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Bild von Exekutivdirektorin Versicherungsaufsicht, Julia Wiens BaFin/Matthias Sandmann

Erscheinung:20.03.2024 | Thema Versicherungen Die deutschen Versicherer sollen weiter stabil bleiben

Rede von Julia Wiens, Exekutivdirektorin Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht, beim GDV Insurance Summit

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich heute hier zu sein - auch wenn von den berühmten 100 Tagen erst 80 rum sind. Sie kennen sicher den Roman von Jules Verne „In 80 Tagen um die Welt“. So weit bin ich in meinen ersten 80 Tagen als Exekutivdirektorin Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der BaFin zwar nicht gekommen. Aber auch ich habe viel Neues entdeckt und vielversprechende Eindrücke gewonnen. Das sind sowohl neue Perspektiven auf altbekannte Themen, aber auch ganz viele neue Themen.

Die Aufsichtsarbeit, die Arbeit in einer Behörde mit vielen neuen Vokabeln, die Zusammenarbeit mit europäischen Institutionen wie der EIOPA – all das ist für mich noch Neuland. Neuland, das ich mir zurzeit mit großer Freude erschließe – mit toller Unterstützung meiner neuen Kolleginnen und Kollegen in Bonn.

Die Versicherungsbranche hingegen ist für mich kein Neuland. Ich habe mein gesamtes Berufsleben in der Branche verbracht und in den vergangenen Jahren in vielen verschiedenen Funktionen gearbeitet. Dabei habe ich fast alle Facetten des Versicherungsgeschäfts kennengelernt. Umso interessanter finde ich jetzt den Perspektivwechsel. Vom Fokus auf ein Unternehmen und seine geschäftlichen Ziele hin zum Blick auf die gesamte Branche und die übergreifenden Herausforderungen.

Dazu kommt, dass die BaFin sich zurzeit selbst rasant weiterentwickelt. Sie soll schneller, mutiger und risikoorientierter werden. Man kann sagen, das wird höchste Zeit. Ich finde es jedenfalls wirklich reizvoll, die Modernisierung der Finanzaufsicht mitgestalten zu können. Meine Aufmerksamkeit gilt natürlich in erster Linie der Versicherungsbranche.

Sie fragen sich sicherlich: Was ist mir als neuer Exekutivdirektorin wichtig? Was habe ich mir für die Versicherungsaufsicht vorgenommen? Mir sind zwei Ziele besonders wichtig. Erstens: Die deutschen Versicherer sollen weiter stabil bleiben. Und zweitens: Kundinnen und Kunden sollen ihren Versicherern auch in Zukunft vertrauen können. Darum geht es. Dafür arbeiten wir in der Aufsicht.

Heute möchte ich zwei Fragen nachgehen. Wo steht die Branche heute? Und: Was sind unsere aktuellen Prioritäten als Aufsicht?

Beginnen wir mit dem Blick auf die Branche. Wie geht es den deutschen Versicherern aus aufsichtlicher Sicht?

Grundsätzlich sind die deutschen Versicherer sehr stabil. Durch den Zinsanstieg haben sich viele wirtschaftliche Kennzahlen wieder verbessert und die Ertragschancen in der Neu- und Wiederanlage sind gestiegen. Auch die Risikotragfähigkeit nach Solvency II ist heute deutlich stärker als vor einigen Jahren. Die Lage hat sich also nach den Jahren der Niedrigzinsen wieder entspannt. Und das ist gut so.

Vor allem und insbesondere gilt das für die Lebensversicherer. Ihre Lage hat sich deutlich verbessert und sie sind gut durch die ersten Jahre des Zinsanstiegs gekommen. Das war nicht unbedingt zu erwarten, denn erstmal hatten sich alle einen langsamen Zinsanstieg gewünscht. Aber, es kommt eben nicht immer so, wie man es gerne hätte. Zudem haben die gestiegenen Zinsen und die höhere Inflation auch neue Risiken und Unwägbarkeiten mit sich gebracht.

Zum Beispiel im Neugeschäft. Wir haben uns angesichts der Zinswende gefragt: Wie werden sich Lebensversicherungspolicen verkaufen, wenn es wieder attraktive Alternativen gibt? Das Neugeschäft gegen Einmalbeitrag ist in den vergangenen beiden Jahren deutlich gesunken. Das war ja auch zu erwarten. Dagegen hat sich das Neugeschäft mit Policen mit laufenden Beiträgen relativ stabil entwickelt.

Auch das Thema Storno hatte uns Sorgen bereitet. Denn vermehrte Stornos hätten zu Liquiditätsengpässen bei den Versicherern führen können. Dann hätten sie vielleicht Wertpapiere verkaufen müssen, deren Kurs durch den Zinsanstieg unter Druck stand. In anderen Worten: Sie hätten stille Lasten realisieren müssen. Bislang können wir hier Entwarnung geben. Das Storno hat sich bisher nicht dauerhaft erhöht.

Aber so ganz entspannt ist die Lage in Sachen Liquidität noch nicht. Denn durch den Zinsanstieg hat sich die ganze Kapitalanlagesituation geändert. Eine sinnvolle Strategie ist, Anlagen in Papiere mit einem höheren Return umzuschichten, damit Sie von der besseren Kapitalanlage Situation auch profitieren. Wenn Sie genug Neuanlagen tätigen können, klappt das. Sonst ist das nicht ganz so einfach. Wegen der stillen Lasten. Und auch, weil viele Lebensversicherer im vergangenen Niedrigzinsumfeld die Struktur ihrer Kapitalanlagen verändert haben. Sie haben auf der Suche nach hohen Renditen zunehmend in illiquide Anlagen investiert. Zum Beispiel in Immobilien, in Private Equity oder in Private Debt.

Unseren Schätzungen zufolge machten Private-Equity- und Private-Debt-Anlagen 2023 rund zehn Prozent der Kapitalanlagen aus. Natürlich unterscheiden sich die spezifischen Werte zwischen den einzelnen Unternehmen. Bei einigen Versicherern lag der Anteil deutlich höher. Stille Lasten und illiquide Anlagen können es jetzt erschweren, Kapital in höher verzinsten Papieren anzulegen. Die dabei anfallenden Verluste muss man sich schließlich erstmal leisten können. Dabei hilft, dass die Zinszusatzreserve nicht mehr aufgebaut werden muss. Hier ergeben sich Spielräume durch die Auflösung.

Hinzu kommt der Wandel in den Produktportfolien vieler Lebensversicherer. Die klassische Lebensversicherung hat an Bedeutung verloren, der Anteil von Risiko- und Fondsprodukten wächst. Damit wachsen die Kapitalanlagebestände des klassischen Sicherungsvermögens vielfach nicht mehr in dem Maße, wie es bisher selbstverständlich war. Teilweise sinken sie sogar. Es gilt also auch, diese Kapitalabflüsse zu managen. Auch dabei können hohe stille Lasten problematisch werden. Kurzum: Als Lebensversicherer brauchen Sie heute ein richtig gutes Asset-Liability-Management.

Damit zu den Schaden- und Unfallversicherern: Für sie ist vor allem die Inflation nach wie vor ein Problem. Denn die Schadeninflation ist weiterhin hoch. Material- und Lohnkosten sind gestiegen und steigen immer noch. Ebenso die Kosten der medizinischen Versorgung, die ja bei Personenschäden relevant sind.

Ich glaube, einige Unternehmen waren überrascht, wie stark und wie nachhaltig die Inflation ausgefallen ist. Manche haben auf das Prinzip Hoffnung gesetzt und viel zu optimistische Annahmen bezüglich der Schadeninflation getroffen. Und zum Prinzip Hoffnung kam in einigen Sparten ein starker Wettbewerbsdruck hinzu. Zum Beispiel in der Kfz-Versicherung.

Umso wichtiger ist es, dass Sie in den Unternehmen jetzt das Richtige tun. Was wir erwarten ist klar: Wir erwarten, dass Sie die Inflation angemessen berücksichtigen. Zum einen bei der Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen unter Solvency II. Und zum anderen mit Blick auf die HGB-Ergebnisse. Es ist selbstverständlich, dass dauerhaft defizitäre Versicherungszweige nicht akzeptabel sind. In diesem Jahr haben einige Unternehmen bereits die Prämien massiv erhöht. Das ist richtig – aber wird das ausreichen? Wir werden hier weiter ganz genau hinsehen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

damit bin ich schon bei meinem zweiten Thema: Unsere Prioritäten als Aufsicht. Was beschäftigt uns? Auf welche Themen schauen wir?

An erster Stelle natürlich auf ein gutes Risikomanagement. Denn die Branche soll weiter stabil bleiben. Dafür müssen die Versicherer die wichtigen Risiken im Griff haben. Vor allem auch die Risiken ihrer Kapitalanlagen.

Aktuell liegt unser Fokus auf den Risiken aus Anlagen in Gewerbeimmobilien. Im dritten Quartal 2023 haben Gewerbeimmobilien acht Prozent der Kapitalanlagen ausgemacht. Die Lage in diesem Markt ist sehr schwierig. Die Preise sinken auf breiter Front. Die Kreditqualität von Gewerbeimmobilienfinanzierungen verschlechtert sich. Damit sinkt auch die Werthaltigkeit der Sicherheiten. Davon sind natürlich auch Sie als Versicherer betroffen. Aber wir sehen auch: Die Bewertungsreserven in den Immobilienportfolios der Versicherer sind noch sehr hoch. Insgesamt schätzen wir das Risiko aus Bewertungsänderungen daher als beherrschbar ein.

Ein weiterer Schwerpunkt ist das Engagement der Versicherer gegenüber der Signa-Gruppe. Dazu gab es auch bereits ausreichende Presse-Resonanz. Derzeit scheint uns selbst bei einem vollständigen Ausfall der Investments weder die Risikotragfähigkeit der Unternehmen noch die dauerhafte Erfüllbarkeit der Verpflichtungen gefährdet. Aber dieser Fall zeigt vor allem eines: Bei Investments, die in der Niedrigzinsphase sinnvoll und nötig waren, um höhere Erträge zu erzielen, können sich nun, etwa, weil sich das wirtschaftliche Umfeld geändert hat, Risiken manifestieren. Auch wenn ein Ausfall verkraftbar scheint: In Einzelfällen könnte es schon zu Auswirkungen bei der Überschussbeteiligung kommen. Wir erwarten, dass Sie darauf ein Auge haben.

Und es interessiert uns, welche Erkenntnisse Sie aus den aktuellen Vorkommnissen um die Signa-Gruppe gezogen haben und ob Sie als Konsequenz Anpassungen im Risikomanagement vorgenommen haben.

Wir werden in Kürze wieder Versicherer zu ihrem Kapitalanlageverhalten befragen. Und dabei werden wir einen besonderen Schwerpunkt auf Anlagen in Gewerbeimmobilien legen.

Und natürlich behalten wir angesichts der schwachen Konjunktur generell die Kreditrisiken im Blick; also auch die Private-Debt-Investitionen der Versicherer. Mir ist mit Blick darauf vor allem eines wichtig: dass Sie in den Unternehmen die Risiken angemessen managen. Das bedeutet, dass Sie die Geschäftsmodelle der Unternehmen verstehen müssen, für die ihre Private-Debt-Fonds Fremdkapital bereitstellen. Wir erwarten, dass Sie sich nicht blind auf die Angaben Ihrer Asset Manager verlassen.

Ein angemessenes Risikomanagement spielt auch beim Thema Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle. Ich weiß aus eigener Erfahrung: Das ist ein großer Schmerzpunkt. Die Regulierung in diesem Bereich ist mittlerweile sehr komplex. An der einen oder anderen Stelle ist der Gesetzgeber über das Ziel hinausgeschossen. Aber dennoch bleibt das Ziel der Regulierung richtig. Nachhaltigkeitsregulierung ist kein Selbstzweck, sondern in einer sich verändernden Welt erforderlich, um das eigene Geschäftsmodell auf künftige Herausforderungen auszurichten. Die Versicherer haben im Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken Fortschritte gemacht.

Dennoch sehen wir noch Verbesserungspotential. Insbesondere bei den unternehmensindividuellen Stresstests und bei der konsistenten Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien in Unternehmensgruppen.

Im Fokus steht natürlich der Klimawandel. Um eines gleich vorwegzunehmen: Wir erwarten von Ihnen in den Unternehmen, dass Sie die mit dem Klimawandel verbundenen Risiken für Ihr Unternehmen im ORSA bewerten. Naturgemäß betrachten Sie damit auch einen langen Zeitraum und ein komplexes Geschehen – und können daher oftmals nur eine qualitative Bewertung vornehmen. Wenn Sie jedoch die Materialität bestimmter Szenarien bewerten wollen, müssen sie auch quantitative und finanzielle Auswirkungen untersuchen.

Ja, die Modelle und die Daten, die ihnen zugrunde liegen, sind noch Work-in-Progress. Wir stehen noch ganz am Anfang. Aber gerade das ist ein Grund, warum sich Versicherer stetig mit dem Thema beschäftigen sollten. Klimabezogene Analysen dürfen nicht wegen ihrer Komplexität beiseitegeschoben werden. Es ist wichtig, dass Sie hier auch einen Anfang machen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wenn wir über Risikomanagement sprechen, kommen wir um den IT-Bereich nicht herum. Hierauf legen wir ein besonderes Augenmerk.

IT-Störungen sind oft hausgemacht. Zum Beispiel wegen unzureichend ausgetesteter Software-Updates oder weil Systeme nicht rechtzeitig aktualisiert wurden. Einige Versicherer müssen hier dringend problembewusster werden. Es kann nicht sein, dass Anwendungen auch langfristig noch auf Programmiersprachen beruhen, mit denen sich heute niemand mehr wirklich auskennt.

Das zentrale Thema ist aber Cyber. Weltweit nehmen die Angriffe auf IT- und Kommunikationssysteme zu. Die Bedrohung ist so hoch wie nie. Hinzu kommt: Die Versicherungsbranche ist ein besonders attraktives Ziel für Cyber-Angriffe. Wegen ihrer hochsensiblen Kundendaten. Und Ihre Kundinnen und Kunden erwarten von Ihnen, dass diese Daten bei ihnen sicher sind.

Hinter den Cyber-Attacken steckt mittlerweile eine regelrechte Industrie – extrem profitabel, sehr gut organisiert und häufig auch vernetzt mit staatlichen Stellen autoritärer Regime. Das macht sie schlagkräftig. Die Frage ist daher eben nicht, ob sich Cyber-Risiken materialisieren, sondern wann.

Wir wollen künftig ein regelmäßiges Cyber-Lagebild des Finanzsektors erstellen. Denn wir wollen ablesen können: Welche Bedrohungen gibt es für die Finanzwirtschaft? Wie verwundbar sind die beaufsichtigten Unternehmen und deren IT-Dienstleister? Und welche Cyber-Angriffe gab es?

Vor allem sind bei diesem Thema aber Sie in den Unternehmen gefordert: Sie müssen ihre IT-Risiken im Griff haben. Auch die Risiken, die durch IT-Auslagerungen entstehen. Auslagerungen machen oft sehr viel Sinn, weil Dienstleister bestimmte Services effizienter und oft auch sicherer anbieten können. In der Versicherungsbranche gibt es aber einige spezialisierte IT-Dienstleister, die für zahlreiche Unternehmen tätig sind. Wenn es bei diesen Dienstleistern zu Störungen kommt, sind gleich mehrere Versicherer betroffen. Umso wichtiger ist auch hier wieder ein effektives Risikomanagement.

Wir als Aufsicht analysieren, welche Aktivitäten und Prozesse die Unternehmen des Finanzsektors auf welche Dienstleister ausgelagert haben. Denn wir wollen einen Überblick über Auslagerungen erhalten. Und wir wollen Verflechtungen und Konzentrationsrisiken erkennen. Dabei hilft uns unsere Auslagerungsdatenbank, die wir seit etwas mehr als einem Jahr befüllen. Rund 2.000 Unternehmen aus dem Finanzsektor haben hier bislang mehr als 20.000 Auslagerungen angezeigt. Unter dem neuen europäischen Regelwerk DORA werden wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern erstmals grenzüberschreitend tätige IT-Dienstleister überwachen können, die einen immer größeren Einfluss auf die Stabilität des Finanzsystems haben.

Und natürlich werden wir weiter die IT in beaufsichtigten Unternehmen prüfen. Ich weiß, dass solche Prüfungen unangenehm sind. Denn unsere Prüferinnen und Prüfer finden eigentlich immer etwas. Und wenn Lücken in der IT-Sicherheit bestehen, dann scheuen wir uns auch nicht, einzugreifen. In einigen Fällen haben wir auch Kapitalaufschläge angeordnet. Dass diese in der Branche unbeliebt sind ist mir klar. Diese Aufschläge sollen das höhere Risiko absichern, das ja besteht, bis die Probleme behoben sind. Wir möchten Sie für dieses Thema sensibilisieren. Und wir erwarten von Ihnen, dass Sie im Sinne der Kundinnen und Kunden investieren.

Natürlich beschäftigen wir uns nicht nur mit etablierten Systemen, sondern auch mit neuen Technologien wie Künstliche Intelligenz und Machine Learning.

Diese Algorithmen-basierten Entscheidungssysteme bieten natürlich viele Vorteile. Sie automatisieren und beschleunigen die Prozesse. Solche Anwendungen können Ihnen helfen, dem Fachkräftemangel zu begegnen und Ihre Kosteneffizienz zu steigern. Im Idealfall treffen die Systeme Entscheidungen auch objektiv und nach definierten Standards.

Als Aufsicht wissen wir natürlich, dass automatisierte Entscheidungssysteme auch Risiken bergen. Algorithmen können bereits bestehende Diskriminierungen aufgreifen, verstärken und ausweiten. Menschliche Vorurteile, Missverständnisse und Voreingenommenheit fließen in Softwaresysteme ein, die in immer höherem Maße unseren Alltag bestimmen. Dieses Thema und die möglichen Folgen für Kundinnen und Kunden beschäftigen uns. Und ich weiß: Auch Sie in den Unternehmen beschäftigen sich damit. Wir werden hierzu sicherlich im Dialog bleiben.

Sehr geehrte Damen und Herren,

was wäre die Rede einer Aufseherin, wenn wir nicht über den Kundennutzen sprächen? Wir möchten, dass Kundinnen und Kunden ihren Versicherern vertrauen können. Vertrauen, dass sie Angebote bekommen, die ihren Bedürfnissen entsprechen, und dass Versicherer ihre Versprechen langfristig einhalten.

Deshalb konzentrieren wir uns auch auf das Thema Kundennutzen. Es ist klar: Wir erwarten, dass Versicherungsprodukte einen angemessenen Nutzen bieten, also den Absicherungsbedürfnissen und Renditeerwartungen der Kundinnen und Kunden entsprechen.

Der eine oder andere von Ihnen mag da einwenden: Versicherer brauchen auskömmliche Tarife. Das sehen wir auch so. Und ja, hier gibt es ein gewisses Spannungsverhältnis gegenüber dem Kundennutzen. Das lässt sich nur auflösen, indem die Unternehmen ihre Kosten im Griff behalten. Doch zurück zum Kundennutzen: In einer perfekten Welt würde das der Markt regeln. Leider zeigt meine bald 30-jährige Erfahrung, dass das eben nicht so funktioniert, wie wir uns das wünschen.

Hier ist also die Aufsicht gefragt. Und genau deshalb richten wir unseren Fokus jetzt noch stärker auf die Frage, ob Versicherer ihre Kundinnen und Kunden auch fair behandeln.

Sie wissen ja: Wir beschäftigen uns schon seit längerem mit dem Kundennutzen von kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten, insbesondere mit fondsgebundenen Rentenversicherungen. Denn diese Produkte haben einen großen Anteil am Neugeschäft der Lebensversicherer. Doch halten sie das, was sie versprechen?

Grundsätzlich nehmen Versicherte mit diesen Produkten an den Renditechancen der Kapitalmärkte teil. Das funktioniert bei den meisten Produkten allerdings nur dann gut, wenn die Kundinnen und Kunden die Versicherungen lange halten. Oft werden sie mit einer Ansparphase von mehr als 30 Jahren verkauft. So lange halten aber bei weitem nicht alle Kundinnen und Kunden durch.

Dass es zu Stornos kommt ist ja auch klar. In einem Zeitraum von 30 Jahren ändert sich die Lebenssituation vieler Menschen sogar mehrfach. Die jährlichen Stornoquoten sind bei Produkten einzelner Anbieter hoch. Gleichzeitig fallen viele Kosten zu Vertragsbeginn an, zum Beispiel die Abschlussprovisionen.

Folglich können die Effektivkosten fondsgebundener Rentenversicherungen für viele Kundinnen und Kunden sehr hoch ausfallen. Und das mindert die Renditechancen der Kapitalanlage erheblich. Wenn es sie nicht ganz zunichtemacht.

Wir haben das Neugeschäft im Jahr 2022 stichprobenartig untersucht. Was uns beunruhigt hat: Berücksichtigt man die Stornoerwartungen der Versicherer, fallen bei manchen Produkten für mehr als die Hälfte der Kundinnen und Kunden so hohe Kosten an, dass sie die jährliche Rendite um fünf und mehr Prozentpunkte senken. Wie sollen die Versicherten von solchen Produkten profitieren? Die Enttäuschung und der Ärger sind damit vorprogrammiert.

Wir als Aufsicht wollen und wir können auch nicht dafür sorgen, dass jeder einzelne Kunde ein Produkt erwirbt, das genau seinen Renditevorstellungen entspricht. Schon gar nicht, wenn er den Vertrag vorzeitig beendet. Aber es muss eines gelten: Die Produkte müssen den Renditeerwartungen eines wesentlichen Anteils der Kundinnen und Kunden des Zielmarkts mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gerecht werden.

Deswegen haben wir im vergangenen Jahr auf diesem Gebiet unseren risikoorientierten Aufsichtsansatz eingeführt. Damit haben wir einige Produktanbieter identifiziert, mit denen wir uns intensiv austauschen. Wir sprechen mit ihnen über die Themen unseres Merkblatts zu wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten, das wir im vergangenen Jahr veröffentlicht haben. Im ersten konkreten Fall wird es jetzt klare Verbesserungen zu Gunsten von neuen und auch bestehenden Kundinnen und Kunden geben.

Für mich ist klar: Beratung muss vergütet werden. Aber genauso klar ist: Ein „Weiter so“ wird es nicht geben. Denn in gewissen Fällen sehen wir deutlich die Übertreibungen zu Lasten der Kundinnen und Kunden. Wir wollen Exzesse beim provisionsgestützten Vertrieb wirksam verhindern.

Sehr geehrte Damen und Herren,

lassen Sie mich nochmal unterstreichen: Die deutschen Versicherer sollen weiter stabil bleiben. Kundinnen und Kunden sollen ihren Versicherern auch in Zukunft vertrauen können. Dafür arbeiten wir als Aufseherinnen und Aufseher. Wir sind überzeugt: Versicherer spielen gerade heute eine wichtige Rolle.

Denn die Welt um uns herum ist heute unsicherer und komplexer als noch vor wenigen Jahren. Aber eine wichtige Rolle spielen, das bedeutet auch: Sie haben Verantwortung. Verantwortung, die Sie ernst nehmen sollten. Durch ein exzellentes Risikomanagement. Und durch einen anständigen Umgang mit Ihren Versicherten.

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