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Porträtaufnahme von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht. © Bernd Roselieb

Erscheinung:10.03.2021 Wie geht es weiter nach der Krise?

Keynote von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), bei der Fachkonferenz Run-Off am 9. März 2021.

Es gilt das gesprochene Wort!

Meine Damen und Herren,

wenn ich das richtig sehe, dann bin ich der Rauswerfer, was den ersten Teil der Veranstaltung – also den „Life Run-Off“ – angeht. Der Nachmittag steht dann ganz im Zeichen des „Non-Life Run-Off“.

Ich habe schon mehrfach die aufsichtliche Sicht auf die Abwicklung von Versicherungsbeständen geschildert – und zugegeben: Dabei ging es meistens um die Verkäufe von Lebensversicherungstöchtern an Abwicklungsplattformen und das Inhaberkontrollverfahren der BaFin.

Aber lassen Sie mich schon sagen: Das VAG ist kein Lebensversicherungs-Aufsichtsgesetz. Eine Bestandsübertragung ist nach § 13 VAG genehmigungspflichtig durch die BaFin. Und einen Unternehmensverkauf können wir nach § 18 VAG untersagen – beides ist unabhängig davon, ob es sich um einen Lebensversicherer handelt.

Sowohl bei einer Bestandsübertragung als auch beim Unternehmensverkauf kommt es uns als BaFin darauf an, dass die Belange der Versicherten gewahrt bleiben.

Solange dies gegeben ist, ist der Run-Off eine unternehmerische Entscheidung, die wir als solche nicht bewerten. Und natürlich kann und darf ein Unternehmen den strategischen Entschluss fassen, aus einem Markt auszuscheiden. Aber eben nur nach strengen Spielregeln.

Nun ist im Titel meiner Rede – Wie geht es weiter nach der Krise? – aber das Weitermachen angelegt.

Die COVID-19-Pandemie hat eine besondere Situation mit sich gebracht. Vor einem Jahr ging es auf den Kapitalmärkten coronabedingt recht turbulent zu. Die Märkte beruhigten sich aber auch schnell wieder. Im zweiten Quartal 2020 stieg bei den Lebensversicherungen das Storno, während das Neugeschäft zurückging. Im dritten Quartal hatte sich das schon wieder weitgehend normalisiert. Und negative Folgen für die Liquidität sind bislang ausgeblieben. Aber „nach“ der Krise befinden wir uns noch nicht.

Denn die COVID-19-Pandemie hat das Niedrigzinsumfeld weiter verfestigt und die Hoffnungen auf ein baldiges Ende der Nullzinspolitik weiter reduziert. Übrigens ist die Entscheidung der Europäischen Zentralbank, den Leitzins auf null zu senken, morgen exakt fünf Jahre alt.1

Das will ich aber nicht einfach so stehen lassen, sondern einordnen: Erstens gibt es mehrere Gründe für niedrige Zinsen – zum Beispiel auch die demografische Entwicklung2 oder die zunehmende Wertschöpfung im Digitalen3 – und zweitens ist es besonders wichtig, wie die Lebensversicherer mit den niedrigen Marktzinsen umgehen. Sie müssen sich überlegen, wie sie die Zinsgarantien ausgestalten, um die dauernde Erfüllbarkeit der Versicherungsleistungen sicherstellen zu können.

Wir beobachten erfreulicherweise, dass ein Teil der Branche – darunter auch große Anbieter – neue Tarife für klassische Sparprodukte mit deutlich reduzierten Garantiezinsen einführt oder deren Einführung plant. Und wir erwarten, dass im weiteren Verlauf dieses Jahres noch andere Lebensversicherer folgen werden. Die Zinsgarantien neu angezeigter Tarife lagen zuletzt überwiegend im Bereich von 0 bis 0,5 Prozent. Der Marktanteil von Produkten mit klassischen Zinsgarantien in Höhe des Höchstrechnungszinses dürfte also weiter abnehmen.

Auch unsere Prognoserechnung vom 30. September 2020 bestätigt, dass die Garantiezinsen mittlerweile sukzessive sinken. Für das Jahr 2020 lag der Garantiezins im Median über alle Sparprodukte der Branche hinweg bei 0,71 Prozent – in der Anwartschaftszeit.

Für die Rentenbezugszeit ist das Niveau mit 0,77 Prozent zwar noch etwas höher, allerdings bezieht sich diese Garantie nicht immer auf das gesamte bei Rentenbeginn vorhandene Vertragsguthaben, sondern teilweise nur auf das bis zum Rentenbeginn garantierte Kapital.

Grundsätzlich können sich auch Änderungen im Produktdesign und im Produktmix positiv auf die ökonomische Situation der Lebensversicherer auswirken. Ich spreche hier über einen endfällig ausgerichteten Garantiemechanismus beziehungsweise ein fehlendes oder frei wählbares Garantieniveau bei fondsgebundenen oder hybriden Produkten – kurz: über Mischprodukte mit fondsgebundenen und konventionellen Konzepten.

Der Anteil solcher Produkte an der gesamten Beitragssumme im Neugeschäft wird bis 2024 auf knapp über 60 Prozent steigen. Wenn Sie dazuzählen, dass fast 25 Prozent der Beitragssumme auf Produkte zur Risikoabsicherung und nicht auf Sparprodukte entfallen, dann können Sie ermessen, dass der Anteil klassischer Garantieprodukte alter Prägung nur noch einen kleinen Anteil am Neugeschäft ausmacht.

Wie gesagt: Ein ordnungsgemäßes Risikomanagement erfordert, dass Lebensversicherer sich intensiv damit auseinandersetzen, welchen Garantiezins sie sich im Hinblick auf ihre Risikotragfähigkeit und ihre Ertragskraft im Neugeschäft leisten können.

Ein einfaches analytisches Verfahren zur Festsetzung des Garantiezinses existiert aus Risikomanagementsicht nicht. Als BaFin müssen wir jedoch Einblick erhalten in die Vorgehensweise und die Selbsteinschätzung des Unternehmens. Wir erwarten, dass sich der Verantwortliche Aktuar in seinem Erläuterungsbericht zur Angemessenheit der Zinsgarantien im Neugeschäft äußert und dass die versicherungsmathematische Funktion in ihrer Stellungnahme zur Zeichnungspolitik selbiges tut.

Es existieren aber auch regulatorische Leitplanken. Mit dem Höchstrechnungszins gibt es ein Instrument, das die Garantiezinsen im Neugeschäft implizit begrenzt. Er liegt derzeit noch bei 0,9 Prozent.

Klar ist aber auch, dass es unvernünftig ist, diese 0,9 Prozent auszureizen und dass Lebensversicherer die Garantien im Neugeschäft deutlich niedriger festlegen müssen.

Daher wäre es ein starkes Signal, wenn der Höchstrechnungszins sänke. Eine solche Absenkung hätte jedenfalls meine volle Unterstützung.

Meine Damen und Herren: Auch bei einer Run-Off-Konferenz lohnt es sich, den Review von Solvency II anzusprechen beziehungsweise die Stellungnahme, die EIOPA Ende vergangenen Jahres der EU-Kommission übergeben hat. Denn die einschlägigen Anforderungen aus dem europäischen Aufsichtsregime verflüchtigen sich ja nicht durch einen Verkauf.

Sie können unter Umständen sogar ein Treiber für Überlegungen zur Einstellung beziehungsweise Übertragung des Geschäfts sein.

Die EIOPA-Stellungnahme stellt einen Kompromiss aus den verschiedenen Vorstellungen der Mitgliedsbehörden dar. Wie es bei einem Kompromiss so ist, haben auch wir bis hierhin Abstriche gemacht.

Im Ergebnis halte ich das Gesamtpaket für einigermaßen akzeptabel – mit Luft nach oben.

Die Veränderungen bei der Extrapolation der Zinsstrukturkurve würde eine erhebliche Belastung für die deutschen Lebensversicherer bedeuten. Mit der neuen Volatilitätsanpassung wird hingegen eine Entlastung fortgesetzt. Ich möchte auf beides gerne eingehen, aber lassen Sie uns zunächst einen Schritt zurücktreten.

Unter Solvency II bewerten die Versicherer ihre Vermögenswerte und Verbindlichkeiten marktkonsistent. Das macht ihre Risiken einerseits früh sichtbar. Andererseits geht mit der Marktbewertung auch eine höhere Volatilität der Solvenzposition einher – vor allem in extremen Marktsituationen.

Nun bleiben Lebensversicherer von extremen Marktentwicklungen auch nicht unberührt. Bei sehr langfristigen Versicherungsverträgen, gilt es aber zu berücksichtigen, dass Versicherer ihre illiquiden Verbindlichkeiten in der Regel erst weit in der Zukunft erfüllen müssen.

Bereits bei der Einführung von Solvency II lautete eine zentrale Frage, wie es gelingen kann, dieses langfristige Versicherungsgeschäft angemessen abzubilden. Und diese Frage begegnet uns im Review wieder.

Den Hintergrund der Extrapolation der risikofreien Zinsstrukturkurve werden viele von Ihnen kennen. Sie macht es möglich, Versicherungsverträge zu bewerten, deren Laufzeiten weiter in die Zukunft reichen als zuverlässige Kapitalmarktinformationen über risikofreie Zinsen vorliegen. Bei den Anleihen ist hier ja meist nach 20 Jahren Schluss. Daher liegt der Last Liquid Point – also der Startpunkt in die Extrapolation – für den Euro bislang bei 20 Jahren.

So war es bisher. Die von EIOPA vorgeschlagene alternative Extrapolationsmethode berücksichtigt teilweise auch Marktinformationen nach dem Start der Extrapolation – das heißt: Marktinformationen, die über 20 Jahre hinausgehen.

Im aktuellen Zinsumfeld würde diese Methode zu einer Zinskurve führen, die im extrapolierten Bereich nicht mehr der aktuellen Zinskurve entspricht, sondern unter ihr liegt.

Flankiert werden die Vorschläge von einem Ausgleichsmechanismus. Er soll dafür sorgen, dass die Höhe der Rückstellungen auch in schwierigen Marktsituationen für die Versicherer verkraftbar bleibt.

Trotzdem: Aus deutscher Lebensversicherungsperspektive sprechen wir von einem unschönen Ergebnis. Denn vor dem Hintergrund sehr langer Vertragslaufzeiten und hoher Zinsgarantien würden sich die Kapitalanforderungen deutlich erhöhen.

Die alternative Methode führt zwar dazu, dass die Kurve weiterhin ausreichend stabil ist, um eine übermäßige Volatilität der versicherungstechnischen Rückstellungen und der Solvenzposition zu vermeiden. Nichtsdestotrotz hoffe ich, dass hier noch nachjustiert wird.

Übersetzt in die heutige Methode, würden wir derzeit bei einem Last Liquid Point von ungefähr 25 landen. Dass eine „2“ an erster Stelle steht, ist schön – gerade wenn man bedenkt, dass auch von 30 oder 50 Jahren die Rede war. Eine „2“ als Ziffer für die zweite Stelle fände ich übrigens auch ganz schön. Insgesamt sollte die Ausgewogenheit des Gesamtpakets im Fokus stehen.

Nun zur Volatilitätsanpassung, einer der hierzulande meist genutzten Maßnahmen für langfristige Garantien. Ihre Wirksamkeit hat sie nicht nur in Stress-Tests, sondern auch in tatsächlichen Stress-Situationen wie den coronabedingten Marktturbulenzen im Frühjahr 2020 unter Beweis gestellt.

Über jeglichen Zweifel erhaben war die „alte VA“ aber nicht. Beispielsweise konnte sie die Charakteristika der Verbindlichkeiten nicht einbeziehen. Die „neue VA“ soll nun die Illiquidität von Verpflichtungen berücksichtigen und schneller greifen, um die Solvenzkapitalergebnisse auch in unruhigen Zeiten zu stabilisieren – ein Erfolg aus meiner Sicht.

Lassen Sie mich das Kapitel „Solvency II“ schließen: Ich will hier die Pensionskassen nicht unter den Tisch fallen lassen.

Sie haben mit dem verfestigten Niedrigzinsumfeld besonders hart zu kämpfen, weil sie ausschließlich lebenslang laufende Renten anbieten. Daher sind viele Pensionskassen auf finanzielle Unterstützung ihrer Trägerunternehmen angewiesen.

Und leider ist es für die Zukunft nicht auszuschließen, dass einige Trägerunternehmen coronabedingt selbst in Schwierigkeiten geraten und somit nicht in der Lage sein werden, finanzielle Zusagen zu machen oder gegebene Zusagen einzuhalten.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich kann nachvollziehen, dass die Hilfen bei erheblichem Finanzierungsbedarf über mehrere Jahre verteilt gezahlt werden.

Es muss – auch im Rahmen unserer intensivierten Aufsicht – weiter darum gehen, die Möglichkeiten für finanzielle Hilfen auszuloten – so anstrengend das manchmal auch ist, insbesondere wenn gleich mehrere Arbeitgeber mit im Boot sitzen.

Die Zahl der Unternehmen unter intensivierter Aufsicht wird infolge der Prognoserechnung zum 30. September 2020 voraussichtlich nicht wesentlich ansteigen. Sie liegt derzeit bei 36.

Mit Finanzspritzen verhält es sich ein bisschen so wie mit den Spritzen vom Arzt. Wer schon einmal einen Hexenschuss hatte, der weiß, dass manchmal eine Spritze nötig ist, um wieder mobil zu werden. Aber der Arzt sagt mit Sicherheit dazu, dass die Wirkung der Spritze nachlassen wird, und dass man wohl oder übel ein wenig Rückengymnastik in seinen Alltag einbauen sollte, um zu verhindern, dass das Problem künftig noch einmal in gleicher Intensität auftritt.

Auch die Pensionskassen müssen beweglicher werden. Für mich ist zum Beispiel die Anpassung des Rentenfaktors für zukünftige Beiträge ein Zeichen für vorausschauendes Risikomanagement. Im Unterschied zur Leistungskürzung reduziert sich hierbei nicht die Rente, die jemand bereits bezieht, oder die Anwartschaft, die jemand bereits erworben hat. Sondern es ändert sich der Rechenfaktor, der für die Verzinsung künftiger Beiträge maßgeblich ist.

Für die Berechtigten bedeutet das, dass sie später zwar weniger bekommen werden als gedacht. Zumindest haben sie aber noch die Chance, bis dahin zusätzlich vorzusorgen.

Davon zu unterscheiden ist der aktuelle Fall eines Lebensversicherers. Denn hier geht es darum, das bis zum Ende der Ansparphase gebildete Kapital mit einem geringeren Rechnungszins und damit mit einem reduzierten Rentenfaktor in eine lebenslange Rente umzurechnen. Aber auch dieses Vorgehen ist vertragskonform und stellt stellt keinen Eingriff in den garantierten Rentenfaktor dar.

Wie die Leistungskürzung ist auch die Absenkung des Rentenfaktors an bestimmte rechtliche Voraussetzungen geknüpft. Das zeigt: Die Verhältnisse bei den Pensionskassen sind individuell und auch individuell zu betrachten.

Zu einer Pauschalisierung lasse ich mich aber schon hinreißen: Im Neugeschäft müssen sich auch die letzten deregulierten Pensionskassen unbedingt von der Vorstellung lösen, dass der Garantiezins dem Höchstrechnungszins entsprechen muss. Der Garantiezins muss nur eines sein: tragfähig und zwar dauerhaft.

Nicht allen Kassen aber gelingt es, sich zukunftsfest zu machen: Ende 2020 sind unsere Bescheide aus dem Jahr 2018 bestandskräftig geworden, mit denen wir die Erlaubnis zum Betrieb des Versicherungsgeschäfts bei zwei Pensionskassen widerrufen haben.4 Aus unserer Sicht war der Finanzierungsplan zur Beseitigung der Unterdeckung der Solvabilitätskapitalanforderungen unzureichend.

Gemäß § 304 Absatz 5 VAG dürfen beide Kassen keine neuen Verträge mehr abschließen und bestehende Verträge nicht mehr verlängern oder erhöhen.

In der Öffentlichkeit wird auch das zuweilen als Run-Off wahrgenommen5 – allerdings ein interner von der unfreiwilligen Sorte und solche wollen wir natürlich weitgehend vermeiden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Fußnoten:

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