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Bild von Exekutivdirektor Versicherungsaufsicht, Dr. Frank Grund © BaFin/Matthias Sandmann

Erscheinung:01.09.2022 Key Note

K-Tagung der Meyerthole Siems Kohlruss Gesellschaft für aktuarielle Beratung mbH

Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), 1. September 2022

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

Es trifft sich gut, dass ich in diesem Jahr zu Ihnen spreche.

Die Autoversicherung ist ja nach wie vor mit Abstand das ganz dominierende Segment der Schaden- und Unfallversicherung. Sie wird aktuell stark von zwei einschneidenden Ereignissen geprägt.

Einmal spüren wir weiterhin die Aus- und Nachwirkungen der Pandemie. Sie hat nicht nur die Menschen sehr gefordert, sondern auch bestimmte Produkte der Schaden- und Unfallversicherung extrem betroffen. Einige Segmente der Schaden-/Unfallversicherung haben heftige Verluste erlitten. Dagegen hat das geänderte Fahrverhalten gerade den Autoversicherern zwei Jahre lang völlig unverhofft Gewinne beschert.

Und zum Zweiten haben wir die furchtbaren Ereignisse in der Ukraine, die neben menschlichem Leid auch Auswirkungen auf den Finanzsektor im Allgemeinen und die Schaden-/Unfallversicherung im Besonderen haben. Zwar sind die unmittelbaren Auswirkungen auf den Versicherungsbereich - Stand heute - verkraftbar. Durch den Krieg und die damit ausgelöste Energiekrise hat jedoch die Inflation einen massiven Schub erfahren, was natürlich nicht ohne Folgen für die Autoversicherung bleiben kann.

Wenden wir uns zunächst den Nachwirkungen von Corona zu. Da sehen wir, dass das Verkehrsgeschehen im 2. Quartal 2022 nach wie vor nicht das Niveau vor Corona erreicht hat. Die Schadenquoten steigen zwar seit mehreren Quartalen mit klarer Tendenz in Richtung früheres Level, auf dem Schaden-/Kostenquoten von 100 % und mehr keine Seltenheit waren.

In der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung erreicht die Netto-Combined-Ratio im 2. Quartal 2022 mit einem Anstieg von rund 9 %-Punkten gegenüber dem Vorjahresquartal fast die 92 %-Marke. Das bedeutet, dass für die Versicherer zumindest noch ein kleines Plus übrigblieb.

Nicht so allerdings in den Kaskosparten. Bereits das Sturmtief Bernd hat ab dem 3. Quartal 2021 deutliche Spuren in den Büchern der Versicherer hinterlassen. Die Marke von 100 % bei der Netto-Schaden-/Kostenquote wurde leicht überschritten.

Insgesamt wirken jedoch offensichtlich noch Home-Office-Regelungen in vielen Betrieben und verringerte Reisetätigkeit nach, sodass die Schadenhäufigkeit weiterhin nicht das frühere Niveau erreicht. Und womöglich setzt sich dieser Trend auch aufgrund der hohen Benzinpreise und den derzeit noch vergünstigten Nahverkehrstickets fort.

Anders dagegen in Bezug auf die Schadenhöhe, bei der bereits in der Vergangenheit deutlich über der allgemeinen Inflationsrate liegende Preissteigerungen bei Ersatzteilen zu verzeichnen waren1. Doch dazu noch später.

Die relativ günstigen Schadenverläufe in KH in den Jahren 2020 und 2021 konnten nicht ohne Einfluss auf die Prämienhöhe bleiben. Zunächst haben einige Versicherer ihren Kunden eine Corona-induzierte Rückerstattung zukommen lassen, und zwar auch solche, die als Versicherungsvereine satzungsmäßig dazu gar nicht verpflichtet gewesen wären.

Darüber hinaus wirkte aber natürlich der Wettbewerb, der in den Autosparten bekanntlich sehr ausgeprägt ist. Der durchschnittliche Beitrag pro Vertrag fing an zu bröckeln. Im Jahr 2021 noch mehr als 2020.

Im 2. Quartal 2022 sehen wir bei den Bruttobeitragseinnahmen in KH insgesamt zwar wieder ein leichtes Plus von 0,7 % und sogar 1,8 % in Kasko. Die große Frage ist jedoch, ob das ausreicht. Und damit sind wir bei der Inflation.

Eine Preisdynamik von 7,5 %2 in Deutschland und über 8 % im Euroraum3 ist ein Rekordwert. Sie hat Auswirkungen auf einen Großteil der Produkte in der Schaden- und Unfallversicherung und damit natürlich auch auf die Kraftfahrtversicherung.

Durch die hohe Inflation steigen die Schadenaufwendungen signifikant. Und das führt insbesondere zu einer Erhöhung der versicherungstechnischen Rückstellungen. Betroffen hiervon sind grundsätzlich alle Versicherungszweige in der Schaden-/ Unfallversicherung, wenn auch unterschiedlich. Am stärksten wirkt sich die hohe Inflation in den Long-tail-Sparten aus, wie der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung.

Geringer betroffen sind allenfalls reine Summenversicherungen, wie etwa Unfallversicherungen. Bei diesen Produkten stellt sich aus Verbrauchersicht vor allem die Frage, ob Anpassungen notwendig sind, um noch ausreichend versichert zu sein. Aber auch hier können höhere Kosten auf die Versicherer zukommen.

In der Sachversicherung sind in erster Linie Policen betroffen, in denen der gleitende Neuwert versichert wird. Nur wenn ausnahmsweise feste Versicherungssummen vereinbart wurden, ist eine Ab-koppelung von der Preisdynamik gegeben. Dann droht den Kunden allerdings ein Abzug wegen Unterversicherung, wenn die Versicherungssumme erheblich niedriger ausfällt als der Wert der versicherten Sache.

Wo immer jedoch reale Schäden zum Neuwert zu regulieren sind oder Reparaturkosten anfallen, ob nun in der Sachversicherung oder auch den Haftpflichtzweigen, schlägt die Inflation unmittelbar zu Buche.

In der Autoversicherung ist davon auszugehen, dass Werkstatt- und Ersatzteilpreise schon jetzt stark angezogen haben, und zwar in einem Maße, dass sich das erwähnte kleine Plus in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung leicht in ein Minus für das Gesamtjahr 2022 verwandeln kann. In der vom Starkregentief Bernd bereits gebeutelten Kaskoversicherung muss gar mit einem höheren Verlust gerechnet werden.

Bei der Reservierung der Schäden nach HGB-Vorgaben ist der voraussichtliche Erfüllungsbetrag zugrunde zu legen. Aufgrund der steigenden Inflation sind ggf. Nachreservierungen vorzunehmen.

Die Schadenrückstellungen nach Solvency II wären ebenfalls anzupassen, wenn die Inflationserwartungen zu niedrig geschätzt wurden – wovon ich ausgehe.

Die Aufsicht wird diesen Prozess begleiten, indem die Auskömmlichkeit der Schadenreservierung in den Aufsichtsgesprächen, Wirtschaftsprüfer-Dialogen und Vor-Ort-Prüfungen thematisiert und kritisch hinterfragt wird. Und dies gilt nicht nur für die Autoversicherung, sondern für die Schadenversicherung insgesamt.

Die Versicherer müssen die Schadenentwicklung darüber hinaus im Hinblick auf künftige Schadenerwartungen bei der Tarifierung berücksichtigen. Es ist daher im Grunde zwingend, dass die gestiegene Inflation höhere Beiträge in der Schaden-/Unfallversicherung sowohl im Neugeschäft als auch im Bestand nach sich zieht.

Neben der Kraftfahrtversicherung erwarten wir vor allem im Versicherungszweig Wohngebäude Preissteigerungen und Beitragsanpassungen – auch aufgrund der Auswirkungen des Starkregentiefs im Sommer 2021.

In der Regel sind die Vertragslaufzeiten in der Schaden-/Unfallversicherung relativ kurz. Es handelt sich überwiegend um Jahresverträge, die zudem Beitragsanpassungsklauseln enthalten. Aufgrund der damit verbundenen Möglichkeiten, die Preise anzupassen, sehen wir trotz der klar zunehmenden Herausforderungen derzeit keine wesentlichen Stabilitätsfragen in der Sparte.

Dies gilt auch in Bezug auf unterjährige, beispielsweise monatliche oder tägliche Kündigungsmöglichkeiten durch die Versicherungsnehmer, was theoretisch das Risiko von größeren Bestandsabwanderungen, also eines „in-surance runs“, erhöht. Dieses Risiko dürfte zu schultern sein.

Allerdings sehen wir uns aktuell aufgrund des Wortlauts im Pflichtversicherungsgesetz, wonach sich KH-Verträge um jeweils ein Jahr verlängern, daran gehindert, unterjährige Lösungsmöglichkeiten vom Vertrag zuzulassen4. Das gilt natürlich nur für den Regelungsbereich des Pflichtversicherungsgesetzes, also der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, und nicht etwa für andere Zweige der Schaden-/Unfallversicherung.

Zwischen Inflation und Zins besteht ein enger Zusammenhang – oder sollte unter normalen Umständen wenigstens bestehen. Die von bedeutenden Notenbanken angekündigte oder bereits vollzogene Zinswende zur Bekämpfung hoher Inflationsraten verdeutlicht dies.

Der Zinsanstieg hat auf Versicherungsunternehmen grundsätzlich gegenläufige Effekte: Auf der einen Seite können die Unternehmen von einer höheren Verzinsung von Vermögenswerten profitieren und ihre Ertragskraft steigern. Auf der anderen Seite steigen die Schadenaufwendungen.

Der Vergleich zwischen dem starken Inflationsdruck, dem die Schadenversicherer ausgesetzt sind, einerseits und den dagegen nur moderat steigenden Zinsen andererseits zeigt jedoch: steigende Zinserträge werden weiterhin kaum zur Entlastung von teureren Schäden und höheren Kosten beitragen. Auch, weil sich eine höhere Verzinsung von Anlagen erst nach und nach in den Portfolien der Versicherer bemerkbar macht. Daher muss sich die Tarifierung zunächst so gut wie ausschließlich an der erwarteten Schadenlast und auch der Kostenentwicklung orientieren. Cash-flow underwriting wollen wir nicht.

Nicht nur das Beitragsniveau insgesamt ist von entscheidender Bedeutung. Essentiell ist auch eine risikoorientierte Tarifierung der einzelnen Tarifgruppen, von denen es in der Autoversicherung bekanntlich sehr viele gibt.

Gelegentlich ist zu beobachten, dass Versicherer Rabatte und Nachlässe für Tarifkonstellationen einräumen, die unter risikogesichtspunkten Fragen aufwerfen. Die risikoorientierte Tarifierung der einzelnen Risikogruppen betrachten wir als einen wesentlichen Baustein des Solvency-II-Regimes.

Quersubventionierungen zwischen Risikogruppen führen zu einer adversen Risikoselektion. Ungerechtfertigte Nachlässe ziehen Kunden an, die eigentlich eine höhere Prämie zahlen müssten. Und sie können – je nach Umfang der Quersubventionierung - wiederum andere Kunden, die zu viel zahlen, also „gute“ Risiken, zu Abwanderungen veranlassen. Dadurch kann der Bestand insgesamt in eine Schieflage geraten. Daher müssen wir auch aus aufsichtlicher Sicht solchen Versuchungen, die vielleicht kurzfristig einen positiven Effekt in Form von Bestandswachstum bewirken, mittelfristig aber zu Problemen führen, eine Absage erteilen.

Das Tarifsystem in der Autoversicherung ist sicherlich einem ständigen Wandel unterlegen. Das Grundgerüst jedoch ist relativ stabil, etwa in Bezug auf Wagniskennziffern, Typklassen, Schadenfreiheitsklassen, Regionalklassen und Berufsgruppen. Es dürfte so stark ausdifferenziert sein, dass die allermeisten Fallkonstellationen unter Risikogesichtspunkten angemessen bepreist werden. Sondereinstufungen oder zusätzliche Rabatte erübrigen sich da eigentlich.

Bei neuen Fahrzeugkategorien wie Elektrofahrzeugen mag es in einer anfänglichen Beobachtungsphase gerechtfertigt sein, individuelle Schadenerfahrungen mit ähnlichen Risiken in die Tarifierung durch Zu- und Abschläge einfließen zu lassen. Mit größeren Volumina wird der Schadenbedarf dieser Risiken jedoch im Wege der entsprechenden Typklasseneinstufung angemessen erfasst, sodass sich automatisch eine risikogerechte Tarifierung ergibt.

Wem die klassischen Tarifgruppen immer noch eine zu grobe Einteilung sind oder wer meint, seine individuelle Fahrweise rechtfertigt weitere Nachlässe, dem steht bei einigen Versicherern nunmehr schon seit Jahren die Telematik offen. Trotz durchaus erheblicher Vorteile, die im wörtlichen Sinne „erfahren“ werden können, fristet dieses Segment jedoch nach wie vor ein Nischendasein. Der Anteil an Telematikkunden übersteigt bei einzelnen Versicherern in der Regel kaum niedrige einstellige Anteile am Gesamtbestand5. Mancher Versicherer hat sich auch wieder davon verabschiedet und bietet die Technik nicht mehr an. Trotz hoher Anreize sind die Vorbehalte der Verbraucher gegen eine umfassende Erfassung der Fahrdaten offenbar deutlich größer, vor allem, wenn man bedenkt, dass zum Jahresende viele Kunden den Versicherer wechseln. Denn es werden in der Regel weiterhin traditionelle Tarife gewählt.

Teilweise gibt es weitere Vorbehalte wie die Furcht, mehr zahlen zu müssen als im Normaltarif oder gar eine Kündigung wegen zu risikobehafteter Fahrweise zu riskieren. Einer Kündigung steht jedoch schon der Annahmezwang in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung entgegen, der das Unternehmen verpflichten würde, denselben Kunden direkt wieder zu versichern. Ferner sehen die gängigen Telematiksysteme nur einen Nachlass und keinen Zuschlag auf den traditionellen Tarif vor.

Die Aufsicht hat jedenfalls aktuell keine Veranlassung, Vorbehalte gegen die Telematik zu erheben. Voraussetzung ist natürlich, dass bei der Datenerfassung und der Umrechnung in ein Scoring rein risikoorientierte Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Unzulässige Diskriminierungen haben zu unterbleiben. Wir gehen davon aus, dass die Versicherer entsprechend vorgehen.

Klar ist jedoch, dass die Entwicklung datenbasierter Tarife den Zugang zu geeigneten Daten in ausreichender Menge voraussetzt. Dies scheint, neben der nachfrageseitigen Zurückhaltung, ein weiteres Hemmnis auf Seiten der Anbieter darzustellen. Neuartige Wege der Kooperationen innerhalb der Versicherungsbranche erscheinen mitunter erforderlich, um auch kleineren Versicherern die Möglichkeit zu geben, Telematik-Tarife zu konzipieren und ihren Kunden anzubieten.

Einige Branchenkenner räumen dem Zweig der Telematik-Versicherungen trotz Zurückhaltung und Hemmnissen ein sehr hohes Wachstumspotential ein. Gegebenenfalls erfährt er Auftrieb durch den anstehenden Data Act. Der Gesetzentwurf der Europäischen Kommission zielt, zusammen mit dem Data Governance Act, auf eine Verbesserung des Austausches und der Nutzung von Daten aus dem Bereich Internet-of-Things über Branchengrenzen hinweg ab.

Versicherungsunternehmen könnte somit die Möglichkeit eingeräumt werden, Daten, die durch die Nutzung eines Produkts entstehen, direkt vom Hersteller zu erhalten. Mittels dieser externen Daten könnten Versicherungsunternehmen neue Telematik-Tarife konzipieren und somit risikogerechtere Prämien erheben, ohne eigene Sensoren in den Produkten ein-bauen zu müssen.

Wie immer man zur Telematik steht, der Verbraucher ist jedenfalls ganz überwiegend zurückhaltend und bleibt lieber bei dem ihm bekannten und vielleicht auch bewährten System. Es bleibt abzuwarten, ob dieses Produkt das Nischendasein Stück für Stück verlässt.

Die Gesetzesinitiativen der Europäischen Kommission zeigen deutlich, dass Daten im Mittelpunkt des digitalen Wandels stehen. Nur wer über einen Zugang zu den ständig wachsenden Datenmengen verfügt, wird technische Innovationen entwickeln und nutzen können.

Dies gilt aktuell insbesondere für Anwendungen aus dem Bereich Maschinellen Lernens, die auch in der Versicherungsbranche weiter Fuß fassen.

Auch hier gilt jedoch, dass ggf. nicht alle Versicherungsunternehmen über die personellen und monetären Ressourcen sowie geeignete Datenmengen verfügen werden, um solche Anwendungen selbst zu entwickeln. Das Potential zur Prozessoptimierung und -beschleunigung durch Anwendungen aus dem Bereich Maschinellen Lernens könnten ihre Nutzung für ein Versicherungsunternehmen mittelfristig jedoch zwingend machen, wenn es weiter erfolgreich im Markt agieren will. Eine Möglichkeit trotz eingeschränkter Ressourcen, an solchen Anwendungen zu partizipieren stellt daher die Ausgliederung dar.

Entsprechend häufig hören wir in der Versicherungsaufsicht daher derzeit von Bestrebungen regulierter aber auch nicht regulierter Unternehmen, sich über das Dienstleistungsgeschäft ein weiteres Standbein aufzubauen. Schlagwort ist hier „Insurance-as-a-Service“. Nun ist die Auslagerung von Versicherungsprozessen auf Dienstleister nicht neu. Neu ist jedoch der Fokus auf Automatisierung und die Tatsache, dass nicht mehr nur Dienstleister, sondern auch Versicherungsunternehmen sowie Start-ups unter diesem Schlagwort agieren. Die Bandbreite des Angebots ist groß und umschließt alle versicherungsrelevanten Prozesse.

Aufsichtsseitig ist die Auslagerung von Prozessen und Funktionen zunächst unkritisch, sofern die rechtlichen Regelungen hierzu von allen Beteiligten eingehalten werden. Dennoch gibt die steigende Ausgliederungsdynamik auch den damit einhergehenden Risiken neuen Auftrieb. Für die Aufsicht spielen insbesondere zwei Fragen eine Rolle: ob die bei Dienstleistern entstehenden Risiken ausreichend überwacht werden können und ob sich erhebliche Konzentrationsrisiken ergeben. Mittels der neuen Anzeigenverordnung in der Versicherungsaufsicht will die BaFin diese wichtigen Themen angehen.

Cloud-Lösungen sind auf dem Weg zur Modernisierung der Versicherungsbranche ein häufig genanntes Schlagwort. Zum einen setzt die Auswertung steigender Datenmengen und die Entwicklung technischer Innovationen, erhebliche und erschwingliche Rechenkapazitäten voraus. Zum anderen können Cloud-Anbieter auch über das Angebot reiner Rechenkapazitäten hinaus, als umfassende IT-Dienstleister fungieren. Aufgrund der hohen Bedeutung, hat sich die Aufsicht schon vor längerer Zeit zum Thema Cloud-Computing geäußert. Das Merkblatt „Orientierungshilfe zu Auslagerungen an Cloud-Anbieter“ vom 18. November 2018 ist nach wie vor gültig und von den Versicherern zu beachten. Es verpflichtet die beaufsichtigten Unternehmen, eine umfassende Risikoanalyse zur Nutzung von Cloud-Diensten durchzuführen und beim Abschluss von entsprechenden Verträgen auf ein umfassendes Auskunfts- und Prüfungsrecht des Versicherers und der Aufsicht zu achten. Dazu gehört, einen uneingeschränkten Zugriff auf Informationen und Daten sowie Zugang zu den Geschäftsräumen des Cloud-Anbieters zu gewähren. Auch Vor-Ort-Prüfungen müssen möglich sein.

Stichwort autonomes Fahren. Die Fortschritte in der Fahrzeugtechnik machen es möglich, dass nicht nur zahlreiche Assistenzsysteme den Fahrer unterstützen, sondern einige Fahrzeuge in Teilbereichen hoch- oder vollautomatisiert fahren können, wobei ein Fahrer in diesen Fällen nach wie vor am Steuer sitzt und notfalls eingreifen kann. Andere Fahrzeuge fahren gar vollständig autonom.

Manch einer sieht in dieser Entwicklung schon das Ende der Kraftfahrtversicherung eingeläutet. Dazu gibt es zwei Aspekte, die immer wieder diskutiert werden.

Einmal sollen Fahrassistenzsysteme in ihren unterschiedlichen Entwicklungsstufen helfen, Unfälle zu reduzieren und immer stärker zu vermeiden. Das ist sicherlich auch so.

Allerdings werden bessere Assistenzsysteme in der Regel nur in Neufahrzeugen angeboten und nicht nachträglich eingebaut, sie verbreiten sich also nur sehr langsam.

Das gilt besonders für die im vergangenen Jahr durch den Gesetzgeber geregelten Einsatz von hoch- und vollautomatisierten Fahrfunktionen, bei denen es dem Fahrer erlaubt wird, das Steuern des Fahrzeugs in bestimmten Situationen vorhandenen Assistenzsystemen zu überlassen, sofern der Fahrer das System jederzeit übersteuern oder deaktivieren kann.

Und erst recht gilt das für das vollständig autonome Fahren, bei dem das Fahrzeug eine Fahraufgabe selbständig in einem festgelegten Betriebsbereich und ohne fahrzeugführende Person erfüllen kann.

Darüber hinaus verteuert die eingebaute Technik Reparaturen, sodass Effizienzgewinne teilweise wieder wettgemacht werden.

Dennoch: Assistenzsysteme bleiben sinnvoll und notwendig, um den Straßenverkehr sicherer zu machen. Nur werden sie nicht so bald dazu führen, dass die Prämien deutlich sinken.

Der zweite Aspekt, der im Zusammenhang mit autonomem Fahren ins Spiel kommt, ist die Frage, ob Unfallschäden durch hoch-, vollautomatisierte oder autonome Fahrzeuge nicht durch die Hersteller der Systeme reguliert werden müssten. Das könnte dann in Betracht kommen, wenn ein Produktfehler nachgewiesen werden kann. Auch deshalb sprechen manche Beobachter schon vom Ende der Kraftfahrtversicherung.

Dem ist jedoch eine klare Absage zu erteilen: Es kann nicht Aufgabe des Verkehrsopfers sein, herauszufinden, ob ein technischer Fehler in den Assistenzsystemen oder ein Fahrfehler oder womöglich beides in unterschiedlichen Haftungsanteilen zu dem Schadenfall geführt hat.

Der Geschädigte benötigt eine entscheidende Ansprechperson, und das ist der Kfz-Haftpflichtversicherer.

Daher muss es bei dem Grundprinzip bleiben, dass der Halter einer Gefährdungshaftung für das von ihm betriebene Kraftfahrzeug unterliegt und er sich, den Fahrer sowie nunmehr auch, bei autonomen Fahrzeugen, die Person der technischen Aufsicht gegen Haftpflicht versichert. Das Verkehrsopfer erhält auf diese Weise einen Direktanspruch gegen das Versicherungsunternehmen für sämtliche denkbaren Fallkonstellationen.

Außerdem, und das ist einem Aufseher natürlich besonders wichtig: Das Verkehrsopfer hat auch einen Anspruch gegen ein staatlich beaufsichtigtes und entsprechenden Kapitalvorschriften unterliegendes Unternehmen. Daher ist es nur konsequent, dass der Gesetzgeber an diesen Prinzipien nicht gerüttelt hat.

Die Mobilität ist also, und das war natürlich auch immer schon so, einem Wandel unterlegen, wobei die Digitalisierung und der Fortschritt der Technik langfristig durchaus dazu führen kann, dass die Bedeutung und die Umsätze in der Kraftfahrtversicherung durch hochautomatisierte oder autonom fahrende Fahrzeuge und vielleicht auch durch verstärkte Nutzung anderer Verkehrsmittel Stück für Stück zurückgehen. Dies gilt besonders im Verhältnis zu anderen Segmenten der Schaden-/Unfallversicherung wie dem Schutz gegen Elementarrisiken oder auch der Cyberpolice, die, wie wir im vergangenen Jahr gesehen haben, inzwischen bedeutende Wachstumsraten erzielt. Dieser Prozess ist jedoch evolutionär. Kurz- und mittelfristig wird uns die Kraftfahrtversicherung als wichtigster Zweig in
Non-Life erhalten bleiben.

D.h. Herr Meyerthole, Herr Siems, Sie werden auch in den nächsten Jahren viele Themen für Ihre K-Tagung haben.

Meine Damen und Herren, nach diesem Einblick in meine Einschätzung der aktuellen Herausforderungen über die Branche, freue ich mich nun auf Ihre Fragen.

Fußnoten:

  1. 1 Nach GDV-Angaben in 2020/2021 ca. 6,2 % Preisanstieg bei Ersatzteilen
  2. Angabe des Statistischen Bundesamtes für Juli 2022 vorläufig, ggf. Aktualisierung bei Vorliegen neuer Daten notwendig
  3. Im Juni 2022 8,6 % im Euroraum, ggf. Aktualisierung bei Vorliegen neuer Daten notwendig
  4. 4 § 5 Abs. 5 Satz 2 PflVG, siehe auch BaFinJournal 02/2022, Seite 24
  5. 5 Anmerkung: HUK-Coburg rund 3 %, Pressemeldung in 03/2022, eigene Daten haben wir nicht

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