitzungen der Geschäftsleitung oder des Aufsichtsorgans (soweit vorhanden) teilzunehmen. Wird ihm dieses Recht ausnahmsweise nicht eingeräumt oder ist die Einräumung des Rechts gesetzlich nicht zulässig, ist dies schriftlich zu dokumentieren und zu erläutern. Um ermitteln zu können, bei welchen Sitzungen eine Teilnahme erforderlich ist, muss der Compliance-Beauftragte über eingehende Kenntnisse hinsichtlich der Organisation, der Unternehmenskultur und der Entscheidungsprozesse des Wertpapierdienstleistungsunternehmens verfügen.
  3. Um die für ihre Aufgabenerledigung erforderlichen Befugnisse zu gewährleisten, hat die Geschäftsleitung die Mitarbeiter der Compliance-Funktion bei der Ausführung ihrer Aufgaben zu unterstützen. Die Wahrnehmung ihrer Befugnisse setzt die erforderliche Sachkunde und die relevanten Fähigkeiten der Mitarbeiter der Compliance-Funktion voraus.
BT 1.3.1.3 Sachkunde der Compliance-Mitarbeiter
  1. Die mit der Compliance-Funktion betrauten Personen müssen über die erforderlichen Fachkenntnisse für den jeweils zugewiesenen Aufgabenbereich verfügen. Dies erfordert – spätestens nach Ablauf einer Einarbeitungszeit - Kenntnisse zu den folgenden Punkten, soweit diese für die jeweilige Aufgabenerfüllung relevant sind:

    • Kenntnisse der Rechtsvorschriften, die vom Wertpapierdienstleistungsunternehmen bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen einzuhalten sind einschließlich der unmittelbar geltenden europäischen Rechtsverordnungen; Kenntnisse über die europarechtlichen Grundlagen der einzuhaltenden Vorschriften werden empfohlen;
    • Kenntnisse der Verwaltungsvorschriften und Verlautbarungen, die von der Bundesanstalt zur Konkretisierung des WpHG erlassen worden sind, sowie Kenntnisse der einschlägigen Leitlinien und Standards von ESMA;
    • Kenntnisse über die Grundzüge der Organisation und Zuständigkeiten der Bundesanstalt;
    • Kenntnisse der Anforderungen und Ausgestaltung angemessener Prozesse von Wertpapierdienstleistungsunternehmen zur Verhinderung und zur Aufdeckung von Verstößen gegen aufsichtsrechtliche Bestimmungen;
    • Kenntnisse der Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Befugnisse der Compliance-Funktion und des Compliance-Beauftragten;
    • Kenntnisse verschiedener Ausgestaltungsmöglichkeiten von Vertriebsvorgaben sowie der Aufbau- und Ablauforganisation des Wertpapierdienstleistungsunternehmens und von Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Allgemeinen;
    • Kenntnisse der Funktionsweisen und Risiken der Arten von Finanzinstrumenten, in denen das Wertpapierdienstleistungsunternehmen Wertpapierdienstleistungen oder Wertpapiernebendienstleistungen erbringt;
    • soweit von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen Wertpapierdienstleistungen mit Auslandsbezug erbracht werden: Kenntnisse der hierbei zu beachtenden besonderen rechtlichen Anforderungen;
    • soweit es im Wertpapierdienstleistungsunternehmen algorithmische Handelssysteme und Handelsalgorithmen gibt: Verständnis der algorithmischen Handelssysteme und Handelsalgorithmen zumindest in Grundzügen.
  2. Die Compliance-Mitarbeiter sind regelmäßig zu schulen, um ihre Fachkenntnisse aufrechtzuerhalten.
BT 1.3.2 Dauerhaftigkeit
  1. Die Compliance-Funktion muss dauerhaft eingerichtet sein.
  2. Dem Compliance-Beauftragten ist ein Vertreter zuzuordnen. Dieser muss ausreichend qualifiziert sein, um die Aufgaben des Compliance-Beauftragten während seiner Abwesenheit auszuführen. Im Übrigen stellen die Organisations- und Arbeitsanweisungen die hinreichende Aufgabenerfüllung während der Abwesenheit des Compliance-Beauftragten insbesondere durch eine entsprechende Vertretungsregelung sicher.
  3. Die Aufgaben und die Kompetenzen der Compliance-Funktion sind in den Organisations- und Arbeitsanweisungen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens festzuhalten. Die Kompetenzen umfassen Zuständigkeiten und Befugnisse. Darüber hinaus sind Angaben zum Überwachungsplan und den Berichtspflichten der Compliance-Funktion sowie eine Beschreibung des risikobasierten Überwachungsansatzes, insbesondere der Risikoanalyse, aufzunehmen. Relevante Änderungen aufsichtsrechtlicher Vorschriften sind zeitnah anzupassen.
BT 1.3.2.1 Überwachungsplan
  1. Überwachungshandlungen haben nicht nur anlassbezogen, sondern auf der Grundlage eines schriftlichen Überwachungsplans und regelmäßig (wiederkehrend oder fortlaufend) zu erfolgen. Der Überwachungsplan ist regelmäßig auf alle wesentlichen Bereiche der Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen unter Berücksichtigung des Risikogehalts der Geschäftsbereiche sowie auf den Bereich der Beschwerdeabwicklung zu erstrecken. Die Compliance-Funktion muss unverzüglich auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren und erforderlichenfalls den Fokus ihrer Überwachungshandlungen entsprechend anpassen können.
  2. Der Überwachungsplan muss die Prüfung vorsehen, ob die Tätigkeit des Wertpapierdienstleistungsunternehmens im Einklang mit den Vorgaben des WpHG erfolgt. Er muss zudem auf die Prüfung ausgerichtet sein, ob die Organisation, die eingerichteten Grundsätze und Verfahren sowie die Kontrollmechanismen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens auch weiterhin wirksam und angemessen sind.
  3. Der Überwachungsplan muss darauf ausgerichtet sein, sicherzustellen, dass Compliance-Risiken umfassend überwacht werden. Er weist die Schwerpunkte für die Überwachungshandlungen nach Maßgabe der Risikoanalyse aus.
  4. Der Umfang, die Reichweite und der Turnus der im Überwachungsplan festzusetzenden Überwachungshandlungen sowie die Auswahl der hierfür angemessenen Instrumente und Methoden wird durch die Compliance-Funktion auf Basis der Risikoanalyse bestimmt. Die Compliance Funktion stellt sicher, dass ihre Überwachungshandlungen nicht nur akten- oder computerbasiert sondern auch durch Vor-Ort-Prüfungen oder andere eigene Prüfungen erfolgen.
  5. Der Überwachungsplan ist fortlaufend an Veränderungen im Risikoprofil des Wertpapierdienstleistungsunternehmens (etwa durch bedeutsame Ereignisse wie Unternehmenskäufe, die Umstellung von IT-Systemen oder Reorganisationsmaßnahmen) anzupassen. Der Überwachungsplan muss sich auch auf die Umsetzung und Effektivität von Abhilfemaßnahmen erstrecken, die das Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Fall von Verstößen gegen das WpHG ergreift.
BT 1.3.2.2 Die Compliance-Funktion im Unternehmensverbund

Auch wenn ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen mit anderen Unternehmen verbunden ist, verbleibt die Verantwortlichkeit für die Compliance-Funktion bei dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen selbst. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen stellt daher sicher, dass seine Compliance-Funktion für die Überwachung seiner eigenen Compliance-Risiken verantwortlich bleibt. Dies gilt auch dann, wenn ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen Aufgaben der Compliance-Funktion an verbundene Unternehmen ausgelagert hat. Bei ihrer Aufgabenerfüllung soll die Compliance-Funktion jedoch ggf. die Zugehörigkeit des Wertpapierdienstleistungsunternehmens zu einem Unternehmensverbund berücksichtigen, indem sie beispielsweise eng mit den Verantwortlichen für die interne Revision, regulatorische Angelegenheiten und Compliance sowie der Rechtsabteilung aus anderen Bereichen des Unternehmensverbunds zusammenarbeitet. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass etwa die gemeinsame Nutzung eines Bürogebäudes durch die verbundenen Unternehmen, zu einer besseren Informationsversorgung des Compliance-Beauftragten und zur größeren Effizienz der Compliance-Funktion führen kann.

BT 1.3.3 Unabhängigkeit
  1. Die Compliance-Funktion erfüllt ihre Aufgaben unabhängig von den anderen Geschäftsbereichen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens und ihre Überwachungsaufgaben unabhängig von der Geschäftsleitung. Es ist sicherzustellen, dass andere Geschäftsbereiche kein Weisungsrecht gegenüber den Mitarbeitern der Compliance-Funktion besitzen und auf deren Tätigkeit auch sonst keinen Einfluss nehmen können. Diesbezüglich ist ein Eskalationsprozess zur Geschäftsleitung einzurichten.
  2. Überstimmungen wesentlicher Bewertungen und Empfehlungen des Compliance-Beauftragten durch die Geschäftsleitung sind zu dokumentieren und in den Bericht gemäß Art. 22 Abs. 2 c) DV aufzunehmen. Als wesentliche Empfehlung ist etwa die Empfehlung des Compliance-Beauftragten, ein bestimmtes Finanzinstrument nicht zur Aufnahme in den Vertrieb zuzulassen, anzusehen.
  3. Will ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen angesichts des Proportionalitätsgrundsatzes wie nachfolgend beschrieben von den Regelungen des Art. 22 Abs. 3 d) und e) DV abweichen, hat es, insbesondere unter Berücksichtigung der in Ziff. 1.3.1 genannten Kriterien, zu prüfen, ob die Wirksamkeit der Compliance-Funktion hierdurch beeinträchtigt wird. Die Prüfung ist in regelmäßigen Abständen zu wiederholen.
BT 1.3.3.1 Beteiligung vom Compliance-Mitarbeitern an zu überwachenden Prozessen
  1. Mitarbeiter der Compliance-Funktion einschließlich des Compliance-Beauftragten dürfen, um eine effektive Ausübung der Compliance-Aufgaben zu ermöglichen, nicht an den Wertpapierdienstleistungen beteiligt sein, die sie überwachen.
  2. Eine Ausnahme ist nur möglich, wenn es aufgrund der Größe des Unternehmens oder Art, Umfang, Komplexität oder Risikogehalt der Geschäftstätigkeit des Unternehmens oder Art und Spektrum der angebotenen Dienstleistungen unverhältnismäßig wäre, eine gesonderte Person, die nicht an den Wertpapierdienstleistungen beteiligt ist, mit der Compliance-Funktion zu betrauen. Hierbei sind insbesondere die im Unternehmen bestehenden Interessenkonflikte sowie die Einstufung der Kunden des Unternehmens nach § 67 WpHG und die vertriebenen bzw. gehandelten Finanzinstrumente zu berücksichtigen.
  3. Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen kann diese Ausnahme beispielsweise in Anspruch nehmen, wenn die Ausübung der Compliance-Funktion – auch in Kombination mit Controllingfunktionen – aufgrund Art, Umfang und Komplexität der Geschäftstätigkeit des Unternehmens oder Art und Spektrums der Wertpapierdienstleistungen oder Wertpapiernebendienstleistungen vom Umfang her keine volle Personalstelle erfordert.
  4. In diesem Fall kann die Funktion des Compliance-Beauftragten beispielsweise in Personalunion mit der Funktion des Geschäftsleiters erfolgen, auch wenn dieser in die operativen Tätigkeiten des Unternehmens eingebunden ist. Die Bestimmung eines Compliance-Beauftragten ist jedoch auch bei Inanspruchnahme der Ausnahme erforderlich. Soweit ein Geschäftsleiter dagegen nicht in die operativen Tätigkeiten des Unternehmens eingebunden ist, kann er die Funktion des Compliance-Beauftragten wahrnehmen, ohne dass eine Ausnahme im Sinne dieser Tz. vorliegt.
  5. Beispielsweise kann bei kleineren Unternehmen, die neben dem/den Geschäftsleiter(n) lediglich administrative Hilfskräfte beschäftigen, die Einstellung eines gesonderten Compliance-Beauftragten unverhältnismäßig sein. Um dem Grundsatz der Effektivität der vorzunehmenden Überwachungshandlungen in AT 6 dieses Rundschreibens Rechnung zu tragen, ist es jedoch erforderlich, dass, wenn ein Unternehmen mindestens zwei Personen beschäftigt, sich diese gegenseitig überwachen. Bei Ein-Personen-Unternehmen können Kontrollhandlungen nach Absprache mit der Bundesanstalt im Rahmen der jährlichen Prüfung nach § 89 Abs. 1 WpHG erfolgen. Auch bei Absehen von der Einrichtung einer selbstständigen Organisationseinheit sind sämtliche Überwachungshandlungen und deren Ergebnis zu dokumentieren.
  6. Anstelle der Inanspruchnahme der Ausnahme kann die Auslagerung der Compliance-Funktion auf Dritte im Einzelfall eine angemessene Lösung sein, soweit die Voraussetzungen an eine Auslagerung nach § 25b KWG, § 80 Abs. 6 WpHG beachtet werden.
  7. Die Beteiligung von Compliance-Mitarbeitern an Wertpapierdienstleistungen, die sie überwachen, ist regelmäßig ausgeschlossen, soweit Mitarbeiter des Unternehmens regelmäßig Zugang zu compliance-relevanten Informationen im Sinne von AT 6.1 dieses Rundschreibens haben. Die Unternehmen haben eigenverantwortlich festzulegen und prüfungstechnisch nachvollziehbar zu dokumentieren, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen.
  8. Ausnahmsweise dürfen Compliance-Mitarbeiter auch bei regelmäßigem Zugang von Mitarbeitern zu compliance-relevanten Informationen im Sinne von AT 6.1 dieses Rundschreibens an Wertpapierdienstleistungen, die sie überwachen, beteiligt sein, wenn eine solche Trennung aufgrund der Größe des Unternehmens oder Art, Umfang, Komplexität oder Risikogehalt der Geschäftstätigkeit des Unternehmens oder Art und Spektrum der angebotenen Dienstleistungen nach Abwägung der durch die compliance-relevanten Informationen im Sinne von AT 6.1 dieses Rundschreibens bestehenden Interessenkonflikte unverhältnismäßig wäre.
  9. Soweit angesichts des Proportionalitätsgrundsatzes eine Ausnahme in Anspruch genommen wird, ist zu begründen, weshalb die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Ausnahme vorliegen. Dies ist mit Angaben zu den weiteren Tätigkeiten, die von den Mitarbeitern der Compliance-Funktion ausgeübt werden sowie dazu, ob die Wirksamkeit der Compliance-Funktion beeinträchtigt ist, prüfungstechnisch nachvollziehbar zu dokumentieren. In jedem Fall müssen Interessenkonflikte zwischen den Aufgabenbereichen der Compliance-Mitarbeiter so gering wie möglich gehalten werden. Die Beurteilung der Beeinträchtigung der Compliance-Funktion hat regelmäßig zu erfolgen.
BT 1.3.3.2 Kombination der Compliance-Funktion mit anderen Kontrollfunktionen
  1. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen soll eine Geschäftsorganisation anstreben, in der Kontrollfunktionen ausreichend separiert sind. Eine Anbindung der Compliance-Funktion auf gleicher Ebene an andere Kontrolleinheiten (auch als Compliance im weiteren Sinne bezeichnet) wie etwa die Geldwäscheprävention oder das Risikocontrolling ist zulässig, wenn hierdurch die Wirksamkeit und Unabhängigkeit der Compliance-Funktion nicht beeinträchtigt wird. Jegliche Kombination muss unter Angabe der Gründe für die Kombination prüfungstechnisch nachvollziehbar dokumentiert werden.
  2. Eine Anbindung an die interne Revision ist jedoch grundsätzlich nicht statthaft, da die interne Revision die Compliance-Funktion zu überwachen hat und eine Anbindung die Unabhängigkeit der Compliance-Funktion typischerweise unterläuft.
  3. Falls von der Ausnahme nach Rn. 1 und/oder Rn. 2 Gebrauch gemacht wird, muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen sicherstellen, dass die Funktionen ordnungsgemäß, insbesondere gründlich, redlich und fachgerecht, ausgeübt werden und dass für die Aufgaben der WpHG-Compliance stets ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen.
BT 1.3.3.3 Kombination der Compliance-Funktion mit der Rechtsabteilung
  1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen können die Compliance-Funktion mit der Rechtsabteilung kombinieren, wenn sie aufgrund der Größe des Unternehmens oder Art, Umfang, Komplexität oder Risikogehalt der Geschäftstätigkeit des Unternehmens oder Art und Spektrum der angebotenen Dienstleistungen von der Ausnahme nach Art. 22 Abs. 3 d) und e) DV Gebrauch machen könnten.
  2. Eine solche Kombination ist für größere Wertpapierdienstleistungsunternehmen oder solche mit komplexeren Aktivitäten jedoch grundsätzlich (auch durch organisatorische Gestaltungen durch die z.B. unterhalb des Vorstandes Rechts- und Compliance-Sachverhalte von derselben Person beurteilt und verantwortet werden) nicht statthaft, wenn hierdurch die Unabhängigkeit der Compliance-Funktion unterlaufen wird. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Wertpapierdienstleistungen Eigenhandel gemäß § 2 Abs. 8 Nr. 2 c) WpHG, Emissionsgeschäft gemäß § 2 Abs. 8 Nr. 5 oder Wertpapiernebendienstleistungen gemäß § 2 Abs. 9 Nr. 3, Nr. 5 oder Nr. 6 WpHG in nicht unerheblichem Umfang erbringt.
  3. Soweit eine Anbindung an die Rechtsabteilung erfolgt, ist dies unter Darlegung der Gründe prüfungstechnisch nachvollziehbar zu dokumentieren.
BT 1.3.3.4 Sonstige Maßnahmen zur Sicherung der Unabhängigkeit der Compliance-Funktion
  1. Die Einrichtung der Compliance-Funktion als selbstständige Organisationseinheit ist grundsätzlich erforderlich, soweit Mitarbeiter des Unternehmens regelmäßig Zugang zu compliance-relevanten Informationen im Sinne von AT 6.1 dieses Rundschreibens haben. Die Unternehmen haben eigenverantwortlich festzulegen und prüfungstechnisch nachvollziehbar zu dokumentieren, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen.
  2. Ausnahmsweise kann auch bei regelmäßigem Zugang zu compliance-relevanten Informationen im Sinne von AT 6.1 dieses Rundschreibens von der Einrichtung einer selbstständigen Organisationseinheit abgesehen werden, wenn es aufgrund der Größe des Unternehmens oder Art, Umfang, Komplexität oder Risikogehalt der Geschäftstätigkeit des Unternehmens oder Art und Spektrum der angebotenen Dienstleistungen nach Abwägung der durch die compliance-relevanten Informationen im Sinne von AT 6.1 dieses Rundschreibens bestehenden Interessenkonflikte unverhältnismäßig wäre, eine selbstständige Organisationseinheit einzurichten.
  3. Zumindest wenn ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Wertpapierdienstleistungen Eigenhandel gemäß § 2 Abs. 8 Nr. 2 c) WpHG, Emissionsgeschäft gemäß § 2 Abs. 8 Nr. 5 oder Wertpapiernebendienstleistungen gemäß § 2 Abs. 9 Nr. 3, Nr. 5 oder Nr. 6 WpHG in nicht unerheblichem Umfang erbringt, soll der Compliance-Beauftragte organisatorisch und disziplinarisch unmittelbar dem für die Compliance-Funktion zuständigen Geschäftsleitungsmitglied unterstellt werden.
  4. Zur Wahrung der Unabhängigkeit wird eine Ernennung des Compliance-Beauftragten für einen Zeitraum von mindestens 24 Monaten empfohlen. Ein geeignetes Mittel zur Stärkung des Compliance-Beauftragten ist zusätzlich die Vereinbarung einer 12-monatigen Kündigungsfrist seitens des Arbeitgebers.
  5. Eine Orientierung der Stellung, Befugnisse und Vergütung des Compliance-Beauftragten an Stellung, Befugnissen und Vergütung der Leiter der internen Revision, des Risikocontrollings und der Rechtsabteilung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens wird empfohlen. In Bezug auf die Vergütung können hierbei die Unterschiede hinsichtlich der Personal- und übrigen Verantwortung der jeweiligen Position berücksichtigt werden.
  6. Die Vergütung der Mitarbeiter der Compliance-Funktion (die in der Regel zu den „relevanten Personen“ im Sinne des BT 8 zählen) darf grundsätzlich nicht von der Tätigkeit derjenigen Mitarbeiter abhängen, die sie überwachen. Eine erfolgsbezogene Vergütung kann dennoch im Einzelfall zulässig sein, soweit sie keine Interessenkonflikte begründet. Für den Fall einer darüber hinausgehenden erfolgsabhängigen Vergütung unter Inanspruchnahme der Ausnahme nach Art. 22 Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 e) DV, beispielsweise eine am Unternehmenserfolg orientierte Vergütung des Compliance-Beauftragten, der alleine für die Überwachung sämtlicher Geschäftsbereiche zuständig ist, sind wirksame Vorkehrungen erforderlich, um den daraus resultierenden Interessenkonflikten entgegenzuwirken. Dies ist prüfungstechnisch nachvollziehbar zu dokumentieren.
  7. Im Übrigen gelten die Anforderungen der Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten (Instituts-Vergütungsverordnung – InstitutsVergV).
  8. Wird der Compliance-Beauftragte nicht auch zugleich zum Beauftragten nach § 81 Abs. 5 WpHG ernannt, muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen sicherstellen, dass beide Funktionen unabhängig voneinander ausgeübt werden und der Compliance-Beauftragte nicht die Funktion des Beauftragten nach § 81 Abs. 5 WpHG kontrolliert oder ihm gegenüber Weisungen erteilt.
BT 1.3.4 Auslagerung der Compliance-Funktion oder von einzelnen Compliance-Tätigkeiten
  1. Im Fall der teilweisen oder vollständigen Auslagerung der Compliance-Funktion sind alle einschlägigen aufsichtsrechtlichen Anforderungen unabhängig davon, ob es sich um eine teilweise oder vollständige Auslagerung handelt, einzuhalten. Zivilrechtliche Gestaltungen oder Vereinbarungen ändern oder modifizieren die jeweils relevanten aufsichtsrechtlichen Anforderungen nicht; sie können insbesondere nicht das Vorliegen einer aufsichtsrechtlichen Auslagerung ausschließen. Die Geschäftsleitung ist für die Erfüllung der Anforderungen, insbesondere für eine individuelle, eindeutige und transparente Einrichtung der ganz oder teilweise ausgelagerten Compliance-Funktion verantwortlich.

    Die Geschäftsleitung eines Wertpapierdienstleistungsunternehmen kann entweder einen eigenen Mitarbeiter oder einen Mitarbeiter eines Auslagerungsunternehmens oder einen selbstständig / freiberuflich tätigen Compliance-Beauftragten ernennen.

    • Die Verantwortung des Compliance-Beauftragten für die Durchführung der gesamten Compliance-Funktion des Wertpapierdienstleistungsunternehmens nach dem WpHG kann auch im Falle einer Auslagerung nicht auf mehrere Personen verteilt werden.
    • Der Compliance-Beauftragte kann sowohl von dem auslagernden Wertpapierdienstleistungsunternehmen als auch von dem Auslagerungsunternehmen verlangen, ihm diejenigen personellen, sachlichen und sonstigen Mittel zur Verfügung zu stellen, die für eine ordnungsgemäße Erfüllung seiner Funktion und Verantwortung im jeweiligen Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach vernünftiger Einschätzung erforderlich sind.
    • Der Compliance-Beauftragte übt auch im Falle einer Auslagerung der Compliance-Funktion seine Tätigkeit unabhängig aus; er unterliegt in seiner Funktion auch nicht den Weisungen des Auslagerungsunternehmens. Gleiches gilt für die ihm unterstellten Compliance-Mitarbeiter des Wertpapierdienstleistungsunternehmens und / oder des Auslagerungsunternehmens.

    Unter der Verantwortung und Leitung des Compliance-Beauftragten kann ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen eigene Mitarbeiter, Mitarbeiter des Auslagerungsunternehmens, Mitarbeiter dritter Unternehmen und / oder selbständig / freiberuflich tätige Spezialisten zu einer individuellen einheitlichen Compliance-Organisation zusammenführen.

    • Ob, wie und in welchen Formen des Zusammenwirkens die ausgelagerten Tätigkeiten der Compliance-Funktion organisatorisch unter der Verantwortung und Leitung des Compliance-Beauftragten durchgeführt werden sollen, ist mit ihm und dem Auslagerungsunternehmen vor der Durchführung eindeutig und transparent zu regeln, insbesondere in einer institutsspezifischen ‚Policy‘ oder in einem Service-Level-Agreement.
    • Auch wenn einzelne Compliance-Tätigkeiten von einem Auslagerungsunternehmen erbracht werden, unterstehen die diese Tätigkeiten dort ausführenden Mitarbeiter unmittelbar den fachlichen Weisungen des von der Geschäftsleitung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens ernannten Compliance-Beauftragten.
    • Eine Fragmentierung der Compliance-Funktion durch Auslagerung und / oder Weiterverlagerung auf mehr als ein Auslagerungsunternehmen und / oder durch sonstigen ergänzenden Fremdbezug soll nur bei fachlicher und / oder technischer Notwendigkeit erfolgen. BT 1.3.2.2 bleibt unberührt.
    • Eine (Teil-) Auslagerung der Compliance-Funktion darf nicht die Qualität und Unabhängigkeit sowie die Beaufsichtigung durch das Wertpapierdienstleistungsunternehmen selbst sowie die Bundesanstalt beeinträchtigen oder zu unverhältnismäßigen operationellen Risiken führen.
    • Eine (teilweise) Auslagerung der Compliance-Funktion in Nicht-EU Länder erschwert die Überwachung und Beaufsichtigung und bedarf daher einer gesteigerten Kontrolle.
    • Im Fall der beabsichtigten oder erwarteten Beendigung der Auslagerungsvereinbarung hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen Vorkehrungen zu treffen, um die Kontinuität und Qualität der ausgelagerten Aktivitäten und Prozesse auch nach Beendigung zu gewährleisten (etwa durch Übernahme der ausgelagerten Tätigkeiten oder durch Auslagerung an ein anderes Auslagerungsunternehmen).
  2. Die Anforderungen der § 25b KWG, § 80 Abs. 6 WpHG, Art. 30 und Art. 31 DV, sowie dieses Rundschreibens finden Anwendung auf und bei der teilweisen oder vollständigen Auslagerung der Compliance-Funktion. Vom Wertpapierdienstleistungsunternehmen ausgelagerte Organisations-, Funktions- und Tätigkeitsbereiche unterliegen auch beim Auslagerungsunternehmen den gleichen aufsichtsrechtlichen Anforderungen wie im auslagernden Wertpapierdienstleistungsunternehmen selbst.
  3. Bevor ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen einen Dienstleister für die Auslagerung auswählt, muss es mit der gebührenden Sorgfalt aktiv prüfen, ob die relevanten Vorgaben der § 25b KWG, § 80 Abs. 1, Abs. 6, sowie Art. 30 und Art. 31 DV auch im Fall der Auslagerung erfüllt sind. Der Umfang der Prüfung hat sich nach Art, Umfang, Komplexität und Risikogehalt der auszulagernden Aufgaben und Prozesse zu richten. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen ist dafür verantwortlich, dass der Dienstleister über die nötige Organisation und fachliche Kompetenz, die individuell erforderlichen personellen, sachlichen und sonstigen Mittel sowie die einzusetzenden Mitarbeiter des Dienstleisters über die erforderliche Sachkunde und den Zugang zu allen für die wirksame, insbesondere präventive Ausübung der ausgelagerten Compliance-Funktion erforderlichen Informationen einschließlich IT-Systemen und IT-Zugängen verfügen.
  4. Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen im Fall der teilweisen oder vollständigen Auslagerung der Compliance-Funktion insbesondere auch deren Dauerhaftigkeit gewährleisten. Die Regelungen dieses Rundschreibens über die Rechte und Pflichten sowie die Rechtsstellung des Compliance-Beauftragten und seiner Compliance-Mitarbeiter sind auch im Auslagerungsunternehmen sicherzustellen. Der gewählte Dienstleister muss in der Lage sein, die Compliance-Tätigkeit des Compliance-Beauftragten und der Compliance-Mitarbeiter fortlaufend und nicht nur anlassbezogen sowie in dem jeweils sachlich erforderlichen Umfang und in der erforderlichen Qualität auch vor Ort in dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen und seinen relevanten Niederlassungen angemessen ausüben zu lassen.
  5. Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen die angemessene Aufgabenerfüllung durch den Dienstleister, insbesondere die Qualität und Quantität seiner Dienstleistung, nach im Einzelfall festzulegenden sachgerechten materiellen Kriterien tatsächlich überwachen. Die Geschäftsleitung ist für die laufende Beaufsichtigung und Überwachung der ausgelagerten Compliance-Funktion und / oder der Compliance-Tätigkeiten verantwortlich und muss über die hierfür erforderlichen Betriebsmittel und Sachkunde verfügen. Die Geschäftsleitung kann eine bestimmte unternehmenszugehörige Person mit der laufenden Beaufsichtigung und Überwachung in ihrem Namen beauftragen.

BT 2 Überwachung persönlicher Geschäfte nach Art. 28, 29 und 37 DV und § 25a KWG

Mit diesem Modul werden die in Art. 28, 29 und 37 DV enthaltenen Regelungen konkretisiert. Des Weiteren werden die außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 28, 29 und 37 DV bestehenden Pflichten hinsichtlich der Überwachung persönlicher Geschäfte erläutert.

BT 2.1 Definition der relevanten Personen

  1. Art. 28 und 29 DV regeln den Umgang mit persönlichen Geschäften relevanter Personen. Diese werden in Art. 2 Nr. 1 DV legal definiert. Art. 2 Nr. 1 c) DV erfasst sowohl Personen, die selbst unmittelbar Wertpapierdienstleistungen erbringen, als auch alle Personen, die an der Erbringung der Wertpapierdienstleistungen beteiligt sind, sowohl im Rahmen begleitender als auch nachfolgender kontrollierender Handlungen. Unterstützende Funktionen nehmen regelmäßig insbesondere Mitarbeiter der Research-Abteilung, Compliance-Abteilung, des Back-Offices, des IT-Supports, Assistenten oder Mitarbeiter anderer unterstützender Bereiche eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens wahr. Als Mitarbeiter sind sowohl Arbeitnehmer und freie Mitarbeiter als auch Leiharbeitnehmer, Zeitarbeitskräfte und Praktikanten eines Unternehmens anzusehen.
  2. Über Art. 2 Nr. 1d) DV sind Personen, die diese Tätigkeiten ausführen, ohne Mitarbeiter eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens zu sein, ebenfalls erfasst, soweit sie dabei für ein Unternehmen tätig werden, auf das Aktivitäten oder Prozesse gemäß § 25b Abs. 1 KWG und Art. 30-32 DV ausgelagert wurden.
  3. Aus dem in Art. 2 Nr. 1 DV aufgeführten Personenkreis sind die relevanten Personen auszuwählen, deren Tätigkeit Anlass zu einem Interessenkonflikt geben könnte oder die Zugang zu Insiderinformationen oder anderen vertraulichen Informationen haben und hinsichtlich derer die Pflichten aus Art. 29 DV bestehen.

BT 2.2 Definition von persönlichen Geschäften

  1. Art. 28 a) DV umfasst alle Geschäfte außerhalb des Aufgabenbereichs einer relevanten Person, die sie für eigene oder fremde Rechnung tätigt. Als Geschäfte für Rechnung Dritter sind insbesondere alle Geschäfte anzusehen, die relevante Personen in privat erteilter Vollmacht tätigen. Es sind somit nicht nur Geschäfte für der relevanten Person nahestehende Personen erfasst.
    Geschäfte für eigene Rechnung sind alle Geschäfte, an denen relevante Personen ein wirtschaftliches Interesse haben können. Als Geschäfte für eigene Rechnung einer relevanten Person sind auch die Geschäfte eines Dritten im Namen oder für Rechnung der relevanten Person anzusehen, sofern die relevante Person hiervon Kenntnis hat bzw. das Geschäft veranlasst hat.
  2. Der Großteil der in Art. 28 DV definierten persönlichen Geschäfte unterfällt Art. 28 a) DV. Art. 28 b) DV erweitert den Anwendungsbereich auf Geschäfte von relevanten Personen innerhalb ihres Aufgabenbereichs, somit Geschäfte, die relevante Personen in Erfüllung ihrer Tätigkeit im Wertpapierdienstleistungsunternehmen ausüben. Erfasst sind Geschäfte für eigene Rechnung der relevanten Personen sowie Geschäfte der relevanten Person für Rechnung ihm nahestehender Personen gemäß Art. 2 Nr. 3a DV. Hierbei handelt es sich um Geschäfte, bei deren Ausführung relevante Personen einem Interessenkonflikt ausgesetzt sein können, beispielsweise der Gefahr der Bevorzugung eines nahen Verwandten bei der Zuteilung einer Order oder im Rahmen der Finanzportfolioverwaltung.
  3. Ob ein Geschäft innerhalb oder außerhalb des Aufgabenbereichs der jeweiligen relevanten Person liegt, ist funktionsbezogen zu beurteilen, beispielsweise entsprechend der Arbeitsplatzbeschreibung der jeweiligen relevanten Person. Unerheblich ist, ob die relevante Person das konkrete Geschäft gemäß den ihm erteilten Weisungen hätte tätigen dürfen.

BT 2.3 Organisatorische Anforderungen nach Art. 29 DV

  1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen haben angemessene Vorkehrungen zu treffen, um relevante Personen, deren Tätigkeit Anlass zu einem Interessenkonflikt geben könnte oder die Zugang zu Insiderinformationen haben, an der Durchführung der in Art. 29 Abs. 2, 3 und 4 DV dargestellten Geschäfte zu hindern. Die Unternehmen haben hierfür eigenverantwortlich festzulegen, welche der von Art. 2 Nr. 1 DV erfassten relevanten Personen eine Tätigkeit ausüben, die Anlass zu einem Interessenkonflikt geben könnte oder die aufgrund ihrer Tätigkeit Zugang zu compliance-relevanten Informationen im Sinne von AT 6.1 dieses Rundschreibens haben. Hinsichtlich dieser Personen bestehen die Pflichten nach Art. 29 Abs. 1 DV.
  2. Die Geschäftsleitung muss eine Stelle bzw. die Stellen im Unternehmen benennen, die mit der Festlegung und regelmäßigen Überprüfung der von Art. 29 Abs. 1 DVerfassten relevanten Personen betraut ist. Zudem sind die Unternehmen verpflichtet, eine Organisation vorzuhalten, die sicherstellt, dass diese Stelle regelmäßig über das Vorliegen von Interessenkonflikten und Insider- und anderen vertraulichen Informationen im Unternehmen informiert wird.
    Es ist nach Risikogesichtspunkten zu bewerten, welche Bereiche und Personen aufzunehmen sind; beispielsweise kann es vom Umfang der einem Anlageberater oder vertraglich gebundenen Vermittler zugänglichen Informationen abhängen, ob dieser aufzunehmen ist.
  3. Interessenkonflikte im Sinne von Art. 29 Abs. 1 DV sind nur die Interessenkonflikte, die in einem persönlichen Geschäft angelegt sind. Solche Konflikte liegen vor, wenn ein dem Kundeninteresse oder dem Interesse des Wertpapierdienstleistungsunternehmens entgegenstehendes Interesse der relevanten Person am Abschluss eines persönlichen Geschäfts gemäß Art. 28 DV bestehen kann. Andere Interessenkonflikte werden über § 80 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 WpHG erfasst.
  4. Um unzulässige persönliche Geschäfte zu verhindern, müssen angemessene Vorkehrungen getroffen werden. Dies kann verschiedene Maßnahmen für verschiedene relevante Personen erforderlich machen. Entsprechend ist es möglich, unterschiedliche Pflichtenkataloge für verschiedene relevante Personen aufzustellen. Als mögliche, angemessene Maßnahmen kommen insbesondere die in AT 6.2. Tz. 3 dieses Rundschreibens genannten Maßnahmen in Betracht.

BT. 2.4 Organisatorische Anforderungen nach Art. 29 Abs. 5 S. 1 b) DV

  1. Die von den Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach Art. 29 Abs. 1 DV getroffenen Vorkehrungen müssen nach Art. 29 Abs. 5 S. 1 b) DV darauf ausgerichtet sein, dass sie von jedem Mitarbeitergeschäft gemäß Art. 29 DV unverzüglich Kenntnis erhalten. Dies kann mittels verschiedener Verfahren sichergestellt werden, darunter die folgenden:


    • Ein geeignetes und bewährtes Verfahren ist die Übersendung von Zweitschriften über getätigte persönliche Geschäfte von relevanten Personen im Sinn von Art. 29 DV durch das konto- bzw. depotführende Unternehmen an das Wertpapierdienstleistungsunternehmen.
    • Ein weiteres geeignetes Verfahren ist die unaufgeforderte, unverzügliche Anzeige getätigter persönlicher Geschäfte in Verbindung mit einer regelmäßigen Vollständigkeitserklärung durch die relevanten Personen eines Unternehmens an die Geschäftsleitung oder eine von ihr benannte Stelle.
    • Die Einführung eines Zustimmungsvorbehalts für relevante Personen vor Durchführung persönlicher Geschäfte ist ebenfalls als geeignete Maßnahme anzusehen.


    Die Handlungen sind jeweils durch eine von den Geschäfts-, Handels- und Abwicklungsabteilungen unabhängige Stelle vorzunehmen, soweit dies nicht angesichts der Größe des Unternehmens unverhältnismäßig ist.

  2. Gemäß Art. 29 Abs. 5 S. 2 DV sind die persönlichen Geschäfte von relevanten Personen eines Auslagerungsunternehmens, soweit deren Tätigkeit Anlass zu einem Interessenkonflikt geben könnte oder die aufgrund ihrer Tätigkeit Zugang zu Insiderinformationen oder anderen vertraulichen Informationen haben, durch das Auslagerungsunternehmen zu dokumentieren. Die Überwachung des Auslagerungsunternehmens im Hinblick auf die Einhaltung dieser Dokumentationspflichten ist entsprechend der bisherigen Verwaltungspraxis der Bundesanstalt entbehrlich, soweit das Auslagerungsunternehmen selbst Wertpapierdienstleistungsunternehmen gemäß § 2 Abs. 10 WpHG ist. Wenn auslagerndes Unternehmen und Auslagerungsunternehmen zugleich Teil einer Unternehmensgruppe sind, kann die Dokumentation aller persönlichen Geschäfte der Gruppe bei einem dieser Unternehmen erfolgen.
    Im Falle der Auslagerung auf einen Mehrmandantendienstleister kann die Überwachung dieses Unternehmens durch eines oder mehrere der auslagernden Unternehmen im Auftrag der auslagernden Unternehmen wahrgenommen werden.
  3. Die nach Art. 29 Abs. 5 S. 1 c) DV erforderliche Dokumentation der persönlichen Geschäfte, von denen das Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach Art. 29 Abs. 5 S. 1 b) und S. 2 DV Kenntnis erhält, sowie aller Erlaubnisse und Verbote, die das Unternehmen hierzu erteilt, muss so erfolgen, dass die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben im Rahmen einer Prüfung nach § 89 WpHG nachvollzogen werden kann.

BT. 2.5 Organisatorische Anforderungen nach Art. 37 Abs. 2 DV

Market Makern gemäß Art. 37 Abs. 2 a) DV sind Skontroführer gleichzustellen.

BT 2.6 Ausnahmetatbestände

Bestimmte persönliche Geschäfte werden über Art. 29 Abs. 6 DV von den Pflichten gemäß Art. 29 Abs. 1 bis 5 DV ausgenommen. Zusätzlich sind Anlagen nach dem Vermögensbildungsgesetz und andere vertraglich vereinbarte Ansparpläne ausgenommen.

BT 2.7 Anforderungen gemäß § 25a KWG

Mitarbeiter von Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die nicht in die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen eingebunden sind, dürfen keine Geschäfte tätigen, die gegen Art. 14 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 oder eine Vorschrift des 11. Abschnitts des WpHG verstoßen. Auch Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute, die keine Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Sinne von § 2 Abs. 10 WpHG sind, haben Art. 14 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 zu beachten. Zur Einhaltung dieser gesetzlichen Bestimmung sind im Rahmen der allgemeinen organisatorischen Anforderungen nach § 25a Abs. 1 des Gesetzes über das Kreditwesen (Kreditwesengesetz – KWG) geeignete Vorkehrungen für persönliche Geschäfte zu treffen3O3. Die getroffenen Vorkehrungen müssen gewährleisten, dass Mitarbeiter, die Zugang zu Insiderinformationen und anderen vertraulichen Informationen haben können, keine Geschäfte tätigen, die gegen die oben genannten Vorschriften verstoßen. Betroffen hiervon können beispielsweise Mitarbeiter der M & A-Abteilung, Rechtsabteilung, des Kreditgeschäfts oder Vorstandsassistenten sein.

BT 3 Anforderungen an redliche, eindeutige und nicht irreführende Informationen nach § 63 Abs. 6 WpHG

Dieses Modul konkretisiert § 63 Abs. 6 WpHG, Art. 44 DV.

BT 3.1 Anwendungsbereich

BT 3.1.1 Anwendungsbereich / Pflichtenumfang
  1. Die Vorschriften des § 63 Abs. 6 WpHG sowie Art. 44 DV gelten grundsätzlich unterschiedslos für sämtliche Informationen betreffend Finanzinstrumente oder Wertpapier(neben)dienstleistungen, die Wertpapierdienstleistungsunternehmen an Kunden richten, unabhängig davon, ob diese werblicher Art sind oder nicht; ausschließlich an geeignete Gegenparteien gerichtete Informationen sind dagegen im Rahmen des Anwendungsbereichs des § 68 Abs. 1 WpHG ausgenommen. Darüber hinaus bestimmt § 63 Abs. 6 S. 2 WpHG speziell für Marketingmitteilungen, dass diese eindeutig als solche erkennbar sein müssen. Bei einer Marketingmitteilung handelt es sich um eine Information, welche die Adressaten zum Erwerb eines Finanzinstruments oder zur Beauftragung einer Wertpapierdienstleistung bewegen will (absatzfördernde Zielrichtung). Allein die Verwendung einer Information im Rahmen einer Beratungssituation verleiht dieser noch nicht zwangsläufig eine primär absatzfördernde Zielrichtung. Neutrale Produktinformationen, die im Rahmen der Erfüllung von Verpflichtungen zur anlage- und anlegergerechten Beratung zugänglich gemacht werden, fallen nicht unter den Begriff der Werbung. Eine Pflicht zur ausdrücklichen Kennzeichnung ergibt sich aus dem Gesetz nur dann, wenn der werbliche Charakter der Information ansonsten nicht eindeutig erkennbar ist. Die Erkennbarkeit kann sich aus Art und Form der Darstellung der Information oder aus ihrem Inhalt ergeben. Bei der Beurteilung handelt es sich regelmäßig um eine Frage des Einzelfalls. Reine Imagewerbung ist von den Vorschriften nicht erfasst.
  2. Mögliche Beispiele für werbliche und daher ggf. kennzeichnungspflichtige Informationen sind:

    • Ihrem Anschein nach objektive Beiträge in Kundenzeitschriften eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens, die primär jedoch eine absatzfördernde Zielrichtung verfolgen.
    • Schreiben an Kunden (insbesondere persönlich adressierte), die den Erwerb bestimmter Wertpapiere nahelegen, sofern es sich nicht um Anlageberatung 5 handelt.
    Von derartigen Informationen sind diejenigen Informationen zu unterscheiden, die gemäß § 63 Abs. 6 WpHG zwingend als Marketingmitteilungen zu kennzeichnen sind.

  3. Kunden im Sinne der § 63 Abs. 6 WpHG und Art. 44 DV sind Personen, für die Wertpapierdienstleistungsunternehmen Wertpapierdienstleistungen oder Wertpapiernebendienstleistungen erbringen oder solche anbahnen (vgl. § 67 Abs. 1 WpHG). Der Begriff des Kunden umfasst daher nicht nur Bestandskunden, sondern auch alle Personen, zu denen noch keine Kundenbeziehung besteht, an die ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen jedoch Informationen richtet, um sie als Kunden zu gewinnen.


    Die Regelungen gelten für Informationen an Privatkunden sowie professionelle Kunden gleichermaßen. Lediglich für Informationen, die Wertpapierdienstleistungsunternehmen an geeignete Gegenparteien richten, sind sie nicht einschlägig.

BT 3.1.2 Verhältnis zu anderen Vorschriften

§ 302 KAGB, § 15 WpPG und die Regelungen der Verordnung (EU) 2017/1129 zur Werbung finden neben den Vorschriften des § 63 Abs. 6 WpHG und Art. 44 DV Anwendung.
Für den Vertrieb von Finanzinstrumenten gibt es zudem verschiedene gesetzliche Vorschriften für Informationsblätter, die Kunden zur Verfügung zu stellen sind. Die Erstellung der jeweiligen Informationsblätter ist in separaten Vorschriften geregelt, um den Besonderheiten der einzelnen Finanzinstrumente gerecht zu werden. Die jeweiligen gesetzlichen Regelungen wie beispielsweise die Vorschriften zu wesentlichen Anlegerinformationen nach § 166 KAGB, die Vorschriften über verpackte Anlageprodukte für Privatkunden nach Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 i. V. m. Art. 1 ff. Delegierte Verordnung (EU) 2017/653 sowie die Vorschriften über Vermögensanlageinformationsblätter nach § 13 VermAnlG finden neben den Vorschriften des § 63 Abs. 6 WpHG und Art. 44 DV Anwendung.

BT 3.2. Zugänglichmachen

  1. Gemäß § 63 Abs. 6 S. 1 WpHG und Art. 44 DV fallen sämtliche Informationen in den Anwendungsbereich der Vorschriften, die Wertpapierdienstleistungsunternehmen Privatkunden und professionelle Kunden zugänglich machen. Wegen des weiten Kundenbegriffs (es sind auch potentielle Kunden erfasst; s.o. BT 3.1.1 Tz. 3) ist auch jede werbliche Information eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens erfasst.
  2. Weiterhin sind auch jene Informationen davon umfasst, die in einer Weise verbreitet werden, dass Privatkunden und professionelle Kunden wahrscheinlich davon Kenntnis erlangen. Da das Gesetz allein darauf abstellt, dass die Information dem Kunden von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen zugänglich gemacht wird, kommt es nicht darauf an, ob die Information ursprünglich von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen stammt. Daher fallen auch solche Informationen in den Anwendungsbereich der Vorschriften, die dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen zunächst von einem Dritten zur Verfügung gestellt und Kunden daraufhin seitens des Wertpapierdienstleistungsunternehmens zugänglich gemacht werden.

    Beispiel:
    Vertriebsmaterialien einer Kapitalverwaltungsgesellschaft oder eines Emittenten


    Wenn ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen Informationen, die aus Drittquellen stammen, Kunden zugänglich macht (beispielsweise durch Aushändigung gedruckter Informationen oder durch Bereitstellung aus Drittquellen stammender Informationen auf der eigenen Internetseite bzw. durch Verknüpfung auf Webseiten anderer Anbieter), ist es somit für die Einhaltung der Vorschriften des § 63 Abs. 6 WpHG und Art. 44 DV grundsätzlich zunächst in vollem Umfang selbst verantwortlich. Sofern es sich bei dem Dritten selbst um ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen handelt, finden die Vorschriften des § 63 Abs. 6 WpHG und Art. 44 DV auch auf das Drittunternehmen unabhängig davon Anwendung, ob es seinen Kunden die Informationen unmittelbar zugänglich macht oder – beispielsweise als Emittent – anderen Wertpapierdienstleistungsunternehmen zu Vertriebszwecken zur Verfügung stellt.


    Beispiel:
    Die X-Bank begibt eine Anleihe, die (auch) über die Y-Bank vertrieben werden soll. Zu diesem Zweck stellt die X-Bank der Y-Bank Vertriebsmaterialien zur Verfügung. In diesem Fall hat die X-Bank darauf zu achten, dass diese Informationen § 63 Abs. 6 WpHG und Art. 44 DV entsprechen. Abgesehen von offensichtlichen Fällen hat die Y-Bank keine eigene Prüfungspflicht.

  3. Soweit es sich bei der Drittquelle ebenfalls um ein Wertpapierdienstleistungs-unternehmen aus dem EWR handelt und sich die Informationen an Kunden richten, für die identische Anforderungen gelten, darf sich dasjenige Wertpapierdienstleistungsunternehmen, das diese Informationen zur Verfügung gestellt bekommt und daraufhin Kunden zugänglich macht, jedoch in der Regel darauf verlassen, dass die zugelieferten Informationen (von offensichtlichen Verstößen abgesehen) gesetzeskonform sind, da das zuliefernde Wertpapierdienstleistungsunternehmen selbst zur Einhaltung der entsprechenden Anforderungen aus § 63 Abs. 6 WpHG und Art. 44 DV verpflichtet ist. Dies gilt indes nur, sofern die Informationen in unveränderter Form weitergegeben werden und ausschließlich als solche des dritten Wertpapierdienstleistungsunternehmens erscheinen.


    Bei Drittkonstellationen können sich weitere Besonderheiten ergeben. Handelt es sich bei der Drittquelle selbst nicht um ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen, bedarf es zur Entscheidung, ob diese Informationen als Kunden von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen zugänglich gemacht gelten, einer wertenden Betrachtung der Gesamtumstände. Die Zurechenbarkeit hängt in solchen Fällen davon ab, ob die Information aus Sicht des Kunden als solche des Wertpapierdienstleistungsunternehmens erscheint bzw. ob der Dritte selbst ein Absatzinteresse hat und daher dem Lager des Wertpapierdienstleistungsunternehmens zuzurechnen ist. Hiervon ist regelmäßig nicht nur bei Werbematerialien, sondern insbesondere auch bei produktspezifischen Informationen von Emittenten auszugehen.

    Beispiel:
    Die X-Bank macht ihren Kunden Produktinformationen der Y-Kapitalverwaltungsgesellschaft (Y-KVG) zugänglich. Da die Y-KVG im Kontext des Produktvertriebs in diesem Fall dem Lager der X-Bank zuzurechnen ist, muss die X-Bank dafür Sorge tragen, dass die ihren Kunden durch sie zugänglich gemachten Informationen den Vorschriften des § 63 Abs. 6 WpHG und Art. 44 DV entsprechen.

    Legt die X-Bank dagegen in ihren Verkaufsräumen Tageszeitungen aus, in denen Angaben zur Wertentwicklung von Finanzinstrumenten enthalten sind, ist die X-Bank nicht dafür verantwortlich, dass diese den Vorgaben des Art. 44 DV entsprechen. Denn die Tageszeitungen besitzen typischerweise kein Vertriebsinteresse hinsichtlich der Finanzinstrumente, die Gegenstand der darin enthaltenen Kursangaben sind, und sind daher insoweit nicht dem Lager der X-Bank zuzurechnen.

  4. Besonders im Zusammenhang mit Informationen auf Internetseiten trifft Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Verpflichtung sicherzustellen, dass solche Informationen, die ausschließlich für geeignete Gegenparteien bestimmt sind und die deshalb nicht alle Anforderungen des Art. 44 DV erfüllen, nicht auch Privatkunden und professionellen Kunden zugänglich gemacht werden. Bei über das Internet bereit gestellten Informationen empfiehlt es sich hierzu, auf frei zugänglichen Seiten nur privat- oder professionellen Kunden gerechte oder solche Informationen einzustellen, die zwar das Informationsangebot für geeignete Gegenparteien beschreiben, jedoch nur den Anforderungen des Art. 44 DV entsprechenden Informationen enthalten. Letztere können entweder in einem zugangsgeschützten Bereich geeigneten Gegenparteien nach entsprechender Freischaltung (z.B. durch ein Passwort) zugänglich gemacht oder von den sonstigen Informationen durch einen gut sichtbaren, zu bestätigenden Hinweis darauf, dass die Informationen nicht für Privatkunden oder professionelle Kunden eingestellt wurden, getrennt werden.
  5. Beim Zugänglichmachen von weiteren Verkaufsunterlagen, die einer speziellen gesetzlichen Regelung unterliegen wie bspw. Verkaufsprospekte, wesentliche Anlegerinformationen, Basisinformationsblätter sowie Vermögensanlageninformationsblätter, die dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen vom Emittenten bzw. Produkthersteller zur Verfügung gestellt werden und deren Inhalt den gesetzlichen Vorschriften entspricht, ergeben sich durch die Vorschriften des § 63 Abs. 6 WpHG sowie Art. 44 DV dagegen für das Wertpapierdienstleistungsunternehmen keine zusätzlichen Informationspflichten.
  6. Sofern ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen seinen Depotkunden auf Grundlage seiner Verpflichtung aus Nr. 16 der Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte Informationen Dritter weiterleitet und damit zugänglich macht, ist das Wertpapierdienstleistungsunternehmen hinsichtlich des Inhalts dieser Informationen grundsätzlich nicht selber für die Einhaltung der Vorschriften der § 63 Abs. 6 WpHG sowie Art. 44 DV verantwortlich. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen muss jedoch bei der Weiterleitung der Informationen auf geeignete Art und Weise, z.B. durch Fettdruck, hervorgehoben kenntlich machen, dass es lediglich die Nachricht eines Dritten weiterleitet und den Inhalt der Nachricht nicht geprüft hat. Bei der Weiterleitung von gesetzlichen Abfindungs-oder Umtauschangeboten sowie freiwilligen Kauf-oder Umtauschangeboten ist zudem deutlich darauf hinzuweisen, dass der Anleger die Werthaltigkeit des Angebots selber prüfen und entscheiden muss, ob er das Angebot annimmt oder nicht.

BT 3.3 Darstellungsvorschriften für an Privatkunden und professionelle Kunden gerichtete Informationen

Für an Privatkunden und professionelle Kunden gerichtete Informationen enthält Art. 44 DV verschiedene die Art ihrer Darstellung betreffende Vorschriften.

BT 3.3.1 Ausreichende und verständliche Darstellung
  1. Informationen, die Wertpapierdienstleistungsunternehmen professionellen Kunden und Privatkunden zugänglich machen, müssen grundsätzlich redlich, eindeutig und nicht irreführend sein (vgl. § 63 Abs. 6 S. 1 WpHG). Das bedeutet u.a., dass wesentliche Aussagen nicht unklar ausgedrückt werden und wesentliche Informationen nicht unerwähnt bleiben dürfen.

    Beispiel: Produktbezeichnungen wie "Garantie-Zertifikat" o.ä. sowie Hinweisen wie beispielsweise "100% Kapitalschutz" o.ä. ist ohne weitere Erläuterung nicht hinreichend klar zu entnehmen, von wem die Garantie stammt (Emittent, konzernverbundenes Unternehmen oder Dritter) bzw. woraus sich der Kapitalschutz ergibt. Im Interesse der Eindeutigkeit der Information ist daher bei Garantieaussagen grundsätzlich ein klarstellender Hinweis auf die Person des Garantiegebers erforderlich (etwa: "100% Kapitalgarantie der X-Bank") bzw. bei Hinweisen auf einen Kapitalschutz eine ergänzende Klarstellung, woraus sich der Kapitalschutz ergibt.

    In diesem Zusammenhang muss zudem gegebenenfalls auf das Risiko des Wegfalls einer Kapital- oder Rückzahlungsgarantie durch die Ausübung von Sonderkündigungsrechten sowie auf etwaige Bedingungen oder (insbesondere höhenmäßige) Beschränkungen hingewiesen werden, die in Bezug auf eine Garantie bestehen.

    Gleichfalls muss aus der Produktbeschreibung klar hervorgehen, ob eine Kapitalgarantie beispielsweise nur zum Laufzeitende besteht oder ob mit einem Kostenabzug für Sicherungsgeschäfte (z.B. bei vorzeitigem Verkauf kapitalgarantierter Produkte) gerechnet werden muss.

  2. Darüber hinaus müssen Informationen ausreichend und in einer Art und Weise dargestellt sein, dass sie für den Kundenkreis, dem die Informationen zugänglich gemacht werden, bzw. den Kreis derjenigen, an den sie wahrscheinlich gelangen, verständlich sind:

    Ausgehend von dem zu erwartendem Verständnishorizont des durchschnittlichen Angehörigen der angesprochenen Kundengruppe müssen die Informationen ausreichend sein. Notwendiger Umfang und inhaltliche Tiefe von Produktbeschreibungen haben sich somit an dem durchschnittlichen Kenntnisstand der Zielgruppe zu orientieren. Je komplizierter ein Produkt oder eine Dienstleistung (einschließlich ihrer Risiken) ist, umso mehr Erklärungen müssen hierzu in der Regel in der Produktinformation enthalten sein. Sofern sich Informationen ausdrücklich und deutlich erkennbar nur an eine ganz bestimmte Gruppe von Kunden richten, bei der ausgeprägtes Fachwissen vorausgesetzt werden kann, darf dies bei der Bemessung des Umfangs und der Tiefe der Produktbeschreibung angemessen berücksichtigt werden.

  3. Weiterhin muss die Art und Weise, in der die für den durchschnittlichen Angehörigen der angesprochenen Kundengruppe vom Umfang her ausreichenden Informationen dargestellt werden, für diesen auch verständlich sein. Das bedeutet u.a., dass die sprachliche Darstellung umso einfacher und allgemeinverständlicher sein muss, je weniger Wissen und Erfahrung bei den angesprochenen Kunden vorausgesetzt werden kann.

    Beispiel: Während für eine in Finanzfragen vorgebildete Kundengruppe bei der Werbung für ein Zertifikat der Hinweis auf das "Bonitätsrisiko der X-Bank" hinreichend verständlich ist, kann bei einer an die Allgemeinheit der Privatkunden gerichteten Werbung eine weniger fachsprachliche Ausdrucksweise angezeigt sein (z.B.: "Risiko des Geldverlusts wegen Zahlungsverzugs oder Zahlungsunfähigkeit der X-Bank").

  4. Insbesondere ist darauf zu achten, dass durch die Art und Weise der Darstellung wichtige Punkte, Aussagen oder Warnungen nicht verschleiert, abgeschwächt oder unverständlich gemacht werden.

    Negativbeispiel: Während die Chancen in einer Information unter der Überschrift "Vorteile des Produkts" ausdrücklich aufgeführt werden, werden unter der Überschrift "Für wen eignet sich das Produkt?" Produkteigenschaften erwähnt, aus denen der Leser erst auf die sich daraus ergebenden Produktrisiken schließen muss.

    Zum einen ist der Formulierung "Für wen eignet sich das Produkt?" nicht klar zu entnehmen, dass darunter die für den Anleger besonders wichtigen Informationen über Risiken zu finden sind. Zum anderen müssen Risiken klar benannt werden; dass diese aus der Produktbeschreibung gefolgert werden können, ist nicht ausreichend.

  5. Sofern Angaben zur Verzinsung des eingesetzten Kapitals gemacht werden, ist zu berücksichtigen, ob das Zinsversprechen Bedingungen unterliegt. Während das Emittentenausfallrisiko (z.B. bei einer Unternehmens- oder Staatsanleihe; anders bei Zertifikaten, s.u.) im Normalfall keiner besonderen Erwähnung bedarf, sofern die Risikoprämie bzw. das Ausfallrisiko des Emittenten nicht außergewöhnlich hoch ist, ist jedenfalls dann ein klarstellender Hinweis notwendig, wenn das Zinsversprechen weiteren Bedingungen unterliegt.

    Beispiel: Ein Zertifikat zahlt die angegebenen Zinsen nur dann, wenn bei einem Referenzunternehmen kein Zahlungsausfall eintritt.

    In solchen Fällen bieten sich anstelle einer unbedingten Angabe wie "Rendite: x% p.a." Formulierungen wie etwa "Chance auf x% Rendite p.a." oder "Bis zu x% Rendite p.a." an.

  6. Besteht bei der Verwendung von Online-Brokerage-Tools die Möglichkeit, dass der dem Kunden angezeigte indikative bzw. vorläufige Orderwert vom späteren tatsächlichen Ausführungspreis erheblich abweicht, ist der Kunde darauf in ausreichender und verständlicher Weise hinzuweisen. Eine solche Konstellation kann dann auftreten, wenn die vom Online-Brokerage-Tool zur Berechnung des indikativen Orderwerts herangezogenen Preisinformationen nicht aktuell sind oder auf einer für die Geschäftsart unzutreffenden Grundlage beruhen.

    Beispiel: Bei einer Kauforder von Wertpapieren, die unter einem Euro notieren, kann die Heranziehung eines umsatzlosen Preises (Price without turnover) bei der Berechnung des Orderwerts dazu führen, dass es z. T. erhebliche Abweichungen zwischen indikativem Orderwert und tatsächlichem Ausführungspreis gibt.

    Da mit Online-Brokerage-Tools eine Vielzahl von Kunden mit unterschiedlichem Wissensstand erreicht wird, muss der Hinweis einfach und allgemeinverständlich formuliert sein. Es bietet sich für obiges Beispiel die folgende Formulierung an, die gut sichtbar vor Ausführung der Order platziert sein muss: „Bei dem angezeigten Preis kann es sich um einen umsatzlosen Preis (Price without turnover – PWT) handeln. Dieser entspricht nicht dem für den Kauf maßgeblichen Briefkurs, was bei Wertpapieren, die unter einem Euro notieren, dazu führen kann, dass der tatsächliche Ausführungspreis die Indikation des angezeigten Orderwerts um ein Vielfaches (z. T. mehrere 10.000 €) übersteigt.“

    Zusätzlich ist der Hinweis auf die Möglichkeit einer Limitierung des Auftrags, die eine Ausführung der Order zu einem erheblich höheren Preis als vom Kunden gewollt, verhindert, sinnvoll. Hier könnte wie folgt formuliert werden: „Eine Ausführung zu einem erheblich höheren Preis als von Ihnen gewollt, können Sie durch die Limitierung Ihres Auftrags verhindern.

    Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die für Konstellationen wie der obigen, das Setzen eines Limits verpflichtend eingeführt haben, können auf den Hinweistext, der die mögliche Diskrepanz zwischen dem angezeigten und dem tatsächlichen Ausführungspreis erläutert, bei der konkreten Order verzichten und ihn in die allgemeinen Informationen für ihre Kunden aufnehmen. Es ist aber sicherzustellen, dass ein Limit immer dann verpflichtend ist, wenn der tatsächliche Ausführungspreis vom angezeigten erheblich abweichen kann. Ein verpflichtendes Limit bedeutet, dass eine Orderausführung nicht möglich ist, sofern kein Limit gesetzt wird.

    Wertpapierdienstleistungsunternehmen erfüllen die Anforderungen nach diesem Teilmodul auch, wenn sie den zuvor vorgeschlagenen Hinweis oder das verpflichtende Setzen eines Limits bei jeder Transaktion vorsehen und nicht nur bei Orderaufträgen, in denen der tatsächliche Ausführungspreis vom angezeigten erheblich abweichen kann. Damit können Abgrenzungsschwierigkeiten vermieden werden. Um den Kunden aber vor Augen zu führen, welche Konsequenzen eine unlimitierte Ordererteilung haben kann, ist zu gewährleisten, dass tatsächlich bei allen Orders, bei denen eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen und dem angezeigten Preis bestehen kann, ein Hinweis gegeben wird, der auf diese Diskrepanz und damit auf die möglichen Konsequenzen einer unlimitierten Ordererteilung, ausdrücklich hinweist.

    Ein allgemeiner Hinweis, dass der angezeigte Ausführungspreis vom tatsächlichen Preis abweichen kann, erfüllt diese Anforderungen nicht.

BT 3.3.2 Aktualität der Darstellung
  1. Die Anforderungen an die Aktualität der verbreiteten Informationen bestimmen sich grundsätzlich nach dem Prinzip der Redlichkeit und dem Verbot der Irreführung gemäß § 63 Abs. 6 S. 1 WpHG sowie dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzip. Während Informationen, die über Online-Datenbanken verbreitet werden, grundsätzlich aktuell sein müssen und unter Umständen auch in Echtzeit vorzuhalten sind, gelten bei online bereit gestelltem Prospektmaterial zum Herunterladen ggf. niedrigere, bei gedruckten, für die Auslage in Filialen bestimmten Vertriebsmaterialien nochmals niedrigere Anforderungen an die Aktualität der Daten. Abzustellen ist jeweils auf die konkrete Information sowie das Produkt bzw. die Dienstleistung und deren spezifische Eigenschaften. Die genannten Prinzipien der Redlichkeit und Nichtirreführung können es im Einzelfall jedoch erforderlich machen, auch Materialien, bei denen die Zeitspanne zwischen Redaktions- und Verbreitungszeitpunkt im Normalfall ausreichend wäre, entweder nicht weiter zu verbreiten oder zu aktualisieren, wenn sich seit Redaktionsschluss kurzzeitig erhebliche Veränderungen ergeben haben.


    Beispiel: Während es bis zur Finanzkrise des Jahres 2008 möglicherweise vertretbar war, das Risiko des Ausfalls eines Zertifikatemittenten als so vernachlässigbar anzusehen, dass auf eine Erwähnung in der Risikodarstellung eines Produkts (siehe 3.3) verzichtet werden konnte, stellt sich die Lage jetzt anders dar. Nach Bekanntwerden solcher Veränderungen kann es daher erforderlich sein, Informationsmaterialien entsprechend anzupassen oder einzuziehen. Gleiches gilt etwa betreffend Wertentwicklungsangaben (siehe 3.4) nach kurzfristigen erheblichen Wertveränderungen.


    Mit Rücksicht auf das Gebot der Eindeutigkeit, Redlichkeit und Nichtirreführung ist ein leicht erkennbarer Hinweis auf das Erstellungsdatum der Information in jedem Fall empfehlenswert und sinnvoll.


  2. Eine Ausnahme von dem grundsätzlichen Aktualitätsgebot für online zugänglich gemachte Informationen ist in Fällen möglich, in denen etwa Vertriebsmaterialien betreffend Zertifikate auch nach Ablauf der Zeichnungsfrist auf der Webseite des Emittenten bzw. vertreibenden Wertpapierdienstleistungsunternehmens bereit gehalten werden. Hierdurch wird ein bestehendes Informationsinteresse der Anleger befriedigt. Gleichzeitig ist es den Unternehmen nicht zumutbar, Angaben in derartigen Vertriebsmaterialien weiterhin aktuell halten zu müssen. Insbesondere in diesem Fall ist jedoch ein deutlicher und leicht erkennbarer Hinweis auf das Erstellungsdatum der Information unabdingbar.
BT 3.3.3 Darstellung von Vorteilen und Risiken
  1. Gemäß Art. 44 Abs. 2 b) DV dürfen mögliche Vorteile einer Wertpapierdienstleistung oder eines Finanzinstruments in der Information enthalten sein, wenn stets redlich und eindeutig auf etwaige Risiken hingewiesen wird.


  2. Anders als bei Wertpapierverkaufsprospekten muss auf Risiken also nicht immer, sondern nur dann hingewiesen werden, wenn in der Information auch mögliche Vorteile des dargestellten Produkts enthalten sind. Redlich und deutlich ist die Gestaltung mindestens dann, wenn der Grundsatz der Proportionalität, d.h. Umfang und Genauigkeit von Vorteils- und Risikendarstellung müssen in ausgewogenem Verhältnis zueinander stehen, gewahrt wird. Je mehr und je umfassender also Vorteile hervorgehoben werden, umso mehr und umfassender ist auch auf eventuelle Risiken einzugehen. Das bedeutet nicht, dass die Anzahl der dargestellten Vorteile und Risiken immer gleich sein muss. Sofern ein Produkt mehr Vorteile als Risiken hat, können diese in der Darstellung zahlenmäßig überwiegen und umgekehrt. Auch müssen Vorteile und Risiken nicht immer inhaltlich miteinander korrespondieren, also "Vorder- und Rückseite einer Medaille" darstellen. Entscheidend ist, dass dann, wenn alle wesentlichen Vorteile eines Produkts genannt werden, auch auf alle wesentlichen Risiken hingewiesen wird, und immer dann, wenn nur besonders wichtige Vorteile genannt werden, jedenfalls auch auf die besonders wichtigen Risiken hingewiesen wird.


  3. Auf einen Vorteil kann in unterschiedlicher Art und Weise Bezug genommen werden (z. B. sprachlich oder drucktechnisch). Die Bezugnahme auf einen Vorteil muss sich nicht auf ein einzelnes Finanzinstrument (bspw. mit konkreter WKN) beziehen. Die Regeln über die Vorteils-/Risikodarstellung finden auch dann Anwendung, wenn sich die Informationen auf eine bestimmte Gruppe von Finanzinstrumenten beziehen, die ähnlich strukturiert sind.


    Beispiel:
    In einer Werbung für eine bestimmte Zertifikate-Art (etwa Hebelzertifikate), in der eine Bezugnahme auf deren Vorteile (z.B. Chance auf überproportionale Gewinnmöglichkeiten gegenüber dem Basiswert) enthalten ist, müsste auch auf deren Risiken (z.B. überproportionale Verlustrisiken gegenüber dem Basiswert; Emittentenrisiko) hingewiesen werden.


    Wie oben bereits erwähnt, gilt vor allem bei der Chancen-/Risikendarstellung, dass die Art und Weise der Darstellung wichtige Punkte, Aussagen oder Warnungen nicht verschleiern, abschwächen oder unverständlich machen darf. Weiterhin stellt Art. 44 Abs. 2 c) DV klar, dass die maßgeblichen Risiken mindestens in einer Schriftgröße aufgeführt werden, die nicht kleiner ist als die übrige Schriftgröße. Weiterhin muss die graphische Gestaltung sicherstellen, dass die maßgeblichen Risiken leicht erkennbar sind.


  4. Bei gedruckten Informationen müssen sich die Risikohinweise im selben Dokument befinden wie die Vorteilsdarstellung. Eine Verweisung auf einen anderen Ort (insbesondere eine Internetseite oder andere Informationsmaterialien) oder die Möglichkeit eines Beratungsgesprächs sind nicht ausreichend.


    Beispiel:
    Es ist nicht möglich, die Risiken nur in einem Fußnotentext zu erwähnen, während die Vorteile außerhalb der Fußnoten dargestellt werden. Es ist darüber hinaus ebenfalls nicht möglich, in einem Kundenanschreiben lediglich die Vorteile darzustellen und in Bezug auf die Risiken auf andere Dokumente, z. B. ein Produktinformationsblatt, zu verweisen. Dies gilt auch dann, wenn das Dokument mit der Risikodarstellung dem Anschreiben direkt anliegt bzw. gemeinsam mit ihm versandt wird.


  5. Die eben genannten Grundsätze gelten unabhängig von der Art des verwendeten Informationsmediums.


    Beispiele möglicher Risiken sind u.a.:
    • Emittentenausfallrisiko bei Zertifikaten
    • Garantenausfallrisiko
    • Wechselkursrisiko (nur für Privatkunden)
    • marktbedingte Kursschwankungen
    • Möglichkeit eingeschränkter/fehlender Handelbarkeit
    • mögliche Nachschusspflicht
    • Sonderkündigungsrechte des Emittenten

BT 3.3.4 Darstellung von Wertentwicklungen

Sofern Informationen Aussagen zur Wertentwicklung eines Finanzinstruments, eines Finanzindexes oder einer Wertpapierdienstleistung enthalten, muss deutlich auf den Bezugszeitraum der Angaben sowie darauf hingewiesen werden, dass frühere Wertentwicklungen, Simulationen oder Prognosen kein verlässlicher Indikator für die künftige Wertentwicklung sind (Art. 44 Abs. 4 c) und d) DV). Eine Besonderheit gilt für Wertentwicklungsangaben, die in einer anderen Währung als Euro ausgewiesen werden. Hierbei ist in Informationen, die Privatkunden zugänglich gemacht werden, eine deutliche Warnung aufzunehmen, dass die Rendite infolge von Währungsschwankungen steigen oder fallen kann. Bei Informationen an professionelle Kunden ist ist eine solche Warnung nicht erforderlich (vgl. Art. 44 Abs. 4 e) DV).

Die Vorschriften betreffend Wertentwicklungsangaben unterscheiden zum Teil zwischen vergangenheitsbezogenen (Art. 44 Abs. 4 und Abs. 5 DV) und zukunftsbezogenen (Art. 44 Abs. 6 DV) Angaben.

BT 3.3.4.1 Vergangenheitsbezogene Angaben

Vergangenheitsbezogene Angaben dürfen grundsätzlich nicht den hervorstechendsten Punkt der Information darstellen (Art. 44 Abs. 4 a) DV). Das bedeutet, dass die auf die vergangene Wertentwicklung bezogenen Hinweise weder drucktechnisch, noch inhaltlich durch die gewählte Reihenfolge ihrer Erwähnung, den Umfang ihrer Darstellung oder auf sonstige Weise in den Vordergrund gerückt werden dürfen.

BT 3.3.4.1.1 Geeignete Angaben
  1. Gemäß Art. 44 Abs. 4 b) DV müssen die Angaben zur Darstellung der Wertentwicklung "geeignet" sein. Geeignet erscheinen in der Regel jedenfalls absolute oder relative Prozentangaben wie z.B.:


    • "Zwischen 10.01.2008 und 10.01.2009 50% Wertsteigerung" oder
    • "Zwischen 10.01.2008 und 10.01.2009 50% mehr Wertsteigerung als [Vergleichsobjekt]").


  2. Grundsätzlich ebenso geeignet i.S.d. Art. 44 Abs. 4 b) DV können unter Umständen aber auch absolute oder relative Wertangaben sein, wie z.B.:


    • "Kurs am 10.01.2008: 40,00 € / Kurs am 10.01.2009: 50,00 €" bzw.

    • "1000,00 € Plus zwischen 10.01.2008 und 10.01.2009" oder

    • "Zwischen 10.01.2008 und 10.01.2009 50,00 € mehr Wertzuwachs als [Vergleichsobjekt]").


  3. Die Wertentwicklungsangaben müssen immer die tatsächliche Wertentwicklung eines Zwölfmonatszeitraums wiedergeben. Ungeeignet sind daher kumulierte, den gesamten Betrachtungszeitraum betreffende Wertentwicklungsangaben (z.B. "500% in 10 Jahren"), da diese keinen Rückschluss auf die Volatilität und das Risiko der Anlage erlauben. Aus demselben Grund in der Regel ebenfalls ungeeignet sind annualisierte Durchschnittswerte für mehrjährige Zeiträume (z.B. "durchschnittlich 5% p.a. in den vergangenen 5 Jahren"). Annualisierte Angaben können ausnahmsweise geeignet sein, wenn die tatsächliche Wertentwicklung über den gesamten Betrachtungszeitraum nahezu gleichbleibend war.
BT 3.3.4.1.2 Mindestzeitraum: grundsätzlich unmittelbar vorausgehende fünf Jahre
  1. Hinsichtlich des Zeitraums, auf den sich die Wertentwicklungsangaben beziehen, enthält die DV detaillierte Vorgaben:

    Die Wertentwicklungsangaben müssen sich grundsätzlich auf die unmittelbar vorausgehenden fünf Jahre beziehen (Art. 44 Abs. 4 b) DV), wobei mit "Jahren" an dieser Stelle Zwölfmonatszeiträume und keine Kalenderjahre gemeint sind.

  2. Die Anforderungen an das Kriterium der Unmittelbarkeit, d.h. an die Länge des zulässigen Zeitraums zwischen aktuellster Wertangabe und Zeitpunkt der Verbreitung der Informationen, bestimmen sich dabei nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und dem Grundsatz der Redlichkeit der Information gemäß § 63 Abs. 6 WpHG. D.h. die Informationen müssen so aktuell sein, wie dies mit zumutbarem Aufwand erreichbar ist.
  3. Das Gebot der Redlichkeit der Information und das Verbot der Irreführung (§ 63 Abs. 6 WpHG) können es im Einzelfall jedoch erforderlich machen, auch Materialien, deren Aktualität im Normalfall ausreichend wäre, entweder nicht weiter zu verbreiten oder zu aktualisieren, wenn sich seit Redaktionsschluss kurzzeitig erhebliche Wertveränderungen ergeben haben (vgl. auch 3.2).
BT 3.3.4.1.3 Ausnahme: Daten nur für kürzeren Zeitraum vorhanden

Sofern für das betreffende Finanzinstrument, den Finanzindex oder die Wertpapierdienstleistung Wertentwicklungsangaben nur für einen kürzeren Zeitraum als fünf Jahre vorliegen, müssen jedenfalls Angaben über den gesamten verfügbaren Zeitraum gemacht werden.

BT 3.3.4.1.4 Grenze der Ausnahme: grundsätzlich keine unterjährigen Angaben
  1. In Fällen, in denen die Wertentwicklung nur über einen Zeitraum von weniger als zwölf Monaten dargestellt werden könnte (etwa weil ein Finanzinstrument erst vor weniger als zwölf Monaten in den Handel gebracht wurde), dürfen gemäß Art. 44 Abs. 4 b) DV grundsätzlich keine Wertentwicklungsangaben gemacht werden.
  2. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich das Verbot nur auf die Darstellung der unterjährigen Entwicklung des Wertes des Finanzinstruments, des Finanzindexes oder der Wertpapierdienstleistung bezieht. Selbstverständlich zulässig ist es dagegen, Angaben nur zum aktuellen Wert zu machen.
BT 3.3.4.1.5 Ausnahme vom Verbot unterjähriger Angaben

Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Regelung und berechtigter Informationsbedürfnisse der Kunden erscheint jedoch bei nicht-werblichen, vom Kunden nachgefragten wertungsfreien Informationen (etwa in automatisierten Internet-Kursdatenbanken oder bei notwendigen Produktinformationen im Rahmen einer Beratung gemäß WpHG) eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot unterjähriger Wertentwicklungsangaben in engen Grenzen zulässig (vgl. außerdem 3.3.4.1.7).

BT 3.3.4.1.6 Ergänzende Angaben

Neben den gesetzlichen Vorgaben können ergänzend auch weitere Angaben zur Performance gemacht werden. Diese dürfen aber die gesetzlichen Angaben in Inhalt und Form nicht in den Hintergrund drängen. Die gesetzlich geforderten Angaben müssen also mindestens gleichwertig herausgehoben sein.

BT 3.3.4.1.7 Auswirkung von Provisionen, Gebühren und sonstigen Entgelten
  1. Sofern es sich bei der Darstellung von Wertentwicklungen um Bruttowerte handelt, muss angegeben werden, wie sich Provisionen, Gebühren und andere Entgelte hierauf auswirken (vgl. Art. 44 Abs. 4 f) und Art. 44 Abs. 5 b) DV).

    Unter Provisionen, Gebühren und anderen Entgelten sind dabei sämtliche dem Kunden bedingt durch Ankauf, Halten oder Verkauf eines Finanzinstruments oder die Inanspruchnahme einer Wertpapierdienstleistung zwingend entstehenden finanziellen Aufwendungen zu verstehen, wie z.B.


    • Ausgabeaufschläge bei Fondsanteilen
    • Transaktionskosten wie Ordergebühren und Maklercourtagen
    • etwaige Depot- oder andere Verwahrungsgebühren.


  2. Art. 44 Nr. 4 f) DV, Art. 44 Abs. 5 b) DV verlangen quantifizierte Angaben betreffend die Auswirkungen von Provisionen, Gebühren und anderen Entgelten. Keinesfalls ausreichend ist insoweit ein unbezifferter allgemeiner Hinweis darauf, dass Provisionen, Gebühren und andere Entgelte sich mindernd auf die Wertentwicklung auswirken, da sich dies bereits unmittelbar aus den jeweiligen Begriffen erschließt. Eine exakte Darstellung der bereinigten Wertentwicklung unter Berücksichtigung der gesetzlich genannten, die Wertentwicklung mindernden Faktoren ist indes sehr schwierig, da die zu berücksichtigenden Parameter jeweils stark einzelfallabhängig sind. Denn entweder ist die Höhe der anzusetzenden Werte abhängig von dem Institut, das die jeweilige Dienstleistung erbringt (Beispiel: Transaktions- und Verwahrungskosten) oder von der Person des Anlegers (Beispiel: Höhe der Anlagesumme, die wiederum Einfluss auf die Transaktions- und Verwahrungskosten hat). Daher ist es jedenfalls in allgemein gehaltenen Informationen praktisch unmöglich, Werte auszuweisen, die auf alle Kunden zutreffen. Um der gesetzlichen Anforderung des Art. 44 Abs. 4 f) DV, Abs. 5 b) DV dennoch gerecht zu werden, empfiehlt sich folgende Vorgehensweise:


    Wertpapierdienstleistungsunternehmen nehmen die von Art. 44 Abs. 4 f) DV, 5 b) DV verlangte Darstellung der Wertentwicklung, welche die Auswirkung von Provisionen, Gebühren und anderen Entgelten berücksichtigt, vor, indem sie bei der Berechnung der bereinigten Wertentwicklung die genannten, typischerweise anfallenden Belastungen entweder in Höhe des eigenen Gebührenverzeichnisses oder marktüblicher Durchschnittswerte in Ansatz bringen. Unerheblich ist, ob das Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Durchschnittswerte selbst erhebt oder auf Daten zurückgreift, die von Verbandsseite oder sonstigen Dritten bereitgestellt werden. Für die Erhebung "marktüblicher Durchschnittswerte" sind exakte, mathematisch-empirische Marktanalysen nicht zwingend notwendig. Ausreichend ist vielmehr die Annahme wirklichkeitsnaher Werte, solange diese nicht willkürlich verzerrt erscheinen. Als Anlagebetrag wird von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen als typisierender Modellwert eine Summe von 1000,00 € oder eine für das betreffende Finanzinstrument praxistypische durchschnittliche Anlagesumme angesetzt, als Anlagezeitraum fünf Jahre oder eine kürzere praxistypische Haltedauer. Die Einrechnung von Depotkosten kann durch einen Hinweis auf den Umstand, dass zusätzlich die Wertentwicklung mindernde Depotkosten entstehen können, ersetzt werden. Ergänzend zu dieser typisierenden Modellrechnung kann das Wertpapierdienstleistungsunternehmen den Kunden die Möglichkeit eröffnen, auf den Internetseiten des Instituts mittels eines Online-Wertentwicklungsrechners die individuelle bereinigte Wertentwicklung zu errechnen. Hierbei müssten die Kunden bei den einzelnen variablen Parametern einschließlich der Anlagesumme die für sie zutreffenden Werte selber einsetzen.


    Bietet ein Institut Wertpapierdienstleistungen im Rahmen von Online-Angeboten an, kann es statt der typisierenden Modellrechnung seinen Kunden bei diesen Angeboten die Möglichkeit eröffnen, auf den Internetseiten des Instituts mittels eines Online-Wertentwicklungsrechners die individuelle bereinigte Wertentwicklung zu errechnen. Hierbei müssten die Kunden bei den einzelnen variablen Parametern einschließlich der Anlagesumme die für sie zutreffenden Werte selbst einsetzen.


    Auch das Wertpapierdienstleistungsunternehmen kann – etwa bei einer Beratung in einer Filiale - den Online-Wertentwicklungsrechner alternativ zur typisierenden Modellrechnung einsetzen, um die individuell bereinigte Wertentwicklung zu errechnen. Hierbei muss der Anlageberater die einzelnen variablen Parameter einschließlich der Anlagesumme kundenindividuell ermitteln. Dem Kunden ist ein Ausdruck des Online-Wertentwicklungsrechners zur Verfügung zu stellen. In den beiden vorgenannten Fällen kann der Online-Wertentwicklungsrechner die typisierende Modellrechnung ersetzen.

BT 3.3.4.1.8 Angabe simulierter Wertentwicklungen
  1. Simulationen einer früheren Wertentwicklung oder Verweise auf eine solche Simulation dürfen sich nur auf ein Finanzinstrument, den einem Finanzinstrument zugrunde liegenden Basiswert oder einen Finanzindex beziehen (vgl. Art. 44 Abs. 5 a) DV). Dieser Katalog möglicher Gegenstände einer Simulation ist abschließend. Daher sind beispielweise Simulationen der Wertentwicklung einer bloßen Handels- oder Anlagestrategie in Kundeninformationen unzulässig.
  2. Simulationen einer früheren Wertentwicklung müssen ferner auf der tatsächlichen früheren Wertentwicklung eines oder mehrerer Finanzinstrumente, Basiswerte oder Finanzindices beruhen, die mit dem betreffenden Finanzinstrument vollständig oder wesentlich übereinstimmen oder diesem zugrunde liegen, sowie alle bisher unter 3.3.4. genannten Voraussetzungen erfüllen (vgl. Art. 44 Abs. 5 a) DV).
  3. Ferner muss das Finanzinstrument, der Basiswert oder der Finanzindex, der Gegenstand der Simulation sein soll, eine fest definierte Zusammensetzung haben, damit eine Simulation überhaupt möglich ist. Daher ist es nicht zulässig, die vergangene Wertentwicklung eines Finanzinstruments oder eines Finanzindexes, dessen jeweilige Zusammensetzung von Ermessensentscheidungen abhängig ist, in Kundeninformationen zu simulieren.

    Beispiel: Für einen frisch aufgelegten Fonds ist eine bestimmte Anlagestrategie einschließlich bestimmter Gewichtungsvorgaben für die Fondsverwaltung definiert. Die genaue Titelauswahl und die Entscheidung über einzelne Transaktionen liegt jedoch im Ermessen der Fondsverwaltung. In diesem Fall ist es nicht möglich festzustellen, wie die genaue Fondszusammensetzung in der Vergangenheit ausgesehen hätte, da man nicht wissen kann, welche Ermessensentscheidungen die Fondsverwaltung in der Vergangenheit getroffen hätte.

  4. Aus dem selben Grund ist es auch grundsätzlich unzulässig, die vergangene Wertentwicklung solcher strukturierter Produkte in Kundeninformationen zu simulieren, bei denen über die reinen Kosten der Einzelbestandteile hinaus variable, nicht über die gesamte Laufzeit feststehende Margen des Emittenten Bestandteil der Preisbildung sind, es sei denn, es wird an hervorgehobener Stelle deutlich darauf hingewiesen, dass die bei der Wertentwicklungsberechnung angenommenen Margen des Emittenten fiktiv und veränderlich sind und deshalb keinen verlässlichen Anhaltspunkt für die zukünftige Auswirkung der Emittentenmargen auf die Wertentwicklung des Produkts bieten.

    Beispiel: Die Struktur eines Garantie-Zertifikats besteht aus mehreren Komponenten (z.B. Wertpapieren und Termingeschäften). Der Emissionspreis setzt sich aus der Addition der Preise der einzelnen Bestandteile sowie einer Gewinnmarge des Emittenten zusammen. Die Höhe dieser Marge verändert sich jedoch während der Laufzeit kontinuierlich im Rahmen der Kursstellung durch den Emittenten. In diesem Fall ist es nicht möglich zu wissen, wie hoch der Emittent seine Marge zu den einzelnen zurückliegenden Zeitpunkten kalkuliert hätte. Daher ist es auch nicht möglich festzustellen, wie der Preis des Zertifikats zu vor der Emission liegenden Zeitpunkten gewesen wäre.

  5. Grundsätzlich zulässig ist die Darstellung einer Kombination aus tatsächlichen und simulierten Wertentwicklungsangaben. In diesem Fall muss aus der Darstellung jedoch klar und deutlich hervorgehen, welche Angaben tatsächlicher und welche Angaben simulierter Art sind.

    Beispiel: Ein vor sechs Monaten aufgelegtes Zertifikat bildet die Wertentwicklung der Aktie A "1:1" ab. Zwar wären Wertentwicklungsangaben bezogen auf das Zertifikat nur für die vergangenen sechs Monate wegen des Verbots unterjähriger Wertentwicklungsangaben (siehe Punkt 3.4.1.4) unzulässig. Unter Rückgriff auf die tatsächliche Wertentwicklung der Aktie A in den davor liegenden viereinhalb Jahren lässt sich die Wertentwicklung des Zertifikats für den Zeitraum der vergangenen fünf Jahre dennoch darstellen.

    Im Falle simulierter Wertentwicklungsangaben muss schließlich – wie bei der Angabe tatsächlicher Wertentwicklungen – grundsätzlich ebenfalls ausgewiesen werden, wie sich Provisionen, Gebühren und andere Entgelte auswirken.

    Beispiel: Ein frisch aufgelegter Fonds bildet gemäß den Fondsbedingungen immer "1:1" einen bestimmten Index nach. Mangels ausreichender tatsächlicher Kurshistorie soll seine vergangene Wertentwicklung simuliert dargestellt werden. In diesem Fall müssen bei der Simulation etwaige Ausgabeauf- bzw. Rückgabeabschläge sowie Transaktionskosten genau wie bei der Darstellung tatsächlicher Wertentwicklungen berücksichtigt werden.

BT 3.3.4.2 Zukunftsbezogene Angaben

Angaben zur künftigen Wertentwicklung dürfen nicht auf einer simulierten früheren Wertentwicklung beruhen oder auf eine solche Simulation Bezug nehmen. Die Angaben müssen auf angemessenen, durch objektive Daten gestützten Annahmen beruhen und für den Fall, dass sie auf der Bruttowertentwicklung beruhen, deutlich angeben, wie sich Provisionen, Gebühren und andere Entgelte auswirken. Die Informationen müssen auf sowohl positiven als auch negativen Szenarien mit unterschiedlichen Marktbedingungen beruhen und die Art und die Risiken der in die Analyse einbezogenen Arten von Instrumenten widerspiegeln, weiterhin müssen die Informationen eine deutliche Warnung dahingehend enthalten, dass derartige Prognosen kein verlässlicher Indikator für die künftige Wertentwicklung sind.

BT 3.4 Steuerliche Hinweise

Informationen zu einer bestimmten steuerlichen Behandlung müssen einen deutlichen Hinweis enthalten, dass die steuerliche Behandlung von den persönlichen Verhältnissen des jeweiligen Kunden abhängt und künftig Änderungen unterworfen sein kann (vgl. Art. 44 Abs. 7 DV).

BT 3.5 Übereinstimmung von Marketing und Produktinformation

Informationen in Marketingmitteilungen dürfen denjenigen Informationen nicht widersprechen, die das Wertpapierdienstleistungsunternehmen dem Kunden im Zuge der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen zur Verfügung stellt (vgl. Art. 44 Abs. 2 b) DV). Hieraus ergibt sich insbesondere, dass Angaben in Verkaufsprospekten oder sonstigen Informationsmaterialien im Einklang mit den Angaben stehen müssen, die im Rahmen des Marketing gemacht werden.

BT 3.6 Angaben mit Bezug zur Aufsichtsbehörde

Der Name einer zuständigen Behörde darf nicht in einer Weise genannt werden, die so verstanden werden kann, dass die Produkte oder Dienstleistungen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens von der betroffenen Behörde gebilligt oder genehmigt werden oder worden sind (vgl. Art. 44 Abs. 8 DV).
Nicht zulässig ist es daher beispielsweise, in einer Werbung für ein Finanzinstrument in einer Weise darüber zu informieren, dass der im Rahmen der Emission veröffentlichte Prospekt von der Bundesanstalt gebilligt wurde, die geeignet ist beim Kunden den Eindruck hervorzurufen, die Bundesanstalt habe das Finanzinstrument als solches ausdrücklich gebilligt oder genehmigt. Ebenso unzulässig ist es, auf den Umstand einer bestehenden Beaufsichtigung durch die Bundesanstalt in einer Weise hinzuweisen, die geeignet ist den Eindruck hervorzurufen, die von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen angebotenen Dienstleistungen oder Produkte seien von der Bundesanstalt ausdrücklich gebilligt oder genehmigt.

BT 3.7 Dokumentation von Marketingmitteilungen

Bei Marketingmitteilungen bedarf es neben der Aufbewahrung eines Exemplars der Marketingmitteilung keiner weiteren Aufzeichnung, soweit aus der Marketingmitteilung hervorgeht, an welchen Kundenkreis sich die Mitteilung richtet, vgl. Art. 72 DV. Sofern die Marketingmitteilung wiederkehrend nach einem bestimmten inhaltlichen Standard-Muster erstellt wird, genügt die Aufbewahrung eines Beispiel-Exemplars dieser standardisierten Information, wenn sich die Erstellung der einzelnen Dokumente aus der ergänzenden Dokumentation rekonstruieren lässt.

Anlage:

Im Folgenden finden sich einige unverbindliche beispielhafte Anregungen für mögliche Wertentwicklungsdarstellungen für die vergangenen 5 Jahre:

A. Balkendiagramm (Rendite in Prozent)

A. Balkendiagramm (Rendite in Prozent)

Balkendiagramm (Rendite in Prozent) A. Balkendiagramm (Rendite in Prozent) © BaFin A. Balkendiagramm (Rendite in Prozent)

Ausgabeaufschlag / Ordergebühr / Maklergebühr / Depotgebühr bei Anlagesumme i.H.v. [1/4 Durchschnitts-Depot]

1/14-1/16: brutto minus Depotgebühr bei Anlagesumme i.H.v. [1/4 Durchschnitts-Depot]

1/17-1/18: netto = minus Rückgabeabschlag / Ordergebühr / Maklergebühr / Depotgebühr bei Anlagesumme i.H.v. [1/4 Durchschnitts-Depot]

Hinweis: Die konkrete Rendite für die von Ihnen beabsichtigte Anlagesumme kann mittels eines Rendite-Rechners auf unseren Internetseiten (www.a-bank.de/renditerechner) errechnet werden.

B. Liniendiagramm (Rendite in Prozent)

B. Liniendiagramm (Rendite in Prozent)

Liniendiagramm (Rendite in Prozent) B. Liniendiagramm (Rendite in Prozent) © BaFin B. Liniendiagramm (Rendite in Prozent)

1/13-1/14: netto = minus Ausgabeaufschlag / Ordergebühr / Maklergebühr / Depotgebühr bei Anlagesumme i.H.v. [1/4 Durchschnitts-Depot]

1/14-1/16: brutto minus Depotgebühr bei Anlagesumme i.H.v. [1/4 Durchschnitts-Depot]

1/17-1/18: netto = minus Rückgabeabschlag / Ordergebühr / Maklergebühr / Depotgebühr bei Anlagesumme i.H.v. [1/4 Durchschnitts-Depot]

Hinweis: Die konkrete Rendite für die von Ihnen beabsichtigte Anlagesumme kann mittels eines Rendite-Rechners auf unseren Internetseiten (www.a-bank.de/renditerechner) errechnet werden.

C. Kurvendiagramm (Wertentwicklung 100-Euro-Anlage in Euro)

C. Kurvendiagramm (Wertentwicklung 100-Euro-Anlage in Euro)

Kurvendiagramm (Wertentwicklung 100-Euro-Anlage in Euro) C. Kurvendiagramm (Wertentwicklung 100-Euro-Anlage in Euro) © BaFin C. Kurvendiagramm (Wertentwicklung 100-Euro-Anlage in Euro)

BT 4 Bestmögliche Ausführung von Kundenaufträgen nach § 82 WpHG

Dieses Modul konkretisiert § 82 WpHG, Art. 64-66 DV.

BT 4.1. Ausübung des Ermessens bei Auswahl der Ausführungsplätze und bei Ausarbeitung der Ausführungsgrundsätze

  1. Die Auswahl der Ausführungsplätze steht im Ermessen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen ist verpflichtet, von dem ihm eingeräumten Ermessen Gebrauch zu machen und im Rahmen der Ermessensausübung alle relevanten Ausführungsplätze und alle wesentlichen Faktoren zu berücksichtigen, die zur Bestimmung des bestmöglichen Ergebnisses von Bedeutung sind. Der Vergleich und die Bewertung der verschiedenen Ausführungsplätze haben nach einheitlichen und nicht diskriminierenden Kriterien zu erfolgen.
  2. Im Rahmen des Auswahlermessens können neben den in § 82 Abs. 2 und 3 WpHG, Art. 64 DV aufgeführten Kriterien weitere Faktoren berücksichtigt werden, soweit sie nicht der Verpflichtung zuwider laufen, das bestmögliche Ergebnis für den Kunden zu erreichen. Dabei berücksichtigt das Wertpapierdienstleistungsunternehmen insbesondere die von den Ausführungsplätzen veröffentlichten Berichte zur Ausführungsqualität gem. § 82 Abs. 10 u. 11 WpHG i. V. m. Delegierte Verordnung (EU) 2017/575 (RTS 27). Des Weiteren kann das Wertpapierdienstleistungsunternehmen auch weitere qualitative Faktoren der Ausführungsplätze (wie beispielsweise die Überwachung des Handels durch eine Handelsüberwachungsstelle (HüSt), das Beschwerdemanagement und die Beschwerdebearbeitung, die Handelszeiten der einzelnen Ausführungsplätze, die Belastbarkeit von Leistungsversprechen, die Verbindlichkeit von Quotes und sonstigen Preisinformationen, die Auswahl an Orderzusätzen und Ausführungsarten, das Service- und Informationsangebot für Anleger, die Form des Orderbuchs, das Counterparty Risk der Handelspartner, die Abwicklungssicherheit, etc.) berücksichtigen.
  3. Im Privatkundengeschäft hat sich das bestmögliche Ergebnis am Gesamtentgelt zu orientieren. Dem Kriterium des Gesamtentgeltes kommt im Rahmen der Ermessensausübung eine wesentliche Bedeutung zu. Geringfügige Unterschiede im Gesamtentgelt können unberücksichtigt bleiben, sofern dies nachvollziehbar begründet wird. Zu den bei der Berechnung des Gesamtentgeltes zu berücksichtigenden Kosten zählen auch implizite Handelskosten. Die Gebühren und Entgelte der Ausführungsplätze sowie die Kosten für das Clearing und Settlement dürfen bei Berechnung des Gesamtentgeltes nur dann berücksichtigt werden, wenn sie an den Kunden weitergegeben werden.

BT 4.2 Inhaltliche Ausgestaltung der Ausführungsgrundsätze

  1. Die Ausführungsgrundsätze müssen sich an Art und Umfang des Wertpapierdienstleistungsgeschäfts, den Wertpapieraufträgen und der Kundenstruktur orientieren. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des Detaillierungsgrades und der Regelungstiefe der Ausführungsgrundsätze.
  2. Die Ausführungsgrundsätze müssen gemäß Art. 66 Abs. 3 b) und c) DV die Faktoren, welche für die Auswahl des jeweiligen Ausführungsplatzes entscheidend waren, sowie die Ausführungsplätze angeben, an welche Wertpapieraufträge zur Ausführung geleitet werden.
  3. Die Informationen über die Ausführungsgrundsätze müssen klar, ausführlich und auf eine verständliche Weise erläutern, wie das Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Kundenaufträge ausführt.

BT 4.3 Bewertungsverfahren und Überprüfung der Ausführungsgrundsätze

  1. Die Anforderungen an die Methode zur Ermittlung der Ausführungsplätze mit den bestmöglichen Ergebnissen (Bewertungsverfahren), werden durch die Art und den Umfang des Wertpapierdienstleistungsgeschäfts des jeweiligen Wertpapierdienstleistungsunternehmens bestimmt.
  2. Das Bewertungsverfahren soll anhand von aktuellen aussagefähigen Marktdaten vorgenommen werden. Dabei sind unter anderem die nach § 82 Abs. 9 bis 11 WpHG veröffentlichten Informationen zu berücksichtigen. Gleiches gilt für die regelmäßige, mindestens jährliche Überprüfung der eigenen Ausführungsgrundsätze. Es wird darüber hinaus empfohlen, durch aussagefähige Stichproben zu überprüfen, ob die Ausführung von Wertpapieraufträgen an einem anderen Handelsplatz zu einer besseren Ausführung geführt hätte („Back Testing“). Sieht das Bewertungsverfahren oder die Stichprobenprüfung im Rahmen der Überprüfung der Ausführungsgrundsätze die Verwendung unverbindlicher Preisinformationen vor, hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen auch zu prüfen, ob die Orders regelmäßig entsprechend der zum Zeitpunkt der Ordererteilung aktuellen Geld bzw. Briefpreise ausgeführt werden.
  3. Soweit unterjährig wesentliche Veränderungen der für die bestmögliche Ausführung relevanten Aspekte im Sinne des Art. 66 Abs. 1 S. 2, Art. 65 Abs. 7 DV zu verzeichnen sind, hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen eine zeitnahe Überprüfung und gegebenenfalls eine Anpassung der eigenen Ausführungsgrundsätze vorzunehmen.

BT 4.4 Weiterleitung von Wertpapieraufträgen zur Ausführung durch ein
anderes Wertpapierdienstleistungsunternehmen

  1. Die Mindestanforderungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die Aufträge ihrer Kunden an ein anderes Wertpapierdienstleistungsunternehmen zur Ausführung weiterleiten oder Finanzportfolioverwaltung betreiben, ohne die Aufträge oder Entscheidungen selbst auszuführen, ergeben sich aus Art. 65 DV. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen hat in seinen Ausführungsgrundsätzen unter Beachtung der in § 82 Abs. 2 und Abs. 3 WpHG normierten Kriterien für jede Gruppe von Finanzinstrumenten diejenigen Wertpapierdienstleistungsunternehmen zu bestimmen bzw. auszuwählen, welche mit der Ausführung der Wertpapieraufträge beauftragt werden (Auswahlgrundsätze), vgl. Art 65 Abs. 5 DV. In den Auswahlgrundsätzen sind die Wertpapierdienstleistungsunternehmen, welche mit der Ausführung der Wertpapieraufträge beauftragt werden, namentlich zu benennen.
  2. Die Auswahl des Wertpapierdienstleistungsunternehmens, welches mit der Ausführung beauftragt wird, hat hierbei insbesondere anhand dessen Ausführungsgrundsätze zu erfolgen. Hierbei ist zu überprüfen, ob die Ausführungsgrundsätze des beauftragten Wertpapierdienstleistungsunternehmens eine bestmögliche Ausführung der Wertpapieraufträge gewährleisten und die Kundeninteressen in ausreichendem Maße berücksichtigt werden.
  3. Im Rahmen der regelmäßigen Überwachung der bestmöglichen Ausführung der Aufträge hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen zu überprüfen, ob das mit der Ausführung beauftragte Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Wertpapieraufträge entsprechend der Ausführungsgrundsätze des beauftragten Wertpapierdienstleistungsunternehmens ausführt, und ob die Ausführung über dieses Wertpapierdienstleistungsunternehmen dauerhaft die bestmögliche Ausführung der Wertpapieraufträge gewährleistet. Im Rahmen der Überwachungshandlungen soll stichprobenartig die tatsächliche Ausführung von Wertpapieraufträgen mit den Ausführungsgrundsätzen des beauftragten Wertpapierdienstleistungsunternehmens abgeglichen werden.
  4. Gelangt das Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Rahmen der Überprüfung zu der Erkenntnis, dass die Ausführungsgrundsätze des beauftragten Wertpapierdienstleistungsunternehmens eine bestmögliche Ausführung nicht mehr gewährleisten, hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen entweder die Aufträge an ein anderes Wertpapierdienstleistungsunternehmen zur bestmöglichen Ausführung zu leiten oder dem bisherigen Wertpapierdienstleistungsunternehmen hinsichtlich des Ausführungsplatzes eine Weisung zu erteilen.
  5. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen ist nicht verpflichtet, ein anderes Wertpapierdienstleistungsunternehmen für die Ausführung der Wertpapieraufträge auszuwählen, wenn die Auswahl durch den Kunden selbst getroffen wird, wie beispielsweise durch Auswahl des Depot führenden Unternehmens seitens des Kunden, über welches die Wertpapiergeschäfte im Rahmen der Wertpapierdienstleistungen einer Vermögensverwaltung für den Kunden auszuführen sind. Auch in diesem Fall hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Kunden ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Verpflichtung zur bestmöglichen Ausführung keine Anwendung findet (Art. 66 Abs. 3 f) DV) und die Wertpapieraufträge unter Umständen nicht bestmöglich ausgeführt werden.
  6. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen ist verpflichtet, eigene Ausführungsgrundsätze unter Beachtung der in BT 4.1 bis BT 4.3 dieses Rundschreibens normierten Vorgaben zu erstellen, soweit das beauftragte Wertpapierdienstleistungsunternehmen keine eigenen Ausführungsgrundsätze vorhält bzw. die Wertpapieraufträge nur auf Weisung des weiterleitenden Wertpapierdienstleistungsunternehmens ausführt.

BT 4.5 Veröffentlichungspflichten

Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen muss einmal jährlich für jede Gattung von Finanzinstrumenten die fünf Ausführungsplätze, die ausgehend vom Handelsvolumen am wichtigsten sind, auf denen es Kundenaufträge im Vorjahr ausgeführt hat, und Informationen über die erreichte Ausführungsqualität zusammenfassen und nach den Vorgaben der Delegierten Verordnung (EU) 2017/576 (RTS 28) für die jährliche Veröffentlichung von Informationen durch Wertpapierfirmen zur Identität von Handelsplätzen und zur Qualität der Ausführung veröffentlichen.

Die Veröffentlichungspflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die Kundenaufträge zur Ausführung an andere Wertpapierdienstleistungsunternehmen weiterleiten, ergeben sich aus § 82 Abs. 13 Nr. 4 WpHG i. V. m. Art. 65 Abs. 6 DV.

BT 5 Product-Governance-Anforderungen im Zusammenhang mit der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen

Dieses Modul konkretisiert die § 63 Abs. 4, 5 und 5a, § 80 Abs. 9 – 13a, § 81 Abs. 4 und 5 WpHG, §§ 11 und 12 WpDVerOV.

BT 5.1 Vorbemerkung und Definitionen

  1. Produkte im Sinne dieses BT 5 sind Finanzinstrumente im Sinne von § 2 Abs. 4 WpHG (mit Ausnahme von Anleihen mit einer Make-Whole-Klausel, die über keine anderen eingebetteten Derivate als eine Make-Whole-Klausel verfügen) und strukturierte Einlagen im Sinne von § 2 Abs. 19 WpHG Konzepteure im Sinne dieses BT 5 sind nach § 11 Abs. 1 S. 1 und 2 WpDVerOV Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Produkte neu schaffen, entwickeln, begeben oder gestalten. Vertriebsunternehmen im Sinne dieses BT 5 sind Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die Produkte verkaufen, vertreiben, anbieten, empfehlen oder vermarkten.
  2. Bei der Umsetzung und Einhaltung der Vorgaben dieses BT 5 hat ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Art des Produktes, die relevanten Produkteigenschaften wie Komplexität (einschließlich der Kosten- und Gebührenstruktur des Produktes), Risiko-Rendite-Profil, Liquidität oder Innovationsgehalt sowie Art und Spektrum der von ihm angebotenen Wertpapierdienstleistungen zu berücksichtigen. Die Product-Governance Anforderungen nach den § 63 Abs. 4 und 5a, § 80 Abs. 9 – 13a, § 81 Abs. 4 und 5 WpHG, §§ 11 und 12 WpDVerOV und die Vorgaben dieses BT 5 gelten unabhängig davon, ob es sich um Primär- oder Sekundärmarktprodukte handelt. Es muss außerdem seine Entscheidungen im Rahmen seiner Produktüberwachungsprozesse jeweils begründen und dokumentieren; dies gilt insbesondere in Bezug auf die Zielmarktbestimmung und die damit verbundenen Vertriebsstrategien. Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die für ein Finanzinstrument sowohl als Konzepteur als auch als Vertriebsunternehmen anzusehen sind, müssen sämtliche Vorgaben dieses BT 5 nur einmal berücksichtigten, soweit diese deckungsgleich sind.
  3. Für Produkte, die vor dem 03.01.2018 hergestellt und vertrieben wurden, muss grundsätzlich kein Zielmarkt bestimmt werden. Für Produkte, die vor dem 03.01.2018 hergestellt wurden und nach diesem Datum vertrieben werden, gelten die Anforderungen für Vertriebsunternehmen nach BT 5.3 mit der Maßgabe, dass sie wie solche Produkte zu behandeln sind, die durch Unternehmen konzipiert wurden, die der Richtlinie 2014/65/EU nicht unterfallen. Beispiel: Vertriebsunternehmen haben für diese Produkte grundsätzlich einen eigenen Zielmarkt zu bestimmen. Für Produkte, die vor dem 03.01.2018 hergestellt wurden und nach diesem Datum vertrieben werden, müssen Konzepteure einen konkreten Zielmarkt im Rahmen des auf den 03.01.2018 folgenden Produktüberprüfungsprozesses bestimmen. Vertriebsunternehmen müssen diesen konkreten Zielmarkt in ihrem darauf folgenden eigenen Produktüberprüfungsprozess berücksichtigen.

BT 5.2 Vorgaben für Konzepteure

BT 5.2.1 Bestimmung des abstrakten Zielmarktes durch den Konzepteur; zu berücksichtigende Zielmarktkategorien
  1. Konzepteure dürfen den Zielmarkt nach § 11 Abs. 8 WpDVerOV auf der Grundlage theoretischer Kenntnisse und Erfahrungen im Hinblick auf das (oder ein vergleichbares) Produkt, die Finanzmärkte und die Bedürfnisse, Merkmale und Ziele potentieller Endkunden bestimmen („abstrakter Zielmarkt“).
  2. Die Bestimmung des abstrakten Zielmarktes durch den Konzepteur darf nicht ausschließlich auf der Grundlage quantitativer Kriterien erfolgen, sondern muss in ausreichender Weise auch auf qualitativen Erwägungen basieren. Hierbei sind auch die Ergebnisse der für das betreffende Produkt durchgeführten Szenario- und Gebührenstrukturanalysen gem. § 11 Abs. 9, 11 WpDVerOV zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere auch im Massengeschäft mit weitgehender Prozessautomatisierung.
    Beispiele für quantitative Kriterien sind etwa: Kriterien, die auf Rechenoperationen oder Algorithmen beruhen, die quantitative Daten über Kunden und Produkte verarbeiten oder die durch Scoring-Systeme generiert werden, die Werte für bestimmte Eigenschaften vergeben oder Lebenssachverhalte in Recheneinheiten konvertieren (z. B. anhand von Emittentenratings oder Produktvolatilitäten). In Bezug auf Szenario- und Gebührenstrukturanalysen könnten folgende Sachverhalte denkbar sein: Durchgeführte Szenarioanalysen könnten beispielsweise ergeben, dass der Wert eines Produkts besonders empfindlich auf negative Marktbedingungen reagiert, was zur Bestimmung eines enger gefassten Zielmarkts im Hinblick auf die Risikotoleranz der Kunden führen könnte. Ferner könnte die von einem Wertpapierdienstleistungsunternehmen durchgeführte Analyse der Gebührenstruktur ergeben, dass die Gebührenstruktur des Produkts nicht mit dem Zielmarkt vereinbar ist, so dass die Gebührenstruktur des Produkts zu ändern und/oder der Zielmarkt neu zu bewerten wäre.
  3. Konzepteure müssen den abstrakten Zielmarkt auf Basis der nachfolgenden fünf Kategorien bestimmen. Dabei sind für jedes Finanzinstrument detailliert Aussagen zu jeder Kategorie zu machen, ohne dass dabei die Kategorien miteinander vermischt werden. Die Aussagen zu den einzelnen Kategorien dürfen nicht isoliert, sondern müssen unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen und Kohärenz zwischen den Kategorien getroffen werden.
  4. In Ausnahmefällen, in denen die fünf Kategorien nicht ausreichen um einen aussagekräftigen Zielmarkt zu bestimmen, dürfen zusätzliche Kategorien nach Maßgabe des Konzepteurs verwendet werden. Bei der Entscheidung über die Verwendung zusätzlicher Kategorien sind ein möglichst effektiver Austausch der Zielmarktinformationen mit den Vertriebsunternehmen, die Beschaffenheit der hierfür vorgesehenen Kommunikationskanäle sowie mögliche Auswirkungen auf eine offene Produktarchitektur der betroffenen Vertriebsunternehmen zu berücksichtigen.
  5. Die Detailtiefe der zu den einzelnen Kategorien zu treffenden Aussagen richtet sich nach der Art des Produktes und der relevanten Produkteigenschaften wie Komplexität (einschließlich der Kosten- und Gebührenstruktur des Produktes), Risiko-Rendite-Profil, Liquidität oder Innovationsgehalt; dabei sind die in BT 5.2.2 niedergelegten Grundsätze zu berücksichtigen.
  6. Die fünf Zielmarktkategorien lauten:

    1. Kundenkategorie: Es ist zu beschreiben, auf welchen Kundentypus im Sinne von § 67 WpHG (Privatkunden, Professionelle Kunden, Geeignete Gegenparteien) das Produkt abzielt. Dabei ist die Entscheidung, ein Produkt ausschließlich an geeignete Gegenparteien als Endkunden zu vermarkten oder zu vertreiben, eindeutig vorab auf Grundlage der internen Prozesse des Konzepteurs zu treffen.

    2. Kenntnisse und Erfahrungen: Es ist zu beschreiben, über welche Kenntnisse die Zielkunden im Hinblick auf das Produkt verfügen müssen, wie etwa über die Art des Produktes, seine Eigenschaften oder über in thematischem Zusammenhang stehende Umstände, die das Produktverständnis erleichtern.
    Beispiel: Für strukturierte Produkte mit komplizierten Renditebedingungen könnten Konzepteure vorsehen, dass Zielkunden über Kenntnisse über die Funktionsweise dieser Produktart und die wahrscheinlichen Resultate des Produktes verfügen sollten.

    Darüber hinaus ist zu beschreiben, über welche praktische Erfahrung Zielkunden im Hinblick auf z. B. die Art des Produktes, seine Eigenschaften oder in thematischem Zusammenhang stehende Umstände, die das Produktverständnis erleichtern, verfügen sollten.
    Beispiel: Konzepteure könnten für Zielkunden einen Mindestzeitraum vorsehen, für den diese am Finanzmarkt aktiv gewesen sein sollten.

    In bestimmten Fällen können Kenntnisse und Erfahrungen wechselseitig voneinander abhängig sein.

    Beispiel:
    Ein Kunde mit geringer oder gar keiner Erfahrung kann dies durch entsprechend umfassende Kenntnisse ausgleichen.

    3. Finanzielle Situation mit Fokus auf der Verlusttragungsfähigkeit: Es ist die Höhe der Verluste anzugeben, die Zielkunden bereit bzw. in der Lage sind zu tragen (z. B. „Verluste in geringem Umfang“ oder „Totalverlust“) und ob Verlustmöglichkeiten bestehen, die über den Anlagebetrag hinausgehen (z. B. Nachschusspflichten). Zudem könnte beschrieben werden, welchen Teil seines Vermögens ein Zielkunde maximal in das jeweilige Produkt investieren sollte.

    4. Risikotoleranz bzw. Vereinbarkeit des Risiko-Rendite-Profils des Produktes mit dem Zielkunden: Es ist die Risikoneigung zu beschreiben, über die Zielkunden im Hinblick auf das Produkt verfügen sollten. Um die Anforderungen an diese Zielmarktkategorie zu erfüllen, können Konzepteure den Risikoindikator verwenden, dessen Angabe nach den für das Produkt einschlägigen Regularien wie z. B. die Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 oder Richtlinie 2009/65/EG erfolgt. Werden eigene Risikokategorien zur Beschreibung gebildet (Beispiel: „konservativ“, „ausgewogen“, „risikoorientiert“, „spekulativ“) sind diese näher zu erläutern. Soweit erforderlich, haben Wertpapierdienstleistungsunternehmen auch die Risiken zu berücksichtigen, die im PRIIP-Gesamtrisikoindikator aufgeführt sind, wie Währungs- und/oder Liquiditätsrisiken.

    5. Ziele und Bedürfnisse: Es sind die Anlageziele und Bedürfnisse der Zielkunden anzugeben, für die das Produkt geeignet ist. Die Anlageziele umfassen dabei den allgemeinen Zweck der Anlage bzw. die übergeordnete Strategie, die Zielkunden mit dem Investment verfolgen können (z. B. „Altersvorsorge“, „Vermögensaufbau“, „Ausbildungsvorsorge“, „regelmäßiger Vermögensverzehr“). Zudem ist auch der erwartete Anlagehorizont / die empfohlene Haltedauer, die das Produkt gehalten werden sollte, zu berücksichtigen, wobei die potentiellen Auswirkungen eines vorzeitigen Ausstiegs für Kunden (insb. in Bezug auf Kosten) entsprechend einzubeziehen sind. Die Anlageziele können durch weitere Angaben, wie besondere Produkteigenschaften oder bestimmte Erwartungen der Zielkunden, die das Produkt erfüllt, präzisiert werden (zum Beispiel: Produkte zur Erfüllung der Bedürfnisse der

    Zielkunden einer bestimmten Altersklasse; Produkte zur Steueroptimierung unter einem bestimmten Steuerregime des Zielkunden; Produkte zur Währungsabsicherung, Produkte, die einer nachhaltigen Anlage dienen). Innerhalb der Kategorie „Ziele und Bedürfnisse“ sind durch den Konzepteur auch alle nachhaltigkeitsbezogene Ziele zu berücksichtigen, mit denen ein Produkt vereinbar ist. Um hierbei ein ausreichendes Maß an Granularität des Zielmarkts zu gewährleisten, hat der Konzepteur bei der Ermittlung der nachhaltigkeitsbezogenen Zielen, soweit anwendbar, folgende Aspekte (im Einklang mit der Definition von „Nachhaltigkeitspräferenzen“ gem. Art. 2 Abs. 7 DV und BT 7.1 zu berücksichtigen:
    a) den Mindestanteil des Produkts, der in ökologisch nachhaltige Investitionen im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Verordnung (EU) 2020/852 investiert wird,
    b) den Mindestanteil des Produkts, der in nachhaltige Investitionen im Sinne von Art. 2 Nr. 17 der Verordnung (EU) 2019/2088 investiert wird,
    c) welche wichtigsten nachteiligen Auswirkungen (PAI) auf Nachhaltigkeitsfaktoren bei dem Produkt berücksichtigt werden, einschließlich quantitativer oder qualitativer Kriterien, mit denen diese Berücksichtigung nachgewiesen wird. (Weitere Möglichkeit: Verwendung der in Del. VO (EU) 2022/1288 aufgeführten Kategorien (anstelle eines Ansatzes, der auf jedem einzelnen PAI Indikator basiert) wie „Emissionen“, „Energie-Performance“, „Wasser und Abfall“ usw.);
    d) ob, soweit relevant, das Produkt einen Schwerpunkt auf Umwelt-, Sozial- oder Governance-Kriterien oder auf einer Kombination dieser Kriterien hat. Der unter a) und b) genannte Mindestanteil des Produkts ist dabei derjenige, der in den verbindlichen Vertragsunterlagen oder in anderen einschlägigen Rechtsdokumenten veröffentlicht wird.

  7. Ein Konzepteur ist bei der Zielmarktbestimmung nach den vorstehenden Kategorien nicht dazu verpflichtet, solche Zielkundengruppen ausdrücklich anzugeben, die durch eine andere Zielkundengruppe innerhalb derselben Kategorie bereits miterfasst sind.
    Beispiel: Für ein Produkt, das mit allen Kenntnis- und Erfahrungsstufen möglicher Zielkunden vereinbar ist, ist es ausreichend, nur solche Zielkunden anzugeben, die über die geringste Stufe, z. B. „grundlegende Kenntnisse und Erfahrungen“ verfügen, da sich hieraus ergibt, dass das Produkt auch mit Kunden vereinbar ist, die über umfassendere Kenntnisse und Erfahrungen verfügen.
  8. Bei der Beschreibung der vorstehenden fünf Zielmarktkategorien müssen sich Konzepteure um eine für den jeweiligen Zielmarkt klare und verständliche Sprache bemühen, um Missverständnissen und Fehlinterpretationen vorzubeugen. Die verwendeten Begrifflichkeiten und Konzepte zur Darstellung der Zielmarktkategorien (z. B. vom Konzepteur eigens gebildete Risikoklassen) sind klar zu beschreiben und zu erläutern.
BT 5.2.2 Bestimmung des abstrakten Zielmarktes: Berücksichtigung der Art des hergestellten Produktes
  1. Der abstrakte Zielmarkt ist in einer für die Art des Produktes angemessenen und verhältnismäßigen Art und Weise zu bestimmen, bei der insbesondere Produkteigenschaften wie z. B. Komplexität (einschließlich der Kosten- und Gebührenstruktur des Produktes), Risiko-Rendite-Profil, Liquidität oder Innovationsgehalt zu berücksichtigen sind.
  2. In diesem Zusammenhang hat der Konzepteur den Grad der Komplexität, der den hergestellten Produkten beizumessen ist, zu definieren und angemessen abzustufen, um den erforderlichen Detaillierungsgrad zu bestimmen, mit dem dann der Zielmarkt zu bestimmen ist. Obgleich „Komplexität“ ein relativer Begriff ist, der von mehreren Faktoren abhängt, sind u.a. die in Art. 25 Abs. 4 der MiFID II genannten Kriterien und Grundsätze zu berücksichtigen.
  3. Dementsprechend ist der Zielmarkt für komplexere Produkte, wie z. B. strukturierte Produkte mit komplizierten Renditebedingungen, detaillierter zu bestimmen. Für einfache, gebräuchlichere Produkte, kann der Zielmarkt dagegen weniger detailliert festgelegt werden. Je nach Produkt kann die Beschreibung einer oder mehrerer der vorstehend erwähnten Kategorien allgemeiner ausfallen. Je einfacher ein Produkt ist, desto weniger detailreich kann eine Kategorie sein. Bei bestimmten besonders komplexen und risikoreichen Produkten wie z. B. Differenzkontrakten (CFD) und anderen Produkten mit ähnlichen Merkmalen hat der Konzepteur eine sehr sorgfältige Zielmarktbestimmung vornehmen, die zu einem erheblich reduzierten Zielmarkt oder gar keinem kompatiblen Zielmarkt führt. Ist ein Konzepteur der Auffassung, dass ein CFD oder ein Produkt mit ähnlichen Merkmalen keinen kompatiblen Zielmarkt aufweist, sollte er das Produkt nicht in den Vertrieb nehmen. Ist ein Konzepteur der Ansicht, dass es einen Zielmarkt gibt, dessen Bedürfnisse, Merkmale und Ziele mit einem CFD oder einem Produkt mit ähnlichen Merkmalen vereinbar sind, so sollte sich ein solcher Zielmarkt in jedem Fall auf risikofreudige Kunden beschränken, welche die damit verbundenen Risiken verstehen und in der Lage sowie darauf vorbereitet sind, mit ihrer Anlage im Durchschnitt Geld zu verlieren; ferner sollten solche Kunden auf der Suche nach spekulativen Anlagen sein, bei denen nur geringe Chancen bestehen, positive Renditen zu erzielen.
  4. Neben dem zuvor dargestellten Ansatz zur Zielmarktbestimmung kann sich ein Konzepteur auch dafür entscheiden, den Zielmarkt dergestalt zu bestimmen, indem er für einige Produkte einen gemeinsamen Ansatz festlegt, wenn diese hinreichend vergleichbare Produktmerkmale aufweisen („Cluster-Ansatz“).
  5. Bei Anwendung eines solchen Cluster-Ansatzes hat der Konzepteur ein ausreichendes Maß an Granularität zugrunde zu legen, um sicherzustellen, dass nur Produkte mit hinreichend vergleichbaren Charakteristika und Risikomerkmalen zusammengefasst werden. Wichtig ist, dass Cluster in sich homogen und gegenüber anderen Clustern heterogen sind.
    Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Komplexität der Produkte zu legen. D. h., je komplexer die einem Cluster zugrundeliegenden Produkte sind, desto granularer hat das Clustering zu erfolgen.
    Gelangt der Konzepteur zu dem Ergebnis, dass ein Produkt für den Cluster-Ansatz nicht geeignet ist, hat ist die Bestimmung des Zielmarktes auf der Ebene des einzelnen Produkts zu erfolgen. Dies wird in der Regel bei bestimmten komplexeren Produkten der Fall sein.
  6. Beim Clustering von Produkten hat der Konzepteur verschiedene Faktoren zu berücksichtigen, die für jedes Produkt gesondert zu prüfen und bestimmen sind und auch variieren können. Hierzu zählen insbesondere:
    • Risikofaktoren (z. B. das Markt-, Kredit- und Liquiditätsrisiko);
    • die Kostenstruktur (Höhe und Art der Kosten);
    • optionale Elemente (bei Derivaten oder Produkten mit eingebetteten Derivaten);
    • finanzielle Hebelwirkung
    • Bail-in-Fähigkeit
    • Nachrangigkeitsklauseln
    • Beobachtbarkeit des Basiswerts (z. B. die Verwendung unbekannter oder undurchsichtiger Indizes);

    • Kapitalrückzahlungsgarantien oder Kapitalschutzklauseln;

    • Liquidität des Produkts (d. h. Handelbarkeit an Handelsplätzen, Geld-Brief-Spanne, Verkaufsbeschränkungen, Austrittsgebühren) sowie
    • die Währungsdenomination des Anlageprodukts.

  7. Bei der Anwendung eines Cluster-Ansatzes hat der Konzepteur für jedes spezifische Produkt zum einen zu prüfen und zum anderen zu dokumentieren, ob es a) zu einem bestimmten Cluster gehört und b) ob der für dieses Cluster ermittelte Zielmarkt somit dem betreffenden Produkt zugeordnet werden kann.
    Für jedes Cluster müssen insofern eindeutige Kriterien festgelegt werden. Die Ergebnisse der Gebührenstruktur sowie der Szenarioanalysen sind hierbei auf jeden Fall für jedes Produkt zu berücksichtigen.
  8. In jedem Fall – auch bei der Anwendung eines Cluster-Ansatzes – ist die Bestimmung des Zielmarktes so granular vorzunehmen, dass davon keine Zielkundengruppen erfasst werden, mit deren Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen ein Produkt nicht kompatibel ist.
  9. Für maßgeschneiderte Produkte darf als Zielkunde grundsätzlich der Kunde angesehen werden, der das Produkt bestellt, es sei denn, dass der Vertrieb des Produktes an andere Kunden vorgesehen ist oder sich dies aus den Umständen ergibt.
BT 5.2.3 Zusammenspiel zwischen Vertriebsstrategie und Zielmarktbestimmung des Konzepteurs
  1. Die durch den Konzepteur nach § 80 Abs. 9 S. 4 WpHG für jedes Produkt festzulegende Vertriebsstrategie muss den Vertrieb des Produktes an den Zielmarkt fördern. Soweit ein Konzepteur Einfluss darauf hat, welche Vertriebsunternehmen seine Produkte vertreiben, muss er sich nach besten Kräften bemühen, solche Vertriebsunternehmen auszuwählen, deren Kundenstamm und Dienstleistungsangebot mit dem Zielmarkt des Produktes vereinbar sind.
  2. Im Rahmen der Festlegung der Vertriebsstrategie muss der Konzepteur bestimmen, welche Informationen über den Kunden für ein Vertriebsunternehmen erforderlich sind, um den konkreten Zielmarkt sachgerecht bestimmen und abgleichen zu können. In Abhängigkeit davon muss ein Konzepteur die Wertpapierdienstleistungen vorgeben, durch die Zielkunden das Produkt erwerben können. Falls das Produkt dazu bestimmt wird, ohne Beratung vertrieben zu werden, könnte der Konzepteur zumindest einen bevorzugten Vertriebskanal vorgeben.

BT 5.3 Vorgaben für Vertriebsunternehmen

BT 5.3.1 Verhältnis der Zielmarktbestimmung zu anderen Product-Governance-Prozessen des Vertriebsunternehmens
  1. Die Zielmarktbestimmung durch Vertriebsunternehmen (d.h. Bestimmung des „konkreten“ Zielmarktes) hat für jedes Produkt als Teil des Prozesses nach § 12 Abs. 1 WpDVerOV zur Entscheidung darüber, welche Produkte und Dienstleistungen durch das Vertriebsunternehmen angeboten werden, zu erfolgen. Dieser Prozess muss zum frühestmöglichen Zeitpunkt in der Geschäftsorganisation des Vertriebsunternehmens auf Grundlage der vom jeweiligen Leitungsorgan festgelegten Geschäftspolitik und Vertriebsstrategien des jeweiligen Wertpapierdienstleistungsunternehmens durchlaufen werden, um von Beginn an sicherzustellen, dass die Produkte und damit verbundenen Dienstleistungen mit den Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen der Zielkunden des Vertriebsunternehmens vereinbar sind. Dementsprechend muss die Zielmarktbestimmung abgeschlossen sein, bevor das Produkt in den Vertrieb übernommen wird.
  2. Welche Produkte und Dienstleistungen durch das Vertriebsunternehmen angeboten werden, wie der Zielmarkt für das jeweilige Produkt und wie die jeweilige Vertriebsstrategie bestimmt wird, ist eine geschäftspolitische Entscheidung für die die Geschäftsführung die Verantwortung trägt. Der Entscheidung ist eine zentrale Rolle bei der Planung des Tagesgeschäfts einzuräumen; darüber hinaus ist sie bei allen anderen relevanten Prozessen im Zusammenhang mit dem Produkt- und Dienstleistungsangebot des Vertriebsunternehmens (wie etwa der Budgetplanung oder der Vergütung der Mitarbeiter) zu berücksichtigen.
  3. Als Teil der Zielmarktbestimmung bzw. des Prozesses zur Entscheidung darüber, welche Produkte und Dienstleistungen durch das Vertriebsunternehmen angeboten werden, muss die Vereinbarkeit des jeweiligen Produktes mit den Dienstleistungen, durch die es angeboten werden soll, sichergestellt werden. Das Vertriebsunternehmen hat in diesem Zusammenhang zu entscheiden, welche Produkte es welchen Kunden gegenüber empfehlen (Anlageberatung oder Finanzportfolioverwaltung), (beratungsfrei) anbieten, aktiv vertreiben (z. B. durch Auswahl von Kunden nach gemeinsamen Merkmalen wie Kenntnisse und Erfahrungen, finanzielle Situation, usw.) oder ohne aktive Vermarktung passiv zugänglich machen wird (etwa im Wege des reinen Ausführungsgeschäfts). Hierbei muss Folgendes besonders sorgfältig berücksichtigt werden:


    • Situationen, in denen aufgrund der Art der erbrachten Dienstleistung bzw. der daraus resultierenden Informationslage keine vollständige Zielmarktbestimmung vorgenommen bzw. kein vollständiger Überblick über die Zielmarkterreichung erhalten werden kann (insb. im beratungsfreien Geschäft mit oder ohne Angemessenheitsprüfung)

    • Entscheidungen über komplexe, risikoreiche, illiquide oder innovative Produkte bzw. über Produkte mit ähnlichen Eigenschaften

    • Situationen, in denen ein besonderer Interessenkonflikt vorliegt (z. B. bei Produkten, die vom Vertriebsunternehmen oder aus dessen Gruppe bzw. Konzern selbst emittiert werden).


    Beispiel 1: Das Vertriebsunternehmen entscheidet sich angesichts detaillierter Informationen, die ihm über Kunden aus der Anlageberatung vorliegen, diesen Kunden Produkte mit einem bestimmten Risiko-Rendite-Profil nicht beratungsfrei anzubieten.

    Beispiel 2: Obwohl bestimmte einfache Produkte beratungsfrei im reinen Ausführungsgeschäft angeboten werden könnten, entscheidet sich das Vertriebsunternehmen im Interesse eines besseren Anlegerschutzniveaus, diese nur nach einer Angemessenheits- oder Geeignetheitsprüfung anzubieten.

    Beispiel 3: Der abstrakte Zielmarkt eines Konzepteurs macht für ein Zertifikat umfangreiche Angaben zu den finanziellen Verhältnissen, über die ein Zielkunde für das Produkt verfügen soll. Das Vertriebsunternehmen vertreibt Zertifikate üblicherweise im beratungsfreien Geschäft mit Angemessenheitsprüfung. Aufgrund der Tatsache, dass die Kundenexploration im beratungsfreien Geschäft jedoch keine Informationen über die finanziellen Verhältnisse des Kunden hervorbringt und damit der Zielmarkt für den Kunden in der Kategorie „finanzielle Verhältnisse“ nicht abgeglichen werden kann, entschließt sich das Vertriebsunternehmen dazu, das Zertifikat nur im Wege der Anlageberatung zu vertreiben.

  4. Das Vertriebsunternehmen hat außerdem zu prüfen, welche Vertriebsstrategien für die verschiedenen Kundengruppen verwendet werden sollen, einschließlich der Art und Weise, wie die Produkte vermarktet werden sollen.
    Insbesondere in Fällen, in denen Wertpapierdienstleistungsunternehmen beabsichtigen, Nudging-Verfahren und Techniken der digitalen Einbindung wie Gamification-Techniken6 für den Vertrieb bestimmter Produkte zu nutzen, hat das Vertriebsunternehmen sorgfältig prüfen, ob der Einsatz solcher Techniken im besten Interesse der jeweiligen Kundengruppe wäre, für die die entsprechenden Strategien eingesetzt würden.
    Das Vertriebsunternehmen hat daher festzulegen, für welche Kundengruppen solche Dienstleistungen auf der Grundlage der Charakteristika der Kunden oder potenziellen Kunden bereitgestellt werden können.
    Bestimmte Gamification-Techniken (z. B. solche, die in Trading-Apps, eingesetzt werden, mit denen der (potenzielle) Kunde zu schädlichen Verhaltensweisen angeregt werden soll, z. B. zur Maximierung der Zahl der Geschäfte), werden niemals im Interesse eines Kunden sein.
    Darüber hinaus können Nudging-Verfahren und Digital-Engagement-Praktiken zum Vertrieb von Produkten außerhalb ihres Zielmarkts beitragen.
    Bei der Bestimmung des Zielmarktes für ihre Dienstleistungen haben Vertriebsunternehmen solche Fälle besonders zu berücksichtigen, in denen ein Bündel von Dienstleistungen für Kunden erbracht wird, wie beispielsweise Ausführungsdienstleistungen und Nebendienstleistungen wie der Gewährung von Krediten, die es einem Kunden ermöglichen, das Geschäft überhaupt durchzuführen.
  5. Ein Produkt, von dem das Vertriebsunternehmen absehen kann, dass es unter keinen Umständen mit den Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen seiner Kunden kompatibel sein kann, darf nicht in das Produktsortiment aufgenommen werden.
BT 5.3.2 Verhältnis der Zielmarktbestimmung zur Geeignetheits- bzw. Angemessenheitsprüfung

Die Pflicht des Vertriebsunternehmens, den konkreten Zielmarkt zu bestimmen und sicherzustellen, dass ein Produkt im Einklang mit dem konkreten Zielmarkt vertrieben wird, ist zusätzlich zur Geeignetheits- bzw. Angemessenheitsprüfung nach § 64 Abs. 3 bzw. § 63 Abs. 10 WpHG durchzuführen und wird durch diese nicht ersetzt.

BT 5.3.3 Bestimmung des konkreten Zielmarktes durch das Vertriebsunternehmen: Grundlagen der Zielmarktbestimmung
  1. Ungeachtet der Bestimmung des abstrakten Zielmarktes durch den Konzepteur haben Vertriebsunternehmen für ein Produkt einen eigenen, konkreteren Zielmarkt zu bestimmen, um diejenige Kundengruppe zu identifizieren, an die das Produkt konkret vertrieben werden soll („konkreter Zielmarkt“). Der Detailgrad der von den Kunden einzuholenden Informationen ist hierbei ebenfalls zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund ist durch die Vertriebsunternehmen insbesondere sicherzustellen, dass die Konzepte, die der Definition des konkreten Zielmarktes zugrunde liegen, mit den zur Geeignetheit und Angemessenheit verwendeten Konzepten übereinstimmen. Der konkrete Zielmarkt ist auf folgender Grundlage zu bestimmen:

    • Informationen des Vertriebsunternehmens über seine Kunden

    Hierzu müssen Vertriebsunternehmen eine sorgfältige Analyse ihres Kundenstammes durchführen. Als Kundenstamm sind bestehende Kunden und potentielle Neukunden (z. B. Kunden des Einlagengeschäfts, denen eine Bank Wertpapierdienstleistungen anbieten möchte) anzusehen. Zu diesem Zweck sind alle Informationen heranzuziehen, die aus Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen zur Verfügung stehen und für die Zielmarktbestimmung als nützlich anzusehen sind. Darüber hinaus können Vertriebsunternehmen zu diesem Zweck auch alle Informationen heranziehen, die aus sonstigen Quellen zur Verfügung stehen und zur Zielmarktbestimmung als nützlich angesehen werden.

    Sofern die Dienstleistung gegenüber Kunden erbracht wird, die keine natürlichen Personen sind (z.B. Anlageberatung gegenüber einer Kapitalverwaltungsgesellschaft im Hinblick auf einen Fonds), sind (ggf. zusätzlich) vergleichbare relevante Informationen zur Bestimmung der Bedürfnisse, Merkmale und Ziele der Kunden heranzuziehen (z.B. die Anlagerichtlinien des Fonds).

    • vom Konzepteur mitgeteilte bzw. selbst beschaffte Informationen über das Produkt

    • der Wertpapierdienstleistung bzw. Wertpapiernebendienstleistung, mit der das Produkt vertrieben wird.

  2. Im Übrigen gelten die Vorgaben in BT 5.2.1 und BT 5.2.2 für Vertriebsunternehmen grundsätzlich entsprechend. Bestimmt der Konzepteur einen abstrakten Zielmarkt, ist das Vertriebsunternehmen nicht verpflichtet, den Zielmarkt erneut vollumfänglich und eigenständig zu bestimmen. Zur Bestimmung des konkreten Zielmarktes ist es in diesen Fällen ausreichend, den abstrakten Zielmarkt des Konzepteurs nach Maßgabe des BT 5.2.1 und BT 5.2.2 und dieses BT 5.3.3 und BT 5.3.4. zu überprüfen und ggf. zu konkretisieren.
  3. Vertriebsunternehmen müssen im Rahmen eines speziell hierzu vorgesehenen Prozesses für jedes Produkt prüfen, ob und ggf. wie der Zielmarkt des Konzepteurs zu dem eigenen Kundenkreis passt. Die jeweilige Prüfungstiefe hat sich an der Art des Produktes und seiner Eigenschaften wie Komplexität, Risiko, Illiquidität oder Innovationsgehalt zu bestimmen. Beispiel: Die Prüfung muss für komplexere Produkte intensiver, für einfache, weit verbreitete Produkte weniger intensiv ausfallen. Im Fall von komplexeren Produkten hat das Vertriebsunternehmen zu prüfen, ob es über die Zielmarktbestimmung des Konzepteurs hinaus auch Zugang zu den diesem zugrundeliegenden Bewertungen wie z.B. den Ergebnissen der Szenario- und Gebührenstrukturanalysen benötigt. Kommt das Vertriebsunternehmen bei der Prüfung zu dem Ergebnis, dass der Zielmarkt des Konzepteurs nicht konkretisiert oder angepasst werden muss, kann der Zielmarkt des Konzepteurs übernommen werden. Die Prüfung nach S. 1 ist auch bei einfachen, weit verbreiteten Produkten stets durchzuführen (d.h. auch bei sehr einfachen Produkten kann sie sich nicht auf „Null“ reduzieren); der abstrakte Zielmarkt darf bei solchen Produkten jedoch regelmäßig übernommen werden.
  4. Kommt das Vertriebsunternehmen zu dem Ergebnis, dass der abstrakte Zielmarkt des Konzepteurs angepasst oder konkretisiert werden muss, sollen Vertriebsunternehmen nicht von den grundsätzlichen Entscheidungen abweichen, die damit getroffen worden sind. So sollen alle Entscheidungen, die mit einem geringeren als vom Konzepteur vorgesehenem Anlegerschutzniveau einhergehen (z. B. das Zugänglichmachen eines Produktes für professionelle Kunden auch an Privatkunden), nur auf eine gründliche Analyse der Zielkunden und der Eigenschaften des Produktes hin erfolgen. Über solche Entscheidungen ist der Konzepteur grundsätzlich zu informieren.
  5. Das Vertriebsunternehmen hat, wie der Konzepteuer, ebenfalls die Möglichkeit sich bei der Bestimmung des Zielmarkts bei einigen Produkten für den Cluster-Ansatz zu entscheiden, der dann den Anforderungen der in BT 5.2.2 dargelegten Grundsätze zur Gewährleistung eines ausreichenden Maßes an Granularität entsprechen muss.
    Beispiel: Um sicherzustellen, dass nur OGAW mit hinreichend vergleichbaren Merkmalen für die Bestimmung des Zielmarktes in Clustern zusammengefasst werden, könnten folgende Faktoren einbezogen werden: die Art der Anlageklassen, in die der OGAW investiert, seine Anlagestrategie, Risiken, Gebührenstruktur (z. B. Höhe und Art der Kosten), etwaige Hebelwirkungen usw. als Unterscheidungsmerkmale dienen. Diese Faktoren sollten kumulativ verwendet werden und wären im Einzelfall anzupassen / zu erweitern.
  6. Üblicherweise wird die Bestimmung des konkreten Zielmarktes durch das Vertriebsunternehmen erfolgen, nachdem ihm der Konzepteur seinen Zielmarkt für ein Produkt mitgeteilt hat. Es ist jedoch zulässig, dass Konzepteur und Vertriebsunternehmen den abstrakten und konkreten Zielmarkt nach den Vorgaben dieses BT 5 gemeinsam bestimmen. Der Konzepteur und das Vertriebsunternehmen bleiben jedoch für die Bestimmung ihres jeweiligen Zielmarktes verantwortlich.
    Beispiel: Konzepteur und Vertriebsunternehmen entwickeln einen Zielmarktstandard für die Produkte, die ihrer Geschäftsbeziehung zu Grunde liegen.
BT 5.3.4 Bestimmung des konkreten Zielmarktes durch das Vertriebsunternehmen: Wechselwirkungen der Zielmarktbestimmung mit Wertpapierdienstleistungen; Abgleich des Zielmarktes
  1. Vertriebsunternehmen haben neben der Verpflichtung zur Bestimmung des konkreten Zielmarktes grundsätzlich sicherzustellen, dass ein Produkt im Einklang mit dem Zielmarkt vertrieben wird (§ 12 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 und Abs. 5 S. 1 WpDVerOV). Hierzu hat das Vertriebsunternehmen in jedem Einzelfall und zusätzlich zu einer je nach Wertpapierdienstleistung ggf. durchzuführenden Angemessenheits- oder Geeignetheitsprüfung, einen Abgleich der Bedürfnisse, Eigenschaften und Merkmale des jeweiligen Kunden der Wertpapierdienstleistung und den entsprechenden Vorgaben aus den Kategorien des Zielmarktes vorzunehmen („Abgleich des konkreten Zielmarktes“).
  2. Ein Vertriebsunternehmen darf dem Umstand, dass der Umfang sowohl der Bestimmung des konkreten Zielmarktes wie auch des späteren Abgleichs des konkreten Zielmarktes von dem über den jeweiligen Kunden gewonnenen Informationsniveau der jeweiligen Wertpapierdienstleistung abhängt, wie folgt Rechnung tragen:

    • Anlageberatung

    - Für Produkte, die zumindest auch im Wege der Anlageberatung vertrieben werden, ist ein vollständiger konkreter Zielmarkt zu bestimmen, da die zur Durchführung der Geeignetheitsprüfung durchzuführende Kundenexploration laufend über sämtliche Informationen Aufschluss gibt, die zur Bestimmung, Prüfung oder Konkretisierung der Zielmarktkategorien erforderlich sind. Beim erstmaligen Anbieten eines Produktes oder bei Geschäftsaufnahme sind entsprechende Informationen vom Vertriebsunternehmen vorab aus anderen Quellen zu beschaffen.

    - Der Abgleich des konkreten Zielmarktes ist jeweils vollumfänglich durchzuführen.

    • Beratungsfreies Geschäft mit Angemessenheitsprüfung

    - Für Produkte, die zumindest auch im Wege des beratungsfreien Geschäfts mit Angemessenheitsprüfung und nicht auch durch Anlageberatung oder Finanzportfolioverwaltung vertrieben werden, ist es ausreichend, den konkreten Zielmarkt nur im Hinblick auf die Zielmarktkategorien „Kundenkategorie“ und „Kenntnisse und Erfahrungen“ zu bestimmen, da die zur Durchführung der Angemessenheitsprüfung durchzuführende Kundenexploration laufend nur über diese Informationen Aufschluss gibt. Beim erstmaligen Anbieten eines Produktes oder bei Geschäftsaufnahme sind entsprechende Informationen vom Vertriebsunternehmen vorab aus anderen Quellen zu beschaffen.

    - Es ist ausreichend, den Abgleich des konkreten Zielmarktes im Hinblick auf die Zielmarktkategorien „Kundenkategorie“ und „Kenntnisse und Erfahrungen“ durchzuführen. Der Kunde ist über den eingeschränkten Abgleich zu informieren. Diese Information kann standardisiert erfolgen (z.B. in den Basisinformationen). Nicht abgeglichene Zielmarktkategorien aus dem abstrakten Zielmarkt des Konzepteurs können dem Kunden mitgeteilt werden, soweit diese dem Vertriebsunternehmen vorliegen.

    • Beratungsfreies Geschäft ohne Angemessenheitsprüfung (reines Ausführungsgeschäft)

    - Für Produkte, die ausschließlich im Wege des beratungsfreien Geschäfts ohne Angemessenheitsprüfung (reines Ausführungsgeschäft) vertrieben werden, ist es ausreichend, den konkreten Zielmarkt nur im Hinblick auf die Zielmarktkategorie „Kundenkategorie“ zu bestimmen.

    - Es ist ausreichend, den Abgleich des konkreten Zielmarktes nur im Hinblick auf die Zielmarktkategorie „Kundenkategorie“ durchzuführen. Der Kunde ist über den eingeschränkten Abgleich zu informieren. Diese Information kann standardisiert erfolgen (z.B. in den Basisinformationen). Nicht abgeglichene Zielmarktkategorien aus dem abstrakten Zielmarkt des Konzepteurs können dem Kunden mitgeteilt werden, soweit diese dem Vertriebsunternehmen vorliegen.

  3. Wird ein Produkt durch verschiedene Dienstleistungen vertrieben, hat die Bestimmung des konkreten Zielmarktes für dieses Produkt generell nach den Grundsätzen für die Dienstleistung mit den umfassendsten Kundenexplorationspflichten zu erfolgen. Der Abgleich des konkreten Zielmarktes erfolgt in solchen Fällen nach den vorstehenden Grundsätzen der jeweils tatsächlich erbrachten Dienstleistung.

    Beispiel 1: Ein Vertriebsunternehmen vertreibt ein einfaches, weit verbreitetes Produkt, das von einem Konzepteur emittiert wird, der nicht „Konzepteur“ im Sinne von § 11 Abs. 1 WpDVerOV ist (siehe hierzu auch näher BT 5.3.7), im reinen Ausführungsgeschäft. Bei der Bestimmung des konkreten Zielmarktes kann das Vertriebsunternehmen nicht auf Angaben des Konzepteurs zurückgreifen und legt die in dieser Situation eigenständig zu bestimmende Zielmarktkategorie „Kundenkategorie“ mit „Privatkunden“ fest. In der konkreten Vertriebssituation gegenüber dem Kunden, wird dementsprechend nur dessen Kundenkategorie abgeglichen, d.h. überprüft, ob es sich bei ihm tatsächlich um einen Privatkunden handelt.

    Beispiel 2: Ein Vertriebsunternehmen bietet ein Zertifikat sowohl im beratungsfreien Geschäft mit Angemessenheitsprüfung als auch im Wege der Anlageberatung an. Bei der Bestimmung des konkreten Zielmarktes ist das Vertriebsunternehmen damit verpflichtet, alle Zielmarktkategorien für das Produkt zu bestimmen. In der Anlageberatungssituation gleicht der Berater alle Zielmarktkategorien mit den Bedürfnissen, Eigenschaften und Merkmalen des konkreten Kunden ab. Bei einem Verkauf im beratungsfreien Geschäft mit Angemessenheitsprüfung gleicht der Verkäufer hingegen nur die Kategorien „Kundenkategorie“ und „Kenntnisse und Erfahrungen“ mit den aus der Kundenexploration gewonnenen Informationen über den Kunden ab und informiert den Kunden über den eingeschränkten Abgleich.

  4. Verwendet ein Vertriebsunternehmen im Vorfeld von oder bei einer Wertpapierdienstleistung Informationen über Kunden, die nach den vorstehenden Grundsätzen bei Bestimmung und Abgleich des Zielmarktes eigentlich nicht zum Tragen kämen, muss das Vertriebsunternehmen diese gleichwohl berücksichtigen.

    Beispiel: Ein Vertriebsunternehmen bietet Zertifikate eines anderen Wertpapierdienstleistungsunternehmens ausschließlich im beratungsfreien Geschäft mit Angemessenheitsprüfung an. Bei der Bestimmung und dem späteren Abgleich des konkreten Zielmarktes wären daher die Zielmarktkategorien „Kundenkategorie“ sowie „Kenntnisse und Erfahrungen“ zu berücksichtigen, zudem wäre der Kunde über den eingeschränkten Abgleich zu informieren. In einer Mailingaktion zum Vertrieb der Zertifikate spricht das Unternehmen jedoch nur solche Kunden an, von denen ihm aus anderen Quellen bekannt ist, dass sie über ein für Investitionen freies Vermögen von über 100.000 € verfügen. Durch die Verwendung dieser Informationen bei der Ansprache der Kunden ist das Vertriebsunternehmen verpflichtet, auch die Zielmarktkategorie „finanzielle Verhältnisse“ abzugleichen bzw. bei der Zielmarktbestimmung zu berücksichtigen.

  5. Erbringt ein Vertriebsunternehmen die Finanzportfolioverwaltung, darf es den Besonderheiten dieser Dienstleistung wie folgt Rechnung tragen:

    • Das Vertriebsunternehmen hat einen konkreten Zielmarkt entsprechend des BT 5.3.3 für die Anlagestrategien zu bestimmen, die bei der Finanzportfolioverwaltung zum Einsatz kommen sollen. Wird eine individuelle Anlagestrategie erstellt, gilt BT 5.2.2 Nr. 4 sinngemäß.

    • Der konkrete Zielmarkt der jeweiligen Anlagestrategie ist mit dem betreffenden Kunden abzugleichen. Individuelle Anlagestrategien unter sinngemäßer Anwendung des BT 5.2.2 Nr. 4 bedürfen keines Abgleichs.

    • Das Vertriebsunternehmen hat den nach BT 5.3.1 konkretisierten Prozess nach § 12 Abs. 1 WpDVerOV zur Entscheidung darüber, welche Produkte und Dienstleistungen durch Vertriebsunternehmen angeboten werden mit der Maßgabe durchzuführen, dass der Prozess neben der Geltung für Produkte, die in den Portfolien der Kunden verwendet werden sollen, auch auf die Anlagestrategien zu erstrecken ist, die im Rahmen der Finanzportfolioverwaltung zum Einsatz kommen sollen.

    • Eine Konkretisierung des abstrakten Zielmarktes bzw. der Vertriebsstrategie für Produkte von Konzepteuren, die der Richtlinie 2014/65/EU unterfallen oder die eigenständige Bestimmung eines konkreten Zielmarktes bzw. einer Vertriebsstrategie für Produkte von Konzepteuren, die der Richtlinie 2014/65/EU nicht unterfallen, ist im Rahmen der Finanzportfolioverwaltung nicht erforderlich.

    • Ein produktbezogener Zielmarktabgleich ist auf Ebene der für den Kunden durchgeführten Einzeltransaktion nicht erforderlich, sofern diese vom Rahmen der vereinbarten Anlagestrategie gedeckt ist.

BT 5.3.5 Bestimmung der Vertriebsstrategie durch Vertriebsunternehmen
  1. Das Vertriebsunternehmen muss die Vertriebsstrategie des Konzepteurs kritisch hinterfragen und bei der Bestimmung seiner eigenen Vertriebsstrategie nach § 80 Abs. 10 S. 2 WpHG berücksichtigen. Unter Berücksichtigung der Art des Produktes, der Wertpapierdienstleistung und der Merkmale des eigenen Kundenstammes hat das Vertriebsunternehmen die vom Konzepteur festgelegte Vertriebsstrategie – soweit erforderlich - zu verfeinern.
    Gelangt das Vertriebsunternehmen im Rahmen dieses Prozesses zu dem Ergebnis, dass ein komplexeres Produkt mit relativ engem Zielmarkt auch im Rahmen von beratungsfreien Dienstleistungen vertrieben werden kann, hat es zusätzliche Maßnahmen zu ermitteln, um sicherzustellen, dass die Vertriebsstrategie mit dem Zielmarkt des Produkts kompatibel ist; u.a. durch Berücksichtigung folgender Aspekte:
    • Auswahl der Marketingstrategie für das Produkt (aktives Marketing, Einsatz von Nudging-und/oder Gamification-Techniken, „Finfluencer“7 u.ä.). Beispiel: Ein Vertriebsunternehmen könnte sich dafür entscheiden, ein komplexeres Produkt nur auf Anfrage eines Kunden zur Verfügung zu stellen, es selbst aber nicht aktiv zu vermarkten. Eine weitere Möglichkeit wäre, beim Vertrieb eines solchen Produkts nicht auf etwaige Gamification-Techniken oder Finfluencer zurückzugreifen,

    • Klärung des „ob“ und“ wie“ einer Produkt-/Vertriebsanzeige.
    Beispiel: Im Rahmen der Entscheidung eines Vertriebsunternehmens, wie es ein Produkt gegenüber einem Kunden vertreibt, könnte es bei einem komplexeren Produkt zu dem Ergebnis kommen, dieses nicht an prominenter Stelle auf der Website oder an der Spitze der Suchergebnisse eines Kunden anzuzeigen. Je nach Komplexität des Produktes könnte es ebenfalls zu dem Ergebnis kommen, ein solches Produkt nur dann anzuzeigen, wenn ein Kunde dies ausdrücklich verlangt.

    Die oben unter BT 5.3.3 genannten Grundsätze gelten für die Bestimmung der Vertriebsstrategie des Vertriebsunternehmens entsprechend.

    Beispiel 1: Das Vertriebsunternehmen entschließt sich dazu, ein Produkt, für das die Vertriebsstrategie eines Konzepteurs den Vertrieb im beratungsfreien Geschäft mit Angemessenheitsprüfung vorsieht, im Interesse eines besseren Anlegerschutzes nur im Wege der Anlageberatung anzubieten, da sein Kundenstamm überwiegend aus Privatkunden mit geringen Kenntnissen und Erfahrungen, einem kurzfristigen Anlagehorizont und unsicheren finanziellen Verhältnissen besteht.

  2. In Fällen, in denen sich das Vertriebsunternehmen zu einer Vertriebsstrategie mit einem geringeren als vom Konzepteur vorgesehenen Anlegerschutzniveau entschließt, sollte dies nur auf eine gründliche Analyse der Zielkunden und der Eigenschaften des Produktes hin erfolgen. Über eine solche Abweichung ist der Konzepteur zu informieren, so dass er diesen Umstand in seinen Product-Governance-Prozessen, insbesondere beim Auswahlprozess der Vertriebsunternehmen, berücksichtigen kann.

    Beispiel 2: Das Vertriebsunternehmen entschließt sich dazu, ein bestimmtes Produkt, für das der Konzepteur in seiner Vertriebsstrategie die Anlageberatung vorgesehen hatte, beratungsfrei zu vertreiben.

BT 5.3.6 Vertrieb außerhalb des Zielmarktes; Zielmarktbestimmung und Zielmarktabgleich im Kontext von Finanzportfolioverwaltung, Anlageberatung mit Portfoliobezug, Hedging und Diversifikation
  1. Ein Produkt soll im Regelfall nicht an Kunden außerhalb des positiven Zielmarktes vertrieben werden. Entsprechende Abweichungen müssen durch die Umstände des jeweiligen Einzelfalls gerechtfertigt sein. Sie sind zu dokumentieren, zu begründen, in die ggf. zu erteilende Geeignetheitserklärung aufzunehmen und dem Konzepteur in Rahmen des Informationsaustausches nach BT 5.4.2 mitzuteilen.
  2. Ein Produkt soll außer in seltenen Ausnahmefällen nicht an Kunden innerhalb des negativen Zielmarktes vertrieben werden. Entsprechende Abweichungen müssen durch besonders schwerwiegende Umstände des jeweiligen Einzelfalls gerechtfertigt sein. Sie sind zu dokumentieren, ausführlich zu begründen, in die ggf. zu erteilende Geeignetheitserklärung aufzunehmen und dem Konzepteur in Rahmen des Informationsaustausches nach BT 5.4.2 mitzuteilen.
  3. Erbringt ein Vertriebsunternehmen die Finanzportfolioverwaltung oder die Anlageberatung mit Portfoliobezug, dürfen Produkte zu Diversifikations- oder Hedgingzwecken außerhalb des positiven Zielmarktes vertrieben werden, ohne dass hierzu eine Meldung der Abweichung vom Zielmarkt an den Konzepteur erforderlich ist, wenn das Portfolio des Kunden insgesamt oder die Kombination eines Produktes mit seinem Hedgegeschäft für den Kunden geeignet ist. Dies gilt auch für Verkäufe außerhalb des positiven Zielmarktes im Zusammenhang mit den Nachhaltigkeitspräferenzen, sofern der Ansatz mit den Grundsätzen des BT 7.1.8 Nr. 12 im Einklang steht. Die Abweichung ist in die [ggf.] zur Verfügung zu stellende Geeignetheitserklärung aufzunehmen. Erfolgt ein Vertrieb nach S. 1 innerhalb des negativen Zielmarktes, ist der Konzepteur über diesen Umstand zu informieren. Ein solcher Vertrieb innerhalb des negativen Zielmarktes soll grundsätzlich die Ausnahme sein.
  4. Die Erbringung von Anlageberatungsdienstleistungen mit Portfoliobezug oder Finanzportfolioverwaltung entbindet ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht von der Festlegung eines Zielmarktes für jedes zu vertreibende Produkt und von der Überwachung von Abweichungen vom Zielmarkt, um sicherzustellen, dass Produkte nur dann außerhalb des Zielmarktes vertrieben werden, wenn dies aus Gründen der Diversifizierung oder Absicherung gerechtfertigt werden kann. In diesem Sinne können Abweichungen von den Zielmarktkategorien „Kundentyp“ und „Kenntnisse und Erfahrung der Kunden“ nicht damit begründet werden, dass sie der Diversifizierung und dem Hedging dienen. Im Falle der Portfolioverwaltung kann jedoch angesichts der spezifischen Art der Dienstleistung beim Niveau der „Kenntnisse und Erfahrungen der Kunden“ des Zielmarktes der in den ESMA- Leitlinien zur Geeignetheit beschriebene Ansatz berücksichtigt werden.
  5. Stellen Vertriebsunternehmen, etwa aufgrund entsprechender Kundenbeschwerden oder anderer Informationsquellen fest, dass der Vertrieb eines Produktes – vorbehaltlich der vorgenannten Ausnahmen – außerhalb des positiven Zielmarktes regelmäßig (z. B. an eine Vielzahl von Kunden) erfolgt, muss dies im Rahmen des Überprüfungsprozesses für Produkte und Dienstleistungen angemessen berücksichtigt werden.
    Beispiel:
    Das Vertriebsunternehmen untersucht, ob die Bestimmung des konkreten Zielmarktes korrekt erfolgt ist oder kommt zu dem Schluss, dass die Vertriebsstrategie für das Produkt angepasst werden muss.
BT 5.3.7 Vertrieb von Produkten die durch Unternehmen konzipiert wurden, die der Richtlinie 2014/65/EU nicht unterfallen
  1. Vertriebsunternehmen, die Produkte vertreiben, die durch Unternehmen konzipiert wurden, die der Richtlinie 2014/65/EU nicht unterfallen, sind verpflichtet, diese Produkte so weit als erforderlich zu prüfen, um ein Anlegerschutz- und Dienstleistungsniveau gegenüber ihren Kunden zu gewährleisten, das mit einem solchen vergleichbar ist, das bestünde, wenn das Produkt im Einklang mit den Vorgaben der § 63 Abs. 4 und 5, § 80 Abs. 9 – 13, § 81 Abs. 4 und 5 WpHG konzipiert worden wäre. Dabei bedarf es insbesondere

    • der eigenständigen Bestimmung eines konkreten Zielmarktes für das Produkt nach BT 5.3.3;

    • eines angemessenen Informationsbeschaffungsprozesses zur Gewinnung hinreichender und verlässlicher Informationen, um einen konkreten Zielmarkt bestimmen und das Produkt im Einklang mit diesem vertreiben zu können.

  2. Entsprechende Informationen dürfen aus öffentlich verfügbaren Quellen bezogen werden, wenn sie eindeutig, verlässlich und zu regulatorischen Zwecken erstellt wurden (z. B. Veröffentlichungen nach den Richtlinien 2011/61/EU, 2003/71/EG, 2013/50/EU, 2009/65/EG oder der Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 wie z. B. das PRIIPS-KID, ein Wertpapierprospekt oder Veröffentlichungen nach äquivalenten Drittstaaten-Regularien). Sind erforderliche Informationen nicht öffentlich verfügbar, sollte das Vertriebsunternehmen die Informationen im Rahmen einer entsprechenden Vereinbarung vom Konzepteur beziehen.
  3. Die Angemessenheit des Informationsbeschaffungsprozesses richtet sich unter anderem nach der Verfügbarkeit von Informationen über das Produkt und der Art und Komplexität bzw. anderer relevanter Eigenschaften des Produktes. Informationen über einfache, weit verbreitete Produkte, wie z. B. Aktien, können üblicherweise den für sie erforderlichen regulatorischen Veröffentlichungen entnommen werden und bedürfen in der Regel keiner Vereinbarung mit dem Konzepteur.
  4. Ist es einem Vertriebsunternehmen nicht möglich, ausreichende Informationen über ein Produkt einzuholen, das durch ein Unternehmen konzipiert wurde, das der Richtlinie 2014/65/EU nicht unterfällt, darf es das Produkt im Regelfall nicht in sein Produktsortiment aufnehmen.
  5. Bestimmen Unternehmen, die der Richtlinie 2014/65/EU nicht unterfallen, einen abstrakten Zielmarkt oder eine Vertriebsstrategie (z. B. freiwillig oder auf Basis vertraglicher Vereinbarung), darf das Vertriebsunternehmen diese Angaben wie solche behandeln, die von einem Konzepteur bestimmt worden sind, der der Richtlinie 2014/65/EU unterfällt, wenn für das Vertriebsunternehmen ersichtlich ist, dass die Bestimmung nach Maßgabe dieses BT 5 erfolgt ist.

BT 5.4 Vorgaben für Konzepteure und Vertriebsunternehmen

BT 5.4.1 Bestimmung des negativen Zielmarktes
  1. Konzepteure und Vertriebsunternehmen haben zu prüfen, ob der abstrakte bzw. konkrete Zielmarkt neben der Beschreibung derjenigen Zielkunden, mit denen das Produkt vereinbar ist („positiver Zielmarkt“), mit einer Beschreibung derjenigen Zielkunden zu versehen ist, mit denen das Produkt nicht vereinbar ist („negativer Zielmarkt“). Bei dieser Prüfung gelten die Grundsätze zur Bestimmung des positiven Zielmarktes grundsätzlich entsprechend, insbesondere

    • muss die Prüfung für die fünf in BT 5.2.1 genannten Zielmarktkategorien erfolgen;

    • hängt die Menge und Detailtiefe der gegebenenfalls zu machenden Angaben zu den negativen Zielmarktkategorien entsprechend BT 5.2.2 von der Art des Produktes und seinen Eigenschaften wie Komplexität, Liquidität, Innovationsgehalt oder Risiko-Rendite-Profil ab. Einfache, weit verbreitete Produkte verfügen im Regelfall über eine kleinere Zahl von Zielkunden, mit denen das Produkt nicht kompatibel ist als komplexere Produkte.

  2. Bei Produkten, die Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigen, sind die Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht verpflichtet, einen negativen Zielmarkt im Hinblick auf nachhaltigkeitsbezogene Ziele zu bestimmen. Dies bedeutet, dass die nachhaltigkeitsbezogenen Ziele von Produkten nur dazu beitragen, einen „positiven“ Zielmarkt im Hinblick auf Kunden (Kundengruppen) mit kompatiblen nachhaltigkeitsbezogene Ziele zu identifizieren. Dieselben Produkte könnten weiterhin an Kunden außerhalb dieses „positiven“ auf nachhaltigkeitsbezogene Ziele bezogenen Zielmarkt vertrieben werden, sofern sie mit den Merkmalen der anderen Zielmarktkategorien im Sinne des BT 5.2 vereinbar sind.
    Auch wenn bei diesen Produkten kein negativer Zielmarkt in Bezug auf nachhaltigkeitsbezogene Ziele zu bestimmen ist, ist stets eine negative Zielmarktprüfung in Bezug auf die übrigen fünf Zielmarktkategorien (Art des Kunden, Kenntnisse und Erfahrung, finanzielle Situation, Risikotoleranz sowie Ziele und Bedürfnisse) durchzuführen. Dadurch soll beurteilt werden, ob diese anderen Zielmarktaspekte mit bestimmten Kunden unvereinbar sein könnten.
    Beispiel 1: In Bezug auf ein nachhaltiges Produkt (z. B. ein nachhaltiger Fonds) ist kein negativer Zielmarkt in Bezug auf etwaige nachhaltigkeitsbezogene Ziele zu bestimmen. Etwas anders gilt in Bezug auf die anderen Zielmarktkategorien im Sinne des BT 5.2.1 Diesbezüglich ist für den fraglichen Fonds ein negativer Zielmarkt zu bestimmen. Soweit die übrigen, nicht nachhaltigkeitsbezogenen Zielmarktkriterien des positiven Zielmarkts für einen Kunden passen, kann der Fonds auch an einen Kunden ohne nachhaltigkeitsbezogene Ziele vertrieben werden.
    Beispiel 2: Ein risikoreiches nachhaltiges Produkt ist nur für Kunden mit einem langfristigen Anlagehorizont bestimmt, die bereit und in der Lange sind, ihren Anlagebetrag zu verlieren. Ein solches Produkt wäre nicht mit Kunden mit einer geringen Risikotoleranz kompatibel, unabhängig davon, ob deren Nachhaltigkeitspräferenzen mit den Nachhaltigkeitszielen des Produkts vereinbar sind oder nicht.
  3. Soweit Merkmale des positiven Zielmarktes implizit bereits eine eindeutige Aussage über den entsprechenden negativen Zielmarkt in dieser Kategorie treffen, ist es ausreichend, dass der Konzepteur oder das Vertriebsunternehmen den negativen Zielmarkt insoweit pauschal, etwa durch Angaben wie „Kunden außerhalb dieses positiven Zielmarktmerkmals“ bestimmt.
BT 5.4.2 Produktüberprüfungsprozess im Hinblick auf die Zielmarktbestimmung; Informationsaustausch zwischen Konzepteur und Vertriebsunternehmen über die Zielmarkterreichung
  1. Konzepteure und Vertriebsunternehmen haben ihre im Vertrieb befindlichen Produkte regelmäßig zu überprüfen, um einzuschätzen, ob ein Produkt immer noch im Einklang mit den Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen, einschließlich etwaiger nachhaltigkeitsbezogener Ziele steht und ob die beabsichtigte Vertriebsstrategie immer noch angemessen ist.
  2. Sie haben hierbei sowohl quantitative als auch qualitative Kriterien heranziehen, um Produkte mit Blick auf ihre Merkmale (z. B. Änderungen der Risikofaktoren des Produkts, Anlagestrategie, Kostenstruktur (z. B. Höhe und Art der Kosten)), Marktbedingungen (z. B. ungünstige Marktbedingungen, regulatorische Entwicklungen) und Vertrieb (z. B. Beschwerden von Kunden, Verkäufe außerhalb des Zielmarkts, Ergebnisse von Kundenbefragungen, Handelsverhalten von Online-Kunden) zu überprüfen.
    Die Häufigkeit und Tiefen der jeweiligen Produktüberprüfung ist dabei unter Berücksichtigung der Art des jeweiligen Produkts sowie gegebenenfalls der Dienstleistung festzulegen.
    Beispiel 1: Bei bestimmten einfacheren Produkten, die im Rahmen der reinen Ausführung vertrieben werden, könnten Produktprüfungen ggf. seltener stattfinden und weniger tiefgehend sein als bei vergleichbaren Produkten, die im Rahmen einer Anlageberatung vertrieben werden.
    Beispiel 2: Ad-hoc-Überprüfungen könnten z. B. durch Kundenbeschwerden und/oder Marktereignisse ausgelöst werden, die das Risiko-Rendite-Profil des Produkts erheblich beeinflussen.
    Der Turnus der Abfrage kann insofern risikoorientiert bzw. dem Proportionalitätsprinzip entsprechend festgelegt werden. Bei einfachen Produkten kann zum Beispiel eine jährliche Abfrage ausreichend sein. Bei komplexeren, risikoreicheren, illiquideren oder innovativeren Produkten soll die Abfrage beispielsweise häufiger erfolgen.
  3. Der zuvor dargestellte Verhältnisgrundsatz betreffend den Überprüfungsprozess gilt auch in Bezug auf Konzepteure, die ein Wertpapiere emittierendes Unternehmen bei der Einführung eines neuen Produkts beraten haben. Er kann die Überprüfungspflicht in verhältnismäßiger Weise anwenden.
  4. Im Zuge der regelmäßigen Überprüfung eines Produktes nach § 11 Abs. 13 WpDVerOV müssen Konzepteure festlegen, welche Informationen Sie benötigen, um festzustellen, ob ein Produkt auch weiterhin mit dem Zielmarkt vereinbar und die Vertriebsstrategie angemessen ist und wie sie diese Informationen erhalten bzw. abfragen. Diese Informationen können beispielsweise Folgendes umfassen:

    • Die Anzahl und die Art der Vertriebskanäle die durch Vertriebsunternehmen für das Produkt eingesetzt wurden;

    • Das Verhältnis zwischen Vertrieb des Produktes innerhalb und außerhalb des Zielmarktes;

    • Eine Zusammenfassende Beschreibung der typischen Kundengruppen, die das Produkt erwerben;

    • Eine Zusammenfassung der Beschwerden, die das Vertriebsunternehmen zu dem Produkt erhalten hat;

    • Antworten auf Fragebögen, die der Konzepteur dem Vertriebsunternehmen für einen bestimmten Kundenkreis vorgelegt hat.

    Die Vertriebsunternehmen sollen die auszutauschenden Informationen bei Bedarf mitgestalten können. In die Informationsanforderung durch die Konzepteure ist daher ein Freitextfeld aufzunehmen, das es Vertriebsunternehmen ermöglicht, weitere, eigene Anmerkungen zum jeweiligen Produkt zu machen.

  5. Das Vertriebsunternehmen muss den Konzepteur bei dessen regelmäßiger Überprüfung eines Produktes nach § 11 Abs. 13 WpDVerOV unterstützen, indem es ihm entsprechende Vertriebsinformationen und andere relevante Informationen, die aus seiner eigenen regelmäßigen Überprüfung des Produktes nach § 12 Abs. 9 WpDVerOV resultieren, übermittelt. Bei relevanten Informationen sollte dies pro aktiv und nicht nur auf Anfrage des Konzepteurs erfolgen. Vertriebsunternehmen müssen bei der Übermittlung insbesondere Folgendes berücksichtigen:

    • Informationen aus denen sich ergeben kann, dass der Zielmarkt des Produktes falsch bestimmt wurde;

    • Informationen darüber, dass ein Produkt, z. B. aufgrund von Illiquidität oder sehr volatilen Marktbedingungen, nicht mehr mit dem derzeit bestimmten Zielmarkt vereinbar ist;

    • Informationen über Entscheidungen, Produkte außerhalb des Zielmarktes oder innerhalb des negativen Zielmarktes zu vertreiben oder die vom Konzepteur empfohlene Vertriebsstrategie abzuändern (vgl. oben BT 5.3.6).

  6. Informationen müssen nicht auf Einzelfall- oder Einzelproduktbasis, sondern dürfen in zusammengefasster Form übermittelt werden, es sei denn, bestimmte Informationen sind für ein einzelnes Produkt von besonderer Bedeutung (z. B. wenn das Vertriebsunternehmen zu dem Schluss kommt, dass der abstrakte Zielmarkt für ein Produkt falsch bestimmt worden ist oder Abweichungen vom Zielmarkt für ein Produkt häufig vorkommen).
  7. Für die Zwecke ihrer eigenen Prüfpflicht haben die Vertriebsunternehmen festzulegen, welche konkreten Informationen sie benötigen, um zuverlässige Schlussfolgerungen ziehen zu können, ob Produkte an den jeweils identifizierten Zielmarkt vertrieben wurden. Um entsprechende zuverlässige Schlussfolgerungen ziehen zu können, sind ggf. weitere Informationen über ihre Kunden notwendig.
    Darüber hinaus sollten die Wertpapierdienstleistungsunternehmen ihre Vertriebsstrategie für komplexere Produkte, die im Rahmen beratungsfreier Verkäufe vertrieben werden, überdenken, wenn die Überprüfung beispielsweise zeigt, dass solche Produkte zu oft außerhalb des positiven Zielmarkts und/oder innerhalb des negativen Zielmarkts, vertrieben werden.
  8. Vertriebsunternehmen sind zur Überprüfung von Produkten verpflichtet, solange diese angeboten, verkauft oder empfohlen werden. Wenn beispielsweise ein Vertriebsunternehmen ein Produkt nicht mehr anbietet, verkauft oder empfiehlt, ist es nicht mehr verpflichtet, den Zielmarkt dieses Produkts zu überprüfen, obwohl ein Kunde möglicherweise noch Anlagen in diesem Produkt hält. Anders verhält es sich, wenn ein Vertriebsunternehmen seinen Kunden empfiehlt, ein Produkt, das er nicht mehr anbietet oder verkauft, zu halten. In diesem Fall hat es eine Überprüfung des Zielmarkts vornehmen, bevor es diese Empfehlung abgibt.

BT 5.5 Die Zielmarktbestimmung im Geschäft mit professionellen Kunden und geeigneten Gegenparteien

BT 5.5.1 Professionelle Kunden und geeignete Gegenparteien als Glieder einer Vertriebskette

Die Pflicht zur Bestimmung des abstrakten bzw. konkreten Zielmarktes ist produktbezogen und damit grds. unabhängig von einem Vertrieb des Produktes im Privat- oder Großkundengeschäft. Nach § 80 Abs. 9 S. 2 WpHG muss sich der Zielmarkt auf “Endkunden”, d.h. diejenigen Kunden beziehen, die am Ende einer Vertriebskette adressiert werden. Es ist daher nicht erforderlich, dass Konzepteur und Vertriebsunternehmen einen Zielmarkt für Kunden bestimmen, die Glieder einer Vertriebskette und keine Endkunden sind. Professionelle Kunden oder geeignete Gegenparteien, die ein Produkt erwerben, um es weiter zu vertreiben, sind keine „Endkunden“ in diesem Sinne sondern „Vertriebsunternehmen“, die ihrerseits die für sie geltenden Product-Governance-Anforderungen zu erfüllen haben.

Beispiel: Erwirbt eine geeignete Gegenpartei ein Produkt von einem Wertpapierdienstleistungsunternehmen, um es an professionelle Kunden und Privatkunden als Endkunden zu vertreiben, muss sie beispielsweise einen konkreten Zielmarkt für das Produkt bestimmen. Nimmt die geeignete Gegenpartei vor dem Vertrieb Veränderungen an dem Produkt vor, dürften zudem auch die Product-Governance-Vorgaben für Konzepteure zu beachten sein.

BT 5.5.2 Privatkunden und Professionelle Kunden als Endkunden

Der abstrakte Zielmarkt ist vom Konzepteur grundsätzlich unabhängig davon, ob ein Produkt ganz oder teilweise an Privatkunden oder professionelle Kunden als Endkunden vertrieben werden soll, vollumfänglich zu bestimmen.

BT 5.5.2.1 Professionelle Kunden als Endkunden

Bei der Bestimmung des konkreten Zielmarktes dürfen Vertriebsunternehmen § 67 Abs. 2 WpHG und Art. 54 Abs. 3 UA 2 DV wie folgt berücksichtigen:

  • Wird ein Produkt ausschließlich an geborene professionelle Kunden vertrieben, ist das Vertriebsunternehmen nicht verpflichtet, die Kategorien „Kenntnisse und Erfahrungen“ und „Finanzielle Situation“ des konkreten Zielmarktes zu bestimmen.
  • Wird ein Produkt an gekorene professionelle Kunden ausschließlich im Rahmen von Wertpapierdienstleistungen, für die sie als professionell eingestuft wurden vertrieben (und ggf. daneben auch an geborene professionelle Kunden), ist das Vertriebsunternehmen nicht verpflichtet, die Kategorie „Kenntnisse und Erfahrungen“ des konkreten Zielmarktes zu bestimmen.
  • Im konkreten Einzelfall ist ein Vertriebsunternehmen gegenüber einem geborenen professionellen Kunden nicht verpflichtet, die Zielmarktkategorien „Kenntnisse und Erfahrungen“ und „Finanzielle Situation“ abzugleichen (selbst wenn diese Kategorie im konkreten Zielmarkt bestimmt wurde, z. B. weil das Produkt an Privatkunden und professionelle Kunden gleichermaßen vertrieben wird). Gegenüber gekorenen professionellen Kunden muss die Zielmarktkategorie „Kenntnisse und Erfahrungen“ nicht abgeglichen werden, wenn ihre Einstufung als professioneller Kunde für die im Hinblick auf das Produkt erbrachte Wertpapierdienstleistung vorliegt.

BT 6 Prüfung der Angemessenheit nach § 63 Abs. 10 WpHG und Art. 55 und 56 DV sowie Anforderungen an das reine Ausführungsgeschäft nach § 63 Abs. 11 WpHG i. V. m. Art. 57 DV

Dieses Modul konkretisiert § 63 Abs. 10 und 11 WpHG und Art. 55, Art. 56 und 57 DV.

BT 6.1 Informationen an die Kunden über die Angemessenheitsbeurteilung und über das reine Ausführungsgeschäft

  1. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen rechtzeitig vor der Erbringung von Dienstleistungen ohne Beratung ihre Kunden in eindeutiger und verständlicher Sprache über die Angemessenheitsbeurteilung und ihren Zweck informieren, der darin besteht, die Unternehmen in die Lage zu versetzen, im besten Interesse des Kunden zu handeln.
  2. Diese Information muss Folgendes umfassen:


    • eine klare Erläuterung, dass das Unternehmen für die Durchführung der Beurteilung verantwortlich ist, damit die Kunden nachvollziehen können, warum sie gebeten werden, bestimmte Informationen bereitzustellen, und dass es wichtig ist, dass diese Informationen aktuell, zutreffend und vollständig sind;

    • einen Hinweis, dass es im Interesse des Kunden ist, die Fragen des Unternehmens zum Zweck der Angemessenheitsbeurteilung zutreffend und vollständig zu beantworten;

    • Informationen bezüglich der Fälle, in denen keine Beurteilung vorgenommen wird (d. h. in denen der Kunde die erbetenen Informationen nicht bereitstellt oder die bereitgestellten Informationen nicht ausreichen, um eine Angemessenheitsbeurteilung durchzuführen, oder Dienstleistungen im Rahmen der Ausnahme des reinen Ausführungsgeschäfts8 erbracht werden) und die damit verbundenen Konsequenzen. Allerdings dürfen diese Informationen nicht den Eindruck vermitteln, dass der Kunde standardmäßig von der Übermittlung der Informationen absehen kann9;

    • eine kurze Erläuterung der wichtigsten Unterschiede zwischen Wertpapierdienstleistungen mit Beratung und ohne Beratung unter Berücksichtigung der anwendbaren Anforderungen, um Unklarheiten zwischen beiden Dienstleistungen zu vermeiden.

  3. Im Rahmen einer dauerhaften Geschäftsbeziehung mit ihren Kunden müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen die vorstehend genannten Informationen nicht vor der Erbringung jeder einzelnen beratungsfreien Dienstleistung bereitstellen. In diesem Fall können die Informationen bereitgestellt werden, bevor die erste beratungsfreie Dienstleistung erbracht wird, bzw. im Zusammenhang mit den Informationen unter den ersten beiden aufgezählten Punkten in Ziffer 2, wenn der Kunde gebeten wird, die Informationen über seine Kenntnisse und Erfahrungen zu aktualisieren10.
  4. Es bleibt den Wertpapierdienstleistungsunternehmen überlassen, wie sie ihre Kunden über die Angemessenheitsbeurteilung informieren11. Die zur Unterrichtung von Kunden gewählte Form muss es den Unternehmen jedoch ermöglichen, Aufzeichnungen über die bereitgestellten Informationen zu führen12.
  5. Die Unternehmen dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass der Kunde über die Angemessenheit der Wertpapierdienstleistung oder des Produkts entscheidet bzw. festlegt, welche Dienstleistung oder welches Produkt für seine Kenntnisse und Erfahrungen passend ist. Generell sollten Unternehmen gegenüber Kunden keine irreführenden Erklärungen bezüglich der Pflicht der Unternehmen zur Durchführung der Angemessenheitsbeurteilung abgeben.
  6. Sämtliche den Kunden zur Verfügung gestellten Informationen müssen den einschlägigen Bestimmungen (einschließlich der Verpflichtung zur Bereitstellung von Informationen auf einem dauerhaften Datenträger) entsprechen. Die Unternehmen müssen darüber hinaus sorgfältig prüfen, ob ihre schriftlichen Mitteilungen so gestaltet sind, dass sie ihren Zweck erfüllen (z. B. die Mitteilungen werden den Kunden direkt zugänglich gemacht und sind nicht versteckt oder unverständlich). Bei Unternehmen, die Online-Dienstleistungen erbringen, können insbesondere folgende Punkte berücksichtigt werden:
    • Hervorhebung der wichtigen Informationen (z. B. durch Nutzung interaktiver Elemente wie z. B. Pop-up-Felder);

    • Prüfung, ob bei einigen Informationen interaktiver Text (z. B. durch Nutzung interaktiver Elemente wie Tooltips) hinzugefügt werden sollte oder auf andere Weise Kunden, die weiterführende Informationen suchen, zusätzliche Angaben (z. B. über die Rubrik „häufig gestellte Fragen“) bereitgestellt werden können.

BT 6.2 Vorkehrungen zum Verständnis des Kunden und der Produkte

  1. Ziel der Grundsätze und Verfahren der Wertpapierdienstleistungsunternehmen muss es sein, sie in die Lage zu versetzen, alle für die Durchführung der Angemessenheitsbeurteilung im Hinblick auf die spezifischen angebotenen oder gewünschten Produktarten erforderlichen Informationen einzuholen13.
  2. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen über angemessene Grundsätze und Verfahren (einschließlich geeigneter Systeme und Instrumente) verfügen, um von ihren Kunden oder potenziellen Kunden Angaben zu ihren Kenntnissen und Erfahrungen im Anlagebereich in Bezug auf die spezielle Art der angebotenen oder gewünschten Produkte oder Dienstleistungen einzuholen, wobei gegebenenfalls die in Art. 55 Abs. 1 DV aufgeführten Aspekte zu berücksichtigen sind.
  3. Zu diesem Zweck muss in den Grundsätzen und Verfahren der Wertpapierdienstleistungsunternehmen sichergestellt werden, dass nicht auf die Abfrage von Informationen verzichtet wird und Kunden oder potenzielle Kunden in keiner Weise davon abgehalten werden, Informationen über ihre Kenntnisse und Erfahrungen bereitzustellen.
  4. Es bleibt den Wertpapierdienstleistungsunternehmen überlassen, die Mittel zu bestimmen, mit denen sie den Kunden auffordern, Informationen über seine Kenntnisse und Erfahrungen bereitzustellen. Sie können zur Durchführung der Angemessenheitsbeurteilung Fragebögen wie z.B. den sog. „WpHG-Bogen“ (auch in digitaler Form) einsetzen, die von den Kunden selbst ausgefüllt werden, oder im Verlauf der Kundengespräche zur Durchführung der Angemessenheitsbeurteilung erlangte Informationen nutzen. In diesen Fällen müssen die Unternehmen sicherstellen, dass die Fragen, die sie ihren Kunden stellen, hinreichend bestimmt sind und voraussichtlich richtig verstanden werden und dass etwaige andere Methoden zur Einholung von Informationen, wie die Nutzung von Transaktionsdaten zu bestimmten Produktarten eines bestehenden Kunden zur Beurteilung seiner Erfahrungen, so ausgestaltet sind, dass sie die erforderlichen Informationen über die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden erhalten. Dies ist insbesondere von Bedeutung, wenn Unternehmen Informationen über einen Online-Kanal ohne Betreuung durch einen Mitarbeiter erheben.
  5. Wenn Wertpapierdienstleistungsunternehmen Fragebögen zur Einholung der Kundeninformationen für die Angemessenheitsbeurteilung verwenden, müssen sie die häufigsten Gründe kennen, warum Anleger Fragen möglicherweise nicht zutreffend beantworten, und dies entsprechend berücksichtigen. Insbesondere:

    • müssen die Unternehmen ihr besonderes Augenmerk auf Vollständigkeit und Verständlichkeit des Fragebogens legen und dabei irreführende und ungenaue Sprache vermeiden; außerdem sollen die Unternehmen die Verwendung übermäßig vieler Fachausdrücke (z.B. Abkürzungen) vermeiden;

    • müssen die Unternehmen das Layout sorgfältig erstellen, um eine Beeinflussung der Entscheidungen des Anlegers zu vermeiden (z. B. Schriftart, Zeilenabstand);

    • dürfen die Fragen nicht in zusammengefasster Form vorgelegt werden (Einholung von Informationen zu einer Reihe von Punkten durch eine einzige Frage);

    • müssen die Unternehmen die Reihenfolge, in der sie die Fragen stellen, sorgfältig prüfen;

    • müssen die Unternehmen die Möglichkeit vorsehen, dass der Kunde angibt, die Antwort auf eine Frage nicht zu kennen, um zu vermeiden, dass ein Kunde Annahmen äußert und somit unzuverlässige Informationen bereitstellt.

  6. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen über Verfahren und Mechanismen verfügen, um das Risiko einer Umgehung der Anforderungen zu begrenzen, wobei sie darauf achten müssen, dass die erhobenen Informationen die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden angemessen wiedergeben. Beispielsweise können Unternehmen eine Begrenzung der Häufigkeit in Erwägung ziehen, mit der Kunden den Fragebogen bzw. die Fragebögen innerhalb eines bestimmten Zeitraums beantworten können, oder unterschiedliche Fragebögen einsetzen, wenn ein Kunde um das erneute Ausfüllen des Fragebogens bittet, und/oder eine Wartezeit einführen. Wenn solche Maßnahmen eingeführt werden, kann es einem Kunden dennoch gestattet werden, mit der Transaktion fortzufahren, sofern bei Transaktionen, bei denen der Kunde nicht über ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, ein Warnhinweis erteilt wird14. Die Unternehmen können auch andere Kontrollen durchführen, um sicherzustellen, dass ein Kunde den Fragebogen nicht mehrmals ausfüllt, um zu „testen“, welche Art von Antworten für das gewünschte Ergebnis erforderlich ist.
  7. Da es dem Unternehmen obliegt, die einschlägigen Informationen der Kunden zu erheben, sollte das Unternehmen alle angemessenen Schritte unternehmen, um das Verständnis ihrer Kunden hinsichtlich der wichtigsten Merkmale und Risiken der speziellen Arten der von dem Unternehmen angebotenen Produkte oder zumindest der Produktarten, an denen der Kunde interessiert ist, zu beurteilen. Dazu zählt ein Verständnis des Zusammenhangs zwischen Risiko und Kapitalrendite, z. B. durch die Nutzung von Fragebögen mit Multiple-Choice-Fragen, die darauf abzielen, die tatsächlichen Kenntnisse des Kunden über die speziellen Arten von Produkten zu bewerten.
  8. Bei der Beurteilung der Kenntnisse des Kunden müssen die Unternehmen über Mechanismen verfügen, mit denen sichergestellt wird, dass Kunden nicht aufgefordert werden eine Selbsteinschätzung vorzunehmen. Für die korrekte Beurteilung der Kenntnisse und der Erfahrungen des Kunden ist es besonders wichtig, dass die Unternehmen dem Risiko Rechnung tragen, dass Kunden zu einer Überschätzung ihrer Kenntnisse tendieren können, und die Widerspruchsfreiheit der Antworten des Kunden15 gewährleisten. Die Unternehmen müssen im Zuge der Befragung zur Feststellung, ob der Kunde über ausreichende Kenntnisse hinsichtlich der wichtigsten Merkmale und Risiken spezieller Arten von Produkten verfügt, vermeiden Fragen zu stellen, die mit Ja oder Nein zu beantworten sind, oder einen Ansatz für die Selbsteinschätzung zu wählen, der auf dem Ankreuzen von Feldern basiert (zum Beispiel sollte ein Kunde nicht gefragt werden, welche Produkte auf einer Liste von Produkten er versteht). Eine Selbsteinschätzung der Kunden muss durch die Vorgabe objektiver Kriterien relativiert werden. Beispielsweise:
    • anstatt zu fragen, ob dem Kunden der Begriff Risiko-Rendite-Verhältnis bei speziellen Arten von Produkten geläufig ist, sollte das Unternehmen den Kunden anhand von Beispielen aus der Praxis befragen, z. B. in Form von Grafiken oder positiven oder negativen Szenarien, denen realistische Annahmen zugrunde liegen.

    • anstatt den Kunden zu fragen, ob er über ausreichende Kenntnisse der wichtigsten Merkmale und Risiken spezieller Arten von Produkten verfügt, sollte das Unternehmen beispielsweise Fragen stellen, die auf die Beurteilung der tatsächlichen Kenntnisse des Kunden über spezielle Arten von Produkten abzielen, beispielsweise indem dem Kunden Multiple-Choice-Fragen gestellt werden, die er richtig beantworten sollte.

  9. Bei der Beurteilung der Erfahrungen eines Kunden sollte das Wertpapierdienstleistungsunternehmen keine zu allgemein gehaltenen Fragen, die mit Ja/Nein zu beantworten sind, stellen und keinen zu allgemeinen Ansatz wählen, der auf dem Ankreuzen von Feldern basieret. Anstatt den Kunden zu fragen, ob er sich ausreichend erfahren fühlt, um in ein bestimmtes Produkt zu investieren, kann der Kunde nach den Arten von Produkten gefragt werden, mit denen er sich auskennt, wie häufig er mit ihnen handelt und wie lange diese Geschäfte zurückliegen.
  10. Im Fall von Online-Dienstleistungen müssen die Wertpapierdienstleistungsunternehmen bei der Gestaltung ihrer Fragebögen unter anderem folgende Aspekte berücksichtigen:

    • Sind die Fragen hinreichend klar und/oder ist der Fragebogen so konzipiert, dass er bei Bedarf weitere Erläuterungen oder Beispiele für die Kunden beinhaltet (z. B. durch den Einsatz von interaktiven Elementen wie Tooltips oder Pop-up-Feldern)?

    • Steht den Kunden ein Mindestmaß an Betreuung/Unterstützung durch einen Mitarbeiter (einschließlich Betreuung über Fernkommunikationskanäle wie E-Mail oder Telefon) zur Verfügung, wenn sie den Online-Fragebogen bearbeiten?

    • Wurden Maßnahmen ergriffen, um auf widersprüchliche Kundenantworten zu reagieren (wie z. B. Einbau interaktiver Funktionen in den Fragebogen, um Kunden darauf hinzuweisen, wenn ihre Antworten in sich widersprüchlich erscheinen, und ihnen vorzuschlagen, die entsprechenden Antworten zu überdenken; oder Einführung von Systemen, die anscheinend widersprüchliche Informationen von Kunden zur Überprüfung oder Weiterverfolgung durch das Unternehmen kennzeichnen)?

  11. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen dürfen den Kunden (über die in BT 6.1 Ziffer 2 genannte Hinweispflicht hinaus) nicht darauf hinweisen, dass sie nicht in der Lage sind, zu beurteilen, ob die in Betracht gezogene Wertpapierdienstleistung oder das in Betracht gezogene Produkt für ihn angemessen ist, ohne ihn zuvor nach Informationen über seine Kenntnisse und Erfahrungen zu fragen. Des Weiteren dürfen Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht betonen, dass der Kunde ohne eine solche Beurteilung mit der Transaktion fortfahren kann. In diesen Fällen darf ein Hinweis nur erteilt werden, wenn das Ergebnis der Angemessenheitsbeurteilung nicht bestimmt werden kann, da der Kunde nicht alle oder nur einen Teil der Fragen beantwortet hat16.
  12. Wenn Wertpapierdienstleistungsunternehmen Antworten auf der Grundlage von vergangenen Transaktionen des Kunden bei dem jeweiligen Unternehmen (z. B. über eine andere Wertpapierdienstleistung) vorausfüllen, müssen sie sicherstellen, dass nur objektive, sachdienliche und zuverlässige Informationen herangezogen werden und dem Kunden die Möglichkeit geboten wird, diese zu überprüfen und gegebenenfalls zu berichtigen und/oder die im Voraus ausgefüllten Antworten zu ergänzen, um die Richtigkeit dieser Informationen zu gewährleisten. Die Unternehmen dürfen darüber hinaus die Erfahrungen von Kunden auf der Grundlage von Annahmen nicht prognostizieren.
  13. Für die Zwecke der Angemessenheitsbeurteilung dürfen die Wertpapierdienstleistungsunternehmen nur Informationen über die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden berücksichtigen. Die Unternehmen dürfen gegenüber den Kunden nicht den Eindruck vermitteln, dass bei der Durchführung der Angemessenheitsbeurteilung auch andere erhobene Informationen berücksichtigt werden als diejenigen, die sich auf die Kenntnisse und Erfahrungen eines Kunden beziehen, dies gilt insbesondere mit Blick auf Informationen über die finanzielle Lage und Anlageziele des Kunden, die möglicherweise für andere Zwecke erhoben wurden (z. B. im Rahmen der Produktüberwachung oder von Beratungsdienstleistungen für denselben Kunden).

BT 6.3 Umfang der von den Kunden einzuholenden Informationen (Verhältnismäßigkeit)

  1. Bei der Bestimmung des Umfangs der Informationen, die über die Kenntnisse und Erfahrungen eines Kunden oder potenziellen Kunden zu erheben sind, müssen die Unternehmen die Art und die Merkmale der in Betracht kommenden Produkte oder Wertpapierdienstleistungen (d. h. den Umfang der Komplexität und das mit den Produkten oder Wertpapierdienstleistungen verbundene Risiko) sowie die Art des Kunden berücksichtigen.
  2. Gemäß § 63 Abs. 10 WpHG müssen die Wertpapierdienstleistungsunternehmen vor der Erbringung von beratungsfreien Dienstleistungen, für die eine Angemessenheitsbeurteilung erforderlich ist, von Kunden oder potenziellen Kunden Angaben zu deren Kenntnissen und Erfahrungen im Anlagebereich in Bezug auf die spezielle Art der angebotenen oder angefragten Produkte oder Dienstleistungen einholen, um beurteilen zu können, ob die in Betracht gezogenen Wertpapierdienstleistungen oder Produkte für den Kunden angemessen sind.
  3. Die Unternehmen müssen dafür Sorge tragen, dass sie die Informationen einholen, die der Art und den Merkmalen der in Betracht kommenden Produkte oder Wertpapierdienstleistungen (d. h. Grad an Komplexität und Risiko der Produkte oder Wertpapierdienstleistungen) sowie der Art des Kunden Rechnung tragen.
  4. Bei der Gewährung des Zugangs zu komplexeren oder stärker risikobehafteten Produkten müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen sicherstellen, dass sie unabhängig von den in Betracht kommenden Produkten oder Wertpapierdienstleistungen in der Lage sind, die Angemessenheitsbeurteilung auf demselben Niveau durchzuführen. Dazu müssen sie überprüfen, ob sie tiefergehende Informationen über die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden benötigen, als sie sie bei weniger komplexen oder risikobehafteten Produkten einholen würden. Auf der Grundlage der bereitgestellten Antworten müssen die Unternehmen die Fähigkeit des Kunden, die mit diesen Instrumenten einhergehenden Risiken zu verstehen, beurteilen können. Für Produkte mit einem hohen Grad an Komplexität oder Risiko (beispielsweise Derivate oder Hebelprodukte) müssen die Unternehmen unter Zugrundelegung der gegebenen Antworten eine zuverlässige Beurteilung der Kenntnisse und Erfahrungen der Kunden durchführen, die z. B. ihre Fähigkeit, den Mechanismus zu verstehen, durch den das Produkt „komplexer oder risikobehafteter“ wird, den Umstand, ob der Kunde bereits mit solchen Produkten gehandelt hat, und die Zeitdauer, die er mit ihnen gehandelt hat, einschließt.
  5. Je nach Grad der Komplexität der betreffenden Produkte muss das Unternehmen die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden eingehender beurteilen und darf sich nicht allein auf die Art beschränken, der das Finanzinstrument zugeordnet ist (z. B. nachrangige Schuldtitel anstelle von Anleihen).
  6. Wenn das Unternehmen beabsichtigt, eine beratungsfreie Dienstleistung, die sich durch spezielle Merkmale auszeichnet, zu erbringen, muss es zudem vor der Erbringung einer solchen Dienstleistung eine Angemessenheitsbeurteilung bezüglich der speziellen Merkmale durchführen. Dies wäre zum Beispiel von Bedeutung, wenn ein Bündel von Dienstleistungen oder Produkten vorgesehen ist, für das das Unternehmen gemäß § 63 Abs. 10 WpHG berücksichtigen muss, ob das gebündelte Paket insgesamt angemessen ist. Wenn ein Unternehmen z. B. beabsichtigt, sowohl beratungsfreie Dienstleistung als auch die Nebendienstleistung der Gewährung von Darlehen zu erbringen, die es dem Kunden ermöglichen, das Geschäft durchzuführen, ist dieses Bündel an Dienstleistungen mit anderen Risiken verbunden als bei einer isolierten Betrachtung der einzelnen Bestandteile. Um diesen Unterschieden bei der Durchführung der Angemessenheitsbeurteilung Rechnung zu tragen, darf sich diese nicht nur auf die beabsichtigten Produkte beziehen, sondern muss auch die Nebendienstleistung der Gewährung von Darlehen und die aus der Kombination beider Komponenten resultierenden Risiken einschließen. Als weiteres Beispiel wäre ein Unternehmen zu nennen, das es seinen Kunden ermöglicht, durch den Verkauf eines Produkts eine Short-Position zu eröffnen oder zum Stillhalter zu werden (etwa durch den Verkauf einer Call-Option). In diesem Zusammenhang muss das Unternehmen insbesondere beurteilen, ob der Kunde über die erforderlichen Kenntnisse und die notwendigen Erfahrungen verfügt, um die mit diesen Positionen verbundenen Risiken zu verstehen.
  7. Gem. Art. 56 Abs. 1 UAbs. 2 DV ist ein Unternehmen berechtigt, davon auszugehen, dass ein professioneller Kunde über die erforderlichen Kenntnisse und die notwendigen Erfahrungen verfügt, um die Risiken im Zusammenhang mit den betreffenden Wertpapierdienstleistungen oder Geschäften bzw. der Art von Geschäften oder Produkten, für die er als professioneller Kunde eingestuft ist, zu erfassen.

BT 6.4 Zuverlässigkeit der Kundeninformationen

  1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen geeignete Maßnahmen ergreifen und über geeignete Instrumente verfügen, um die Zuverlässigkeit und Widerspruchsfreiheit der eingeholten Kundeninformationen zu gewährleisten, ohne übermäßig auf die Selbsteinschätzung der Kunden zu vertrauen17.
  2. Wenn die erhobenen Informationen nicht ausreichend zuverlässig und widerspruchsfrei sind, muss das Unternehmen diese so behandeln, als ob keine ausreichenden Informationen für die Durchführung der Angemessenheitsbeurteilung eingegangen wären, und es muss den Kunden gem. § 63 Abs. 10 S. 4 WpHG darauf hinweisen.
  3. Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Zuverlässigkeit, Richtigkeit und Widerspruchsfreiheit der von den Kunden erhobenen Informationen zu überprüfen und dürfen sich nicht allein auf die Tatsache stützen, dass die von dem Kunden bereitgestellten Informationen, die für die Angemessenheitsbeurteilung erforderlich sind, korrekt, aktuell und vollständig sind. Im Zuge dieser Maßnahmen kann der Kunde beispielsweise um weitere Erläuterungen gebeten werden, wenn die über seine Kenntnisse und Erfahrungen erhobenen Informationen zeigen, dass seine Kenntnisse über komplexe Anleihen umfassender sind als jene über Standardanleihen.
  4. Die Grundsätze und Verfahren der Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen auf die Bewertung der Qualität und der Wirksamkeit der zur Einholung von Informationen über die Kenntnisse und Erfahrungen von Kunden und potenziellen Kunden eingesetzten Mittel ausgerichtet sein. Setzen die Unternehmen für die Angemessenheitsbeurteilung Instrumente ein, die von den Kunden genutzt werden sollen (wie etwa Online-Fragebögen oder Software zur Beurteilung, ob ein Produkt angemessen ist oder ein Warnhinweis erstellt werden muss, d. h. „Software zur Erstellung von Profilen“), müssen sie mittels angemessener Systeme und Kontrollen gewährleisten, dass diese Instrumente tatsächlich zweckdienlich sind und zu angemessenen Ergebnissen führen. Die Unternehmen müssen Kontrollen einführen, die die Widerspruchsfreiheit der Antworten der Kunden in den Fragebögen überprüfen, um Widersprüche zwischen verschiedenen Teilen der erhobenen Informationen hervorzuheben.
  5. Zur Sicherung der Plausibilität der Kundeninformationen müssen die Wertpapierdienstleistungsunternehmen die eingeholten Informationen in ihrer Gesamtheit betrachten. Die Unternehmen müssen auf Widersprüche zwischen verschiedenen erhobenen Informationsteilen achten, um mögliche sachliche Unstimmigkeiten oder Ungenauigkeiten zu klären. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen ungeachtet der für die Einholung der Informationen verwendeten Mittel sicherstellen, dass die Beurteilung der erhobenen Kundeninformationen einheitlich erfolgt.

BT 6.5 Aktualisierung der Kundeninformationen

  1. Wenn sich Wertpapierdienstleistungsunternehmen auf zuvor erhobene Angaben über die Kenntnisse und Erfahrungen der Kunden stützen, müssen sie Verfahren festlegen, in denen die Häufigkeit einer Aktualisierung dieser Informationen festgelegt ist, um zu gewährleisten, dass die Informationen aktuell bleiben und für den Zweck der Angemessenheitsbeurteilung korrekt und vollständig sind.
  2. Für die Zwecke der Angemessenheitsbeurteilung können die Unternehmen entweder jedes Mal, wenn ein Produkt angeboten oder angefragt wird (bei einmaligen Geschäften), Informationen über die Kenntnisse und die Erfahrungen des Kunden erheben oder sich auf zuvor eingeholte Informationen stützen, sofern diese aktuell sind.
  3. Die Aktualisierung der Informationen über Kunden im Rahmen der Angemessenheitsbeurteilung kann weniger häufig erfolgen als im Rahmen der Geeignetheitsprüfung, da die Informationen über die Kenntnisse und die Erfahrungen der Kunden in der Regel weniger volatil sind als andere Elemente der Geeignetheitsprüfung und Kenntnisse und Erfahrungen im Allgemeinen im Laufe der Zeit zunehmen. Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen jedoch Grundsätze erarbeiten, um die Kenntnisse und die Erfahrungen von Kundengruppen, die als vulnerabler gelten, mit einer höheren Regelmäßigkeit zu beurteilen.
  4. Die Angemessenheitsbeurteilung muss auf Grundlage zuverlässiger Informationen über die Kenntnisse und die Erfahrungen des Kunden durchgeführt werden. Die Unternehmen müssen Verfahren einführen, mit denen sichergestellt wird, dass sie immer über aktuelle Informationen zu den Kenntnissen und den Erfahrungen des Kunden verfügen, wenn ein Produkt angeboten oder angefragt wird. Beispielsweise können Kunden, mit denen das Unternehmen eine dauerhafte Geschäftsbeziehung unterhält, gebeten werden, das Unternehmen regelmäßig über etwaige Änderungen oder eine Aktualisierung der ursprünglich gemachten Angaben zu informieren. Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen zudem über angemessene Verfahren für den Umgang mit Situationen verfügen, in denen der Kunde ihre Fragen bezüglich Änderungen oder Aktualisierungen der ursprünglich gemachten Angaben nicht beantwortet.
  5. Informationen können z. B. dadurch aktualisiert werden, dass den Kunden ein Fragebogen übermittelt wird oder den Kunden die Kundeninformationen, die dem Unternehmen zur Verfügung stehen, vorgelegt werden und die Kunden um eine Bestätigung gebeten werden, dass diese nach wie vor richtig, vollständig und aktuell sind. Wenn Wertpapierdienstleistungsunternehmen Antworten in einem solchen Fragebogen einholen und diesen unter Zugrundelegung der Geschäfte des Kunden mit dem betreffenden Unternehmen in der Vergangenheit vorab ausfüllen, müssen sie sicherstellen, dass nur objektive, sachdienliche und zuverlässige Informationen herangezogen werden und dem Kunden die Möglichkeit geboten wird, die einzelnen vorab ausgefüllten Antworten zu überprüfen und gegebenenfalls zu berichtigen. Aus der Aktualisierung resultierende Maßnahmen könnten unter anderem in Veränderungen des Kenntnisstands und der Erfahrungen des Kunden anhand der aktualisierten Informationen bestehen.
  6. Um zu vermeiden, dass Kundeninformationen zugrunde gelegt werden, die unvollständig, unrichtig oder veraltet sind, müssen die Unternehmen über Regelungen verfügen, mit denen sichergestellt wird, dass sie den Kunden um eine Aktualisierung der Angaben über seine Kenntnisse und/oder Erfahrungen bitten, wenn ihnen eine relevante Veränderung bekannt wird, die sich auf seinen Kenntnisstand und/oder sein Erfahrungsniveau auswirken könnten.
  7. Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen Maßnahmen einführen, die das Risiko begrenzen, dass ein Kunde versucht, seinen Kenntnisstand oder sein Erfahrungsniveau in einer Weise zu aktualisieren, durch die ein bestimmtes Produkt angemessen zu sein scheint, das anderenfalls unangemessen für ihn wäre, ohne dass sich der Kenntnisstand und das Erfahrungsniveau des Kunden tatsächlich verändert haben. Eine bewährte Verfahrensweise zur Minderung dieser Art von Risiken besteht in der Einführung von Verfahren, mit welchen vor oder nach Transaktionen überprüft wird, ob das Profil eines Kunden allzu häufig oder innerhalb kurzer Zeit seit der letzten Änderung aktualisiert wurde. Derartige Fälle wären somit dem verantwortlichen Vorgesetzten oder der zuständigen Kontrollfunktion zu melden. Diese Grundsätze und Verfahren sind insbesondere in Fällen von Bedeutung, in denen ein verstärkter Interessenkonflikt besteht, z. B. in Fällen einer Eigenplatzierung, oder in denen das Unternehmen Anreize für den Vertrieb eines Produkts erhält. Ein weiterer Faktor, der in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen ist, ist die Art der Interaktion mit dem Kunden (z. B. persönliche Betreuung oder automatisierte Beurteilung).

BT 6.6 Kundeninformationen zu juristischen Personen oder Gruppen

  1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen über Grundsätze verfügen, in denen im Voraus festgelegt wird, wie die Angemessenheitsbeurteilung durchgeführt wird, wenn es sich bei einem Kunden um eine juristische Person oder eine Gruppe aus mindestens zwei natürlichen Personen handelt oder wenn eine oder mehrere natürliche Personen von einer weiteren natürlichen Person vertreten werden. Diese Grundsätze müssen im Einklang mit den Regelungen des Abschnitts BT 7.6 ausgearbeitet werden.
  2. Bei den Grundsätzen muss deutlich zwischen Situationen unterschieden werden, in denen nach dem anwendbaren nationalen Recht ein Vertreter vorgesehen ist, wie z. B. bei juristischen Personen, und Situationen, in denen kein Vertreter vorgesehen ist. Dabei müssen die Unternehmen in erster Linie Verfahren für die letztgenannte Situation implementieren. Sehen die Grundsätze Vereinbarungen über die Bestellung eines Vertreters vor, müssen diese über etwaige Folgen derartiger Vereinbarungen für den Schutz ihrer jeweiligen Interessen deutlich hingewiesen und schriftlich darüber informiert werden. Die Unternehmen müssen die entsprechenden Verfahren und Maßnahmen angemessen dokumentieren, um nachträgliche Kontrollen zu ermöglichen.
  3. Wenn ein Vertreter nach dem geltenden nationalen Recht vorgesehen ist oder bestellt wird, müssen die Informationen über Kenntnisse und Erfahrungen von diesem Vertreter eingeholt werden, und die Angemessenheitsbeurteilung sollte im Hinblick auf diesen Vertreter durchgeführt werden.
  4. Gelingt es einer aus mindestens zwei natürlichen Personen bestehenden Gruppe nicht, die Person(en) zu bestimmen, deren Kenntnisse und Erfahrungen beurteilt werden sollen, muss das Unternehmen einen möglichst vorsichtigen Ansatz verfolgen und entsprechend die Informationen der Person mit den geringsten Kenntnissen und Erfahrungen zugrunde legen. Die Unternehmen müssen zumindest dann sorgfältig vorgehen, wenn es erhebliche Unterschiede zwischen den Kenntnissen und den Erfahrungen der verschiedenen der Gruppe angehörenden Kunden gibt oder wenn das beabsichtigte Geschäft unter Umständen Produkte mit Hebelwirkung oder Geschäfte mit Eventualverbindlichkeiten umfassen könnte, die das Risiko erheblicher Verluste bergen, die die ursprüngliche Anlage der Gruppe von Kunden überschreiten könnten. Die Unternehmen müssen den gewählten Ansatz eindeutig dokumentieren.
  5. Entscheidet sich ein Unternehmen dafür, Informationen über jeden einzelnen zur Gruppe gehörenden Kunden für die Angemessenheitsbeurteilung einzuholen, muss in den Grundsätzen des Unternehmens eindeutig geregelt sein, wie mit Fällen umzugehen ist, in denen erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Kenntnisse und/oder der Erfahrungen der einzelnen Kunden bestehen. Hier muss das Unternehmen wiederum einen konservativen Ansatz verfolgen und die Informationen über den Kunden der Gruppe mit den geringsten Kenntnissen und Erfahrungen berücksichtigen. Alternativ kann in den Grundsätzen des Unternehmens vorgesehen werden, dass es in einer solchen Situation die Angemessenheit nicht beurteilen kann. Unternehmen dürfen nicht Informationen über alle Kunden, die Teil der Gruppe sind, zusammentragen und für die Zwecke der Angemessenheitsbeurteilung ein Durchschnittsprofil der Kenntnisse und Erfahrungen aller Kunden heranziehen, da sie damit nicht im Interesse ihrer Kunden handeln würden.

BT 6.7 Notwendige Vorkehrungen zum Verständnis von Produkten

  1. Die Unternehmen müssen geeignete Grundsätze und Verfahren implementieren, mittels derer sie die Produktmerkmale und - besonderheiten nachvollziehen können, so dass sie die Angemessenheit dieser Produkte für ihre Kunden beurteilen können.
  2. Die Unternehmen müssen zuverlässige und objektive Verfahren und Instrumente einführen, mittels derer sie in angemessener Weise und unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit die verschiedenen Merkmale und einschlägigen Risikofaktoren (wie Kreditrisiko, Marktrisiko, Liquiditätsrisiko) der angebotenen und angefragten Produkte beurteilen können. Dabei müssen die Unternehmen die Analyse berücksichtigen, die sie im Rahmen der Produktüberwachung/Zielmarktbestimmung vorgenommen haben18. In diesem Zusammenhang müssen die Unternehmen sorgfältig prüfen, wie sich bestimmte Produkte unter bestimmten Umständen entwickeln können (z. B. Wandelanleihen, die sich zu Aktien verändern).
  3. Die Unternehmen müssen ihr besonderes Augenmerk auf die Berücksichtigung des Grades der „Komplexität“ von Produkten legen, der mit den Informationen des Kunden in Bezug auf seine Kenntnisse und Erfahrungen abgeglichen werden muss. Wenn die Unternehmen den Grad der Komplexität der Produkte für die Angemessenheitsprüfung bestimmen und die Produkte danach angemessen abstufen, müssen sie – neben der Bewertung von Produkten als komplex oder nicht komplex, die für die Unterscheidung zwischen Dienstleistungen, für die eine Angemessenheitsbeurteilung erforderlich ist, und solchen, für die dies nicht notwendig ist – auch die im WpHG festgelegten Kriterien zur Bestimmung der Komplexität berücksichtigen.
  4. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen Verfahren einführen, die gewährleisten, dass die für die korrekte Einstufung von Produkten ihrer Produktpalette herangezogenen Informationen zuverlässig, richtig, widerspruchsfrei und aktuell sind. Bei diesen Verfahren müssen die Unternehmen den unterschiedlichen Merkmalen und der Art der betreffenden Produkte Rechnung tragen. Darüber hinaus müssen die Unternehmen die verwendeten Informationen daraufhin überprüfen, ob etwaige Änderungen Auswirkungen auf die Einstufung des Produkts haben. Vor dem Hintergrund des kontinuierlichen Wandels und der immer schnelleren Entwicklungen auf den Finanzmärkten ist dies von besonderer Bedeutung.
  5. Bei der Einstufung von Produkten für die Zwecke der Angemessenheitsbeurteilung müssen Unternehmen ein hinreichendes Maß an Granularität zugrunde legen, um sicherzustellen, dass nur Produkte mit ausreichend vergleichbaren Eigenschaften und Risikomerkmalen zusammengefasst werden und die Erfahrungen und die Kenntnisse des Kunden anhand solcher Merkmale und Risiken beurteilt werden. Die Unternehmen müssen dabei mehrere Schlüsselfaktoren für die Einstufung berücksichtigen (wie etwa optionale Elemente (im Fall von Derivaten oder Produkten mit eingebetteten Derivaten); Hebelwirkung, Bail-in-Fähigkeit, Nachrangigkeitsklauseln, Beobachtbarkeit des Basiswerts (z. B. die Heranziehung unbekannter oder undurchsichtiger Indizes), Garantien für die Kapitalrückzahlung oder Klauseln zum Kapitalschutz, Liquidität des Produkts (d. h. Handelbarkeit an einem Handelsplatz, Geld-Brief-Spanne, Verkaufsbeschränkungen, Austrittsgebühren) sowie die Währung des Produkts)19.

BT 6.8 Ermittlung angemessener Anlagen für den Kunden

  1. Um zu beurteilen, ob eine beabsichtigte Wertpapierdienstleistung oder ein Produkt für den Kunden angemessen ist, müssen die Wertpapierdienstleistungsunternehmen Grundsätze aufstellen und Verfahren einführen, mit denen sichergestellt wird, dass die folgenden Aspekte berücksichtigt werden:

    • alle über die Kenntnisse und die Erfahrungen des Kunden erhobenen Informationen, die erforderlich sind, um die Angemessenheit eines Produkts zu beurteilen;

    • alle einschlägigen Merkmale und Risiken der Produkte bei der Angemessenheitsbeurteilung berücksichtigt werden.

    Die Unternehmen müssen über Grundsätze und Verfahren verfügen, die es ihnen ermöglichen, einen eindeutigen und unmissverständlichen Hinweis zu erstellen, sofern sie der Auffassung sind, dass die Wertpapierdienstleistung oder das Produkt für den Kunden oder potenziellen Kunden nicht angemessen ist.

  2. Der Verkauf eines Produkts, der zu einer Desinvestition des Kunden führt20, erfordert keine Durchführung einer Angemessenheitsbeurteilung durch die Unternehmen.
  3. Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die sich im Rahmen der Durchführung einer Angemessenheitsbeurteilung auf automatisierte Verfahren stützen, müssen mittels geeigneter Systeme und Kontrollen gewährleisten, dass bei Verwendung dieser Verfahren die Vorgaben des WpHG und der DV zur Angemessenheitsprüfung eingehalten werden. Diese Verfahren sind so zu gestalten, dass sie alle maßgeblichen Besonderheiten der einzelnen Kunden oder Produkte berücksichtigen. So wäre beispielsweise der ausschließliche Einsatz von Instrumenten, bei denen eine sehr weit gefasste Einteilung der Kunden (entsprechend ihrem Kenntnisstand und ihrer Erfahrung) oder Produkte vorgenommen wird, diesem Zwecke nicht dienlich.
  4. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen eindeutige Methoden für die Bestimmung des Ergebnisses der Angemessenheitsbeurteilung festlegen und dokumentieren. Wenn ein Unternehmen für die Einstufung und Beurteilung der Angemessenheit ein festgelegtes Scoring-System verwendet, müssen die zugrundeliegende Methodik, Parameter und Formeln klar und eindeutig sein und dokumentiert werden.
  5. Im Rahmen der Durchführung der Angemessenheitsbeurteilung muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen bei der Beurteilung des Verständnisses eines Kunden bzgl. der wichtigsten Merkmale und Risiken der speziellen Arten von angebotenen oder angefragten Produkten eine Gesamtbetrachtung der über die Kenntnisse und die Erfahrungen des Kunden erhobenen Informationen vornehmen.
  6. Das Unternehmen muss über ausreichende und eindeutige Vorgaben für die einschlägigen Mitarbeiter zur Durchführung der Angemessenheitsbeurteilung verfügen, um sicherzustellen, dass diese kein übermäßig weites Ermessen bei der Durchführung der Beurteilung haben und in der Lage sind, ihre Entscheidung nachträglich zu begründen. Die Unternehmen sollten sicherstellen, dass ihre für die Angemessenheitsbeurteilung eingeführten Instrumente und Verfahren so gestaltet sind, dass für einen Kunden keine Produkte für passend befunden werden, für die die Erfahrungen und/oder die Kenntnisse des Kunden nicht beurteilt wurden oder für die der Kunde keinen ausreichenden Kenntnisstand und/oder keine ausreichende Erfahrung dargelegt hat, und dass dementsprechend ein ordnungsgemäßer Hinweis erteilt wird.
  7. Um die Einheitlichkeit von Angemessenheitsbeurteilungen zu gewährleisten, die mithilfe automatisierter Systeme durchgeführt werden (selbst wenn die Interaktion mit Kunden nicht über automatisierte Systeme erfolgt), müssen die Unternehmen die Algorithmen, mit denen die Angemessenheit von angebotenen oder angefragten Produkten bestimmt wird, ordnungsgemäß dokumentieren und regelmäßig überwachen und testen. Bei der Festlegung dieser Algorithmen müssen die Unternehmen die Art und die Merkmale dieser Produkte berücksichtigen, die Bestandteil ihres Angebots für die Kunden sind. Insbesondere müssen Unternehmen zumindest:

    • eine angemessene Dokumentation des Systemdesigns erstellen, aus der der Zweck, der Anwendungsbereich und die Ausgestaltung der Algorithmen eindeutig hervorgehen. Verwendete Entscheidungsbäume oder Entscheidungsregeln müssen Teil dieser Dokumentation sein;

    • über eine dokumentierte Prüfstrategie verfügen, in der der Umfang der Tests für die Algorithmen erläutert wird. Diese muss Prüfpläne, Prüfszenarien, Prüfergebnisse, (ggf.) Fehlerbehebung und die endgültigen Prüfergebnisse beinhalten;

    • über geeignete Grundsätze und Verfahren verfügen, um Änderungen an einem Algorithmus zu verwalten sowie diese Änderung zu überwachen und aufzuzeichnen. Dazu gehört auch die Umsetzung von Sicherheitsvorkehrungen zur Überwachung und Verhinderung unbefugter Zugriffe auf den Algorithmus;

    • die Algorithmen überarbeiten und aktualisieren, um zu gewährleisten, dass sie relevanten Änderungen (z. B. Marktänderungen und Änderungen des anwendbaren Rechts) Rechnung tragen, die u. U. ihre Wirksamkeit beeinträchtigen könnten;

    • über geeignete Grundsätze und Verfahren verfügen, die es ermöglichen, Fehler in den Algorithmen festzustellen und angemessen zu beseitigen sowie z. B. die Erbringung von Dienstleistungen auszusetzen, wenn davon auszugehen ist, dass dieser Fehler eine unangemessene Transaktion und/oder einen Verstoß gegen einschlägige Rechtsvorschriften zur Folge haben könnte;

    • über angemessene Ressourcen verfügen, darunter personelle und technische Ressourcen, um die Leistung der Algorithmen im Rahmen einer angemessenen und zeitnahen Überprüfung der erbrachten Dienstleistungen zu überwachen und zu verfolgen, und

    • über geeignete interne Kontrollprozesse verfügen, die gewährleisten, dass die oben genannten Schritte auch umgesetzt wurden.

BT 6.9 Wirksamkeit von Hinweisen

  1. Hinweise, die von Wertpapierdienstleistungsunternehmen erstellt werden, wenn von dem Kunden keine oder nicht ausreichende Informationen über seine Kenntnisse oder Erfahrungen zur Verfügung gestellt werden oder wenn die Beurteilung dieser Informationen zu dem Ergebnis führt, dass die angebotene oder angefragte Wertpapierdienstleistung oder das Produkt für den Kunden nicht angemessen ist, müssen deutlich wahrnehmbar, klar und unmissverständlich sein.
  2. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen geeignete Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die von ihnen für die Kunden erstellten Hinweise korrekt empfangen und als solche verstanden werden. Zu diesem Zweck müssen sie deutlich wahrnehmbar sein. Dazu können beispielsweise für die Hinweise andere Farben als für die übrigen bereitgestellten Informationen verwendet werden oder bei einer telefonischen Auftragserteilung der Hinweis und seine Folgen für den Kunden erklärt sowie etwaige Fragen des Kunden beantwortet werden, um sicherzustellen, dass der Kunde den Hinweis korrekt empfangen und verstanden hat.
  3. Der Hinweis muss den Grund für die Warnung des Kunden eindeutig nennen: entweder, weil der Kunde keine Informationen bereitgestellt hat oder weil die erhobenen Informationen nicht ausreichen und das Unternehmen deshalb nicht in der Lage ist, die Angemessenheit der beabsichtigten Transaktion zu bestimmen oder weil die Beurteilung der vom Kunden bereitgestellten Informationen zu dem Ergebnis führt, dass die beabsichtigte Transaktion für den Kunden nicht angemessen ist. Missverständliche Mitteilungen, in denen beispielsweise angegeben wird, dass das Produkt für Kunden angemessen ist, die dem Grundniveau, mittleren Niveau oder Expertenniveau zuzuordnen sind, dürfen nicht verwendet werden. Entsprechend dürfen Unternehmen keine ungenau formulierten Hinweise erteilen (in denen es z. B. heißt, dass das Produkt oder die Dienstleistung für den Kunden „möglicherweise nicht angemessen ist“), da nicht anzunehmen ist, dass sich der Kunde dadurch ausreichend der mit der Fortführung der Transaktion verbundenen Risiken bewusst ist. Des Weiteren dürfen die Hinweise nicht übermäßig lang sein, da dadurch die Schlüsselbotschaft, dass der Kunde nicht über die für die Wertpapierdienstleistung oder das Produkt erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen verfügt oder diese nicht nachgewiesen hat, verschleiert wird.
  4. Die Unternehmen dürfen die Bedeutung von Hinweisen nicht herunterspielen und den Kunden nicht anhalten, diese zu ignorieren (z. B. bei Telefongesprächen oder durch die im Hinweis verwendete Formulierung).
  5. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen dürfen in den Hinweisen keine Botschaften vermitteln, die den Kunden ermutigen könnten, mit der Transaktion fortzufahren, erneut eine Angemessenheitsbeurteilung durchzuführen oder eine Hochstufung zu einem professionellen Kunden zu beantragen. Beispielsweise können Unternehmen einen Prozess einführen, bei dem der Kunde bestätigen muss, dass ihm die im Hinweis übermittelten Informationen bekannt sind, bevor er mit der Transaktion fortfahren kann.
  6. Wenn einem Kunden, der nicht über die erforderlichen Kenntnisse und die notwendigen Erfahrungen verfügt, Schulungsprogramme, Webinare oder „Demo“-Handelsplattformen angeboten werden, die darauf abzielen, seine Kenntnisse zu verbessern, muss das Unternehmen anschließend beurteilen, ob der Kunde über die erforderlichen Kenntnisse bezüglich der beabsichtigten Wertpapierdienstleistung oder des Produkts verfügt, indem eine weitere Angemessenheitsprüfung durchgeführt wird, die sich auf seinen Kenntnisstand konzentriert. Solche Schulungsprogramme dürfen nicht so gestaltet sein, dass sie gezielt auf eine Verbesserung der Fähigkeit des Kunden ausgerichtet sind, eine vorab festgelegte Reihe von Fragen richtig zu beantworten, da dies zu einer Umgehung der Pflicht des Unternehmens führen kann, die Kenntnisse und die Erfahrungen des Kunden bezüglich der angebotenen oder gewünschten Produkte zu beurteilen. Eine Verpflichtung, eine produktspezifische Kenntnisvermittlung anzubieten, besteht indes nicht.
  7. Wenn die Unternehmen in ihren Grundsätzen und Verfahren die Möglichkeit vorsehen, dem Wunsch der Kunden auf Fortführung der Transaktion nach einem Hinweis nachzukommen, müssen sie nachträglich bewerten, wie wirksam die Hinweise insgesamt sind. Beispielsweise sollte der Anteil der Hinweise, in deren Anschluss eine Transaktion erfolgte, an allen Hinweisen ermittelt werden, und gegebenenfalls sollten die Unternehmen Anpassungen an ihren jeweiligen Grundsätzen und Verfahren vornehmen.
  8. Darüber hinaus sollten Unternehmen über Grundsätze und Verfahren zur Ermittlung von Bedingungen und Kriterien verfügen, die dafür maßgeblich sind, ob dem Wunsch eines Kunden auf Fortführung einer Transaktion, nachdem er einen Hinweis erhalten hat, entsprochen oder nicht entsprochen wird. Beispielsweise kann ein Unternehmen Situationen berücksichtigen, in denen ein erhöhtes Risiko für Interessenkonflikte besteht, da das Unternehmen seine eigenen Produkte (oder von Unternehmen derselben Gruppe emittierte Produkte) verkauft oder aktiv Produkte aus dem Angebot des Unternehmens vertreibt. Ein weiterer Faktor, der berücksichtigt werden sollte, ist ein hohes Maß an Komplexität oder Risiken der angebotenen oder angefragten Produkte.

BT 6.10 Qualifikationen der Mitarbeiter von Wertpapierdienstleistungsunternehmen

  1. Die an der Angemessenheitsbeurteilung beteiligten Mitarbeiter müssen die Rolle verstehen, die sie bei dieser Beurteilung spielen, und über ein angemessenes Niveau an Fähigkeiten, Kenntnissen und Fachkunde verfügen, darunter auch ausreichende Kenntnisse der einschlägigen Aufsichtsanforderungen und -verfahren, um ihrer Verantwortung gerecht werden zu können. Zu diesem Zweck müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen ihre Mitarbeiter regelmäßig weiterbilden.
  2. Mitarbeiter, die Kunden im Namen des Unternehmens Informationen über Produkte, Wertpapierdienstleistungen oder Nebendienstleistungen erteilen, müssen über die Kenntnisse und Kompetenzen nach § 87 Abs. 2 WpHG (die im Modul BT 11 näher ausgeführt werden) verfügen.
  3. Darüber hinaus müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen sicherstellen, dass andere Mitarbeiter ohne direkten Kundenkontakt, die jedoch in anderer Weise an der Angemessenheitsbeurteilung beteiligt sind, über die Fähigkeiten, Kenntnisse und Fachkunde verfügen, die je nach ihrer besonderen Rolle bei der Angemessenheitsbeurteilung erforderlich sind. Dabei kann es sich z. B. um die Erstellung der Fragebögen, die Festlegung der Algorithmen für die Angemessenheitsbeurteilung oder andere Aspekte handeln, die für die Durchführung der Angemessenheitsbeurteilung und die Kontrolle der Einhaltung der Anforderungen an die Angemessenheit notwendig sind.
  4. Soweit erforderlich, müssen die Unternehmen, die automatisierte Verfahren (einschließlich hybrider Verfahren) verwenden, dafür Sorge tragen, dass ihre an den Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Entwicklung dieser Verfahren beteiligten Mitarbeiter

    • über ein angemessenes Verständnis der für die Durchführung einer automatisierten Beurteilung eingesetzten Technologien und Algorithmen verfügen (und dass sie insbesondere in der Lage sind, die Grundlagen, die Risiken und die Regeln in Bezug auf die Algorithmen zu verstehen, die der automatisierten Beurteilung zugrunde liegen) und

    • in der Lage sind, die von den Algorithmen erbrachte automatisierte Beurteilung zu verstehen und zu überprüfen.

BT 6.11 Aufzeichnungspflichten

  1. Im Rahmen ihrer Pflicht zum Führen von Aufzeichnungen über die Angemessenheitsbeurteilung gemäß Art. 56 Abs. 2 DV müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen mindestens

    • eine ordnungsgemäße und nachvollziehbare Dokumentation sicherstellen und deshalb angemessene Regelungen für die Aufzeichnung und Aufbewahrung festlegen, dies gilt auch für die Einholung von Informationen vom Kunden und die erbrachte Dienstleistung ohne Beratung;

    • die Regelungen für die Aufzeichnung so gestalten, dass sie die Aufdeckung von Fehlern bei der Angemessenheitsbeurteilung ermöglichen;

    • gewährleisten, dass die Aufzeichnungen für die betreffenden Personen in dem Unternehmen und für die zuständigen Behörden zugänglich sind;

    • in ausreichendem Maße Verfahren vorsehen, um Mängeln oder Einschränkungen bei den Aufzeichnungsregelungen entgegenzuwirken.

  2. Die von den Unternehmen angewandten Regelungen für die Aufzeichnung müssen so gestaltet sein, dass sie den Unternehmen eine nachträgliche Prüfung folgender Aspekte ermöglichen:

    • das Ergebnis der Angemessenheitsbeurteilung, einschließlich der Begründung, d. h. eine direkte Verbindung zwischen den erhobenen und beurteilten Kundeninformationen und dem Ergebnis der Angemessenheitsbeurteilung;

    • ein Hinweis des Unternehmens, wenn die Wertpapierdienstleistung oder das Produkt als potenziell unangemessen für den Kunden bewertet wurde oder wenn der Kunde keine ausreichenden Informationen bereitgestellt hat, um dem Unternehmen die Durchführung einer Angemessenheitsbeurteilung zu ermöglichen (unabhängig davon, ob der Kunde den Wunsch geäußert hat, trotz des Hinweises mit der Transaktion fortzufahren, oder nicht);

    • die Angabe, ob der Kunde den Wunsch geäußert hat, trotz des Hinweises mit der Transaktion fortzufahren, und

    • die Angabe, ob das Unternehmen dem Wunsch des Kunden, mit der Transaktion fortzufahren, entsprechend den angewandten Verfahren nachgekommen ist.

  3. Die Unternehmen haben daher alle relevanten Informationen zur Angemessenheitsbeurteilung aufzuzeichnen, wie etwa Informationen über den Kunden (darunter auch zur Art und Weise, wie diese Informationen zur Bestimmung des Kundenprofils hinsichtlich der Kenntnisse und Erfahrungen genutzt und ausgelegt wurden) sowie Informationen über Produkte, die dem Kunden angeboten wurden. Die Aufzeichnungen müssen Folgendes beinhalten:

    • etwaige Aktualisierungen der Informationen, die im Rahmen der Angemessenheitsbeurteilung bereitgestellt wurden, insbesondere mit Blick auf eine etwaige Änderung des Kundenprofils bezüglich der Kenntnisse und Erfahrungen;

    • die Art von Produkten, die zu diesem Profil passt, eine Begründung der Beurteilung sowie sämtliche Änderungen und die Gründe dafür.

  4. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen über Vorkehrungen verfügen, die es ihnen ermöglichen, zusätzliche Risiken im Zusammenhang mit der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen über Online- oder digitale Verfahren, wie etwa böswillige Cyberaktivitäten, zu verstehen und zu begrenzen.
  5. Die von den Unternehmen eingeführten Regelungen für die Aufzeichnungen können sich abhängig von den Vertriebskanälen, die für die Erbringung von beratungsfreien Dienstleistungen genutzt werden, unterscheiden. Beispielsweise müssen Unternehmen,

    • sofern sie Dienstleistungen online erbringen, IT-Tools entwickeln, die es ihnen ermöglichen, die Informationen nachzuverfolgen und zu speichern;

    • sofern Dienstleistungen telefonisch erbracht werden, geeignete Regelungen einführen, mit denen sichergestellt wird, dass das Unternehmen in der Lage ist, eine Verbindung zwischen einem von ihm erstellten Hinweis und einer möglichen Transaktion eines Kunden, der sich entscheidet, trotz des Hinweises mit dieser fortzufahren, herzustellen;

    • sofern Dienstleistungen im persönlichen Kontakt erbracht werden, alle relevanten Formulare und Dokumente, die für die Angemessenheitsbeurteilung verwendet werden, insbesondere diejenigen, die von dem Kunden und/oder dem Mitarbeiter unterzeichnet werden, erfassen und aufzeichnen.

BT 6.12 Bestimmung von Fällen, in denen eine Angemessenheitsbeurteilung erforderlich ist

  1. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen angemessene Regelungen einführen, um sicherzustellen, dass sie in der Lage sind, die Fälle zu bestimmen, in denen eine Angemessenheitsbeurteilung durchgeführt werden muss, und ihre Durchführung in Fällen zu vermeiden, in denen eine Geeignetheitsprüfung vorgenommen werden muss.
  2. Die Unternehmen müssen über Verfahren und Kontrollen für die Interaktion zwischen Vertriebsmitarbeitern und Kunden verfügen, um die Interaktion zu lenken und aufzuzeichnen21 sowie sicherzustellen, dass eine klare Unterscheidung zwischen Transaktionen mit Beratung und Transaktionen ohne Beratung einerseits sowie Transaktionen, die unter die Ausnahme des reinen Ausführungsgeschäfts fallen, und anderen Transaktionen ohne Beratung andererseits besteht.
  3. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen über Grundsätze und Verfahren verfügen, mit denen sichergestellt wird, dass bei der Erbringung eines reinen Ausführungsgeschäfts, ohne Durchführung einer Angemessenheitsbeurteilung, die Bedingungen des § 63 Abs. 10 WpHG erfüllt werden22.
  4. Die Unternehmen müssen Strategien und Verfahren vorhalten und aktualisieren, mit denen ermittelt werden kann, welche ihrer Produkte für die Zwecke der Angemessenheitsbeurteilung als „komplex“ und „nicht komplex“ betrachtet werden können.
  5. Die Grundsätze und Verfahren der Unternehmen müssen sicherstellen, dass Produkte, die ausdrücklich aus der Liste der nicht komplexen Instrumente gemäß § 63 Abs. 11 Nr. 1 Ziffern a) bis e) WpHG ausgeschlossen sind, keinesfalls anhand der Kriterien in Art. 57 DV bewertet werden, um möglicherweise für die Zwecke der Angemessenheitsbeurteilung als nicht komplexe Produkte eingestuft zu werden.
  6. Unternehmen müssen in der Lage sein, nachzuvollziehen, ob ein Kunde seinen Auftrag als Reaktion auf eine durch das Unternehmen oder im Auftrag des Unternehmens an ihn persönlich gerichtete Mitteilung erteilt hat. In diesen Fällen darf das Unternehmen die Transaktion nicht als reines Ausführungsgeschäft ausführen.

BT 6.13 Kontrollen

  1. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen über angemessene Überwachungsmechanismen und Kontrollen verfügen, mit denen die Einhaltung der Anforderungen an die Angemessenheit sichergestellt wird.
  2. Soweit sich Unternehmen bei ihrem Prozess zur Angemessenheitsbeurteilung auf automatisierte Systeme oder Verfahren stützen (z. B. Instrumente zur Erstellung von Kundenprofilen auf Grundlage ihrer Kenntnisse und Erfahrung, automatische Hinweise oder Kontrollen in Bezug auf die Komplexität von Produkten), müssen diese Systeme oder Verfahren zweckdienlich sein und regelmäßig überwacht werden. Die Unternehmen müssen Aufzeichnungen über diese Überwachung führen23.
  3. Wenn automatisierte Kontrollen im Rahmen der Angemessenheitsbeurteilung eingesetzt werden, müssen die Unternehmen dafür Sorge tragen, dass die automatisierten Kontrollen nicht umgangen24 werden können. Diese automatisierten Kontrollen müssen zudem regelmäßig im Hinblick auf ihr korrektes Funktionieren überwacht werden. Die Unternehmen müssen über angemessene Grundsätze und Verfahren verfügen, um IT-Probleme frühzeitig zu erkennen.
  4. Im Rahmen der Angemessenheitsbeurteilung müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen der Komplexität von Produkten besondere Aufmerksamkeit widmen. Beispielsweise müssen Datenbanken mit Komplexitätscodes, die für die Angemessenheitsbeurteilung verwendet werden, regelmäßig überprüft und auf dem aktuellen Stand gehalten werden.
  5. Erfolgt die Angemessenheitsbeurteilung im Rahmen persönlicher Treffen oder telefonisch und somit mit Beteiligung eines Mitarbeiters, müssen die Unternehmen schriftliche Aufzeichnungen von persönlichen Treffen oder Aufzeichnungen der Telefongespräche in ihre regulären Kontrollverfahren aufnehmen, mit denen überwacht wird, ob Vertriebsmitarbeiter ihren Pflichten im Rahmen der Angemessenheitsbeurteilung nachkommen. Die Unternehmen müssen diese schriftlichen Aufzeichnungen oder Aufzeichnungen von Telefongesprächen im Rahmen ihrer Kontrollverfahren überwachen.
  6. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen Fragestellungen, wie den Anteil der Hinweise, auf die eine Transaktion folgt, bei allen Hinweisen überwachen, um die Wirksamkeit der Hinweise insgesamt zu bewerten.

BT 7 Geeignetheitsprüfung nach § 64 Abs. 3 WpHG und Geeignetheitserklärung nach § 64 Abs. 4 WpHG

BT 7.1 Prüfung der Geeignetheit nach § 64 Abs. 3 WpHG, Art. 54, 55 DV

Dieses Modul konkretisiert § 64 Abs. 3 WpHG und Art. 54, 55 DV.

Produkte im Sinne dieses BT 7 sind Finanzinstrumente im Sinne von § 2 Abs. 4 WpHG und strukturierte Einlagen im Sinne von § 2 Abs. 19 WpHG.

BT 7.1.1 Information an die Kunden über die Geeignetheitsprüfung
  1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen die Kunden eindeutig und in verständlicher Sprache über den Zweck der Geeignetheitsprüfung informieren, die vorgenommen wird, damit das Wertpapierdienstleistungsunternehmen im bestmöglichen Interesse seiner Kunden handeln kann. Dabei muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen eindeutig erläutern, dass es in seiner Verantwortung liegt, die Beurteilung der Geeignetheit vorzunehmen.
  2. Durch diese Information sollen die Kunden den Zweck der Anforderungen zur Geeignetheitsprüfung nachvollziehen können und warum sie aufgefordert werden, Informationen i.S.d. § 64 Abs. 3 WpHG bereitzustellen. Außerdem sollen sie so verstehen können, dass es wichtig ist, dass diese Informationen aktuell, zutreffend und vollständig sind und so dazu veranlasst werden, zutreffend und ausreichend für die Geeignetheitsprüfung über ihre Kenntnisse und Erfahrungen, ihre finanziellen Verhältnisse (einschließlich ihrer Fähigkeit, Verluste zu tragen) und ihre Anlageziele (einschließlich ihrer Risikotoleranz) Auskunft zu geben. Die Unternehmen müssen ihre Kunden darauf aufmerksam machen, dass vollständige und zutreffende Informationen unerlässlich sind, damit das Wertpapierdienstleistungsunternehmen geeignete Produkte empfehlen kann. Ohne diese Informationen können die Wertpapierdienstleistungsunternehmen keine Anlageberatung oder Finanzportfolioverwaltung für Kunden erbringen.
  3. Es bleibt den Wertpapierdienstleistungsunternehmen überlassen, wie sie ihre Kunden über die Geeignetheitsprüfung informieren. Die Informationen können in standardisierter Form zur Verfügung gestellt werden. Die gewählte Form muss allerdings Kontrollen im Nachgang ermöglichen, um feststellen zu können, ob die Informationen erteilt wurden.
  4. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass die Entscheidung über die Geeignetheit einer Anlage beim Kunden liegt oder dass der Kunde festlegt, welche Produkte zu seinem Risikoprofil passen. So dürfen beispielsweise die Unternehmen nicht bei einem bestimmten Produkt dem Kunden gegenüber den Eindruck erwecken, dass es sich dabei genau um das von ihm als geeignet ausgewählte Produkt handele, oder aber vom Kunden verlangen, die Geeignetheit eines bestimmten Produkts oder einer Dienstleistung zu bestätigen.
  5. Etwaige Haftungsausschlüsse oder vergleichbare Erklärungen (beispielsweise „dieses Angebot stellt keine Anlageberatung dar“), mit denen die Verantwortung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens für die Geeignetheitsprüfung beschränkt werden soll, wirken sich weder auf die Einstufung (z.B. als Anlageberatung) der in der Praxis erbrachten Dienstleistung für den Kunden noch auf die Beurteilung der Einhaltung der entsprechenden Anforderungen durch das Wertpapierdienstleistungsunternehmen aus. Wenn die für die Durchführung der Geeignetheitsprüfung erforderlichen Kundeninformationen (wie Haltedauer oder Informationen über die Risikotoleranz der Kunden) eingeholt werden und die Empfehlung auf diese Informationen gestützt wird oder dieser Eindruck beim Kunden erweckt wird, dürfen die Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht behaupten, dass sie die Geeignetheit nicht beurteilen.
  6. Um den Kunden zu helfen, das Konzept der „Nachhaltigkeitspräferenzen“ gem. Art. 2 Abs. 7 DV und die in diesem Zusammenhang zu treffenden Entscheidungen zu verstehen, müssen die Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Begriffe und Unterschiede zwischen den Definitionen von Nachhaltigkeitspräferenzen gem. Art. 2 Abs. 7 Buchstabe a bis c DV sowie zwischen diesen Produkten und Produkten ohne solche Nachhaltigkeitsfaktoren erläutern, wobei Fachausdrücke zu vermeiden sind. Zudem müssen Unternehmen Begriffe und Konzepte erläutern, die in Bezug auf ökologische, soziale und Aspekte der Unternehmensführung verwendet werden.
  7. Um das Verständnis der Kunden bezüglich der im Wege des „Robo-Advice“25 erbrachten Dienstleistungen Anlageberatung und Finanzportfolioverwaltung sicherzustellen, müssen die Wertpapierdienstleistungsunternehmen den Kunden neben anderen vorgeschriebenen Angaben folgende Informationen zukommen lassen:

    • eine eindeutige Erläuterung, in welchem Maße und Umfang Personen beteiligt sind und ob und ggf. wie der Kunde Kontakt mit einem Mitarbeiter herstellen kann;

    • eine Erläuterung, dass sich die von Kunden erteilten Antworten unmittelbar auf die Beurteilung der Geeignetheit der empfohlenen oder in ihrem Namen getroffenen Anlageentscheidungen auswirken können;

    • eine Beschreibung der für die Anlageberatung oder Finanzportfolioverwaltung herangezogenen Informationsquellen (wird z.B. ein Online-Fragebogen verwendet, müssen die Unternehmen erklären, ob die Beantwortung der Fragen die alleinige Grundlage für den „Robo-Advice“ bildet oder ob sie Zugang zu weiteren Kundeninformationen oder –konten haben);

    • eine Erläuterung, wie und wann die Informationen über die Kundenmerkmale und persönlichen Verhältnisse des Kunden aktualisiert werden.

  8. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen sorgfältig prüfen, ob ihre schriftlichen Mitteilungen so gestaltet sind, dass sie ihren Zweck erfüllen (z.B. die Mitteilungen werden den Kunden direkt zugänglich gemacht und sind nicht versteckt oder unverständlich). Bei Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die „Robo-Advice“ anbieten, sollten insbesondere folgende Punkte berücksichtigt werden:

    • Hervorhebung der wichtigen Informationen, etwa der Risikohinweise (z.B. durch Nutzung interaktiver Felder, wie z.B. Pop-Up_Felder);

    • Prüfung, ob bei einigen Informationen interaktiver Text (z.B. durch Nutzung interaktiver Elemente wie Tooltips) hinzugefügt werden sollte oder auf andere Weise Kunden, die weiterführende Informationen suchen, zusätzliche Angaben (z.B. über die Rubrik „häufig gestellte Fragen“) bereitgestellt werden könnten.

BT 7.1.2 Notwendige Vorkehrungen zum Verständnis von Kunden
  1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen über geeignete Grundsätze und Verfahren verfügen, um die wesentlichen Tatsachen und Merkmale in Bezug auf ihre Kunden einzuholen. Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen ungeachtet der für die Einholung der Informationen verwendeten Mittel sicherstellen, dass die Beurteilung der erhobenen Kundeninformationen einheitlich erfolgt.
  2. Die Grundsätze und Verfahren der Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen ihnen die Einholung und Beurteilung sämtlicher Informationen ermöglichen, die für eine Geeignetheitsprüfung bei jedem einzelnen Kunden erforderlich sind, wobei den in Abschnitt 7.1.3 dargestellten Grundsätzen Rechnung zu tragen ist.
  3. Beispielsweise können die Wertpapierdienstleistungsunternehmen Fragebögen wie z.B. den sog. „WpHG-Bogen“ (auch in digitaler Form) einsetzen, die von den Kunden selbst ausgefüllt werden, oder Informationen nutzen, die im Verlauf der Kundengespräche eingeholt werden. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen die Fragen so formulieren, dass sie von Kunden voraussichtlich richtig verstanden werden und dass etwaige andere Methoden, die für die Einholung von Informationen verwendet werden, so ausgestaltet sind, dass sie die Beschaffung der für die Geeignetheitsprüfung erforderlichen Informationen gewährleisten.
  4. Wenn Unternehmen Fragebögen zur Einholung der Kundeninformationen für die Geeignetheitsprüfung verwenden, müssen sie bei der Gestaltung der Fragebögen die häufigsten Gründe, warum Anleger Fragen möglicherweise nicht zutreffend beantworten , berücksichtigen.

    Insbesondere:

    • Müssen die Unternehmen besonderes Augenmerk auf Vollständigkeit und Verständlichkeit des Fragebogens legen und dabei irreführende und ungenaue Sprache vermeiden; außerdem sollen die Unternehmen, soweit möglich, auf Fachausdrücke verzichten

    • Müssen die Unternehmen das Layout sorgfältig erstellen, um eine Beeinflussung der Entscheidungen des Anlegers zu vermeiden (Schriftart, Zeilenabstand, etc.);

    • Dürfen die Fragen nicht in zusammengefasster Form vorgelegt werden (Einholung von Informationen zu einer Reihe von Punkten durch eine einzige Frage, vor allem bei der Beurteilung von Kenntnissen und Erfahrungen sowie der Risikotoleranz);

    • Müssen die Unternehmen die Reihenfolge, in der sie die Fragen stellen, sorgfältig prüfen;

    • Darf die Möglichkeit der Nichtbeantwortung grundsätzlich nicht in den Fragebögen vorgesehen sein, um zu gewährleisten, dass die erforderlichen Informationen auch eingeholt werden (insbesondere wenn Informationen über die finanziellen Verhältnisse des Anlegers erfasst werden).

  5. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen zudem geeignete Maßnahmen ergreifen, um beurteilen zu können, inwiefern der Kunde das Konzept des Anlagerisikos sowie den Zusammenhang zwischen Risiko und Rendite der Anlage versteht, da davon maßgeblich abhängt, ob die Wertpapierdienstleistungsunternehmen in der Lage sind, bei der Durchführung der Geeignetheitsprüfung im besten Interesse des Kunden zu handeln. Bei der Vorlage der entsprechenden Fragen muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen dem Kunden unmissverständlich erklären, dass ihre Beantwortung dem Zweck dient, seine Risikobereitschaft (sein Risikoprofil) zu beurteilen und somit die Arten der für ihn geeigneten Produkte (mit den entsprechenden Risiken) zu ermitteln.
  6. Zu den für die Durchführung einer Geeignetheitsprüfung erforderlichen Informationen gehören die in § 64 Abs. 3 WpHG genannten Aspekte, unter anderem solche, die sich auf die Analyse der finanziellen Verhältnisse des Kunden (einschließlich seiner Fähigkeit, Verluste zu tragen) oder seiner Anlageziele (einschließlich seiner Risikotoleranz) auswirken können.

    Dies kann die folgenden Aspekte beinhalten:

    a. den Familienstand (insbesondere die Befugnis des Kunden, über Vermögenswerte zu verfügen, an denen der Ehepartner Miteigentümer ist);

    b. die familiäre Situation (Veränderungen in der familiären Situation eines Kunden können sich auf seine finanziellen Verhältnisse auswirken, z. B. die Geburt eines Kindes oder der Studienbeginn eines Kindes);

    c. das Alter des Kunden (das Alter kann für eine Beurteilung der Anlageziele und insbesondere des Anlagerisikos, das der Anleger einzugehen bereit ist, sowie der Haltedauer relevant sein, was Aufschluss über die Bereitschaft zum Halten einer Anlage über einen gewissen Zeitraum gibt);

    d. die berufliche Situation (der Grad der Arbeitsplatzsicherheit oder anstehender Ruhestand können sich auf die finanziellen Verhältnisse oder die Anlageziele des Kunden auswirken);

    e. der Bedarf an Liquidität bei bestimmten Anlagen oder Bedarf an der Finanzierung künftiger finanzieller Verpflichtungen (z.B. Immobilienkauf, Ausbildungskosten).

  7. Wenn die Wertpapierdienstleistungsunternehmen festlegen, welche Informationen erforderlich sind, müssen sie die Auswirkungen berücksichtigen, die eine wesentliche Änderung dieser Informationen auf die Geeignetheitsprüfung haben können.
  8. Die einzuholenden Informationen über die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden müssen alle in der Definition von „Nachhaltigkeitspräferenzen“ gem. Art. 2 Abs. 7 DV genannten Aspekte umfassen und ausreichend detailliert sein, um einen Abgleich der Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden mit den Nachhaltigkeitsfaktoren von Finanzinstrumenten zu ermöglichen. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen daher folgende Informationen von ihren Kunden einholen:
    • Ob der Kunde Nachhaltigkeitspräferenzen hat (Ja/Nein);
    • Wenn der Kunde die vorstehende Frage mit „Ja“ beantwortet, ob er eine oder mehrere Nachhaltigkeitspräferenzen gem. Buchstaben a, b oder c Art. 2 Abs. 7 DV hat;
    • für die Buchstaben a und b den Mindestanteil;
    • für den Buchstaben c: Welche wichtigsten nachteiligen Auswirkungen berücksichtigt werden sollen, einschließlich der qualitativen oder quantitativen Elemente, mit denen diese Berücksichtigung nachgewiesen wird.

    Während des gesamten Verfahrens sollten die Unternehmen einen neutralen und unvoreingenommenen Ansatz verfolgen, um die Antworten der Kunden nicht zu beeinflussen.

  9. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen können folgende Aspekte bei der Abfrage berücksichtigen:
    • Die Unternehmen können Informationen darüber einholen, ob sich die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden im Fall der Buchstaben b bzw. c auf ökologische, soziale oder unternehmensführungsbezogene Nachhaltigkeitsfaktoren oder eine Kombination dieser Faktoren beziehen oder ob der Kunde keinen solchen Schwerpunkt hat.
    • Wenn der Kunde Präferenzen im Hinblick auf die in den Buchstaben a und b genannten „Mindestanteile“ angibt, können die Unternehmen diese Informationen als Mindestprozentsatz erheben. Eine Abfrage in Form einer genauen Prozentangabe ist nicht erforderlich. Die Prozentsätze müssen für den Kunden neutral dargestellt werden und hinreichend granular sein. Die Unternehmen können beispielsweise den Kunden bei der Ermittlung des Mindestanteils anhand standardisierter Mindestanteile wie „mindestens 20 %, mindestens 25 %, mindestens 30 % usw.“ unterstützen.
    • Falls ein Kunde ein Finanzinstrument einbeziehen möchte, bei dem die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen berücksichtigt werden, können die Unternehmen, anstelle einzelner Indikatoren für die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen abzufragen, die Präferenzen des Kunden anhand von Gruppen von Indikatoren für die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen ermitteln. Diese Gruppen können auf ökologischen, sozialen oder Aspekten der Unternehmensführung beruhen und dabei die in den technischen Regulierungsstandards der Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten26 vorgestellten Kategorien wie Treibhausgasemission, Biodiversität und Wasser usw., verwenden27.
  10. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen für ihre Mitarbeiter mit Kundenkontakt Grundsätze und Verfahren für Situationen bereitstellen, in denen Kunden zwar antworten, dass sie Nachhaltigkeitspräferenzen haben, aber keine Präferenz im Hinblick auf einen der in Art. 2 Abs. 7 Buchstaben a bis c DV genannten spezifischen Aspekte oder in Bezug auf einen Mindestanteil angeben. Das Unternehmen kann in diesen Fällen jeden der in Art. 2 Abs. 7 Buchstaben a bis c der DV genannten Aspekte berücksichtigen. Wenn Unternehmen diesen Ansatz zugrunde legen, müssen sie dies erläutern und den Kunden über die Nachhaltigkeitsfaktoren der Produkte, die empfohlen werden sollen, oder die Nachhaltigkeitsfaktoren der Strategie, informieren und die Entscheidung des Kunden, die Nachhaltigkeitspräferenzen nicht weiter zu spezifizieren, in der Geeignetheitserklärung – sofern eine solche dem Kunden zur Verfügung zu stellen ist - dokumentieren. Entscheidet sich der Kunde für mehrere Nachhaltigkeitspräferenzen gem. Buchstaben a, b oder c gem. Art. 2 Abs. 7 DV ohne eine Präferenz festzulegen, kann das Unternehmen die Nachhaltigkeitspräferenzen als alterativ auslegen, es sei denn der Kunde hat sich anderweitig geäußert.
  11. Wenn Wertpapierdienstleistungsunternehmen Portfolioverwaltung oder Anlageberatung mit Portfolioansatz anbieten, müssen sie Informationen über die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden mit der in BT 7.1.2 Nr. 8 und 9 beschriebenen Granularität erfassen. Daneben müssen die Unternehmen den Kunden fragen, welchen Teil bzw. welchen Prozentsatz des Portfolios der Kunde in Produkte investieren möchte, die seinen Nachhaltigkeitspräferenzen entsprechen. Wenn die Unternehmen Musterportfolien nutzen, bei denen einige oder alle der in BT 7.1.2 Nr. 8 aufgeführten Kriterien kombiniert werden, müssen diese Musterportfolien eine detaillierte Bewertung der Präferenzen des Kunden ermöglichen und dürfen den Kunden nicht zu einer bestimmten Kombination von Kriterien veranlassen, die nicht seinen Nachhaltigkeitspräferenzen entsprechen28.
  12. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen alle geeigneten Maßnahmen treffen, um das Verständnis ihrer Kunden hinsichtlich der wichtigsten Merkmale der von ihnen angebotenen Produktarten und der damit verbundenen Risiken hinreichend beurteilen zu können. Für die korrekte Beurteilung der Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden ist es besonders wichtig, dass die Wertpapierdienstleistungsunternehmen Verfahren einführen, die eine Selbsteinschätzung verhindern und die Widerspruchsfreiheit der Antworten des Kunden29 gewährleisten. Bei der Beurteilung der Kenntnisse und Erfahrungen eines Kunden muss eine Gesamtbetrachtung seines Verständnisses der Produkte und der Risiken vorgenommen werden, die mit den empfohlenen Transaktionen oder der Verwaltung seines Portfolios verbunden sind.
  13. Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Wertpapierdienstleistungsunternehmen das Verständnis des Kunden hinsichtlich grundlegender Finanzbegriffe wie Anlagerisiko (einschließlich des Klumpenrisikos) und Risiko-Rendite-Verhältnis beurteilen. Hierzu sollten die Wertpapierdienstleistungsunternehmen anhand gut verständlicher Beispiele erläutern, wie hoch mögliche Verluste/Renditen in Abhängigkeit von der Höhe des eingegangenen Risikos sein können, und die Reaktion des Kunden auf diese Szenarien berücksichtigen.
  14. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen bei der Verwendung von Fragebögen diese so gestalten, dass sie damit die erforderlichen Informationen über ihre Kunden einholen können. Dies ist unter Umständen in Anbetracht des begrenzten persönlichen Kontakts besonders relevant für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die „Robo-Advice“-Dienste anbieten. Um zu gewährleisten, dass sie diesen Anforderungen genügen, müssen die Unternehmen dabei u.a. folgendes berücksichtigen:

    • Ob die durch den Online-Fragebogen eingeholten Informationen den Unternehmen den Schluss gestatten, dass die erbrachten Beratungsleistungen unter Berücksichtigung von Kenntnissen und Erfahrungen, finanziellen Verhältnissen, sowie Anlagezielen und Bedürfnissen für ihre Kunden geeignet sind;

    • Ob die Fragen des Online-Fragebogens hinreichend klar sind und/oder ob der Fragebogen so konzipiert ist, dass er bei Bedarf weitere Erläuterungen oder Beispiele für die Kunden beinhaltet (z.B. durch den Einsatz von interaktiven Elementen wie Tooltips oder Pop-up-Feldern);

    • Ob den Kunden ein Mindestmaß an persönlichem Kontakt zu einem Mitarbeiter (einschließlich Fernbetreuung über E-Mail oder Telefon) zur Verfügung steht, wenn sie den Online-Fragebogen bearbeiten; und

    • Ob Maßnahmen ergriffen wurden, um auf widersprüchliche Kundenantworten zu reagieren (wie z.B. Einbau interaktiver Merkmale in den Fragebogen, um Kunden darauf hinzuweisen, wenn ihre Antworten in sich widersprüchlich erscheinen, und ihnen vorzuschlagen, die entsprechenden Antworten zu überdenken; oder Einrichtung von Systemen, die offenbar widersprüchliche Informationen von Kunden zur Überprüfung und Weiterverfolgung durch die Firma kennzeichnen).

BT 7.1.3 Umfang der von den Kunden einzuholenden Informationen (Verhältnismäßigkeit)
  1. Bevor Wertpapierdienstleistungsunternehmen Empfehlungen im Rahmen der Anlageberatung oder der Finanzportfolioverwaltung abgeben, müssen sie sämtliche „erforderlichen Informationen“ über die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden, seine finanziellen Verhältnisse und seine Anlageziele einholen. Der Umfang der erforderlichen Informationen kann variieren und richtet sich nach der zu erbringenden Anlageberatung und Finanzportfolioverwaltung, der Art und den Merkmalen der in Frage kommenden Produkte.
  2. Um festzulegen, welche Informationen „erforderlich“ sind, haben die Wertpapierdienstleistungsunternehmen von den Kenntnissen und Erfahrungen, den finanziellen Verhältnissen und den Anlagezielen des Kunden ausgehend folgende Aspekte zu berücksichtigen:

    a. Art des Produkts bzw. des Finanzgeschäfts, das für die Unternehmen als Empfehlung bzw. Abschluss in Betracht kommt (einschließlich der Komplexität und der Höhe des Risikos);

    b. Art und Umfang der Dienstleistungen, die das Unternehmen erbringt;

    c. Bedürfnisse und persönliche Verhältnisse des Kunden;

    d. Art des Kunden.

  3. Das WpHG gestattet es den Unternehmen, Informationen in einem Umfang einzuholen, der verhältnismäßig zu der Art und den Risiken der von ihnen angebotenen Produkte und Dienstleistungen bzw. der Produkte und Dienstleistungen ist, für die der Kunde eine spezifische Anlageberatung oder Finanzportfolioverwaltung wünscht. Die Unternehmen dürfen von dieser Verpflichtung nicht zu Lasten des Kunden abweichen.
  4. Bieten Wertpapierdienstleistungsunternehmen beispielsweise komplexe30 Produkte oder Produkte, die einer hohen Risikoklasse31 zugeordnet sind, an, müssen sie sorgfältig prüfen, ob sie ausführlichere Informationen über den Kunden einholen müssen als in anderen Fällen, in denen es sich um weniger komplexe oder riskante Produkte handelt. So können die Unternehmen die Fähigkeit des Kunden beurteilen, die mit diesen Produkten verbundenen Risiken zu verstehen und finanziell tragen zu können32. Es wird von Wertpapierdienstleistungsunternehmen erwartet, dass sie die Detailtiefe der Beurteilung der Kenntnisse und Erfahrungen an den Grad der Komplexität der angebotenen Produkte anpassen. Dabei muss u.a. auch seine Fähigkeit überprüft werden, die Mechanismen zu verstehen, die das Produkt „komplex“ machen, und ob der Kunde bereits mit derartigen Produkten (z.B. Derivaten und Hebelprodukten) gehandelt hat und wie lange.
  5. Bei illiquiden Produkten33 haben die „erforderlichen Informationen“ die Angabe zu enthalten, wie lange der Kunde die Anlage zu halten beabsichtigt.

    Bei illiquiden Produkten oder Produkten, die einer hohen Risikoklasse zugeordnet sind, können Angaben zu den nachfolgend genannten Punkten zu den „erforderlichen Informationen“ gehören, um festzustellen, ob es die finanzielle Situation des Kunden gestattet, diese Instrumente zu erwerben:

    a. Höhe des regelmäßigen Einkommens und des Gesamteinkommens des Kunden, ob es sich um ein dauerhaftes oder zeitweiliges Einkommen handelt und aus welcher Quelle es stammt (z. B. Erwerbseinkommen, Renten-/Pensionseinkommen, Erträge aus Kapitalanlagen, Mieterträge);

    b. die Vermögenswerte des Kunden, darunter liquide Vermögenswerte, Anlagen und Immobilienbesitz; dazu gehören auch Kapitalanlagen, das bewegliche Vermögen und als Finanzinvestition gehaltene Immobilien, Pensionsfonds, Bareinlagen usw.; soweit erforderlich, muss das Unternehmen auch Informationen zu Bedingungen, Fristen, Zugang, Darlehen, Bürgschaften und sonstigen Beschränkungen einholen, die möglicherweise im Zusammenhang mit oben genannten Vermögenswerten bestehen;

    c. die regelmäßigen finanziellen Verpflichtungen des Kunden, wozu die bereits bestehenden wie auch konkret in Aussicht genommene Verpflichtungen gehören (Schuldenposten des Kunden, Verbindlichkeiten insgesamt und sonstige regelmäßige Verpflichtungen usw.).

  6. Bei der Festlegung der einzuholenden Informationen müssen die Wertpapierdienstleistungsunternehmen auch die Art der zu erbringenden Dienstleistung berücksichtigen. Praktisch bedeutet das Folgendes:

    a. Wird die Anlageberatung erbracht, müssen die Unternehmen Informationen einholen, um beurteilen zu können, ob der Kunde in der Lage ist, die Risiken und die Eigenschaften der jeweiligen Produkte einschätzen zu können, die ihm das Unternehmen empfehlen möchte.

    b. Bei der Erbringung der Finanzportfolioverwaltung müssen die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden in Bezug auf die einzelnen Produkte, die in das Portfolio einfließen können, nicht so detailliert sein wie im Falle der Anlageberatung. Gleichwohl muss der Kunde zumindest die allgemeinen Risiken des Portfolios verstehen und eine grundlegende Vorstellung von den Risiken haben, die mit den einzelnen Arten von Produkten verbunden sind, die in das Portfolio aufgenommen werden können. Die Unternehmen müssen sich ein deutliches Bild vom Anlegerprofil des Kunden verschaffen.

  7. Ebenso kann der Umfang der vom Kunden erbetenen Dienstleistung maßgeblich dafür sein, wie detailliert die über ihn einzuholenden Informationen sein müssen. Über Kunden, die eine Anlageberatung für ihr gesamtes Anlageportfolio wünschen, müssen sich die Unternehmen umfassender informieren als über Kunden, die sich speziell bei der Anlage eines bestimmten Betrags beraten lassen wollen, der nur einen relativ kleinen Teil ihres Gesamtportfolios ausmacht.
  8. Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen muss bei der Bestimmung der einzuholenden Informationen auch das jeweilige Profil des Kunden berücksichtigen. Ausführlichere Informationen sind grundsätzlich bei Kunden einzuholen, die erstmals eine Anlageberatung oder Portfolioverwaltung in Anspruch nehmen. Erbringt ein Unternehmen dagegen die Anlageberatung oder die Finanzportfolioverwaltung für einen professionellen Kunden (der auch korrekt als solcher eingestuft wurde), kann es grundsätzlich davon ausgehen, dass dieser Kunde über die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, und muss daher zu diesen Punkten keine Informationen einholen.
  9. Wenn die Wertpapierdienstleistung in einer Anlageberatung oder Finanzportfolioverwaltung für geborene professionelle Kunden gem. § 67 Abs. 2 WpHG besteht, kann das Unternehmen grundsätzlich davon ausgehen, dass etwaige damit einhergehende Anlagerisiken für den Kunden seinen Anlagezielen entsprechend finanziell tragbar sind, und braucht daher grundsätzlich keine Informationen zu den finanziellen Verhältnissen des Kunden einzuholen. Allerdings müssen entsprechende Informationen eingeholt werden, wenn die Anlageziele des Kunden dies erfordern. Möchte der Kunde beispielsweise ein Risiko absichern, benötigt das Unternehmen detaillierte Informationen über dieses Risiko, um ein wirksames Sicherungsinstrument vorschlagen zu können.
  10. Auch die Bedürfnisse und persönlichen Verhältnisse des Kunden sind ausschlaggebend dafür, welche Informationen benötigt werden. So sind grundsätzlich - anders als bei einer kurzfristigen sicheren Anlage - ausführlichere Informationen über die finanziellen Verhältnisse des Kunden erforderlich, wenn dieser mehrere und/oder langfristige Anlageziele verfolgt.
  11. Zu den Informationen über die finanziellen Verhältnisse des Kunden zählen Angaben zu seinen Kapitalanlagen. Hierbei ist davon auszugehen, dass die Wertpapierdienstleistungsunternehmen über die einzelnen bei ihnen gehaltenen Kapitalanlagen des Kunden informiert sind. Je nach Umfang der geleisteten Beratung (z.B. wenn sich die Beratung im Rahmen der Portfolioberatung auch auf Depots erstrecken soll, die der Kunde bei anderen Unternehmen hält), müssen die Unternehmen ihre Kunden zudem dazu anhalten, Angaben zu Kapitalanlagen mitzuteilen, die sie bei anderen Unternehmen halten, nach Möglichkeit auch aufgeschlüsselt nach einzelnen Instrumenten.
BT 7.1.4 Zuverlässigkeit der Kundeninformationen
  1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen geeignete Maßnahmen ergreifen und über geeignete Instrumente verfügen, um die Zuverlässigkeit und Widerspruchsfreiheit der eingeholten Kundeninformationen zu gewährleisten, ohne ausschließlich auf die Selbsteinschätzung des Kunden zu vertrauen.
  2. Von den Kunden wird erwartet, dass sie korrekte, aktuelle und vollständige Informationen für die Geeignetheitsprüfung angeben. Allerdings müssen die Unternehmen angemessene Maßnahmen treffen, um die Zuverlässigkeit, die Richtigkeit und die Widerspruchsfreiheit der eingeholten Kundeninformationen überprüfen zu können (zumindest ist zu prüfen, ob die Angaben des Kunden offensichtliche Unstimmigkeiten enthalten). Die Unternehmen tragen die Verantwortung dafür, dass ihnen ausreichende und angemessene Informationen zur Durchführung der Geeignetheitsprüfung zur Verfügung stehen. Dabei ist jedwede vom Kunden unterzeichnete Vereinbarung oder von dem Unternehmen vorgenommene Veröffentlichung, mit der das Unternehmen eine Einschränkung der Haftung für die Geeignetheitsprüfung bezweckt, unvereinbar mit den entsprechenden Vorschriften des WpHG und der DV.
  3. Eine Selbsteinschätzung der Kunden sollte durch die Vorgabe objektiver Kriterien relativiert werden.

    Beispielsweise:

    a. Anstatt den Kunden zu fragen, ob ihm die Begriffe Risiko-Rendite-Verhältnis oder Risikostreuung geläufig sind, könnte das Unternehmen praktische Beispiele, die tatsächlich auftreten können, geben, z.B. in Form von Grafiken oder positiven oder negativen Szenarien.

    b. Anstatt zu fragen, ob ein Kunde über ausreichende Kenntnisse der wichtigsten Merkmale und Risiken der spezifischen Arten von Produkten verfügt, sollte das Unternehmen beispielsweise Fragen stellen, die auf die Beurteilung der tatsächlichen Kenntnisse des Kunden über spezifischen Arten von Produkten abzielen, beispielsweise indem dem Kunden Multiple-Choice-Fragen gestellt werden, die er richtig beantwortet sollte..

    c. Anstatt den Kunden zu fragen, ob er sich ausreichend erfahren fühlt, um in ein bestimmtes Produkt zu investieren, kann der Kunde nach den Arten von Produkten gefragt werden, mit denen er sich auskennt, wie häufig er mit ihnen handelt und wie lange diese Geschäfte zurückliegen.
    d. Anstatt Kunden zu fragen, ob sie der Meinung sind, über ausreichend Finanzmittel für die Anlage zu verfügen, kann das Unternehmen die Kunden bitten, konkrete Informationen zu ihren finanziellen Verhältnissen vorzulegen, wie z.B. die Quelle regelmäßigen Einkommens oder ob ausstehende Verbindlichkeiten bestehen (wie Bankdarlehen oder sonstige Verbindlichkeiten, die sich erheblich auf die Fähigkeit des Kunden auswirken, finanzielle Risiken oder Verluste im Zusammenhang mit der Anlage zu tragen).
    e. Anstatt den Kunden zu fragen, ob er bereit ist, Risiken einzugehen, kann das Unternehmen fragen, welche Höhe an Verlusten er über einen bestimmten Zeitraum hinzunehmen bereit ist, und zwar entweder bei Einzelprodukten oder beim gesamten Portfolio.

  4. Bei der Beurteilung der Kenntnisse und Erfahrungen eines Kunden sollte das Wertpapierdienstleistungsunternehmen keine zu allgemein gehaltenen Fragen, die mit „Ja/Nein“ zu beantworten sind, stellen und keinen zu allgemeinen Ansatz für die Selbsteinschätzung, der auf dem Ankreuzen von Feldern basiert, verwenden. Beispielsweise sollten die Unternehmen dem Kunden keine Liste von Produkten vorlegen und ihn um die Angabe bitten, welche Produkte er versteht. Wenn Unternehmen Antworten auf der Grundlage von vergangenen Transaktionen des Kunden bei dem jeweiligen Unternehmen (z. B. über eine andere Wertpapierdienstleistung) vorausfüllen, müssen sie sicherstellen, dass nur objektive, sachdienliche und zuverlässige Informationen herangezogen werden und dem Kunden die Möglichkeit geboten wird, diese zu überprüfen und gegebenenfalls zu berichtigen und/oder die vorausgefüllten Antworten zu ergänzen, um die Richtigkeit etwaiger vorausgefüllter Informationen zu gewährleisten. Die Unternehmen dürfen darüber hinaus die Erfahrungen von Kunden auf der Grundlage von Annahmen nicht prognostizieren.
  5. Bei der Beurteilung der Risikotoleranz ihrer Kunden mithilfe eines Fragebogens müssen die Unternehmen nicht nur das erwünschte Risiko-Rendite-Verhältnis künftiger Produkte untersuchen, sondern auch die Risikowahrnehmung des Kunden berücksichtigen. Zwar muss die Selbsteinschätzung in Bezug auf die Feststellung der Risikotoleranz vermieden werden. Ausdrückliche Fragen, wie sich der Kunde bei ungewissen Risiken verhalten oder entscheiden würde, können jedoch gestellt werden. Darüber hinaus können die Firmen z.B. Grafiken, Prozentangaben oder konkrete Zahlen verwenden, wenn sie den Kunden fragen, wie er reagieren würde, wenn der Wert seines Portfolios abnimmt.
  6. Setzen Wertpapierdienstleistungsunternehmen für die Prüfung der Geeignetheit Instrumente ein, die von Seiten des Kunden genutzt werden sollen (wie etwa Online-Fragebögen oder eine Software zur Erstellung von Risikoprofilen), ist mittels geeigneter Systeme und Kontrollen sicherzustellen, dass diese Instrumente tatsächlich zweckdienlich sind und zu zufriedenstellenden Ergebnissen führen. Beispielsweise kann eine Software zur Erstellung von Risikoprofilen Kontrollen beinhalten, mit denen die Plausibilität der Kundenantworten überprüft wird und Widersprüche zwischen einzelnen Informationen aufgedeckt werden.
  7. Die Unternehmen sind außerdem verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um potenzielle Risiken im Zusammenhang mit der Nutzung derartiger Instrumente zu verringern. Risiken dieser Art können beispielsweise entstehen, wenn Kunden ermutigt würden, bestimmte Antworten zu geben, um Zugang zu Produkten zu erlangen, die für sie gegebenenfalls nicht geeignet sind (da die tatsächlichen Verhältnisse und Anliegen der Kunden nicht ordnungsgemäß widergespiegelt werden).34
  8. Zur Sicherstellung der Plausibilität der Kundeninformationen sind die eingeholten Informationen in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen auf Widersprüche zwischen verschiedenen Informationsteilen achten und sich ggf. mit dem Kunden in Verbindung setzen, um mögliche sachliche Unstimmigkeiten oder Ungenauigkeiten zu klären. Derartige Widersprüche liegen beispielsweise vor, wenn Kunden über nur geringe Kenntnisse oder Erfahrungen verfügen, ein konservatives Risikoprofil aufweisen und dennoch sehr hohe Renditeziele verfolgen.
  9. Die Unternehmen müssen Verfahren einführen, um dem Risiko zu begegnen, dass die Kunden ihre Kenntnisse und Erfahrungen überschätzen. So könnten z.B. Fragen vorgesehen werden, die es den Unternehmen ermöglichen, das Gesamtverständnis des Kunden hinsichtlich der Merkmale und der Risiken der einzelnen Arten von Produkten zu beurteilen. Diese Maßnahmen sind unter Umständen im Falle von „Robo-Advice“ besonders wichtig, da das Risiko der Selbstüberschätzung womöglich steigt, wenn Kunden Informationen über ein automatisiertes (oder halbautomatisiertes) System mitteilen, und zwar insbesondere in Situationen, bei denen ein begrenzter oder gar kein persönlicher Kontakt zwischen Kunden und den Mitarbeitern des Unternehmens vorgesehen ist.
BT 7.1.5 Aktualisierung der Kundeninformationen
  1. Im Falle einer laufenden Geschäftsbeziehung zu einem Kunden (wie z. B. bei der Finanzportfolioverwaltung), muss das Unternehmen, um die Geeignetheitsprüfung vornehmen zu können, Verfahren zu folgenden Aspekten festlegen:

    a. welche Bestandteile der eingeholten Kundeninformationen aktualisiert werden müssen und wie häufig eine Aktualisierung erfolgen muss;

    b. wie die Aktualisierung erfolgen soll und wie das Unternehmen vorgehen soll, wenn es zusätzliche oder aktualisierte Informationen erhält oder der Kunde die geforderten Informationen nicht bereitstellt.

  2. Die Unternehmen müssen Kundeninformationen regelmäßig überprüfen, um zu gewährleisten, dass diese nicht offensichtlich veraltet, unzutreffend oder unvollständig sind. Zu diesem Zweck müssen die Unternehmen mittels entsprechender Verfahren die Kunden dazu anhalten, die ursprünglich mitgeteilten Informationen im Falle von wichtigen Änderungen zu aktualisieren.
  3. Die Häufigkeit der Aktualisierung kann beispielsweise in Abhängigkeit vom Risikoprofil der Kunden und unter Berücksichtigung der Art des empfohlenen Produkts variieren. Anhand der Informationen, die im Zusammenhang mit der Geeignetheitsprüfung eingeholt wurden, bestimmt das Unternehmen das Anlagerisikoprofil des Kunden, d. h. es entscheidet über die Art von Wertpapierdienstleistungen bzw. Produkten, die bei Zugrundelegung der Kenntnisse, Erfahrungen, finanziellen Verhältnisse (einschließlich seiner Fähigkeit, Verluste zu tragen) und Anlageziele des Kunden (einschließlich seiner Risikotoleranz) für diesen generell geeignet sein können. Hierbei erfordert ein Risikoprofil, das dem Kunden den Zugang zu einem breiteren Angebot von risikoreichen Produkten ermöglicht, grundsätzlich eine häufigere Aktualisierung. Auch bestimmte Ereignisse können Anstoß für eine Aktualisierung sein, beispielsweise der Eintritt des Kunden in den Ruhestand.
  4. Die Aktualisierung kann beispielsweise während regelmäßig stattfindender Treffen mit den Kunden oder durch Zusendung von Fragebögen zur Aktualisierung der Kundenangaben vorgenommen werden. Daraus resultierende Maßnahmen können unter anderem in Veränderungen des Kundenprofils anhand der aktualisierten Informationen bestehen.
  5. Unternehmen sollten darauf hinwirken, dass der Kunde nicht dazu verleitet wird, sein Profil dahingehend zu aktualisieren, dass ein bestimmtes Produkt, das eigentlich für ihn ungeeignet wäre, als geeignet erscheint, obwohl sich die tatsächlichen Verhältnissen des Kunden nicht geändert haben.35 In diesem Zusammenhang ist es empfehlenswert, dass Unternehmen im Rahmen der regulären Kontrollhandlungen gem. AT 6 Verfahren einführen, um vor oder nach Transaktionen zu überprüfen, ob das Profil eines Kunden unangemessen oft oder innerhalb kurzer Zeit seit der letzten Änderung aktualisiert wurde (insbesondere wenn diese Änderung in engem zeitlichen Zusammenhang mit einer empfohlenen Anlage vorgenommen wurde). Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn Interessenkonflikte bestehen, z. B. im Falle von Eigenplatzierungen oder wenn eine Firma Zuwendungen für den Vertrieb eines Produkts erhält. In diesem Zusammenhang ist auch der Kommunikationskanal mit dem Kunden (z. B. persönliche Betreuung oder über ein automatisiertes System) zu berücksichtigen.
  6. Die Unternehmen haben ihre Kunden über Änderungen des Profils aufgrund der Aktualisierung zu informieren, gleich ob es risikoreicher (und er mithin Zugang zu einem breiteren Angebot von risikoreichen Produkten erhält, was mit der Möglichkeit höherer Verluste einhergeht) oder umgekehrt konservativer ausgerichtet wird (und somit das Angebot der für ihn geeigneten Produkte möglicherweise eingeschränkt wird).
BT 7.1.6 Kundeninformationen zu juristischen Personen oder Gruppen
  1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen über Grundsätze verfügen, in denen im Voraus festgelegt wird, wie die Geeignetheitsprüfung durchgeführt wird, wenn es sich bei einem Kunden um eine juristische Person oder eine Gruppe aus mindestens zwei natürlichen Personen handelt oder wenn eine oder mehrere natürliche Personen von einer weiteren natürlichen Person vertreten werden. Aus den Grundsätzen muss für jede dieser Situationen hervorgehen, wie die Einholung der Information und die Prüfung der Geeignetheit erfolgen müssen, um den gesetzlichen Anforderungen zu entsprechen. Das Unternehmen muss diese Kunden unmissverständlich im Voraus darüber unterrichten, wer der Geeignetheitsprüfung unterzogen wird, wie diese in der Praxis durchgeführt wird und mit welchen Auswirkungen die betroffenen Kunden gem. den geltenden Grundsätzen rechnen müssen.
  2. Die Unternehmen müssen prüfen, ob diesbezügliche nationale gesetzliche Vorgaben bestehen (dies könnte z. B. der Fall sein, wenn die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters gesetzlich vorgeschrieben ist, beispielsweise bei minderjährigen oder geschäftsunfähigen Personen oder bei juristischen Personen).
  3. Bei den Grundsätzen muss deutlich zwischen Situationen unterschieden werden, in denen nach dem anwendbaren nationalen Recht ein Vertreter vorgesehen ist, wie z. B. bei juristischen Personen, und Situationen, in denen kein Vertreter vorgesehen ist. Dabei müssen die Unternehmen in erster Linie Verfahren für die letztgenannten Situationen implementieren. Sehen die Grundsätze Vereinbarungen zwischen Kunden vor, müssen diese über etwaige Folgen derartiger Vereinbarungen für den Schutz ihrer jeweiligen Interessen deutlich hingewiesen und schriftlich darüber informiert werden. Die Unternehmen müssen die entsprechenden Verfahren und Maßnahmen dokumentieren, um nachträgliche Kontrollen zu ermöglichen.
BT 7.1.6.1 Situationen, in denen nach dem anwendbaren nationalen Recht ein Vertreter vorgesehen ist
  1. In Art. 54 Abs. 6 Unterabs. 2 der DV wird festgelegt, wie die Geeignetheitsprüfung in Fällen durchgeführt werden muss, bei denen der Kunde eine natürliche Person ist, die von einer anderen natürlichen Person vertreten wird, oder eine juristische Person ist, die eine Behandlung als professioneller Kunde verlangt hat. Ungeachtet der Tatsache, ob eine Behandlung als professioneller Kunde verlangt wurde oder nicht, sollte für alle juristischen Personen derselbe Ansatz angewendet werden.
  2. Die Einhaltung dieser Vorgabe beinhaltet u.a. die Überprüfung, ob der Vertreter – nach dem einschlägigen nationalen Recht – tatsächlich befugt ist, Transaktionen im Auftrag des dahinterstehenden Kunden auszuführen.
BT 7.1.6.2 Situationen, in denen nach dem anwendbaren nationalen Recht kein Vertreter vorgesehen ist
  1. Handelt es sich bei dem Kunden um eine Gruppe aus mindestens zwei natürlichen Personen und ist nach dem anwendbaren nationalen Recht kein Vertreter vorgesehen, muss in den Grundsätzen des Unternehmens festgelegt werden, von wem die erforderlichen Informationen eingeholt werden müssen und wie die Geeignetheitsprüfung durchgeführt werden soll. Die Kunden sollten darüber und über die Auswirkungen dieses Ansatzes auf die Durchführung der Geeignetheitsprüfung in der Praxis angemessen informiert werden.
  2. Die Unternehmen können folgende Ansätze in Betracht ziehen:

    • Die Gruppe aus mindestens zwei natürlichen Personen auffordern, einen Vertreter zu bestellen, oder

    • Informationen über jede einzelne natürliche Person einzuholen und die Geeignetheit für jede einzelne natürliche Person zu beurteilen.

BT 7.1.6.2.1 Aufforderung der Gruppe aus mindestens zwei natürlichen Personen, einen Vertreter zu bestellen
  1. Erklärt sich die Gruppe aus mindestens zwei natürlichen Personen mit der Bestellung eines Vertreters einverstanden, kann der in Art. 54 Abs. 6 Unterabs. 2 der DV beschriebene Ansatz zur Anwendung kommen: Maßgeblich sind in diesem Fall die Kenntnisse und Erfahrungen des Vertreters, während sich die finanzielle Lage und die Anlageziele nach denen der dahinterstehenden natürlichen Personen bestimmen. Diese Bestellung muss in schriftlicher Form sowie nach und im Einklang mit dem anwendbaren nationalen Recht erfolgen und von dem betreffenden Unternehmen aufbewahrt werden. Die Kunden – die Teil der Gruppe sind – müssen eindeutig und in schriftlicher Form über die Folgen informiert werden, die eine Vereinbarung zwischen Kunden auf den Schutz ihrer jeweiligen Interessen haben könnte.
  2. Gem. den Grundsätzen des Unternehmens könnte jedoch vom (von den) dahinterstehenden Kunden verlangt werden, sich auf ihre Anlageziele zu einigen.
  3. Gelingt es den Parteien nicht, die Person(en) zu bestimmen, von der (denen) die Informationen über Kenntnisse und Erfahrungen zusammengetragen werden sollen, die Grundlage zur Bemessung der finanziellen Lage für die Zwecke der Durchführung der Geeignetheitsprüfung sein sollen oder sich auf ein gemeinsames Anlageziel zu verständigen, muss das Unternehmen einen möglichst vorsichtigen Ansatz verfolgen und entsprechend die Informationen über die Person mit den geringsten Kenntnissen und Erfahrungen, der schwächsten finanziellen Lage und den konservativsten Anlagezielen zugrunde legen. Alternativ kann in den Grundsätzen des Unternehmens vorgesehen werden, dass sie in einer solchen Situation keine Anlageberatung oder Finanzportfolioverwaltung erbringen kann. Die Unternehmen müssen zumindest dann sorgfältig vorgehen, wenn es erhebliche Unterschiede zwischen den Kenntnissen und Erfahrungen oder der finanziellen Lage der verschiedenen der Gruppe angehörenden Kunden gibt oder wenn die Anlageberatung oder Finanzportfolioverwaltung unter Umständen Produkte mit Hebelwirkung oder Geschäfte mit Eventualverbindlichkeiten umfassen, die das Risiko erheblicher Verluste bergen, die die ursprüngliche Anlage der Gruppe von Kunden überschreiten könnten. Die Unternehmen müssen den gewählten Ansatz eindeutig dokumentieren.
BT 7.1.6.2.2 Einholen von Informationen über jeden einzelnen Kunden und Beurteilung der Geeignetheit für jeden einzelnen Kunden

Entscheidet sich ein Unternehmen dafür, Informationen über jeden einzelnen Kunden einzuholen und die Geeignetheit für jeden einzelnen Kunden der Gruppe zu beurteilen, kann es sein, dass die einzelnen Kunden erhebliche Unterschiede hinsichtlich ihrer Merkmale aufweisen (und das Unternehmen sie beispielsweise verschiedenen Anlageprofilen zuordnen würde), was die Einheitlichkeit der Anlageberatung und Finanzportfolioverwaltung in Bezug auf die Vermögenswerte oder das Portfolio dieser Gruppe von Kunden in Frage stellen kann. In einer solchen Situation kann ein Produkt für einen Kunden der Gruppe geeignet sein, für einen anderen jedoch nicht. Aus den Grundsätzen des Unternehmens muss eindeutig hervorgehen, wie mit derartigen Situationen umzugehen ist. Hier muss das Unternehmen wiederum einen konservativen Ansatz verfolgen und die Informationen über den Kunden der Gruppe mit den geringsten Kenntnissen und Erfahrungen, der schwächsten finanziellen Lage und den konservativsten Anlagezielen berücksichtigen. Alternativ kann in den Grundsätzen das Unternehmens vorgesehen werden, dass es in einer solchen Situation keine Anlageberatung oder Finanzportfolioverwaltung erbringen kann. Unternehmen dürfen nicht Informationen über alle Kunden, die Teil der Gruppe sind, zusammenzutragen und für die Zwecke der Geeignetheitsprüfung ein Durchschnittsprofil der Kenntnisse und Kompetenzen aller Kunden heranzuziehen, da sie damit nicht im Interesse ihrer Kunden handeln würden.

BT 7.1.7 Notwendige Vorkehrungen zum Verständnis von Produkten
  1. Die Unternehmen müssen geeignete Verfahren implementieren, mittels derer sie die Produktmerkmale und –besonderheiten (einschließlich Kosten und Risiken) nachvollziehen können, so dass sie geeignete Anlageempfehlungen aussprechen oder im Auftrag ihrer Kunden in geeignete Produkte investieren können.
  2. Die Unternehmen müssen widerstandsfähige Verfahren, und Instrumente einführen, mittels derer sie objektiv und einheitlich die einzelnen Produkte ihres Anlageuniversums anhand der verschiedenen Merkmale und relevanten Risikofaktoren (wie Ausfallrisiko, Marktrisiko, Liquiditätsrisiko36 usw.) klassifizieren können. Dabei müssen die Unternehmen ihre eigene Analyse berücksichtigen, die sie im Rahmen der Produktüberwachung/Zielmarktbestimmung vorgenommen haben.37

    In diesem Zusammenhang müssen die Unternehmen sorgfältig prüfen, wie sich bestimmte Produkte unter bestimmten Umständen entwickeln könnten (z. B. Wandelanleihen oder andere Schuldtitel, die dem Bail-In Mechanismus38 unterliegen, die z. B. ihre Form ändern und in Aktien umgewandelt werden können).

  3. Unternehmen sollten ihr besonderes Augenmerk auf die Berücksichtigung des Grades der „Komplexität“ von Produkten legen, der mit den Informationen des Kunden abgeglichen werden muss (insbesondere in Bezug auf seine Kenntnisse und Erfahrungen). Wenn die Unternehmen den Grad der Komplexität der Produkte für die Geeignetheitsprüfung bestimmen und die Produkte danach angemessen abstufen, müssen sie jedoch auch die im WpHG festgelegten Kriterien zur Bestimmung der Komplexität berücksichtigen.
  4. Bei der Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsfaktoren von Produkten im Hinblick auf den anschließenden Abgleich mit den Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden können die Unternehmen beispielsweise die Finanzinstrumente, die in ihrer Produktpalette enthalten sind, nach folgenden Kriterien einordnen und gruppieren:
    • dem Anteil, der in Wirtschaftstätigkeiten investiert wird, die als ökologisch nachhaltig gelten (im Sinne von Art. 2 Nummer 1 der Taxonomie-Verordnung);
    • dem Anteil der nachhaltigen Investitionen (im Sinne von Art. 2 Abs. 17 der Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten);
    • nach Berücksichtigung der wichtigsten nachteiligen Auswirkungen und anderer ökologischer, sozialer und unternehmensführungsbezogener Nachhaltigkeitsfaktoren.
    Diese Einordnung bzw. Gruppierung muss mit der Analyse des Unternehmens zur Einhaltung der Anforderungen an die Product Governance in Einklang stehen. Eine Einordnung bzw. Gruppierung von Finanzinstrumenten für die Geeignetheitsprüfung ersetzt nicht die Einholung von Kundeninformationen gem. BT 7.1.2 Nr. 8 und 9.
  5. Die Unternehmen müssen Verfahren einführen, die gewährleisten, dass die für das Verständnis und die korrekte Einstufung von Produkten ihrer Produktpalette herangezogenen Informationen richtig, einheitlich und aktuell sind. Bei der Einführung dieser Verfahren müssen die Unternehmen den verschiedenen Merkmalen und der Art der betreffenden Produkte Rechnung tragen.
  6. Darüber hinaus müssen die Unternehmen die verwendeten Informationen daraufhin überprüfen, ob etwaige Änderungen Auswirkungen auf die Einstufung des Produkts haben. Vor dem Hintergrund des kontinuierlichen Wandels und der immer schnelleren Entwicklungen auf den Finanzmärkten ist dies von besonderer Bedeutung.
BT 7.1.8 Ermittlung geeigneter Produkte für Kunden
  1. Um jedem einzelnen Kunden für ihn geeignete Produkte anbieten zu können, müssen die Wertpapierdienstleistungsunternehmen Grundsätze aufstellen und Verfahren einrichten, die sicherstellen, dass die folgenden Aspekte kontinuierlich Berücksichtigung finden:

    • alle verfügbaren Informationen über den Kunden, die bei der Beurteilung der Geeignetheit einer Anlage erforderlich sind, einschließlich des aktuellen Anlageportfolios des Kunden (und der Allokation der Vermögenswerte innerhalb dieses Portfolios);

    • alle Merkmale der im Rahmen der Geeignetheitsprüfung berücksichtigten Produkte, einschließlich aller relevanten Risiken und der direkten und indirekten Kosten für den Kunden.

  2. Die Geeignetheitsprüfung ist nicht nur in Bezug auf Empfehlungen zum Kauf eines Produkts vorzunehmen. Jede Empfehlung muss geeignet sein, ebenso z. B. die Empfehlung, ein Instrument zu kaufen, zu halten oder zu verkaufen oder dies zu unterlassen.39
  3. Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die sich im Rahmen der Geeignetheitsprüfung auf bestimmte Instrumentarien stützen (wie etwa Portfoliomodelle, Software für die Portfolioaufteilung oder ein Instrument zur Erstellung von Risikoprofilen für potenzielle Produkte), haben mittels geeigneter Systeme und Kontrollen zu gewährleisten, dass bei der Verwendung dieser Instrumente die Vorgaben des WpHG und der DV zur Geeignetheitsprüfung eingehalten werden.

    Die Instrumente sind daher so zu gestalten, dass sie alle maßgeblichen Besonderheiten der einzelnen Kunden oder Produkte berücksichtigen. So wäre beispielsweise der ausschließliche Einsatz von Instrumenten, bei denen eine sehr weit gefasste Einteilung der Kunden oder Produkte vorgenommen wird, diesem Zwecke nicht dienlich.

  4. Die Grundsätze und Verfahren im Unternehmen müssen Folgendes gewährleisten:

    a. Bei für die Kunden erbrachter Anlageberatung und Finanzportfolioverwaltung wird ein angemessenes Maß an Risikodiversifizierung berücksichtigt,

    b. dem Kunden ist der Zusammenhang zwischen Risiko und Rendite hinreichend bewusst, d. h., ihm ist bekannt, dass mit risikolosen Vermögenswerten zwangsläufig ein geringer Ertrag verbunden ist, dass der Zeithorizont hierbei eine Rolle spielt und dass Kosten Auswirkungen auf seine Produkte haben,

    c. die finanziellen Verhältnisse des Kunden gestatten die Finanzierung der Produkte und der Kunde kann alle etwaigen Verluste aus den Produkten tragen,

    d. im Zusammenhang mit illiquiden Produkten wird bei allen persönlichen Empfehlungen und Geschäften, die im Verlaufe der Anlageberatung oder der Finanzportfolioverwaltung abgegeben bzw. getätigt werden, berücksichtigt, wie lange der Kunde die Produkte zu halten beabsichtigt,

    e. es wird vermieden, dass sich Interessenkonflikte nachteilig auf die Qualität der Geeignetheitsprüfung auswirken.

  5. Nachhaltigkeitspräferenzen dürfen erst dann berücksichtigt werden, wenn die Geeignetheit anhand der Kriterien Kenntnisse und Erfahrung, finanzielle Lage und andere Anlageziele bewertet wurde. Sobald die zur Auswahl stehenden geeigneten Produkte durch diese Bewertung ermittelt wurde, ist in einem zweiten Schritt das Produkt oder – mit Blick auf die Portfolioverwaltung oder Anlageberatung mit Portfolioansatz – eine Anlagestrategie zu ermitteln, die die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden erfüllt40.
  6. Ein Unternehmen darf ein Produkt, das nicht den ursprünglichen Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden entspricht, nur dann empfehlen, wenn der Kunde seine Nachhaltigkeitspräferenzen anpasst. Die Begründung des Unternehmens für dieses Vorgehen sowie die Entscheidung des Kunden müssen in der Geeignetheitserklärung – sofern eine solche dem Kunden zur Verfügung zu stellen ist - dokumentiert werden. Diese Möglichkeit der Anpassung bezieht sich ausschließlich auf die Nachhaltigkeitspräferenzen. Hinsichtlich der übrigen Kriterien der Geeignetheitsprüfung muss das Produkt dem Kundenprofil entsprechen, andernfalls darf es gem. § 64 Abs. 3 WpHG nicht empfohlen werden.
  7. Wenn ein Kunde die Nachhaltigkeitspräferenzen anpasst, darf sich diese Anpassung nur auf die betreffende Anlageberatung und nicht auf das Profil des Kunden im Allgemeinen beziehen. Im Falle der Anlageberatung muss die Anpassung in der Geeignetheitserklärung - sofern eine solche dem Kunden zur Verfügung zu stellen ist - dokumentiert werden und unterliegt den regelmäßigen Überwachungsverfahren. Erst nachdem der Kunde die Absicht bekundet hat, seine Nachhaltigkeitspräferenzen anzupassen, darf das Unternehmen dem Kunden Informationen über sein Angebot von Produkten mit Nachhaltigkeitsfaktoren offenlegen.
  8. Im Falle der Portfolioverwaltung müssen die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden, einschließlich des Mindestanteils, der in Produkte mit Nachhaltigkeitsfaktoren investiert werden soll, zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Mandats und der Anlagestrategie erfasst und bewertet werden. Wenn das Unternehmen diese Präferenzen nicht erfüllen kann, sollte sie dies mit dem Kunden zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Mandats bzw. der Feststellung der Anlagestrategie, erörtern und den Kunden fragen, ob er seine Präferenzen anpassen möchte. Die Entscheidung des Kunden ist im Mandat festzuhalten. Wenn ein Unternehmen Anlageberatung mit Portfolioansatz erbringt, muss es die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden, einschließlich des Mindestanteils, im Rahmen der ersten Geeignetheitsprüfung bewerten. Anschließend muss das Unternehmen bei der Empfehlung überwachen, ob diese Präferenzen auf Portfolioebene erfüllt werden oder nicht, und gegebenenfalls geeignete Empfehlungen abgeben. Wenn der Kunde im Falle einer Portfolioverwaltung oder regelmäßigen Anlageberatung mit Portfolioansatz seine Nachhaltigkeitspräferenzen nach der ersten Geeignetheitsprüfung anpasst, muss das Unternehmen die Auswirkungen dieser Änderung bewerten und prüfen, ob dadurch ein Anpassungsbedarf des Portfolios ausgelöst wird.
  9. Wenn ein Kunde die Frage, ob er Nachhaltigkeitspräferenzen hat, gar nicht oder mit "Nein" beantwortet, kann das Wertpapierdienstleistungsunternehmen diesen Kunden als "nachhaltigkeitsneutral" einordnen und ihm Produkte mit und ohne Nachhaltigkeitsfaktoren empfehlen.
  10. Bei der Entscheidung über die Methodik, die zur Durchführung der Geeignetheitsprüfung einzuführen ist, muss das Unternehmen zudem die Art und die Merkmale der angebotenen Dienstleistungen und generell sein Geschäftsmodell (z. B. ob die Anlageberatung im Hinblick auf das Portfolio des Kunden oder im Hinblick auf einzelne Produkte erfolgt) berücksichtigen. Verwaltet ein Unternehmen beispielsweise ein Portfolio oder berät einen Kunden zu seinem Portfolio, muss es eine Methodik einführen, die es ihm ermöglicht, eine Geeignetheitsprüfung unter Berücksichtigung des gesamten Kundenportfolios durchzuführen.
  11. Ein Unternehmen, das die Finanzportfolioverwaltung erbringt, muss bei der Durchführung der Geeignetheitsprüfung einerseits nach Maßgabe von BT 7.1.3.6 die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden in Bezug auf die einzelnen Arten von Produkten beurteilen, die für sein Portfolio in Frage kommen, sowie die Arten von Risiken im Zusammenhang mit der Verwaltung seines Portfolios beurteilen. Abhängig vom Komplexitätsgrad der betreffenden Produkte muss das Unternehmen die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden detaillierter beurteilen und sich nicht allein auf die Art beschränken, der das Produkt zugeordnet ist (z. B. nachrangige Schuldtitel anstelle von Anleihen allgemein). Andererseits kann im Hinblick auf die finanzielle Lage und die Anlageziele des Kunden die Geeignetheitsprüfung bezüglich der Auswirkungen des Instruments bzw. der Instrumente und der Transaktion(en) auf der Ebene des gesamten Kundenportfolios vorgenommen werden. Wird die für den Kunden geeignete Anlagestrategie im Portfolioverwaltungsvertrag mit hinreichender Detailtiefe festgelegt und wird diese Anlagestrategie von dem Unternehmen eingehalten, kann die Beurteilung der Geeignetheit der Anlageentscheidungen in der Praxis anhand der im Portfolioverwaltungsvertrag festgelegten Anlagestrategie erfolgen. Dabei muss sich die vereinbarte Anlagestrategie im Kundenportfolio insgesamt niederschlagen.

    Führt ein Unternehmen im Rahmen der Anlageberatung eine Geeignetheitsprüfung unter Berücksichtigung des gesamten Kundenportfolios durch, bedeutet dies zum einen, dass die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden in Bezug auf jedes Produkt und die mit der betreffenden Transaktion verbundenen Risiken beurteilt werden müssen. Zum anderen kann im Hinblick auf die finanzielle Lage und die Anlageziele des Kunden die Geeignetheitsprüfung bezüglich der Auswirkungen des Produkts und der Transaktion auf der Ebene des gesamten Kundenportfolios vorgenommen werden.

  12. Führt ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen eine Geeignetheitsprüfung unter Berücksichtigung des gesamten Kundenportfolios durch, kann es die Geeignetheit bezüglich der Nachhaltigkeitspräferenzen bewerten, indem es beispielsweise diese Präferenzen (einschließlich Mindestanteils, der in Produkte mit Nachhaltigkeitsfaktoren investiert werden soll41) im Durchschnitt auf der Ebene des gesamten Portfolios oder auf der Ebene eines Teils/Prozentsatzes des Portfolios, den der Kunde in Produkte mit Nachhaltigkeitsfaktoren42 investieren möchte, berücksichtigt.
  13. Führt ein Unternehmen eine Geeignetheitsprüfung unter Berücksichtigung des gesamten Kundenportfolios durch, muss es ein angemessenes Maß an Risikodiversifizierung im Kundenportfolio gewährleisten und dabei die verschiedenen finanziellen Risiken, denen das Kundenportfolio ausgesetzt ist (geografische Risiken, Währungsrisiken, Risiken die aus den Arten von Vermögenswerten resultieren, usw.) berücksichtigen. In Fällen, in denen z. B. die Größe des Kundenportfolios aus Sicht des Unternehmens nicht ausreicht, um eine wirksame Diversifizierung der Emittentenrisiken zu ermöglichen, kann das Unternehmen diesen Kunden Anlagekategorien zu empfehlen, die bestimmten Sicherungsmechanismen unterliegen oder an sich diversifiziert sind (wie z. B. einen diversifizierten Investmentfonds).

    Die Unternehmen müssen insbesondere das Ausfallrisiko berücksichtigen und ihr besonderes Augenmerk darauf richten, ob das Kundenportfolio ganz oder überwiegend aus Produkten eines einzelnen Emittenten oder Emittenten, die derselben Gruppe angehören, besteht. Denn die Konzentration eines Kundenportfolios auf Produkte, die von einem einzigen Unternehmen (oder von Unternehmen derselben Gruppe) ausgegeben werden, kann bei Ausfall dieses Unternehmens dazu führen, dass der Kunde das gesamte angelegte Kapital verliert.43 Neben den Verfahren, die in BT 7.1.7 beschrieben werden und die auch Ausfallrisiken umfassen, müssen die Unternehmen auch Maßnahmen und Verfahren implementieren, um zu gewährleisten, dass die Konzentration von Ausfallrisiken erkannt, gesteuert und verringert wird (z. B. durch die Ex-ante-Festlegung von Schwellenwerten).44

  14. Um die Einheitlichkeit von Geeignetheitsprüfungen zu gewährleisten, die mithilfe automatisierter Systeme durchgeführt werden (selbst wenn der Kontakt mit den Kunden nicht über automatisierte Systeme erfolgt), müssen die Unternehmen die Algorithmen überwachen und testen, die den empfohlenen oder im Auftrag der Kunden ausgeführten Transaktionen zugrunde liegen. Bei der Festlegung dieser Algorithmen müssen die Unternehmen die Art und die Merkmale der Produkte berücksichtigen, die Bestandteil ihres Angebots sind. Insbesondere
    müssen Unternehmen zumindest:

    • eine angemessene Dokumentation des Systemdesigns einrichten, aus der der Zweck, der Anwendungsbereich und die Ausgestaltung der Algorithmen eindeutig hervorgehen. Verwendete Entscheidungsbäume oder Entscheidungsregeln müssen Teil dieser Dokumentation sein;

    • über eine dokumentierte Prüfstrategie verfügen, in der der Umfang der Tests für die Algorithmen erläutert wird. Diese muss Prüfpläne, Prüfszenarien, Prüfergebnisse, (ggf.) Fehlerbehebung und die endgültigen Prüfergebnisse beinhalten;

    • über geeignete Strategien und Verfahren verfügen, um Änderungen an einem Algorithmus zu verwalten sowie diese Änderungen zu überwachen und aufzuzeichnen. Dazu gehört auch die Umsetzung von Sicherheitsvorkehrungen zur Überwachung und Verhinderung unbefugter Zugriffe auf den Algorithmus;

    • die Algorithmen überarbeiten und aktualisieren, um zu gewährleisten, dass sie an relevante Änderungen, die u.U. ihre Wirksamkeit beeinträchtigen könnten (z. B. Marktänderungen und Änderungen des anwendbaren Rechts), angepasst werden;

    • über geeignete Strategien und Verfahren verfügen, die es ermöglichen, Fehler in den Algorithmen festzustellen und angemessen zu beseitigen sowie z. B. die Beratungstätigkeit auszusetzen, wenn davon auszugehen ist, dass dieser Fehler eine ungeeignete Beratung und/oder einen Verstoß gegen einschlägige Rechtsvorschriften zur Folge haben könnte;

    • über angemessene Ressourcen verfügen, darunter personelle und technische Ressourcen, um die erbrachten Beratungsleistungen in angemessener Weise und zeitnah zu überwachen und so die Leistung der Algorithmen überprüfen zu können, und

    • über einen geeigneten internen Kontrollprozess verfügen, der gewährleistet, dass die oben genannten Schritte auch umgesetzt wurden.

BT 7.1.9 Kosten und Komplexität von äquivalenten Produkten
  1. Unternehmen müssen Verfahren implementieren, die es ihnen im Zusammenhang mit der Geeignetheitsprüfung ermöglichen, unter Berücksichtigung von Kosten und Komplexität eine eingehende Prüfung alternativer Anlagemöglichkeiten vorzunehmen, bevor eine Entscheidung über die Produkte getroffen wird, die empfohlen werden sollen oder in die im Rahmen der Finanzportfolioverwaltung im Auftrag des Kunden investiert werden sollen.
  2. Die Unternehmen müssen über einen Prozess verfügen, der die Art der Dienstleistung, das Geschäftsmodell und die Art der angebotenen Produkte berücksichtigt, um die verfügbaren Produkte zu beurteilen, die im Hinblick auf die Erfüllung der Bedürfnisse und Anliegen des Kunden zueinander „äquivalent“ sind, wie z.B. Produkte mit vergleichbaren Zielmärkten und ähnlichem Risiko-Rendite-Profil.
  3. Bei der Ermittlung des Kostenfaktors müssen die Unternehmen sämtliche maßgebliche Kosten und Gebühren berücksichtigen, die in den einschlägigen Bestimmungen gem. § 63 Abs. 7 WpHG und den entsprechenden Bestimmungen der DV aufgeführt sind. Bei der Ermittlung der Komplexität sind die in Modul BT 7.1.7 genannten Kriterien heranzuziehen. Bieten Unternehmen nur eine begrenzte Zahl von Produkten an oder empfehlen lediglich eine Art von Produkt, so dass die Beurteilung „äquivalenter“ Produkte nur eingeschränkt möglich ist, sind die Kunden darüber zu informieren. Kunden sind nach Maßgabe von § 64 Abs. 1 Nr. 2 WpHG angemessen darüber zu unterrichten, inwieweit das Produktangebot eingeschränkt ist.45
  4. Verwendet ein Unternehmen gemeinsame Portfolioverwaltungsstrategien oder Musterportfolien, die (gem. der Richtlinien des Unternehmens) für verschiedene Kunden mit demselben Anlageprofil verwendet werden, kann die Beurteilung von Kosten und Komplexität in Bezug auf „äquivalente“ Produkte auf einer höheren Ebene zentral (z. B. im Rahmen eines Anlageausschusses oder eines anderen Gremiums, das für die Festlegung von gemeinsamen Portfolioverwaltungsstrategien oder von Musterportfolien zuständig ist) durchgeführt werden. Dabei muss das Unternehmen weiterhin gewährleisten, dass die ausgewählten Produkte im Einzelfall geeignet sind und dem Profil ihrer Kunden entsprechen.
  5. Die Unternehmen müssen in der Lage sein, Entscheidungen für ein kostspieligeres oder komplexeres Produkt zu rechtfertigen, wobei beim Produktauswahlprozess im Rahmen der Anlageberatung oder der Portfolioverwaltung weiteren Kriterien Rechnung getragen werden kann (z. B. Diversifizierung des Portfolios, Liquidität oder Risikostufe). Die Unternehmen müssen diese Entscheidungen dokumentieren und entsprechende Aufzeichnungen aufbewahren, da diese Entscheidungen in die Kontrollhandlungen des Unternehmens einbezogen und von der Kontrollfunktion mit besonderer Aufmerksamkeit behandelt werden müssen. In Fällen, in denen aufgrund der besonderen Art der Dienstleistung und Kunden täglich eine hohe Zahl an Transaktionen durchgeführt wird (bspw. bei der Auslagerung des Finanzportfoliomanagements durch eine KVG oder bei einzelnen Finanzportfolioverwaltungsmandaten für professionellen Kunden), kann der Dokumentationspflicht durch eine Beschreibung der Äquivalenzprüfung in den internen Richtlinien und, soweit anwendbar, in den regelmäßigen Berichten an die Kunden der Finanzportfolioverwaltung nachgekommen werden. Die entsprechenden Unterlagen müssen intern überprüft werden. Bei der Erbringung der Anlageberatung können Unternehmen auch entscheiden, den Kunden über die Entscheidung für das kostspieligere und komplexere Produkt zu informieren. Dies kann gegenüber Privatkunden z.B. in der Geeignetheitserklärung geschehen.
BT 7.1.10 Kosten und Vorteile der Umschichtung von Produkten
  1. Die Unternehmen müssen geeignete Grundsätze und Verfahren implementieren, die die Durchführung einer Kosten-Nutzen-Analyse einer Umschichtung gewährleisten. Die Unternehmen müssen belegen können, dass die erwarteten Vorteile der Umschichtung deren Kosten überwiegen. Die Unternehmen müssen zudem angemessene Kontrollen vorsehen, um zu vermeiden, dass die einschlägigen Bestimmungen des WpHG umgangen werden.
  2. Anlageentscheidungen wie die Anpassung eines verwalteten Portfolios (Portfolio Rebalancing) im Falle einer „passiven Strategie“, die (wie mit dem Kunden vereinbart) einen Index abbildet, gelten nicht als Umschichtung im Sinne dieses Moduls. Jede Transaktion, die nicht der Aufrechterhaltung der Abbildung des Indexes dient, gilt als Umschichtung. Für geborene professionelle Kunden kann die Kosten-Nutzen-Analyse auf der Ebene der Anlagestrategie durchgeführt werden.
  3. Um eine Kosten-Nutzen-Analyse der Umschichtung, also eine Beurteilung der Vor- und Nachteile der neu in Betracht gezogenen Anlage(n), durchführen zu können, müssen die Unternehmen alle notwendigen Informationen berücksichtigen. Bei der Ermittlung der Höhe der Kosten müssen die Unternehmen sämtliche Kosten und Gebühren berücksichtigen, die in den einschlägigen Bestimmungen gem. § 63 Abs. 7 WpHG und den entsprechenden Bestimmungen der DV aufgeführt sind. Für die Kosten-Nutzen-Analyse können sowohl monetäre als auch nichtmonetäre Faktoren von Kosten und Vorteilen relevant sein. Dazu zählen z. B.:

    • die erwartete Nettorendite der vorgeschlagenen alternativen Transaktion (die auch mögliche Vorlaufkosten berücksichtigt, die von dem Kunden zu zahlen sind) im Vergleich zur erwarteten Nettorendite der bestehenden Anlage (dabei sind auch die Kosten, die dem Kunden eventuell beim Verkauf des in seinem Portfolio gehaltenen Produkts entstehen könnten, zu berücksichtigen);
    • eine Änderung der persönlichen Verhältnisse und Anliegen des Kunden, die Grund für eine Umschichtung sein könnte, z. B. ein kurzfristiger Liquiditätsbedarf infolge eines unerwarteten und ungeplanten Familienereignisses;
    • eine Änderung der Merkmale und/oder der Marktbedingungen der Produkte, die ein Grund für die Erwägung einer Umschichtung in dem Portfolio des Kunden sein könnte, z. B. wenn ein Produkt aufgrund von Marktentwicklungen illiquide wird;
    • Vorteile für das Portfolio des Kunden im Zuge der Umschichtung wie i) eine verstärkte Portfoliodiversifizierung (nach geografischen Gebieten, Arten von Instrumenten, Arten von Emittenten usw.), ii) eine stärkere Angleichung des Risikoprofils des Portfolios an die Risikoziele des Kunden, iii) eine Verbesserung der Liquidität des Portfolios oder iv) eine Verringerung des allgemeinen Kreditrisikos des Portfolios.

  4. Bei der Erbringung von Anlageberatung müssen die Gründe, warum die Vorteile der empfohlenen Umschichtung die entsprechenden Kosten überwiegen, in die Geeignetheitserklärung aufgenommen werden, die das Unternehmen dem Privatkunden vor Vertragsschluss46 zur Verfügung stellen muss.
  5. Die Unternehmen müssen darüber hinaus Prozesse und Kontrollen einführen, um überwachen zu können, dass die Verpflichtung zur Kosten-Nutzen-Analyse einer empfohlenen Umschichtung nicht umgangen wird. Das betrifft beispielsweise Situationen, in denen sich an eine Empfehlung zum Verkauf eines Produkts (z. B. Tage später) eine Empfehlung anschließt, ein anderes Produkt zu kaufen, wobei jedoch beide Transaktionen von Anfang an eng miteinander verflochten waren.
  6. Verwendet ein Unternehmen gemeinsame Portfolioverwaltungsstrategien oder Musterportfolien, die (gem. der Richtlinien des Unternehmens) für verschiedene Kunden mit demselben Anlageprofil verwendet werden, kann die Kosten-Nutzen-Analyse einer Umschichtung auf einer höheren als der Ebene des Einzelkunden oder der Einzeltransaktion durchgeführt werden. Wird über eine Umschichtung zentral entschieden, beispielsweise im Rahmen eines Anlageausschusses oder eines anderen Gremiums, das für die Festlegung von gemeinsamen Portfolioverwaltungsstrategien oder von Musterportfolien zuständig ist, kann die Kosten-Nutzen-Analyse auf der Ebene dieses Ausschusses durchgeführt werden. Wird über eine solche Umschichtung zentral entschieden, gilt die auf dieser Ebene durchgeführte Kosten-Nutzen-Analyse in der Regel für alle vergleichbaren Kundenportfolios, ohne dass für jeden einzelnen Kunden eine Beurteilung vorgenommen werden muss. Dabei kann das Unternehmen auf der Ebene des betreffenden Ausschusses den Grund dafür festlegen, warum eine beschlossene Umschichtung für bestimmte Kunden nicht vorgenommen wird. Obwohl die Kosten-Nutzen-Analyse in solchen Situationen auf einer höheren Ebene durchgeführt werden kann, muss das Unternehmen dennoch über geeignete Kontrollen verfügen, um zu überprüfen, dass keine besonderen Merkmale bestimmter Kunden vorliegen, die unter Umständen eine spezifischere Analyse erfordern.
  7. Hat ein Portfolioverwalter mit einem Kunden aufgrund seiner spezifischen Anlagebedürfnisse ein maßgeschneidertes Mandat und eine individuell angepasste Anlagestrategie vereinbart, ist es im Gegensatz zu den vorstehenden Ausführungen angebracht, eine Kosten-Nutzen-Analyse der Umschichtung auf der Ebene des Kunden durchzuführen
  8. Ungeachtet dessen muss der Portfolioverwalter, wenn er der Auffassung ist, dass die Zusammensetzung oder die Parameter eines Portfolios in einer Weise geändert werden sollten, die nach dem mit dem Kunden vereinbarten Mandat nicht zulässig ist (z. B. Ablösung einer aktienorientierten Strategie durch eine Strategie mit Schwerpunkt auf fixen Erträgen), diesen Umstand mit dem Kunden besprechen und die Geeignetheitsprüfung überprüfen oder erneut durchführen, um ein neues oder geändertes Mandat zu vereinbaren.
BT 7.1.11. Aufzeichnungspflichten
  1. Unternehmen müssen zumindest

    a. im Hinblick auf die Geeignetheitsprüfung eine ordnungsgemäße und nachvollziehbare Dokumentation gewährleisten und deshalb angemessene Regelungen für die Aufzeichnung und Aufbewahrung festlegen; dies gilt auch für die Einholung von Informationen vom Kunden, die gesamte Anlageberatung und alle im Anschluss an die jeweilige Geeignetheitsprüfung getätigten Produkte (bzw. die Auflösung von Produkten) sowie die entsprechenden, dem Kunden übermittelten Geeignetheitserklärungen;

    b. die Regelungen für die Aufzeichnung so gestalten, dass sie die Aufdeckung von Fehlern bei der Geeignetheitsprüfung (wie etwa der Vertrieb ungeeigneter Produkte) ermöglichen;

    c. gewährleisten, dass die Aufzeichnungen, einschließlich der den Kunden zur Verfügung gestellten Geeignetheitserklärungen, für die betreffenden Personen in der Firma und für die zuständigen Behörden zugänglich sind;

    d. in ausreichendem Maße Verfahren vorsehen, um Mängeln oder Einschränkungen bei den Aufzeichnungsregelungen entgegenzuwirken.

  2. Die Unternehmen müssen ihre Aufzeichnungsregelungen so gestalten, dass sie im Nachhinein die Gründe nachvollziehen können, aus denen eine Anlage getätigt oder aufgelöst oder eine Anlageempfehlung ausgesprochen wurde, selbst wenn diese Empfehlung nicht zu einer konkreten Anlage (oder Auflösung einer Anlage) geführt hat. Das kann zum einen bei Streitigkeiten zwischen einem Kunden und dem Unternehmen von Bedeutung sein. Zum anderen ist dies für Kontrollzwecke wichtig; Unvollständige oder fehlerhafte Aufzeichnungen erschweren es beispielsweise der Bundesanstalt, die vorgenommene Geeignetheitsprüfung zu überprüfen, auch reichen die vorliegenden Informationen dann möglicherweise nicht für die Geschäftsleitung aus, um die Gefahr des Vertriebs ungeeigneter Produkte zu erkennen.
  3. Ein Unternehmen hat daher alle relevanten Informationen zur Geeignetheitsprüfung aufzuzeichnen, wie etwa die Informationen über den Kunden (auch zur Art und Weise, wie diese Informationen zur Bestimmung des Risikoprofils des jeweiligen Kunden genutzt und ausgelegt wurden) sowie die Informationen über die Produkte, die dem Kunden empfohlen oder in seinem Namen gekauft wurden, und die den Kunden übermittelten Geeignetheitserklärungen. Die Aufzeichnungen müssen Folgendes beinhalten:

    • alle von dem Unternehmen vorgenommenen Änderungen in Bezug auf die Geeignetheitsprüfung, insbesondere Änderungen am Anlagerisikoprofil des Kunden;

    • die Art von Produkten, die zu diesem Profil passen, eine Begründung der Beurteilung sowie sämtliche Änderungen und die Gründe dafür.
    • die Fälle, in denen die Nachhaltigkeitspräferenzen eines Kunden gem. Art. 54 Abs. 10 DV angepasst werden, einschließlich einer eindeutigen Erläuterung der Gründe für diese Anpassung.

BT 7.2 Inhalte und Zur-Verfügung-Stellen der Geeignetheitserklärung nach § 64 Abs. 4 WpHG

BT 7.2.1 Anforderungen an den Inhalt der Geeignetheitserklärung

1. Gem. § 64 Abs. 4 WpHG muss die Geeignetheitserklärung die erbrachte Beratung nennen und erläutern, wie sie auf die Präferenzen, Anlageziele und sonstigen Merkmale des Kunden (Kundenmerkmale) abgestimmt wurde. § 64 Abs. 4 WpHG wird durch Art. 54 Abs. 12 DV konkretisiert. Danach muss die Geeignetheitserklärung Angaben darüber enthalten, inwiefern die abgegebene Empfehlung zum betreffenden Privatkunden passt.

Daraus ergibt sich, dass die Geeignetheitserklärung nicht nur die bloße, floskelartige Feststellung enthalten darf, dass ein Finanzinstrument geeignet ist. Vielmehr muss sie eine auf den konkreten Kunden bezogene Begründung enthalten, warum das Wertpapierdienstleistungsunternehmen unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände im konkreten Einzelfall die Geeignetheit annimmt - also inwiefern die Empfehlung auf die jeweiligen Kundenmerkmale abgestimmt wurde (materielle Empfehlungsbegründung). Dies erfordert einen qualitativen Abgleich der Eigenschaften des Finanzinstruments mit den Kundenmerkmalen.

Eine pauschale Behauptung, dass die Anlageempfehlungen den Merkmalen des Kunden entsprechen, ohne wertende Komponente, kann dagegen in keinem denkbaren Fall dafür ausreichend sein. Es fehlt dabei nämlich stets an einem individuellen Vergleich zwischen den Kundenmerkmalen und dem Gegenstand der Empfehlung.

2. Aus der materiellen Empfehlungsbegründung folgt für die Dokumentation einer Kaufempfehlung, dass alle für die Geeignetheitsprüfung erforderlichen Kundenangaben in die Geeignetheitserklärung aufgenommen werden müssen. Dies hat zur Folge, dass die Inhalte der Geeignetheitsprüfung und Geeignetheitserklärung trotz teilweise unterschiedlicher Begrifflichkeiten insoweit deckungsgleich sind.

Die Geeignetheitserklärung muss daher zwingend Informationen darüber mit einschließen, inwieweit die abgegebene Empfehlung den Kenntnissen und Erfahrungen des Kunden, seinen finanziellen Verhältnissen, insbesondere seiner Verlusttragfähigkeit, sowie seinen Anlagezielen, insbesondere seiner Risikotoleranz, gerecht wird.

Negativbeispiele für eine Kaufempfehlung:

Folgende beispielhafte Formulierungen sind nicht ausreichend:

  • „Die Empfehlung entspricht dem gewünschten Anlagezweck Allgemeine Vermögensbildung/Vermögensoptimierung.“
  • „Das Wertpapier passt zur Anlagedauer.“
  • „Mit Ihrer risikoorientierten Investitionsentscheidung planen Sie einen Anlagehorizont von mindestens 12 Jahren ein.“
  • „Passt zur Risikomentalität. – Die allgemeinen und speziellen Risiken des Wertpapiers sind mit der Risikomentalität des Anlegers vereinbar.“
  • „Ferner ist die Anlage geeignet, Ihre Fähigkeit Verluste zu tragen, nicht zu überschreiten.“
  • „Diese Anlage entspricht Ihren bisherigen Erfahrungen bzw. wurden die relevanten Kenntnisse im Rahmen des Beratungsgesprächs vermittelt.“

Positivbeispiele für eine Kaufempfehlung:

Folgende beispielhafte Formulierungen können – unter weiterer Berücksichtigung des jeweiligen Sachverhalts – zur Erfüllung des jeweiligen Kundenmerkmales des § 64 Abs. 4 WpHG ausreichend sein:

Kundenmerkmal „Anlagedauer“:

  • „Ihre gewünschte Anlagedauer von über 5 Jahren steht im Einklang mit dem empfohlenen Anlagehorizont des Produktes von über 5 Jahren.“
  • „Ihre gewünschte Anlagedauer von bis zu 5 Jahren steht im Einklang mit der Restlaufzeit des Finanzinstrumentes X.“

Kundenmerkmal „Risikobereitschaft“:

  • „Das empfohlene Finanzinstrument entspricht Ihrer Risikobereitschaft. Die Anleihe hat eine empfohlene Risikobereitschaft von 3, dies deckt sich mit Ihrer angegebenen Risikobereitschaft 3 von 5.“
  • „Das empfohlene Produkt ist trotz einer höheren als von Ihnen gewünschten Risikoklasse für Sie geeignet. Dies ergibt sich aus einer Betrachtung Ihres Portfolios, das bereits weniger risikoreiche Produkte enthält. Durch die Kombination Ihrer bereits vorhandenen weniger risikoreichen Produkte (Anleihen und Renten der Risikoklasse 2), die einen Anteil von 30 % Ihres Portfolios ausmachen, und dem nun empfohlenen Aktienfonds der Risikoklasse 4, der einen Anteil von 5 % ausmachen würde, erhalten Sie ein Portfolio, das insgesamt Ihrer Risikobereitschaft 3 entspricht.“

Kundenmerkmal „Kenntnisse und Erfahrungen“:

  • „Sie verfügen in der Anlageklasse Bonus-Zertifikate bereits über Erfahrungen und Kenntnisse (ausführlich hierzu zu unter Punkt X).“
  • „In der maßgeblichen Anlageform „Fonds“ hatten Sie vor der Beratung noch keine Kenntnisse und Erfahrungen. Wir haben Ihnen daher in der Beratung produktspezifische Kenntnisse vermittelt. Dies ist u. a. mit Hilfe des Produktinformationsblattes, sowie dem Einsatz eines Erklärvideos erfolgt.“

Kundenmerkmal „Finanzielle Verhältnisse, insbesondere Verlusttragfähigkeit“:

  • „Wir empfehlen Ihnen eine Stufenzins-Anleihe, für die am Rückzahlungstermin ein 100,00 % Kapitalschutz auf den Nennbetrag besteht. Dennoch besteht für Sie das Risiko eines Teil- oder Totalverlusts Ihres eingesetzten Kapitals, wenn sich der Emittent in einer vorübergehenden oder dauerhaften Zahlungsunfähigkeit befindet. Dieses Risiko ist jedoch für Sie tragbar, da Sie über ausreichende Rücklagen verfügen. So könnte ein möglicher Verlust durch Ihr liquides Geldvermögen in Höhe von 10.000 Euro kompensiert werden.“
  • „Bei dem empfohlenen Aktienzertifikat besteht die Möglichkeit, dass die Rückzahlung zum Laufzeitende in Aktien erfolgt. Der Gegenwert dieser Aktien liegt dann unter Ihrem ursprünglich eingesetzten Kapital, bis hin zu einem Totalverlust. Dieses Risiko ist jedoch für Sie tragbar, da Sie den möglichen Verlust bereits durch Ihre monatlichen Einnahmen abzüglich Ihrer regelmäßigen Belastungen ausgleichen können.“
  • „In der Anlageberatung haben wir festgestellt, dass die anzulegenden finanziellen Mittel nicht für Zwecke der Lebenshaltung oder andere geplante Ausgaben benötigt werden und somit investiert werden können. Der Depotinhaber kann die mit dem Produkt eventuell auftretenden Verluste bis zum vollständigen Verlust des eingesetzten Kapitals in Höhe von 2.000 Euro finanziell tragen.“

Kundenmerkmal „Anlagezweck“:

  • „Sie verfolgen das Anlageziel ‚Vermögensoptimierung‘. Die Empfehlung ist für Sie geeignet, da durch den Fokus der Anlage auf die ertragsstarke Anlageklasse der Immobilien das Produkt die Chance auf regelmäßige, hohe Erträge bietet. Es besteht die Chance auf Kurssteigerungen durch die Anlage in den internationalen Renten- und Aktienmärkten. Das Risiko im Vergleich zu einer Direktanlage wird durch die breite Streuung der Anlage reduziert.“
  • „Sie möchten in ein nachhaltiges Finanzinstrument investieren. Das empfohlene Produkt ist daher für Sie geeignet, da der Fonds ausschließlich in Wertpapiere von Emittenten investiert, die strengen
    Kriterien hinsichtlich Umweltmanagement, sozialer Verantwortung und Unternehmensführung standhalten. In Wertpapiere von Unternehmen, die in problematischen Branchen oder Tätigkeitsfelder wie z. B. Rüstung oder Waffen tätig sind, investiert der Fonds nicht 47.“
  • „Sie möchten Ihr Vermögen optimieren. Sie haben sich dazu ausdrücklich die Anlage in Einzeltitel Aktien gewünscht, im Speziellen sollen es Aktien von Autoherstellern sein. Wir empfehlen Ihnen daher die Aktie X des Autoherstellers X. In Q1/19 lagen die Auslieferungen an Kunden mit 2,6 Mio. Fahrzeugen auf einem hohen Niveau und entwickeln sich daher besser als der Gesamtmarkt. Der Umsatz verbesserte sich auf 80,0 Mrd. Euro. Für 2019 wird eine operative Marge von 8 % erwartet. Wir halten X außerdem für einen der weltweit am besten aufgestellten Fahrzeughersteller. Bis 2025 will sich das Unternehmen zum weltweit führenden Anbieter für Elektrofahrzeuge entwickeln. Dadurch sind weitere Kurssteigerungen zu erwarten, was sich positiv auf ihr Ertragspotential auswirkt.“

3. Bei der Dokumentation einer Verkaufsempfehlung ist es ausreichend, (nur) die Tatbestandsmerkmale zu erläutern, aufgrund derer der Verkauf des in Rede stehenden Finanzinstruments empfohlen wurde. Alle anderen, nicht relevanten Tatbestandsmerkmale müssen nicht in die Geeignetheitserklärung aufgenommen werden, da diese nicht zu der Verkaufsempfehlung geführt haben und somit auch keine Empfehlungsbegründung darstellen.

Für das oder die Tatbestandsmerkmal(e), das/die für die Verkaufsempfehlung relevant ist/sind, muss eine materielle Empfehlungsbegründung erfolgen.

Negativbeispiele für eine Verkaufsempfehlung:

Folgende beispielhafte Formulierungen sind nicht ausreichend:

  • „Wir empfehlen Ihnen den Verkauf des Produktes X, weil unser Research-Partner das Produkt auf „Verkaufen“ gesetzt hat.“
  • „Der Verkauf ist aus folgendem Grund geeignet: Umschichtung innerhalb des Portfolios aufgrund Erhöhung der Aktienquote.“
  • „Die Empfehlung entspricht dem gewünschten Anlagezweck, Vermögen zu optimieren.“

Positivbeispiele für eine Verkaufsempfehlung:

Folgende beispielhafte Formulierungen können – unter weiterer Berücksichtigung des jeweiligen Sachverhalts – ausreichend sein:

  • „Sie verfolgen den Wunsch „Vermögensbildung“. Dies ist unseres Erachtens mit der Aktie X nicht mehr zu erreichen, daher wurde sie von unserem zentralen Research-Management auf „Verkaufen“ gesetzt. Der Aktienkurs der X befindet sich seit September 2018 im Abschwung. Im Juni 2019 hat er mit einem Minus von 5,18 Prozent auf 29,11 Euro seinen bisherigen Tiefpunkt erreicht. Es ist nicht abzusehen, dass sich dieser Negativ-Trend in absehbarer Zeit ändert. Deshalb empfehlen wir den Verkauf der Aktie X.“
  • „Sie haben Ihre Risikobereitschaft mit 3 von 5 angegeben. Der Emittent des Produktes X hat die Risikoklasse für X auf 4 von 5 angehoben. Dies entspricht einer hohen Risikobereitschaft. Da Sie nur dazu bereit sind ausgeprägte Risiken zu tragen, empfehlen wir Ihnen den Verkauf des Produktes.“
  • „Die Verkaufsempfehlung erfolgte insbesondere unter Berücksichtigung Ihrer Risikobereitschaft. Bei der von Ihnen gewählten Anlagestrategie „Einkommen“ soll der Aktienanteil 30,0 % nicht übersteigen. Aktuell sind in Ihrem Portfolio jedoch Aktien mit einem Anteil von 34,5 % enthalten. Als reine Aktienposition halten Sie lediglich den Aktienfonds X, so dass ich Ihnen empfehle, 50 Anteile dieses Aktienfonds zu verkaufen.“

4. Die Anforderungen gem. § 64 Abs. 4 WpHG gelten auch bei einer Halteempfehlung. Die Geeignetheitserklärung muss daher auch bei einer Halteempfehlung eine Begründung enthalten, warum das Produkt weiterhin für den Kunden geeignet ist. Unter der Voraussetzung, dass sich die Produkteigenschaften und die Kundeneigenschaften im Vergleich zur letzten Empfehlung nicht geändert haben, erfordert dies – im Gegensatz zu einer Kaufempfehlung und, wie obenstehend beschrieben, einer Verkaufsempfehlung – keine Dokumentation des qualitativen Abgleichs zwischen den Produktangaben und den Kundenangaben. Ein Eingehen auf die einzelnen Kundenmerkmale ist nicht notwendig, da diese (im Regelfall) bereits in der Geeignetheitserklärung der Kaufempfehlung dokumentiert wurden.

Es ist auch möglich die Halteempfehlung für mehrere Produkte in einer Empfehlungsbegründung zusammenzufassen, wenn der Grund für die Empfehlung identisch ist.

Positivbeispiele für eine Halteempfehlung:

Folgende beispielhafte Formulierungen können – unter weiterer Berücksichtigung des jeweiligen Sachverhalts – ausreichend sein:

  • „Wir empfehlen Ihnen die Produkte X, Y und Z zu halten. Ihre persönlichen Umstände sowie Anlageziele haben sich nicht geändert, sodass die genannten Produkte weiterhin für Sie geeignet sind.“
  • „Das Produkt X hat sich gut entwickelt und ist Garant für hohe Dividenden. Wir empfehlen Ihnen daher das Produkt zu behalten.“
BT 7.2.2 Zur-Verfügung-Stellen der Geeignetheitserklärung nach § 64 Abs. 4 WpHG
  1. Die Anforderungen an die Erstellung einer Geeignetheitserklärung ergeben sich aus § 64 Abs. 4 WpHG und Art. 54 Abs. 12 DV. Eine Geeignetheitserklärung ist demnach bei jeder Anlageberatung gemäß § 2 Abs. 8 S. 1 Nr. 10 WpHG gegenüber einem Privatkunden zu erstellen. Nach § 64 Abs. 4 S. 1 WpHG ist die Geeignetheitserklärung dem Kunden vor Vertragsschluss auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung zu stellen. Eine Zurverfügungstellung kann auch durch die Einstellung in das elektronische Postfach des Kunden erfolgen. Die Formulierung „vor Vertragsschluss“ bezieht sich dabei – unabhängig von der konkreten vertraglichen Ausgestaltung – auf den schuldrechtlichen Verpflichtungsvertrag (z.B. Kommissionsvertrag, auch bedingter Kommissionsvertrag, Festpreisgeschäft, Geschäftsbesorgungsvertrag bei Anlage- oder Abschlussvermittlung) zwischen anlageberatendem Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Kunde.
  2. Die Formulierung „vor Vertragsschluss“ in § 64 Abs. 4 Satz 1 WpHG stellt klar, dass ein auf der Anlageberatung beruhender Vertragsschluss erst erfolgen darf, nachdem die Geeignetheitserklärung dem Kunden zur Verfügung gestellt wurde, damit dieser Gelegenheit hat, sie zur Kenntnis zu nehmen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist unter den in § 64 Abs. 4 S. 3 WpHG genannten Bedingungen48 zulässig, somit bei Einsatz von Fernkommunikationsmitteln bei Erbringung der Anlageberatung, die eine vorherige Übermittlung der Geeignetheitserklärung nicht erlauben. In diesen Fällen muss die Geeignetheitserklärung dem Kunden unmittelbar nach Vertragsschluss zur Verfügung gestellt werden. Unmittelbarkeit erfordert eine Übermittlung spätestens nach fünf Werktagen.
  3. Die Formulierung „vor Vertragsschluss“ in § 64 Abs. 4 S. 1 WpHG beschränkt die Pflicht des Zur-Verfügung-Stellens der Geeignetheitserklärung nicht auf Fälle, in denen ein Vertragsschluss zustande kommt. Sie legt vielmehr den Zeitpunkt des Zur-Verfügung-Stellens im Falle eines auf die Beratung folgenden Vertragsschlusses fest. Wenn auf die Anlageberatung kein Vertragsschluss folgt, beispielsweise bei einer Halteempfehlung oder einer Empfehlung, ein Finanzinstrument nicht zu kaufen49, ist die Geeignetheitserklärung dem Kunden zeitnah, spätestens aber nach fünf Werktagen, im Anschluss an die Anlageberatung zur Verfügung zu stellen. Dies gilt auch für Personen, die noch nicht Kunde des Wertpapierdienstleistungsunternehmens sind.
  4. Soweit die Anlageberatung gegenüber einem Bevollmächtigten erbracht wird, ist die Geeignetheitserklärung diesem, somit der Person, die das jeweilige Gespräch geführt hat, zur Verfügung zu stellen.

BT 8 Anforderungen an Vergütungssysteme im Zusammenhang mit der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen

Dieses Modul konkretisiert § 63 Abs. 3, § 80 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 WpHG und Art. 27 und Art. 34 DV.

BT 8.1 Anwendungsbereich und Verhältnis zu anderen Vorschriften

  1. Soweit neben BT 8 auch das Kreditwesengesetz, die Instituts-Vergütungsverordnung (InstitutsVergV), das Wertpapierinstitutsgesetz (WpIG), die Wertpapierinstituts-Vergütungsverordnung (WpIVergV), das Kapitalanlagegesetzbuch, eine gemäß § 37 Abs. 3 des Kapitalanlagegesetzbuches erlassene Rechtsverordnung oder das Versicherungsaufsichtsgesetz oder die Versicherungs-Vergütungsverordnung Anwendung findet, und eine Anforderung des BT 8 einer der vorgenannten Regelungen widerspricht, tritt die Anwendung des BT 8 hinter diesen Regelungen zurück.
  2. Relevante Personen im Sinne dieses BT 8 sind solche im Sinne des Artikel 2 Nr. 1 in Verbindung mit Art. 27 Abs. 2 DV, die — unabhängig von der Art der Kunden — direkten oder indirekten Einfluss auf die von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen erbrachten Wertpapier- und Nebendienstleistungen oder das unternehmerische Verhalten haben, soweit die Vergütung dieser Personen und ähnliche Anreize zu einem Interessenkonflikt führen könnten, welcher sie veranlasst, gegen die Interessen eines Kunden des Wertpapierdienstleistungsunternehmens zu handeln.
  3. Vergütung im Sinne dieses BT 8 erfasst entsprechend Artikel 2 Nr. 5 DV jede Form von Zahlungen oder von finanziellen oder nichtfinanziellen Leistungen, die Wertpapierdienstleistungsunternehmen bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder -nebendienstleistungen für Kunden direkt oder indirekt an relevante Personen leisten. Sie kann z. B. Bargeld, Aktien, Aktienbezugsrechte, Annullierung von Darlehen an die betreffenden Personen bei Entlassung, Beiträge zur Altersvorsorge, Vergütung durch Dritte beispielsweise durch Gewinnbeteiligung, Lohnerhöhungen oder Beförderungen, eine (zusätzliche) Krankenversicherung, Ermäßigungen oder Freibeträge, großzügige Dienstreisekostenabrechnungen oder Seminare an exotischen Orten sein.
  4. Nicht als Vergütung gelten finanzielle oder nichtfinanzielle Leistungen, die aufgrund einer gesetzlichen Regelung oder als gesetzliche Beiträge gewährt bzw. gezahlt werden. Hierzu zählen insbesondere die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung im Sinne des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs, stattdessen gezahlte Beiträge in Höhe des gesetzlich bestimmten Betrages (keine freiwilligen Mehrleistungen) zu gleichgestellten berufsständigen Versorgungswerken und zur betrieblichen Altersversorgung im Sinne des Betriebsrentengesetzes.
  5. Die Vorschriften dieses BT 8 sind nicht anzuwenden auf Vergütungen, die

    • durch Tarifvertrag vereinbart sind,

    • im Geltungsbereich eines Tarifvertrags durch Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien über die Anwendung der tarifvertraglichen Regelungen vereinbart sind oder

    • aufgrund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung vereinbart sind.

BT 8.2 Ausgestaltung der Vergütungsgrundsätze und -verfahren

BT 8.2.1 Allgemeine Anforderungen an die Ausgestaltung
  1. Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen hat in Abstimmung mit seinem Interessenkonflikt- und Risikomanagement im Einklang mit den Anforderungen gemäß Art. 27 DV und insbesondere in jenen Fällen, in denen die Vergütung variable Komponenten enthält, angemessene Vergütungsgrundsätze und -verfahren einzurichten und unter anderem50 durch angemessene Kriterien auch sicherzustellen, dass Interessen der relevanten Personen und des Wertpapierdienstleistungsunternehmens mit jenen der Kunden in Einklang gebracht werden. Diese Kriterien sollten den Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Möglichkeit bieten, die Leistung der relevanten Personen zu bewerten.
  2. Zu diesem Zweck und gemäß Art. 27 Abs. 4 DV sollen Wertpapierdienstleistungsunternehmen qualitative Kriterien berücksichtigen, welche relevante Personen dazu anhalten, im besten Interesse des Kunden zu handeln und diese Kriterien hinreichend und klar definieren und dokumentieren. Der Begriff „qualitative Kriterien“ kann sich auch auf numerische oder finanzielle Daten beziehen, die zur Bewertung der Qualität der Leistung der relevanten Person und/oder der Dienstleistung für den Kunden verwendet werden, bspw. für den Kunden erzielte Anlagerendite, sehr geringe Anzahl an Beschwerden über einen langen Zeitraum. Beispiele angemessener qualitativer Kriterien sind zudem die Einhaltung aufsichtsrechtlicher Anforderungen, wie die Wohlverhaltensregeln (insbesondere ggf. die Überprüfung der Geeignetheit von Finanzinstrumenten, die von den relevanten Personen an Kunden verkauft werden) und interne Verfahren, die faire Behandlung von Kunden und die Kundenzufriedenheit.
  3. Mit qualitativen Kriterien dürfen aber nicht indirekt quantitative wirtschaftliche Kriterien51 (wieder)eingeführt werden, durch die Interessenkonflikte verursacht oder Anreize geschaffen werden könnten, welche relevante Personen dazu verleiten könnten, ihre eigenen Interessen oder die des Wertpapierdienstleistungsunternehmens zum potenziellen Nachteil eines Kunden zu bevorzugen. Die Bemessung qualitativer Kriterien sollte aus den Vergütungsgrundsätzen klar hervorgehen; geltende Schwellenwerte sollen angegeben, vage Kriterien vermieden werden.
  4. Relevante Personen müssen im Voraus deutlich und in verständlicher Weise über die Kriterien zur Festlegung ihres Vergütungsbetrags sowie über die Stufen und den Zeitplan ihrer Leistungsbeurteilung schriftlich informiert werden. Die von Wertpapierdienstleistungsunternehmen für die Leistungsbeurteilung relevanter Personen verwendeten Kriterien (z. B. auch die Gewichtung von Kriterien, Ermessensausübung durch die Geschäftsleitung, Geltung konzernweiter Prozesse) müssen dokumentiert und für diese zugänglich und verständlich sein.
  5. Vergütungsgrundsätze und -verfahren dürfen nicht unnötig kompliziert sein. Gestaltungen dürfen insbesondere nicht so komplex sein, dass Kontrollen im Hinblick auf die Erkennung von Risiken zum Nachteil des Kunden an Wirksamkeit einbüßen. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen muss die einheitliche Auslegung, Anwendung und Kontrolle der Vergütungsgrundsätze und –verfahren gewährleisten.
  6. Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen sicherstellen, dass die Grundsätze und Verfahren zur Einführung neuer Produkte oder Dienstleistungen die Prüfung vorsehen, ob mit diesen Produkten oder Dienstleistungen vergütungsbezogene Risiken für die Einhaltung der Wohlverhaltensregeln und für die Vermeidung von Interessenkonflikten verbunden sind (etwa wenn bei der Produkterstellung bereits besondere Vergütungsmerkmale mit dem Vertrieb des Produktes verknüpft werden) und ob die Vergütungsgrundsätze und -verfahren des Wertpapierdienstleistungsunternehmens identifizierten Risiken hinreichend Rechnung tragen. Andernfalls ist entweder das neue Produkt bzw. die neue Dienstleistung abzuändern oder die Vergütungsgrundsätze und -verfahren entsprechend anzupassen. Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen diese Prüfung in geeigneter Form dokumentieren.
  7. Bei der Ausgestaltung der Vergütungsgrundsätze und -verfahren sollten Wertpapierdienstleistungsunternehmen alle relevanten Faktoren (wie z. B. die von relevanten Personen ausgeübten Rollen, die Art des angebotenen Produkts, Querverkaufsziele und die Vertriebsmethoden) berücksichtigen, um zu verhindern, dass sich potentielle Risiken für die Einhaltung der Wohlverhaltensregeln und Interessenkonflikte zum Nachteil der Interessen der Kunden auswirken könnten, und sicherzustellen, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen alle damit zusammenhängenden Restrisiken angemessen handhabt. Bezüglich Querverkaufszielen sollte beispielsweise ein besonderes Augenmerk auf Situationen gerichtet werden, in denen relevante Personen dazu ermutigt werden, die Gewährung besserer Konditionen im Rahmen eines Hypothekendarlehens an einen Kunden von der Bedingung abhängig zu machen, dass dieser Kunde ein bestimmtes Finanzinstrument kauft, das Teil der Verkaufsziele der relevanten Personen ist.
  8. Bei der Ausgestaltung quantitativer Kriterien sollten die Wertpapierdienstleistungsunternehmen sicherstellen, dass durch die Kriterien Interessenkonflikte nicht entstehen und keine Anreize geschaffen werden, welche relevante Personen dazu verleiten könnten, ihre eigenen Interessen oder die des Wertpapierdienstleistungsunternehmens zum potenziellen Nachteil von Kunden zu bevorzugen. Wertpapierdienstleistungsunternehmen können beispielsweise Mitarbeitern Vertriebsziele zuweisen, vorausgesetzt diese wirtschaftlichen Ziele schaffen für die Vertriebsmitarbeiter keinen Anreiz dazu, lediglich bestimmte Produkte zum Nachteil der besten Interessen der Kunden zu empfehlen (z. B. Produkte der Gruppe oder solche Produkte, die für das Wertpapierdienstleistungsunternehmen oder die Gruppe lukrativer sind), und alle verbleibenden Interessenkonflikte werden durch die Verwendung anderer gleich gewichteter Kriterien, wie z. B. Leistung des Personals hinsichtlich der Geeignetheitsanforderungen oder der Kundenzufriedenheit, ordnungsgemäß entschärft.
  9. Die Gewichtung der für die Festlegung der Vergütung herangezogenen Kriterien darf nicht dazu führen, dass einige der Kriterien, insbesondere die qualitativen Kriterien, unbedeutend werden oder dass sie anderen Kriterien, insbesondere den quantitativen wirtschaftlichen Kriterien, zu viel Bedeutung beimessen.
  10. Angesichts der weit gefassten Definition des Begriffs „Vergütung“ in Artikel 2 Nr. 5 DV sollten die Vergütungsgrundsätze und -verfahren der Wertpapierdienstleistungsunternehmen auch sicherstellen, dass die Kriterien zur Bewertung von Gehaltserhöhungen und Beförderungen die MiFID II-Vergütungsanforderungen erfüllen. So sollten beispielsweise die Managementsysteme der Wertpapierdienstleistungsunternehmen zur Laufbahnentwicklung nicht zur erneuten Einführung quantitativer wirtschaftlicher Kriterien, von denen die Laufbahnentwicklung relevanter Personen abhängig sein kann und die ihre (feste und/ oder variable) Vergütung beeinflussen können, benutzt werden, wenn dies zu Interessenkonflikten führt, die solche relevanten Personen dazu veranlassen könnten, gegen das Interesse der Kunden ihres Wertpapierdienstleistungsunternehmens zu handeln.
  11. Die Vergütungssysteme müssen die effektive Durchführung von Kontrollhandlungen auch durch die operativen Bereiche vorsehen, die die wirksame Feststellung von Fällen, in denen relevante Personen es versäumt haben, nicht im besten Interesse des Kunden zu handeln, und die Einleitung von Gegenmaßnahmen ermöglichen.
BT 8.2.2 Anforderungen an die variable Vergütung
  1. Besteht die Vergütung aus einer variablen und einer fixen Vergütungskomponente, müssen beide in einem angemessenen Verhältnis zueinanderstehen. Das Verhältnis ist nicht angemessen, wenn es entgegen den Kriterien des § 25a Abs. 5 KWG ausgestaltet ist.52
  2. Die Vergütungsgrundsätze und -verfahren müssen unbeschadet des Art. 27 Abs. 4 Unterabs. 2 DV einen flexiblen Umgang mit der variablen Vergütung ermöglichen und im Einzelfall das vollständige Entfallen des variablen Vergütungsteiles gestatten. Bei der Festsetzung der Vergütung vertraglich gebundener Vermittler können Wertpapierdienstleistungsunternehmen deren besonderem Status Rechnung tragen, insbesondere dem Umstand, dass vertraglich gebundene Vermittler in der Regel selbständige Handelsvertreter nach § 84 des Handelsgesetzbuches sind.
  3. Bei der variablen Vergütung sollten es Wertpapierdienstleistungsunternehmen vermeiden, Leistungsziele festzulegen, die für die relevanten Personen Anreize für ein auf kurzfristige Gewinne ausgerichtetes Verhalten schaffen könnten, um die entsprechenden Schwellenwerte wie „Alles-oder-nichts-Ziele“ zu erreichen, wenn diese einen Interessenkonflikt schaffen oder Kundeninteressen beeinträchtigen könnten. Wertpapierdienstleistungsunternehmen sollten Vergütungsgrundsätze und -verfahren bevorzugen, bei denen der ausgezahlte variable Anteil der Vergütung linear berechnet und gewährt wird, oder wo der variable Anteil von mehreren Leistungszielen abhängt, die auf unterschiedlichen Ebenen festgelegt sind und Anspruch auf unterschiedliche Beträge oder vorzugsweise unterschiedliche Sätze der variablen Vergütung gewähren.
BT 8.2.3 Nachträgliche Anpassungskriterien und Rückforderungsklauseln
  1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen sollten in Erwägung ziehen, nachträgliche Anpassungskriterien für die variable Vergütung in ihre Vergütungsgrundsätze und -verfahren aufzunehmen, um relevante Personen weiter davor abzuschrecken, zur Erreichung kurzfristiger Leistungsziele das Kundeninteresse zu missachten oder ihre eigenen Interessen zu bevorzugen. Nachträgliche Anpassungskriterien sollten es den Wertpapierdienstleistungsunternehmen ermöglichen, die Interessen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens und relevanter Personen durch die Anpassung der variablen Vergütung stärker an die Interessen der Kunden anzupassen, falls ein Fehlverhalten auftritt, nachdem die Vergütung gewährt oder ausgezahlt wurde. Um die Wirksamkeit dieser Kriterien zu gewähren, sollten Wertpapierdienstleistungsunternehmen in Abhängigkeit von der Art, dem Umfang und der Komplexität ihrer Aktivitäten, einschließlich ihrer Vergütungsgrundsätze und -verfahren, angemessene nachträgliche Anpassungsmechanismen wie die Anwendung eines Malus (d. h. die Reduzierung des Wertes der gesamten oder eines Teils der zurückgestellten variablen Vergütung auf der Grundlage von Ex-post-Risikoanpassungen, bevor sie bezogen worden ist) und Rückforderungen (d. h. die Rückzahlung einer schon gezahlten oder bereits bezogenen variablen Vergütung an das Institut unter bestimmten Bedingungen) in Betracht ziehen.
  2. Nachträgliche Anpassungsmechanismen sollten durch Ereignisse, wie Fehlverhalten oder Verstöße gegen Verhaltens-, Informations- und Berichtspflichten des 11. Abschnitts des WpHG oder der delegierten Rechtsakte zur MiFID II, ausgelöst werden, die auf faire Behandlung von Kunden und die Qualität der gegenüber den Kunden erbrachten Dienstleistungen abzielen. Entsprechende Ereignisse sollten nicht auf solche beschränkt sein, die Anlass zu Aufsichtsmaßnahmen, Geldbußen oder Sanktionen geben, sondern bestätigte Versäumnisse oder Verstöße berücksichtigen. Bei der Anwendung von nachträglichen Anpassungsmechanismen ist auch die Schwere der Versäumnisse oder des Fehlverhaltens zu berücksichtigen, die die Interessen der Kunden beeinträchtigen.
  3. Nachträgliche Anpassungsmechanismen sollten auf die relevanten Personen angewandt werden, die unmittelbar an dem Fehlverhalten beteiligt waren. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen sollten jedoch auch prüfen, ob es angemessen wäre, sie auch auf eine größere Gruppe anzuwenden, wie die relevanten Personen, deren Verantwortlichkeiten die Bereiche umfassen, in denen die entsprechenden Ereignisse aufgetreten sind.
  4. Damit nachträgliche Anpassungsmechanismen sinnvoll sind, sollten die Wertpapierdienstleistungsunternehmen die variable Vergütung teilweise im Voraus und teilweise verzögert zahlen. Der im Voraus bezahlte und der zurückgestellte Anteil sollten in angemessener Ausgewogenheit zueinanderstehen. Der zurückgestellte Anteil sollte nach einem angemessenen Tilgungsplan, der die Interessen der relevanten Personen und der Wertpapierdienstleistungsunternehmen mit den Interessen der Kunden in Einklang bringt, geleistet werden.
BT 8.2.4 Anforderungen für bestimmte Personengruppen
  1. Um Interessenkonflikte hinsichtlich ihrer Rolle bei der Ausgestaltung und/oder Überwachung der Vergütungsgrundsätze und -verfahren des Wertpapierdienstleistungsunternehmens zu vermeiden, darf die Ausgestaltung der für die Kontrollfunktionen (Risikomanagement und Innenrevision) und die Geschäftsleitung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens geltenden Vergütungsgrundsätze und -verfahren nicht deren Objektivität und Unabhängigkeit beeinträchtigen.
  2. Als solche sollte die Vergütung der Mitarbeiter der Kontrollfunktion auf funktionsspezifischen Zielen beruhen. Darüber hinaus sollte gegebenenfalls der variable Anteil der Vergütung für die Mitarbeiter der Kontrollfunktionen nicht an die quantitative wirtschaftliche Leistung der relevanten Personen geknüpft sein, deren Vergütung sie auszugestalten oder zu kontrollieren haben. In den Fällen, in denen die Vergütung der Mitarbeiter in den Kontrollfunktionen eine Komponente enthält, die auf der wirtschaftlichen Leistung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens beruht (z. B. Umsatz), kann die Gefahr von Interessenkonflikten steigen und sollte durch die Verwendung geeigneter qualitativer Leistungs- oder Anpassungskriterien angemessen berücksichtigt werden.
  3. Soweit Wertpapierdienstleistungsunternehmen interne Kontrollfunktionen mit operativen Funktionen kombinieren dürfen, sind dennoch die Pflichten zum Interessenkonfliktmanagement und des Wohlverhaltens zu beachten. Als solche sollten es die für interne Kontrollfunktionen gültigen Vergütungsgrundsätze und -verfahren dennoch ermöglichen, dass die Kontrollfunktionen i. S. d. Artikel 22 Absatz 4 DV wirksam bleiben.
  4. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen stellen auch sicher, dass die Struktur der Vergütung der Mitglieder der Geschäftsleitung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens sowie die Kriterien zur Leistungsbewertung keine Interessenkonflikte oder Anreize schaffen, welche die Mitglieder der Geschäftsleitung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens oder relevante Personen in dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen dazu verleiten könnten, ihre eigenen Interessen oder die des Wertpapierdienstleistungsunternehmens zuungunsten der Kunden zu bevorzugen.
  5. Die Vergütungsgrundsätze und -verfahren, die für relevante Personen (einschließlich ggf. Copy-Trader) gelten, die nicht Mitarbeiter des Wertpapierdienstleistungsunternehmens sind, aber dennoch nach Artikel 2 Nr. 1 lit. c oder d DV in den Anwendungsbereich der Vergütungsanforderungen fallen, sollten auch die Anforderungen nach § 63 Abs. 3, § 80 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 WpHG, Art. 27, Art 34 DV und dieses BT 8 einhalten.
BT 8.2.5 Beispiele für die Ausgestaltung der Vergütung
  1. Beispiele für vorbildliche Verfahren:
    a) Die in der Berechnung der variablen Vergütung relevanter Personen verwendeten Referenzen sind für alle verkauften Produkte gleich.
    b) Im Falle einer unbefristeten Anlage ohne Laufzeit wird die Vergütung für eine festgelegte Anzahl von Jahren oder bis zur Einlösung des Produkts zurückgestellt.
  2. Beispiele für schlechte Vorgehensweisen, die in der Regel unzulässig sind:
    a) Anreizmaßnahmen, die relevante Personen veranlassen könnten, ein Produkt oder eine Kategorie von Produkten bevorzugt zu verkaufen bzw. zu forcieren oder unnötige/ungeeignete Käufe oder Verkäufe für den Anleger zu tätigen; insbesondere Situationen, in denen ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen ein neues Produkt auf den Markt bringt oder ein bestimmtes Produkt forciert (z. B. das Produkt des Monats oder „hauseigene Produkte“) und relevanten Personen Anreize zum Verkauf dieses Produkts bietet. Wenn für verschiedene Produkttypen unterschiedliche Anreize geboten werden, besteht ein hohes Risiko, dass relevante Personen verstärkt das Produkt, das ihnen eine höhere Vergütung bringt, verkaufen werden, ohne das bestmögliche Interesse des Kunden in angemessener Weise zu berücksichtigen.
    • Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen wendet Vergütungsgrundsätze und -verfahren an, die auf individuellen Produktverkäufen beruhen, und die vorsehen, dass die relevante Person unterschiedlich hohe Bonuszahlungen erhält, je nachdem welches spezielle Produkt oder welche spezielle Produktkategorie sie verkauft.
    • Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen wendet Vergütungsgrundsätze und -verfahren an, die auf individuellen Produktverkäufen beruhen, und die vorsehen, dass die relevante Person für eine Gruppe von Produkten gleich hohe Bonuszahlungen erhält. In bestimmten begrenzten Zeiträumen, die mit einer Werbe- oder Vermarktungsaktion zusammenfallen, erhöht das Wertpapierdienstleistungsunternehmen jedoch die Bonuszahlungen für den Verkauf bestimmter Produkte.
    • Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen hat Anreizmaßnahmen, die relevante Personen (die z. B. möglicherweise ausschließlich auf Provisionsbasis vergütet werden) veranlassen könnten, beim Verkauf in Fällen, in denen beide Produkte für Kunden in gleicher Weise geeignet sein könnten, Investmentfonds („unit trusts“) gegenüber Investmentgesellschaften zu bevorzugen, weil sich der Verkauf von Investmentfonds („unit trusts“) in deutlich höheren Provisionen niederschlägt.
    • Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen hat damit begonnen, Beratern eine besondere zusätzliche Vergütung anzubieten, um Kunden dazu zu bewegen, neue Fondsprodukte zu erwerben, an denen das Wertpapierdienstleistungsunternehmen besonders interessiert ist. Das bedeutet häufig, dass die relevante Person ihren Kunden vorschlagen muss, Produkte zu verkaufen, die sie ihnen sonst empfehlen würden, damit sie in diese neuen Produkte investieren können.
    • Führungskräfte und Mitarbeiter erhalten einen hohen Bonus, der an ein bestimmtes Produkt gebunden ist. Daher empfehlen die Berater des Wertpapierdienstleistungsunternehmens dieses spezielle Produkt unabhängig davon, ob dieses Produkt für die angesprochenen Kunden geeignet ist. Warnungen des Risikomanagers werden ignoriert, da die Anlageprodukte dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen hohe Renditen bescheren. Wenn die zuvor identifizierten Risiken auftreten, sind die Produkte bereits verkauft und die Boni ausgezahlt worden.
    b) Unangemessene Regelungen, die sich auf die Auszahlung von Boni auswirken: Vergütungsgrundsätzen und -verfahren, die z. B. vorsehen, dass beim Verkauf einer Gruppe von Produkten ein Mindestvolumen erzielt werden muss, um überhaupt Bonuszahlungen zu erhalten, dürften nicht mit der Verpflichtung vereinbar sein, im bestmöglichen Interesse des Kunden zu handeln. Wenn die Auszahlung von Boni an bestimmte Voraussetzungen geknüpft ist, können relevante Personen dazu bewegt werden, ungeeignete Verkäufe zu tätigen. Beispielsweise kann es Auswirkungen darauf haben, ob geeignete Produkte empfohlen werden, wenn die Gewährung von Bonuszahlungen für Verkäufe davon abhängig gemacht wird, dass für jedes Produkt einer Reihe verschiedener Produkttypen ein Mindestverkaufsziel erreicht wird. Ein weiteres Beispiel ist die Kürzung von Bonuszahlungen oder Leistungsprämien, weil ein Nebenziel oder ein Schwellenwert verfehlt wurde.
    • In einem Wertpapierdienstleistungsunternehmen verkaufen relevante Personen eine Reihe von Produkten, die verschiedenen Kundenanforderungen gerecht werden, wobei die Produktpalette nach der Art der Kundenanforderung in drei Kategorien („Buckets“) unterteilt wird. Die relevanten Personen können für jedes verkaufte Produkt Leistungsprämien ansammeln, die jedoch jeweils am Monatsende nur dann zur Auszahlung gelangen, wenn mindestens 50 % der Zielvorgaben für die einzelnen Kategorien erreicht wurden.
    • Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen verkauft Produkte mit verschiedenen optionalen Zusatzprodukten („Add-ons“). Die relevante Person erhält für alle Verkäufe Leistungsprämien sowie eine Zusatzprämie, wenn der Kunde ein Zusatzprodukt kauft. Jeweils am Monatsende werden jedoch keine Leistungsprämien ausgezahlt, wenn nicht mindestens 50 % der Produkte zusammen mit einem Zusatzprodukt verkauft wurden.
    c) Die variable Komponente der Gesamtvergütung richtet sich nach den verkauften Mengen und führt dazu, dass sich die betreffende Person mehr auf kurzfristige Gewinne denn auf das beste Interesse des Kunden konzentriert.
    d) Verstöße gegen Ge- und Verbote des WpHG oder gegen delegierte Rechtsakte zur MiFID II, die das Interesse der Kunden beeinträchtigen, werden von der BaFin festgestellt. Es werden dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen jedoch keine finanziellen Sanktionen auferlegt, da die Verstöße inzwischen behoben wurden. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen beschließt auf der Grundlage, dass die anderen Kriterien erfüllt wurden, ihren Geschäftsleitern die maximale feste und variable Vergütung für das Jahr zu gewähren, und zieht dabei nicht die Konsequenzen aus der Nichterfüllung der rechtlichen Auflagen durch das Wertpapierdienstleistungsunternehmen und der Rolle der Geschäftsleiter darin.
    e) Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen stützt sich bei der Bemessung der variablen Vergütung hauptsächlich auf quantitative wirtschaftliche Daten.
    f) Die Geschäftsleitung hat verschiedene strategische Ziele ausgegeben, die in einem bestimmten Jahr zu erreichen sind. Alle Ziele scheinen sich ausschließlich auf finanzielle und wirtschaftliche Aspekte zu konzentrieren, ohne den potenziellen Nachteil für die Kunden zu berücksichtigen. Die Vergütungspolitik wird im Einklang mit diesen strategischen Zielen stehen und daher einen sehr kurzfristigen finanziellen und wirtschaftlichen Schwerpunkt haben.
    g) Vergütungsgrundsätze und -verfahren, die unverhältnismäßig starke Auswirkungen bei geringfügigen Umsätzen vorsehen: Ein erhöhtes Risiko ist gegeben, wenn relevante Personen ein Mindestverkaufsvolumen erreichen müssen, um Leistungsprämien zu erhalten, oder wenn Leistungsprämien aufgestockt werden. Ein weiteres Beispiel sind Regelungen mit progressiven Leistungsprämien, bei denen sich die Bonuszahlungen bei Überschreiten eines Schwellenwerts erhöhen. In einigen Fällen werden Leistungsprämien rückwirkend für alle Verkäufe ausgezahlt und nicht nur für die Verkäufe, die über einem Schwellenwert liegen, so dass relevante Personen möglicherweise in besonderem Maße geneigt sein könnten, unter bestimmten Umständen bestimmte Produkte zu verkaufen.
    • Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen legt für relevante Personen gestaffelte Leistungsprämien für jedes innerhalb eines Quartals verkaufte Finanzinstrument wie folgt fest:
    • 0-80 % des Ziels: Keine Prämien.
    • 80-90 % des Ziels: 50 EUR je Verkauf.
    • 91-100 % des Ziels: 75 EUR je Verkauf.
    • 101-120 % des Ziels: 100 EUR je Verkauf.
    • >120 % des Ziels: 125 EUR je Verkauf.
    In diesem Beispiel kann auch eine Staffelung der Provisionsanteile oder der Anteile an den erzielten Erträgen für die relevante Person vorgesehen sein.
    • Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen verwendet dieselbe Staffelung wie im vorangegangenen Beispiel, wobei jedoch die Erhöhung der Prämien rückwirkend für alle im jeweiligen Quartal getätigten Verkäufe gilt, d. h. bei Überschreiten des Werts von 91 % des Ziels werden die bis dahin angesammelten Prämien zu 50 EUR je Verkauf auf 75 EUR je Verkauf erhöht. Auf diese Weise entsteht eine Reihe von Schwellen, in Bezug auf die ein einziger zusätzlicher Verkauf erforderlich ist, um einen höheren Prämienkorridor zu erreichen, was eine unverhältnismäßig hohe Steigerung der Bonuszahlung zur Folge hat.
  3. Beispiele für schlechte Vorgehensweisen, die stets unzulässig sind:
    a) Relevante Personen verkaufen verstärkt Produkte mit kurzer Laufzeit, um Prämien für die Wiederanlage des Produkts nach der kurzen Laufzeit zu erhalten, anstatt die Geeignetheit eines Produkts für einen Kunden in Betracht zu ziehen.
    b) Relevante Personen kaufen und verkaufen häufig Finanzinstrumente im Portfolio eines Kunden, um sich eine zusätzliche Vergütung zu verdienen, ohne die Geeignetheit dieser Tätigkeit für den Kunden im Auge zu behalten.
    c) Variable Gehälter, bei denen bei relevanten Personen eine leistungsorientierte Anpassung des Grundgehalts (nach oben oder unten) nur auf der Grundlage vorgegebener Verkaufsziele (d.h. rein quantitativer Vorgaben) vorgesehen ist: In diesen Fällen kann letztendlich das gesamte Gehalt der relevanten Person zur variablen Vergütung werden.
    • Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen sieht die spürbare Kürzung des Grundgehalts einer relevanten Person vor, wenn diese bestimmte Verkaufsziele verfehlt. Es besteht daher das Risiko, dass die betreffende Person ungeeignete Finanzinstrumente verkaufen könnte, um diese Folgen zu vermeiden. Auch die Aussicht auf ein höheres Grundgehalt oder höhere Nebenleistungen könnte relevante Personen in besonderem Maße zum Verkauf anspornen.

BT 8.3 Überwachung von Vergütungsgrundsätzen und -verfahren

  1. Die Compliance-Funktion überwacht die Einrichtung, Ausgestaltung und Umsetzung von Vergütungssystemen gemäß den Grundsätzen des BT 1.2.1. In Bezug auf die Vergütung der Geschäftsleitung kann die Prüfung anhand abstrakter Kriterien erfolgen.
  2. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen sollten angemessene Kontrollen einrichten, um die Einhaltung ihrer Vergütungsgrundsätze und -verfahren zu bewerten und sicherzustellen, dass diese die beabsichtigten Ergebnisse liefern. Die Kontrollen sollten unternehmensweit umgesetzt und regelmäßig überprüft werden. Diese Kontrollen sollten die Bewertung der Qualität der für die Kunden erbrachten Dienstleistungen umfassen - z. B. die Überwachung von Telefongesprächen für den Telefonvertrieb, Stichproben von Beratungsleistungen und Kundenportfolios, um die Geeignetheit zu prüfen, oder regelmäßige Durchsicht anderer Kundenunterlagen.
  3. Um solche Kontrollen in einer wirksamen und risikobasierten Weise durchzuführen, sollte ein breites Spektrum an Informationen über die Überwachung der Unternehmensqualität und der Absatzmuster verwendet werden, einschließlich Trend- und Ursachenanalysen, um Bereiche mit einem erhöhten Risiko zu ermitteln und einen risikobasierten Ansatz zum Vertriebsmonitoring zu unterstützen, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf den Leistungsträgern unter den relevanten Personen liegt (z. B. in Bezug auf den Vertrieb).
  4. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen sollten sicherstellen, dass die Ergebnisse dieser Analysen und Kontrollen klar dokumentiert und an die Geschäftsleitung gemeinsam mit Vorschlägen zu Abhilfemaßnahmen berichtet werden. Die Compliance-Funktion sollte ebenfalls die Geschäftsleitung bei der wirksamen Überwachung der Compliance-Risiken, die mit der Vergütungspolitik des Wertpapierdienstleistungsunternehmens im Zusammenhang stehen, unterstützen (auch auf der Grundlage der gemäß dieser Leitlinie durchgeführten Ex-post-Kontrollen). Wo sich aufgrund spezifischer Merkmale der Vergütungsgrundsätze und -verfahren potenzielle oder tatsächliche Nachteile für den Kunden ergeben könnten, sollten angemessene Schritte unternommen werden, um potenzielle Risiken im Wohlverhalten und von Interessenkonflikten anzugehen, indem diese spezifischen Merkmale überprüft und/oder geändert werden. Außerdem sollten die Wertpapierdienstleistungsunternehmen angemessene Kontroll- und Berichtsmechanismen einrichten, um angemessene Maßnahmen zur Entschärfung potenzieller Risiken im Zusammenhang mit dem Wohlverhalten und den Interessenkonflikten zu ergreifen.
  5. Bei der Auslagerung von Wertpapierdienstleistungen sollten die Wertpapierdienstleistungsunternehmen unbeschadet der § 25b KWG, § 80 Abs. 6 WpHG sowie Art. 30 bis Art. 32 DV das beste Interesse des Kunden im Auge behalten. Setzt ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen ein anderes Unternehmen für die Bereitstellung von Dienstleistungen ein, sollte es überprüfen, ob dessen Vergütungsgrundsätze und -verfahren einem Ansatz folgen, der im Einklang mit den Anforderungen nach § 63 Abs. 3, § 80 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 WpHG, Art. 27 und Art. 34 DV und den Grundsätzen dieses BT steht. Darüber hinaus sollten die Wertpapierdienstleistungsunternehmen den Aufbau übermäßig komplizierter Auslagerungs- oder Vertriebsstrukturen vermeiden (einschließlich des Einsatzes vertraglich gebundener Vermittler), wenn die für diese Strukturen geltenden Vergütungsgrundsätze oder -verfahren es den Wertpapierdienstleistungsunternehmen erschweren, die Compliance-Risiken anhand dieser Leitlinien, den Grundsätzen und Verfahren im Zusammenhang mit Interessenkonflikten und dem Wohlverhalten im Bereich der Vergütung zu überwachen, oder das Risiko des Nachteils für das Kundeninteresse erhöhen.
  6. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen sollten regelmäßig bewerten, ob das von ihnen verwendete Instrumentarium des Informationsmanagements die qualitativen Daten, die erforderlich sind, um die an relevante Personen bezahlte variable Vergütung zu ermitteln, adäquat erfasst.
  7. Beispiele für gute Vorgehensweisen bei der Überwachung:
    a) Um zu bewerten, ob die Anreizsysteme angemessen sind, führt ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen ein Programm zur Kontaktaufnahme mit einer Auswahl an Kunden kurz nach Abschluss eines Verkaufs ein, das einen persönlichen Vertriebsprozess beinhaltet, bei dem es keine aufgezeichneten Telefonvertriebsgespräche überwachen kann, um zu testen, ob der Vertriebler ehrlich, fair und professionell und im besten Interesse des Kunden gehandelt hat.
    b) Spitzenverdiener und Leistungsträger werden als potenziell risikoreicher eingestuft und werden deshalb einer zusätzlichen Prüfung unterzogen; und Informationen wie frühere Compliance-Ergebnisse, Beschwerden oder Stornierungsdaten werden herangezogen, um die Compliance-Prüfung zu steuern. Die Ergebnisse beeinflussen die Ausgestaltung/Überprüfung der Vergütungsgrundsätze und -verfahren.
  8. Beispiel für schlechte Vorgehensweisen bei der Überwachung:

    Um seine Produkte zu vertreiben, stützt sich ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen auf ein mehrstufiges Vertriebsnetz, das ausschließlich aus Mitarbeitern von externen Vertriebsgesellschaften besteht, die nach dem Transaktionsvolumen der von ihnen direkt gewonnenen Kunden und ihrem Rang in der Vertriebsstruktur des Wertpapierdienstleistungsunternehmens mit einer Hebelwirkung vergütet werden, wobei die Hebelwirkung von der Anzahl der darunterliegenden Vertriebsebenen und der Anzahl der Vertriebshändler in jeder Ebene abhängt. Diese Vertriebsstrukturen können es gemeinsam mit den oben beschriebenen Vergütungsgrundsätzen und -verfahren dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen schwermachen, die Compliance-Risiken für jede Stufe (insbesondere die am weitesten entfernte) und die Gesamtstruktur anhand den Grundsätzen dieses BT zu überwachen..

BT 8.4 Governance

  1. Die Geschäftsleitung ist für die angemessene Ausgestaltung und Umsetzung des Vergütungssystems sowie für die Vermeidung vergütungsbezogener Risiken und den Umgang mit den Restrisiken verantwortlich. Damit trägt sie im Rahmen ihres unternehmerischen Ermessens auch die Letztverantwortung für die Festsetzung der Vergütung einzelner relevanter Personen. Soweit es sich bei den relevanten Personen um Mitglieder der Geschäftsleitung handelt, ist stattdessen das Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan entsprechend verantwortlich.
  2. Neben der regelmäßigen Überprüfung ihrer schriftlichen Vergütungsgrundsätze sollten Wertpapierdienstleistungsunternehmen diese auch bei jeder relevanten und wesentlichen Änderung ihrer Geschäftstätigkeit oder Struktur überprüfen. Wenn sich bei der Überprüfung herausstellt, dass die Vergütungsgrundsätze nicht wie beabsichtigt funktionieren oder dass aus ihnen ein Restrisiko des Nachteils für die Kunden des Wertpapierdienstleistungsunternehmens entsteht (das sich bewahrheitet oder nicht), sind die Vergütungsgrundsätze zeitnah und effizient zu ändern.
  3. Eine ordnungsgemäße Dokumentation der Vergütungsgrundsätze sowie des Entscheidungsprozesses und der Verfahren, die zu ihrer Genehmigung oder Änderung führen, sollten in einer klaren und transparenten Form gepflegt und der Geschäftsleitung sowie weiteren Kontrollfunktionen, die in der Ausgestaltung, Überwachung und/oder Überprüfung der Vergütungsgrundsätze und -verfahren eingebunden sind, zur Verfügung gestellt werden.
  4. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen sollten sicherstellen, dass die Compliance-Funktion Zugang zu allen relevanten Dokumenten und Informationen hat, damit sie ihre Aufgaben im Einklang mit Artikel 22 Absatz 3 Buchstabe a DV hinsichtlich der Vergütungsgrundsätze und -verfahren bezüglich relevanter Personen, einschließlich der Mitglieder der Geschäftsleitung, in einer ordnungsgemäßen und unabhängigen Weise erfüllen kann.
  5. In Abhängigkeit von der Größe des Wertpapierdienstleistungsunternehmens und der Komplexität seines Geschäftsmodells und der erbrachten Wertpapierdienstleistungen kann die Überprüfung der Vergütungspolitik auch die Beteiligung anderer Kontrollfunktionen erfordern (wie beispielsweise das Risikomanagement und/oder die interne Revision), um sicherzustellen, dass angemessene Leistungs- und Risikoanpassungskriterien verwendet werden.
  6. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen sollten auch sicherstellen, dass ihre Geschäftsleitung nach Beratung mit der Compliance-Funktion alle bedeutenden Änderungen an der Vergütungspolitik des Wertpapierdienstleistungsunternehmens genehmigt. Die Geschäftsleitung ist für die tägliche Umsetzung der Vergütungsgrundsätze sowie für die Überwachung der Compliance-Risiken in Bezug auf die Grundsätze verantwortlich und sollte die letzte Verantwortung behalten.
  7. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen sollten sicherstellen, dass sie unternehmens- bzw. gruppenweit über angemessene und transparente Berichtslinien verfügen, um bei der Eskalation von Problemen im Zusammenhang mit Risiken der Nichteinhaltung der Wohlverhaltensregeln des 11. Abschnitts des WpHG oder der delegierten Rechtsakte zur MiFID II sowie der Anforderungen an die Vergütung und der Bewältigung von Interessenkonflikten zu helfen.

BT 9 Interessenkonflikte im Zusammenhang mit Staffelprovisionen

  1. Unter „Staffelprovision“ ist die erfolgsabhängige Gewährung von monetären oder nicht-monetären Vorteilen mit variablen, i. d. R. progressiven Sätzen oder Stufen zu verstehen. Je nach Provisionsmodell können Art und der Umfang der Provision von unterschiedlichen Variablen, z. B. dem Erreichen bestimmter Absatz-, Umsatz- oder Bestandsgrößen, abhängen. Die Erfolgsabhängigkeit der Vorteile besteht auch dann, wenn sich diese in einem anderen Bewertungszeitraum auswirkt.
  2. Besteht die Möglichkeit, dass ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Hinblick auf Wertpapierdienst- oder -nebendienstleistungen Staffelprovisionen erhält, so ist dies in den nach Art. 34 Abs. 1 S. 1 DV durch Wertpapierdienstleistungsunternehmen zu erstellenden Grundsätze für den Umgang mit Interessenkonflikten ausdrücklich als potentieller Interessenkonflikt aufzuführen und ausdrücklich festzulegen, welche Verfahren eingeleitet und welche Maßnahmen getroffen wurden, um die aus dem möglichen Erhalt von Staffelprovisionen potentiell resultierende Interessenkonflikte zu verhindern oder zu bewältigen.
  3. Die übrigen Vorgaben zu Interessenkonflikten und Zuwendungen, insbesondere die § 64 Abs. 5 und Abs. 7, § 70 WpHG sowie §§ 6 und 7 WpDVerOV bleiben unberührt.

BT 10 Aufzeichnungspflichten nach § 70 Abs. 1 S. 2 WpHG

Die Aufzeichnungspflichten nach § 70 Abs. 1 S. 2 WpHG i. V. m. § 6 Abs. 3 WpDVerOV werden nachfolgend näher konkretisiert.

  1. Nach § 70 Abs. 1 S. 2 WpHG müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen nachweisen können, dass jegliche von ihnen erhaltenen oder gewährten Zuwendungen dazu bestimmt sind, die Qualität der jeweiligen Dienstleistung für den Kunden zu verbessern.
  2. Zur Erfüllung dieser Voraussetzung müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 WpDVerOV ein internes Verzeichnis aller Zuwendungen führen, die sie im Zusammenhang mit der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder -nebendienstleistungen von einem Dritten erhalten (Zuwendungsverzeichnis).
  3. Nach § 6 Abs. 3 Nr. 2 WpDVerOV müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen ferner aufzeichnen,

    • wie die erhaltenen oder gewährten Zuwendungen, oder Zuwendungen, deren Erhalt oder Gewährung beabsichtigt ist, die Qualität der Dienstleistungen für die betreffenden Kunden verbessern (Verwendungsverzeichnis), und

    • welche Schritte unternommen wurden, um die Erfüllung der Pflicht des Wertpapierdienstleistungsunternehmens, ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden zu handeln, nicht zu beeinträchtigen (Maßnahmenverzeichnis).

BT 10.1 Zuwendungsverzeichnis

  1. Sämtliche Zuwendungen eines jeden Geschäftsjahres, die Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Zusammenhang mit der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen oder -nebendienstleistungen von Dritten annehmen, sind in einem unternehmensinternen Zuwendungsverzeichnis fortlaufend zu erfassen. Bei der Darstellung ist zumindest zwischen monetären Zuwendungen aus Vertriebsprovisionen, Bestandsprovisionen, Vermittlungsprovisionen und sonstigen Provisionen und Gebühren sowie nichtmonetären Zuwendungen zu unterscheiden.
  2. Das Zuwendungsverzeichnis ist fortlaufend zu führen und jährlich unverzüglich nach Abschluss eines Geschäftsjahres für dieses Geschäftsjahr fertigzustellen. Sofern ein Jahresabschluss aufzustellen ist, gilt die Fertigstellung des Zuwendungsverzeichnisses innerhalb der für die Aufstellung des Jahresabschlusses vorgesehenen Frist als unverzüglich. Das Zuwendungsverzeichnis kann in schriftlicher oder elektronischer Form geführt werden.
  3. Die monetären Zuwendungen, die vereinnahmt, d. h. angenommen und behalten wurden, sind betragsmäßig aufzuführen. Die nichtmonetären Zuwendungen, die nicht nur geringfügig sind (vgl. § 6 Abs. 1 WpDVerOV) und vereinnahmt wurden, sind der Höhe nach anzugeben. Für geringfügige nichtmonetäre Zuwendungen ist es ausreichend, diese generisch zu beschreiben.
  4. Zuwendungen, die an Kunden ausgekehrt werden, müssen nicht in dem Zuwendungsverzeichnis aufgeführt werden. Auskehrungen sind in diesem Fall gesondert nach § 83 Abs. 1 WpHG aufzuzeichnen. Alternativ können jedoch an Kunden ausgekehrte Zuwendungen in das Zuwendungsverzeichnis aufgenommen werden und sind dann als solche zu kennzeichnen.

BT 10.2 Verwendungsverzeichnis

  1. Soweit Wertpapierdienstleistungsunternehmen monetäre und/oder nichtmonetäre Zuwendungen annehmen und behalten oder gewähren, haben sie über das Zuwendungsverzeichnis hinaus fortlaufend ein Verwendungsverzeichnis zu führen.

    Bei der Führung des Verwendungsverzeichnisses ist zwischen vereinnahmten Zuwendungen einerseits und gewährten Zuwendungen andererseits zu differenzieren und ihre Verwendung jeweils in einem gesonderten Abschnitt des Verwendungsverzeichnisses darzustellen. In gesonderten Abschnitten des Verwendungsverzeichnisses, welche nicht fortlaufend zu führen sind, sind des Weiteren darzulegen, wie Zuwendungen, deren Erhalt oder Gewährung im kommenden Geschäftsjahr beabsichtigt ist, die Qualität der Dienstleistungen für die betreffenden Kunden verbessern sollen.

  2. In dem Verwendungsverzeichnis müssen die Wertpapierdienstleistungsunternehmen darlegen, wie die erhaltenen oder gewährten Zuwendungen die Qualität der Dienstleistungen für die betreffenden Kunden verbessern. Sofern es sich um monetäre Zuwendungen handelt, ist dabei anzugeben, in welcher Höhe Zuwendungen für die jeweilige Qualitätsverbesserung verwendet wurden bzw. verwendet werden sollen.

    Für geringfügige nichtmonetäre Zuwendungen ist es ausreichend, die jeweilige Qualitätsverbesserung für die betreffenden Kunden generisch zu beschreiben. Auch für gewährte Zuwendungen und für Zuwendungen, deren Gewährung beabsichtigt ist, reicht es aus, die jeweilige Qualitätsverbesserung für die betreffenden Kunden des gewährenden Wertpapierdienstleistungsunternehmens generisch zu beschreiben.

  3. Eine bloße zusammenfassende Gegenüberstellung der unternehmensweit vereinnahmten, gewährten oder künftigen Zuwendungen und deren tatsächliche oder geplante Verwendung zur Qualitätsverbesserung reichen nicht aus.

    Die Verwendungen für die Qualitätsverbesserungen bezogen auf die einzelnen Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen sind aufzuschlüsseln nach

    • den einschlägigen Regelbeispielen des § 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 WpDVerOV. Für mögliche weitere zusätzliche oder höherwertige Dienstleistungen für den betreffenden Kunden sind über die Regelbeispiele hinaus ergänzend eine oder mehrere weitere Kategorien zu bilden;

    • den betreffenden Kunden, für die die jeweils angebotene, zusätzliche oder höherwertige Dienstleistung eine Qualitätsverbesserung bedeutet. Bei der Darstellung ist die Bildung homogener Kundengruppen zulässig, in denen eine Mehrzahl von Kunden zusammengefasst werden können.

    Dabei muss die Verwendung der Zuwendungen für jedes in Anspruch genommene Regelbeispiel und für jeden betreffenden Kunden bzw. jede Kundengruppe im Einzelnen aufgezeichnet werden.

  4. Das Verwendungsverzeichnis ist – mit Ausnahme des Abschnitts für künftige Zuwendungen – fortlaufend zu führen. Das Verwendungsverzeichnis ist jährlich unverzüglich nach Abschluss eines Geschäftsjahres für dieses Geschäftsjahr fertigzustellen. Sofern ein Jahresabschluss aufzustellen ist, gilt die Fertigstellung des Verwendungsverzeichnisses innerhalb der für die Aufstellung des Jahresabschlusses vorgesehenen Frist als unverzüglich. Das Verwendungsverzeichnis kann in schriftlicher oder elektronischer Form geführt werden.
  5. Sofern eine genaue betragsmäßige Bezifferung von Zahlungen für die Verwendung für Qualitätsverbesserungen für den betreffenden Kunden bzw. die betreffende Kundengruppe nur mit einem erheblichen Aufwand möglich ist, können vom Unternehmen auch Schätzungen vorgenommen werden.

    Dies gilt insbesondere für die Höhe der noch nicht gezahlten Zuwendungen, deren Erhalt oder Gewährung aber beabsichtigt ist (etwa weil die Zahlung einer Zuwendung noch von einem zukünftigen Ereignis abhängt). Im Zusammenhang mit den beabsichtigten Zuwendungen sollten diesen aber tatsächlich vorgesehene bzw. geplante Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung gegenüberstehen. Die beabsichtigten, aber noch nicht zahlungswirksamen Zuwendungen und Verwendungen für Qualitätsverbesserungen sind im Verwendungsverzeichnis gesondert gegenüberzustellen. Insbesondere ist - vorbehaltlich Nr. 6 - eine Verrechnung mit den im Geschäftsjahr bereits erhaltenen Zuwendungen nicht möglich.

  6. Vereinnahmte Zuwendungen sind grundsätzlich zeitnah für Qualitätsverbesserungen für den betreffenden Kunden bzw. die betreffende Kundengruppe zu verwenden. Eine Verwendung erst im folgenden Geschäftsjahr ist nur in sachlich begründeten Fällen zulässig. Soweit Zuwendungen in dem Geschäftsjahr, in dem sie dem Unternehmen zugeflossen sind, nicht für Qualitätsverbesserungen für den betreffenden Kunden bzw. die betreffende Kundengruppe verwendet wurden, sind sie in dem Verwendungsverzeichnis als solche auszuweisen.
  7. Auf Nachfrage hin muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen in der Lage sein, der Bundesanstalt sowie dem Prüfer nach § 89 WpHG die Verwendung der vereinnahmten monetären und nichtmonetären Zuwendungen für Maßnahmen der Qualitätsverbesserung für die betreffenden Kunden im Detail darzulegen.

BT 10.3 Maßnahmenverzeichnis

  1. In einem Maßnahmenverzeichnis sind die Schritte (Maßnahmen) zu dokumentieren, die in einem Geschäftsjahr unternommen wurden, um die Erfüllung der Pflicht des Wertpapierdienstleistungsunternehmens, ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden zu handeln, nicht zu beeinträchtigen. Dabei ist bei der Beschreibung der einzelnen Maßnahmen bezogenen auf die jeweilige Wertpapierdienstleistung oder Wertpapiernebendienstleistung zwischen einmaligen, wiederkehrenden und dauernden Maßnahmen zu differenzieren.
  2. Das Maßnahmenverzeichnis ist fortlaufend zu führen und jährlich unverzüglich nach Abschluss eines Geschäftsjahres für dieses Geschäftsjahr fertigzustellen. Sofern ein Jahresabschluss aufzustellen ist, gilt die Fertigstellung des Maßnahmenverzeichnisses innerhalb der für die Aufstellung des Jahresabschlusses vorgesehenen Frist als unverzüglich. Das Maßnahmenverzeichnis kann in schriftlicher oder elektronischer Form geführt werden.

BT 10.4 Qualitätsverbesserung

  1. Im Einklang mit Erwägungsgrund 23 Delegierte Richtlinie (EU) 2017/593 ist auch die Aufrechterhaltung einer bereits erreichten Qualitätsverbesserung als zulässige Verbesserung der Qualität der für den betreffenden Kunden erbrachten Dienstleistung anzusehen.
  2. Nach § 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 WpDVerOV ist eine Zuwendung darauf ausgelegt, die Qualität der Dienstleistung für den Kunden zu verbessern, wenn sie durch die Erbringung einer zusätzlichen oder höherwertigen Dienstleistung für den jeweiligen Kunden gerechtfertigt ist, die in angemessenem Verhältnis zum Umfang der erhaltenen Zuwendung steht.

    Vor diesem Hintergrund soll auch über die fortlaufenden Dienstleistungen im Sinne des § 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 b) bb) WpDVerOV ein angemessener Mehrwert für den Kunden geschaffen werden. Die Beratung über eine optimale Strukturierung des Kundenvermögens sollte deshalb nicht nur auf einfachen und pauschalen Annahmen zur Assetklassenallokation basieren. Vielmehr sollte die Strukturierung des Gesamtvermögens die individuelle Risikobereitschaft, den Anlagezweck und den Anlagehorizont des Kunden - insbesondere auch die zeitlichen Liquiditätsbedarfe des Kunden - berücksichtigen. Die Strukturierung der vom Kunden gehaltenen Finanzinstrumente sollte anhand geeigneter finanzmathematischer Kennzahlen auf Basis des jeweiligen Kundenportfolios erfolgen, um als zusätzliche oder höherwertige Dienstleistung infrage zu kommen.

BT 11 Qualifikation der Mitarbeiter von Wertpapierdienstleistungsunternehmen

Die Anforderungen an die Qualifikation von Mitarbeitern gemäß § 63 Abs. 1 und § 87 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 und 3, Abs. 4 S. 1 und Abs. 5 S. 1 WpHG, Art. 21 Abs. 1 d) und Art. 22 Abs. 3 a) DV, Art. 2 Abs. 1 S. 1 Delegierte Verordnung (EU) 2017/589 sowie §§ 1 bis 6 WpHGMaAnzV werden nachfolgend näher konkretisiert.

Mitarbeiter im Sinne dieses BT 11 sind Anlageberater, Vertriebsmitarbeiter, Finanzportfolioverwalter, Vertriebsbeauftragte und Compliance-Beauftragte sowie solche Mitarbeiter, die mit inhaltlichen Aspekten des Prozesses der Beurteilung der Geeignetheit befasst sind. Dies gilt auch für vertraglich gebundene Vermittler i. S. v. § 2 Abs. 10 KWG.

BT 11.1 Allgemeine Anforderungen

  1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen stellen sicher, dass ihre Mitarbeiter über die notwendigen Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, um die relevanten aufsichtlichen und rechtlichen Anforderungen sowie geschäftsethische Standards einzuhalten, und die internen Regeln und die internen Verfahren des Wertpapierdienstleistungsunternehmens kennen, verstehen und anwenden, mit denen die Einhaltung der aufsichtlichen und rechtlichen Anforderungen gewährleistet wird. Mitarbeiter müssen über die zur Erfüllung der bei ihrer jeweiligen Tätigkeit zu beachtenden Verpflichtungen der Wertpapierdienstleistungsunternehmen notwendige Qualifikation im Einklang mit den Arten der jeweils erbrachten Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen verfügen.

    Beispiele für gute Vorgehensweisen sind:

    • Regelmäßige obligatorische Schulungen im Bereich der Wohlverhaltensregeln und der organisatorischen Anforderungen,

    • die Herausgabe von Richtlinien für Mitarbeiter, um Standards für Geschäftsgebaren und Verhalten festzulegen, die für die korrekte Erbringung der einschlägigen Dienstleistungen erforderlich sind, wobei sich das Wertpapierdienstleistungsunternehmen schriftlich von den Mitarbeitern bestätigen lässt, dass sie diese Regeln gelesen, verstanden und eingehalten haben,

    • die Veröffentlichung der Kriterien in einer für die Kunden konsistenten und aussagekräftigen Form, auf welche Weise die Qualifikation der Mitarbeiter gewährleistet wird.

    Wertpapierdienstleistungsunternehmen stellen sicher, dass ein Mitarbeiter, der die erforderliche Qualifikation nicht erworben hat, die betroffenen Wertpapierdienstleistungen und -nebendienstleistungen nicht erbringt.

  2. Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen die Verantwortlichkeiten ihrer Mitarbeiter festlegen.

    Insbesondere für Anlageberater, Vertriebsmitarbeiter, Finanzportfolioverwalter und Vertriebsbeauftragte sind die Betrauung der Mitarbeiter mit ihren jeweiligen Tätigkeiten und ihre Verantwortlichkeiten zu dokumentieren.

    Für Anlageberater und Vertriebsmitarbeiter stellen die Wertpapierdienstleistungsunternehmen bei der Dokumentation der Betrauung dieser Mitarbeiter und ihrer Verantwortlichkeiten sicher, dass im Einklang mit den erbrachten Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen und entsprechend der internen Organisation des Wertpapierdienstleistungsunternehmens klar zwischen den Verantwortlichkeiten von Anlageberatern und Vertriebsmitarbeitern unterschieden wird.

  3. Die Mitarbeiter müssen eine angemessene Qualifikation wahren, für die eine fortlaufende berufliche Entwicklung und Weiterbildung auch durch spezielle Schulungen notwendig ist – insbesondere in Vorausschau auf Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen sowie Finanzinstrumente und strukturierte Einlagen, die von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen neu angeboten werden.

    Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen beurteilen mindestens einmal jährlich die Kenntnisse und Erfahrungen ihrer Anlageberater, Vertriebsmitarbeiter, Finanzportfolioverwalter und Vertriebsbeauftragten und überprüfen die Relevanz fortlaufender Weiterbildungsmaßnahmen, die diesen Mitarbeitern angeboten werden, um sie auf den neuesten Stand zu bringen. Die Beurteilung der Sachkunde schließt eine Überprüfung des Kenntnis- und Erfahrungsbedarfs jedes Mitarbeiters ein. Beispiele für gute Vorgehensweisen sind:

    • Regelmäßige obligatorische Schulungen in Form von Kursen, Seminaren, unabhängigen Studien oder Lernen mit aktuellen Materialien sowie Tests für den Nachweis, dass die Mitarbeiter über die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen,

    • Schulungsinhalte über Funktionen und Merkmale, einschließlich der potenziellen Risiken, der auf dem Markt erhältlichen und (insbesondere neu) angebotenen Finanzinstrumente und strukturierten Einlagen sowie über aktuelle regulatorische Änderungen,

    • Hinweise an die Mitarbeiter auf Situationen, in denen Interessenkonflikte entstehen können, und Schulung darüber, wie die Regeln für den Umgang mit Interessenkonflikten anzuwenden sind; dies umfasst insbesondere Situationen, in den Wertpapierdienstleistungsunternehmen Anreize leisten oder erhalten können, und Schulungen über die rechtlichen Bestimmungen für die Regelung von Anreizen,

    • Überwachung der von Anlageberatern durchgeführten Beurteilungen der Geeignetheit und ihrer Fähigkeit, die Geeignetheit beurteilen zu können.

  4. Die verantwortliche Erbringung der Anlageberatung gegenüber dem Kunden im Falle der Tätigkeit unter Aufsicht schließt auch die Zurverfügungstellung der Geeignetheitserklärung durch den beaufsichtigenden Mitarbeiter ein.
  5. Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen Anlageberater, Vertriebsmitarbeiter und Finanzportfolioverwalter dahingehend schulen, dass bei der Erteilung von Informationen und bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen in Bezug auf solche Finanzinstrumente und bei solchen strukturierten Einlagen, die sich durch eine größere Komplexität auszeichnen, besondere Sorgfalt zu wahren ist. Anlageberater und Finanzportfolioverwalter müssen ihre Rolle bei der Beurteilung der Geeignetheit kennen; sie müssen die Anliegen und die Verhältnisse des Kunden einschätzen können.
  6. Mitarbeiter, die keine Anlageberater, Vertriebsmitarbeiter, Finanzportfolioverwalter oder Vertriebsbeauftragte sind und daher nicht den besonderen Anforderungen unterliegen, jedoch auf andere Weise an der Konzeption und Durchführung der Geeignetheitsprüfung beteiligt sind, müssen dennoch über die erforderlichen Fähigkeiten, Kenntnisse (einschließlich der rechtlichen Anforderungen) und Erfahrungen verfügen, die in Abhängigkeit von ihren konkreten Rollen im Prozess der Geeignetheitsprüfung erforderlich sind. Dabei kann es sich z. B. um die Erstellung der Fragebögen, die Festlegung der Algorithmen für die Geeignetheitsprüfung oder andere Aspekte handeln, die für die Durchführung der Geeignetheitsprüfung und die Kontrolle der Einhaltung der Anforderungen an die Geeignetheit notwendig sind. Davon nicht erfasst sind reine Back-Office- oder IT-Funktionen, die die vorgenannten Aspekte lediglich technisch implementieren, ohne inhaltlich auf die Prozesse einzuwirken.
  7. Unternehmen, die automatisierte Verfahren (einschließlich hybrider Instrumente) verwenden, müssen dafür Sorge tragen, dass ihre an der Erstellung und Einrichtung dieser Instrumente beteiligten Mitarbeiter

    a. über ein angemessenes Verständnis der für die Erbringung der digitalen Beratung eingesetzten Technologien und Algorithmen verfügen (und dass sie insbesondere in der Lage sind, die Grundlagen, die Risiken und die Vorschriften in Bezug auf die Algorithmen zu verstehen, die der digitalen Beratung zugrunde liegen), und

    b. in der Lage sind, die von den Algorithmen erbrachte digitale/automatisierte Beratung zu verstehen und zu überprüfen.

BT 11.2 Zusätzliche Anforderungen an Compliance-Beauftragte

  1. Der Compliance-Beauftragte muss über ein ausreichend hohes Maß an Fachkenntnissen und Erfahrung verfügen, um die Verantwortung für die Compliance-Funktion als Ganzes übernehmen und ihre Wirksamkeit sicherstellen zu können.

    Es wird darauf hingewiesen, dass sich die erforderliche Sachkunde des Compliance-Beauftragten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen zu Wertpapierdienstleistungsunternehmen aufgrund der verschiedenen Geschäftstätigkeiten, verschiedenen Arten von Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen sowie den damit jeweils einhergehenden immanenten Risiken und Interessenkonflikten unterscheiden kann, da diese Unterschiede zu verschiedenen wesentlichen Compliance-Risiken führen können; im Hinblick auf § 80 Abs. 1 S. 1 WpHG i. V. m. § 25a Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KWG und Art. 22 Abs. 3 a) DV muss sich ein neu eingestellter Compliance-Beauftragter daher möglicherweise zusätzliches, auf das spezifische Geschäftsmodell des Wertpapierdienstleistungsunternehmens zugeschnittenes Spezialwissen aneignen, selbst wenn er zuvor bereits als Compliance-Beauftragter in einem anderen Wertpapierdienstleistungsunternehmen tätig war.

  2. Zusätzlich zu den in § 3 Abs. 1 WpHGMaAnzV genannten Kenntnissen muss der Compliance-Beauftragte über Kenntnisse der Handelsüberwachung verfügen,, wenn die Mitarbeiter des Wertpapierdienstleistungsunternehmens regelmäßig Zugang zu compliance-relevanten Informationen im Sinne von AT 6.1 dieses Rundschreibens haben können. Compliance-Beauftragte von Wertpapierdienstleistungsunternehmen mit algorithmischen Handelssystemen und Handelsalgorithmen müssen die algorithmischen Handelssysteme und Handelsalgorithmen zumindest in Grundzügen verstehen.
  3. Die erforderliche Sachkunde des Compliance-Beauftragten umfasst auch die praktische Anwendung der unter BT 1.3.1.3 Nr. 1 dieses Rundschreibens genannten Kenntnisse, die insbesondere durch eine fachspezifische Berufspraxis erreicht worden sein kann. Eine fachspezifische Berufspraxis kann zum Beispiel durch die Tätigkeit in operativen Positionen, in Kontrollfunktionen oder aufsichtlichen Tätigkeiten erlangt worden sein. Für Compliance-Beauftragte von Wertpapierdienstleistungsunternehmen, deren Mitarbeiter regelmäßig Zugang zu compliance-relevanten Informationen im Sinne von AT 6.1 dieses Rundschreibens haben, beträgt die erforderliche fachspezifische Berufspraxis grundsätzlich mindestens sechs Monate. Angesichts des Proportionalitätsgrundsatzes kommt für sonstige, insbesondere kleinere Wertpapierdienstleistungsunternehmen, auch ein kürzerer Zeitraum in Betracht. Die fachspezifische Berufspraxis kann grundsätzlich auch im Rahmen einer Probezeit erlangt werden.

BT 12 Beschwerdemanagement und Beschwerdebericht nach Art. 26 DV

Die Mindestanforderungen an das Beschwerdemanagement sowie den Beschwerdebericht nach Art. 26 DV werden nachfolgend näher konkretisiert.

BT 12.1 Beschwerdemanagement

BT 12.1.1 Begriffsbestimmungen
  1. Als Beschwerde gilt jede Äußerung der Unzufriedenheit, die ein Kunde i. S. d. § 67 Abs. 1 WpHG oder ein potenzieller Kunde (Beschwerdeführer) an ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Zusammenhang mit dessen Erbringung einer Wertpapierdienstleistung oder einer Wertpapiernebendienstleistung richtet. Der Begriff „Beschwerde“ muss nicht zwingend verwandt werden. Eine Beschwerde bedarf keiner bestimmten Form.
BT 12.1.2. Interne Vorkehrungen zur Beschwerdebearbeitung
  1. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen wirksame und transparente Grundsätze und Verfahren für das Beschwerdemanagement festlegen und auf Dauer umsetzen, mit denen die Beschwerden von Kunden oder potenziellen Kunden unverzüglich abgewickelt werden (Art. 26 Abs. 1 S. 1 DV).
  2. Die Grundsätze für das Beschwerdemanagement müssen eindeutige, genaue und aktuelle Informationen über das Verfahren zur Abwicklung von Beschwerden enthalten (Art. 26 Abs. 1 S. 3 DV). In den Grundsätzen sind die Beschwerdeeinreichung, die Beschwerdebearbeitung einschließlich der Zuständigkeiten, die Weiterverfolgung von Maßnahmen zur Einhaltung der Grundsätze und Verfahren und das interne Berichtswesen festzulegen.
  3. Diese Grundsätze müssen von der Geschäftsleitung des Wertpapierunternehmens bestätigt werden (Art. 26 Abs. 1 S. 4 DV). Auch für die Umsetzung und die Überwachung der Einhaltung der Grundsätze und Verfahren der Beschwerdebearbeitung ist die Geschäftsleitung verantwortlich.
  4. Die Grundsätze und Verfahren der Beschwerdebearbeitung sind schriftlich zu dokumentieren (z.B. in Arbeits- und Organisationsanweisungen, Handbüchern) und allen betroffenen Mitarbeitern des Wertpapierdienstleistungsunternehmens über geeignete interne Wege zugänglich zu machen.
  5. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen den internen Informationsfluss und die Einrichtung und Einhaltung der internen Berichtslinien sicherstellen.
  6. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen richten eine Beschwerdemanagementfunktion ein, die für die Prüfung von Beschwerden zuständig ist (Art. 26 Abs. 3 S. 1 DV). Diese Funktion kann von der Compliance-Funktion übernommen werden (Art. 26 Abs. 3 S. 2 DV).
  7. Die Beschwerdemanagementfunktion sorgt dafür, dass

    - alle Beschwerden objektiv und angemessen im Einklang mit den Grundsätzen und Verfahren der Beschwerdebearbeitung untersucht werden; und
    - mögliche Interessenkonflikte identifiziert und eine Beeinträchtigung der Beschwerdebearbeitung durch Interessenkonflikte vermieden werden.

BT 12.1.3. Interne Verfahren zur Beschwerdebearbeitung
  1. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen haben Aufzeichnungen über die eingegangenen Beschwerden zu führen und Maßnahmen zu deren Lösung zu ergreifen (Art. 26 Abs. 1 S. 2 DV).
  2. Alle Beschwerden, ihre Bearbeitung, die getroffenen Maßnahmen sowie die abschließenden Entscheidungen sind ohne unnötige Verzögerung systematisch aufzuzeichnen (internes Beschwerderegister, vgl. Anhang I zur DV, vorletzte Zeile). Für die Art und Weise der Aufbewahrung der Aufzeichnungen bzw. das interne Beschwerderegister gelten die Anforderungen des Art. 72 DV.
  3. Die Dauer der Aufbewahrung der Aufzeichnungen beträgt mindestens fünf Jahre (§ 9 Abs. 4 WpDVerOV).
  4. Die Compliance-Funktion der Wertpapierdienstleistungsunternehmen hat die Daten bezüglich der Beschwerden und deren Abwicklung zu prüfen, um sicherzustellen, dass alle Risiken und Probleme ermittelt und behoben werden (Art. 26 Abs. 7 DV), z.B. durch folgende Maßnahmen:

    - Analyse der Hintergründe jeder einzelnen Beschwerde, um Ursachen zu ermitteln, die bestimmten Arten von Beschwerden gemein sind,
    - Überlegungen, ob diese Ursachen auch andere Prozesse oder Produkte beeinflussen könnten; das gilt auch für solche Prozesse oder Produkte, über die keine Beschwerden vorliegen,
    - Beseitigung der Ursachen, soweit dies sinnvoll erscheint und möglich ist.

  5. Die aus der Beschwerdebearbeitung gewonnenen Erkenntnisse sind in das Risikomanagement einzubeziehen und von der internen Revision zu berücksichtigen.
  6. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen die detaillierten Angaben zu dem Verfahren, das bei der Abwicklung einer Beschwerde einzuhalten ist, veröffentlichen (Art. 26 Abs. 2 S. 1 DV). Die detaillierten Angaben müssen dabei leicht zugänglich sein (z.B. in Broschüren, Merkblättern, Vertragsunterlagen oder auf seiner Internetseite). Diese detaillierten Angaben müssen Informationen über die Grundsätze für das Beschwerdemanagement sowie die Kontaktangaben der Beschwerdemanagementfunktion umfassen (Art. 26 Abs. 2 S. 2 DV). Dabei ist insbesondere auf Folgendes einzugehen:

    - Wie ist eine Beschwerde einzureichen (z.B. über die vom Beschwerdeführer beizubringenden Informationen, Kontaktdaten des Beschwerdeführers, zuständige Stelle oder Person innerhalb des beaufsichtigten Unternehmens, an die die Beschwerde zu richten ist).
    - Wie ist der Ablauf des Beschwerdeverfahrens (z.B. ungefähre Bearbeitungszeiträume).
    - Gibt es zuständige Behörden oder Möglichkeiten alternativer Streitbeilegungsverfahren.

    Diese Informationen sind eindeutig, genau und aktuell bereitzustellen.

  7. Die Informationen zum Verfahren der Beschwerdebearbeitung werden den Kunden oder potenziellen Kunden ferner auf Verlangen oder mit der Bestätigung der Beschwerde zur Verfügung gestellt (Art. 26 Abs. 2 S. 3 DV).
  8. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen müssen den Kunden und potenziellen Kunden die kostenlose Einreichung von Beschwerden ermöglichen (Art. 26 Abs. 2 S. 4 DV).
  9. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen haben sich darum zu bemühen, alle für die Beschwerde relevanten Beweismittel und Informationen zusammenzutragen und zu prüfen.
  10. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen haben bei der Abwicklung einer Beschwerde mit den Kunden oder potenziellen Kunden eindeutig und in einfach verständlicher Sprache zu kommunizieren, und sie müssen unverzüglich auf die Beschwerde reagieren (Art. 26 Abs. 4 DV). Kann innerhalb der in der internen Vorgabe vorgesehenen angemessenen Frist keine Antwort gegeben werden, so informieren die Wertpapierdienstleistungsunternehmen den Beschwerdeführer über die Gründe der Verzögerung und geben an, wann die Prüfung durch das Wertpapierdienstleistungsunternehmen voraussichtlich abgeschlossen sein wird.
  11. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen teilen den Kunden oder potenziellen Kunden ihren Standpunkt bezüglich der Beschwerde mit, und sie informieren die Kunden oder potenziellen Kunden über deren Möglichkeiten, einschließlich der Möglichkeit, die Beschwerde an eine Stelle zur alternativen Streitbeilegung weiterzuleiten, oder der Möglichkeit des Kunden, eine zivilrechtliche Klage einzureichen (Art. 26 Abs. 5 DV).
  12. Jede abschließende Antwort an den Beschwerdeführer muss in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger erfolgen, sofern der Beschwerdeführer nicht ausdrücklich eine nur mündliche Antwort verlangt. Abweichend davon können mündliche Beschwerden auch nur mündlich beantwortet werden, sofern der Beschwerdeführer damit einverstanden ist.

BT 12.2 Beschwerdebericht

  1. Der Beschwerdebericht nach Art. 26 Abs. 6 DV (Beschwerdebericht) ist einmal jährlich bis zum 01.03. für das vorangegangene Kalenderjahr zu erstatten.

    Die Einreichung des Beschwerdeberichts, der sämtliche Angaben nach der nachfolgenden Nr. 3 enthält, hat erstmals bis zum 01.03.2020 für das Kalenderjahr 2019 zu erfolgen.

    Die Einreichung des Beschwerdeberichts für das Kalenderjahr 2018 hat bis zum 01.03.2019 zu erfolgen und hat mindestens die nachfolgenden Angaben zu enthalten: Die Anzahl der Beschwerden nach Maßgabe der nachfolgenden Nr. 3, Abschnitt A, Buchstaben b und c, sowie die Angaben nach Nr. 3, Abschnitt C.

  2. Der Beschwerdebericht soll in elektronischer Form nach den Vorgaben der Bundesanstalt zum Dateiformat und zum Einreichungsweg eingereicht werden.

  3. Beschwerdebericht enthält die nachfolgenden Angaben, für deren Zusammenfassung die Anlage zu BT 12.2. dieses Rundschreibens maßgebend ist:

    Abschnitt A:

    a. Die Anzahl der Beschwerden, gesamt und aufgeschlüsselt nach den einzelnen Wertpapierdienstleistungen nach § 2 Abs. 8 WpHG, dem Depotgeschäft nach § 2 Abs. 9 Nr. 1 WpHG, den übrigen Wertpapiernebendienstleistungen nach § 2 Abs. 9 WpHG und „Sonstige“;

    die Zuordnung einer Beschwerde zu einer Kategorie erfolgt dabei nach dem Schwerpunkt der Beschwerde, d. h. Beschwerden sind einfach und nicht mehrfach zu zählen;

    b. jeweils in zusammengefasster Form die Angabe des Bearbeitungsstandes zum 31.12. des Kalenderjahres (aufgeschlüsselt nach Anzahl der im Kalenderjahr eingegangenen Beschwerden, Anzahl der im Kalenderjahr erledigten Beschwerden, Anzahl der zum Stichtag offenen Beschwerden, Anzahl der Beschwerden, die bereits zum 31.12. des vorhergehenden Kalenderjahrs offen waren);

    c. jeweils Angaben dazu, wie viele Beschwerden im Kalenderjahr für die Beschwerdeführer zumindest teilweise erfolgreich erledigt wurden, Anzahl von im Kalenderjahr erfolgten Kulanzzahlungen sowie im Kalenderjahr anhängige Gerichtsverfahren und Schlichtungsverfahren, die aus Beschwerden resultieren;

    Abschnitt B:

    Übersicht über die Beschwerdegründe unter Angabe der jeweiligen Fallzahlen aufgeschlüsselt nach den nachfolgenden Beschwerdegründen: (1) „Auftragsausführung (Erfassung, Durchführung einschließlich Best Execution, Abrechnung)“, (2) „Aufzeichnungspflichten (z. B. Geeignetheitserklärung)“, (3) „Einholung von Kundeninformationen“, (4) „Empfehlung (Geeignetheit)“, (5) „Entgelte, Gebühren, Kosten, Zuwendungen“, (6) „Interessenkonflikte (Vermeidung, Management, Offenlegung)“, (7) „Risikoaufklärung“, (8) „Sekundärmarkt (Preisstellung, Quotierung)“, (9) „Verwahrung, Verwaltung“ und (10) „Sonstiges“;

    die Zuordnung einer Beschwerde zu einem Beschwerdegrund erfolgt dabei nach dem Schwerpunkt der Beschwerde, d. h. Beschwerden sind einfach und nicht mehrfach zu zählen;

    Abschnitt C:

    Angaben zu mit Beschwerden zusammenhängenden personellen und organisatorischen Konsequenzen.

  4. Der Beschwerdebericht hat die Beschwerden von Kunden i. S. d. § 67 Abs. 1 WpHG und potentiellen Kunden sowie auch solche Beschwerden zu umfassen, die bei vertraglich gebundenen Vermittlern i. S. v. § 2 Abs. 10 S. 1 KWG eingehen.

BT 13 Komplexe Schuldtitel und strukturierte Einlagen nach § 63 Abs. 11 Nr. 1 WpHG

Dieses Modul konkretisiert § 63 Abs. 11 Nr. 1 b), c) und e) WpHG. Es legt Kriterien fest, nach denen zu beurteilen ist, ob Schuldtitel eine Struktur haben, die es Kunden erschwert, die damit einhergehenden Risiken zu verstehen. Dieses Modul legt außerdem Kriterien fest, nach denen zu beurteilen ist, ob strukturierte Einlagen eine Struktur haben, die es dem Kunden erschwert, das Ertragsrisiko oder die Kosten eines Verkaufs vor Fälligkeit einzuschätzen. Außerdem definiert dieses Modul den Begriff des „eingebetteten Derivats“ für die Zwecke des § 63 Abs. 11 Nr. 1 b) und c) WpHG.

Die jeweils genannten Beispiele sind nicht abschließend.

BT 13.1 Schuldtitel mit eingebettetem Derivat, § 63 Abs. 11 Nr. 1 b) und c)

Für die Zwecke von § 63 Abs. 11 Nr. 1 b) und c) WpHG ist unter einem eingebetteten Derivat ein Bestandteil eines Schuldtitels zu verstehen, der Zahlungsströme aus dem Finanzinstrument ganz oder teilweise in Abhängigkeit von einer oder mehreren definierten Variablen verändert.

Beispiele:
• Wandelanleihen und Umtauschanleihen;
• Indexanleihen und Turbozertifikate;
CoCo-Bonds (Contingent convertible bonds);
• Schuldverschreibungen mit Rückkaufs- oder Rückgabeoption (Callable und Puttable Bonds);
• Bonitätsabhängige Schuldverschreibungen (Credit Linked Notes);
• Optionsscheine.

BT 13.2 Schuldtitel mit einer Struktur, die es dem Kunden erschwert, die damit einhergehenden Risiken zu verstehen

Für die Zwecke der Buchstaben b) und c) des § 63 Abs. 11 Nr. 1 WpHG sind unter anderem folgende Finanzinstrumente zu den Schuldtiteln mit einer Struktur, die es dem Kunden erschwert, die damit einhergehenden Risiken zu verstehen, zu zählen:

  1. Schuldtitel, deren Rendite oder Ertrag von den feststehenden oder revolvierenden Forderungen abhängt, die durch die Vermögenswerte in einem zugrunde liegenden Pool generiert werden.

    Beispiele:
    Asset-Backed Securities (ABS) und Asset-Backed Commercial Papers (ABCP), durch private Wohnimmobilien besicherte Wertpapiere (RMBS), hypothekarisch gesicherte Wertpapiere (CMBS), forderungsbesicherte Schuldverschreibungen (CDO).

  2. Schuldtitel, die so strukturiert sind, dass bei Zahlungsunfähigkeit des Emittenten die nachrangigen Titelinhaber erst Zugriff auf das Vermögen des Emittenten haben, wenn die Ansprüche der nicht-nachrangigen Gläubiger erfüllt sind.

    Beispiele:
    • nachrangige Schuldtitel;
    • Zertifikate (wie in Art. 2 Abs. 1 Nr. 27 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 definiert).

  3. Schuldtitel, die so strukturiert sind, dass die erwarteten Einnahmen bzw. die Rückzahlung des Kapitalbetrags von einer Reihe von Variablen abhängt, die der Emittent nach seinem Ermessen festlegt.

  4. Schuldtitel, die so strukturiert sind, dass kein Fälligkeitstermin und damit auch kein Termin für die Rückzahlung des Kapitalbetrags angegeben ist.

    Beispiel:
    Dauerschuldverschreibungen.

  5. Schuldtitel, die so strukturiert sind, dass die erwarteten Einnahmen bzw. die Rückzahlung des Kapitalbetrags von für den durchschnittlichen Kleinanleger unbekannten oder ungewöhnlichen Variablen abhängen.

    Beispiele:
    • Schuldtitel mit z. B. folgenden Basiswerten: Nicht öffentliche Vergleichsindizes, synthetische Indizes, Basiswerte aus Nischenmärkten oder sehr technische Messgrößen (z. B. Volatilität oder Kombinationen von Variablen);
    • Katastrophenanleihen.

  6. Schuldtitel mit komplexen Mechanismen zur Bestimmung bzw. Berechnung der Rendite. Dazu gehören Schuldtitel, die so strukturiert sind, dass die erwarteten Einnahmen über die Laufzeit des Finanzinstruments häufig und/oder zu bestimmten Zeitpunkten erheblich schwanken können – entweder weil bestimmte festgelegte Schwellenwertbedingungen erfüllt oder weil bestimmte Zeitpunkte erreicht sind.

  7. Schuldtitel, die eine Struktur aufweisen oder Mechanismen unterliegen, die unter bestimmten Umständen nur zu einer Teilrückzahlung oder einem Ausfall des Kapitalbetrags führen.

    Beispiel:
    Schuldtitel, die zu einem Bail-in herangezogen werden können.

  8. Von einer Zweckgesellschaft ausgegebene Schuldtitel, bei denen die Bezeichnung des Schuldtitels bzw. der Name der Zweckgesellschaft irreführend im Hinblick auf die Identität des Emittenten oder des Garantiegebers sein können.

  9. Von Dritten garantierte Schuldtitel, die so komplex strukturiert sind, dass der Investor nicht genau beurteilen kann, wie sich der Garantiemechanismus auf das Risiko der Investition auswirkt.

    Beispiele:
    • Schuldtitel mit einem Garantiemechanismus, bei denen die Auslösung des Garantiemechanismus außer von der Zahlungsunfähigkeit des Emittenten von einer oder mehreren weiteren Bedingungen abhängt;
    • Schuldtitel mit einem Garantiemechanismus, bei denen die Höhe der Garantie und der tatsächliche Garantieauslöser zeitlichen Begrenzungen unterliegen.

  10. Schuldtitel mit Hebelwirkungen. Dazu gehören Schuldtitel, die so strukturiert sind, dass der Ertrag bzw. die Verluste des Anlegers ein Vielfaches des Kapitalbetrages betragen können.

BT 13.3 Strukturierte Einlagen mit einer Struktur, die es dem Kunden erschwert, das Ertragsrisiko zu verstehen

Die nachfolgenden Kriterien sind anwendbar, soweit die Wertpapierdienstleistung eine strukturierte Einlage gemäß § 2 Abs. 19 WpHG zum Gegenstand hat. Für die Zwecke des Buchstaben e) des § 63 Abs. 11 Nr. 1 WpHG ist eine Struktur, die es dem Kunden erschwert, das Ertragsrisiko zu verstehen, in den folgenden Fällen gegeben.

  1. Mehr als eine Variable hat Auswirkungen auf die Rendite.

    Beispiele:
    • Strukturierte Einlagen, bei denen ein Korb von Titeln oder Vermögenswerten eine festgelegte Benchmark übertreffen muss, damit eine Rendite ausgezahlt wird;
    • Strukturierte Einlagen, bei denen die Rendite durch die Kombination von zwei oder mehr Indizes bestimmt wird.

  2. Es besteht eine komplexe Beziehung zwischen der Rendite und der relevanten Variable oder der Mechanismus, nach dem die Rendite festgelegt oder berechnet wird, ist komplex.

    Beispiele:
    • Strukturierte Einlagen, die so strukturiert sind, dass der Mechanismus, unter dem sich der Kurswert eines Indexes in der Rendite niederschlägt, verschiedene Marktdaten-Punkte (d. h. einen oder mehrere Schwellenwerte, die erreicht werden müssen) oder verschiedene Indexmessungen zu verschiedenen Zeitpunkten einschließt;
    • Strukturierte Einlagen, die so strukturiert sind, dass der Kapitalertrag oder die Zinszahlungen in Abhängigkeit von bestimmten Umständen steigen oder sinken;
    • Strukturierte Einlagen, die so strukturiert sind, dass die erwarteten Renditen über die Laufzeit der Einlage häufig und/oder zu bestimmten Zeitpunkten erheblich schwanken können.

  3. Die Variable, die bei der Berechnung berücksichtigt wird, ist für den durchschnittlichen Kleinanleger unbekannt oder ungewöhnlich.

    Beispiel:
    Strukturierte Einlagen, bei denen der Ertrag an einen Nischenmarkt, einen fimenbezogenen Index oder einen sonstigen, nicht öffentlichen Vergleichsindex, einen synthetischen Index oder eine hochtechnische Messgröße mit Vermögenspreisvolatilität gebunden ist.

  4. Der Vertrag verleiht dem Kreditinstitut das einseitige Recht, den Vertrag vor Fälligkeit zu beenden.

BT 13.4 Strukturierte Einlagen mit einer Struktur, die es dem Kunden erschwert, die Kosten eines Verkaufs vor Fälligkeit zu verstehen

Die nachfolgenden Kriterien sind anwendbar, soweit die Wertpapierdienstleistung eine strukturierte Einlage gemäß § 2 Abs. 19 WpHG zum Gegenstand hat. Für die Zwecke des Buchstabe e) des § 63 Abs. 11 Nr. 1 WpHG liegt eine Struktur, die es dem Kunden erschwert, die Kosten eines Verkaufs des Produkts vor Fälligkeit zu verstehen, in folgenden Fällen vor:

  1. Als Ausstiegskosten wird kein fester Betrag genannt.

    Beispiele:
     strukturierte Einlagen mit variabler oder „gedeckelter“ Rücktrittsgebühr (z. B. wird bei vorzeitiger Kündigung eine Gebühr von maximal 300 EUR berechnet);
     strukturierte Einlagen, die für die Berechnung der Rücktrittsgebühr auf einen variablen Faktor wie einen Zinssatz zurückgreifen.

  2. Als Ausstiegskosten wird kein monatlich bis zum vereinbarten Fälligkeitstermin zu zahlender fester Betrag (oder Teilbetrag) genannt:

    Beispiel:
    Strukturierte Einlagen mit variabler oder gedeckelter Rücktrittsgebühr für jeden verbleibenden Monat der vereinbarten Laufzeit (z. B. werden bei vorzeitiger Kündigung für jeden verbleibenden Monat maximal 50 EUR berechnet).

  3. Als Ausstiegskosten wird kein fester Prozentsatz der Einlage genannt.

    Beispiel:
    Strukturierte Einlagen mit variabler Rücktrittsgebühr, die mindestens der Höhe der bis zum Kündigungstermin aufgelaufenen Erträge entspricht.

BT 14 Querverkäufe

Dieses Modul konkretisiert § 63 Abs. 9 WpHG.

BT 14.1 Anwendungsbereich und Definitionen

  1. Querverkäufe gemäß § 63 Abs. 9 WpHG umfassen Wertpapierdienstleistungen, die als Teil eines gekoppelten Pakets oder eines gebündelten Pakets angeboten werden. Für einzelne Produkte und Dienstleistungen, aus denen sich die von BT 14 erfassten Pakete zusammensetzen, können weitere abweichende Wohlverhaltensregeln gelten. Dieser Abschnitt berührt in keiner Weise die Pflichten von Wertpapierdienstleistungs-unternehmen, solche geltenden Anforderungen einzuhalten.
  2. Ein gekoppeltes Paket ist ein Paket von Produkten und/oder Dienstleistungen, bei dem zumindest eines der angebotenen Produkte bzw. eine der angebotenen Dienstleistungen für den Kunden nicht einzeln von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen erhältlich ist und damit zur Bedingung für das Geschäft wird. Bei mindestens einem Bestandteil des Pakets muss es sich um eine Wertpapierdienstleistung handeln.
  3. Ein gebündeltes Paket ist ein Paket von Produkten und/oder Dienstleistungen, bei dem jedes der angebotenen Produkte bzw. jede der angebotenen Dienstleistungen auch einzeln erworben werden kann und dem Kunden die Möglichkeit gelassen wird, die verschiedenen Bestandteile des Pakets einzeln von dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen zu erwerben. Bei mindestens einem Bestandteil des Pakets muss es sich um eine Wertpapierdienstleistung handeln.
  4. Ein Bestandteil ist das einzelne Produkt und/oder die einzelne Dienstleistung, das bzw. die einen Bestandteil des gebündelten oder gekoppelten Pakets bildet.

BT 14.2 Vollständige, deutliche und rechtzeitige Übermittlung von Preis- und Kosteninformationen

  1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die ein gekoppeltes oder gebündeltes Paket vertreiben, müssen ihren Kunden getrennt Informationen über den Preis seiner Bestandteile übermitteln. Sie müssen weiter ihren Kunden eine klare Aufschlüsselung sowie die Höhe aller einschlägigen bekannten Nebenkosten übermitteln, die mit dem Erwerb seiner Bestandteile verbunden sind, z. B. Verwaltungsgebühren, Transaktionskosten und Strafzuschläge für Verkauf oder Vorauszahlung.

    Wenn eine genaue Ex-ante-Berechnung der Kosten nicht möglich ist, diese den Kunden nach dem Erwerb des Pakets aber dennoch entstehen, muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen dem Kunden eine auf der Grundlage vernünftiger Annahmen erstellte Schätzung übermitteln.

    Beispiel:
    Ist der Gegenstand eines Querverkaufs ein Zins-Swap zur Absicherung des Zinsrisikos eines Darlehens (d. h. der Kunde tauscht einen variablen Zinssatz gegen einen festen Zinssatz ein), übermittelt das Wertpapierdienstleistungsunternehmen dem Kunden wichtige Informationen zu allen Aspekten der Swap-Vereinbarung, die sich auf die dem Kunden am Ende entstehenden Kosten wesentlich auswirken Der Umfang der Kosteninformationen für den Swap richtet sich dabei nach § 63 Abs. 7 WpHG i.V.m. Art. 50 DV.

  2. Weiterhin müssen die Informationen zum Preis und zu allen einschlägigen Kosten der einzelnen Bestandteile des Pakets rechtzeitig vor Abschluss eines Geschäfts zur Verfügung gestellt werden, sodass der Kunde in der Lage ist, eine informierte Entscheidung zu treffen. Die zur Verfügung gestellten Informationen müssen deutlich sichtbar, präzise und einfach formuliert sein. Dabei ist sämtliche Fachterminologie zu erläutern.
  3. Bei der Werbung für einzelne Bestandteile eines gebündelten oder gekoppelten Pakets müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen stets die Preis- und Kosteninformationen zu diesen Bestandteilen mit gleicher Deutlichkeit angeben. Der Kunde muss dadurch in der Lage sein, eindeutig und rasch zu erkennen, wie sich der Erwerb der Bestandteile auf die Kosten des Pakets auswirkt.

    Beispiel 1:
    In allen Marketingmitteilungen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens wird für jeden einzelnen Bestandteil innerhalb eines im Sortiment befindlichen Pakets dieselbe Schriftart benutzt, um die einschlägigen Preis- und Kundeninformationen zu kommunizieren. Einschlägige Informationen, die einen der Bestandteile betreffen, werden nicht durch eine größere oder fettere Schrift stärker hervorgehoben.

    Beispiel 2:
    Erfolgt der Verkauf im Internet oder über eine andere Art des Vertriebs ohne unmittelbare Beteiligung eines Verkäufers, werden die Preis- und Kosteninformationen zu den Bestandteilen, aus denen das Paket besteht, frühzeitig auf den einschlägigen Webseiten aufgeführt. Sie müssen für die Kunden einfach zu finden sein, d. h. die Preis- und Kosteninformationen zu einem Produkt und/oder einer Dienstleistung, das/die Bestandteil eines gebündelten Pakets ist, dürfen nicht weiter unten auf dem Online-Verkaufsformular des Wertpapierdienstleistungsunternehmens platziert oder versteckt werden.

  4. Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die ein gekoppeltes oder gebündeltes Paket vertreiben, dürfen den Kunden die Preis- und Kosteninformationen nicht in irreführender Weise und ohne Verzerrung oder Verschleierung der tatsächlichen Kosten präsentieren. Die Kunden dürfen auch nicht durch die Art der Darstellung an einem sinnvollen Vergleich mit alternativen Produkten und/oder Dienstleistungen gehindert werden.

BT 14.3 Vollständige, deutliche und rechtzeitige Übermittlung etwaiger wichtiger Informationen zu nicht preisbezogenen Merkmalen und Risiken

  1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die ein gekoppeltes oder gebündeltes Paket vertreiben, müssen ihren Kunden etwaige wichtige Informationen zu den nicht preisbezogenen Merkmalen und Risiken der einzelnen Bestandteile und des Pakets zur Verfügung stellen. Dies beinhaltet insbesondere auch Informationen darüber, wie diese Risiken sich verändern, wenn das gebündelte Paket und nicht die Bestandteile einzeln erworben werden.

    Beispiel:
    Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen bietet ein Sparkonto mit Sonderkonditionen nur unter der Bedingung an, dass gleichzeitig eine strukturierte Anleihe erworben wird. In diesem Fall unterscheidet sich das mit diesem Gesamtpaket verbundene Risiko von den Risiken, die mit dem Sparkonto alleine verbunden sind: Das Anfangskapital eines Sparkontos wird garantiert; die einzige Variable ist die Verzinsung. Dagegen kann das Anfangskapital, das in ein strukturiertes Investmentprodukt investiert wird, nicht garantiert werden; vielmehr kann es teilweise oder ganz verloren gehen. In diesem Beispiel sind die Risikoprofile der Bestandteile offensichtlich völlig unterschiedlich. Werden die beiden Bestandteile kombiniert, kann das mit dem strukturierten Investmentprodukt verbundene Risiko die Sicherheit des Sparprodukts so stark mindern, dass sich das Gesamtrisikoprofil des Pakets signifikant erhöht. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen informiert den Kunden unmissverständlich darüber, wie sich das Risiko verändert, wenn er, anstatt die einzelnen Bestandteile separat zu erwerben, das gebündelte Paket kauft. Hier sollte beispielsweise über eine mögliche Schmälerung der Gesamtrendite des Pakets durch Kursverluste der strukturierten Anleihe informiert werden.

  2. Wichtige nicht preisbezogene Faktoren und die einschlägigen Risiken müssen den Kunden ebenso deutlich sichtbar gemacht und gewichtig mitgeteilt werden wie Informationen zu Preisen und Kosten der einzelnen Bestandteile. Über diese Faktoren und Risiken muss der Kunde in einfachen Formulierungen und rechtzeitig vor Vertragsabschluss aufgeklärt werden. Sämtliche Fachterminologie ist zu erläutern. Die Informationen müssen in nicht irreführender Weise und ohne verfälschte Darstellung der Auswirkungen, die diese Faktoren für den Kunden haben können, präsentiert werden.

    Beispiel:
    Es reicht nicht aus, wenn das Wertpapierdienstleistungsunternehmen ausschließlich allgemein auf Geschäftsbedingungen verweist, um Kunden auf wichtige nicht preisbezogene Informationen hinzuweisen oder ihnen diese zur Kenntnis zu bringen. Stattdessen ist es erforderlich, dem Kunden die etwaigen Risiken sowie die nicht preisbezogenen Informationen in leicht verständlicher Sprache zu erläutern.

BT 14.4 Deutlich sichtbare Darstellung und Vermittlung der „Optionalität eines Erwerbs“

  1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die ein gekoppeltes oder gebündeltes Paket vertreiben, müssen ihre Kunden ordnungsgemäß darüber informieren, ob die Möglichkeit besteht, die Bestandteile separat zu erwerben. Insbesondere muss der Kunde über seine Wahlmöglichkeit, nur einen einzelnen Bestandteil eines gebündelten Paketes erwerben zu können oder, soweit dies nach bestimmten Rechtsvorschriften zulässig ist, den Zwang einen anderen Bestandteil eines gekoppelten Paketes erwerben zu müssen, informiert werden.
  2. Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die ein gebündeltes Paket vertreiben, müssen ihre Produkt-/Dienstleistungsauswahl so gestalten, dass Kunden ihre Auswahl aktiv treffen und damit eine bewusste Entscheidung zum Erwerb jedes einzelnen Bestandteils oder des gebündelten Pakets treffen können. Unzulässig ist es, wenn Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die Produkte oder Dienstleistungen als Paket im Rahmen eines Querverkaufs anbieten, auf digitalen Plattformen (wie Apps oder Websites) oder anderen Verkaufsdokumenten die Auswahlmöglichkeit der Kunden vorwegnehmen, etwa z. B. durch bereits aktivierte Kästchen bzw. gesetzte Haken.
  3. Weiterhin müssen solche Wertpapierdienstleistungsunternehmen sicherstellen, dass sie bei der Präsentation ihrer Kaufoptionen nicht den Eindruck vermitteln, der Erwerb des gebündelten Pakets sei verpflichtend, obwohl er in Wirklichkeit optional ist.

    Beispiel 1:
    Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen bietet eine Palette verschiedener Anlageprodukte an. Es erläutert dabei die Auswahlmöglichkeiten des Kunden in unmissverständlicher Weise. So wird zum Beispiel deutlich darauf hingewiesen, dass der Kunde die Möglichkeit hat, eine beratungsfrei ohne Angemessenheitsprüfung erbrachte Dienstleistung (reines Ausführungsgeschäft) ohne zusätzliche Produkte oder Dienstleistungen wie Marktdaten und Finanzanalysen zu kaufen. Ebenso wird klar dargestellt, ob die Wahlmöglichkeit des Kunden auf bestimmte Bündel von Bestandteilen beschränkt ist oder ob er die Produkte/ Dienstleistungen völlig frei kombinieren kann.

    Beispiel 2:
    Die Erwerbsoption für ein gebündeltes Paket, bestehend aus einer beratungsfrei ohne Angemessenheitsprüfung (reines Ausführungsgeschäft) erbrachten Dienstleistung und einer Marktstudie auf den Verkaufsseiten des Wertpapierdienstleistungsunternehmens im Internet, wird leer gelassen. Der Kunde muss dem Erwerb explizit zustimmen, indem er die einfache Frage, ob er die Marktstudie zusätzlich (und damit als gebündeltes Paket mit der beratungsfreien Dienstleistung) zu erwerben wünscht, durch Anklicken von „Ja“ beantwortet.

BT 14.5 Adäquate Mitarbeiterschulungen

Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die gekoppelte oder gebündelte Pakete vertreiben, müssen sicherstellen, dass die Mitarbeiter, die mit dem Vertrieb der einzelnen als Bestandteile eines Pakets verkauften Produkte und/oder Dienstleistungen betraut sind, adäquate Schulungen, ggf. auch Sektor übergreifende Schulungen, erhalten. Die Mitarbeiterschulungen müssen gewährleisten, dass die Mitarbeiter mit den etwaigen Risiken der Bestandteile und des gebündelten und gekoppelten Pakets vertraut sind und diese den Kunden in leicht verständlicher Sprache (keine Fachsprache) vermitteln können.

BT 14.6 Interessenkonflikte aufgrund der für Verkaufsmitarbeiter geltenden Vergütungssysteme

Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die gekoppelte oder gebündelte Pakete vertreiben, müssen sicherstellen, dass geeignete Vergütungsmodelle und Vertriebssysteme vorhanden sind, die ein verantwortungsvolles Verhalten der Mitarbeiter im Geschäftsverkehr, eine faire Behandlung der Kunden und die Vermeidung von Interessenkonflikten der Vertriebsmitarbeiter fördern. Diese müssen von der Geschäftsleitung überwacht werden.

Beispiel 1:
Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen verzichtet bei seiner Vergütungspolitik auf Praktiken und Leistungswettbewerbe, die für auf Provisionsbasis entlohnte Verkaufsmitarbeiter einen Anreiz darstellen können, den Kauf des gebündelten Pakets zu empfehlen und damit den unnötigen bzw. unangemessenen Verkauf eines Paketbestandteils oder des Pakets selbst zu begünstigen. Bestehen beispielsweise für Verkaufsmitarbeiter Anreize für den Querverkauf eines Darlehens im Rahmen einer gleichzeitig angebotenen Finanzportfolioverwaltung, birgt diese Vergütungsstruktur die Gefahr der Begünstigung missbräuchlicher Verkaufspraktiken in Bezug auf das Darlehen und damit auch auf das Paket.

Beispiel 2:
Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen verwendet keine Vergütungsstrukturen und
-praktiken, die das Grundgehalt, Gratifikationen oder Leistungszulagen des Verkaufspersonals erheblich reduzieren, wenn ein bestimmtes Verkaufsziel in Bezug auf das gebündelte bzw. gekoppelte Paket nicht erreicht wird; damit sinkt das Risiko, dass der Verkäufer das gebündelte Paket zur Vermeidung eigener Nachteile verkauft, obwohl dies unangemessen ist.

BT 14.7 Widerrufsrecht

  1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die gekoppelte oder gebündelte Paket vertreiben, müssen sicherstellen, dass dort wo beim Verkauf der Bestandteile auf eigenständiger Basis Rücktritts- oder Widerrufsrechte für einen oder mehrere Bestanteil(e) eines Pakets gelten, diese Rechte für die betreffenden Bestandteile innerhalb des Pakets weiterhin gelten.
  2. Weiterhin muss den Kunden das Recht eingeräumt werden, die Bestandteile innerhalb eines Querverkaufsangebots nachträglich, ohne unverhältnismäßige Sanktionen, aufzuteilen, sofern es keine sachlich gerechtfertigten Gründe gibt, dies abzulehnen.

BT 14.8 Beispiele für Querverkaufspraktiken, die nicht den Anforderungen nach § 63 Abs. 9 WpHG entsprechen

Beispiele mit finanziellen Nachteilen für Kunden:

  1. Zwei Bestandteile werden als Paket angeboten, wobei der Preis für dieses Paket höher ist als der Preis für die einzeln von demselben Wertpapierdienstleistungsunternehmen angebotenen Produkte/Dienstleistungen (unter der Voraussetzung, dass die angebotenen Paketbestandteile und die einzeln angebotenen Produkte/Dienstleistungen dieselben Merkmale aufweisen).
  2. Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen möchte einen Kunden davon überzeugen, ein Querverkaufsangebot zu erwerben, indem es damit wirbt, dass ab dem Tag des Verkaufs der Gesamtbetrag der Kosten und Gebühren, die der Kunde zu zahlen hätte, niedriger ist als der kumulierte Preis der Bestandteile bei separatem Erwerb, obwohl in Wirklichkeit bereits geplant ist, diesen Kosten- und Gebührenbetrag mit der Zeit zu erhöhen, z. B. wegen anfallender Betriebskosten oder Entgelte.

BT 15 Auslegung gesetzlicher Anforderungen an die Erstellung von Informationsblättern gemäß § 64 Abs. 2 WpHG / § 4 WpDVerOV

BT 15.1. Allgemeines

  1. Gemäß § 64 Abs. 2 WpHG ist dem Privatkunden im Rahmen einer Anlageberatung rechtzeitig vor Abschluss eines Geschäftes ein Informationsblatt über jedes Finanzinstrument, für das kein Basisinformationsblatt nach der PRIIPs-VO (Verordnung (EU) Nr. 1286/2014) erstellt werden muss, zur Verfügung zu stellen, auf das sich eine Kaufempfehlung des Beraters bezieht. Für Kundeninformationen außerhalb einer Beratungssituation gelten nur die allgemeinen Anforderungen von § 63 Abs. 6 und 7 WpHG.

    Beispiel:
    Werden von einem Wertpapierdienstleistungsunternehmen, das keine Anlageberatung betreibt, Informationen zu Finanzinstrumenten für das Online-Banking ins Internet gestellt, so gilt § 64 Abs. 2 WpHG nicht. Für diese Publikationen sind lediglich die allgemeinen Anforderungen von § 63 Abs. 6 und 7 WpHG zu erfüllen.

  2. § 64 Abs. 2 WpHG kodifiziert eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung für Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Die Pflicht, Informationsblätter zur Verfügung zu stellen, ist nicht abdingbar. § 4 WpDVerOV konkretisiert Anforderungen an den Inhalt der Informationsblätter nach § 64 Abs. 2 WpHG und schreibt die Mindestangaben vor, die sich in einem Informationsblatt wiederfinden müssen.
BT 15.1.1 Verhältnis zu anderen Vorschriften

Darüber hinaus müssen die Inhalte von Informationsblättern im Einklang mit § 63 Abs. 6 Satz 1 WpHG und Artikel 44 der MiFID II-Durchführungsverordnung 565/2017 stehen. Informationsblätter zählen ebenfalls zu den Informationen, die Wertpapierdienstleistungsunternehmen an Kunden richten. Dies hat besondere Bedeutung für die über die Mindestangaben gem. § 4 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 WpDVerOV hinausgehenden Informationen. Sollten bspw. Angaben zu früheren Wertentwicklungen im Informationsblatt zweckdienlich sein und daher dort abgebildet werden, muss dies entsprechend den Vorgaben des Artikels 44 Abs. 4 und 5 der MiFID II-Durchführungsverordnung 565/2017geschehen. Dementsprechend finden die Grundsätze der MaComp BT 3 auch Anwendung auf die Informationsblätter nach § 64 Abs. 2 WpHG, mit Ausnahme von BT 3.2. Nr. 3 (s.u.).

BT 15.1.2 Arbeitsteilige Erstellung der Informationsblätter
  1. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen, das die Anlageberatung durchführt, muss grundsätzlich in eigener Verantwortung sicherstellen, dass ein von ihm verwendetes Informationsblatt gesetzeskonform ist. Beim Drittbezug von Informationsblättern gelten die Grundsätze vom MaComp BT 3.2. Nr. 3 nicht. Die arbeitsteilige Erstellung von Informationsblättern bedarf einer vorherigen aufsichtsrechtskonformen Regelung, die Aussagen mindestens zu allen folgenden Punkten enthalten muss:

    a. Das die Informationsblätter erstellende Unternehmen sichert dem Verwender der Informationsblätter zu, normkonforme Informationsblätter nach den Anforderungen der Bundesanstalt zu erstellen. Darüber hinaus gewährt es dem die Informationsblätter verwendenden Unternehmen, seinem Prüfer nach § 89 Abs. 1, 4; § 88 Abs. 1 WpHG sowie der Bundesanstalt alle aufsichtsrechtlich erforderlichen Informations- und Prüfungsrechte. Erbetene Auskünfte werden unverzüglich erteilt sowie erbetene Dokumente und Aufzeichnungen zur Verfügung gestellt.

    b. Das die von einem Dritten erstellten Informationsblätter verwendende Unternehmen hat die mit der Erstellung einhergehenden aufsichtsrechtlichen Risiken angemessen zu steuern und zu überwachen. Grundsätzlich würde dies bedeuten, dass der Verwender von drittbezogenen Informationsblättern alle erforderlichen Kontrollmaßnahmen selbst durchführen müsste. Hiervon sind zwei Ausnahmen möglich:

    • Das Informationsblätter eines Dritten verwendende Institut kann in der Regel auf eigene Prüfungshandlungen verzichten, wenn der Ersteller von Informationsblättern über eine den MaRisk entsprechende interne Revision verfügt und dem Informationsblattverwender seine die Erstellung der Informationsblätter betreffenden Teile der Revisionsberichte zeitnah zur Verfügung stellt.
    • Alternativ hierzu ist die Übersendung einer Prüfungsbescheinigung eines Wirtschaftsprüfers/einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zum Prüfungsfeld „Erstellung der Informationsblätter nach § 64 Abs. 2 WpHG“ möglich. Die Bescheinigung muss den für die Tätigkeit von Wirtschaftsprüfern/Wirtschaftsprüfungsgesellschaften berufsüblichen Standards einsprechen, z.B. IDW PS 951. Die Prüfungsbescheinigung hat eine Geltungsdauer von drei Jahren. Für den Fall, dass sich während der Geltungsdauer grundlegende Änderungen ergeben (z.B. Änderungen am Produktspektrum) oder von der BaFin Mängel an den Informationsblättern festgestellt werden, ist eine erneute Prüfung erforderlich.

BT 15.2. Rechtzeitigkeit

  1. Die Informationsblätter gem. § 64 Abs. 2 WpHG müssen rechtzeitig vor Geschäftsabschluss, d.h. in jedem Fall bevor der Kunde den Kaufauftrag erteilt, zur Verfügung gestellt werden. Der Kunde soll die im Informationsblatt enthaltenen Angaben in einem angemessenen Zeitrahmen zur Kenntnis nehmen können, bevor er seine Anlageentscheidung trifft. Der Umfang des Zeitrahmens richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und muss verschiedene Aspekte wie z.B. die jeweiligen Produktmerkmale berücksichtigen. Eine feste Zeitspanne kann deshalb nicht allgemeinverbindlich vorgegeben werden.
  2. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen kann dem Kunden die Informationsblätter entweder in gedruckter Form oder als elektronisches Dokument zur Verfügung stellen. Sofern eine elektronische Übermittlung vereinbart wurde, kann dies z.B. durch Übersendung per E-Mail oder Einstellung in das elektronische Postfach des Kunden beim Wertpapierdienstleistungsunternehmen erfolgen.
  3. Die Informationsblätter können auch durch einen Hinweis auf die exakte Fundstelle im Internet zur Verfügung gestellt werden. Dabei muss gewährleistet sein, dass der Kunde die uneingeschränkte Verfügungsmacht über das der Beratung zu Grunde liegende Informationsblatt behält. Dies bedeutet, dass das elektronische Dokument für den Kunden ausdruck- und speicherbar ist. Hierfür bietet sich beispielweise ein PDF-Dokument an.
BT 15.2.1. Anlageberatung unter Anwesenden

Im Regelfall wird das Informationsblatt nach § 64 Abs. 2 WpHG bei einer Anlageberatung unter Anwesenden in gedruckter Form ausgehändigt. Damit ist die Pflicht aus § 64 Abs. 2 WpHG jedenfalls erfüllt.

BT 15.2.2. Anlageberatung unter Abwesenden

Wenn die Beratung nicht vor Ort erbracht wird, kann dem Kunden das Informationsblatt nicht zeitgleich in physischer Form übergeben werden. Damit besteht die Gefahr, dass ein Auftrag zum Erwerb von Finanzinstrumenten erst mit Zeitverzögerung ausgeführt werden kann, etwa nachdem das Informationsblatt auf postalischem Wege zugesandt worden ist.

Dies lässt sich vermeiden, wenn der Kunde
a. das Informationsblatt vorab per Post oder auf elektronischem Weg zur Verfügung gestellt bekommt und den Inhalt vorab zur Kenntnis nimmt, sofern das Gebot der anlage- und anlegergerechten Beratung gewahrt bleibt; oder
b. das Informationsblatt während des Beratungsgespräches auf elektronischem Weg zur Verfügung gestellt bekommt und den Inhalt in dieser Zeit zur Kenntnis nimmt.

BT 15.3.Anforderungen an Informationsblätter

BT 15.3.1. Allgemeine Anforderungen

Folgende generelle Anforderungen sind bei der Erstellung von Informationsblättern zu beachten:

BT 15.3.1.1. Kenntlichmachung
  1. Das Verbot der Irreführung verlangt die Abgrenzung zwischen den unterschiedlichen Informationen, die der Kunde erhält. Sowohl Wertpapierdienstleistungsunternehmen als auch Kunden haben ein Interesse daran, dass Informationsblätter nach § 64 Abs. 2 WpHG als solche eindeutig und leicht erkennbar sind. Überschriften wie „Informationsblatt nach § 64 Abs. 2 Wertpapierhandelsgesetz“ oder „Produktinformationsblatt nach Wertpapierhandelsgesetz“ grenzen Informationsblätter nach § 64 Abs. 2 WpHG eindeutig von anderen Informationen ab.
  2. Betitelt ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen eine an Kunden gerichtete Information mit „Produktinformationsblatt nach Wertpapierhandelsgesetz“ oder „Informationsblatt nach § 64 Abs. 2 Wertpapierhandelsgesetz“, muss diese Information alle aus § 64 Abs. 2 WpHG folgenden Anforderungen erfüllen; andernfalls ist eine solche Überschrift als irreführend anzusehen.
BT 15.3.1.2. Empfängerhorizont und Verständlichkeit
  1. Die Verständlichkeit des Informationsblattes ist am Empfängerhorizont eines Privatkunden auszurichten. Grundsätzlich dürfen keine besonderen sprachlichen und fachlichen Vorkenntnisse hinsichtlich des Verständnisses von Finanzinstrumenten vorausgesetzt werden. Maßgeblich ist der Empfängerhorizont des durchschnittlich informierten Anlegers.

  2. Nach § 64 Abs. 2 WpHG müssen die Informationsblätter „leicht verständlich sein“. Da der Adressat der durchschnittlich informierte Anleger ist, sind dieser Personengruppe im Normalfall nicht bekannte Abkürzungen zu erläutern. Komplexe Satzstrukturen sind zu vermeiden. Die bloße Verbalisierung finanzmathematischer Formeln kann eine allgemeinverständliche Beschreibung der Wirkungsweise eines Finanzinstruments nicht ersetzen.

    Beispiele für unzulässige Formulierungen:

    • „Anleger tragen das Risiko, dass sich die finanzielle Situation der Emittentin verschlechtert und sie ein Reorganisationsverfahren oder eine Übertragungsanordnung durchläuft, oder über ihr Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet wird – und deshalb unter den Anleihen fällige Zahlungen nicht oder nicht vollständig oder rechtzeitig geleistet werden.“

    • „Das x-Produkt wurde als Recovery-Produkt für die Inhaber des y-Produkts konstruiert“.

    Beispiele für ohne Erläuterung unzulässige Abkürzungen und unbekannte Begriffe:

    • „Zinstagequotient : ACT/ACT“

    • „Zinstyp: ratierlicher Zinssatz“
    • „Abwicklungswährung: NOK“
    • „Börsennotierung: EURO MTF“
    • „Ausübungsart: Bermuda“
    • „Es fallen Stückzinsen an“

    Eine Ausnahme vom Adressatenkreis des durchschnittlich informierten Anlegers ist nur möglich, wenn das Informationsblatt als nur für bestimmte Empfängergruppen geeignet gekennzeichnet ist. Die Kennzeichnung muss deutlich hervorgehoben und an prominenter Stelle erfolgen.

    Beispiel:

    „Dieses Informationsblatt richtet sich ausschließlich an Anleger, die über die entsprechenden Erfahrungen oder Kenntnisse zu Geschäften mit Anleihen mit Zinsänderungsrisiken/Rangrücktritten/Währungsrisikenverfügen.“

    Das entsprechende Finanzinstrument kann anderen Anlegern außerhalb der genannten Empfängergruppe somit nicht empfohlen werden.

BT 15.3.2. Keine unrichtigen oder irreführenden Angaben

Nach § 64 Abs. 2 Satz 2 WpHG dürfen die Angaben im Informationsblatt weder unrichtig noch irreführend sein. Ausschlüsse der Richtigkeit oder der Verantwortlichkeit für das Informationsblatt sind unzulässig, weil sie bei den Kunden den Eindruck hervorrufen könnten, die Richtigkeit der ihnen vorgelegten Informationen sei fraglich oder gar nicht gegeben.

BT 15.3.2.1. Vereinbarkeit mit dem Prospekt
  1. Das Informationsblatt muss nach § 64 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz WpHG „mit den Angaben des Prospekts vereinbar sein“. Sofern ein Basisprospekt bzw. Endgültige Bedingungen vorhanden sind, dürfen die Angaben im Informationsblatt weder verharmlosend wirken noch dem Prospekt bzw. den Endgültigen Bedingungen widersprechen.

  2. Definiert der Prospekt für ein Finanzinstrument bestimmte Adressatengruppen oder Anforderungen an die objektive Sachkenntnis und / oder Erfahrungen des Kunden, so ist dies als wesentliche Information anzusehen und in das Informationsblatt aufzunehmen.

  3. Eine vollständige Wiedergabe aller Prospektangaben wird nicht verlangt, da die Informationsblätter in ihrem Umfang beschränkt sind und nur „wesentliche“ Informationen enthalten dürfen.
BT 15.3.2.2. Aktualität der Angaben
  1. Informationsblätter müssen aktuelle Angaben enthalten, um Anleger in ihrer Entscheidung nicht irrezuführen. Aus dem Grundsatz der Redlichkeit und der Nicht-Irreführung folgt, dass Informationsblätter nach § 64 Abs. 2 WpHG aktuell sein müssen. Dies führt wiederum zu einer Aktualisierungspflicht. Eine feste Aktualisierungszeitspanne kann nicht vorgegeben werden, da diese von der Art des Finanzinstruments sowie der Kapitalmarktsituation abhängt. Bei wesentlichen Änderungen ist das Informationsblatt unverzüglich zu aktualisieren (Beispiel: Der Emittent der Aktie XY hat einen Insolvenzantrag gestellt).

    Das Gebot der Eindeutigkeit, Redlichkeit und Nichtirreführung aus § 63 Abs. 6 Satz 1 WpHG macht einen leicht erkennbaren Hinweis auf das Erstellungsdatum der Information notwendig, da nur so seine Aktualität schnell und ohne großen Aufwand überprüfbar ist.

    Nicht zulässig ist es, die Aktualität der Angaben im Informationsblatt einzuschränken oder auszuschließen.

    Beispiel für eine unzulässige Einschränkung:
    „Dieses Produktinformationsblatt entspricht dem Stand zum Zeitpunkt der Erstellung des Dokuments. Es kann aufgrund künftiger Entwicklungen überholt sein, ohne dass das Dokument geändert wurde.“

  2. Sobald eine Anlageberatung abgeschlossen ist, endet die Aktualisierungspflicht des Wertpapierdienstleistungsunternehmens. Der Kunde ist nach Abschluss der Anlageberatung nicht darauf hinzuweisen, dass das Informationsblatt aktualisiert worden ist. Hiervon sind Fälle der wiederholten Anlageberatung zu ein und demselben Finanzinstrument zu unterscheiden. Der Anlageberater wird nicht automatisch von der Pflicht, ein Informationsblatt zur Verfügung zu stellen, entbunden. Vielmehr muss er prüfen, ob auf Grund von neueren Informationen zu dem beratenen Finanzinstrument ein aktualisiertes Informationsblatt zur Verfügung zu stellen ist. Die Verpflichtung entfällt bei einer Wiederholungsberatung jedenfalls dann, wenn dem Kunden bereits ein Informationsblatt zur Verfügung gestellt wurde und dieses immer noch aktuell ist. Es ist sinnvoll, die entsprechende Sachlage in der Geeignetheitserklärung zu dokumentieren.
BT 15.3.2.3. Verbot werbender Angaben und sonstiger nicht dem Gesetzeszweck dienender Informationen
  1. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz WpDVerOV dürfen die Informationsblätter keine werbenden oder sonstigen, nicht dem Gesetzeszweck dienenden Informationen enthalten. Ratings und die Verwendung von Adjektiven mit werbendem Charakter sind daher unzulässig.

    Beispiel für eine zulässige Formulierung:
    „Zinssatz von x % pro Jahr“.

    Beispiel für eine unzulässige Formulierung:
    “Attraktiver Zinssatz von x % pro Jahr.“

  2. Angaben zu ethischen, sozialen und ökologischen Belangen dürfen nicht zu werblichen Zwecken verwendet werden und sind nur zulässig, wenn sie wesentliche Eigenschaften des Produktes darstellen und die Maßstäbe dargelegt und erläutert werden, die die Grundlage entsprechender Aussagen sind.

    Beispiel:
    Bei einer Anleihe mit ökologischen Anlagezweck ist darzulegen, wie „ökologisch“ vom Emittenten definiert wird.

  3. Unzulässig im Informationsblatt sind auch Angaben zur Anlageorientierung eines Kunden.

    Beispiel für eine unzulässige Angabe:
    "Dieses Produkt eignet sich für risikobereite Anleger.“

  4. Die Begriffe „risikobereit“, „risikoscheu“ usw. werden branchenweit derzeit nicht einheitlich verwendet. Die Vergleichbarkeit der Informationsblätter für den Anleger könnte somit beeinträchtigt sein. Bis zur Entwicklung eines brancheneinheitlichen Standards sind Angaben zur Anlageorientierung eines Kunden als nicht dem Gesetzeszweck dienlich anzusehen.

  5. Die Angabe der BaFin als Aufsichtsbehörde von Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Informationsblatt ist unzulässig. Hierdurch könnte bei Anlegern der Eindruck erweckt werden, jedes Informationsblatt sei vorab durch die Bundesanstalt geprüft worden.
BT 15.3.3. Inhaltliche Anforderungen im Einzelnen

Das Informationsblatt muss nach § 4 Abs. 1 Satz 2 WpDVerOV die wesentlichen Informationen über das jeweilige Finanzinstrument in übersichtlicher und leicht verständlicher Weise so enthalten, dass der Kunde insbesondere die Art des Finanzinstruments (BT 15.3.3.1.), seine Funktionsweise (BT 15.3.3.2.), die damit verbundenen Risiken (BT 15.3.3.3.), die Aussichten für die Kapitalrückzahlung und Erträge unter verschiedenen Marktbedingungen (BT 15.3.3.4.) und die mit der Anlage verbundenen Kosten (BT 15.3.3.5.) einschätzen und mit den Merkmalen anderer Finanzinstrumente bestmöglich vergleichen kann.

BT 15.3.3.1. Art des Finanzinstruments (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 WpDVerOV)

Am Anfang des Informationsblattes ist zunächst die Produktgattung zu nennen (z.B. Aktie Anleihe). Zur sicheren Identifikation sind ferner die Wertpapierkennnummer (WKN) und die International Securities Identification Number (ISIN) anzugeben. Bei Finanzinstrumenten, die hierüber nicht verfügen, sind alle für eine eindeutige Identifizierung des Finanzinstruments notwendigen Informationen anzugeben. Ferner ist an dieser Stelle auch der Emittent des Finanzinstruments zu nennen. Um dem Leser den Zugang zu ergänzenden Informationen zu erleichtern, ist ein Hinweis auf die Branche und die Homepage des Emittenten des Finanzinstruments zu geben. Darüber hinaus ist anzugeben, in welchem Marktsegment der Handel des Finanzinstruments erfolgt, bei Aktien ihre Art und, ob sie einem allgemein bekannten Marktindex angehören (bspw. DAX oder M-DAX). Die Anleger sollen hierdurch Anhaltspunkte zur Einschätzung der Liquidität des Finanzinstruments erhalten.

Nicht in die Beschreibung der Art eines Finanzinstruments gehören Informationen, für die in § 4 Abs. 1 WpDVerOV eigene Unterpunkte vorgesehen sind, z.B. Risiken oder Kosten.

BT 15.3.3.2. Funktionsweise des Finanzinstruments (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 WpDVerOV)
  1. Nach den Angaben zur Art des Finanzinstruments ist in allgemeiner Form seine Funktionsweise zu beschreiben. Produktspezifika sind zu berücksichtigen. Die Beschreibung darf sich nicht nur auf der Ebene der ganzen Produktgattung bewegen.

    Für eine angemessene Darstellung ergeben sich zwei Möglichkeiten:

    a. entweder zunächst allgemeine Beschreibung der Funktionsweise, danach gesonderte Aufzählung produktspezifischer Daten oder

    b. Verknüpfung der Beschreibung der Funktionsweise mit den produktspezifischen Daten.

    Beispiele für zulässige Formulierungen:

    • Anleihe mit festem Zinssatz

    Zu a.

    „Bei dem Produkt handelt es sich um eine Anleihe mit fester Laufzeit und fester Verzinsung. Der Anleger hat einen Anspruch auf eine jährliche feste Zinszahlung für die Laufzeit auf den Nennbetrag der Anleihe. Zum Fälligkeitstermin erfolgt die Rückzahlung des Anlagebetrages zum Nennbetrag von 100 %.
    Produktdaten: Emittent/Herausgeber: A-Bank, Verzinsung: x % pro Jahr, bezogen auf den Nennbetrag, Laufzeit: bis (Datum) [weitere Angaben].“

    Zu b.

    „Die XY-Anleihe ist eine Inhaberschuldverschreibung der Bank A mit einer Laufzeit bis zum (Datum). Die jährliche Verzinsung beträgt x %, bezogen auf den Nennbetrag. [weitere Angaben]“

    Beispiele für unzulässige Formulierungen:

    • Aktie
    Ein Informationsblatt zu einer Stammaktie in Form einer Inhaberaktie enthält Aussagen zu Namensaktien. Beschreibt das Informationsblatt eine Inhaberaktie, sind Ausführungen zu Namensaktien verfehlt und somit unzulässig.

    • Inhaberschuldverschreibung
    „Bei einer Inhaberschuldverschreibung handelt es sich um eine Anleihe mit einem festen oder einem variablen Zinssatz und einer festen oder einer variablen Laufzeit.“

  2. Entsprechend der Zielsetzung des Informationsblattes sind die wichtigsten Eckdaten anzugeben, z.B. Laufzeit, Zinstermine, Stückelung, Möglichkeit des Austauschs des Schuldners, teilweise Kapitalrückzahlung zu feststehenden Terminen, Kündigungsmöglichkeiten des Emittenten, außergewöhnliche Zinsberechnungsmethoden, die zu einer größeren Abweichung im Zinsertrag führen, usw.

    Die Angabe der produktspezifischen Eckdaten kann nicht ganz oder teilweise durch einen Verweis auf Veröffentlichungen Dritter ersetzt werden.

    Beispiel für einen unzulässigen Verweis:

    „Produktdaten
    Ursprungsland: USA
    Primäre Handelswährung: USD
    Börsenzulassung: nein

    Für die genauen Details schauen Sie bitte in die Veröffentlichungen des Unternehmens.“

  3. Ist die Laufzeit eines Finanzinstruments auf Grund von Kündigungsmöglichkeiten des Emittenten unsicher, so ist dies bei der Laufzeitangabe (auch in graphischen Laufzeitdarstellungen) zu berücksichtigen.

    Problematisch ist die Darstellung von produktspezifischen Daten, wenn diese zum Zeitpunkt, in dem das Informationsblatt zur Verfügung gestellt wird, noch nicht endgültig feststehen (z.B. bei Instrumenten, die in der Zeichnungsphase vertrieben werden). In solchen Fällen ist zumindest das zukünftige Ereignis, von dem diese Daten abhängen, so konkret wie möglich zu beschreiben.

    Jedenfalls dürfen Angaben zu relevanten Produktdetails nicht gänzlich unterbleiben, nur weil sie zum Zeitpunkt der Anlageberatung noch nicht feststehen.

BT 15.3.3.3. Mit dem Finanzinstrument verbundene Risiken (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 WpDVerOV)
BT 15.3.3.3.1. Grundsätzliches
  1. Die dem empfohlenen Finanzinstrument innewohnenden, produktspezifischen Risiken sind zu nennen und zu erläutern.

    Beispiele:

    • Die Erträge des Finanzinstruments werden in einer Fremdwährung gezahlt. In diesem Fall ist auf das Fremdwährungsrisiko einzugehen.

    • Der ausländische Emittent unterliegt dem Risiko von Devisenausfuhrbeschränkungen. In einem solchen Fall ist das Transferrisiko darzustellen.

    • Das Instrument ist mit einem atypischen Ersetzungsrecht des Emittenten ausgestattet. Dieses Ersetzungsrecht stellt ein Risiko für den Anleger dar. In einem solchen Fall ist das Risiko abstrakt zu beschreiben.

  2. Die im Informationsblatt genannten Risiken sind nach ihrer Bedeutung zu gewichten, d.h. das für den Anleger bedeutendste Risiko ist vor eher unbedeutenden Risiken aufzuführen. Als unbedeutend ist ein Risiko anzusehen, wenn es bei Realisierung für den Anleger weder zu einem nennenswerten Verlust führt noch seine Eintrittswahrscheinlichkeit nennenswert ist.

    In der Mehrzahl der Fälle dürfte jedoch das Emittentenrisiko an erster Stelle aufzuführen sein.

  3. Die Bedeutung der für den Anleger wichtigen Risiken darf durch eine inhaltliche Überfrachtung nicht verwässert werden. Die bloße Aufzählung von Risiken, die keine Relevanz für das in einem Informationsblatt beschriebene Finanzinstrument haben, ist unzulässig.

    Beispiel für eine unzulässige Risikoangabe bei einer in Euro gehandelten Schuldverschreibung:

    „Bei nicht in Euro notierten Finanzinstrumenten besteht bei laufenden Erträgen, Verkauf, Einlösung oder Rückgabe jeweils ein Risiko von Währungskursverlusten.“

BT 15.3.3.3.2. Instrumente zur Begrenzung von Risiken
  1. Besteht die Zugehörigkeit zu einer Sicherungseinrichtung, darf darauf hingewiesen werden. Der Hinweis muss dabei wertneutral und objektiv sein sowie auf seine Kernaussage reduziert erfolgen.

    Beispiel für eine zulässige Formulierung:

    Bank X ist Mitglied der Sicherungseinrichtung Z. Mehr Informationen dazu finden Sie unter www.Z.de.
    Die Objektivität eines solchen Hinweises wird aber dann beeinträchtigt, wenn er beispielsweise im Anschluss an die Ausführungen zum Emittentenrisiko erfolgt. Denn dadurch wird bei dem Anleger der Eindruck hervorgerufen, durch die Zugehörigkeit zu der Sicherungseinrichtung relativiere sich das Emittentenrisiko. Eine solche Darstellungsweise vermittelt somit eine Aussage, die über den objektiven Gehalt des eigentlichen Hinweises hinausgeht.

  2. Aus diesem Grund darf dieser kurze Hinweis nur an einer neutralen Stelle im Informationsblatt, beispielsweise unter der Rubrik „Sonstiges“, erfolgen. Über diesen abstrakten Hinweis hinausgehende Ausführungen, die allein die Vorteile der Zugehörigkeit zu einer Sicherungseinrichtung darstellen, sind werbend und somit unzulässig.

    Beispiel für eine unzulässige Formulierung:
    „Darüber hinaus wird die Bank im Falle einer wirtschaftlichen Krise im Rahmen des durch die Sicherungseinrichtung praktizierten Institutsschutzes stets so gestellt, dass sie ihre rechtlichen Verpflichtungen jederzeit in vollem Umfang erfüllen kann.“

  3. Bestehen Garantie-/Patronatserklärungen eines Dritten (z.B. die Muttergesellschaft für eine ausländische Tochtergesellschaft), sind diese im Abschnitt „Sonstiges“ anzugeben und in ihren wesentlichen Grundzügen zu erläutern. Ebenfalls darzustellen sind wesentliche Einschränkungen für den Anleger.

  4. Ist das Finanzinstrument möglicherweise in der Zukunft durch Maßnahmen auf Grund des Sanierungs- und Abwicklungsgesetzes (SAG) betroffen, so ist auf diese Möglichkeit hinzuweisen. Dies kann beispielsweise durch folgende Erläuterung erfolgen: Die Bankenaufsicht hat zusätzlich auch außerhalb der Insolvenz, insbesondere im Falle einer deutlich verschlechterten Finanzlage (Name des Emittenten), weitgehende Eingriffsbefugnisse (beispielsweise Bail-In). Ein Totalverlust des eingesetzten Kapitals ist möglich. Des weiteren kann für die „Haftungskaskade“ auf die entsprechenden Erläuterungen auf unseren Homepage durch einen Link auf www.bafin.de verwiesen werden.
BT 15.3.3.3.3. Kündigungsrechte des Emittenten

Kann der Emittent ein Finanzinstrument vorzeitig kündigen oder hängt die Kapitalrückzahlung vom Eintritt künftiger, nicht vorhersehbarer Ereignisse ab, sind die daraus resultierenden Risiken zu nennen und zu erklären.

Beispiel für eine zulässige Formulierung bei einer Anleihe mit Kündigungsrecht des Emittenten:
„Da dem Emittenten ein vorzeitiges Kündigungsrecht zusteht, ist diese Anlage mit dem Risiko behaftet, dass das Finanzinstrument in einer für den Anleger ungünstigen Kapitalmarktsituation zurückgezahlt wird. Die Wiederanlage könnte dann nur unter für den Anleger schlechteren Bedingungen erfolgen.“

BT 15.3.3.4. Aussichten für die Kapitalrückzahlung und Erträge unter verschiedenen Marktbedingungen (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 WpDVerOV)
BT 15.3.3.4.1. Marktpreisbestimmende Faktoren
  1. Der Anleger soll zunächst ein Grundverständnis zum Einfluss möglicher Kapitalmarkt-entwicklungen auf die von ihm getroffene Investitionsentscheidung erhalten. Dies ist nur möglich, wenn ihm die marktpreisbestimmenden Faktoren bekannt sind. Daher sind die wesentlichen preisbestimmenden Faktoren zu nennen und in ihrer Wirkung darzustellen. Die Darstellung kann in Fließtextform oder in Tabellenform erfolgen.

    Beispiel für eine zulässige Darstellung

    Beispiel für eine zulässige Darstellung © BaFin

    Nicht erforderlich sind Aussagen zu den Eintrittswahrscheinlichkeiten der marktpreisbestimmenden Bedingungen. Die rein abstrakte Auflistung verschiedener Einflussfaktoren ist nicht ausreichend.

    Beispiele für unzulässige Formulierungen:

    • „Solche Faktoren wie Kursschwankungen der Aktienmärkte, Geschäftsentwicklungen des Unternehmens, Kursabschlag bei Dividendenzahlung, Bonitäts- und Ratingveränderungen sowie Angebot und Nachfrage können sich auf das Produkt auswirken. Aussagen darüber, wie sich die einzelnen Faktoren auswirken, können jedoch nicht getroffen werden.“

    •„In Krisenzeiten kann es zu Kursverlusten am Aktienmarkt im Allgemeinen und bei einer Einzelaktie im Speziellen kommen.“

BT 15.3.3.4.2. Szenariodarstellungen
  1. Bezogen auf das in der Anlageberatung empfohlene Finanzinstrument sind sodann die Aussichten der Rückzahlung des eingesetzten Kapitals und der erwarteten Erträge unter verschiedenen Marktbedingungen darzustellen. Sowohl beispielhafte Berechnungen als auch grafische Darstellungen sind dabei zulässig. In einer Beispielrechnung kann mit einem vom konkreten Anlagebetrag des Anlegers abweichenden Investitionsbetrag gearbeitet werden (zu den Kosten siehe BT 15.3.3.5.).
  2. Die Darstellung muss ausgewogen sein. Dazu sind in der Regel drei unterschiedliche Situationen darzulegen: ein positives, ein neutrales und ein negatives Szenario. Die Annahmen, die den Szenarien jeweils zu Grunde liegen, müssen offengelegt werden (so z.B. Angaben zum Anlagezeitraum). Darüber hinaus müssen die Annahmen nachvollziehbar, wirklichkeitsnah und für das jeweilige Finanzinstrument geeignet sein. Bei Aktien ist die Nennung der Möglichkeit von Dividendenzahlungen ausreichend. Wie unter 3.1.5 dargestellt, ist das Beispiel zu aktualisieren, wenn seine Aussagekraft erheblich eingeschränkt oder nicht mehr gegeben ist.

    Bei den Darstellungen ist zu berücksichtigen, dass eine reine Bruttodarstellung nicht gesetzeskonform ist. Diese würde beim Kunden den unzutreffenden Eindruck vermitteln, dass sein eingesetztes Kapital vollständig an einer positiven Wertentwicklung partizipiere.

    Beispiel für eine unzulässige Szenariodarstellung bei einer Aktie (Angaben zum Anlagezeitraum sowie zu den vom Anleger zu tragenden Kosten fehlen):

    Kurs: + 20 % Ertrag: + 20%
    Kurs: +/- 0% Ertrag: +/- 0%
    Kurs: - 20 % Verlust: - 20%

  3. Da sich die vom Kunden zu tragenden Kosten auf seinen Anlageerfolg auswirken, ist eine reine Bruttodarstellung irreführend. Für den Kunden aussagekräftig sind nur reine Netto- oder kombinierte Brutto-Netto-Darstellungen. Den Szenariodarstellungen sind für alle Kostenarten realistische Kostensätze zu Grunde zu legen. Die in den Szenariodarstellungen getroffenen Kostenannahmen sind dem Kunden im Informationsblatt offen zu legen.

    Nicht zulässig ist es, im Rahmen der Darstellung der Aussichten für die Kapitalrückzahlung und Erträge Produktmerkmale zu wiederholen und diese als besondere Chance hervorzuheben.

    Beispiel:

    In einem Informationsblatt zu einer Anleihe werden an dieser Stelle Stichpunkte wie „fester Zinssatz“, „hohe Liquidität und Flexibilität“, „vom Aktienmarkt unabhängiges Investment“ nochmals aufgeführt.

  4. Vor dem Hintergrund des Werbeverbots in den Informationsblättern ist darauf zu achten, dass Chancen wertneutral darzustellen sind. Im oben genannten Beispiel ist die Aussage der „hohen Liquidität“ als werbende Aussage einzustufen. Dies gilt ebenso für die Aussage des „festen Zinssatzes“, wenn der Zinssatz zwar nicht vom Leitzinssatz abhängt, sich jedoch durch andere Umstände, z.B. aufgrund einer entsprechenden Klausel in den Emissionsbedingungen, während der Laufzeit ändern kann.
BT 15.3.3.5. Mit der Anlage verbundene Kosten (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 WpDVerOV)
  1. Der Gesetzgeber wollte mit der Kostenangabepflicht eine Warnfunktion verbinden, denn der Anleger kann eine Investitionsentscheidung nur dann sinnvoll treffen, wenn er die für ihn damit einhergehenden Kostenbelastungen kennt.
    Es ist vertretbar, die Kosten im Informationsblatt als institutsspezifische Erwerbshöchstkosten in Prozent des Anlagebetrages anzugeben, ergänzt um die Angabe einer Mindestgebühr in Euro, sofern das Institut eine solche erhebt.

    Beispiel:

    Beim Erwerb der A-Aktie fallen Erwerbskosten von bis zu 1,0 % des Kurswertes an, die Mindestkosten betragen regelmäßig bis zu 50,-- €“.

  2. Da Ausgabeaufschläge auch zu den Erwerbskosten gehören, sind auch diese in Prozent des Anlagebetrages zu nennen. Kostenpositionen können auch in konkreten Euro-Beträgen ausgewiesen werden.
    Bei Erwerbsnebenkosten und -folgekosten (z.B. Börsengebühren, Verwahrkosten, Veräußerungskosten) genügt im Rahmen der Kostendarstellung ein abstrakter Hinweis auf diese vom Anleger zu tragenden Kosten, da diese zum Zeitpunkt der Anlageberatung auf Grund des Prinzips der bestmöglichen Ausführung im Regelfall noch nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststehen bzw. Verwahrkosten und Veräußerungskosten sich im Zeitablauf ändern können.

    Unzulässig ist es, im Informationsblatt auf eine Kostenangabe zu verzichten und stattdessen auf das Preis- und Leistungsverzeichnis oder Auskünfte des Anlageberaters zu verweisen.

BT 15.3.4. Sonstige Angaben
  1. Durch die Formulierung „insbesondere“ in § 4 Abs. 1 Satz 2 WpDVerOV besteht Raum für weitere Informationen, sofern diese für den Anleger sinnvoll sind und dem vom Gesetz verfolgten Ziel dienen. Der Maximalumfang von zwei bzw. drei Seiten darf jedoch nicht überschritten werden. In der Praxis haben sich insbesondere Angaben zur Verfügbarkeit des Finanzinstruments sowie zu seiner Besteuerung eingebürgert. Angaben zur Verfügbarkeit sind insbesondere in der Zeichnungsphase von Finanzinstrumenten angezeigt, z.B. über die Dauer der Zeichnungsphase, die Möglichkeit der vorzeitigen Beendigung usw.
  2. Bei einem wenig liquiden Finanzinstrument ist auf mögliche Probleme beim Erwerb hinzuweisen. Ergänzend sind unter dem Punkt „Risiken“ mögliche Probleme bei einer späteren Veräußerung aufzuführen.

Fußnoten:

  1. 1In der durch die delegierte Verordnung (EU 2021/1253) geänderte Fassung.
  2. Die Vorgaben der Nr. 2 und Nr. 3 Product Governance der FAQ zu MiFID II-Wohlverhaltensregeln nach §§ 63 ff. WpHG sind vollständig enthalten (siehe Link: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Auslegungsentscheidung/WA/ae_040518_faq_mifid2_wohlverhaltensregeln.html;jsessionid=19FE7772D90F96DEEDC0A32A06665DDE.2_cid500?nn=9450992#doc10849298bodyText5)
  3. Wenn das Wertpapierdienstleistungsunternehmen einen Prüfungsausschuss eingerichtet hat, kann alternativ sichergestellt werden, dass der Vorsitzende des Prüfungsausschusses die Auskünfte einholen kann.
  4. Es wird darauf hingewiesen, dass etwa die Churning-Kontrolle typischerweise unmittelbar durch Mitarbeiter der Compliance-Funktion erfolgt.
  5. Dies setzt eine Berücksichtigung der individuellen Finanzlage des Adressaten voraus (vgl. Gemeinsames Informationsblatt der Bundesanstalt und der Deutschen Bundesbank zum neuen Tatbestand der Anlageberatung vom 12. November 2007), Stand Juli 2013.
  6. Bei Gamification-Techniken werden Spielelemente oder spielähnliche wettberwerbliche Elemente auf einen Nicht-Spiel-Kontext wie Finanzdienstleistungen übertragen, Beispiele für spielähnliche Elemente sind das Sammeln von Punkten oder Abzeichen, das Führen von Punktestand und Bestenlisten, die Anzeige von Leistungsdiagrammen, die Verwendung aussagekräftiger Geschichte oder Avatare, um die Nutzer einzubinden, oder die Einführung von Teamkollegen, um entweder Konflikte, Zusammenarbeit oder Wettbewerb hervorzurufen. Gamification ist eine Art der digitalen Engagement-Praxis, die genutzt werden kann; digitale Engagement-Praktiken beziehen sich wiederrum darauf, wie aktiv Nutzer mit einer Softwareanwendung oder Plattform interagieren.
  7. Ein Influencer ist in der Regel eine Person, die in den sozialen Medien aktiv ist und • die Kaufentscheidungen anderer aufgrund ihrer Autorität, ihres Wissens, ihrer Position oder der Beziehung zu ihrem Publikum beeinflussen kann sowie • eine Fangemeinde in einer bestimmten Nische hat, mit der sie sich aktiv austauscht. Die Größenordnung der folgenden Elemente hängt von der Bedeutung des Nischenthemas ab. Im Falle eines "Finfluencers" generiert der Influencer Inhalte zu Themen im Finanzbereich wie etwa Anlagen.
  8. Wertpapierdienstleistungen, die ausschließlich in der Ausführung oder dem Empfang und der Übermittlung von Aufträgen von Kunden bezüglich in der MiFID II als „nichtkomplex“ definierter Produkte bestehen.
  9. Siehe auch BT 6.2 Ziffer 11.
  10. Vgl. BT 6.5.
  11. Die Informationen können gem. § 63 Abs. 7 WpHG auch in standardisierter Form zur Verfügung gestellt werden.
  12. Unter Berücksichtigung von BT 6.11.
  13. Unter Berücksichtigung von BT 6.3.
  14. Siehe BT 6.9.
  15. Siehe BT 6.4
  16. Unter Berücksichtigung von BT 6.9
  17. Es wird klargestellt, dass die Bestimmungen des BT 6.4 nicht über die Regelung des Artikel 55 Abs. 3 DV hinausgehen sollen und dass ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen sich auf die von den Kunden zur Verfügung gestellten Informationen verlassen darf, es sei denn, ihm ist bekannt oder sollte bekannt sein, dass die Informationen offensichtlich veraltet, ungenau oder unvollständig sind.
  18. Insbesondere ist ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen gemäß § 63 Abs. 5 WpHG verpflichtet, „die von ihm angebotenen oder empfohlenen Finanzinstrumente [zu] verstehen“, um seiner Verpflichtung nachzukommen, die Vereinbarkeit zwischen den angebotenen oder empfohlenen Produkten und dem betreffenden Zielmarkt von Endkunden zu gewährleisten.
  19. Es wird klargestellt, dass kein bestimmtes Maß an Granularität vorgeschrieben wird. Das Maß an Granularität muss jedoch ausreichend sein, um sicherzustellen, dass nur Produkte mit hinreichend vergleichbaren Eigenschaften und Risikomerkmalen in Gruppen zusammengefasst werden.
  20. Im Gegensatz zu den gem. BT 6.3 Ziffer 6 dargestellten Fällen, bei denen mit dem Verkauf eine weitergehende Positionierung des Kunden erfolgt
  21. Unter Berücksichtigung von BT 6.11.
  22. Dies steht der Durchführung einer Angemessenheitsbeurteilung für alle Arten von Produkten, seien sie komplex oder nichtkomplex, durch die Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht entgegen.
  23. Siehe auch BT 6.11.
  24. Ausnahmen sollten speziellen Umständen vorbehalten sein, die in den Verfahren des Wertpapierdienstleistungsunternehmens festgelegt sind, und der Genehmigung durch eine spezielle Hierarchiestufe unterliegen
  25. Zum Begriff Robo-Advice s. auch „Robo-Advice - Automatisierte Anlageberatung in der Aufsichtspraxis“ v. 16.08.2017, abrufbar unter https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Fachartikel/2017/fa_bj_1708_RoboAdvice.htm.
  26. Del. VO (EU) 2022/1288
  27. Für jede Gruppe von Indikatioren, die für den Kunden wichtig ist, kann das Unternehmen dann eine weitergehende Bewertung vornehmen. Diese Bewertung kann berücksichtigen, ob sich der Kunde auf bestimmte Ansätze stützen möchte, mit denen Produkte die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen berücksichtigen (z.B. Ausschlussstrategien) oder ob er bestimmte Wirtschaftstätigkeiten ausschließen möchte.
  28. Dieser Abs. ist in Verbindung mit BT 7.1.8 Nr. 11 zu lesen
  29. Siehe BT 7.1.4
  30. 30 vgl. §63 Abs. 11 WpHG und unter Berücksichtigung der BT 7.1.7 genannten Kriterien
  31. 31 Es ist jedem Wertpapierdienstleistungsunternehmen überlassen, vorab das Risikoniveau der von ihm vertriebenen Produkte zu bestimmen.
  32. 32 Damit sich die Kunden des Anlagerisikos und möglicherweise von ihnen zu tragender Verluste bewusst werden, sollten die Unter-nehmen diese Risiken unter allen Umständen in einer weitestgehend klaren und verständlichen Weise darlegen und eventuell auch an Beispielen veranschaulichen, in welchem Umfang bei Anlagen mit weniger günstigem Verlauf Verluste auftreten können.
  33. 33 Es ist jedem Wertpapierdienstleistungsunternehmen überlassen, vorab zu bestimmen, welche der von ihm vertriebenen Produkte als illiquid angesehen werden. Soweit die zuständige Aufsichtsbehörde Leitlinien hierzu erlassen hat, sind diese jedoch zu be-rücksichtigen.
  34. 34 S. auch BT 7.1.5.5
  35. 35 S. auch BT 7.1.6.
  36. 36 Das ermittelte Liquiditätsrisiko sollte nicht durch andere Risikoindikatoren (wie z. B. jene Indikatoren, die für die Beurteilung des Kredit-/Gegenparteirisikos und des Marktrisikos festgelegt wurden) ausgeglichen werden. Dies liegt darin begründet, dass die Liquiditätsmerkmale von Produkten mit den Informationen zur Bereitschaft des Kunden abgeglichen werden sollten, eine Anlage für einen bestimmten Zeitraum zu halten (sogenannte „Haltedauer“).
  37. 37 Insbesondere ist ein Unternehmen gemäß § 63 Abs. 5 WpHG verpflichtet, „die von ihm angebotenen oder empfohlenen Finanzinstrumente [zu] verstehen“, um seiner Verpflichtung nachzukommen, die Vereinbarkeit zwischen den
    angebotenen oder empfohlenen Produkten und dem betreffenden Zielmarkt von Endkunden zu gewährleisten. Gem. § 96 WpHG gilt das auch für strukturierte Einlagen.
  38. 38 S. Gesetz zur Sanierung und Abwicklung von Instituten und Finanzgruppen (Sanierungs- und Abwicklungsgesetz), VO (EU)806/2014.
  39. S. Erwägungsgrund 87 der DV sowie BT 7.2.
  40. Diese Vorgabe steht der Verwendung eines einheitlichen Fragebogens im Rahmen der Kundenexploration nicht entgegen.
  41. Siehe BT 7.1.2 Nr. 8.
  42. Siehe BT 7.1.2 Nr. 11.
  43. 43 Im Fall von Eigenplatzierungen werden Unternehmen auf die Erklärung der ESMA aus dem Jahr 2016 zur Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten (BRRD) hingewiesen, der zufolge „sie eine übermäßige Konzentration der Anlagen auf Finanzinstrumente vermeiden sollten, die der von dem Unternehmen selbst oder von Unternehmen derselben Gruppe vereinbarten Abwicklungsregelung unterliegen“. („MiFID practices for firms selling financial instruments subject to the BRRD resolution regime“ (Verfahren im Rahmen der MiFID für Firmen, die der BRRD-Abwicklungsregelung unterliegende Finanzinstrumente verkaufen) (ESMA/2016/902).
  44. 44 Hierzu sollten die Unternehmen im Einklang mit der genannten Erklärung der ESMA auch die spezifischen Merkmale der angebotenen Wertpapiere (einschließlich ihrer Risikomerkmale und der Verhältnisse des Emittenten) sowie die finanzielle Situation der Kunden, einschließlich ihrer Fähigkeit, Verluste zu tragen, und ihre Anlageziele, einschließlich ihres Risikoprofils, berücksichtigen.
  45. 45 Nach dem WpHG und der DV wird von Unternehmen nicht erwartet, dass sie das gesamte Spektrum möglicher Anlageoptionen auf dem Markt prüfen, um der Anforderung in Artikel 54 Absatz 9 der Delegierten Verordnung MiFID II gerecht zu werden.
  46. 46 S. BT 7.2
  47. 47 Dieses Beispiel wurde vorbehaltlich zukünftig weitergehender Anforderungen infolge des Gesetzgebungspakets der KOM zum Thema Sustainable Finance aufgenommen.
  48. 48 Die nach § 64 Abs. 4 S. 4 WpHG erforderliche Zustimmung des Kunden zur Zur-Verfügung-Stellung nach Vertragsschluss beim Einsatz von Fernkommunikationsmitteln kann nur ausdrücklich erfolgen. Daher ist eine Vereinbarung etwa durch Nutzung von AGB nicht zulässig.
  49. 49 Die Formulierung „Empfehlung, ein Finanzinstrument nicht zu kaufen“ ist dabei eng auszulegen.
  50. 50 Weitere insoweit maßgebliche Kriterien ergeben sich aus weitergehendem Aufsichtsrecht (z.B. § 25a KWG, § 4 InstitutsVergV, § 46 WpIG, der WpIVergV oder § 37 KAGB).
  51. 51 Unter quantitativen Kriterien sind hauptsächlich numerische und finanzielle Daten zu verstehen, die zur Bestimmung der Vergütung einer relevanten Person verwendet werden (z. B. Wert der verkaufen Instrumente, Verkaufsmengen, Festlegungen von Zielen für den Verkauf oder Neukunden, usw.).
  52. 52 Soweit die in § 25a Abs. 5 KWG genannten Kriterien für Kapitalanlagegesellschaften im Sinne des § 17 KAGB oder für bestimmte Wertpapierinstitute nach § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 WpIG keine Anwendung finden, ist Satz 2 insofern nicht einschlägig.

Zusatzinformationen

Anlagen

Englische Übersetzung des Rundschreibens 05/2018 (WA) - Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und weitere Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten - MaComp

MaComp in der Fassung vom 19.04.2018, geändert am 29.04.2020

MaComp in der Fassung vom 19.04.2018, geändert am 24.03.2021

MaComp in der Fassung vom 19.04.2018, geändert am 15.07.2021

MaComp in der Fassung vom 19.04.2018, geändert am 28.03.2022

MaComp in der Fassung vom 19.04.2018, geändert am 30.06.2023

MaComp in der Fassung vom 19.04.2018, geändert am 28.02.2024

MaComp in der Fassung vom 19.04.2018, geändert am 26.09.2024

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