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Portraiture of Raimund Röseler, Chief Executive Director of Banking Supervision © Bernd Roselieb

Erscheinung:22.06.2023 „Ein Drahtseilakt: Warum Aufsicht mit Augenmaß gerade jetzt wichtig ist“

Rede von Raimund Röseler, Exekutivdirektor Bankenaufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), im Rahmen einer Veranstaltung der Deutschen Kreditwirtschaft (DK) am 21. Juni 2023 in Frankfurt am Main

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren, die Lage ist stabil, aber fragil. Vor noch gar nicht so langer Zeit hatte ich ja noch gewarnt, dass die Voraussetzungen für einen perfekten Sturm gegeben sind. Ich freue mich, dass ich nicht recht hatte. Bisher.

Wie schnell sich die Situation ändern kann, haben wir aber noch in diesem Frühjahr gesehen. Die Schieflage einzelner Banken – ausgelöst durch mehr oder weniger krasses Managementversagen – führte dazu, dass man sich einer Vertrauenskrise für den gesamten Finanzmarkt näherte.

Und nicht überraschend: Sehr schnell wurde die Krise dieser Banken von manchen meiner Mitspielerinnen und Mitspieler in Europa als Argument gegen mehr Proportionalität verwendet. Schließlich galten für die betroffenen US-Banken ja nicht die vollen Regeln von Basel III. Dass diese Banken unter europäischen Maßstäben echte Großbanken waren, das wurde bewusst vernachlässigt.

Ich meine: Es ist nach wie vor wichtig, dass wir risikoorientiert und proportional unterwegs sind. Wichtig ist aber auch, dass wir bei allen Banken relevante Risiken frühzeitig erkennen und auch aufsichtlich adressieren.

Zwei der aktuell relevanten Risiken greife ich heute heraus: die Zinsänderungsrisiken und die Gewerbekreditrisiken.

1. Zinswende/Zinsänderungsrisiken

In den USA konnten wir sehen, was passiert, wenn Banken ihre Risiken nicht im Griff haben; in diesem Fall das Risiko einer abrupten Zinswende. Die Folge: eine schwere Vertrauenskrise und – da Vertrauen die Basis für ein stabiles Finanzsystem ist – eine Finanzstabilitätskrise.

Dabei sind Zinsänderungsrisiken kein neues oder überraschendes Thema – weder für Sie, sehr geehrte Damen und Herren, noch für uns. Aber offenbar hat die Zinsentwicklung in den vergangenen zehn Jahren bei so manchem Institut dazu geführt, dass dieses Risiko ein wenig aus dem Blick geraten ist. Die Institute mit einem wirksamen Risikomanagement hatten und haben ihre Zinsänderungsrisiken allerdings im Griff. Einige profitieren bereits von den steigenden Zinsen.

Doch Hochmut kommt vor dem Fall. Das Beispiel USA zeigt vor allem: Wir tun sehr gut daran, die negativen Effekte der Zinswende im Blick zu behalten. In den USA haben wir wieder einmal gesehen, wie schnell und unerwartet sich das Verhalten der Kundinnen und Kunden ändern kann. Das Risiko, dass sie ihre Einlagen sehr schnell und in großem Umfang abziehen, ist durch die Digitalisierung der vergangenen Jahre deutlich größer geworden. Und Innovationen wie Instant Payments werden diese Entwicklung eher noch verstärken.

Jede Bank muss sich daher fragen, ob die Annahmen über das Kundenverhalten, die ihren Liquiditätsrisikomodellen zugrunde liegen, wirklich noch der Realität entsprechen.

Genauso wie wir uns fragen müssen, ob unsere Annahmen bei der Berechnung der aufsichtlichen Liquiditätskennziffern noch stimmen. In den USA haben wir gesehen, was passieren kann, wenn dies nicht der Fall ist. Dann werden aus vermeintlichen Buchverlusten von zinstragenden Aktiva durch Notverkäufe sehr schnell reale Verluste.

Damit sind wir bei einer weiteren Folge des Zinsanstiegs: den Wertberichtigungen. In 2022 verzeichneten die kleineren Institute knapp 13 Mrd. Euro an Wertberichtigungen – nicht mal ein halbes Prozent ihrer aggregierten Bilanzsumme. Diese Summe wirft also niemanden so richtig aus der Bahn.

Aber generell sind Bewertungsreserven und andere stille Bilanzreserven durch die Zinsanstiege 2022 mehr oder weniger aufgebraucht. Zeitgleich haben die Institute – wie schon erwähnt – stille Lasten aufgebaut. Die erste Verteidigungslinie gegen weitere Zinsanstiege ist damit weg.

Sehr herausfordernd kann die Situation für die Banken mit wenig Überschusskapital werden. Wir haben diese Institute sehr genau im Blick.

Wir hatten die LSIs im Winter 2022/2023 gefragt, ob sie Drohverlustrückstellungen für nötig halten und wenn ja, in welcher Höhe. Bemerkenswert: Obwohl die Zinssteigerungen nahezu alle kleineren Institute mehr oder weniger negativ getroffen haben, hielt nur eine mittlere zweistellige Zahl dies für nötig. Und ebenfalls bemerkenswert: Unter diesen Instituten war kein Institut, welches durch eine solche Rückstellung in Probleme gekommen wäre. Das weckt schon den Eindruck von Bilanzierung nach Kassenlage. Sie können sicher sein: Alle Institute, bei denen wir tiefergehende Zweifel haben, werden wir uns schon sehr genau anschauen.

Eine Frage, die wir uns in diesen Zeiten erst recht stellen: Passt die Regulierung? Es gäbe ein paar Stellschrauben, an denen man drehen könnte:

  • Die Zinsänderungsrisiken könnten zum Beispiel künftig in Säule 1 – und damit quasi automatisch – berücksichtigt werden.
  • Wie sieht es mit den Liquiditätsregeln aus: Sind die noch zeitgemäß? Immerhin haben wir gesehen, dass ungesicherte Einlagen nicht so stabil sind wie gedacht. Bei der Liquidity Coverage Ratio (LCR) betrifft das vor allem die Abflussraten für Unternehmen und großvolumige Einlagen der vermögenderen Kundschaft. Nicht zu vergessen die stabilen Privatkundeneinlagen. Die können plötzlich viel schneller weg sein als gedacht, wie wir gesehen haben.

Natürlich ist diese Diskussion jetzt auch auf internationaler Ebene gestartet.

2. Gewerbekredite

Sehr geehrte Damen und Herren, im Gegensatz zu den Zinsrisiken ist das Risiko, dass im großen Stil Gewerbekredite ausfallen, noch nicht schlagend geworden. Im Gegenteil: Man hatte lange den Eindruck, die deutsche Wirtschaft sei immun gegen Kreditausfälle, selbst in der Corona-Pandemie.

Warum besorgt mich das Thema trotzdem?

Eigentlich liegen schon alle Zutaten für eine Krise auf dem Tisch: höhere Finanzierungskosten, eine hohe Inflation, der Rückgang des Konsumverhaltens der Haushalte und eine drohende Rezession. Hinzu kommt eine Risikovorsorge der Banken auf extrem niedrigen Niveau. Das könnte schnell zu einem explosiven Süppchen werden.

Sehr geehrte Damen und Herren, es ist ziemlich offensichtlich: Auch in Deutschland könnten einzelne Institute erhebliche Probleme bekommen – vor allem diejenigen mit wenig Kapital und hohen Risiken in ihren Kreditbüchern. Wir begleiten diese Institute eng.

Vor allem prüfen wir in diesem Jahr – und bestimmt auch noch im nächsten Jahr – verstärkt das gewerbliche Kreditgeschäft mit Nichtbanken. Neben den Unternehmenskrediten an den deutschen Mittelstand schauen wir uns insbesondere die Gewerbeimmobilienkredite an.

In Schweden sehen wir gerade schon, wie schnell es manchmal gehen kann. Wegen des boomenden Immobilienmarkts und der niedrigen Zinsen wurden dort riesige Portfolios aufgebaut. Jetzt steigen die Finanzierungskosten, die Bewertungen sinken, viele Refinanzierungen werden bald fällig.

In Deutschland sehen wir bisher keine flächendeckenden Ausfälle oder auch Wertberichtigungen von gewerblichen Immobilienfinanzierungen. Dies liegt sicher auch daran, dass die Finanzierungstrukturen bei uns anders sind als in Skandinavien oder den USA. Aber auch bei uns sehen wir einige Institute, die recht aggressiv am Markt unterwegs sind. Institute, die sich in Regionen oder Geschäftsfelder vorwagen, bei denen sie doch nur eine eingeschränkte Marktkenntnis haben. Sie können sicher sein:

Diese Institute schauen wir uns sehr genau an. Und dafür brauchen wir keine neue Regulierung, sondern nur eine konsequente Anwendung des vorhandenen Instrumentariums.

3. Fazit

Und damit komme ich zum Schluss.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Tatsache, dass die Ereignisse der vergangenen Monate nicht die Finanzstabilität insgesamt beeinträchtigt haben, kommt nicht von ungefähr. Sondern sie ist auch eine Folge der Regulierung nach der Finanzkrise: Sie hat die einzelnen Akteure und damit das gesamte System widerstandsfähiger gemacht.

Wir haben also offensichtlich einige richtige Schlüsse aus früheren Krisen gezogen. Aber dieser Prozess ist nicht abgeschlossen.

Ein aktuelles Thema für die Weiterentwicklung der Regulierung ist der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Überarbeitung der Regelungen zur Abwicklung von Instituten und zur Einlagensicherung. Ich möchte an dieser Stelle gar nicht im Detail darauf eingehen. Nur ganz kurz: Auch wir halten es für richtig, dass man darüber nachdenkt, ob man den Kreis der Banken die für eine Abwicklung infrage kommen, moderat ausweiten sollte. Nicht zielführend wäre es aber aus meiner Sicht, die Flexibilität der Instituts- und Einlagensicherungssysteme für Stützungsmaßnahmen unnötig einzuschränken. Immerhin haben die deutschen Sicherungssysteme einen durchaus guten Track-Record. Das hierdurch aufgebaute Vertrauen sollte man nicht durch unnötige Restriktionen gefährden.

Der Drahtseilakt zwischen wirksamer, aber angemessener Regulierung und Aufsicht wird uns – und Sie – also auch in Zukunft begleiten.

Vielen Dank – ich freue mich auf ein gutes Gespräch im Anschluss!

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