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Porträtaufnahme von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht. © Bernd Roselieb

Erscheinung:21.04.2021 Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht 2021 – Regulierung und Praxis

Keynote von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), bei der Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht am 21. April 2021 (online)

Es gilt das gesprochene Wort!

Vielen Dank, Herr Dr. Lotz,
vielen Dank, Herr Dr. Kukies,

und natürlich auch von mir herzlich willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer vor den Bildschirmen, zu unserer diesjährigen, rein digitalen Jahreskonferenz.

Das vergangene Jahr war ein schwieriges Jahr für unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft – die Versicherungsbranche eingeschlossen. Und auch der Austausch zwischen Aufsicht und Branche ist komplexer geworden.

Anders als Ende 2019 kann ich in diesem Jahr nicht durch das Foyer des ehemaligen Plenarsaals vom Deutschen Bundestag gehen und fragen: „Wie geht es Ihnen?“ Ich will aber versuchen, an dieser Stelle eine Antwort auf die Frage zu geben, wie es der deutschen Versicherungswirtschaft insgesamt geht.

Sie wissen: Versicherer sind von der Corona-Krise ganz unterschiedlich beeinträchtigt. Passivseitig sind vor allem die Rechtsschutzversicherungen, Veranstaltungsausfallversicherungen, Kreditversicherungen und Betriebsschließungsversicherungen betroffen.

Anbieter der Betriebsschließungsversicherung stehen vor der zusätzlichen Herausforderung, jenseits der rechtlichen Klärung vertraglicher Ansprüche auch die eigene Reputation im Blick behalten zu müssen. Denn die Debatte um Versicherungsschutz für Restaurantbesitzer, die ihr Lokal pandemiebedingt schließen mussten, ist noch nicht vorbei. Es liegen zwar einzelne Urteile vor – jedoch ohne eindeutige Tendenz. Und eine höchstrichterliche Entscheidung steht noch aus.

Auf den Kapitalmarkt hat die Corona-Pandemie am Anfang mit Wucht durchgeschlagen. Der DAX stand zwischenzeitlich bei 8.442 Punkten. Doch die Aktienmärkte beruhigten sich relativ schnell wieder, so dass heute eher wieder Warnungen vor einer Blase durchdringen.

Auch andere Zahlen, die Corona bewegt hat, sind inzwischen zurückgependelt – dazu zählt etwa das zwischenzeitlich leicht erhöhte Storno bei den Lebensversicherungen. Ende des Jahres haben wir hier schon wieder ein normales „Weihnachtsgeschäft“ gesehen. Auch bei der Liquidität haben wir bislang keine Fehlentwicklungen beobachtet.

Für Entwarnung ist es dennoch zu früh. Wir wissen nicht, wie sich die Corona-Pandemie weiterentwickelt und wie schnell sich die nationale und internationale Realwirtschaft erholt. Und die größte Herausforderung für Pensionskassen und Lebensversicherer hat Corona ohnehin verfestigt: das Niedrigzinsumfeld. Im abgelaufenen Jahr haben rund 30 Pensionskassen finanzielle Unterstützung von ihren Trägerunternehmen oder Aktionären erhalten, wobei die Hilfen in der Regel auf mehrere Jahre gestreckt werden. Es bleibt aber abzuwarten, wie leistungsfähig die Trägerunternehmen selbst in der Corona-Krise bleiben.

Lebensversicherer haben einen größeren Spielraum, um sich des Niedrigzinsumfelds zu erwehren – vor allem im Neugeschäft auf der Produktseite. Aber kapitalschonendere Produkte verändern den Bestand natürlich nur schrittweise.

Aus der EIOPA-Opinion zum Solvency-II-Review erwächst den deutschen Lebensversicherern nun eine neue Sorge, und zwar in Gestalt der vorgeschlagenen Methode zur Extrapolation der risikofreien Zinsstrukturkurve. Sie würde – Stand jetzt – zu deutlich erhöhten Kapitalanforderungen führen und deshalb hoffen wir hier noch auf Nachjustierungen.

Solvency II ist daher auch für unsere diesjährige Jahreskonferenz ein herausragendes Thema, für das wir ein eigenes Panel um 11 Uhr vorgesehen haben. In der Fragerunde stehen Ihnen Ansprechpartner aus dem Bundesfinanzministerium, der EU-Kommission, der Industrie sowie der Aufsicht zur Verfügung – ein differenzierter Kreis, wenn Sie mich fragen.

Außerdem ist es mir wichtig, dass Sie ab 13 Uhr neben Herrn Dr. Lotz auch unsere weiteren fünf Abteilungsleiter kennenlernen. Schließlich stehen sie mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Versicherungsaufsicht und unsere Schwerpunktthemen 2021.

Zwei Kollegen greifen in ihren Impulsvorträgen die soeben angesprochene Lage der Lebensversicherer und Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung im Niedrigzinsumfeld für Sie heraus. In einem weiteren Statement zum Verbraucherschutz geht es unter anderem um so unterschiedliche Aspekte wie Vertriebsvergütungen und Gruppenversicherungsverträge – aber auch um Nachhaltigkeitsfragen.

Ein Wort dazu: Wir nehmen dieses Thema sehr ernst. Tun Sie es auch. Es ist wichtig, dass die Versicherungsbranche ihren Teil dazu beiträgt, unsere Wirtschaft in ein nachhaltiges System umzuwandeln. Weil ESG-Investments nicht per se sicherer sind, ist es richtig, dass es keinen Zwang gibt. Aber wir erwarten von den Versicherern, dass sie sich mit Nachhaltigkeitsrisiken auseinandersetzen. Und wir werden natürlich untersuchen, wie sie das tun.

Meine Damen und Herren:
Wir wollen eine Aufsicht sein, die Risiken früh erkennt und zur Wahrung der Belange der Kunden rechtzeitig einschreitet.

Ich will Ihnen zwei Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit nennen:

Erstens: Dividenden. Ich vertrete zwar nicht die Auffassung, dass Versicherungsgesellschaften in der Corona-Pandemie per se keine Dividenden auszahlen sollten. Mit Laissez-faire hat das aber nichts zu tun. Wir steigen in einen sehr intensiven Prüfungsprozess mit den ausschüttungswilligen Unternehmen ein. Alles natürlich unter Proportionalitätsgesichtspunkten. Wir lassen uns Stressszenarien, den Cash-Flow oder die Solvenzergebnisse vorlegen und entscheiden dann auf dieser individuellen Grundlage, ob eine Dividendenzahlung vertretbar ist. Das war 2020 so, als die Frage im Vordergrund stand, ob eine Dividende gezahlt werden kann. Und das bleibt auch 2021 so, wobei wir bereits sehen, dass die europäischen Versicherungskonzerne ihre Dividendenausschüttungen stabil halten wollen.

Zweites Beispiel: Insurtechs. Wie Sie alle wahrgenommen haben werden, verlangen wir von Unternehmen, die eine Versicherungslizenz beantragen, von Anfang an ausreichende Eigenmittel und weniger Abhängigkeit von Finanzierungsrunden. Angeblich messen wir hier ja mit zweierlei Maß.

Mitnichten, meine Damen und Herren, daher noch einmal, obwohl ich das in der Debatte nun schon oft gesagt habe: Wir haben keine speziell gegen Insurtechs gerichteten neuen Kapitalanforderungen geschaffen, nein, wir haben bestehende Vorschriften für alle Neugründungen noch einmal verdeutlicht. Unser Leitmotiv ist nicht die Ungleichbehandlung von neuen Marktteilnehmern. Im Gegenteil: Wir wollen den Dialog, wir begrüßen neue Zulassungsanträge – gerade auch dann, wenn Insurtechs wirkliche Innovationen in den Markt tragen. Unser Leitmotiv ist die Wahrung der Belange der Versicherten und genau sie, die Kunden, dürfen absolut solide und belastbare Geschäftsmodelle verlangen und sie dürfen eben auch verlangen, dass wir uns proaktiv über die Zustände im Markt Gedanken machen.

Daher spüren wir in der Versicherungsaufsicht auch einen ordentlichen Rückenwind aus dem „Projekt zur Modernisierung der BaFin“, das sich mehr aufsichtlichen Biss auf die Fahne geschrieben hat. Sie werden davon vermutlich in der Wirtschaftspresse gelesen haben.

Meine Damen und Herren: Eine proaktive, prinzipienorientierte und datengetriebene Aufsicht – das ist auch der Grundgedanke des europäischen Aufsichtsregimes Solvency II.

In gut zwei Stunden werden sich auch die Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit dem Wesen von Solvency II befassen. In der mündlichen Verhandlung geht es dann um die Revision der BaFin gegen das vorinstanzliche Urteil zur Sammelverfügung über die Einrichtung einer Beschwerdemanagementfunktion und die Erstellung eines jährlichen Beschwerdeberichts.

Laut Vorinstanzen ist diese Sammelverfügung rechtswidrig. Sie wurde seinerzeit mit § 294 Absatz 2 Satz 2 Versicherungsaufsichtsgesetz begründet, also der Generalklausel der Versicherungsaufsicht zum Schutz der Versicherten. Der Verwaltungsgerichtshof Kassel hat argumentiert, diese Missstandsaufsicht gehöre zu den vollharmonisierten Bereichen unter Solvency II. Ein Bezug auf die „ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten“ wäre damit nicht mehr möglich. Dieses traditionell zentrale Element als Ermächtigungsgrundlage würde der Versicherungsaufsicht also genommen.

Wenn das so bliebe, würden wir auf ein dynamisches, sich schnell wandelndes, immer globaler werdendes Umfeld in Deutschland künftig eine statische Rechtsmaterie anwenden. Dann würde „Aufsicht mit mehr Biss“ natürlich noch anspruchsvoller. Denn eine wesentliche Rechtsgrundlage, um zum Schutz der Kunden zu handeln, würde dann wegfallen. Wir müssten und würden also andere Wege finden.

Es gibt zudem eine europäische Dimension: Die verbindliche Übernahme von EIOPA-Leitlinien in die nationale Verwaltungspraxis wäre erschwert.

Und auch das widerspricht aus meiner Sicht diametral dem Grundgedanken von Solvency II. Der europäische Gesetzgeber hat Solvency II ja gerade deshalb prinzipienbasiert und proaktiv angelegt, damit Aufseher rechtzeitig auf Entwicklungen reagieren, den Schutz von Versicherten sicherstellen und übrigens auch einen hohen Grad an Verbindlichkeit und Verlässlichkeit für Versicherungsunternehmen herstellen können.

Ich bin daher sehr auf den Fortgang des Verfahrens gespannt. Ob heute bereits ein Urteil gefällt wird, wissen wir noch nicht.

Meine Damen und Herren: Eben habe ich von datengetriebener Aufsicht gesprochen. Was heißt das? Natürlich sind Digitalisierung und Datenerhebung kein Selbstzweck. Für uns Aufseher bieten sie eine große Chance, möglicherweise problematische Entwicklungen frühzeitig zu entdecken und rechtzeitig zu intervenieren.

So haben wir uns unter dem Eindruck des Niedrigzinsumfelds in unseren Search-for-Yield-Analysen bereits angeschaut, wie Versicherer in der Kapitalanlage auf niedrige Marktzinsen reagiert haben. Unter anderem kam dabei heraus, dass kleinere Versicherer zunehmend in Immobilien investierten.

Im vergangenen Jahr haben wir untersucht, inwiefern die Corona-Pandemie die Immobilienpreise und die Ratings von Unternehmensanleihen beeinträchtigt hat.

Es lässt sich festhalten, dass das Immobilien-Exposure ein überschaubares Risiko für die Kapitalausstattung der Unternehmen darstellte. Zwischen dem Jahresende 2019 und dem 4.Quartal 2020 mussten rund 40 Prozent der Unternehmen, die Gewerbeimmobilien direkt halten, marktwertbedingte Wertreduzierungen unter Solvency II vornehmen. Die beliefen sich unter dem Strich auf etwa 1,7 Milliarden Euro. Das entsprach einer relativen Wertreduzierung um etwa 5 Prozent.

Im Unterschied dazu fiel bei den indirekt gehaltenen Gewerbeimmobilien auf, dass die Immobilienfonds der Versicherer zwischen dem Jahresende 2019 und dem 4. Quartal 2020 etwa 2,7 Milliarden Euro an Wert gewonnen haben – wiederum unter Solvency II. Der relative Wertanstieg betrug etwa 7 Prozent.

Wir verharren aber nicht in der Vogelperspektive und geben uns nicht mit branchenweiten Kennziffern zufrieden, nein, unsere Experten analysieren die Risiko-Exponierung der einzelnen auffälligen Unternehmen und beurteilen ihre Risiko-Tragfähigkeit dann auf individueller Ebene.

Nun zu den Unternehmensanleihen: Wenn man direkten und indirekten Bestand zusammenfasst, haben wir hier im vergangenen Jahr eine leichte Zunahme schwächerer Bonitäten beobachtet. Vom Jahresende 2019 bis einschließlich Jahresende 2020 wurden etwas mehr als 10 Prozent aller im Bestand der deutschen Versicherer befindlichen Anleihen mit Rating heruntergestuft. In der Regel konnten die Versicherer das aber gut verkraften.

Trotzdem können einzelne Versicherer – hier sind es überwiegend Lebensversicherer – wesentlich von Ratingherabstufungen betroffen sein. Solche Unternehmen werden in unseren datenbasierten Analysen identifiziert und wir suchen wir den Kontakt zu ihnen, um aufsichtlichen Handlungsbedarf zu identifizieren.

Ungefähr ein Drittel der Anleihen hat per 4. Quartal 2020 einen negativen Ratingausblick – will heißen: Bei diesen Papieren könnte möglicherweise eine baldige Herabstufung folgen. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass wir dieses Thema – und ebenso das Immobilien-Exposure – auch 2021 im Blick behalten.

Um Ihnen noch einen kurzen Ausblick zu geben: Wir wollen bei den Kapitalanlagekennzahlen künftig stärker mit Peergroups arbeiten. Das ist jene Gruppe, innerhalb derer man ein bestimmtes Unternehmen am besten vergleichen kann. Wir haben uns vorgenommen, die Unternehmen – über die bisher bestehenden Spartenzuordnungen hinaus – auch aufgrund ihrer Größe und charakteristischen Gemeinsamkeiten zu clustern.

Und so entsteht – im besten Fall vollautomatisiert – ein Quervergleich zwischen ähnlichen Gesellschaften, der die aufsichtliche Lageeinschätzung sicherlich weiter verbessern kann. Der menschliche Aufseher – mit all seinem Know-how und seiner Erfahrung – kann damit dann noch gezielter handeln.

Da das Feld der Digitalisierung viel breiter ist als Datenerhebung und –analyse, planen wir für das kommende Jahr eine IT-Infoveranstaltung, auf der wir unter anderem einen genaueren Blick auf das Cloud-Computing und die Erfahrungen aus unseren Prüfungen der Versicherungsaufsichtlichen Anforderungen an die IT werfen können. Wir werden Sie dazu natürlich auf dem Laufenden halten.

Viele Daten, mit denen wir datengetriebene Aufsicht betreiben, reichen die Versicherer bei uns ein. Dieser Vorgang war einst sehr papierlastig. Im 21. Jahrhundert ist es natürlich unser Anspruch, diesen Vorgang möglichst digital auszugestalten. Doch die Unternehmen müssen solche Angebote dann auch nutzen.

Daher ergreife ich die Chance, in diesem Forum an unsere Melde- und Veröffentlichungsplattform MVP zu erinnern.

Solvency-II-Unternehmen müssen bereits von Anfang an ihre quantitativen Meldungen sowie die narrativen Berichte in digital auswertbarer Form bei uns abgeben.

Formulare des nationalen Berichtswesens können bereits seit Langem digital eingereicht werden. Und dies wird von allen Unternehmen auch genutzt.

Inzwischen werden auch die Prognoserechnung, die Tarifmitteilungen in der Lebensversicherung sowie in der Krankenversicherung die Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die Technischen Berechnungsgrundlagen und die statistischen Daten über das MVP-Portal eingereicht.

Darüber hinaus besteht neuerdings die Möglichkeit, Technische Geschäftspläne in der Lebensversicherung sowie Anlagen zum Solvabilitätsnachweis und Anträge auf die Anerkennung der Eigenmittel B über das MVP-Portal einzureichen.
Auch hier möchte ich Sie ermutigen, dieses Angebot anzunehmen. Unter dem Stichwort „Meldeplattform“ auf bafin.de können Sie sich weiter informieren.

Allerdings bitte ich die Spontanen unter Ihnen, dafür maximal zehn Minuten aufzuwenden, denn länger ist unsere Pause nicht.

An die anderen: Atmen Sie kurz durch und dann sehen wir uns hinterher zum Panel über eines der wichtigsten Themen für die Versicherungswirtschaft wieder: nämlich zum Solvency-II-Review.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und bis gleich.

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