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Bild des Präsidenten der BaFin, Mark Branson © BaFin/Matthias Sandmann

Erscheinung:08.06.2022 „Eine starke Stimme für eine starke Aufsicht“

Festrede von Mark Branson, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), im Rahmen der Feier "20 Jahre Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA)" Österreich am 8. Juni 2022 in Wien

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich gratuliere der Finanzmarktaufsicht in Österreich – der FMA - zum 20-jährigen Bestehen!

Dies gilt umso mehr, da das Gründungsjahr der FMA auch das Gründungsjahr der BaFin ist. Die BaFin nimmt damit heute sozusagen an der Geburtstagsfeier ihrer Zwillingsschwester teil: Im April 2002 hat die FMA ihre operative Arbeit aufgenommen, die BaFin startete im Mai desselben Jahres. Damit wäre die bei Zwillingen besonders strittige Frage, wer zuerst da war, schon einmal geklärt.

Wie bei Zwillingen üblich, teilen FMA und BaFin eine gemeinsame Geschichte. Die vergangenen 20 Jahre waren von Umbrüchen und Unsicherheit geprägt: Die Gründung unserer beiden Institutionen stand noch unter dem Eindruck der geplatzten Dotcom-Blase. Heute setzen wir uns mit den Folgen einer weltweiten Pandemie und eines Kriegs in Europa auseinander. Solche Krisen, aber auch gesellschaftliche Trends wie die Digitalisierung, hatten und haben teils dramatische Auswirkungen auf die Aufsichtspraxis sowie auf die Aufsicht selbst.

Mindestens eine Konstante gab es jedoch in den vergangenen 20 Jahren: das Selbstverständnis der FMA als unabhängige, weisungsfreie, integrierte Aufsicht in Österreich. Diese Worte sind zentral und dürfen keine Lippenbekenntnisse sein. Ich bin fest davon überzeugt: Nur eine operativ unabhängige Aufsicht ist eine starke Aufsicht. Als Finanzaufseher müssen wir in der Lage sein, mutig, in der Sache klar, schnell und verantwortungsbewusst zu handeln.

Gerade, weil wir klare Ziele und einen langfristigen, zyklusunabhängigen Zeithorizont haben, können wir konsistente und konsequente Entscheidungen treffen. Angesichts eines stark vernetzten und verflochtenen Finanzmarkts treffen wir diese Entscheidungen als integrierte Aufsicht besonders effektiv.

Es gibt nicht viele Länder in der Eurozone, in denen – wie in Österreich und Deutschland – die Notenbank nicht die zuständige Bankenaufsichtsbehörde ist und in denen die prudenzielle Aufsichtsbehörde zugleich auch die Abwicklungsbehörde ist und das Geschäftsverhalten überwacht.

Auch unsere Bankensysteme mit ihren vielen kleineren Instituten und starken Verbünden sind in Europa besonders. Unsere Gemeinsamkeiten im Banken- und Aufsichtsgefüge, aber auch in der Aufsichtskultur, haben uns zu starken Verbündeten gemacht.

Noch eine Gemeinsamkeit, was die FMA und die BaFin zu starken Verbündeten macht: Wir wurden in die gleiche Familie hineingeboren – in die europäische Familie.

Das ist gut so! Die Finanzbranche ist einer der am längsten globalisierten Wirtschaftszweige. Ich bin davon überzeugt, dass wir nur gemeinsam Probleme lösen können, die am internationalen Finanzmarkt entstehen.

Europa braucht dafür eine ausgesprochen starke Aufsicht. Nur so können wir Anleger, Gläubiger und Verbraucher schützen, die Integrität und Stabilität des europäischen Finanzsystems bewahren – und uns gemeinsam für effektive globale Regeln einsetzen.

Da sind wir gleicher Meinung. Unsere starke Stimme für eine starke Aufsicht in Europa ist wichtig.
Diese Stimme ist aber nicht die einzige, welche versucht, Aufsichtspraxis und Regulierungsrahmen zu beeinflussen. Wir erleben auch - unverschlüsselt gesagt - starke Stimmen für eine schwache Aufsicht oder starke Stimmen für nationale Interessen.

Welche Motive auch immer dahinterstecken: Aus meiner Sicht schwächen sie am Ende den europäischen Finanzmarkt. Die Finanzwirtschaft lebt mehr als andere Wirtschaftszweige davon, dass die Allgemeinheit darauf vertrauen kann, dass sie stabil und leistungsfähig ist.

Unser Ziel und unser Auftrag ist es, dieses Vertrauen zu bewahren, indem wir Kundinnen und Kunden von Banken, Versicherungen und Fonds gut schützen. Wir vertreten die Interessen dieser Kundinnen und Kunden in dem Sinne, dass faire Finanzdienstleistungen erbracht werden, die Finanzmärkte fair funktionieren und die Finanzdienstleister stabil sind, sodass die Bankkundinnen und -kunden ihre Einlagen jederzeit zurückerhalten und die Versicherten die versprochenen Versicherungsleistungen auch abrufen können. Damit vertreten wir prinzipiell auch die Interessen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die letztlich für die Folgen von Finanzkrisen aufkommen müssten.

Aus Sicht der regulierten Institute bedeutet Aufsicht hingegen in erster Linie Einschränkungen – und zwar Einschränkungen, die sich im Laufe der vergangenen 20 Jahre zu Recht verschärft haben. Es ist völlig legitim und Ausdruck unseres demokratischen Selbstverständnisses, dass die Branche bisweilen gegen diese Einschränkungen ankämpft. Analog ist eine fortlaufende - und zwangsläufig politische - Überprüfung der Balance zwischen Regulierung und Marktfreiheit absolut gesund.

Meine Damen und Herren, es wird Sie nicht überraschen, dass ich der Auffassung bin, dass eine gut funktionierende Aufsicht und eine Regulierung mit hohen Sicherheitsstandards der beste Schutz nicht nur für die Kundinnen und Kunden, sondern auch für das Ansehen der gesamten Finanzbranche sind. Damit stärken Aufsicht und Regulierung letztlich die Nachhaltigkeit und die Anziehungskraft eines Standorts im internationalen Wettbewerb.

Aktuell braucht es mehr Mut, einen Job wie den unsrigen auszuüben, als in einer Phase, in der alle nach mehr Regulierung schreien. Es braucht Mut, schwierige Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen. Es braucht Mut, „Nein“ zu sagen gegenüber gestandenen Bank- und Versicherungsmanagern, die es teilweise nicht gewohnt sind, das Wort „Nein“ zu hören. Und es braucht Mut, Dinge zu priorisieren und dabei zu akzeptieren, dass vielleicht auch Risiken unerkannt bleiben.

Aber wie sich die Finanzbranche nicht nur von Optimismus leiten lassen sollte, dürfen wir uns nicht von Furcht leiten lassen. Wie bei jeder Behörde, bei jedem Unternehmen, bei jedem einzelnen von uns, Fehler können nie 100 Prozent ganz ausgeschlossen werden. Doch viel schlimmer, als etwas zu tun, das nachher suboptimal aussieht, ist es, untätig zu bleiben – aus Angst, etwas Falsches oder Unbeliebtes zu tun.

Misserfolg wird schnell sichtbar, Erfolg bleibt meistens unsichtbar. Deswegen ist Aufsicht so schwierig: Wenn es gut geht, wie die Erfahrung zeigt, ist man im besten Fall ein heimlicher Held.

Fest steht: In Europa sein, muss heißen, sich für eine starke, mutige Aufsicht einzusetzen.
Schließlich beweist auch die Geschichte, dass sich die gemeinsamen Herausforderungen nur mit einer starken Aufsicht bewältigen lassen. Erlauben Sie mir, Ihnen einige Beispiele zu nennen.

In den Jahrzehnten vor der globalen Finanzkrise 2007/2008 hatte ein – aus heutiger Perspektive – übersteigertes Vertrauen auf die Effizienz der Märkte dominiert. Die Schlagworte waren Deregulierung und Aufsicht leichter Hand - light touch supervision. Effektive Regulierung im Sinne einer wirksamen Aufsicht lag nicht gerade im Trend, solange die Geschäfte florierten. Wenn überhaupt Regulierung, dann bitte „light“.

Die Finanzkrise 2007/2008 offenbarte schließlich diese Schwächen. Ein Beispiel für solche unzureichenden Standards im Bankensektor war etwa Basel II, der in seiner Modellgläubigkeit zu einer Überverschuldung im globalen Bankensystem geführt hat, und das genau zum gefährlichsten Zeitpunkt am Ende eines langen Booms.

Mit der Finanzkrise wurden plötzlich alle wach – und forderten, man müsse nur streng genug vorgehen, um Krisen in Zukunft gänzlich zu verhindern. Das allerdings kann Regulierung allein nicht leisten. Übersteigerte Staatsgläubigkeit ist nicht besser als übersteigerte Marktgläubigkeit.

Kurz darauf dann die nächste Krise: die Eurokrise. Zwar befanden wir uns nun in der umgekehrten Situation zur Finanzkrise: Damals hatten die Banken mit ihrem Finanzbedarf die Staaten in Anspruch genommen, nun zog die Staatsschuldenkrise die Banken in Mitleidenschaft. Die Konsequenzen waren jedoch ähnlich dramatisch wie die der Finanzkrise – mit gravierenden Folgen für Millionen von Menschen, die ihre Rente, ihre Jobs, und oftmals ihre Zuversicht verloren.

Sowohl die Finanz- als auch die europäische Staatschuldenkrise waren Katalysatoren für wegweisende Entwicklungen und Regulierungsprojekte, die unsere Aufsichtspraxis heute bestimmen. Im Guten wie im Schlechteren.

Zu den positiven Aspekten gehört sicherlich, dass sich damals unter dem Eindruck der unzureichenden Regulierung vor den Krisen die Stimmen durchgesetzt haben, die eine starke Aufsicht forderten. Seither geben einheitliche Standards die Aufsichtspraxis im Euroraum vor. Das hat entscheidend dazu beigetragen, Aufsichtsarbitrage abzubauen, die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems substantiell zu stärken und das Vertrauen in dieses System wiederzugewinnen.

Kritisch sehe ich allerdings, dass die Reformen noch unvollendet sind: Basel III, das Europäische Einlagensicherungssystem - EDIS, die Diskussion über die Risikogewichtung von Staatsanleihen in den Bilanzen der Banken, die Kapitalmarktunion: alle längst nicht vollendet.

Sehr geehrte Damen und Herren, nach der Krise ist vor der Krise.

In der Schuldenkrise nahm seinen Anfang, was uns heute zunehmend Kopfzerbrechen bereitet: Hier verorten wir die Ursprünge der laxen Geldpolitik, die uns nun seit fast zwei Jahrzehnten begleitet. Die Zinsen waren schon vor der Krise niedrig, danach hatten wir uns beinahe auf japanische Verhältnisse eingestellt. Nun deutet sich die Zinswende an – und eine geldpolitische Ära geht zu Ende. In den vergangenen vier, fünf Jahren reihte sich geradezu ein De-Globalisierungs-Schock an den nächsten. Die Handelspolitik der vorigen US-Präsidentschaft oder der Brexit, haben uns gezeigt, dass Phasen gemeinsamer Projekte und des relativen Zusammenhalts nicht von Dauer sein müssen.

Die Covid-19-Pandemie und der Krieg in der Ukraine waren in dieser Hinsicht weitere De-Globalisierungs-Schocks. Was bedeutet das für die Finanzstabilität? Und was bedeutet es für uns Aufseher?

Nach meiner Wahrnehmung wird der Wind zunehmend rauer. Wir beschäftigen uns mit Bewertungsrisiken an Wertpapier- und Immobilienmärkten, mit Zinsänderungsrisiken, wenn die Normalisierung nicht sanft über die Bühne geht, mit einem äußerst unsicheren Ausblick für die Realwirtschaft und mit Dauerbrennern wie Cyber- und Geldwäscherisiken. Es wird uns in den nächsten zwanzig Jahren die Arbeit nicht ausgehen.

Wo steht die Finanzmarktaufsicht in 2042?

Ehrlich gesagt: Angesichts der Themen, die uns jetzt beschäftigen, nicht zu vergessen die extrem dynamische Digitalisierung, und der Klimawandel wage ich keine detailliertere Prognose zum Verlauf der nächsten 20 Jahre.

Dennoch: Die FMA setzt sich mit ihrer Zukunft auseinander. Sie hat sich intensiv mit den großen Zukunftstrends beschäftigt, eine Risikoanalyse durchgeführt und auf dieser Grundlage ein Programm gestartet, welches die künftigen Erfolgsfaktoren von Regulierung und Aufsicht in den Blick nimmt. Der Titel dieses Programms: „Fit for Future 2025“.

Auch die BaFin hat sich strategische Mittelfristziele bis 2025 gesetzt und dabei ähnliche Handlungsfelder identifiziert.

Meine Damen und Herren, noch ein Beweis dafür, dass wir echte Schwestern im Geiste sind – eben wie Zwillinge.

Was aber sicher ist: Wir werden Mut brauchen, meine Damen und Herren, uns weiterhin für eine starke Aufsicht einzusetzen.

Unsere Aufsicht muss stark, unabhängig, mutig, schnell, risikoorientiert, vernetzt, ganzheitlich und vorausschauend sein. Diese Werte sind heute genauso aktuell wie zur Gründung der FMA vor 20 Jahren, und das wird in 20 Jahren nicht anders sein.

Als Teil des Zwillingspaares wünsche ich der FMA alles Gute: Bleiben Sie fit und uns eine starke Partnerin – heute, in 2025 und darüber hinaus!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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