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Erscheinung:19.11.2020 „Aktuelle Schwerpunkte der Bankenaufsicht und -regulierung“

Rede des Präsidenten der BaFin, Felix Hufeld, am 28. Oktober 2020 bei der 8. Jahreskonferenz Gesamtbanksteuerung 2020 in Frankfurt

Es gilt das gesprochene Wort.

Meine Damen und Herren,
wir alle kennen John Lennon als genialen Sänger und Songwriter. Von ihm stammt aber auch ein ziemlich kluger Spruch: „Leben ist das, was passiert, während du fleißig dabei bist, andere Pläne zu schmieden.“ Wieso ich darauf komme? Diese Konferenz sollte ja bereits am 21. April stattfinden – und auch damals sollte ich über „Aktuelle Schwerpunkte der Bankenaufsicht- und regulierung“ sprechen. Als ich gerade dabei war, mir Gedanken über meine Rede zu machen, traf die COVID-19-Pandemie mit voller Wucht auf Europa. Erwartungsgemäß erreichte mich kurz darauf Ihre Absage. Nun, knapp sechs Monate später, stehe ich tatsächlich hier. Als ich mir aber unlängst meinen damaligen Redeentwurf ansah, da musste ich, oh Wunder, feststellen, dass der inzwischen wie ein Relikt aus längst vergangenen Tagen wirkt. So viel ist in der Zwischenzeit passiert, so sehr hat die Coronakrise Unternehmen und Aufsicht auch im Finanzsektor herausgefordert.

Wir alle mussten und müssen uns nach wie vor auf neuen, zum Teil unbekannten Pfaden bewegen. Das betrifft zunächst die Art und Weise, wie wir unsere Arbeit in den Zeiten von Kontaktsperren und sozialer Distanzierung organisieren. Das lief – so mein subjektiver Eindruck – zumindest in Finanzaufsicht- und Industrie erstaunlich gut. So haben wir beispielsweise einen Teil unserer aufsichtlichen Arbeit in die virtuelle Welt verlagert. Und auch die Banken haben es geschafft, ihr Geschäft am Laufen zu halten – auch, indem sie ihre Geschäftsprozesse weiter digitalisiert haben. Diese positiven Erfahrungen haben uns erneut darin bestärkt, die Digitalisierung nicht nur als Herausforderung, sondern auch als Chance zu sehen. Eine erste Feuertaufe haben wir jedenfalls gut überstanden.

Zurzeit steht Digitalisierung auf unserer aufsichtlichen Agenda aber nicht an erster Stelle – was nicht bedeuten soll, dass Unternehmen ihre digitalen Bemühungen zurückschrauben können – sie müssen sich auch weiterhin intensiv damit auseinandersetzen und digitale Innovationen forcieren. Insbesondere die Corona-Krise führt ja auch dazu, dass digitale Bankdienstleistungen zunehmend genutzt werden. Im Fokus steht aber zunächst die Bewältigung der Krise – und das betrifft insbesondere operative Fragen und das Risikomanagement der Unternehmen. Wir beschäftigen uns schwerpunktmäßig damit, den Banken den Rücken freizuhalten, damit sie sich auf das konzentrieren können, wozu sie jetzt dringend gebraucht werden. Nämlich Kreditgeber zu sein, Mittler zwischen Kapitalgebern und Kapitalnehmern. Banken zählen in dieser Krise zu den Problemlösern und tragen dazu bei, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise auf die Realwirtschaft abzumildern.

Wir erlauben den Instituten deshalb, in bestimmtem Umfang vorhandene Kapitalpolster aufzulösen – und insbesondere für die Kreditvergabe zu nutzen. Wir wären aber keine Aufseher, wenn wir nicht auch hier Vorsicht walten lassen würden – denken Sie an die gesetzlich vorgegebenen Ausschüttungssperren, den so genannten „MDA-Level“. Von diesen Sperren sind wir aber noch weit entfernt und die Banken haben noch ausreichend Spielräume, um eine erste Schicht von Puffern aufzubrauchen. Im gesamten deutschen Bankenmarkt sind deutlich über 130 Milliarden Euro Überschusskapital bevor irgendwelche aufsichtlichen Puffer verzehrt werden müssen.

Bislang sind die deutschen Institute gut durch die Krise gekommen und auch der gesamte Bankensektor wirkt robuster als noch in den Krisenjahren 2007/2008. Die Banken verfügen heute über mehr und besseres Eigenkapital und das gesamte Bankensystem ist insgesamt liquider. Das haben wir auch den umfangreichen Reformen der Nachkrisenzeit zu verdanken. Ohne die aktuellen und tiefgreifenden Maßnahmen von Politik, Zentralbanken und Aufsehern sehe es für die Banken heute aber um einiges schlechter aus. Es ist insbesondere dieser Dreiklang, der bislang eine größere wirtschaftliche Katastrophe in der Realwirtschaft und schwere Turbulenzen im Bankensystem verhindert hat. So haben unmittelbar nach Ausbruch der Coronakrise Regierungen und Parlamente überall auf der Welt Hilfspakete historischen Ausmaßes geschnürt, die Europäische Zentralbank sorgte mit weitreichenden geldpolitischen Entscheidungen für Liquidität am Markt und auch wir Aufseher haben binnen kurzer Zeit eine Vielzahl von Maßnahmen auf den Weg gebracht.

Wie sich die Lage im deutschen Bankensystem noch entwickelt, können wir nicht abschließend sagen. Unser COVID 19-Stresstest, den wir kürzlich gemeinsam mit der Deutschen Bundesbank durchgeführt haben, kommt jedenfalls zu dem Ergebnis, dass der Bankensektor ausreichend kapitalisiert ist. Und das auch im am schlimmsten angenommenen Szenario bei dem das BIP um 10,8 Prozent einbricht und die durchschnittliche harte Kernkapitalquote der weniger bedeutenden Institute um 4,7 Prozentpunkte auf 11,2 Prozent sinkt. Maßnahmen, mit denen die Institute selbst gegensteuern können, und die Effekte staatlicher Hilfsprogramme sind dabei noch nicht einmal in den Stresstest eingepreist. Mit Blick auf das europäische Bankensystem sieht die Lage übrigens ähnlich aus: Im Aggregat sind europäische Banken gut aufgestellt – das sind jedenfalls die Ergebnisse der COVID-19 Vulnerability Analysis, die der SSM durchgeführt hat.

Was diesen Analysen aber gemein ist: Es handelt sich um reine Wenn-Dann-Annahmen – und diese sind immer mit Vorsicht zu genießen. Niemand kann genau vorhersagen, wie hoch die Zahl der Coronavirus-bedingten Ausfälle am Ende sein wird. Zumal die Krise bislang noch nicht mit voller Wucht in den Bilanzen der Banken angekommen ist. Außerdem ist die relative Robustheit, die der Stresstest anzeigt nur in der Summe zutreffend. Für einzelne Institute könnte es am Ende doch eng werden. Vor allem für jene, die bereits vor der Pandemie Probleme hatten. Deshalb müssen Bankmanager neben dem akuten Krisenmanagement auch ihre sonstigen operativen und strategischen Hausaufgaben erledigen. Sprich: ihre Institute effizienter und rentabler machen.

Banken sollten auch nicht auf die Idee kommen, ihre Kapitalbasis durch unzeitgemäße Dividendenzahlungen oder Gewinnausschüttungen zu schwächen. Wir sprechen hier immerhin für den deutschen Bankensektor von einem Betrag von ungefähr 1,6 Mrd. Euro. Wir Aufseher appellieren jedenfalls so stark wir können dafür, möglichst viel Kapital im System zu halten. Für den gesamten Sektor können wir dies pauschal nicht rechtlich erzwingen, sehr wohl aber mit Blick auf einzelne Banken. Wer immer daher entgegen unserer Empfehlungen Gewinne oder Dividenden auszuschütten gedenkt, muss dies zuvor bei uns anzeigen. Wir prüfen dann sehr genau, ob Kapital, Liquidität, Risikoprofil, Risikotragfähigkeit und so weiter auch unter Stressbedingungen hinreichend stabil sind, um eine angemessene Ausschüttung vertreten zu können. Mit unserer Erwartung stehen wir natürlich nicht alleine auf weiter Flur: Auch die Europäische Zentralbank (EZB), die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA und der Europäische Ausschuss für Systemrisiken ESRB haben vergleichbare Erwartungen an die Industrie.

Was tun wir Aufseher noch, um den Instituten in der Krise den Rücken zu stärken? Wir entlasten die Banken unter anderem administrativ. So haben wir vorerst alle Vor-Ort-Prüfungen gestoppt, Informationsanfragen auf ein verantwortbares Minimum runtergefahren und Stresstests erst einmal auf Eis gelegt. Ein weiterer Hebel, den wir Aufseher bereits zur Anfang der Krise umgelegt haben, war die Herabsetzung des antizyklischen Kapitalpuffers auf null Prozent, und zwar zunächst bis Ende 2020. Außerdem haben wir – und andere Aufsichtsbehörden – die Flexibilität des bestehenden Rahmenwerks genutzt und eine Reihe weiterer Maßnahmen ergriffen. Insbesondere dort, wo die Bemühungen der Banken, der Realwirtschaft über diese schweren Zeiten hinwegzuhelfen, ansonsten erschwert würde. Flexibel waren wir dabei aber nur so weit, wie es mit Blick auf die Finanzstabilität vertretbar war – nie darüber hinaus.

Alle aufsichtlichen Maßnahmen, die wir in dieser Krise ergriffen haben, sind temporär – und das bleiben sie auch. Das heißt, sobald die Krise überstanden ist, werden wir schrittweise wieder in einen aufsichtlichen Normalzustand zurückkehren. Wer insgeheim gehofft hat, unsere Anpassungen könnten zum Dauerzustand werden oder es sei nun Zeit für eine allgemeine Deregulierung, den muss ich enttäuschen. Uns allen sollte daran gelegen sein, langfristig die Finanzstabilität zu sichern, und nicht wieder zurückzufallen in einen Schweinezyklus, in dem heute Regulierung, morgen Deregulierung, übermorgen Krise und überübermorgen wieder Regulierung angesagt ist. Angemessene Regeln und ein ebensolches Aufsichtshandeln sind deshalb unverzichtbare Bestandteile eines soliden Finanzmarkts.

Meine Damen und Herren,
auch die Arbeiten an den großen Regelwerken, etwa Basel III und MiFID II, wurden krisenbedingt etwas verlangsamt – sie bleiben aber weiterhin auf unserer Tagesordnung. Gerade die Coronakrise hat uns noch einmal vor Augen geführt, wie wichtig es war, diese großen regulatorischen Regelwerke nach der Finanzkrise einzuführen.

Diese Regelwerke sind aber nicht auf ewig unveränderbar – so wie einige Artikel des deutschen Grundgesetzes. Im Gegenteil: Es ist sogar erwünscht, sie immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und dort anzupassen, wo es notwendig erscheint. Zum Beispiel, weil noch Kinderkrankheiten vorherrschen oder weil neue Herausforderungen am Horizont auftauchen, die wir regulatorisch abdecken müssen. Kinderkrankheiten gilt es zu bereinigen – so wie dies beispielsweise im Rahmen des MiFID II-Reviews erfolgen soll. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob der Gesetzgeber – damals stark geprägt durch die Finanzkrise – bei der MiFID II an der einen oder anderen Stelle über das Ziel hinausgeschossen ist? Um das herauszufinden, hat das BMF Anfang vergangenen Jahres die Marktteilnehmer konsultiert. Ergebnis ist ein Positionspapier mit einigen Überarbeitungsvorschlägen, in die auch die Vorstellungen der BaFin eingeflossen sind.

Zentrale Forderungen sind zum Beispiel ein freiwilliger Verzicht auf die Telefonaufzeichnung von Beratungsgesprächen und die Verschiebung einiger Teile der ex-ante Kosteninformationen. Einige Unternehmen fordern auch, die Regelwerke – beispielsweise MiFID II und die PRIIPs-Verordnung – besser aufeinander abzustimmen und für komplexere Rechtsakte längere Umsetzungsfristen zu gewähren.

Auch wenn der umfassende Review noch ein wenig auf sich warten lässt – erste Anpassungen wird es trotzdem schon vorab geben. So hat die Europäische Kommission im Juli dieses Jahres ein Maßnahmenpaket veröffentlicht, das Teil ihrer Strategie für eine Erholung der Kapitalmärkte von den Folgen der Corona-Krise ist. Mit dem Paket will die Kommission neben der europäischen Prospektverordnung und den Verbriefungsvorschriften auch MiFID II anpassen. Dem Maßnahmenpaket müssen Europäischer Rat und Europäisches Parlament noch zustimmen.1

Durch das Maßnahmenpaket wird MiFID II entschlackt. Der Vorschlag der Kommission ist dabei ausgewogen – und das ist gut so. Denn zu schnelle und zu weitgehende Anpassungen lehne ich – ebenso wie unreflektierte Pauschalkritik an der MiFID II – ab. Ich halte die Ziele der MiFID II im Kern nach wie vor für richtig.

Am Finanzmarkt besteht strukturell ein Ungleichgewicht zwischen Unternehmen, die Finanzprodukte anbieten, und in der Regel über gut aufgestellte Rechtsabteilungen verfügen, und den Verbrauchern, die in vielen Fällen wenige Kenntnisse haben. Hier ein gewisses Gleichgewicht herzustellen, etwa durch Vorschriften wie Risikoeinschätzungen, Aufklärungs- und Dokumentationspflichten, ist wichtig. Klar ist aber auch, dass Regelungsdichte und Komplexität nicht so Überhand nehmen dürfen, dass es für Unternehmen unattraktiv wird, Finanzprodukte anzubieten. Auch damit wäre Verbrauchern letztendlich nicht gedient. Die Möglichkeit Finanzprodukte rechtsicher in der Breite anbieten zu können, dient sowohl dem Verbraucherschutz als auch einem funktionsfähigen und stabilen Finanzmarkt.

Ein anderes aktuelles Thema ist die Finalisierung des Basel III-Pakets. Konkret geht es darum, das Paket, das wir vor gut zweieinhalb Jahren nach zahllosen Verhandlungen im GHOS, dem Lenkungsgremium des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht, beschlossen haben, in hartes europäisches Recht zu übersetzen. Zugleich haben die ECOFIN und G20-Finanzminister in 2016 bzw. 2017 die Erwartung ausgedrückt, dass sich die Kapitalanforderungen für Institute insgesamt, das heißt über alle Baseler Jurisdiktionen hinweg, nicht signifikant durch Basel III erhöhen werden. In Basel haben wir seinerzeit vereinbart, dass der Kompromiss überall auf der Erde umgesetzt werden sollte – und zwar vollständig und aufgrund der COVID-19-Pandemie nun bis 2023, wobei die jeweiligen regionalen und damit auch europäischen Besonderheiten und ein Level-Playing-Field gewahrt bleiben sollen. Klar ist auch, dass negative Auswirkungen auf die Finanzierung der Realwirtschaft vermieden werden sollen. Für Deutschland ist zudem die Berücksichtigung des Proportionalitätsgrundsatzes, das heißt die Berücksichtigung der Geschäftsmodelle, des Risikoprofils und der Situation kleiner, nicht international tätiger Banken, wichtig. Bei den Diskussionen, die uns nun dazu in den nächsten Monaten bevorstehen, wird es deshalb vor allem um die Frage gehen, wie wir das Paket sinnvoll in europäisches Recht umsetzen.

Meine Damen und Herren,
so widerstandsfähig der deutsche Bankenmarkt mittlerweile auch ist, so eindrucksvoll er seine Handlungsfähigkeit in der Corona-Krise beweist, so wenig lassen sich die Probleme leugnen, die er schon vor der Pandemie hatte: das Zinsergebnis, immer noch Ertragsquelle Nummer 1, ist karg, die digitale Konkurrenz dafür umso innovativer und lebendiger. Die Banken und Sparkassen sehen sich zunehmend einem raueren Seegang ausgesetzt – und die Winde setzen ihre Geschäftsmodelle zeitgleich aus ganz unterschiedlichen Richtungen unter Druck.

Wer dauerhaft am Markt bestehen will, muss nicht nur gut durch die stürmische See manövrieren können, sondern vor allem seine gesamte Maschinerie – sein Geschäftsmodell und seine Strategien – sehr gründlich auf den Prüfstand stellen. Das betrifft auch alte Gewohnheiten, Prozesse, bauchladenhafte Produktvielfalt – einfach alles! Etwas an der einen Schraube zu drehen und an der anderen Schraube nachzujustieren, wird hingegen nicht ausreichen.

Trotzdem werden auch einige Banken Schiffbruch erleiden, und in manchen Fällen auch kentern – die Institute werden dann aus dem Markt ausscheiden. Ein Grund, die Hoffnung zu verlieren ist das aber aus meiner Sicht nicht. Wir leben nun einmal in einer Marktwirtschaft – und schon in den Lehrbüchern steht geschrieben, das Veränderungen, mitunter auch drastische, nun einmal zu diesem Wirtschaftssystem dazugehören. Unsere Aufgabe als Aufseher ist es auch nicht, dies grundsätzlich zu verhindern, sondern wenn es im Einzelfall zu Krisen kommt, diese möglichst störungsfrei für Kunden und Finanzstabilität zu handhaben. Meine sichere Erwartung ist, dass der transformatorische Druck auf die Finanzindustrie in den kommenden zehn Jahren signifikant stärker sein wird als in den vergangenen zehn Jahren – und das natürlich nicht nur in Deutschland, sondern europa- und weltweit.

Wir werden uns auf jeden Fall sehr genau ansehen, wie die Institute ihre Ertragsschwäche angehen – und was sie tun, um langfristig am Markt zu bestehen. Um es aber auch klar zu sagen: Die Aufsicht hält sich nicht für die besseren Banker und hat in keinster Weise die Absicht, Ihre Verantwortlichkeit für Strategie durch eigene Vorstellungen zu entwickeln. Strategieentwicklung und deren Ausführung ist und bleibt allein in der Verantwortung der jeweiligen Finanzinstitute. Wenn Sie aber, so wie wir Aufseher, eine hinreichende Anzahl gelegentlich doch sehr abenteuerlicher planerischer „hockeysticks“ gesehen haben, die mitunter auf durchaus verwegenen Annahmen zu Marktentwicklung oder operativen Parametern beruhen, und das gegebenenfalls kombiniert mit hoher Gewinnausschüttung und knapper Kapitalausstattung, dann würde ein Aufseher seinen Job verfehlen, wenn er nicht kritisch hinterfragt, und die Belastbarkeit strategischer und operativer Planungen überprüft. Das ist es, was wir gelegentlich mit der Auseinandersetzung mit nachhaltigen Geschäftsmodellen meinen.

Vor nicht minder große Herausforderungen stellt die Banken der digitale Wandel, der die Finanzmärkte in einem noch nie gekannten Tempo fundamental verändert – und durch die Coronakrise jetzt noch einen gewissen Schub erfährt. Wie stark der digitale Wandel die Bankenlandschaft auf den Kopf stellen wird, darüber streiten sich noch immer viele Experten. Vieles ist denkbar: ein evolutionärer Prozess, eine Disruption oder etwa der Wegfall klassischer Intermediäre – wie Banken oder Zentrale Gegenparteien – durch offene Netzwerke, wie zum Beispiel Blockchain-Technologien. In welche Richtung sich die digitale Transformation letztlich entwickelt, wird auch davon abhängen, wie die politischen Weichen in den nächsten Jahren gestellt werden. Für Banken, aber auch uns Aufseher bedeutet das, sich auf viele Eventualitäten einzustellen. Fingerspitzengefühl und Flexibilität werden in den nächsten Jahren sehr gefragte Eigenschaften sein.

Banken sollten insbesondere agil bleiben und sich auf den digitalen Wandel einlassen – was auch bedeutet, ihre Geschäftsmodelle und Prozesse entsprechend flexibel anzupassen. Wer nicht schnell genug oder sogar gar nicht reagiert, wird im schlimmsten Fall vom Markt verschwinden – und dann zurecht.

Auch wir Aufseher dürfen mit Blick auf unsere eigenen Aufgaben nicht tatenlos zusehen, wie der digitale Wandel die Finanzbranche verändert. Unsere Aufgabe wird es sein, grundsätzliche Antworten auf diese Transformation zu finden. Eine scheinbar einfache, aber ziemlich grundlegende Frage, die wir uns stellen müssen, lautet zum Beispiel: Wen beaufsichtigen wir in Zukunft eigentlich? Menschen, Maschinen, Algorithmen – oder alle drei? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir nicht wirklich weit in die Zukunft schauen. Bereits heute sind beispielsweise viele Versicherer in der Lage, Prozesse wie Risikobewertungen für das Neugeschäft oder die Schadenbearbeitung, insbesondere für standardisierte, aber zunehmend auch für komplexere Fälle, ohne menschliches Zutun zu steuern. Und es ist nicht schwer vorherzusagen: Das ist erst der Anfang. Maßgebliche Treiber des digitalen Wandels sind unter anderem der zunehmende Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI), die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) – die Grundlage etwa der Blockchain-Anwendungen ist – und maschinelles Lernen. Die Durchdringung der Branche mit diesen Innovationen wird dazu führen, dass immer weitere Prozesse an Computer und Algorithmen übertragen werden können. Das stellt uns vor eine weitere grundsätzliche Frage: Was passiert, wenn etwas schiefgeht, und beispielsweise ein Fehler gemacht wird? Kann ein Bankmanager dann sagen: „Ich war es nicht, die Maschine war‘s! Ich sage klar: Das wäre nicht akzeptabel! Die Letztverantwortung muss immer beim Management, also bei den Menschen, verbleiben.

Der digitale Wandel stellt uns Aufseher und die Finanzindustrie noch vor viele weitere Fragen und Herausforderungen – nicht zu vergessen, die Risiken, die mit der zunehmenden Digitalisierung einhergehen. Um auf alle weiteren Aspekte einzugehen, fehlt mir heute allerdings die Zeit. Wir werden aber versuchen, auf alle Fragen Antworten zu finden – und zwar gemeinsam mit allen Beteiligten – Unternehmen, Verbände, Wissenschaft und Politik.

Meine Damen und Herren,
wie Sie sehen, wir leben aktuell in unruhige Zeiten und es wird vermutlich noch andauern. Je dunkler aber die Wolken werden, desto kraftvoller müssen wir agieren. Sie, als Banken, die eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe haben – gerade in dieser Krise – und wir als Aufsichtsbehörde, die für stabile Finanzmärkte und den kollektiven Schutz der Verbraucher sorgen muss. Für die Herausforderungen, die uns in nächster Zeit bevorstehen, sollten wir fachlich gut gerüstet sein. Der regelmäßige Austausch zwischen Industrie, Wissenschaft und Aufsicht ist dabei sehr wichtig. Veranstaltungen, wie diese heute, sind dazu eine gute Plattform. In diesem Sinne freue ich mich nun auf einen regen Austausch mit Ihnen.

Fußnote:

  1. 1 Am 21.10.2020 wurde der Kompromiss im Rat beschlossen (COREPER). Es wird nun der Trilog mit dem EP beginnen.

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