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Porträtaufnahme von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht. © Bernd Roselieb

Erscheinung:03.03.2021 Aktuelle Fragen der Versicherungsaufsicht

Rede von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), beim Zukunftsmarkt Altersvorsorge am 2. März 2021.

Es gilt das gesprochene Wort!

Meine Damen und Herren,

ich kann mir gut vorstellen, dass einige von Ihnen das digitale Programmheft unserer heutigen Veranstaltung geöffnet haben, um schon einmal zu schauen, worum es in meinem Vortrag geht. Vielleicht auch, um besser einschätzen zu können, ob meine Ausführungen etwas mit Ihnen zu tun haben. Ich hoffe doch sehr, dass das der Fall ist.

Mein Vortrag über die „Aktuellen Fragen der Versicherungsaufsicht“ hat einen Unterpunkt namens „Aufsicht“. Das wird Sie nicht erstaunen.

Im Part „Regulatorik“ wird es hingegen um Neuerungen in der nationalen und europäischen Gesetzgebung gehen.

Beginnen möchte ich allerdings mit den ökonomischen Herausforderungen, denen die Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung und die Lebensversicherer in Deutschland ausgesetzt sind.

Da wären zunächst einmal die niedrigen Zinsen. Das Zinsumfeld bleibt die größte ökonomische Herausforderung für die deutschen Lebensversicherer und vor allem für die Pensionskassen, da sie ausschließlich lebenslang laufende Renten anbieten.

Außerdem kennen Sie alle den Grund, warum wir uns heute nicht persönlich begegnen – Corona. Auch die Pandemie ist eine bemerkenswerte ökonomische Herausforderung. Das zeigt sich an mindestens drei Punkten – und die niedrigen Zinsen sind nur der erste davon.

Die COVID-19-Pandemie hat das Niedrigzinsumfeld noch einmal verfestigt und die Hoffnungen auf ein baldiges Ende der Nullzinspolitik weiter reduziert. Es steht derzeit nicht zu erwarten, dass sich die Herausforderung „Zinsen“ für EbAV und Lebensversicherer von alleine erledigt.

Zweitens: Im zweiten Quartal 2020 haben wir einen coronabedingten Stornoanstieg und einen Rückgang des Neugeschäfts bei den Lebensversicherern beobachtet. Diese Entwicklungen haben sich bereits im dritten Quartal 2020 wieder weitgehend normalisiert und im vierten Quartal haben wir dann schon wieder ein Jahresendgeschäft wie in den Vorjahren gesehen. Negative Folgen für die Liquidität sind bislang ausgeblieben. Dennoch sollten die Unternehmen im Blick behalten, dass sie ihre Prämieneinnahmen und Neuverträge nicht im luftleeren Raum erwirtschaften, sondern gegenüber Firmen- und Privatkunden, und dass sich deren finanzielle Schwierigkeiten auch in den Prämieneinnahmen der Versicherer niederschlagen könnten.

Mein dritter Punkt zielt in eine ähnliche Richtung. Er hat nämlich auch etwas mit der finanziellen Lage von Wirtschaftsunternehmen zu tun. Allerdings geht es mir nicht um Wirtschaftsunternehmen als Versicherungsnehmer, sondern um Unternehmen, die Träger einer Pensionskasse sind. Wenn Trägerunternehmen coronabedingt selbst in Schwierigkeiten geraten, sinkt selbstverständlich auch die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie ihrer Kasse finanziell unter die Arme greifen können – dass sie also entweder finanzielle Zusagen machen können oder dass sie gegebene Zusagen auch einhalten können. Meine Damen und Herren: Ich werde nicht müde zu betonen, dass angeschlagene Pensionskassen bei ihren Trägerunternehmen um Unterstützung werben sollten. In vielen Fällen ist Unterstützung auch bereits erfolgt beziehungsweise für den Bedarfsfall in Aussicht gestellt worden.

Mein zweiter Appell gilt für Pensionskassen und Lebensversicherer gleichermaßen: In Anbetracht der niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt wollen die Garantiezinsen besonders gut durchdacht sein.

Das führt mich zum Punkt „Aufsicht“, denn wir als BaFin haben es nicht bei derartigen Appellen belassen. Wir sind auch selbst aktiv geworden.

So haben wir Pensionskassen, die noch einen Garantiezins von mehr als 0,9 Prozent verwenden, aufgefordert, die entsprechenden Tarife zu schließen. Damit hatten wir auch sehr großen Erfolg: Die Unternehmen sind unserer Aufforderung gefolgt. Lediglich bei wenigen Sonderfällen bedarf es noch Entscheidungen der maßgeblichen Akteure.

Um für die Zukunft das Problem der Aufnahme „neuer“ Kunden in „alte“ Tarife zu vermeiden, sind wir bei den neuen Anträgen regulierter Pensionskassen dazu übergegangen, Garantiezinsen oberhalb von 0,25 Prozent nicht mehr unbefristet zu genehmigen. Das wird auch im Jahr 2021 so bleiben.

Meine Damen und Herren: Die Juristen und Lateiner unter Ihnen kennen den Ausdruck „Pacta sunt servanda“, Verträge sind einzuhalten. Dieser Grundsatz gilt selbstverständlich auch in der Versicherungsbranche.

Die Garantiezinsen zählen zu den vertraglichen Verpflichtungen, die ein Versicherungsunternehmen gegenüber seinen Kunden eingeht – und die es natürlich auch einzuhalten hat.

Mit Hilfe unserer Prognoserechnung überprüfen wir bei Lebensversicherern und Pensionskassen regelmäßig, wie sich das Niedrigzinsumfeld auf ihre mittel- bis langfristige Leistungsfähigkeit auswirkt.

Das haben wir auch zum 30. September 2020 wieder getan. Dabei haben wir erneut unterstellt, dass die Lebensversicherer und Pensionskassen bei der Neu- und Wiederanlage lediglich eine Rendite von 0,5 Prozent erzielen können.

Inzwischen liegen uns die Daten vor und wir stecken mitten in der Auswertung. Bei den Lebensversicherern zeichnet sich ab, dass sie auch in den kommenden Jahren große Anstrengungen zum Aufbau der Zinszusatzreserve unternehmen müssen.

Während die ZZR 2020 um gut 10 Milliarden Euro auf knapp 86 Milliarden Euro anstieg, werden sich die Aufwendungen bis 2024 auf weitere rund 33 Milliarden Euro belaufen.

Das macht sich allerdings bezahlt, da die Zinszusatzreserve langfristig zur Finanzierung der Zinsgarantien beiträgt, so dass die Lebensversicherer die eingegangenen Verpflichtungen aus gegenwärtiger Sicht auch finanzieren können.

Erstmalig haben wir auch Solvency-II-Zahlen erhoben. Von der Erhebung erhoffen wir uns weitere Erkenntnisse in Bezug auf die Wirkung und Bedeutung der Ultimate Forward Rate für die Lebensversicherer sowie die langfristige Entwicklung der Solvenzquoten. Denn es ist ja etwas anderes, ob man nach HGB die Fähigkeit eines Versicherers untersucht, bestehende Verpflichtungen gegenüber seinen Kunden einzuhalten. Oder ob es nach Solvency II um seine Fähigkeit geht, dauerhaft Neugeschäft zu zeichnen.

Die Zahl der unter unserer intensivierten Aufsicht stehenden Lebensversicherer wird regelmäßig aktualisiert. Nach wie vor sind es rund 20 Lebensversicherer, zu denen wir unsere Kontaktfrequenz erhöht haben.

Auch Pensionskassen unter intensivierter Aufsicht müssen uns im Detail erläutern, wie ihre wirtschaftliche Situation aussieht und wie sie gegebenenfalls verbessert werden kann. Wir tauschen uns intensiv mit Vorstand und Aufsichtsrat, aber genauso mit dem Verantwortlichen Aktuar und dem Wirtschaftsprüfer aus. Auch die Trägerunternehmen gehören dazu und ich kann Ihnen berichten, dass es bei einer kleineren Zahl beteiligter Arbeitgeber tendenziell leichter ist, eine Einigung zu erzielen, als wenn viele Trägerunternehmen im Boot sind. Aber auch in solchen Fällen haben unsere Gespräche durchaus schon Früchte getragen.

Im Übrigen begrüße ich den Gesetzesentwurf des Bundesfinanzministeriums, mit dem künftig Einschüsse von zahlungswilligen Arbeitgebern erleichtert werden sollen. Mit dem Einstimmigkeitsprinzip unter Trägerunternehmen wäre dann Schluss. Und ich finde es nur fair, dass Leistungskürzungen von der Frage abhängen sollen, welche Arbeitgeber zu Einschüssen bereit sind und welche nicht. Da die Subsidiärhaftung des Arbeitgebers für Leistungskürzungen bestehen bleiben soll, kann ich mir gut vorstellen, dass er einen Einschuss letztlich als auch in seinem Interesse liegend erkennt.

Nicht immer aber gelingt ein Turnaround bei den Pensionskassen. Ende vergangenen Jahres sind unsere Bescheide aus dem Jahr 2018 bestandskräftig geworden, mit denen wir die Erlaubnis zum Betrieb des Versicherungsgeschäfts bei zwei Pensionskassen widerrufen haben.1 Der Finanzierungsplan zur Beseitigung der Unterdeckung der Solvabilitätskapitalanforderungen war aus unserer Sicht unzureichend.

Die Konsequenz: Neue Verträge dürfen beide Kassen nicht mehr abschließen. Und bestehende Verträge werden zwar weitergeführt, sie dürfen aber nicht mehr verlängert oder erhöht werden.

Lösen wir uns wieder von den zwei konkreten Fällen: Die ersten Ergebnisse unserer Prognoserechnung bei den 135 Pensionskassen deuten darauf hin, dass die Zahl der Unternehmen unter intensivierter Aufsicht voraussichtlich nicht wesentlich ansteigen wird. Sie liegt derzeit bei 36.

Erfreulich ist, dass viele Pensionskassen im Jahr 2020 finanzielle Unterstützung von ihren Trägerunternehmen oder Aktionären erhalten haben. Da der Finanzierungsbedarf erheblich sein kann, ist es nachvollziehbar, dass im Regelfall eine Verteilung über einen mehrjährigen Zeitraum erfolgt.

Erstmals genauer abgefragt haben wir die Zusammensetzung des Bestands der Pensionskassen im Hinblick auf das Bestehen von Sicherheitsmechanismen wie die Subsidiärhaftung des Arbeitgebers sowie von Sicherungseinrichtungen wie dem Pensions-Sicherungs-Verein beziehungsweise Protektor. Die Auswertung ergab, dass der weit überwiegende Teil der Ansprüche der Versicherten durch solche Sicherheitsmechanismen abgedeckt ist – und zwar über 90 Prozent.

Meine Damen und Herren: Lassen Sie mich zur Regulatorik kommen. Wie Sie alle wissen, hat EIOPA der EU-Kommission im vergangenen Dezember Empfehlungen vorgelegt, wie und wo man Solvency II nach fünf Praxisjahren nachschärfen sollte.

Natürlich ist die EIOPA-Opinion eine Art Kompromiss aus den verschiedenen Vorstellungen der Mitgliedsbehörden – und auch wir haben Abstriche machen müssen.

Unterm Strich kann ich aber für die BaFin sagen, dass wir diesen Kompromiss als Gesamtpaket für einigermaßen akzeptabel erachten. Gleichzeitig besteht aber noch Luft nach oben.

Dieses Paket würde natürlich insbesondere deutsche Lebensversicherer wegen der Veränderungen bei der Extrapolation der Zinsstrukturkurve erheblich belasten. Darauf – aber auch auf die neue Volatilitätsanpassung, also eine fortgesetzte Entlastung – will ich im Folgenden gerne etwas näher eingehen.

Zunächst aber etwas Grundsätzliches: Dass Versicherer ihre Vermögenswerte und Verbindlichkeiten marktkonsistent bewerten, macht ihre Risiken früh sichtbar und zählt daher zu den Errungenschaften von Solvency II. Allerdings geht mit der Marktbewertung auch eine höhere Volatilität der Solvenzposition einher – vor allem in extremen Marktsituationen.

Bei sehr langfristigen Versicherungsverträgen, wie sie für die deutsche Lebensversicherung typisch sind, gilt es aber zu berücksichtigen, dass Lebensversicherer von extremen Marktentwicklungen zwar nicht unberührt bleiben, dass sie ihre illiquiden Verbindlichkeiten aber in der Regel erst weit in der Zukunft erfüllen müssen.

Wie es gelingen kann, dieses langfristige Versicherungsgeschäft angemessen abzubilden, war schon einer der Knackpunkte bei der Einführung von Solvency II – und nun auch beim Review.

Die Extrapolation der risikofreien Zinsstrukturkurve macht es möglich, Versicherungsverträge zu bewerten, deren Laufzeiten weiter in die Zukunft reichen als zuverlässige Kapitalmarktinformationen über risikofreie Zinsen vorliegen. Bei den Anleihen ist hier meist nach 20 Jahren Schluss. Daher liegt der Last Liquid Point – also der Startpunkt in die Extrapolation – bislang bei 20 Jahren für den Euro.

EIOPA schlägt nun eine alternative Extrapolationsmethode vor, die teilweise auch Marktinformationen nach dem Start der Extrapolation berücksichtigt – für den Euro also Marktinformationen, die über 20 Jahre hinausgehen. Im aktuellen Zinsumfeld würde diese Methode zu einer im Vergleich zu heute im extrapolierten Bereich niedrigeren Zinskurve führen.

Flankiert werden die Vorschläge von einem Ausgleichsmechanismus, der dafür sorgen soll, dass die Höhe der Rückstellungen auch in schwierigen Marktsituationen für die Versicherer verkraftbar bleibt.

Auf Seiten der deutschen Lebensversicherer mit ihren sehr langen Vertragslaufzeiten und hohen Zinsgarantien würden sich aber dennoch die Kapitalanforderungen deutlich erhöhen. Aus Sicht der Unternehmen ein unschönes Ergebnis.

Die alternative Methode sorgt zwar dafür, dass die Kurve weiterhin ausreichend stabil ist, um eine übermäßige Volatilität der versicherungstechnischen Rückstellungen und der Solvenzposition zu vermeiden.

Ich hoffe aber, dass hier noch nachjustiert wird. Übersetzt in die heutige Methode, würden wir derzeit bei einem Last Liquid Point von etwa 25 Jahren landen. Dass eine „2“ an erster Stelle steht, ist schön. In Rede waren auch 30 oder 50 Jahre. Lieber wäre mir aber, wenn an der zweiten Stelle eine Ziffer näher Null stünde. Insgesamt sollte die Ausgewogenheit des Gesamtpakets im Fokus stehen.

Zu den meist genutzten LTG-Maßnahmen in Deutschland gehört die Volatilitätsanpassung. Ihre Wirksamkeit hat sich nicht nur in Stress-Tests, sondern auch in tatsächlichen Stress-Situationen wie den coronabedingten Marktturbulenzen im Frühjahr 2020 bestätigt.

Perfekt war die „alte VA“ aber nicht. Beispielsweise konnte sie die Charakteristika der Verbindlichkeiten nicht einbeziehen. Die „neue VA“ soll nun die Illiquidität von Verpflichtungen berücksichtigen und schneller greifen, um die Solvenzkapitalergebnisse auch in unruhigen Zeiten zu stabilisieren. Das werte ich durchaus als Erfolg.

So wie ich begonnen habe, möchte ich schließen: mit den Zinsen, wobei ich damit nun die Garantien im Neugeschäft meine. Dafür sind primär die Unternehmen selbst verantwortlich.

Mit dem Höchstrechnungszins zur Berechnung der Deckungsrückstellung gibt es ein Instrument, das die Garantiezinsen im Neugeschäft implizit begrenzt. Der Höchstrechnungszins beträgt derzeit noch 0,9 Prozent. Klar ist: Im jetzigen Zinsumfeld müssen Lebensversicherer die Garantien im Neugeschäft deutlich niedriger festlegen. Die 0,9 Prozent können die Unternehmen nicht mehr ausreizen, das wäre unvernünftig.

Daher hätte eine Absenkung des Höchstrechnungszinses meine volle Unterstützung und wäre ein starkes Signal an die Unternehmen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Fußnoten:

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