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Bild des Präsidenten der BaFin, Mark Branson © BaFin/Matthias Sandmann

Erscheinung:15.11.2021 Mittelfristziele der BaFin

Statement von Mark Branson, Präsident der BaFin, bei der Euro Finance Week am 15. November 2021 in Frankfurt am Main

Es gilt das gesprochene Wort!

Meine Damen und Herren,

ich freue mich, heute zum ersten Mal als Präsident der BaFin bei der Euro Finance Week zu reden.

Es wird Sie nicht wundern, dass ich in den ersten Monaten in meiner neuen Rolle den Fokus vor allem auf die BaFin als Institution gerichtet habe, auf ihre Modernisierung und ihre Kultur. Also zum Beispiel auf die Frage, wie wir die allerbesten Entscheidungen treffen und unsere Arbeitsweise zügig zeitgemäßer machen können. Nur darüber zu sprechen, wäre mir aber etwas zu viel Selbstbespiegelung. Stattdessen möchte ich Ihnen schildern, welche Prioritäten wir insgesamt als Aufsicht setzen wollen.

Unser gesetzlicher Auftrag ist klar: Vereinfacht ausgedrückt haben wir für ein stabiles, sicheres und integres Finanzsystem zu sorgen. Was auch bedeutet, dass wir die kollektiven Interessen von Verbraucherinnen und Verbrauchern schützen. Der springende Punkt ist, wovon wir uns bei unserem Tun leiten lassen. Wir haben nicht vor, uns von den Entwicklungen im Finanzsektor treiben zu lassen, nur zu reagieren. Wir wollen vor die Lage kommen, wie es im Polizeijargon heißt. Um das zu schaffen und auch dort zu bleiben – vor der Lage – haben wir zehn mittelfristige Ziele entwickelt, die wir heute veröffentlicht haben. Sie sollen in den kommenden vier Jahren Richtschnur unseres Handelns sein und uns helfen, die klugen und weitsichtigen Entscheidungen zu treffen, die man von einer professionellen Aufsicht erwarten darf.

Welche Entwicklungen hatten wir im Blick, als wir unsere Ziele formuliert haben? Ich erspare Ihnen die Litanei der kleineren und größeren Chancen und Risiken des Finanzsektors. Stattdessen nur einige Beispiele: Ein Phänomen, das gleichermaßen für Chancen und Risiken steht, ist die Digitalisierung. Sie hilft Banken und Versicherern, Prozesse zu beschleunigen, und bietet neue Vertriebs- und Ertragsmöglichkeiten. Sie macht die Unternehmen aber auch verletzlich. Operationelle Resilienz ist daher für uns Aufseher genauso wichtig wie finanzielle Resilienz geworden. Ähnlich sieht es beim Thema Nachhaltigkeit aus: Es birgt Chancen und Risiken. Der Finanzindustrie kommt bei der Dekarbonisierung der Wirtschaft eine tragende Rolle zu. Neue Ertragsmöglichkeiten tun sich auf, aber auch neue Risikotreiber. Unsere Rolle dabei? Sicherzustellen, dass die Unternehmen ihre klimabezogenen Finanzrisiken im Griff haben.

Eines der größten finanziellen Risiken für die Branche ist das Niedrigzinsniveau. Bleiben die Zinsen weiter so niedrig, beschädigen sie mehr und mehr das Geschäftsmodell von Banken und Lebensversicherern. Steigen sie abrupt, wird es turbulent. Das Dauerzinstief hat weitere unangenehme Nebenwirkungen: Es führt zu Übertreibungen an den Märkten und dazu, dass sich Klumpenrisiken bilden. Vor allem Banken müssen sich daher fragen, welche Risiken sie in ihren Büchern haben, wenn ihre Kunden mit riesigen Schuldenhebeln hantieren. Ich denke hier besonders an die Schnittstelle zum schnell wachsenden Schattenbankensektor. Ein weiteres Risiko, das ich für hoch – zu hoch – halte, ist das Risiko des Finanzsektors, zur Geldwäsche missbraucht zu werden.

Was also wollen wir tun? Es gibt eine Reihe zentraler Begriffe, um die wir Aufseher permanent kreiseln. „Stabilität“ und „Sicherheit“ gehören unbedingt dazu. Wir werden also – Ziel 1 und auftragsgemäß – darauf hinwirken, dass das Finanzsystem und die Unternehmen, die wir beaufsichtigten, sicher und stabil sind, dass sie Stress aushalten. Genau das wollen wir messen, und zwar anhand verschiedener Szenarien, die wir selbst entwickeln, auch solcher, die sich widersprechen. Also eigentlich die klassische prudenzielle Aufsicht. Nur vorausschauender, im „What if“-Modus.

Wir richten unseren Fokus auch – Ziel 2 – auf die operative Stabilität und Sicherheit der Unternehmen. Wie gut schützen sich zum Beispiel Banken und Versicherer vor Cyberangriffen und internen Sicherheitsvorfällen? Wie widerstandsfähig und verlässlich sind ihre Technologieplattformen? Wer Lücken in der IT-Sicherheit nicht schließt, riskiert hohe Verluste, setzt seine Reputation aufs Spiel – und schadet im schlimmsten Fall der Stabilität des Finanzsystems. Dieses Risiko ist sehr präsent, und es wächst stark. Ich bin mir nicht sicher, ob wir alle miteinander gut genug vorbereitet sind auf einen wirklich schwerwiegenden Sicherheitsvorfall. Als Aufseher müssen wir auch im Blick behalten, dass die Aufspaltung der Wertschöpfungsketten die Risikoprofile der Unternehmen ändert – vor allem durch wesentliche Auslagerungen. Mittlerweile haben wir die Kompetenzen, Auslagerungsdienstleister direkt zu prüfen, und das werden wir auch tun.

Was wir uns – Ziel 3 – ebenfalls vornehmen: frühzeitig die Unternehmen zu identifizieren, die in ernste Schwierigkeiten geraten könnten: schwache Unternehmen, Unternehmen, die ein problematisches Geschäftsmodell haben, deren Kontrollsysteme lückenhaft sind oder bei denen die Governance defizitär ist. Auch hinter schönen Fassaden und sprudelnden Ertragsquellen können sich große Probleme verbergen. Wir wollen sie rechtzeitig erkennen, damit wir ohne unnötige Verzögerungen die erforderlichen Schritte einleiten können.

Unsere neue Fokusaufsicht hilft uns, problematische Unternehmen komplett zu durchleuchten. Sie ist – gewissermaßen gemeinsam mit mir – im August an den Start gegangen und beaufsichtigt bereits 17 Banken, Versicherer, Wertpapierhäuser und Zahlungsdienstleister. Zusätzlich richtet die BaFin eine Taskforce ein, die in dringenden Fällen sofort ausrücken und in den Unternehmen prüfen kann

Auch in der Bekämpfung von Geldwäsche legen wir nach. Das Risiko, zu Geldwäschezwecken missbraucht zu werden, ist im Finanzsektor besonders hoch. Wir wollen es – Ziel 4 – eindämmen, indem wir durchsetzen, dass alle Unternehmen risikoadäquate Kontrollsysteme haben. Vor allem die Banken mit erhöhtem Geldwäscherisiko müssen mit unserer besonderen Aufmerksamkeit rechnen. Auch hier haben wir den Ehrgeiz, vor die Lage zu kommen und nicht nur zu reagieren. Dazu werden wir unser Personal in der Geldwäscheprävention deutlich aufstocken.

In den vergangenen Jahren waren wir auf diesem Gebiet unterbesetzt, wie viele andere Behörden in Europa auch. Überhaupt habe ich den Eindruck, dass das Problem in vielen europäischen Ländern unterschätzt worden ist. Umso besser finde ich es, dass das Thema nun verstärkt auf europäischer Ebene angegangen wird. Letztlich ist das der einzige erfolgversprechende Weg, denn Geldwäsche ist ein grenzüberschreitendes Phänomen.

Meine Damen und Herren, das Verhältnis Verbraucher-Anbieter ähnelt manchmal dem von David und Goliath – mit dem entscheidenden Unterschied, dass es selten die Anbieter sind, die am Ende am Boden liegen. Unser Anliegen besteht darin, Ziel 5, Verbraucherinnen und Verbraucher zu unterstützen. Einmal, indem wir das Informationsgefälle zwischen beiden Seiten verringern. Wir wollen dazu beitragen, dass die Bevölkerung allgemein besser über Finanzthemen Bescheid weiß. Das tun wir jetzt schon. Aber wir wollen unser Angebot noch besser auf die Bedürfnisse der verschiedenen Verbrauchergruppen zuschneiden und neue Informationskanäle wie soziale Medien nutzen. Im Grunde geht es darum, und das können wir nicht alleine schaffen, dass möglichst viele Verbraucher in der Lage sind, sich selbst zu schützen und mündige Entscheidungen zu treffen. Darüber hinaus werden wir private Anleger weiter vor riskanten und unseriösen Produkten und Praktiken warnen und auch direkt intervenieren, wenn es nicht anders geht. Damit sollen auch unseriöse Anbieter so weit wie möglich abgeschreckt werden. Mit Sorge blicken wir zum Beispiel im Moment in die Welt der Kryptowährungen: Bitcoin et al. sind nach wie vor hoch spekulativ.

Mittelfristziel Nr. 6: Wir wollen eine wirksame Bilanzkontrolle etablieren. Das bisherige zweistufige System hat bei den Ereignissen rund um Wirecard seine Schwächen offenbart. Von Anfang 2022 an tragen wir die alleinige Verantwortung. Wir schicken etwa doppelt so viel Personal ins Rennen, wie in den beiden Vorgängerteams zusammen: Rund 60 Beschäftigte werden künftig in der Bilanzkontrolle der BaFin arbeiten. Und zwar ganz im Sinne eines sauberen Kapitalmarkts. Bilanzkontrolle ist nämlich kein Selbstzweck. Sie ist ein risikoorientiertes Instrument, mit dem wir Anlegerinnen und Anleger schützen können. Auch hier verfolgen wir einen präventiven Ansatz. Was im Übrigen für die gesamte Marktaufsicht gilt. Wir wollen unseriöse und betrügerische Akteure abschrecken.

In puncto Nachhaltigkeit – Ziel 7 – werden wir uns – wie gesagt – auf die Analyse und Mitigation von Finanzrisiken konzentrieren. Nota bene: Es sind Finanzrisiken, die uns interessieren, zum Beispiel „stranded assets“ in den Bilanzen von Banken oder Anlageportfolien von Versicherern. Das sollte nicht mit umweltpolitischen Zielen vermischt werden. Die Verantwortung dafür liegt bei der Politik. Wir werden uns auch für Transparenz einsetzen und die Qualität der Offenlegung in den Fokus nehmen. Außerdem wollen wir irreführende Vermarktung verhindern, um Verbraucher zu schützen. Was ein grünes Finanzprodukt ist, sollte in einheitlichen Vorgaben geregelt sein.

Die BaFin hat einen ersten Schritt in diese Richtung getan und eine Richtlinie für nachhaltig ausgerichtete Investmentvermögen entworfen. Wir haben dafür in der Öffentlichkeit einiges an Prügel eingesteckt. Ich denke aber, dass wir hier grundsätzlich auf einem guten Weg sind. Sind wir vorgeprescht? Schneller als andere sind wir. Wir wollen gewährleisten, dass als „grün“ vertriebene Investmentvermögen auch tatsächlich grün sind. Denn sonst haben wir bald eine ganze Generation enttäuschter Anleger. Und damit würde letztlich auch die Chance gefährdet, hier einen Beitrag zur Transformation der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit zu leisten. Auch hier geht es uns um Prävention – konkret in unserer Erlaubnispraxis.

Digitale Innovationen bieten Unternehmen und Kunden neue Möglichkeiten – auf der Kosten- und der Nutzenseite. Weil Innovation nicht nur hilfreich, sondern für die Zukunft der Finanzbranche unerlässlich ist, wollen wir hier – Ziel Nr. 8 – unterstützend wirken. Wir wollen neue Technologien verstehen und analysieren und unsere Erkenntnisse in unsere operative Aufsicht einfließen lassen. Auch Verfahren, die auf künstlicher Intelligenz beruhen, werden wir genau unter die Lupe nehmen. Dabei werden wir sehr genau darauf achten, dass Verbraucher von diesen Innovationen profitieren können und man sie nicht unangemessenen technologiegetriebenen Risiken aussetzt.

Die Änderungen um uns herum verlangen nicht nur neues Wissen und neue Prozesse. Wir brauchen – Ziel Nr. 9 – auch ein Update unserer Aufsichtskultur. Wir müssen schneller werden. Und wir müssen ganzheitlicher, vernetzter und vorausschauender agieren. Aber nicht nur das. Wir brauchen auch den Mut, Entscheidungen zu treffen. Selbst unter Zeitdruck und selbst dann, wenn Zuständigkeiten nicht hundertprozentig ausbuchstabiert sind und sich nicht alle Details klären lassen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Wir schreiben keine Gesetze um, und wir werden nicht übermütig. Wir legen unsere Ermessensspielräume aus. Das ist unsere Aufgabe als Verwaltung. Und natürlich werden wir unsere Entscheidungen auf die bestmöglichen Grundlagen stellen.

Trotz aller Technologie: Aufsicht ist und bleibt ein people business. Es sind Menschen, die Entscheidungen treffen und Maßnahmen ergreifen. Deshalb lautet unser 10. Mittelfristziel: Wir wollen ein attraktiver Arbeitgeber für hochqualifiziertes Personal sein. Wir wollen hochspezialisierten Fachkräften gleich gute Karrierechancen bieten wie Menschen mit Führungsambitionen. Kurzum: Wir wollen die Stärken unseres Personals weiter ausbauen, damit wir gemeinsam hochwirksame Aufsicht betreiben.

Meine Damen und Herren, der Überraschungseffekt unserer Ziele dürfte sich in Grenzen halten, basieren sie doch auf unserem Auftrag und spiegeln sie die Entwicklungen, Risiken und Chancen auf den Finanzmärkten wider. Uns ist es wichtig, eine solide, verlässliche und transparente Grundlage für unser Handeln zu schaffen. Auf allen zehn Themengebieten, die wir hier priorisieren, wollen wir in den nächsten vier Jahren bedeutende Fortschritte machen. Die zu messen, wird schwierig sein. Das ist bei präventiver Arbeit nun einmal so. Uns geht es wie dem Schiedsrichter beim Fußballmatch: Dass wir da sind, merkt man oft erst, wenn wir uns verpfiffen haben.

Zusatzinformationen

Mittelfristziele der BaFin (Download)

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