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Porträtaufnahme von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht. © Bernd Roselieb

Erscheinung:06.07.2023 „Aktuelle Fragen zur Versicherungsaufsicht – Maßnahmen und Perspektiven der BaFin“

Rede von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), bei der GDV-Konferenz Versicherungsregulierung am 4. Juli 2023.

Es gilt das gesprochene Wort!

Vielen Dank für die Einladung, in meiner Amtszeit habe ich bislang an jeder GDV Regulierungs-Konferenz teilgenommen.

Sehr geehrter Herr Rollinger, sehr geehrter Herr Asmussen, Ihre Regulierungs-Konferenz steht unter dem Leitmotiv „Transformation beschleunigen“. Sie haben mich deshalb gebeten, über die Lage der Versicherer und künftige Herausforderungen zu sprechen und weniger über Regulierung.

Dazu fällt mir eine Menge ein. Verlieren wir also keine Zeit und steigen direkt mit einem für die Aufsicht besonders wichtigen Thema ein: der wirtschaftlichen Lage der Versicherer. Aus meiner Perspektive, der Perspektive der Aufsicht, kann ich ganz klar sagen: Die Branche ist robust – und das trotz der aktuellen geopolitischen und ökonomischen Herausforderungen.

Durch den Zinsanstieg haben sich die wirtschaftlichen Kennzahlen der Versicherer weiter verbessert. Insbesondere bei Lebensversicherern und Pensionskassen. Ihre Ertragschancen in der Neu- und Wiederanlage sind gestiegen, was auch für die Kundinnen und Kunden eine gute Nachricht ist, denn ihnen kommen die höheren Kapitalerträge zugute.

Und in der Solvency II-Welt sehen wir noch einen weiteren positiven Effekt: Die Solvenzquoten sind durch die höheren Zinsen gestiegen. Bis auf eine Ausnahme haben wir aktuell kein deutsches Lebensversicherungsunternehmen mehr, das die Übergangsmaßnahmen unter Solvency II nutzen muss.

Die gestiegenen Zinsen und die Inflation bringen allgemein für Versicherer aber auch Risiken mit sich. Die Kehrseite der Medaille sind die stillen Lasten in den Handelsbilanzen. Ich sehe darin derzeit aber weder für Lebensversicherer noch für Pensionskassen ein großes Problem.

Der Großteil dieser Lasten ist auf festverzinsliche Anlagen zurückzuführen. Entstehen diese Lasten, weil sich die Bonität des Emittenten spürbar verschlechtert hat, sind sie natürlich abzuschreiben.

Die aktuellen Lasten in den Büchern der Versicherer sind aber überwiegend auf die gestiegenen Zinsen zurückzuführen. In der Regel halten die Unternehmen ihre Anlagen bis zur Endfälligkeit. Die stillen Lasten gleichen sich dadurch über die Laufzeit aus und müssen damit nicht realisiert werden. Ergebniswirksam werden sie nur, wenn die Versicherer die Kapitalanlangen verkaufen und stille Lasten damit realisieren.

Unsere Quartalsanalysen zur wirtschaftlichen Situation der Lebensversicherer zeigen, dass die Unternehmen bislang noch keine stillen Lasten realisieren mussten, um Liquiditätsengpässe zu überbrücken.

Aber aufgrund des rückläufigen Neugeschäft vor allem gegen Einmalbeiträge und einem teils erhöhten Storno kann es zu ungeplantem Liquiditätsbedarf führen bei Lebensversicherern, die ihre Liquidität nicht gut im Griff haben. Denn dann müssen sie gegebenenfalls Wertpapiere verkaufen, deren Kurse durch die Zinswende unter Druck stehen.

Ein gutes Liquiditätsmanagement ist deshalb für die Versicherungsunternehmen und im Besonderen für die Lebensversicherer so wichtig!

Wenn auch Storno für die Pensionskassen deutlich weniger Relevanz hat, hilft ihnen der Zinsanstieg nicht so sehr, wie den Lebensversicherern. Sie haben zwar im Neugeschäft die Garantien abgesenkt, haben aber im Bestand besonders langlaufendes Geschäft, das mit relativ hohen Garantien versehen ist.

Viele Pensionskassen müssen keine Zinszusatzreserve bilden. Zwar haben auch viele Kassen in der Niedrigzinsumgebung große Anstrengungen unternommen, den Rechnungszins abzusenken. Es gibt aber immer noch Pensionskassen, bei denen der Rechnungszins höher ist, als die derzeitige Rendite sicherer festverzinslicher Anlagen.

Der Zinsanstieg ist das eine. Was die Versicherer ebenfalls zu spüren bekommen, ist die Inflation. Die Kosten der Versicherer werden steigen, also die Löhne und die allgemeinen Verwaltungskosten.

Bei den Sachversicherern schlägt die Inflation ganz besonders zu, denn die Schäden werden teurer.

Die uns vorliegenden Daten für das Jahr 2022 zeigen: Die Schadenreserven in einzelnen Sparten sind gestiegen. Vor allem bei den KFZ-Versicherungen.

Aus den Daten zum ersten Quartal 2023 ergibt sich: In der gesamten Schaden- / Unfallversicherung sind die Beiträge im Vergleich zum 1. Quartal des Vorjahrs um sechs Prozent gestiegen. Die Steigerung der Beiträge fällt doppelt so hoch aus, wie der Zuwachs an Risiken. Die Unternehmen haben also das Prämienniveau erhöhen können.

Ob das reicht, um die Inflation auszugleichen wird sich noch zeigen. Ich bin gespannt auf die Daten im nächsten Quartal.

Auch wenn der Umgang mit der Schadeninflation für Schaden- und Unfallversicherer nicht neu ist, die derzeitige Inflation ist für die Branche doch von neuer Qualität.

Und Sie wissen so gut wie ich, dass die Schadeninflation deutlich oberhalb der allgemeinen monetären Inflation liegen kann.

Versicherer sollten sich also bis auf Weiteres auf höhere Inflationsraten einstellen – und dabei vor allem eines beachten: Die mit einer dauerhaft erhöhten Inflation verbundenen Risiken werden in der Standardformel unter Solvency II nicht explizit abgebildet.

Also müssen sie sich mit ihren individuellen Inflationsrisiken auseinandersetzen, und zwar im ORSA. Vor allem sollten sie dabei die Risiken einer längerfristig erhöhten Inflation in den Blick nehmen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

der GDV hat mich gebeten, auch etwas zur Retail-Strategie der EU-Kommission zu sagen.

Wie sie wissen, war ich immer skeptisch gegenüber einem absoluten Provisionsverbot – trotz aller Schwierigkeiten, die wir in Einzelfällen mit Provisionsexzessen haben.

Denn: Altersvorsorge benötigt Beratung, die wiederum anständig bezahlt werden muss – ansonsten kommt es hier zu Defiziten.

Der BaFin ist wichtig, dass alle Verbraucherinnen und Verbraucher Zugang zu bezahlbarer und fairer Beratung haben. Denn längst nicht für jeden Verbraucher sind alternative Angebote in Form der Honorarberatung geeignet.

Vor kurzem haben wir deshalb unser Merkblatt zu wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten veröffentlicht.

Derzeit widmen wir uns den Fällen, die uns aufgrund hoher Kostenbelastungen aufgefallen sind, denn wir wollen Kosten- und Provisionsexzesse verhindern.

Der Entscheidung der EU-Kommission, auf ein Provisionsverbot zu verzichten und im Gegenzug die Anforderungen an die Beratung im Interesse der Kundinnen und Kunden zu steigern, bestärkt uns in diesem Ansatz.

Gut beraten und exzessive Kosten vermeiden – darin liegt für die Branche der Schlüssel zu einem fairen und angemessenen Umgang mit ihren Kundinnen und Kunden

Die BaFin wird die Branche eng auf diesem Weg begleiten.

Künftige Herausforderungen

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Lage der Versicherer ist – wie ich gezeigt habe – robust. Das ist der Status Quo. Wie sieht es in Zukunft aus? Ist die Branche hierauf gut vorbereitet?

Neben den allgemeinen ökonomischen und geopolitischen Risiken bringen auch viele gesellschaftliche Umbrüche Unwägbarkeiten mit sich.

Bekanntlich hat Herr Asmussen mir heute recht wenig Zeit gegeben. Ich werde mich deshalb auf zwei Themen beschränken: die Nachhaltigkeit und die Digitalisierung.

Digitalisierung

Stichwort „Digitalisierung“: Immer mehr Prozesse finden digital statt. Soweit, so bekannt. Versicherungsunternehmen müssen sich überlegen, wie sie den technologischen Fortschritt für sich nutzen wollen. Für den Umbau ihrer Geschäftsmodelle zum Beispiel. Es geht aber auch um die Nutzung von Clouddiensten und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz.

Uns interessiert, ob die Unternehmen auch die notwendigen Mittel haben, die für den Umbau der Geschäftsmodelle notwendig sind. Und auch: ob Sie die Chancen und Risiken, die sich durch den Einsatz von KI ergeben, richtig adressieren.

Ganz besonders interessiert uns: das IT- und Cyber-Risiko. Versicherer sind ja ein beliebtes Ziel von Cyberattacken.

Es geht hier nicht nur um Cyberattacken. Unsere Daten zeigen, dass der größte Anteil aller IT-Vorfälle hausgemacht ist. Das Schadenspotenzial ist auch hier groß.

Die Anfälligkeit der IT-Systeme steigt natürlich auch durch Auslagerungen an IT-Dienstleister.

Was die Aufsicht von den Versicherern in puncto IT-Sicherheit verlangt, hat sie in ihren Versicherungsaufsichtlichen Anforderungen an die IT (VAIT) festgehalten – im Übrigen eine gute Übung für die kommenden Vorgaben durch DORA.

Wir haben in unseren Prüfungen beispielsweise festgestellt, dass es Versicherer gibt, bei denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die Einstellungen am Rechner sämtliche Sicherheitsvorschriften aushebeln konnten. Viele IT-Dienstleister wurden zudem keiner Risikoanalyse unterzogen. Zum Beispiel IT-Dienstleister, die Penetrationstests durchführen, also Hackerangriffe simulieren. Sie erhielten bei ihren Tests Zugriff auf sehr sensible Daten der jeweiligen Unternehmen und kannten deren Schwachstellen. Trotzdem wurden sie nicht vorab auf ihre Zuverlässigkeit analysiert.

Bei Versicherungsunternehmen, die schließlich hochsensible personenbezogene Daten verwalten, können wir solche Risiken nicht hinnehmen. Hier ist also noch einiges zu tun, um Versicherungsunternehmen grundsätzlich resilienter gegen IT-Risiken zu machen.

Wenn wir schwerwiegende Mängel in der IT- bzw. Cybersicherheit feststellen, verhängen wir auch Kapitalaufschläge. Das kann jedes Unternehmen treffen – und ist übrigens daher auch kein geeignetes Wettbewerbsthema.

Diese Kapitalaufschläge werden oft als Sanktion missverstanden. Das ist nicht richtig. Es handelt sich um temporäre Maßnahmen, die in die Zukunft wirken sollen. Wir wollen damit nicht bestrafen, wir wollen erreichen, dass die Unternehmen eine angemessene Kapitalausstattung haben, damit sie ihrer Risiken abdecken können.

Nachhaltigkeit / Zuordnungsansatz

Meine Damen und Herren,

kommen wir zum Thema Nachhaltigkeit.

Als Finanzaufsichtsbehörde haben wir nicht die Aufgabe, die Umwelt zu schützen. Wir sind zuständig für die Risiken, die für Versicherer aus dem Klimawandel und generell aus dem Thema Nachhaltigkeit resultieren. Nachhaltigkeitsrisiken finden sich bei Versicherern auf beiden Seiten der Bilanz, sowohl die physischen als auch die Transitionsrisiken. Die Unternehmen müssen sich intensiv damit auseinandersetzten, was ein Temperaturanstieg für sie und ihr Geschäftsmodell bedeutet.

Ich habe manchmal die Sorge, dass die Erwartungen der Politik sowie der Verbraucherinnen und Verbraucher hier schneller steigen, als die Versicherer sie erfüllen können.

Als Aufsicht ist es uns wichtig, dass die Unternehmen die regulatorischen Anforderungen erfüllen. Ein wichtiger Punkt ist dabei die Transparenz. Dafür sorgt insbesondere die EU-Offenlegungsverordnung.

Leider berücksichtigt die EU-Offenlegungsverordnung nicht die Besonderheiten der in Deutschland verbreiteten klassischen Lebens- und Rentenversicherungen: Hier fließen die Beiträge der Versicherten für verschiedene Produkte in eine gemeinsame Kapitalanlage, die zum großen Teil dem sogenannten Sicherungsvermögen zugeordnet wird. Endsprechendes gilt für den nicht-fondsgebundenen Vertragsteil von Hybridprodukten.

Warum berücksichtigt die EU-Offenlegungsverordnung diese Besonderheiten nicht? Weil sie davon ausgeht, dass dem einzelnen Produkt stets konkrete Kapitalanlagen zugewiesen sind. Auf diese konkreten Kapitalanlagen beziehen sich dann die produktbezogenen Transparenzvorgaben. Eine solche Zuweisung gibt es für nicht-fondsgebundene Produkte bzw. Produktbestandteile im Sicherungsvermögen nicht. Damit bezöge sich jede Transparenzangabe zu einem einzelnen Produkt auf das gesamte Sicherungsvermögen. Die Nachhaltigkeitsquoten fielen daher gering aus, sofern nicht das gesamte Sicherungsvermögen nachhaltig umgeschichtet wird. Es ergäbe sich ein schiefes Bild.

Deshalb haben wir als Option für den Versicherer den Zuordnungsansatz entwickelt und ein entsprechendes Merkblatt konsultiert. Auch bei bestehendem kollektiven Ausgleich von Investitionsrisiken ermöglicht der Zuordnungsansatz die gedankliche Zuordnung von nachhaltigen Anlagen zu einzelnen Produkten mit Nachhaltigkeitsmerkmalen. Diese gedankliche Zuordnung erfolgt ausschließlich für die Transparenzangaben. Technisch erfolgt die gedankliche Zuordnung der Kapitalanlagen, die die Nachhaltigkeitsmerkmale erfüllen, durch deren Markierung.

Der Vorteil für Versicherer und Verbraucher ist, dass auch „klassische Lebensversicherungsprodukte“ mit Nachhaltigkeitsfokus angeboten werden können. Analog verhält es sich für alle nicht-fondsgebundenen Vertragsbestandteile.

Verbraucherinnen und Verbraucher können erkennen, wohin das Kapital eines klassischen Gesamtproduktes mit Nachhaltigkeitsmerkmalen fließt. Und darum geht es ja, dass Kapital mehr und mehr in Nahhaltige Investments fließt.

Es ist aber auch wichtig, dass sie dabei keine falsche Vorstellung von den Folgen des Zuordnungsansatzes haben. Dieser findet gerade keine Anwendung auf die Methodik der Überschussbeteiligung. Daher müssen Versicherer, die den Zuordnungsansatz anwenden, ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Kunden auch an der Rendite von Vermögenswerten partizipieren, welche gegebenenfalls nicht ihrem gewünschten Nachhaltigkeitsniveau entsprechen.

Schluss

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich denke, in den vergangenen 15 Minuten habe ich einige Themen anreisen können, bei denen die Versicherer nicht um eine Transformation herumkommen, wenn sie sich für die Zukunft gut aufstellen wollen.

Jede Transformation erfordert unternehmerisches Handeln. Wie jedes unternehmerische Handeln ist das mit Chancen und Risiken verbunden.

Die BaFin wird die Branche auch weiterhin eng dabei begleiten. Wir werden auch bei unserer Branchenveranstaltung am 31. August darüber sprechen.

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