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Exekutivdirektor Wertpapieraufsicht/ Asset-Management, Dr. Thorsten Pötzsch © Bernd Roselieb / BaFin

Erscheinung:23.09.2022 | Thema Bilanzkontrolle Fehlerhafte Unternehmensabschlüsse und Öffentlichkeitsarbeit einer Finanzmarktaufsichtsbehörde

Tagung „Rechtsfragen der Kommunikation fehlerhafter Unternehmensabschlüsse“ der Wirtschaftsuniversität Wien

Dr. Thorsten Pötzsch, Exekutivdirektor für Wertpapieraufsicht Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), 23. September 2022

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Professor Storr,
sehr geehrte Damen und Herren,

als ich für den heutigen Vortrag angefragt wurde, musste ich nicht lange zögern. Ich muss gestehen, dass eines meiner Entscheidungskriterien dabei nicht ganz uneigennützig war: Es ist wunderbar, an diesem großartigen Campus der Wirtschaftsuniversität Wien zu Gast zu sein. Was für eine architektonische Meisterleistung von Sir Peter Cook! Vielen Dank für die Einladung!

Mindestens genauso freue ich mich aber, heute mit Ihnen über die Perspektive der deutschen Wertpapieraufsicht auf das Thema fehlerhafte Unternehmensabschlüsse zu sprechen. Dass diese vor dem Hintergrund eines der größten Bilanzskandale der deutschen Geschichte spannend ist und von Presse und Öffentlichkeit absolut zu Recht aufmerksam und kritisch beobachtet wird, steht außer Frage.

Denn seien wir ganz ehrlich: Ohne das Kapitel Wirecard hätte die Bilanzkontrolle – durch Abschlussprüfer, aber auch staatliche Aufsicht – nicht die Brisanz und die Bedeutung, die sie jetzt hat.

Ohne den nächsten etwa 20 Minuten vorzugreifen - ich bin überzeugt: Es ist essentiell, dass Aufsichtsbehörden ihren Umgang mit fehlerhaften Abschlüssen klar und aktiv kommunizieren.

Was hat nun ganz konkret die BaFin, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, mit fehlerhaften Unternehmensabschlüssen zu tun?

In Deutschland ist die BaFin die wesentliche Finanzmarktaufsichtsbehörde. Sie soll ein funktionsfähiges, stabiles und integres Finanzsystem gewährleisten.

Aufgabe meines Geschäftsbereichs, der Wertpapieraufsicht, ist es, für faire und transparente Verhältnisse am Kapitalmarkt zu sorgen und Anleger zu schützen. Eines der wichtigsten Tätigkeitsgebiete ist dabei die Bilanzkontrolle.

Das Enforcement ist für einen funktionierenden Finanzmarkt unerlässlich: Denn ohne korrekte, aussagekräftige Unternehmensabschlüsse, auf die die Anleger vertrauen können, gibt es keinen fairen und effizienten Kapitalmarkt. Dafür brauchen wir eine durchsetzungsstarke, funktionierende, schnelle und damit präventiv wirkende Bilanzkontrolle.

In den vergangenen zwei Jahren hat sich im deutschen System der Bilanzkontrolle alles verändert. Den Grund dafür kennen Sie alle: Wirecard. Sie erinnern sich sicher: Es ging um 1,9 Milliarden Euro aus angeblichem Drittpartnergeschäft des Unternehmens in Südostasien. Am 18. Juni 2020 musste Wirecard eingestehen, dass es bei den Saldenbestätigungen bezüglich der 1,9 Milliarden Euro offenbar zu Ungereimtheiten gekommen ist.

Und nur vier Tage später, am 22. Juni 2020 wurde die böse Vorahnung dann letztendlich zur Gewissheit. An diesem Tag teilte das Unternehmen mit, dass das Geld nicht auffindbar ist und wahrscheinlich auch nie existierte. Für den deutschen Kapitalmarkt und die Finanzmarktaufsicht war der Wirecard-Skandal – ein Fall immenser Bilanzmanipulation bei einem DAX-Unternehmen – um es sehr diplomatisch auszudrücken, der Worst Case, ein extrem einschneidendes Ereignis. Er hat unter anderem dazu geführt, dass der Gesetzgeber das Enforcement neu aufgesetzt hat.

Das war auch richtig, denn das alte System hat ganz offensichtlich nicht funktioniert. Ich kann mich noch gut an die Vorwürfe erinnern, die uns damals gemacht wurden. Viele waren gerechtfertigt, manche nicht unbedingt.

Der zentrale Vorwurf war: Ihr habt nichts getan. Das war falsch. Die BaFin hatte gehandelt, durfte dies aber nicht kommunizieren. Wir hatten die DPR, die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung, schon im Februar 2019 beauftragt, den verkürzten Abschluss 2018 von Wirecard zu prüfen.

Die privatrechtlich organisierte DPR war im damaligen zweistufigen System der Bilanzkontrolle – die österreichischen Kollegen haben ein ähnliches System – die für Bilanzprüfungen, auf der ersten Stufe, primär zuständige Organisation. Die BaFin, auf der nachgelagerten zweiten Stufe angesiedelt, durfte gemäß der damals geltenden Rechtslage nur unter bestimmten Bedingungen in eine Rechnungslegungsprüfung der DPR eingreifen.

Nämlich nur dann, wenn ihr die DPR berichtete, dass ein Unternehmen die Mitwirkung bei ihrer Prüfung verweigert hat oder das geprüfte Unternehmen mit dem von der DPR festgestellten Prüfungsergebnis nicht einverstanden war.

Und ausdrücklich nur in diesen Fällen war die BaFin vom Gesetz her befugt, ihre Bilanzkontrollprüfung auch bekannt zu machen.

Daher durften wir im Fall Wirecard die Tatsache, dass wir die DPR mit der Prüfung beauftragt hatten, nicht veröffentlichen.

Obwohl die BaFin also die Bilanzkontrollprüfung in Gang gesetzt hatte, blieben aktuelle und potentielle Anleger wegen der gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten über diesen Umstand uninformiert. Eine Presse- und Öffentlichkeitsarbeit darüber war gesetzlich ausgeschlossen. Die Pressereaktionen dazu sind Ihnen bekannt.

Erst nachdem uns die DPR im Juli 2020 mitgeteilt hatte, dass die Wirecard AG ihre Mitwirkung an der DPR-Prüfung verweigert hat beziehungsweise mit deren Ergebnis nicht einverstanden war, wurden wir für die Prüfung zuständig. Damit konnten wir – sehr spät, eben erst im Juli 2020 – auch unsere Prüfungsanordnungen veröffentlichen.

Nur mal zur Erinnerung: Bereits einige Wochen zuvor, am 18. Juni 2020, hatte das Unternehmen mit einer Ad-hoc-Mitteilung bekannt gegeben, dass der Wirtschaftsprüfer 1,9 Milliarden Euro nicht auffinden konnte.

Ein zweiter großer Vorwurf lautete: Das zweistufige System der Bilanzkontrolle war für so einen Fall – einen langfristigen Betrug bei der Rechnungslegung, ausgehend von der Management-Ebene – ungeeignet. Heute wissen wir: Dieser Vorwurf hat absolut ins Schwarze getroffen.

Im Kern war die Bilanzkontrolle der DPR auf erster Stufe auf Kooperation mit den Unternehmen ausgerichtet. Es sollte eine freiwillige Mitwirkung der Unternehmen an der Rechnungslegungsprüfung ermöglichen, sozusagen als „Angebot an die Wirtschaft, sich beim Enforcement zu engagieren“, wie es in den Gesetzesmaterialien zum damaligen Bilanzkontrollgesetz nachzulesen ist. Deshalb war vorrangig die privatrechtlich verfasste DPR für die Bilanzkontrolle zuständig. Dieser fehlten selbstverständlich jegliche hoheitlichen Eingriffsbefugnisse gegenüber den Unternehmen – und damit die Power, in Verdachtsfällen auch durchzugreifen.

Die BaFin als staatliche Behörde sollte erst unter den bereits erwähnten Voraussetzungen auf zweiter Stufe aktiv werden. Oder aber, als dritte und letzte Möglichkeit, die Bilanzkontrollprüfung der DPR „an sich ziehen“, wenn erhebliche Zweifel am Prüfergebnis der Prüfstelle oder an der ordnungsgemäßen Durchführung der Prüfung durch die Prüfstelle bestanden. In der Literatur wurde uns im Enforcement-Verfahren die Rolle eines „Ersatzspielers“ zugesprochen. Ich finde, das ist ein sehr passender Vergleich.

Heute ist klar: Das zweistufige System war zur Aufdeckung und Aufklärung krimineller Machenschaften völlig ungeeignet. Dafür darf die hoheitliche Behörde nicht auf der Ersatzbank sitzen. Deshalb hat der Gesetzgeber reagiert und die Bilanzkontrolle mit dem Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz, kurz FISG, nunmehr in die alleinige Verantwortung der BaFin gelegt und damit auf hoheitliche Eingriffe ausgerichtet.

Ein dritter Vorwurf, der sich hieran direkt anschließt und den wir sehr oft gehört haben, war: Ihr habt nur zugeschaut, nicht rechtzeitig eingegriffen und das Verfahren der DPR gegen Wirecard nicht an Euch gezogen.

Klare Antwort: Nach der damaligen Gesetzeslage konnten wir das nicht. Ich möchte die Diskussionen um die hohe Hürde der „erheblichen Zweifel“ im alten § 108 WpHG hier jetzt nicht rekapitulieren. Unter anderem war eine erhebliche Verfahrensdauer bei der DPR gerade nicht ausreichend, um die erheblichen Zweifel zu begründen. Schlussendlich waren wir, so wird es ebenfalls in der Literatur betont, zumindest auch durch die uns gesetzlich vorgegebenen Grenzen daran gehindert, frühzeitiger einzugreifen.

Andere schwere Vorwürfe gegen die BaFin betrafen damals die Leerverkaufsmaßnahme in Bezug auf Wirecard-Papiere und die Anzeige von Journalisten wegen des Verdachts auf Marktmissbrauch. Diese Themen würden den heutigen Vortrag sprengen, ich möchte sie daher ausklammern.

Ich hatte es eben schon kurz erwähnt: Mit dem FISG hat der Gesetzgeber die Bilanzkontrolle in Deutschland grundlegend neu aufgestellt. Das erklärte Ziel ist es, Anhaltspunkte für fehlerhafte Rechnungslegung und damit auch für Bilanzmanipulation möglichst früh zu identifizieren und strafrechtlich relevante Sachverhalte gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft aufzuklären.

Seit dem 1. Januar 2022 gibt es in Deutschland ein ausschließlich hoheitliches Enforcement, verantwortet durch die BaFin. Wir haben also die vollständige Kontrolle über das Prüfungsgeschehen. Und wir können in allen Prüfungsphasen hoheitliche Mittel einsetzen. Dazu gehören – das ist ebenfalls neu – auch forensische Untersuchungen. Mit alldem wollen wir eine schnellere, transparentere und effektivere Bilanzkontrolle gewährleisten.

Durch die gesetzliche Änderung hat sich natürlich auch organisatorisch einiges verändert. Die Bilanzkontrolle ist direkt mir als Exekutivdirektor der Wertpapieraufsicht unterstellt. Das macht die Entscheidungswege kurz. Das Wirtschaftsprüfungs-Know-how der DPR-Beschäftigten ist größtenteils erhalten geblieben, denn die meisten sind zu uns gewechselt. Außerdem konnten wir – auf dem hart umkämpften Arbeitsmarkt – weitere externe Mitarbeiter gewinnen. Wir haben jetzt deutlich mehr Wirtschaftsprüfer und Rechnungslegungsexperten als zuvor in unseren Reihen. Insgesamt soll die Bilanzkontrolle einmal 60 Mitarbeiter umfassen. Rund drei Viertel davon sind schon an Bord.

Mit dem FISG hat der Gesetzgeber außerdem unsere Eingriffsbefugnisse deutlich erweitert. Zum Beispiel bei der Ermittlung von Rechnungslegungsverstößen. Das Stichwort „Forensik“ hatte ich bereits genannt. Durften wir früher im Wesentlichen nur die Vorlage von Unterlagen verlangen, erlaubt uns der neue § 107 WpHG heute darüber hinaus zum Beispiel Durchsuchungen, Sicherstellungen und Beschlagnahmen, natürlich unter Richtervorbehalt. Wir sind zudem berechtigt, Personen vorzuladen und zu vernehmen.

Die zweite überaus wichtige Säule unserer neuen, besseren Bilanzkontrolle ist die Öffentlichkeitsarbeit. Das Bekanntmachungsregime, ebenfalls eingeführt durch das FISG, eröffnet uns auf diesem Gebiet ganz neue Möglichkeiten. Was heißt das konkret?

Absolut wesentlich: Wir können nach § 107 WpHG bereits die Prüfungsanordnung bekannt machen. Das heißt: Der Kapitalmarkt sieht, wenn wir eine Prüfung starten. Bekannt machen meint hier und in den weiteren Fällen vor allem die Veröffentlichung der Information auf unserer Internetseite und im Bundesanzeiger. Bei Wirecard war das, wie ich gerade ausgeführt habe, von Gesetzes wegen unmöglich.

Außerdem können wir – ebenfalls gemäß § 107 WpHG – während des gesamten Bilanzkontrollverfahrens über wesentliche Verfahrensschritte informieren. Oder über die Erkenntnisse, die wir im Laufe des Verfahrens gewonnen haben. Bei Wirecard ebenfalls undenkbar. Heute ist das anders. Heute haben wir hier deutlich mehr Freiheit im Enforcement.

Aktiv kommunizieren können wir auch Prüfungsergebnisse. Wenn eine unserer Prüfungen ergibt, dass die Rechnungslegung eines Unternehmens fehlerhaft ist, dann stellen wir den Fehler fest und machen ihn grundsätzlich, nach § 109 WpHG, unverzüglich bekannt. Vor dem Inkrafttreten des FISG war das geprüfte Unternehmen dafür verantwortlich, den von uns oder der DPR festgestellten Fehler bekannt zu machen. Nach neuer Rechtslage nehmen wir die Bekanntmachung unverzüglich selbst vor. Bekanntmachungen von Fehlerfeststellungen können daher nun deutlich schneller erfolgen.

Umgekehrt gilt das natürlich ebenso: Haben wir eine Prüfungsanordnung bekannt gemacht und ergeben sich im Rahmen der Prüfung keine Beanstandungen, veröffentlichen wir dies gemäß § 109 WpHG ebenfalls. Anleger werden also umfassend über den Ausgang der Prüfung informiert.

Welche Möglichkeiten haben wir neben der Feststellung und Bekanntmachung eines konkreten Rechnungslegungsfehlers noch? Die sogenannte Bilanzkorrektur. § 109 WpHG sieht die Möglichkeit zur Feststellung vor, wie sich die Rechnungslegung ohne den Fehler dargestellt hätte. Wir können dann außerdem gegenüber dem Unternehmen anordnen, den Fehler unter Berücksichtigung unserer Rechtsauffassung und unter Neuaufstellung des Abschlusses oder Berichts zu berichtigen.

Gegenüber der Öffentlichkeit können wir nach § 109 WpHG bekannt machen, wie sich die Rechnungslegung ohne den Fehler dargestellt hätte – und dem Kapitalmarkt so die berichtigten Informationen zur Verfügung stellen. Ein Punkt ist mir hier noch wichtig: Die Anordnung einer solchen Korrektur wird nicht der Regelfall sein.

Haben wir gegenüber dem geprüften Unternehmen angeordnet, dass der Fehler unter Berücksichtigung unserer Rechtsauffassung unter Neuaufstellung des Abschlusses oder Berichts für das geprüfte Geschäftsjahr oder im nächsten Abschluss oder Bericht zu berichtigen ist und hat das Unternehmen dieser Anordnung Folge geleistet, indem es den bekannt gemachten Fehler behoben hat, dann machen wir gemäß § 109 WpHG auch das bekannt.

Soweit zu den rechtlichen Vorgaben. Aber wie setzen wir diese konkret in die Tat um? Lassen Sie uns dazu einen kurzen Blick in den „Maschinenraum“ werfen. Das Wichtigste vorweg: Der neue Motor läuft!

Das neue Bekanntmachungsregime in der Bilanzkontrolle ermöglicht uns eine deutlich aktivere Kommunikation. Und diesen Spielraum nutzen wir auch. Denn Kommunikation hat für unsere Arbeit einen hohen Stellenwert. Das FISG hat die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen dafür geschaffen. Alleine die Tatsache, dass wir aktiv kommunizieren können, soll Unternehmen idealerweise davon abschrecken, überhaupt Rechnungslegungsfehler zu begehen. In der Regel möchten sie ja nicht durch die BaFin, also die Finanzmarktaufsicht, in die Medien kommen.

Wichtig ist mir, dass wir in puncto Kommunikation nicht auch nur den Anschein erwecken, willkürlich vorzugehen oder Unternehmen grundlos an den Pranger zu stellen. Wir haben uns klare Richtlinien gegeben und diese in Form einer Aufsichtsmitteilung im März auch veröffentlicht.

Wir veröffentlichen demnach Prüfungsanordnungen, denen konkrete Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Rechnungslegungsvorschriften zugrunde liegen. Also Anordnungen zu sog. Anlassprüfungen. Stichprobenkontrollen kommunizieren wir nicht.

Wenn wir mit einer Prüfungsanordnung an die Öffentlichkeit gehen, benennen wir das betroffene Unternehmen und den Prüfungsgrund, auf weitere Verfahrensdetails gehen wir nicht ein.

Voraussetzung für alle Bekanntmachungen ist, dass daran ein öffentliches Interesse besteht. Woran machen wir das fest? Wir wägen in jedem Einzelfall das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit ab mit dem Interesse des betroffenen Unternehmens an der Geheimhaltung der angeordneten Prüfung. Entscheidende Kriterien sind für uns dabei die Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen Rechnungslegungsvorschriften und dessen potenzielle Relevanz für den Kapitalmarkt.

Mit unseren Bekanntmachungen möchten wir den Kapitalmarkt in die Lage versetzen, relevante Bilanzkontrollverfahren zur Kenntnis zu nehmen, sie adäquat zu bewerten und in Unternehmensbewertungen einfließen zu lassen. Gerade für Anleger und ihre Investitionsentscheidungen sind anhängige oder abgeschlossene Rechnungslegungsprüfungen wichtig.

Die Bekanntmachungen von Maßnahmen der Bilanzkontrolle seit Jahresbeginn finden Sie auf unserer Webseite. Seit Januar haben wir dort 15 Meldungen veröffentlicht. Mit Blick auf die Zeit möchte ich drei Beispiele kurz hervorheben:

Am 15. Juli haben wir eine Prüfungsanordnung publiziert. Sie betrifft den offengelegten Einzelabschluss und den dazugehörigen Lagebericht der Deutsche Konsum REIT-AG zum 30. September 2021. Wir haben diese Prüfung angeordnet, weil uns konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Bilanzierungen von Darlehensvereinbarungen und von erworbenen Darlehen entgegen IFRS 9 möglicherweise nicht vollständig und richtig erfasst und abgebildet worden sind.

Kurz danach, am 1. August, haben wir eine Teilfehlerfeststellung für den Konzernabschluss der Adler Real Estate AG zum 31. Dezember 2019 bekannt gegeben. Das Immobilienprojekt „Glasmacherviertel“ in Düsseldorf-Gerresheim wurde mit 375 Millionen Euro angesetzt und damit aus unserer Sicht um mindestens 170 Millionen Euro bis höchstens 233 Millionen Euro zu hoch bewertet.

Eine abschließende Fehlerbekanntmachung haben wir am 26. Januar publik gemacht, sie betraf den verkürzten Abschluss der E.On SE zum 30. Juni 2016. Die E.ON SE hatte die Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts der vorgesehenen Uniper SE methodisch fehlerhaft vorgenommen.

Alle diese Verfahren betreffen übrigens Unternehmensabschlüsse, denen Wirtschaftsprüfer bereits ihr Testat erteilt hatten.

Sehr geehrte Damen und Herren,

auf einige ausgewählte Aspekte rund um unsere Öffentlichkeitsarbeit zu fehlerhaften Unternehmensabschlüssen möchte ich gerne kurz gesondert eingehen.

Zunächst auf die Teilfehlerfeststellung. Wie bereits erläutert können wir unter dem neuen Bekanntmachungsregime grundsätzlich zu jedem Zeitpunkt über die Zwischenergebnisse einer noch laufenden Prüfung kommunizieren. Wir machen daher nun erste, von uns final festgestellte Fehler in der Einkleidung einer sogenannten Teilfehlerfeststellung nach § 109 Abs. 2 WpHG bekannt. Ergibt sich also im Laufe einer Prüfung ein konkreter wesentlicher Rechnungslegungsfehler, warten wir nicht bis zum Abschluss der Prüfung. Dabei weisen wir natürlich auch darauf hin, dass die sonstige Prüfung des Abschlusses noch andauert. Wir informieren den Kapitalmarkt damit also möglichst frühzeitig.

Ein gutes Beispiel ist die laufende Prüfung bei der Adler Real Estate AG. Am 1. August haben wir, wie schon erläutert, bekannt gegeben, dass das Düsseldorfer Immobilienprojekt „Glasmacherviertel“ im Jahresabschluss des Unternehmens zum 31. Dezember 2019 deutlich zu hoch bewertet ist. In diesem Fall haben wir übrigens – weil das Interesse der Öffentlichkeit besonders hoch war – die Fehlerbekanntmachung mit einer Pressemitteilung begleitet. Darin haben wir – im Sinne der Transparenz und Verständlichkeit, aber losgelöst vom konkreten Einzelfall – die betroffenen Rechnungslegungsvorschriften erläutert.

Der Vollständigkeit halber noch zum Fall Adler: Wir prüfen hier natürlich auch im Hinblick auf möglichen Marktmissbrauch.

Denn grundsätzlich können fehlerhafte Unternehmensabschlüsse und Marktmissbrauch – und hier ist mir der Begriff „können“ sehr wichtig – Hand in Hand gehen.

Wenn es um Themen wie Bilanzmanipulation geht, bekommt natürlich auch die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft eine besondere Relevanz. Nach § 110 WpHG müssen wir Tatsachen, die den Verdacht einer Straftat im Zusammenhang mit der Rechnungslegung eines Unternehmens begründen, der für die Verfolgung zuständigen Behörde anzeigen.

Wenn solche verdachtsbegründenden Tatsachen im konkreten Fall also vorliegen, besteht eine Pflicht zur Mitteilung an die Staatsanwaltschaft. Anschließend stimmen wir uns mit der Staatsanwaltschaft ab, bevor wir weitere Maßnahmen ergreifen oder auch wesentliche Untersuchungsschritte in einem Bilanzkontrollverfahren – etwa die Erstattung einer Strafanzeige – veröffentlichen.

So stellen wir sicher, dass wir die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft (oder der Landeskriminalämter beziehungsweise des Bundeskriminalamtes) nicht gefährden, beispielsweise indem wir unabgestimmt Auskunfts- und Vorlageersuchen an das Unternehmen richten und die Verantwortlichen dadurch „aufschrecken“. Gleiches gilt für unsere Pressearbeit.

Sehr geehrte Damen und Herren,

zurück zur Öffentlichkeitsarbeit. Bei aller Transparenz ist eines aber auch klar: Die Ankündigung einer Anlassprüfung führt naturgemäß zunächst einmal zu einer gewissen Unsicherheit. Sie kann am Kapitalmarkt Fragen aufwerfen. Was konkret ist der Vorwurf? Wo genau liegt der Fehler in der Rechnungslegung? Handelt es sich gar um Bilanzmanipulation?

Daher gilt auch in der Kommunikation – wie immer in einem hoheitlichen Verwaltungsverfahren – der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Dementsprechend geben wir ausschließlich Anlassprüfungen bekannt. Also solche Prüfungen, bei denen konkrete Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Rechnungslegungsvorschriften vorliegen. Stichprobenkontrollen, die wiederum routinemäßig auf Grundlage einer bestimmten Risikozuordnung erfolgen, kommunizieren wir nicht.

Außerdem ist es unser Ziel, die Zeit der Unsicherheit so kurz wie möglich zu halten. Wir betreiben Bilanzkontrollverfahren mit Hochdruck. Auch die Bekanntmachung von Teilfehlerfeststellungen hilft, Unsicherheit zu reduzieren, indem der Markt über den Stand des Verfahrens zeitnah informiert wird.

Im Fall Wirecard hätten zahlreiche Anleger von einem Investment Abstand genommen, wäre bekannt gewesen, dass die BaFin eine Bilanzkontrollprüfung angestoßen hat. Denn eine höhere Transparenz, untermauert durch aktive Kommunikation, wird sich mittel- bis langfristig übersetzen in höheres Vertrauen – in die Bilanzkontrolle und in den Finanzmarkt als Ganzes.

Sehr geehrte Damen und Herren,

seit Jahresbeginn ist das Enforcement einstufig; wir bei der BaFin tragen die alleinige Verantwortung für die Bilanzkontrolle in Deutschland. Das ist folgerichtig und konsequent.

Die vom Gesetzgeber deutlich erweiterte Möglichkeit zur Öffentlichkeitsarbeit ist dabei eines unserer wichtigsten Instrumente. Weil sie Transparenz für den Kapitalmarkt schafft. Und weil sie auch abschreckt.

Unsere Öffentlichkeitsarbeit ist verhältnismäßig; wir orientieren uns an klaren Richtlinien, die wir auch bekannt gemacht haben. Und wir gehen neue Wege, zum Beispiel in dem wir auch Teilfehlerfeststellungen bekannt machen.

Die entscheidende Frage ist jetzt natürlich: Reicht das, um einen neuen Fall Wirecard zu verhindern? Sie wissen selbst: Kriminalität in Unternehmen lässt sich nicht kraft Gesetz ausschließen. Aber: Das Risiko erwischt zu werden, war jedenfalls noch nie so hoch wie jetzt. Und: Gesetzgeberisch, organisatorisch und personell wurden alle Voraussetzungen geschaffen für eine starke, risikoorientierte Bilanzkontrolle.

Wir haben aus dem Skandal gelernt. Wir sind heute deutlich besser aufgestellt. Wir haben mehr Befugnisse, zum Beispiel in der Öffentlichkeitsarbeit, die wir auch nutzen. Und wir haben unser Ziel fest im Blick: faire und transparente Verhältnisse am deutschen Kapitalmarkt und Schutz der Anleger.

Jetzt freue ich mich auf eine gute Diskussion später. Herzlichen Dank!

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