BaFin - Navigation & Service

Bild des Präsidenten der BaFin, Mark Branson © BaFin/Matthias Sandmann

Erscheinung:09.05.2023 „Die richtigen Lehren ziehen“

Jahrespressekonferenz der BaFin am 9. Mai 2023

Statement von Mark Branson, Präsident der BaFin

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren,

herzlich willkommen zur Jahrespressekonferenz der BaFin – auch im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen aus dem Direktorium! Wir freuen uns, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind.

Seit März durchlebt das weltweite Finanzsystem eine Art Stresstest in Echtzeit. Dabei war eigentlich immer klar, dass der Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik Turbulenzen auslösen würde. Trotzdem wurden einige Marktteilnehmer davon überrascht. Bis jetzt erweist sich das globale Finanzsystem aber als stabil. Auch weil wir eine andere Regulierung haben als vor der Krise 2007/2008.

Doch es ist nicht sicher, dass diese schwierige Phase hinter uns liegt. Stressphasen entwickeln sich oft in Schüben. Weitere Zinserhöhungen sind keinesfalls ausgeschlossen. Zugleich sind noch nicht alle Effekte der bisherigen Zinsanstiege sichtbar. Bewertungen werden in vielen Märkten nur zeitverzögert korrigiert.

Entscheidend wird es sein, die Lehren aus den vergangenen Monaten zu ziehen. Und zwar die richtigen. Wir müssen sehr sorgfältig prüfen, ob und, wenn ja, wo wir bei Regulierung, Aufsicht oder Abwicklungsplanung nachschärfen sollten.

Kurze Rückblende: Wie kam es zu den Turbulenzen? Und was bedeuten sie für den deutschen Bankenmarkt? Vier Phänomene konnten wir beobachten:

Erstens: Mit den schnell steigenden Zinsen kristallisieren sich die Zinsänderungsrisiken heraus. Dass aus diesen Risiken durchaus Tatsachen werden können, haben wir in den USA gesehen. Mehrere mittelgroße Banken sind betroffen. Hier in Deutschland sind diese Häuser kaum bekannt, aber zwei von ihnen zählten zu den größten 20 Finanzinstituten der USA.

Risiken aus signifikanten und abrupten Zinsanstiegen waren auch deutsche Institute ausgesetzt. Wir haben diese Risiken daher schon lange im Fokus. Institute mit einem wirksamen Risikomanagement hatten und haben ihre Zinsänderungsrisiken im Griff. Sie stehen sogar vergleichsweise gut da. Sie profitieren von den höheren Zinsen und verbuchen schon jetzt höhere Erträge.

Mehrere kleinere deutsche Institute hatten größere offene Zinsrisikopositionen. Der Zinsanstieg hat starke Wertberichtigungen in ihren Wertpapierportfolien ausgelöst. Insgesamt waren es bei den kleineren Instituten knapp 13 Milliarden Euro. Für den Zinsschock im vergangenen Jahr hatten diese Institute ausreichend hohe Reserven oder Kapitalpolster, um Verluste auffangen zu können. Aber die stillen Reserven sind nun aufgebraucht.

Eine Handvoll kleiner Institute mit geringen Reserven und Kapitalpuffern und aktuell hohen Zinsänderungsrisiken begleiten wir besonders eng. Bisher sehen wir hier aber keine Gefahr für eine systemische Krise. Trotzdem sollten wir uns überlegen, wie diese Risiken noch besser eingedämmt werden könnten.

Fakt ist: Für Zinsänderungsrisiken gibt es noch immer keine verpflichtenden Mindestanforderungen für das Eigenkapital in der Säule I des Regelwerks für Banken. Diese Risiken können zwar mit den aufsichtlichen Instrumenten der Säule II abgefedert werden. Doch ich denke, wir sollten hier nachbessern.

Bereits vor einigen Jahren hat sich der Baseler Ausschuss mit der Frage der Eigenkapitalunterlegung für Zinsänderungsrisiken in der Säule I beschäftigt – und diese Idee wieder verworfen. Möglich, dass die Idee angesichts der jüngsten Ereignisse nun bessere Chancen hätte.

Ich komme zum zweiten Phänomen: Bank-Runs und Liquiditätskrisen entstehen heutzutage viel schneller als früher. In der Finanzkrise 2007/2008 floss die Liquidität mitunter über Monate ab. Jetzt ist das innerhalb von Stunden möglich.

Binnen Sekunden lassen sich über die sozialen Medien Informationen und Gerüchte verbreiten. Und übers Online-Banking Einlagen abziehen. Zu jeder Tageszeit und an fast jedem Ort der Welt. So gerieten einige Banken in kurzer Zeit in eine Liquiditätskrise.

Bei deutschen Instituten gibt es keine rationalen Gründe für eine Liquiditätskrise. Aber es gibt auch irrationale Ängste. Diesen psychologischen Faktor sollte man nicht unterschätzen: Dagegen sind Einleger und Gegenparteien auf keinem Bankenmarkt der Welt immun. So gesehen sind die erhöhten Liquiditätsrisiken im Bankensektor ein globales Phänomen.

Darauf müssen wir eine regulatorische Antwort finden. Die kann meines Erachtens nicht darin bestehen, breitflächige Garantien für ungesicherte Einlagen auszusprechen. Das könnten die Einlagensicherungssysteme nicht leisten. Am Ende müsste dann doch der Staat dahinterstehen. Das Risiko von Moral Hazard wäre gigantisch. Wenn ein Teil eines Geschäftsmodells nur mit Staatsgarantie funktioniert, sollte man erst einmal diesen Teil hinterfragen.

Doch wie sollen wir mit der Gefahr beschleunigter Liquiditätsabflüsse umgehen? Die Liquidity-Coverage-Ratio (LCR) soll die Institute schon jetzt vor plötzlichen Abflüssen schützen. Diese Kennziffer bemisst den Anteil an hochliquiden Aktiva, die Institute vorhalten müssen, um selbst unter schwerem Stress 30 Tage lang allen Nettozahlungsverpflichtungen nachkommen zu können.

Das Problem ist nur, dass Einlagen mittlerweile sehr viel schneller abgezogen werden können, als man bei der Verabschiedung der Liquidity-Coverage-Ratio nach der Finanzkrise annahm.

Ungesicherte Einlagen sind keineswegs immer so stabil wie bisher unterstellt. Manche sind sogar besonders flüchtig, wie der Fall der Silicon Valley Bank wieder gezeigt hat. Daher müssen wir sehr genau prüfen, an welchen Stellen wir die Liquiditätsregeln nachschärfen sollten. Und auch das besser in Säule I des Regelwerks als in Säule II.

Auch die strukturelle Liquiditätsquote, die Net Stable Funding Ratio, sollten wir analysieren. Sie legt fest, in wieweit Aktiva stabil zu refinanzieren sind. Auch bei dieser Quote werden Einlagen als sehr stabil bewertet, besonders die privater Kundinnen und Kunden. Doch was ist, wenn irrationale Ängste ins Spiel kommen?

Psychische Faktoren spielen auch eine entscheidende Rolle, wenn eine Bank scheitert. Können wir ausschließen, dass sich andere Institute anstecken, wenn wir eines in die Insolvenz gehen lassen? Oder lösen die Ängste der Einleger und Gegenparteien Dominoeffekte aus? Das bringt mich zu Phänomen drei: Im Ernstfall ist man auch mit relativ kleinen Banken so umgegangen, als seien sie systemrelevant. Der Hintergrund ist klar: Niemand will in einer Krise die Finanzstabilität aufs Spiel setzen, und die Zeit drängt. Da scheint es sicherer zu sein, kurzerhand die Schwelle zur Systemrelevanz nach unten zu verschieben und die Bank für systemisch zu erklären. Und das führt dann zu mehr oder weniger improvisierten Rettungsaktionen.

Wir müssen es schaffen, dass die Schieflage eines kleineren oder mittelgroßen Instituts keine unnötigen Ansteckungsängste mehr auslöst. Das ist kein einfaches Unterfangen. Gerät eine Bank in Schieflage, scheint der Markt zu glauben, dass ihr andere Banken nachfolgen.

Auch deswegen beschäftigt sich die EU-Kommission mit dem Crisis Management and Deposit Insurance Framework. Dabei geht es auch um die Frage, ob der Rechtsrahmen der Abwicklungsrichtlinie und die Einlagensicherungsrichtlinie ausreichend sind, um mit Schieflagen von kleineren, mittelgroßen und vor allem einlagenstarken Instituten angemessen umzugehen.

Teure, improvisierte staatliche Rettungsaktionen können nicht der richtige Weg sein. Andererseits: Für alle Institute zu planen, dass sie im Notfall abzuwickeln sind, wäre vermutlich unverhältnismäßig teuer. Bei kleineren Instituten müssen auch schnelle Marktaustritte möglich sein.

Alle kleinen Institute abzuwickeln, ist genauso falsch wie große systemrelevante Banken nicht abzuwickeln. Und das bringt mich zum vierten Thema: zur Glaubwürdigkeit des globalen Abwicklungsregimes. Es gibt Stimmen, die nach der Rettung der Credit Suisse Teile dieses Regimes in Frage stellen.

Das sollten wir nicht tun. Wir sollten systemrelevante Institute abwickeln können. Das war ein zentrales Anliegen der Reformen nach der Krise 2007/2008. Nie wieder sollte ein Institut zu groß zum Scheitern – too big to fail – sein. Dieses Ziel dürfen wir nicht aufgeben.

Wir brauchen ein Abwicklungsregime, dem alle vertrauen und das dann auch alle nutzen. Noch immer ist das globale Regime für Großbanken nicht überall in der Welt vollständig umgesetzt.

Ein gutes Beispiel sind die Liquidity Backstops. Ohne sie geht es nicht, wenn eine Großbank in Schieflage gerät. Denn dann braucht das Institut schnell Liquidität. In der Krise wächst der Bedarf exponentiell. Bisher musste fast immer der Staat mit Liquiditätsgarantien helfen. So auch zuletzt in der Schweiz.

Leider ist in der EU die geplante Letztsicherung des European Stability Mechanism (ESM) noch nicht in Kraft getreten. Es ist teilweise auch unklar, wann und unter welcher Voraussetzung im Krisenfall Zentralbanken Liquidität zur Verfügung stellen können. Hier haben wir auch in Europa Handlungsbedarf.

Zudem gibt es Sorgen, ob Abwicklungsmaßnahmen bei einer Bank Kundinnen und Kunden und Gegenparteien weltweit verunsichern können. Wir sollten schauen, wie wir diese Sorgen beseitigen können.

Wichtig ist Transparenz für alle Marktteilnehmer. Es muss für alle klar sein, welche Banken abgewickelt werden sollen. Und es muss nicht nur klar sein, wann und wie rekapitalisiert wird. Es muss auch klar sein, welche Liquiditätshilfen zur Verfügung stehen. Und letztlich muss im konkreten Fall die Zukunft der umstrukturierten Bank für alle klar, sichtbar und glaubwürdig dargestellt werden.

Lassen Sie mich zusammenfassen: Das deutsche Bankensystem erweist sich bisher als stabil und widerstandsfähig. Der Anstieg der Zinsen war lang ersehnt und wirkt sich sehr positiv auf die Ertragslage aus. Trotzdem müssen wir wachsam sein – die Auswirkungen der Zinserhöhungen werden wir noch über die nächsten Quartale und Jahre erleben. Eine sorgenfreie Haltung nach dem Motto „hier könnte so etwas nicht passieren“ wäre total fehl am Platz.

Seit der Finanzkrise 2007/2008 arbeiten wir an einem stabileren Finanzsystem. Wir haben bereits vieles geschafft, doch wir sind noch lange nicht fertig. Das haben uns die Geschehnisse der vergangenen Monate eindrucksvoll gezeigt.

Zusatzinformationen

Jahresbericht der BaFin 2022

Pressemitteilung zur Jahrespressekonferenz der BaFin am 09.05.2023

Fanden Sie den Beitrag hilfreich?

Wir freuen uns über Ihr Feedback

Es hilft uns, die Webseite kontinuierlich zu verbessern und aktuell zu halten. Bei Fragen, für deren Beantwortung wir Sie kontaktieren sollen, nutzen Sie bitte unser Kontaktformular. Hinweise auf tatsächliche oder mögliche Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Vorschriften richten Sie bitte an unsere Hinweisgeberstelle.

Wir freuen uns über Ihr Feedback