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Bild des Präsidenten der BaFin, Mark Branson © BaFin/Matthias Sandmann

Erscheinung:03.05.2022 Die Stabilität des deutschen Finanzsystems

Jahrespressekonferenz der BaFin am 3. Mai 2022

Statement von Mark Branson, Präsident der BaFin

Es gilt das gesprochene Wort.

Herzlich willkommen zur Jahrespressekonferenz der BaFin – auch im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen aus dem Direktorium! Wir freuen uns, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind und wir einige von Ihnen heute sogar persönlich begrüßen können.

Als Einleitung möchte ich heute mit Ihnen über die Risiken für das deutsche Finanzsystem sprechen – und dessen Stabilität. Dafür zu sorgen, ist seit fast genau zwanzig Jahren eine der Kernaufgaben der BaFin.

Um es vorwegzunehmen: Das deutsche Finanzsystem ist stabil. Doch der Krieg in der Ukraine, der unermessliches menschliches Leid verursacht, ruft uns ins Gedächtnis, dass Finanzstabilität kein Selbstläufer ist. Die direkten Auswirkungen des Kriegs und der gegen Russland und Belarus verhängten Sanktionen dürften – Stand jetzt – für das deutsche Finanzsystem verkraftbar sein. Denn seine unmittelbaren Verflechtungen mit diesen Ländern und der Ukraine sind begrenzt.

Problematisch könnten die schwer einschätzbaren Zweit- und Drittrundeneffekte werden. Wir sehen zum Beispiel gerade, wie der Krieg weltweit das Wirtschaftswachstum bremst, wie er Handelsbeziehungen stört, die Preise von Gas, Öl und anderen Rohstoffen in die Höhe treibt und wie er das Problem der Lieferengpässe verschärft, unter denen auch die deutsche Wirtschaft seit Beginn der COVID-19-Pandemie leidet.

Wir sehen auch, wie infolgedessen die Inflation weiter steigt, was Zinsanhebungen immer wahrscheinlicher macht, auch in der Eurozone. Und wir wissen, dass die militärische, handelspolitische oder energiepolitische Lage jederzeit stark eskalieren könnte, woraufhin es unweigerlich zu Marktturbulenzen käme. Große Ereignisse haben unberechenbare Folgen.

Als BaFin sehen wir aber nicht nur die finanziellen Folgen. Wir sehen auch das Schicksal der Menschen, die in Deutschland Schutz suchen. Uns war es wichtig, ihnen schnell und unbürokratisch zu helfen, indem wir die Eröffnung von Basiskonten erleichtert haben.

Als Finanzaufsicht müssen wir risikoorientiert agieren. Wir müssen versuchen, im Vorhinein zu erkennen, an welchen Stellen und unter welchen Bedingungen das Finanzsystem besonders verwundbar ist. Auf diese wichtigsten Risiken richten wir unseren Fokus. Und weil wir unsere Arbeit transparent machen wollen, werden wir unsere Risikoeinschätzung nun jedes Jahr veröffentlichen.

Abgesehen von den Konsequenzen des Ukraine-Kriegs sind es vor allem sechs kurzfristige Risiken und zwei Zukunftsrisiken, mit denen wir uns derzeit prioritär befassen. Dass immer wieder neue Risikoauslöser aufkommen können, haben uns zuletzt der Krieg und zuvor schon die COVID-19-Pandemie vor Augen geführt.

Ich möchte die derzeitige Risikolandschaft kurz skizzieren. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und darauf, jede der vielen Interdependenzen herauszuarbeiten. Und nicht jedes Risiko wird eintreten!

Auch wenn die Marktzinsen in den vergangenen Monaten gestiegen sind: Das seit langem niedrige Zinsniveau ist nach wie vor eine der größten Herausforderungen für die deutsche Finanzbranche. Vor allem Lebensversicherer und Pensionskassen stellt es weiterhin auf eine harte Probe. Einige von ihnen beaufsichtigen wir besonders intensiv: Im Moment sind es rund 20 Lebensversicherer und gut 30 Pensionskassen – allesamt mit Altlasten aus früheren Garantieversprechen.

Sollten die Zinsen aufgrund der steigenden Inflation angehoben werden, hätte das mittelfristig in der Neu- und Wiederanlage höhere laufende Kapitalerträge zur Folge. Zunächst aber fordert die hohe Inflation alle Versicherer heraus: Schadenaufwendungen und Kosten dürften steigen, und in der Lebensversicherung dürfte das Neugeschäft zumindest vorübergehend zurückgehen, da die Kaufkraft der privaten Haushalte leidet.

Das Dauerzinstief hat auch den deutschen Banken, Sparkassen und Bausparkassen zugesetzt, denn der Zinsüberschuss macht traditionell einen wesentlichen Teil ihrer Erträge aus.

Hinzu kommt das inflationsbedingt wachsende Zinsänderungsrisiko: Ein abrupter und kräftiger Zinsanstieg könnte die Banken in Schwierigkeiten bringen. Ihre kurzfristig angelegten Refinanzierungen würden plötzlich teurer, während ihre Zinseinkünfte aufgrund langer Zinsbindungen langsamer stiegen. Welche deutschen Banken wären in diesem Szenario besonders gefordert? Das prüfen wir gerade. Gemeinsam mit der Deutschen Bundesbank unterziehen wir seit Anfang April die Institute unter unserer direkten Aufsicht einem Stresstest und spielen dabei verschiedene Zinsszenarien durch.

Auch auf den Immobilienmärkten haben sich Risiken aufgetürmt. Die Nachfrage nach Wohnimmobilienkrediten ist immer weiter gestiegen – hauptsächlich aufgrund der niedrigen Zinsen. Was kann passieren? Wenn die Zinsen steigen, lässt die Nachfrage nach Wohnimmobilien nach. In der Folge könnten deren Preise sinken – und damit der Wert der Sicherheiten. In Deutschland sind Wohnimmobilien landesweit um rund 20 bis 35 Prozent überbewertet, schätzt die Deutsche Bundesbank.

Der Krieg kann außerdem einen wirtschaftlichen Abschwung nach sich ziehen – und damit eine steigende Arbeitslosigkeit. Das Risiko für Kreditausfälle stiege – und damit gegebenenfalls der Abschreibungsbedarf.

Auch die hohen Preise am Markt für Gewerbeimmobilien könnten sinken. Die COVID-19-Pandemie hat den Trend weg vom Präsenz- hin zum Versandhandel verstärkt, und einige Branchen haben unter den pandemiebedingten Einschränkungen stark gelitten. Nun schwächen zusätzlich der Ukraine-Krieg und die Sanktionen die Unternehmen.

Um das deutsche Bankensystem widerstandsfähiger zu machen – auch und vor allem gegenüber Risiken am Wohnimmobilienmarkt – haben wir vor einigen Monaten zwei makroprudenzielle Maßnahmen erlassen, die auf den Vorschlägen des Ausschusses für Finanzstabilität basieren, dem auch die BaFin angehört.

Erwartungsgemäß gab es für diese Maßnahmen nicht nur Applaus. Aber wir sind von ihrem Sinn überzeugt. Sie bringen ein Plus an Stabilität, und die Sorge, sie führten geradewegs in die Kreditklemme, wird sich kaum bestätigen. Und was die Finanzierungskonditionen angeht: Die hängen vor allem von den langfristigen Zinsen am Kapitalmarkt und der Geldpolitik der Notenbanken ab.

Gibt es weiteren makro- oder eher mikroprudenziellen Handlungsbedarf? Das werden unsere Analysen zeigen. So sehen wir uns beispielsweise fortlaufend die Kreditvergabestandards von Banken und Versicherern an. Bei ausgewählten Banken prüfen wir die Werthaltigkeit von Sicherheiten. Und wir kontrollieren bei Versicherern anhand von Szenarioanalysen, wie sich Preisrückgänge bei Immobilien auf ihre Risikotragfähigkeit auswirken. Je nachdem, zu welchen Ergebnissen wir kommen, können wir kapitalseitig oder mit anderen Maßnahmen eingreifen.

Die derzeitige Gemengelage an den internationalen Kapitalmärkten birgt zudem das Risiko signifikanter Bewertungskorrekturen. Die niedrigen Zinsen und die hohe Liquidität an den Märkten haben die Kurse an den Aktien- und Rentenmärkten über Jahre hinweg steigen lassen. Obwohl gewisse Bewertungen, insbesondere im Technologiesektor oder im Anleihenmarkt, zurückgegangen sind, besteht offensichtlich weiterhin das Risiko einer Abwärtsbewegung.

Was können wir hier tun? Bei den Versicherern werden wir anhand von Szenarioanalysen prüfen, welche Auswirkungen Downgrades von Anleihen auf ihre Risikotragfähigkeit haben. Wir werden außerdem weiterhin sicherstellen, dass Assetmanager, wenn nötig, von den gesetzlich möglichen Liquiditätsinstrumenten Gebrauch machen, um Anlegerinteressen zu schützen.

Hinzu kommt ein Hidden-Leverage-Problem: Die Verschuldung von Unternehmen ist in den vergangenen Jahren gestiegen – vor allem die über komplexe Produkte des Kapitalmarkts. Auf diese Weise sind Kreditrisiken in intransparenten Segmenten des Finanzsystems gelandet, die wenig bis gar nicht reguliert sind.

Dass Banken hieran bislang weniger direkt beteiligt sind, ist auch der Re-Regulierung nach der Finanzkrise 2007/2008 zu verdanken. Und doch gibt es Schnittstellen zwischen dem regulierten Bankensektor und dem NBFI1-Sektor. Denken Sie nur an den Fall Archegos oder die Nickelspekulationen an der London Metal Exchange.

Hier sind Risiken eingegangen worden, die auch regulierten Akteuren tatsächlich oder beinahe auf die Füße gefallen sind. An dieser Schnittstelle mit der Welt der Schattenbanken gehen wir konsequent gegen Konzentrationsrisiken vor.

Ein Risiko, das uns seit einiger Zeit umtreibt: die Gesundheit von Unternehmenskredite-Portfolien. Teile der deutschen Wirtschaft laborieren noch an den Belastungen aus der COVID-19-Pandemie. Die befürchtete Insolvenzwelle ist zwar wegen der beispiellosen staatlichen Hilfe ausgeblieben. Mittlerweile weht der Wind aber wieder von vorne. Neben dem Krieg in der Ukraine macht sich unter anderem die Zero-COVID-Politik Chinas bemerkbar. Wir sehen uns daher weiterhin die Kreditrisiken von Banken und Sparkassen sehr genau an. Diesmal aber mit Blick auf die energieintensiven oder rohstoffabhängigen Sektoren.

Sehr groß und sehr präsent ist die Gefahr, dass Unternehmen des Finanzsektors Opfer von Cyberangriffen werden oder dass es dort zu internen IT-Sicherheitsvorfällen kommt. Solche Vorfälle können im Extremfall der Stabilität des Finanzsystems schaden. Sind wir vorbereitet auf einen wirklich schwerwiegenden Sicherheitsvorfall? Wenn wir ehrlich sind, wissen wir das nicht. Der Krieg hat Cyberangriffe auch auf den deutschen Finanzsektor wahrscheinlicher gemacht.

Wir sind daher im engen Austausch mit den Unternehmen, dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und anderen maßgeblichen Institutionen, um die Gefahr von Cyberangriffen unter Kontrolle zu halten. So analysieren wir seit Kriegsbeginn täglich unter anderem die Informationen aus dem nationalen Cyber-Abwehrzentrum und informieren die Finanzindustrie über mögliche Angriffsmuster. Und wir nehmen weiterhin dediziert IT-Prüfungen bei den Instituten und Unternehmen vor.

Ich denke, dass wir mit unseren aufsichtlichen Anforderungen an die IT und unserem risikobasierten Aufsichtsansatz auf dem richtigen Weg sind. Aber das Cyberrisiko wird eher zu- als abnehmen. Ich bin beeindruckt von der Professionalität der verschiedenen involvierten Behörden und der großen Finanzunternehmen. Aber einen Härtetest haben wir noch nicht erlebt.

Das sechste Risiko, mit dem wir uns prioritär befassen, ist das der Geldwäsche. Wenn Finanzunternehmen in der Prävention zu lasch unterwegs sind, können die finanziellen Folgen und die Reputationsschäden immens sein, wenn nicht gar existenzgefährdend. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sich die Unternehmen unter unserer Aufsicht ausreichend gegen Geldwäsche wappnen.

Uns ist bewusst, dass wir hier eine sehr hohe Verantwortung tragen. Wir sind daher gerade dabei, die Geldwäscheprävention personell zu stärken. Wir wollen mehr Ressourcen in die operative Geldwäscheaufsicht stecken und die Unternehmen besonders eng beaufsichtigen, bei denen wir die größten Probleme sehen. Wo nötig, werden wir eingreifen.

Meine Damen und Herren, eingangs hatte ich gesagt, dass wir, zusätzlich zu den sechs kurzfristigen Risiken, zwei Zukunftsrisiken identifiziert haben. Zukunftsrisiken nicht deshalb, weil wir uns erst später damit beschäftigen wollen. Nein, es geht darum, dass sich diese Risiken über einen längeren Zeitraum herausbilden. Etwa die Risiken der Digitalisierung. Als Aufseher sehen wir die Chancen der Digitalisierung und stehen ihnen sehr positiv gegenüber. Aber wir sehen auch, wie die Aufspaltung der Wertschöpfungsketten, die wir seit einiger Zeit erleben, die Risikoprofile der Unternehmen ändert.

Ich denke dabei vor allem an wesentliche Auslagerungen, die sich zuweilen bei wenigen Dienstleistern konzentrieren, wodurch Abhängigkeiten und neue Risiken entstehen. Immerhin haben wir mittlerweile das aufsichtliche Instrumentarium, um diese Risiken besser einschätzen und kontrollieren zu können. Bei der BaFinTech, die wir am 18. und 19. Mai zusammen mit der Deutschen Bundesbank ausrichten, werden wir uns auch darüber austauschen können.

Was uns ebenfalls noch viele Jahre beschäftigen wird: das Thema Nachhaltigkeit. Der Finanzindustrie kommt hier eine tragende Rolle zu. Neue Ertragsmöglichkeiten tun sich auf, aber auch neue Risiken. Welche Rolle spielen wir als Aufsicht? Es gehört nicht zu unserem gesetzlichen Auftrag, umweltpolitischen Ziele zu verfolgen. Das ist Sache der Politik.

Unsere Aufgabe besteht darin sicherzustellen, dass die Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsrisiken im Griff haben.

Es sind also Finanzrisiken, mit denen wir uns beschäftigen, zum Beispiel Stranded Assets in den Bilanzen von Banken oder Anlageportfolien von Versicherern. Wir werden uns auch für Transparenz einsetzen und die Qualität der Offenlegung kontrollieren. Außerdem wollen wir irreführende Vermarktung verhindern, um Verbraucher zu schützen.

Vor dem Hintergrund der dynamischen regulatorischen, energie- und geopolitischen Lage haben wir beschlossen, unsere geplante Richtlinie für nachhaltige Investmentfonds zurückzustellen. Für eine dauerhafte Regulierung ist das derzeitige Umfeld nicht ausreichend stabil.

Kapitalverwaltungsgesellschaften können selbstverständlich weiterhin nachhaltige Investmentvermögen auflegen und vermarkten. Wir werden in unserer Praxis bestimmte Grundsätze anwenden, die wir bereits zur Konsultation gestellt hatten. So müssen, zum Beispiel, nachhaltige Fonds mindestens 75 Prozent in nachhaltige Anlagen investieren, mit mindestens 75 Prozent des Investmentvermögens eine nachhaltige Anlagestrategie verfolgen oder einen nachhaltigen Index abbilden. Durch diese strengeren Prüfungspraktiken schützen wir Fondsanleger vor Greenwashing.

Meine Damen und Herren, vor etwas mehr als 20 Jahren, am 1. Mai 2002, ist die BaFin gegründet worden: als integrierte deutsche Finanzaufsicht. Ich habe mir sagen lassen, dass einige wenige von Ihnen die BaFin seitdem begleiten. Für einen größeren Festakt mit ausführlicher Retrospektive ist es nicht die richtige Zeit. Jetzt müssen wir erst einmal zeigen, was in uns steckt. Die Erwartungen an uns Aufseher sind hoch – zu Recht. Nicht immer in den vergangenen zwanzig Jahren hat die BaFin diese Erwartungen erfüllt. 2021 haben wir uns daher verordnet, vorausschauender, entschlossener, risikoorientierter und zeitgemäßer zu arbeiten.

Wir haben die BaFin reformiert. Wir haben klare Ziele, setzen Prioritäten und sorgen für Transparenz. Können wir damit jeden Schaden vom Finanzsystem abwenden?

Nein, eine Vollkaskoaufsicht sollten wir gar nicht erst anstreben. Aber wir tun alles, was in unserer Macht steht, damit die Risiken an den Finanzmärkten gut gemanagt werden. Damit das deutsche Finanzsystem stabil bleibt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bin gespannt auf Ihre Fragen.

Fußnote:

  1. 1 Non-bank financial institution

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