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Porträtaufnahme von Mark Branson, Präsident der BaFin. © BaFin/Matthias Sandmann

Erscheinung:14.11.2022 Eröffnungskonferenz der EuroFinance-Week

Keynote von Mark Branson, Präsident Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), im Rahmen der Eröffnungskonferenz der EuroFinance-Week am 14. November 2022 in Frankfurt

Es gilt das gesprochene Wort!

Lieber Herr Scholz,

sehr geehrte Damen und Herren,

„Es ist erstaunlich, an welch schwachen und unbekannten Fäden manchmal die Schicksäle der Völker und das Leben der Menschen hängen.“ So Alexandre Dumas in 1844.

Zwei Jahrhunderte später werden wir alle, vielleicht zu unserer Überraschung, immer wieder an dieser Weisheit erinnert.

Als Finanzmarktaufsicht ist es unsere Aufgabe, zu schauen, dass die Finanzstabilität an modernen, starken Seilen hängt, mehrfach getestet und fest gesichert. Hundertprozentige Sicherheit gibt es aber trotzdem nicht. Unfälle können passieren – dann aber hoffentlich, ohne das ganze System mit in den Abgrund zu reißen.

Wo stehen die deutschen Banken aktuell?

Aus meiner Sicht befindet sich die Finanzindustrie nicht in der schwierigsten Phase der vergangenen Jahre oder Jahrzehnte – auch, weil die Kreditinstitute vergleichsweise resilient in diese Phase gegangen sind. Davon profitieren sie nun.

Mit Sicherheit befinden wir uns aber in einer der komplexesten Phasen. Vieles hat sich schnell und gleichzeitig geändert. Die meisten von uns haben in ihrem Berufsleben keine hartnäckige Inflation in ihrem Heimmarkt erlebt. Die wenigsten von uns hätten mit einem Krieg einer Atommacht und Energieknappheit in Europa gerechnet.

Die BaFin bewertet laufend die aktuelle Risikolage. Angesichts der Vielfalt der Herausforderungen konzentriere ich mich heute auf die Risiken, die sich in letzter Zeit besonders dynamisch verändern.

Zinswende, Kreditrisiken, Inflation: Nicht umsonst sprechen wir heute von einer Zeitenwende. Wir haben immer gewusst, dass die Niedrigzinsphase irgendwann würde enden müssen; wir haben auch gewusst, dass der Ausstieg turbulent werden würde. Jetzt sind wir so weit. Immerhin: Die Finanzbranche steht bis jetzt nicht im Zentrum der Turbulenzen. Aber fast alle Kunden der Finanzbranche sind von den Turbulenzen betroffen – teilweise hart.

Die Zeichen stehen allerdings nicht nur auf Sturm. Hier und da gibt es sogar Rückenwind. Der Zinsanstieg insgesamt beispielsweise tut dem Bankensektor grundsätzlich gut. Wie gut, haben im Sommer die zum Teil fulminanten Halbjahresabschlüsse europäischer Großbanken gezeigt. Die Rentabilität dieser Institute lag im zweiten Quartal 2022 deutlich über der des ersten Quartals – und sie übertrifft selbst die Werte, die zuletzt vor der Covid-19-Pandemie erzielt wurden.

Der abrupte und starke Zinsanstieg bedeutet jedoch für viele kleinere Institute unter BaFin-Aufsicht kurzfristige Bewertungsverluste. Wir haben in verschiedenen Szenarioanalysen untersucht, wie sich ein abrupter und starker Zinsanstieg bei den Instituten unter BaFin-Aufsicht auswirkt. Zumindest 2022 könnte für manche ein hartes Jahr sein. Die durchschnittliche Rentabilität dieser kleineren Banken könnte laut der Analysen durch Zinsen, welche 2 Prozentpunkte höher als in 2021 ausfallen, um 40 Prozent gedrückt werden. Und dieses Szenario wurde ja inzwischen von der Realität eingeholt. Ein paar dutzend kleine Institute mit möglicher Kapitalknappheit sind uns dabei aufgefallen. Und diese schauen wir uns nun genau an.

Die Kreditrisiken bei den Banken steigen, insbesondere durch den Ausfall von Unternehmenskrediten.

Die Risiken gehen nicht mehr von den Unternehmen der Energiewirtschaft aus, die too big to fail sind. Und auch nicht von denen, die Preissetzungsmacht haben und steigende Preise an Verbraucherinnen und Verbraucher weiterreichen können.
Diese wenigen, auf die eine oder andere Art privilegierten, Unternehmen – sofern man die Rettung durch den Staat als Privileg bezeichnen möchte – sind aber in der Minderheit.

Wo genau liegen nun also die größten Kreditrisiken – und wann werden sie schlagend werden? Angesichts des möglichen Umfangs staatlicher Hilfsprogramme – zunächst in der Covid-19-Pandemie, nun in der Energiekrise – und der Schnelllebigkeit politischer Entscheidungen kaum zu prognostizieren. Das ist eine große Unbekannte.

Angesichts der bisher niedrigen Insolvenz- und Non-Performing-Loans-Quoten sinkt der Kreditrisikovorsorgebestand der Banken.

In den vergangenen Jahren waren der niedrige Risikovorsorgebedarf bis hin zur Auflösung von Rückstellungen sogar ein signifikanter Ertragstreiber der Banken.

Da müssen wir als Aufsicht schauen, dass die prospektive Risikolage angemessen abgebildet wird.

Zinswende und Inflation wirken sich auch auf die Risiken an den Immobilienmärkten aus. Die Dynamik bei den Immobilienpreisen und im Kreditgeschäft lässt zwar nach; in den letzten Monaten sind die Preise leicht gesunken. Die Frage ist, ob wir nach einer fulminanten Wachstumsphase auf eine harte oder eine sanfte Landung hinsteuern Das Volumen der Wohnungsbaukredite an private Haushalte insgesamt ist seit 2009 um über 60 Prozent gestiegen. Auf jeden Fall werden sich die bestehenden Risiken nun zum Teil materialisieren.

Ergebnisse einer Ad-hoc-Umfrage bei den wichtigsten Instituten bestätigen, dass neue Kreditnehmer im Zeitraum der Umfrage, also von Januar bis Mai 2022, einen hohen Anteil ihres Einkommens für den Schuldendienst aufbringen mussten. 15 Prozent der Neuschuldner müssen sogar mehr als die Hälfte ihres Nettoeinkommens dafür einsetzen.

Die durchschnittliche Relation zwischen Schulden und Einkommen ist bei neuen Finanzierungen seit 2009 um fast 50 Prozent gestiegen. Dieser Trend scheint sich jetzt abzuflachen. Gut so, sonst würden viele neue Kreditnehmer früher oder später Probleme haben.

Nicht alle Haushalte sind für einen starken Zinsanstieg und eine gleichzeitige Inflation gewappnet – nämlich überall dort, wo Prolongationen von Krediten anstehen, die noch vor wenigen Jahren zu sehr niedrigen Konditionen abgeschlossen wurden. Dies wird nach und nach der Fall sein.

Beim aktuellen Stand der Bauzinsen müssen sogar Kredite von vor 10 Jahren etwas teurer refinanziert werden. Und es ist gut möglich, dass die Zinsen weiter steigen werden.

Gerade auf den Gewerbeimmobilienmärkten und bei den Immobilienentwicklern, die auf Zinsanstiege besonders sensitiv reagieren, steigen die Risiken klar.

In den vergangenen Wochen habe ich häufig die Forderung gehört, dass es an der Zeit sei, den antizyklischen Kapitalpuffer und den sektoralen Systemrisikopuffer für mit Wohnimmobilien besicherte Kredite zurückzunehmen.

Doch jetzt wäre nicht der richtige Zeitpunkt. Die beiden Puffer sind ein Beitrag dazu, die Widerstandskraft der deutschen Finanzinstitute zu erhöhen. Dank unserer Maßnahmen ist bereits Eigenkapital im Finanzsystem konserviert worden. Und die Kreditvergabe ist weiterhin robust. Wir sehen keine angebotsseitige Knappheit.

Die Voraussetzungen für die Reduktion oder Freigabe der Puffer sind derzeit also nicht gegeben.

Würde man jetzt die Gasspeicher leeren lassen, nur, weil der Herbst warm war?

Das Maßnahmenpaket erhöht die Kapitalanforderungen um rund 22 Mrd. Euro. Davon entfallen nur rund 5 Mrd. Euro auf den sektoralen Systemrisikopuffer. Das entspricht – Stand Anfang 2022 – nur 0,25 Prozent der aggregierten Bilanzsumme der Institute – und nicht viel mehr als 10 Prozent des vorhandenen Überschusskapitals.

Auch nach der Puffererhöhung schätzen wir das freie Kapital im deutschen System auf 152 Mrd. Euro – mehr als genug für ein zusätzliches „Wumms“, wenn die Nachfrage da wäre.

Meine Damen und Herren, was sind also die größten Herausforderungen und Gefahren für die Finanzstabilität in den nächsten Monaten?

Ganz klar: Die Gleichzeitigkeit und Geschwindigkeit der Ereignisse und Entwicklungen.

Die jüngste Marktkrise im Vereinigten Königreich zeigt, dass es auch kapitalmarktgetriebene Risiken außerhalb des Bankensystems gibt, die wir im Blick behalten müssen. Insbesondere dort, wo die Leverage hoch ist und nicht ausreichend durchschaut wird.

Wir haben in der Vergangenheit mehrfach betont, dass diese Risiken uns Sorgen bereiten. Erst recht, weil man nicht genau wissen kann, wann und wo sie eintreten. Auch wenn dieser Fall erfreulicherweise wenig mit Deutschland zu tun hat: Er zeigt die Relevanz solcher Themen.

Und dass nicht nur solides Kapital, sondern insbesondere eine gute Liquiditätsausstattung überlebenswichtig sind.

Was raten wir also den Banken?

  • Sie sollten den Bedarf für Risikovorsorge nicht unterschätzen – „err on the side of caution“.
  • Wie vorhin bereits gesagt: Die Institute profitieren davon, dass sie resilient in diese Phase gestartet sind. Diese Resilienz müssen sie bewahren.
  • Und das bedeutet vor allem: Sie sollten ihre vergleichsweise gute Ausgangslage bei Kapital und Liquidität nicht verspielen. Darauf wird auch die Aufsicht achten.

Eine besonders robuste Ausstattung mit Kapital und Liquidität und ein erstklassiges Risikomanagement sind die besten Garanten für ein stabiles und starkes Bankensystem.

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