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Porträtaufnahme von Raimund Röseler, Exekutivdirektor Bankenaufsicht. © Bernd Roselieb

Erscheinung:14.11.2022 Nachhaltige Finanzen: Welche Rolle spielen ESG und Klimaziele für die Zukunft?“

„Was will die Aufsicht anders machen?“

Vortrag von Raimund Röseler, Exekutivdirektor für Bankenaufsicht Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), im Rahmen des SZ-Finanzgipfels 2022 am 27. Oktober 2022 in München

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

eine ziemlich undankbare Aufgabe: Nachdem vor der Pause FinTechs geehrt wurden – herzlichen Glückwunsch auch von meiner Seite – spricht jetzt wieder das Establishment.

Wobei es ja durchaus Berührungspunkte gibt. Denn eine Reihe von Fintechs haben sich ja unter unsere Aufsicht begeben. Und einige mehr stehen in den Startlöchern.

Doch das nur am Rande. Ich wurde gebeten, einen Vortrag zu halten zur Frage: Was will die Aufsicht anders machen? Diese Frage ist mir in den vergangenen Monaten ziemlich oft gestellt worden. Allerdings eher selten im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit und Sustainable Finance.

Fragen wir doch erst einmal: Warum ist Nachhaltigkeit auch ein Thema für die Finanzaufsicht? Es gibt zwei ganz simple Gründe:

  1. Die EU hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Bis 2050 will man CO2-neutral sein. Um das zu erreichen, sind Anstrengungen von allen Wirtschaftssektoren nötig. Und man kann hier zu Recht erwarten, dass auch Banken einen Beitrag dazu leisten. Das heißt nicht nur, dass auch Banken nachhaltig wirtschaften sollten. Das heißt vor allem, dass Banken sich der Auswirkungen ihres Geschäfts auf die angestrebte CO2-Neutralität bewusst sein müssen. Die Aufsicht achtet darauf, dass die Banken sich damit auseinandersetzen.
  2. Um das EU-Ziel zu erreichen, sind gewaltige Investitionen nötig. Plausible Schätzungen laufen auf ein Investitionsvolumen von vielen Billionen Euro hinaus. Nun ist aber die europäische Wirtschaft zu drei Vierteln bankenfinanziert. Selbst wenn man unterstellt, dass der Anteil der Kapitalmarktfinanzierung steigen wird: Ohne Banken wird es nicht funktionieren. Und damit die Banken diese gewaltigen Investitionen finanzieren können, brauchen wir ein stabiles Bankensystem. Und ein stabiles Bankensystem verlangt, dass Institute ihre Risiken ordentlich managen – und zwar alle Risiken, auch Nachhaltigkeitsrisiken. Spätestens hier kommt die Aufsicht ins Spiel: Denn wir haben bekanntlich einen sehr genauen Blick auf das Risikomanagement der Banken.

So, die Ausgangsfrage war: Was will die Aufsicht anders machen? Bevor ich darauf antworte, eine weitere Frage: Was hat die Aufsicht bisher gemacht? Ich meine: Wir haben ziemlich stark vorgelegt. Und das, lange bevor die EU offiziell den „Green Deal“ kommuniziert hat.

Im Jahr 2019 haben wir unser Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken veröffentlicht. Die Idee dahinter: Eine Orientierungshilfe für Unternehmen zu unseren Erwartungen. Den Begriff „Nachhaltigkeit“ haben wir damals schon ganzheitlich im Sinne von Environmental, Social and Governance definiert – kurz: ESG .

In Europa waren wir mit diesem Merkblatt also Vorreiter.

Natürlich war das Merkblatt nicht formal rechtlich bindend. Wir hatten hier lediglich unsere Erwartungen an die Unternehmen formuliert. Aber wir haben auch betont, dass wir davon ausgehen, dass man unsere Erwartungen ernst nimmt.
In der deutschen Kreditwirtschaft haben wir uns damit nicht nur Freunde gemacht. Aber das ist ja auch nicht unsere Aufgabe. Bei vielen Instituten kam die Befürchtung auf, dass wir hier neue kleinteilige Anforderungen stellen, die dann von Wirtschaftsprüfern schematisch durchgeprüft werden. Und so manches Institut war und ist der Meinung, dass es ja schon per Definition nachhaltig agiere und deshalb gar keine neuen Vorgaben nötig seien.

Ich glaube nach wie vor nicht, dass unsere Erwartungen überzogen waren. Aus unserer Sicht muss kein Institut mit einem verlässlichen Risikomanagement das Rad neu erfinden. Denn ESG-Risiken wirken sich meist auf die bekannten Risiken aus und können in deren Rahmen gemanaged werden. Wenn Sie als Bank eine Immobilie am Bonner Rheinufer finanzieren, dann sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass Sie sich auch damit auseinandersetzen, wie denn diese Immobilie gegen Überschwemmungen abgesichert ist. Und wenn eine Bank das nicht tut, dann hat sie solche Risiken nicht im Griff.

Und Nachhaltigkeitsrisiken sind nicht so weit weg, wie manche denken. Denken Sie nur an die Flutkatastrophe im Ahrtal im vergangenen Jahr. Die war vor allem ein Drama für die Betroffenen. Aber auch ein Schadensereignis für Versicherungen und Banken. Und zwar auch für solche Banken, die sonst gerne von sich behaupten, dass sie aufgrund ihres Geschäftsmodells per se nachhaltig agieren. Inzwischen ist ziemlich unstrittig, dass Nachhaltigkeits- und ökonomische Ziele durchaus auf einer Zielgeraden liegen können.

Mein Eindruck ist allerdings: Viele Banken sehen das anders. Und viele denken immer noch, sie hätten mit dem Thema Nachhaltigkeit nicht sonderlich viel zu tun.

Im Stresstest der kleinen und mittelgroßen Banken und Sparkassen in Deutschland (Less Significant InstitutionsLSIs), den wir vergangenen Monat abgeschlossen haben, haben wir auch Fragen zum Umgang der Banken mit Nachhaltigkeitsrisiken gestellt. Das Ergebnis war ernüchternd: Gerade kleinere Institute haben Klimarisiken noch nicht ausreichend in ihr Risikomanagement integriert. Ungefähr Dreiviertel der kleinen und mittelgroßen Banken meinen, sie seien von physischen Klimarisiken nicht oder nur gering betroffen. Den transitorischen Klimarisiken wird generell zwar mehr Bedeutung beigemessen. Aber auch hier erwarten immerhin noch knapp die Hälfte der befragten Banken nur geringe oder keine Auswirkungen auf ihr Institut.
Viele kleine Institute unterschätzen offenbar das Thema und haben noch keine robuste Strategie für den Umgang mit Klimarisiken.

Und auch bei den großen Instituten ist noch viel Luft nach oben. Das hat der Thematic Review der Europäischen Zentralbank (EZB) vor kurzem gezeigt. Die EZB hatte bei 107 bedeutenden Kreditinstituten (Significant Institutions – SIs) die Qualität der Strategien, der Governance und des Risikomanagements bzgl. dieser Risiken beurteilt und ihren Fortschritt seit 2021 ermittelt. Ein Ergebnis: Fast alle haben begonnen, sich mit Klima- und Umweltrisiken zu beschäftigen. Es gab also viel weniger Banken, die überhaupt nichts vorzuweisen hatten. Über 85 Prozent der SIs haben nun für mindestens die Hälfte der EZB-Erwartungen zumindest grundständige Prozesse und Methoden implementiert. Die Gruppe der Banken mit ausgereifteren Methoden ist allerdings nach wie vor klein.

Zurück zu den Instituten unter unserer direkten Aufsicht: Ist das Glas also halb voll oder halb leer? Nun sind die Erkenntnisse unseres Stresstests nicht gerade berauschend. Zumal es häufig auch an strategischen Nachhaltigkeitszielen mangelt.
Das muss sich ändern! Die Banken müssen Nachhaltigkeitsrisiken und Nachhaltigkeitsperspektiven ernst nehmen. Auch in ihrem eigenen Interesse, davon bin ich fest überzeugt. Nicht nur, damit sie ihre wesentlichen Risiken im Griff haben. Sondern auch, weil Banken, die dieses Thema nicht ernst nehmen, über kurz oder lang ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Welcher Kunde ist denn bereit, mit einer Bank zu arbeiten, die auf dieses Thema zu wenig Wert legt? Nachhaltigkeit wird auch ein Wettbewerbsfaktor. Und zwar nicht nur im Kundengeschäft. Sondern auch auf dem Arbeitsmarkt: Welcher junge Mensch ist bereit, bei einem Unternehmen zu arbeiten, für welches das Thema Nachhaltigkeit keine Rolle spielt?

So viel zum Thema „was bisher geschah“. Was heißt das nun für die BaFin? Was werden wir anders machen?

Ein ganz konkreter Punkt: Die zentralen Elemente aus unserem unverbindlichen Merkblatt werden wir in den MaRisk verankern – und sie damit prüfungsrelevant machen.

Wir haben die Novelle der MaRisk – wie gewohnt – zur Konsultation gestellt. Falls Sie noch Anregungen für uns haben, beeilen Sie sich: Die Konsultation endet morgen.

Auch auf europäischer Ebene wird es weitere Maßnahmen geben. Die europäische Bankenaufsicht EBA hat verschiedene Aufträge bekommen, die sie gerade mit Hochdruck bearbeitet. Da geht es um verschiedenste Fragen: die Definition einer Green-Asset-Ratio, Vorgaben für Green Mortgages und Green Bonds, die Behandlung von Klimarisiken in der Säule 2 und den Entwurf eines Klimastresstests, der voraussichtlich erstmalig im Jahr 2025 durchgeführt wird. Wir bringen uns natürlich bei diesen Arbeiten ein.

Der Umgang mit dem Thema Nachhaltigkeit ist aus meiner Sicht aber keineswegs nur eine regulatorische Belastung für Banken. Ich sehe hier – wie gesagt - auch eine Chance. Noch einmal: Hier stehen gewaltige Investitionen an. Und damit für Banken auch enorme Geschäftspotentiale. Aber Banken, die davon auf lange Sicht profitieren wollen, müssen hier auch glaubhaft agieren.

Auch deshalb ist das Thema Nachhaltigkeit für die Aufsicht relevant. Es ist, wie gesagt, auf mehreren Ebenen eng verknüpft mit der Stabilität des Bankensektors.

Allerdings ist uns ist sehr wohl bewusst, dass die Banken momentan noch andere Sorgen haben. Die vergangenen zwei, drei Jahre waren vom Motto „nach vorne im Gegenwind“ geprägt – ein passender Titel für diese Veranstaltung! Ich meine: Für die kommenden Wochen und Monate sind die Voraussetzungen für einen perfekten Sturm gegeben.

Wir sehen steigende Zinsen, hohe Inflationsraten, hohe Volatilitäten an den Kapitalmärkten, extrem gestiegene Energiekosten und weltweite Lieferkettenprobleme. Und das Corona-Virus ist auch noch nicht ganz verschwunden.
Diese Entwicklungen drohen deutsche Unternehmen und Verbraucher massiv zu treffen. Und als deren Kreditgeber sind davon natürlich auch die Banken betroffen. Wenn die wirtschaftliche Entwicklung tatsächlich so verläuft, wie wir es aktuell befürchten, dann werden vermehrt Kredite ausfallen. Und dann werden einige Banken vor sehr ernsthaften Problemen stehen.

Unser gerade schon erwähnter Stresstest hat gezeigt: Der deutsche Bankensektor insgesamt ist in der Lage, auch einen tiefergehenden wirtschaftlichen Einbruch zu verkraften.

Aktuell weisen die deutschen Banken immer noch ein Überschusskapital von mehr als 150 Mrd. Euro auf. In dem Stresstest sind wir auch zum Ergebnis gekommen, dass die allermeisten Institute auch ein sehr adverses Szenario verkraften würden. Und wir haben in diesem Stresstest ein sehr adverses Szenario unterstellt. Allerdings wird der Abstand dieses Szenario von der Realität zusehends kleiner.

Nach wie vor ist der Zinsüberschuss für die allermeisten Institute die wichtigste Ertragsquelle. Rund zwei Drittel des Gesamtüberschusses deutscher Banken stammt aus Zinserträgen. Das anhaltende Niedrigzinsumfeld der vergangenen Jahre hat deshalb zu einem signifikanten Ertragsdruck geführt.

Die gestiegenen Zinsen sollten deshalb mittelfristig zu einer Entlastung beitragen. Bei unserer Stresstestübung haben wir festgestellt, dass ein Zinsanstieg von 200 Basispunkten – und den haben wir ja nun im wirklichen Leben auch erreicht – isoliert betrachtet zu einem durchschnittlichen Profitabilitätsanstieg von mehr als 50 Prozent führen könnte.

Diesen positiven Wirkungen stehen allerdings auch negative Effekte gegenüber:

  1. Kurzfristig führt dieser Zinsanstieg zu Bewertungsverlusten, vor allem bei Banken, die nach dem Handelsgesetzbuch zum Niederstwertprinzip bilanzieren.
  2. Negative Ertragseffekte gibt es bei den Banken, die in größerem Maße Fristentransformation betrieben haben, die also langfristige Kredite kurzfristig refinanziert haben.
  3. Manche Kreditnehmer werden durch die gestiegenen Zinskosten nicht in der Lage sein, ihre Kredite zu bedienen.
  4. Die Zinssteigerungen können natürlich zu einem Rückgang des Kreditneugeschäfts und damit zu Ertragsausfällen führen. Da die Planung mancher Banken auf einem weiterhin wachsenden Baufinanzierungsgeschäft gefußt hat, ist dies ein durchaus relevanter Effekt.

Zusammengefasst können wir sagen: Alles in allem steht der deutsche Bankensektor vor ziemlich großen Herausforderungen. Die allermeisten Banken sind in der Lage, diese Herausforderungen zu bewältigen – aber eben nicht alle Banken.

Und damit sind wir indirekt auch wieder beim Thema Nachhaltigkeit. Wenn wir die anspruchsvollen EU-Ziele erreichen wollen, dann brauchen wir – wie gesagt – einen stabilen Bankensektor. Einen Bankensektor also, der ausreichend kapitalisiert ist. Auch deshalb haben wir den antizyklischen Kapitalpuffer und den Systemrisikopuffer für Wohnimmobilienkredite aktiviert.

Dank dieser Maßnahmen ist bereits Eigenkapital im Finanzsystem konserviert worden, das dazu beitragen kann, die Folgen einer Krise zu begrenzen.

Meine Damen, meine Herren: Nachhaltigkeitsrisiken sind wichtig, enorm wichtig. Ich denke, nahezu alle Bürgerinnen und Bürger in der EU erwarten, dass die Banken bei den Maßnahmen gegen die schädlichen Auswirkungen des Klimawandels eine aktive Rolle einnehmen. Und zwar in der Finanzierung der nötigen Investitionen und selber, als nachhaltig agierende Unternehmen.

Nachhaltigkeitsrisiken sind aber leider nicht die einzige Herausforderung für Banken und damit für uns als Aufsicht. Insbesondere mit der Zinswende, der Energiekrise und der Inflation gibt es jede Menge Herausforderungen für unseren Bankensektor. Was für mich ein Grund war, das Hauptthema heute in Teilen zu verfehlen.

Ich wünsche Ihnen und uns allen, dass wir gut durch die nächsten Wochen und Monate kommen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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