© BaFin/Matthias Sandmann
Erscheinung:22.11.2023 Schwache Unternehmen frühzeitig identifizieren
Keynote von Mark Branson, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), im Rahmen der Eröffnungskonferenz der Euro Finance Week am 13. November 2023 in Frankfurt.
Es gilt das gesprochene Wort!
Lieber Herr Scholz, sehr geehrte Damen und Herren,
Es ist Halbzeit. Vor zwei Jahren habe ich Ihnen hier bei der Euro-Finance-Week unsere ersten strategischen Mittelfristziele vorgestellt. Sie dienen uns für die Jahre 2022 bis 2025 als Richtschnur. Ich hatte erklärt: Exzellenz in den Aufsichtsentscheidungen, klare Ziele und klare Prioritäten und eine moderne Arbeitsweise sind für eine Aufsichtsbehörde unerlässlich.
In den vergangenen zwei Jahren sind wir auf dem Weg dorthin schon ziemlich weit gekommen, und unsere Aufsicht hat sich stark gewandelt.
Es würde zu weit gehen, alle unsere Fortschritte bei unseren zehn Zielen detailliert aufzuzählen. Ich möchte mich daher beispielhaft auf ein Ziel und drei Aspekte unserer Aufsichtspraxis konzentrieren.
Ich meine unser Mittelfristziel Nummer drei: Wir wollen schwache Unternehmen frühzeitig identifizieren. Beispielsweise solche mit problematischen Geschäftsmodellen, lückenhaften Kontrollsystemen oder defizitärer Governance. Und wir ergreifen Korrekturmaßnahmen: unmittelbar und sichtbar. Dazu gehört auch, dass wir nötige Marktaustritte begleiten. Und zwar mit möglichst geringem Schaden, auf der Basis gut vorbereiteter Abwicklungsstrategien.
Um dieses Ziel zu erreichen, mussten wir
- vorausschauender,
- mutiger und
- transparenter werden.
Was bedeutet das konkret?
Ich beginne mit Punkt eins: vorausschauend. Das bedeutet vor allem, dass wir Problem-Unternehmen frühzeitig identifizieren. Viele von ihnen scheinen zunächst gesund. Davon lassen wir uns nicht blenden, wir schauen hinter die Fassade. Nur so identifizieren wir Risiken und dämmen sie ein, bevor sie kritisch werden.
Wie gehen wir dabei vor? Wir bewerten alle unsere Aufsichtsobjekte regelmäßig: qualitativ und quantitativ in allen Geschäftsbereichen. Wir geben unseren beaufsichtigten Unternehmen Risikonoten in verschiedenen Kategorien.
Aber wie können wir überhaupt erkennen, bei wem hinter der Fassade gefährliche Zustände lauern? Hier müssen wir alle möglichen Daten zusammenstellen und interpretieren: Das sind ganz klassisch: Prüfungsergebnisse. Aber auch quantitative Ausreißer, zum Beispiel bei den Zinsrisiken. Hinzu kommen qualitative Informationen. Um ein paar Beispiele zu nennen: fehlende Disziplin beim Meldewesen, Informationen von Hinweisgebern, Medienberichte, Tipps von in- und ausländischen Partnerbehörden, oder einfach: ein ungutes Gefühl.
Das haben wir zum Beispiel dann, wenn das Geschäftsmodell unverständlich ist oder die Profite zum Himmel wachsen. Das ist natürlich keine exakte Wissenschaft. Und wir werden auch nie eine hundertprozentige Trefferquote haben. Aber dennoch: nur so arbeiten wir präventiv.
Ich nehme hier als Beispiel den Bankensektor. Hier haben wir rund zwei Dutzend Institute besonders im Fokus. Darunter sind übrigens nur eine Hand voll Fintechs. Manche behaupten ja, die hätten wir besonders im Visier. Das ist nicht so – sie sind nicht überrepräsentiert, angesichts der inhärenten Risiken von jungen Unternehmen in der Startphase.
Wichtig ist mir: diese Einschätzung ist dynamisch. In den vergangenen zwei Jahren sind weitere Institute dazu gekommen, andere haben wir nicht mehr so im Blick. Warum? Es kann sein, dass sich die Situation normalisiert hat oder keine Verdachtsmomente mehr vorliegen. Es kann aber auch sein, dass Banken den Markt verlassen haben.
Solche Austritte müssen möglich sein. Nur dann ist ein Markt gesund. Unser Job ist es in diesen Fällen, den Schaden für Kundinnen und Kunden und Gläubiger zu minimieren: Wir versuchen, so gut es geht, einen geräuschlosen Marktaustritt zu ermöglichen.
Die vergangenen zwei Jahre waren in diesem Sinne erfolgreiche Jahre: wir haben mehrere wertschonende Abwicklungen begleitet – manche laufen noch – und wir hatten nur eine Insolvenz: eine kleine Bank mit unbezahlbaren Cum-Ex-Altlasten.
Sie war nicht mehr zu retten. Alle Sparerinnen und Sparer mit Einlagen bis zu 100.000 Euro wurden durch die gesetzliche Einlagensicherung entschädigt. Diese Entschädigungskosten sollen aus der Insolvenzmasse gedeckt werden. Der übrige Schaden verbleibt vor allem bei den ausländischen Steuerbehörden, die auf ihren Forderungen teilweise sitzen bleiben.
Ein interessantes Beispiel in diesem Kontext ist die Abwicklung der russischen VTB Bank Europe. Über die Muttergesellschaft dieser Bank wurden sofort nach der russischen Invasion in die Ukraine Sanktionen verhängt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Bank Einlagen von fünf Milliarden Euro, mehrheitlich von deutschen Retailkunden. Wir hätten die Bank im März 2022 in die Insolvenz schicken können – der Schaden für die Einlegerinnen und Einleger und die Sicherungssysteme wäre entsprechend groß gewesen.
Das haben wir nicht gemacht. Stattdessen haben wir die Kontrolle übernommen: wir haben die Bank von der russischen Mutter abgeschottet und ihr Geschäft Schritt für Schritt runtergefahren. Wir sind noch nicht ganz fertig, aber schon jetzt ist sicher: alle privaten Einleger und Einlegerinnen haben ihr Geld ausgezahlt bekommen. Das war eine erfolgreiche Begleitung eines sehr komplexen Falles. Und es gibt noch mehr solche Beispiele.
Unsere Aufsicht ist mutiger geworden
Ich komme zu meinem zweiten Punkt: Unsere Aufsicht ist intensiver und mutiger geworden. Wir handeln. Und wir graben im Zweifel tiefer. Bei Vor-Ort-Prüfungen kann uns unsere eigene Taskforce begleiten. Sie macht vieles sichtbar und nutzt auch forensische Instrumente, um aufzuklären. Ein Beispiel: Wenn wir den Verdacht haben, dass es unerlaubte Absprachen gab, können wir auch unstrukturierte Daten wie E-Mails oder SMS selbst auswerten.
Wir greifen auch ein – mit zielgerichteten und gebündelten Maßnahmen, maßgeschneidert auf die Situation.
Viele Unternehmen reagieren sofort, wenn wir in Gesprächen oder bei Aufsichtsbesuchen auf Defizite hinweisen. Wenn diese gravierend sind, melden wir uns schriftlich. In diesem und dem vergangenen Jahr verschickten wir rund 200 solcher Briefe an Institute. Das wirkt.
Wenn wir aber das Gefühl haben, dass die Unternehmen die Abarbeitung nicht ernst genug nehmen, ordnen wir konkrete Maßnahmen an. Das sind keine Strafen, wir wollen nur, dass die Unternehmen ihre Mängel schneller beseitigen.
Wenn die Führung des Unternehmens Teil des Problems ist, werden wir dort aktiv: In diesem und im vergangenen Jahr haben wir 14 Geschäftsleiter von Instituten verwarnt. Notfalls können wir die Geschäftsleitung austauschen.
Wir sehen, dass die Unternehmen dann viele Probleme zügiger in den Griff bekommen können. Wenn das nicht klappt, können wir Sonderbeauftragte in die Unternehmen schicken oder Zwangsgelder androhen.
Das gilt beispielsweise bei der Geldwäscheprävention. Mehrere Unternehmen hatten oder haben hier gravierende Defizite. Wir haben deswegen Sonderbeauftragte in sechs Unternehmen entsandt.
Sind die kollektiven Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher gefährdet, greifen wir ebenfalls ein. Wir haben nun zum ersten Mal einen Sonderbeauftragten für Verbraucherschutz entsandt.
Als Ultima ratio können wir in die Geschäfte eines Instituts eingreifen, beispielsweise durch die Begrenzung der Kreditvergabe oder des Wachstums. Oder indem wir Verbote aussprechen: für Ausschüttungen oder die Bedienung gewisser Kundensegmente. Solche Maßnahmen haben wir seit Anfang 2022 bei 14 Instituten verhängt. Ich möchte klarstellen: Wir gehen ungern soweit. Wir machen es nur, wenn es für uns keine Alternativen mehr gibt.
Transparenz
Ich komme zu meinem dritten und letzten Punkt: Transparenz. Wir müssen als Behörde klar und verständlich kommunizieren. Deswegen veröffentlichen wir nicht nur mehr Aufsichtsmaßnahmen, sondern erklären auch, was und warum wir etwas tun.
Allein im Oktober haben wir ein dutzend Maßnahmen veröffentlicht. In den vergangenen zwei Jahren waren es rund 280. Nicht alle waren von sehr großer Reichweite. Aber sie waren alle wichtig, um Mängel zu beseitigen.
Früher waren unsere Meldungen eher knapp, wenig verständlich und oft anonymisiert. Das haben wir geändert.
Transparenz ist kein Selbstzweck. Je stärker wir unsere Aufsichtstätigkeit öffentlich machen, desto intensiver wirkt sie: auf die betroffenen Unternehmen, aber auch präventiv auf alle übrigen Beaufsichtigten.
Damit meine ich nicht naming and shaming. Sondern, dass wir klar unsere Erwartungen kommunizieren und unsere Reaktionen transparenter machen. Das wirkt auch präventiv. Und ist meines Erachtens wirksamer als Geldstrafen.
Und wir nutzen unsere Meldungen, um noch stärker und früher Verbraucherinnen und Verbraucher zu warnen. In diesem Jahr haben wir etwa 250 Meldungen über unerlaubte Geschäfte veröffentlicht. Dabei ging es oft um betrügerische Angebote. In vielen Fällen konnten wir durch unsere Warnmeldungen Verbraucherinnen und Verbraucher davor schützen, ihr Geld an illegale Plattformen zu geben.
Fest steht: Transparenz ist für uns ein sehr wirksames Instrument.
Ich fasse zusammen: Wir sind in den vergangenen zwei Jahren vorausschauender, mutiger und transparenter geworden. Und damit wirksamer. Allerdings wissen wir nicht, was wir alles verhindern konnten – Prävention ist kaum messbar. Aber die großen Unfälle sind in den vergangenen zwei Jahren bei unseren Beaufsichtigten zum Glück ausgeblieben.
Sind wir hier schon am Ziel? Sicher nicht. Werden wir alle Probleme verhindern? Auch nicht – wir können und wollen keine Vollkaskoaufsicht bieten. Wir haben uns aber für die kommenden Jahre noch viel vorgenommen. Der größte Feind einer Aufsichtsbehörde ist Selbstgefälligkeit.