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Porträtaufnahme von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht. © Bernd Roselieb

Erscheinung:30.06.2021 „Regulierung der Versicherer – Solvency II und IFRS 17“

Rede von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), beim „CFO-Dinner Versicherungen“ der Süddeutschen Zeitung am 30. Juni 2021.

Es gilt das gesprochene Wort!

Herr Fromme, mir ist zu Ohren gekommen, Sie wünschten von mir einen Bericht „zur Lage der Nation“. Hätten Sie das ernst gemeint, wäre das zu viel der Ehre. Jedenfalls bleibe ich sicherheitshalber in meinem Beritt und gebe Ihnen zunächst einen kurzen Überblick über die Lage der deutschen Versicherer. Wie stehen sie in der Corona-Krise da?

Meine Damen und Herren, der Versicherungssektor als Ganzes hat gezeigt, dass er robust ist. Er hat sich in der Krise sogar als Stütze des Finanzsystems erwiesen. Gerade zu Beginn der Pandemie haben Lebensversicherer mit ausreichenden Eigenmitteln durch antizyklisches Investieren dazu beigetragen, dass sich die Finanzmärkte nach dem Schock im Frühjahr 2020 schnell wieder erholt haben: Und zwar indem sie verstärkt in Anleihen mit geringerer Bonität bzw. gestiegenen Risikoprämien investiert haben.1

Falls es noch eines Beweises bedurfte: Wir haben erlebt, wie wichtig stabile Versicherer auch für die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte und des Finanzsystems sind.

Das „Aber“ muss hier allerdings auf dem Fuße folgen, denn in den einzelnen Sparten macht sich die Pandemie sehr unterschiedlich bemerkbar.

Auf der Passivseite betrifft sie vor allem die Veranstaltungsausfallversicherungen, Kreditversicherungen und Betriebsschließungsversicherungen.

Anbieter der Betriebsschließungsversicherung stehen vor einer zusätzlichen Herausforderung: Jenseits der rechtlichen Klärung vertraglicher Ansprüche müssen sie sich auch Gedanken über ihre Reputation machen.

Über den Versicherungsschutz für Restaurantbetreiber, die ihr Lokal wegen der Pandemie schließen mussten, wird nach wie vor diskutiert. Es gibt zwar einzelne Urteile, aber noch keine höchstrichterliche Entscheidung.

Aus Maklerkreisen ist zu hören, man habe sich hier eine aktivere Rolle der BaFin gewünscht. Eine pauschale Einschätzung unsererseits verbietet sich allerdings von selbst.

Wir haben es hier nämlich mit einer großen Vielfalt an Bedingungen und Regelungen zu tun. Was sicher auch daran liegt, dass sich im Gewerbegeschäft viele Makler tummeln, die viele unterschiedliche Verträge für ihre Kunden ausgehandelt haben.

Bei den Lebensversicherern gab es nach Ausbruch der Pandemie zwischenzeitlich etwas mehr Beitragsfreistellungen als sonst, aber die Lage hat sich normalisiert. Auch bei der Liquidität sehen wir bislang keine Fehlentwicklungen.

Das bedeutet natürlich nicht, dass alles gut ist. Die COVID-19-Pandemie hat der Hoffnung auf ein schnelles Ende des Dauerzinstiefs einen Dämpfer verpasst. Damit bleibt Problem Nr. 1 für die Branche bestehen. Pensionskassen leiden besonders stark, denn sie haben nur ein Produkt im Angebot: lebenslange Rentenversicherungen. Und ob ihnen im Bedarfsfall ihre Träger und Aktionäre beispringen können, hängt auch davon ab, wie es denen selbst geht.

Was die Lebensversicherer angeht: Totgesagte leben bekanntlich länger. Wir sind jedenfalls zuversichtlich, dass die Lebensversicherer ihre bereits gegebenen Garantieversprechen erfüllen können. Im Neugeschäft könnte es allerdings für einige Unternehmen schwieriger werden. Nur den Lebensversicherern, die sicherstellen können, dass sie nicht nur heute, sondern auch nach Auslaufen der Solvency-II-Übergangsmaßnahmen Ende 2031 dauerhaft eine Solvenzquote von mehr als 100 Prozent hätten, werden wir Neugeschäft erlauben.

Schon seit Jahren begleiten wir einige Lebensversicherer sehr eng in ihrem Bemühen, die 100-Prozent-Marke dann auch ohne Übergangsmaßnahmen zu überspringen. Im Moment sind es rund 20.

Dass sich mit zinstragenden Wertpapieren in absehbarer Zeit wieder auskömmliche Renditen erwirtschaften ließen, ist nicht anzunehmen. Das legt den Verdacht nahe, dass sich Lebens- und andere Versicherer auf ihrer Suche nach Rendite in hochriskante Anlagen treiben lassen. Ist das so?

Schließlich habe ich gerade erst berichtet, dass die Lebensversicherer verstärkt in Anleihen mit geringerer Bonität investierten.

Unsere Erkenntnisse zeichnen ein differenziertes Bild: Die Unternehmen sind zwar bereit, höhere Risiken in der Kapitalanlage einzugehen. Und ja, sie investieren verstärkt in alternative Kapitalanlagen, die zum Teil deutlich komplexer und weniger liquide sind als die traditionellen Anlageklassen.

Übermäßige Risiken gehen sie aber bislang nicht ein. Sie investieren auch nicht vermehrt in Anlagen schlechter Qualität.

An der Stelle allerdings ein weiteres „Aber“: Die Versicherer haben uns signalisiert, dass sie künftig noch stärker in alternative Kapitalanlagen investieren wollen. Vor allem in Infrastruktur und Private Debt, wie es aussieht.

Für uns ist damit ganz klar eine Erwartung verbunden: nämlich die, dass Unternehmen den geplanten Schwenk angemessen in ihrem Risikomanagement berücksichtigen und diese Funktion ausreichend mit Ressourcen und Know-how ausstatten.

Zur Erinnerung: Jeder Versicherer muss jederzeit in der Lage sein, die Risiken der Kapitalanlage hinreichend zu identifizieren, zu bewerten, zu überwachen, zu steuern und zu kontrollieren. In diesem Punkt sind wir ziemlich humorlos.

Was die Aufsicht in Zeiten der Pandemie betrifft: Bei den Versicherern ging es– anders als etwa bei den Banken – lediglich darum, die Unternehmen operativ zu entlasten. Es ging also nicht um die Kapitalseite. Dafür gab es unter Solvency II schon vor Ausbruch der Pandemie funktionstüchtige Instrumente, und die haben sich in der Corona-Krise sehr gut bewährt.

Damit bin ich fast bei dem Programmpunkt gelandet, zu dem man mich eingeladen hat: Solvency II.

Ich bin aber so kühn, vorher noch auf zwei Themen eingehen, die zwar ebenfalls nicht auf dem Programm stehen, dafür aber auf der Liste der Top-Chancen und -Herausforderungen für die Versicherungswirtschaft: Nachhaltigkeit und Digitalisierung.

Die Corona-Pandemie scheint die Nachhaltigkeit in den Hintergrund gedrängt zu haben. Sie bleibt aber eines der wichtigsten Themen unserer Zeit – auch für die Versicherer. Für sie geht es auch und vor allem darum, den richtigen Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken finden. Aus eigenem Interesse und im Sinne der Nachhaltigkeit.

Nachhaltigkeitsrisiken können sich bekanntlich auf beiden Seiten der Bilanz bemerkbar machen.

Und dann wären da noch die hohen Erwartungen an die Versicherer. Es kostet sehr viel Geld, den Klimawandel zu stoppen. Die Transformation der Wirtschaft hängt stark davon ab, worin Versicherer und andere große Investoren ihr Geld investieren.

Welchen Weg schlägt die Regulierung ein? Wir haben mittlerweile einiges an grüner bzw. nachhaltiger Gesetzgebung – zum Beispiel die europäische Offenlegungsverordnung2 und die EU-Taxonomieverordnung.

Sie verlangen auch von Unternehmen aus meinem Aufsichtsbereich, dass sie zum Beispiel ihre Strategien im Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken im Anlageprozess darlegen und mit Blick auf die nachhaltige Ausrichtung von Finanzprodukten Transparenz schaffen.

Eines fordern sie dagegen nicht: in grüne Kapitalanlagen zu investieren. Das wäre auch nicht klug. Denn wir wissen, dass solche Anlagen nicht per se ohne Risiko sind.

Der Hebel wird stattdessen weiterhin und verstärkt an anderer Stelle angesetzt: Versicherer müssen ein leistungsstarkes Risikomanagement haben, das auch mit Nachhaltigkeitsrisiken fertig wird. Denn dann können sie ihren Teil der Verantwortung für mehr Nachhaltigkeit am besten schultern.

In unserem Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken geben wir dazu einige Hinweise, an denen sich Versicherer orientieren können. Ich kann es nur wärmstens empfehlen.

Thema Digitalisierung: Die Corona-Pandemie hat einige ihrer Vorzüge verdeutlicht: Wer seine Beschäftigten ins Home-Office schicken kann und einen starken digitalen Absatzkanal hat, der hat in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Lockdown gewisse Wettbewerbsvorteile.

Unsere Sicht auf die Digitalisierung hat sich durch die Pandemie aber nicht geändert. Wir sehen die Risiken, wir sehen die Chancen, und wir stehen den Technologien, die Versicherer einsetzen, neutral gegenüber. Es ist also weder unser Job, etablierte Unternehmen vor Insurtechs zu schützen, noch haben wir die Aufgabe, Insurtechs mit aufgeweichten Regeln Starthilfe zu geben.

Alle Unternehmen, die eine Versicherungslizenz beantragen, müssen von Anfang an ausreichende Eigenmittel haben. Da machen wir keine Unterschiede. Gleiches Geschäft – gleiches Risiko – gleiche Regel.

Wir haben übrigens auch keine neuen Kapitalanforderungen für Insurtechs geschaffen. Wir haben deutlich gemacht, dass wir die bestehenden Regeln anwenden, und das nach Maßgabe der Proportionalität. Unsere zentrale Aufgabe ist die Wahrung der Belange der Versicherten. Sie dürfen uneingeschränkt solide und belastbare Geschäftsmodelle erwarten.

Versicherer sind beliebtes Ziel von Cyberangreifern. Was angesichts des vielen Geldes und der vielen Daten, mit denen sie hantieren, keine Überraschung ist. Wir verlangen von den Unternehmen, dass sie sich nach außen einen schützenden Panzer zulegen. Ebenso fordern wir, dass sie sich vor internen Sicherheitsvorfällen schützen – auch vor versehentlichen Pannen. Ob von außen, im eigenen Unternehmen oder bei Dienstleistern: IT-Vorfälle müssen erkannt, behoben und – idealerweise – verhindert werden.

Wir haben festgestellt, dass es in puncto IT-Sicherheit bei den Versicherern durchaus noch Verbesserungspotenzial gibt. Wir werden nicht lockerlassen und weiter prüfen, ob und wie sich die Unternehmen rüsten. Aus unseren konkreten Erwartungen machen wir übrigens kein Geheimnis. Sie sind in unseren VAIT nachzulesen.

Und demnächst werden wir mit DORA europaweit die Anforderungen an die IT-Sicherheit noch einmal präzisieren. Dazu werden wir sicher gleich von Frau Metzger Näheres hören.

Die Bemerkung „Thema verfehlt“ habe ich zuletzt auf dem Gymnasium kassiert. Daher von nun an streng nach Programm. Also zunächst Solvency II und dann IFRS 17.

Solvency II – dieses risikosensitive, prinzipien- und marktwertbasierte Regelwerk hat seit seinem Inkrafttreten Anfang 2016 bewährt. Im Großen und Ganzen jedenfalls.

Es hat nämlich mit einer Reihe von Kinderkrankheiten zu kämpfen, die es zu kurieren gilt. Genau diesem Zweck dient der planmäßige Review der Rahmenrichtlinie.

Ende 2020 hat EIOPA der EU-Kommission ihre Stellungnahme dazu vorgelegt. Sie hat die klassischen Eigenschaften eines Kompromisses: Wir konnten uns nicht in allen Punkten, die uns wichtig waren, durchsetzen. Aber als Gesamtpaket ist die Stellungnahme für mich einigermaßen akzeptabel. Das Regelwerk würde zwar noch marktorientierter. Aber damit könnte ich leben. Langfristiges Geschäft, wie es auch für Lebensversicherer typisch ist, bliebe weiterhin möglich. Das war und ist mir sehr wichtig.

Da wären zum Beispiel die Vorschläge zur neuen Ausgestaltung der Volatilitätsanpassung. Ich finde sie gut. Das Instrument hat 2020 in der Corona-Krise seinen Zweck erfüllt, nämlich prozyklische Effekte einzudämmen. Sollte EIOPA mit ihrem Vorschlag Gehör finden, würde die Volatilitätsanpassung künftig noch stärker wirken – und noch passgenauer. Damit würden die Solvenzkapitalergebnisse in unruhigen Zeiten weiter stabilisiert.

Dass künftig auch die Illiquidität von Verpflichtungen berücksichtigt werden soll, macht es außerdem möglich, langfristiges Versicherungsgeschäft besser unter Solvency II abzubilden.

Weniger glücklich bin ich mit den Änderungsvorschlägen zur Extrapolation der risikofreien Zinsstrukturkurve, einem weiteren Instrument aus der Long-Term-Guarantee-Tool-box. Wir hätten an der Extrapolation am liebsten nichts geändert.

Werden die EIOPA-Vorschläge 1:1 angenommen, würden die deutschen Lebensversicherer mit ihren langen Vertragslaufzeiten stark belastet. Denn ihre Kapitalanforderungen stiegen dann deutlich.

Künftig sollen nämlich auch Zinsinformationen berücksichtigt werden sollen, die sich auf einen Zeitpunkt nach Ablauf von 20 Jahren beziehen. Blieben die Zinsen auf dem derzeitigen Niveau, wäre die Zinsstrukturkurve im extrapolierten Bereich tendenziell niedriger.

EIOPA schlägt zwar einen Ausgleichmechanismus vor, der dafür sorgen soll, dass die Höhe der Rückstellungen in schwierigen Marktsituationen verkraftbar bleibt. Der wäre aber zeitlich begrenzt. Ich bin gespannt. Der Prozess liegt jetzt in den Händen der Kommission und der europäischen Gesetzgeber.

Ein weiterer wichtiger Vorschlag ist die geplante Rekalibrierung des Zinsänderungsrisikos für die Standardformel, mit der Versicherer ihre Solvenzkapitalanforderung (Solvency Capital Requirement – SCR) berechnen. EIOPA legt damit einen Finger in eine der offenen Wunden des europäischen Regelwerks:
Die Standardformel berücksichtigt bisher negative Zinsen nicht. Der nun vorgeschlagene Shift-Ansatz kann negative Zinsen gut abbilden. Das Zinsrisiko schlüge sich also angemessener im SCR nieder – endlich! Zwar zöge auch dieser Vorschlag für die Unternehmen Belastungen nach sich. Die scheinen aber gerechtfertigt zu sein, denn hier würde ein offenkundiger Fehler behoben. Im Übrigen soll die neue Kalibrierung schrittweise eingeführt werden, die anfängliche Belastung würde also gedämpft.

Was wir im Grundsatz von Anfang an unterstützt haben und begrüßen: EIOPA will risikoarme Versicherer, also meist kleinere Unternehmen, an zwei Stellen entlasten:

Erstens spricht sich EIOPA dafür aus, die Solvency-II-Eintrittsschwellenwerte zu erhöhen. Bei der Frage „Solvency I oder Solvency II“ wäre die Richtschnur künftig 50 Millionen Euro versicherungstechnische Rückstellungen.

Den Schwellenwert für die jährlichen Bruttobeitragseinnahmen sollen die Mitgliedsländer unter bestimmten Voraussetzungen auf bis zu 25 Millionen Euro anheben können.
Wenn der deutsche Gesetzgeber das so übernähme, wären bei uns wohl einige kleinere Unternehmen davon profitieren. Für sie gälte dann wieder Solvency I – oder, genauer gesagt: Solvency I plus. Denn das alte Regelwerk hatte kaum Governance-Anforderungen, und die Solvency-II-Anforderungen zur Governance gelten für die Versicherer, die nicht unter Solvency II fallen, in abgespeckter Form.

Zweitens will EIOPA in allen drei Säulen des Regelwerks mehr Proportionalität. Für viele Anforderungen, die Raum für Proportionalität lassen, wird festgelegt, dass risikoarme Versicherer sie als Minimalanforderungen umsetzen können. Versicherer mit mittlerem oder stark ausgeprägtem Risikoprofil dürften das konsequenterweise grundsätzlich nicht. Allerdings sollen auch die Versicherer mit mittlerem Risikoprofil im Einzelfall von denselben Erleichterungen profitieren können. Voraussetzung: Wir Aufseher stimmen zu.

Beispiel Säule I: Immaterielle Risikomodule innerhalb der Standardformel, die wenig zum Gesamtrisiko beitragen, sollen mit einer vereinfachten Methode berechnet werden können. So weit, so gut.

Einen weiteren Vorschlag halte ich dagegen für unangemessen: Risikoarmen Versicherern will EIOPA die stochastische Bewertung von Optionen und Garantien erleichtern. Das klingt zunächst plausibel. Mit Garantien sind aber auch und vor allem Zinsgarantien aus Lebensversicherungsverträgen gemeint. Und deutsche Lebensversicherer sind nicht risikoarm. Sie sollten deshalb nicht damit rechnen, von dieser Möglichkeit Gebrauch machen zu können. Zumal sie das Branchensimulationsmodell nutzen können – das zwar verbesserungswürdig ist, aber immerhin funktioniert.

Was die Vorschläge zu proportionaleren Gestaltung der Governance-Anforderungen der zweiten Säule angeht, kann ich berichten, dass viele der geplanten Maßnahmen schon in unseren MaGo angelegt sind,
den Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation. Sie hätten für uns daher vor allem klarstellenden Charakter.

EIOPA macht zum Beispiel den Vorschlag, dass Versicherer mit niedrigem Risikoprofil die Möglichkeit haben sollten, dass Schlüsselfunktionen gebündelt, operativ tätig oder durch den Vorstand wahrgenommen werden können. Das ist bei uns nach gängiger Auslegung schon jetzt zulässig.

Ein Ansatz wäre aber auch für uns neu, nämlich der, dass risikoarme Versicherer den ORSA, die unternehmenseigene Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung (Own Risk and Solvency Assessment), nur noch alle zwei Jahre vornehmen müssen und nicht mehr jedes Jahr. Risikoarme Versicherer sollen auch ihre internen schriftlichen Leitlinien nicht mehr jährlich prüfen müssen, sondern nur noch alle zwei oder drei Jahre. Wenn ihr Risikoprofil dies zulässt, kann die Aufsicht dies auch für andere Versicherer erlauben.

Ich denke, dass EIOPA mit den Vorschlägen zur Governance auf dem richtigen Weg ist.

Auch in der dritten Säule soll es Erleichterungen geben, die wir aus voller Überzeugung unterstützen. EIOPA schlägt vor, risikobasierte Schwellenwerte für das quantitative Berichtswesen einzuführen. Versicherer sollen in Zukunft nicht-zentrale Berichtsformulare (Non-core Templates) nur noch dann einreichen, wenn sie den für das Formular festgelegten risikobasierten Schwellenwert überschreiten.
Die neuen Schwellenwerte wären unternehmensindividueller, weil sie das einzelne Geschäftsmodell genauer betrachten. Die Einreichungspraxis würde dadurch risikogerechten und weniger aufwändig – vor allem für die Versicherer.

Weitere – wie ich finde – sinnvolle Erleichterungen sind geplant: Der Solvabilitäts- und Finanzbericht (Solvency and Financial Conditions Report – SFCR) und der regelmäßige Aufsichtsbericht (Regular Supervisory Report – RSR) sollen schlanker werden.

Auf der anderen Seite plant EIOPA aber auch Erweiterungen, zum Beispiel Sensitivitätsrechnungen für zentrale Kennzahlen von Versicherern, die für die Finanzstabilität relevant sind. Auch das ist sinnvoll.

EIOPA will auch die Meldebögen des aufsichtlichen Berichtswesens vereinfachen. Einzelne Bögen entfallen. Andererseits sollen aber auch Lücken im Berichtswesen geschlossen werden. Etwa indem EIOPA künftig mit Hilfe der nationalen Aufseher Daten zu abgeschlossenen Cyberrisiko-Policen und weiteren Nichtlebensversicherungsprodukten erheben will. Außerdem plant EIOPA für interne Modelle einige erweiterte quantitative Berichtsanforderungen.

Noch einige wenige Takte zu den makroprudenziellen Instrumenten, die EIOPA vorschweben. Im Gespräch sind zum Beispiel zusätzliche Anforderungen beim Liquiditätsrisiko und Kapitalzuschläge bei systemischen Risiken.

Die Vorschläge, die bislang auf dem Tisch liegen, sind noch nicht ausgereift. In der europäischen Versicherungsaufsicht haben wir da noch einiges an Arbeit vor uns. Eines muss aber jetzt schon klar sein: Die Makro-Instrumente der Bankenaufsicht 1:1 auf Versicherer zu übertragen, wäre nicht der richtige Weg.

Zum Schluss noch einige Bemerkungen zum IFRS 17: Das International Accounting Standards Board (IASB) hatte schon 2001 beschlossen, den nur als Übergangslösung gedachten IFRS 4 „Insurance Contracts“ abzulösen. Im Mai 2017 wurde schließlich der neue Standard IFRS 17 „Insurance Contracts“ veröffentlicht. Das erklärte Ziel: die Stärkung der weltweiten Vergleichbarkeit der Jahresabschlüsse von Versicherungsunternehmen durch die Harmonisierung der Bilanzierung von Versicherungsverträgen.

Den Zeitpunkt der Erstanwendung hat das IASB vom 1. Januar 2021 sukzessive auf den 1. Januar 2023 verschoben. Das Gleiche gilt für die Erstanwendung des IFRS 9 „Financial Instruments“. Damit haben deutsche, nach IFRS bilanzierende Versicherer zeitgleich zwei neue Standards anzuwenden. Was das für die wenigen betroffenen Unternehmen bedeutet, ist klar: auf einen Schwung einiges an Mehrarbeit und Kosten.

Grundsätzlich müssen alle deutschen Versicherer einen Einzelabschluss nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) aufstellen.

Der HGB-Abschluss ist weiterhin Grundlage für die Ausschüttungsbemessung. Außerdem unterliegen die meisten deutschen Versicherungsunternehmen Solvency II. Die danach zu erstellende Solvenzübersicht enthält einige Aspekte, die an die IFRS-Bilanzierung angelehnt sind.

IASB und EIOPA haben bislang nicht die Chance genutzt, Bilanzierung und Aufsichtsrecht einander näher zu bringen. Und ich glaube auch nicht, dass das auf absehbare Zeit passiert. Die Gleichung „IFRS-Bilanz“ = „Solvenzübersicht“ wird es wohl vorerst nicht geben.

Alles in allem aber werden die Auswirkungen von IFRS 17 für die deutsche Versicherungswirtschaft sehr viel weniger stark sein als die von Solvency II.

Zumal die wenigen betroffenen börsennotierten deutschen Gruppen die Zeit seit der ersten Veröffentlichung des Standards im Jahr 2017 genutzt haben, um die erforderlichen Kapazitäten und Kompetenzen aufzubauen.

So, Herr Fromme, ich habe in bester Peter-Frankenfeld-Manier kräftig überzogen. Aber es war mir noch etwas zu Ohren gekommen: nämlich dass ich so lange reden könne, wie ich wolle. Ich fürchte, das Veranstaltungsmanagement wird Sie später zu einem ernsten Gespräch bitten.

Fußnoten:

  1. 1 Ausschuss für Finanzstabilität, Achter Jahresbericht an den Deutschen Bundestag.
  2. 2 Siehe dazu BaFinJournal Februar 2021.

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