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Bild von Exekutivdirektor Versicherungsaufsicht, Dr. Frank Grund © BaFin/Matthias Sandmann

Erscheinung:22.09.2022 Zukunftsimpuls Regulierung

GDV-Versicherungstag 2022

Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), 22. September 2022

Es gilt das gesprochene Wort!

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

die BaFin ist kein Regulator, wir wenden die Regulierung lediglich an, legen sie aus – im Einzelfall oder durch Veröffentlichungen für die Branche. Als Aufseher wirken wir aber als Berater für politische Akteure auf nationaler, europäischer oder internationaler Ebene mit. Und deshalb haben wir natürlich auch die zukünftige Entwicklung der Regulierung im Auge – mittel- und langfristig.

Ich meine nicht konkrete Initiativen wie den Solvency-II-Review oder den Komplex der Nachhaltigkeit, die ja bereits weit fortgeschritten sind. Ich meine die darüber hinaus reichenden Trends. Wie geht es längerfristig mit der Regulierung weiter? Welche Themen werden relevanter?

Dazu habe ich vier Thesen mitgebracht.

Das Wichtigste vorab, an alle die hoffen, dass es weniger wird: Sie muss ich leider enttäuschen. Das Gegenteil ist der Fall.

Und damit bin ich schon bei These Nummer eins: Es wird für die Versicherungsbranche nicht mehr ausreichen, sich auf die Finanzregulierung zu fokussieren. Diese Zeiten sind vorbei.

Viele Regularien, mit denen wir es heute zu tun haben, stammen nicht originär aus dem Finanzbereich. Aber sie wirken sich auf ihn aus. Und damit auch auf die Versicherungsbranche.

Nehmen Sie zum Beispiel das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, besser bekannt als Lieferkettengesetz. Es ist nach zähem Ringen im vergangenen Jahr beschlossen worden. Es tritt im kommendem Jahr in Kraft. Das Gesetz verpflichtet Unternehmen, in ihren Lieferketten menschenrechtliche und bestimmte umweltbezogene Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten. Dies betrifft auch Versicherungsunternehmen, sofern sie am 1. Januar 2023 mindestens 3.000 Mitarbeiter in Deutschland beschäftigen. Das Thema ist damit aber noch lange nicht abgeschlossen, die Aktivitäten für eine EU-Gesetzesinitiative, die sogenannte Corporate-Sustainability-Due-Diligence-Richtlinie, laufen bereits. Und wir können beobachten, dass die Diskussionen breiter angelegt sind als die nationale Regelung.

Ein anderes Beispiel ist die jüngste Diskussion um eine mögliche Entwaldungs-Verordnung der Europäischen Union. Hier gibt es Stimmen, die Wirtschaftsteilnehmern erweiterte Sorgfaltspflichten auferlegen wollen, um Entwaldung oder Waldschädigung zu begrenzen. Auch hier: Keine Regulierung aus dem Finanzbereich. Aber mit potenziell großen Auswirkungen auf den Finanzsektor.

Kurzum: Regulierung aus anderen Sektoren wird relevanter werden.

Damit zu These Nummer zwei: Der Verbraucherschutz wird insbesondere in der europäischen Regulierung noch wichtiger werden.

Besonders Lebensversicherer kennen das schon. Sie müssen sich schon heute die Frage stellen: Welche Produkte sind attraktiv für den Kunden? Welche stellen einen entsprechenden Kundennutzen sicher? Diese Frage wird immer relevanter. Sie erhöht den bereits ohnehin hohen Innovationsdruck in der gesamten Branche weiter.

Als Aufsicht schauen wir an dieser Stelle bereits heute genauer hin. Kundennutzen heißt für uns, die Kosten auf einem angemessenen Niveau zu begrenzen. Anders gesagt: Erhöhten Kosten muss ein entsprechender Gegenwert für den Versicherungsnehmer gegenüberstehen! Wir führen keine Preiskontrollen durch. Wir schauen uns aber an, ob die Lebensversicherer den entsprechenden Kundennutzen nachvollziehbar geprüft haben. Wir beschäftigen uns zurzeit mit den Kostenbelastungen und Vertriebsvergütungen für Lebensversicherungen mit Sparkomponente. Dazu planen wir bekanntlich eine aufsichtliche Veröffentlichung, aber keine Regulierung. Die Konsultation soll in den nächsten Wochen beginnen.

International bekommt das Thema mehr und mehr Gewicht. Das merken wir bei unserer Arbeit im Rahmen von EIOPA. Auch dort befasst man sich intensiv mit dem Thema Kundennutzen, Stichwort: „Value for Money“. EIOPA hat das zu einer ihrer Prioritäten gemacht und wird das sicher auch in die Vorschläge an die EU-Kommission für zukünftige Regulierungsvorhaben einbringen, Stichwort Retail Investment Strategy.

Nun zu These Nummer drei. Der „Protection Gap“ wird in der Regulierung mehr Raum einnehmen. Was meine ich damit? Ich meine die Frage, ob die wesentlichen Risiken auch Versicherungsschutz genießen. Ich beobachte aktuell eine höhere Sensibilität für dieses Thema – nicht nur national. Gerade vor dem Hintergrund der letzten Flutereignisse. Oder angesichts der steigenden Risiken aus Cybervorfällen. Bleiben wir kurz beim Thema Naturkatastrophen. Nach Angaben von Branchenexperten haben im Jahr 2019 weltweit mehr als 400 Naturkatastrophen Schäden von rund 232 Milliarden US-Dollar verursacht. Versichert waren davon nur Schäden in Höhe von 71 Milliarden US-Dollar. Die Differenz ist der Protection Gap. Sie kennen hierzulande die hitzigen Diskussionen um eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden. Sie könnten zu regulatorischen Änderungen führen, die die Versicherer zur Übernahme bestimmter Risiken verpflichten – hoffentlich zu risikogerechten Prämien.

Viertens erwarte ich weitere Regulierung rund um den gesamten Themenkomplex Datenverfügbarkeit, Datennutzung und Datensicherheit. Es gibt einige Initiativen der EU-Kommission im Kontext der Kapitalmarktunion, die genau diese Felder betreffen. Damit möchte die Kommission die EU als sicheren Platz für langfristige Spar- und Anlagetätigkeiten stärken.

Ich denke hier zum Beispiel an das Projekt Open Finance. Dabei geht es um den Zugang zu Kundendaten. Und um die Weiterverwendung eben dieser Daten im Rahmen verschiedener Finanzdienstleistungen. Open Finance ist Teil der EU-Strategie zur Digitalisierung des Finanzsektors. Konkrete Auswirkungen auf den Versicherungsbereich zeichnen sich derzeit noch nicht ab, aber es gilt, dies zu beobachten.

Gleichzeitig denke ich auch an die Retail-Investment-Strategie der Europäischen Union. Damit möchte die EU die Bedingungen für Kleinanleger in Europa verbessern. Auch hier sehe ich einen Bezug zu Daten, etwa wenn es um die Auswahl an Informationen für Anleger geht, um Anlageentscheidungen treffen zu können. Aus dieser Regulierungsinitiative ergeben sich wiederum Auswirkungen auf bereits bestehende Regelungswerke, unter anderem auf PEPP, auf die IDD oder auf die Basisinformationsblätter nach der PRIIPs-Verordnung.

Um zusammenzufassen:

  • Regulierung aus anderen Sektoren wird relevanter werden.
  • Verbraucherschutz wird an Bedeutung gewinnen.
  • Der „Protection Gap“ bleibt im Fokus.
  • Und auch in puncto Daten müssen wir mit weiterer Regulierung rechnen.

Als Bafin begleiten wir die Entwicklung der Regulierung sehr aktiv und mit großem Engagement. Wir werden das weiter tun – tun Sie es auch.

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