© BaFin/Matthias Sandmann
Erscheinung:26.02.2025 „Proportionalität heißt auch, Unterschiede zu berücksichtigen.“
Rede von Exekutivdirektor Raimund Röseler bei der Veranstaltung „Proportionalität in der Bankenaufsicht und -regulierung“
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch meinerseits: herzlich willkommen bei der BaFin! Ich freue mich sehr, dass Sie alle unserer Einladung zur heutigen Veranstaltung „Proportionalität in der Bankenaufsicht und -regulierung“ gefolgt sind.
Die Plätze waren sehr schnell vergeben und die Bandbreite der Anwesenden ist beeindruckend: Vorstände und Führungskräfte von Sparkassen, Genossenschaftsbanken und privaten Kreditinstituten. Wenn unsere Räumlichkeiten es hergegeben hätten, dann hätten wir auch dreimal so viele Teilnehmer hier begrüßen können. Offenbar haben wir mit dem Thema Proportionalität einen Nerv getroffen. Dieses Thema ist auch für uns wichtig. Dies sehen Sie auch daran, dass heute auch unser Präsident Mark Branson teilnehmen wird, ebenso wie mein Kollege Rupert Schaefer und Nikolas Speer, der zum 1. April meine Nachfolge als Exekutivdirektor Bankenaufsicht antritt.
Das wird heute keine ganz gewöhnliche Vortragsreihe der Aufsicht. Wir erklären Ihnen heute nicht, was wir für richtig und wichtig halten. Heute sollen Ihre Ansichten, Ihre Perspektiven und vor allem Ihre Ideen im Zentrum stehen. Heute soll es um Sie gehen. Dafür haben wir – und damit meine ich vor allem Birgit Höpfner als Leiterin unserer Grundsatzabteilung in der Bankenaufsicht und ihr Team – einiges vorbereitet. Nur wenige Vorträge und Panel-Diskussionen. Der ganze Rest des Tages soll Ihnen, Ihren Vorschlägen, Ihren Vorstellungen und Ihren Perspektiven gehören.
Der deutsche Bankenmarkt ist einzigartig. Insgesamt haben wir 343 Sparkassen und 672 Genossenschaftsbanken, dazu kommen noch Landesbanken und Zentralinstitute. Und natürlich eine Vielzahl von Privatbanken in sehr unterschiedlichen Größen, vom Mittelständler bis hin zum globalen Finanzkonzern.
Ich sage es immer wieder: Diese Struktur des deutschen Bankensektors passt aus meiner Sicht sehr gut zur Struktur der deutschen Wirtschaft, in der kleine und mittlere Unternehmen die tragende Rolle spielen. Ich denke, wir alle sollten dazu beitragen, dass dies auch künftig so bleibt.
Und dies meine ich nicht nur, weil mir kleine und mittlere Banken aus nostalgischen Gründen besonders am Herzen liegen. Nein, ich betone das, weil sie das Rückgrat des deutschen Finanzsektors sind.
Aus europäischen Gremien hören wir ja immer wieder, dass der deutsche Markt zu viele Banken habe und dass die deutschen Banken zu wenig profitabel seien. Wir schauen uns die Profitabilität des Bankenmarktes natürlich auch immer wieder sehr genau an. Und da sehen wir: Gemessen an den Return on Assets waren viele kleine Banken seit der Finanzkrise eigentlich in jedem Jahr profitabler als große Institute. Und das trotz Nachteilen auf der Kostenseite. Allerdings ist der Vorsprung der kleinen Institute in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Und das hat sicher auch etwas – wenn auch nicht ausschließlich – mit Belastungen durch die Regulierung zu tun.
Mit Blick auf meine Amtszeit muss ich sagen, die Regulierung trifft vor allem kleine Banken immer härter. In den letzten 14 Jahren ist die Regulierung deutlich komplexer und deutlich umfangreicher geworden – aber nicht unbedingt besser. Verstehen Sie mich hier nicht falsch: Die BaFin hat einen klaren Auftrag. Wir müssen die Integrität und die Stabilität des Finanzsystems wahren. Es ist uns natürlich wichtig, dass wir wirksame und auch strenge Regeln haben. Ohne solche Regeln können wir einen stabilen und integren Finanzmarkt nicht sicherstellen.
Wenn wir mehr Proportionalität erreichen wollen, müssen wir dies auf zwei Ebenen adressieren: Erstens auf der Ebene des Gesetzgebers, national und, vor allem, in Europa. Und zweitens in unserer Aufsichtspraxis.
Bankenregulierung wird ja vor allem in Europa gemacht. Und gerade in Brüssel ist man in den vergangenen Jahren strikt dem Dogma des Level Playing Fields gefolgt. Das ist verständlich, wenn man Aufsichtsarbitrage verhindern will. Und wenn man verhindern will, dass einzelne Länder eine laxe Regulierung als Wettbewerbsinstrument einsetzen. Aber leider hat der dogmatische Blick auf das Level Playing Field auch dazu beigetragen, dass ungleiche Sachverhalte gleichbehandelt werden.
Proportionalität heißt auch, Unterschiede zu berücksichtigen. Und Proportionalität bedeutet Verhältnismäßigkeit, Angemessenheit. Dass zum Beispiel die Regulierung diejenigen, die sie jeden Tag umsetzen müssen, nicht überfordert. Regeln müssen vor allem wirksam sein. Sie müssen das Ziel, das der Gesetzgeber mit ihnen verfolgt, auch erreichen. Aber dafür müssen Regeln auch verständlich und handhabbar sein.
Der europäische Gesetzgeber sollte dringend darüber nachdenken, wie er die Bankenregulierung für kleinere Institute anpassen kann. Vielleicht brauchen wir dafür ein eigenes, einfacheres Regelwerk für kleinere Institute. Das würde es erlauben, manche Regeln schlicht abzuschaffen. Vergütungsregeln dürften für die allermeisten kleinen Institute schlicht irrelevant sein. Sie verursachen aber dennoch erheblichen Aufwand. Gleiches gilt für Offenlegungspflichten. Diese sind vielleicht relevant für kapitalmarktorientierte Institute, nicht aber für die klassische Retailbank. Mir hat der Vorstand einer durchaus größeren Sparkasse mal erzählt, wie oft die Offenlegungsberichte seines Instituts in einem Jahr angeklickt wurden. Ganze vier Mal! Und davon zweimal von den Mitarbeitenden des Hauses, die die Berichte ins Internet eingestellt haben. Ich denke, uns allen fallen ohne viel Mühe noch weitere Dinge ein, die man in so einem Small Banking Regime schlicht weglassen könnte.
Ein solches Regime sollte dann die Basis der gesamten Regulierung sein. Und jeder Baustein der dann für andere Institute dazu genommen wird, sollte ordentlich begründet werden. Dabei sollten ganz einfache Fragen beantwortet werden: Erstens: Brauchen wir diese Regulierung wirklich? Zweitens: Brauchen wir diese Regulierung in der vorgesehenen Granularität? Und drittens: Brauchen wir diese Regulierung wirklich für alle Institute?
Heute Nachmittag hören wir ja, wie ein solches Regime im Vereinigten Königreich und der Schweiz geschaffen wurde. Vielleicht finden wir hier ja auch Anregungen für Europa.
Für mehr Proportionalität ist aber nicht nur der Gesetzgeber gefordert. Auch wir, die Aufsicht, können dazu beitragen. Das müssen wir, durchaus selbstkritisch, feststellen. In unserer Aufsichtstätigkeit sehen wir es sehr deutlich: Es gibt eine zunehmende Überforderung, vor allem der kleinen Institute. Das liegt sicher an den Regeln, die der europäische oder der nationale Gesetzgeber aufgestellt hat. Hier muss etwas getan werden. Wir sind als Aufsicht dabei gerne eine treibende Kraft. Dass kleine Institute heute vielfach überfordert sind, das liegt aber sicher auch an uns. Bei so manchen Regeln haben wir offenbar schlicht unterschätzt, wie diese von Jahresabschlussprüferinnen und -prüfern, Prüferinnen und Prüfern der Bundesbank, irgendwelchen Beraterinnen und Beratern oder den Banken selbst interpretiert werden können.
Mark Branson und ich haben das immer wieder zu hören bekommen. Wir haben in den vergangenen beiden Jahren ganz bewusst kleine Kreditinstitute in ganz verschiedenen Ecken der Republik besucht. Und wir haben dabei eine ganze Menge gelernt.
Angefangen hat die Reise für mich im Bayerischen Wald bei einer Raiffeisenbank, deren Vorstand auch heute dabei ist. Herr Stahl, schön, dass Sie heute da sind. Dieser erste Besuch war für mich unfassbar interessant, weil er mir aufgezeigt hat, was unsere Regulierung bei den kleinen Instituten so anrichtet – ohne, dass wir dies beabsichtigt hätten.
Nur mal ein Beispiel. Eine kleine Genossenschaftsbank mit 15 Beschäftigten. Diese Bank hat jedes Jahr 13 Stresstests gerechnet. Dabei hätten drei bis fünf vollkommen genügt. Sehr ähnliche Fälle haben wir bei anderen Kreditinstituten gesehen. Uns allen wurde daher sehr schnell klar: Wir müssen hier etwas tun.
Das Ergebnis haben wir in unserer Aufsichtsmitteilung im vergangenen November veröffentlicht. Mit dieser Aufsichtsmitteilung haben wir konkrete Erleichterungen für rund 950 Kreditinstitute eingeführt. Also für rund drei Viertel aller deutschen Institute.
Mit unserer Aufsichtsmitteilung haben wir Erleichterungen eingeführt. Wir haben die Institute aber auch auf bestehende Spielräume hingewiesen, die viele in der Vergangenheit nicht ausgenutzt hatten. In der Tat hatten wir oft so etwas wie eine Tendenz zur Übererfüllung von Regeln und Anforderungen beobachtet. Wegen Unsicherheit. Auf Seiten der Institute. Und auch auf Seiten ihrer Prüferinnen und Prüfer. Denn wo nicht alles detailgenau geregelt ist, da entstehen Interpretationsspielräume. Vielen Instituten und Prüferinnen und Prüfern war es wichtig, im Zweifel auf der sicheren Seite zu sein. Aber in dem sie Regeln übervorsichtig auslegten, haben sie sich eben auch zusätzlichen Aufwand aufgehalst. Aufwand, der oftmals unnötig war.
Ich weiß aus vielen persönlichen Gesprächen mit Ihnen: Diese Erleichterungen und Klarstellungen in unserer Aufsichtsmitteilung gehen in die richtige Richtung. Sie nutzen Ihnen in Ihrem Geschäftsalltag. Aber viele von Ihnen sagen uns auch: Das reicht noch nicht. Und das kann ich nachvollziehen.
Natürlich haben wir viele Ideen und Vorschläge, wie wir Proportionalität in der Bankenaufsicht und -regulierung weiter voranbringen können. Einige Ideen, die wir selber realisieren können, haben wir noch in der Pipeline. Wir werden zum Beispiel den Stresstest einem gründlichen Review unterziehen. Gleiches gilt für die MaRisk. Für weitere Ideen brauchen wir die Mitwirkung des Gesetzgebers. Einige solche Ideen haben wir bereits letztes Jahr an das Bundesfinanzministerium geschickt. Leider konnte nach dem Ampel-Aus nicht alles beschlossen werden.
Wir sind aber auch offen für weitere Ideen. Und hier hoffe ich auf Sie! Daher an dieser Stelle schon einmal die Bitte: bringen Sie sich ein, in den bestehenden Gremien und im direkten Austausch mit der Aufsicht. Und setzen Sie sich heute einmal für einen Tag auf unseren Stuhl und zeigen Sie uns auf: Wo kann Aufsicht bereits heute das Prinzip der Proportionalität noch besser berücksichtigen? Welche Wünsche, welche Anforderungen haben Sie? Darum soll es heute gehen. Um die Perspektive von denjenigen, die jeden Tag mit unseren Regularien arbeiten müssen. Wir werden vielleicht nicht allen Ihren Ideen folgen. Aber ich kann Ihnen versprechen: Wir werden sie ernst nehmen und diskutieren.
Ich wünsche Ihnen einen interessanten und vor allen Dingen auch produktiven Tag. Ich freue mich darauf, mit vielen von Ihnen ins Gespräch zu kommen und von Ihnen zu lernen. Ich bin mir sicher: Zusammen können wir noch einige Verbesserungen und Erleichterungen für die kleineren Kreditinstitute auf den Weg bringen. In diesem Sinne: Lassen Sie uns loslegen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!