Erscheinung:30.09.2020 Festvortrag bei der Akademischen Feier der Bachelor-Absolventinnen und Absolventen der Hochschule der Deutschen Bundesbank
Vortrag von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), am 29.09.2020 in Hachenburg
Sehr geehrter Herr Professor Dr. Keller,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Angehörige vor den Bildschirmen,
und natürlich ganz besonders: liebe Absolventinnen und Absolventen,
dies ist ein besonderer Tag in einer besonderen Zeit. Vor allem aber ist es Ihr Tag in dieser besonderen Zeit. Heute erhalten Sie – untermalt von schöner Musik und begleitet von guten Worten – Ihre Bachelorurkunden im Studiengang Zentralbankwesen/Central Banking. Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem – vermutlich ersten – akademischen Abschluss.
Sie haben ihn sich verdient. Es wird Studieninhalte gegeben haben, die Ihnen lagen, und solche, in die Sie sich erst hineinarbeiten mussten. Sicher haben einige von Ihnen auch mal samstagnachts beim Lernen gehofft, dass der Groschen fällt und sich eine komplexe Thematik endlich erschließt.
Nicht nur, dass Sie die Früchte dieser harten Arbeit jetzt ernten. So etwas ist auch eine Lebensschule. Denn die Inhalte, das Know-how, das Sie mitnehmen, ist das eine. Das andere ist die Gewissheit, sich in schwierige Themen einarbeiten zu können, auch wenn es Zeit und Nerven kostet.
Erhalten Sie sich diese Fähigkeit (diesen sogenannten Soft Skill), denn natürlich bleibt diese Welt nicht stehen und Sie müssen sich immer wieder auf neue Gegebenheiten einstellen. Corona wird nicht die letzte Umstellung gewesen sein. Bleiben Sie also immer ein Student/eine Studentin im Geiste. Der Spruch „Man lernt nie aus“ wird zwar arg überstrapaziert, aber wahr ist er dennoch.
Stand heute haben Sie ein Wissen über die Finanzwelt, wie es aktueller nicht sein könnte. Ja, wirklich: Bis zum heutigen Tag hätten Sie es kaum besser machen können. Welcher Studiengang sollte in einer Pandemie, die im Zeitfenster einer Niedrigzinsphase auftritt, passender sein als der Studiengang Zentralbankwesen/Central Banking?
PEPP ist für mich als Exekutivdirektor Versicherungsaufsicht eigentlich die Abkürzung für Pan-European Personal Pension Product. Es steht aber auch für das Pandemic Emergency Purchase Programme, also das Ankaufprogramm der nationalen Zentralbanken und der EZB im Umfang von mittlerweile 1,35 Billionen Euro. PEPP läuft so lange, bis der EZB-Rat die kritischen Folgen der Corona-Pandemie als abgeschlossen ansieht. Frühestmögliches Enddatum ist der 30. Juni 2021, was wiederum nur zeigt, wie lange Corona wirtschaftlich nachwirkt, obwohl wir in eingeschränktem Maße bereits wieder Urlaub machen und sich vielleicht auch einige von Ihnen für diesen Studienabschluss mit einer Herbstreise belohnen. Es sei Ihnen gegönnt.
In den Zuständigkeitsbereich der EZB fallen auch die Leitzinsen für den Euro. Seit März 2016 liegt der Hauptrefinanzierungssatz bei null Prozent. Ich kenne für den Nullzins – anders als beim PEPP – kein frühestmögliches Enddatum.
Der EZB-Rat trifft alle sechs Wochen seine Zinsentscheidung, aber es steht kurzfristig wohl nicht zu erwarten, dass er seine Zinspolitik ändert.
Liebe Absolventinnen und Absolventen: Ich könnte jeden von Ihnen für ein Stegreifreferat über den Einfluss von Offenmarktgeschäften und Leitzinsen auf die Zinsen am Kapitalmarkt nach vorne bitten. Ich bin mir sicher: Sie würden diese Aufgabe mit Bravour bestehen.
Lassen Sie uns stattdessen einen Blick in die Praxis, in meinen Aufsichtsbereich werfen, auf die Lebensversicherer und Pensionskassen. Sie sind von den niedrigen Zinsen direkt betroffen.
Oft haben sie in der Vergangenheit Zinszusagen gemacht, die sich derzeit am Kapitalmarkt nur schwer erwirtschaften lassen. Besonders hart trifft es die Pensionskassen, weil sie ausschließlich lebenslange Renten zahlen. Bei rund 35 von ihnen drohen mittel- bis langfristig Leistungskürzungen, wenn ihre Träger oder Aktionäre keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung stellen.
Der Unsicherheitsfaktor dabei ist: Wenn es sich bei den Trägern um Unternehmen aus Branchen handelt, die von COVID-19 stark betroffen sind, dann sinkt natürlich auch ihre Bereitschaft und ihre Fähigkeit, der Pensionskasse finanziell unter die Arme zu greifen.
Das Problem beschränkt sich nicht auf Altverträge. Noch immer versprechen einige deregulierte Pensionskassen und Lebensversicherer ihren Kunden im Neugeschäft einen Zins auf dem Niveau des aktuellen Höchstrechnungszinses von 0,9 Prozent, der aber zur Berechnung der Deckungsrückstellung gedacht ist. Darunter zu bleiben ist auch erlaubt! Wenn ich vor Versicherungsvorständen und Aktuaren spreche, dann appelliere ich an sie, eine 0,9-prozentige Verzinsung nur auszuloben, wenn sie sie auch dauerhaft erwirtschaften können. Das dürfte außerordentlich schwierig sein.
Regulierte Pensionskassen heißen so, weil wir als BaFin die Tarife hier einzeln genehmigen – entweder bis zu einem bestimmten Zeitpunkt oder unbefristet.
Wir haben zuletzt mehrfach deutlich gemacht, dass wir Garantiezinsen oberhalb von 0,25 Prozent nicht mehr unbefristet genehmigen werden. Und auch befristete Genehmigungen für Garantiezinsen oberhalb dieser Schwelle werden wir nur noch erteilen, wenn wir von den Erklärungen des Unternehmens überzeugt sind.
Drei Dinge sind mir an dieser Stelle wichtig:
Erstens – das wird Ihnen vermutlich gefallen: Nicht nur die Zinspolitik der EZB hält die Marktzinsen flach. Da gibt es schon noch weitere Gründe. Es ist zum Beispiel die herrschende Meinung unter Wissenschaftlern, dass auch die sinkende Produktivität in alternden Gesellschaften auf die Marktzinsen drückt. Da brauchen Sie nur nach Japan zu schauen. In Deutschland kommt es zusätzlich darauf an, was die Baby-Boomer mit ihrem Geld machen – sparen sie ihr Geld noch an, drückt das die Zinsen. Lösen sie ihr Erspartes bereits auf, um sich etwas zu gönnen, kann das den Zins nach oben treiben.
Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass die Nachfrage nach Kapital durch die zunehmende Wertschöpfung im Digitalen nachlässt und sich der zinshemmende Effekt wiederholt, der bereits beim Übergang von der Industrie- in die Dienstleistungsgesellschaft zu beobachten war.
- Zweitens: Für Zinsen, die Lebensversicherer und Pensionskassen vertraglich garantieren, sind in erster Linie sie selbst verantwortlich.
- Und drittens: Die Versicherungsaufsicht der BaFin hat die Lage der Unternehmen sehr genau im Blick. Pensionskassen und Lebensversicherer, die ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden möglicherweise nicht dauerhaft erfüllen können, unterstellen wir einer intensivierten Aufsicht. Das heißt, dass wir viel häufiger mit ihnen in Kontakt treten und uns ihre geplanten Abhilfemaßnamen schildern lassen.
Außerdem führen wir (zufälligerweise auch zum morgigen Tag), zum 30. September eines jeden Jahres Prognoserechnungen mit bis zu 15-jährigem Zeithorizont unter Lebensversicherern und Pensionskassen durch. Zu den Annahmen in diesem Jahr gehört etwa ein Wiederanlagezins in Höhe von 0,5 Prozent.
Auf jeden Fall sehen Sie: Zinsen und Versicherungen. Das hängt zusammen. So ein Exot bin ich als Exekutivdirektor Versicherungsaufsicht unter Ihnen heute also gar nicht. Es freut mich daher, dass Ihre Ausbildung auch Versicherungsaspekte umfasst. In Ihrem Studienplan habe ich zum Beispiel das Modul „Versicherungsaufsicht“ gefunden. Und bei diesem einen Zusammenhang bleibt es ja nicht.
Ich weiß zum Beispiel, dass eine aktuelle Bachelorarbeit die Auswirkungen von Insurtechs auf das Versicherungswesen in Deutschland untersucht.
Ihre Vorgängerinnen und Vorgänger haben sich außerdem mit der außergerichtlichen Streitschlichtung, der Rechnungslegung nach IFRS 17 oder Infrastrukturinvestments durch Versicherungsgesellschaften auseinandergesetzt.
Nachhaltigkeitsaspekte waren schon mehrfach Untersuchungsgegenstand von Hachenburger Bachelorarbeiten. Vielleicht schaut der oder die nächste Studierende mit einem Faible für das Thema bei der Literaturrecherche demnächst ins Fachbuch „Kapitalanlagemanagement für Solvency-II-Versicherungsunternehmen“. Denn das hat auch ein Nachhaltigkeitskapitel. Herausgeber sind unser BaFin-Abteilungsleiter Dr. Kay-Uwe Schaumlöffel und Ihr Professor Dr. Oliver Kruse.
Im Ausschuss für Finanzstabilität AFS, der in diesem Jahr seinen siebten Jahresbericht an den Deutschen Bundestag vorgelegt hat, arbeiten Vertreterinnen und Vertreter von Bundesbank und BaFin Seite an Seite mit dem Bundesfinanzministerium.
Und das übrigens sehr vertrauensvoll und effektiv. Ich darf das sagen, denn ich bin selbst Mitglied im AFS.
Nicht zuletzt freue ich mich darüber, dass sieben nebenamtliche Lehrkräfte aus der BaFin an der Hochschule der Deutschen Bundesbank Inhalte aus der Versicherungsaufsicht vermitteln, und dass unter Ihnen, liebe Absolventinnen und Absolventen, auch vier von der BaFin sind.
Keine Angst: Ich bin nicht gekommen, um die Bankaufseher unter Ihnen zum Wechsel in den Geschäftsbereich Versicherungsaufsicht und die Bundesbänker zum Wechsel in die BaFin zu überreden. Aber ich möchte Ihnen raten, nicht Ihr ganzes Leben lang dieselben Aufgaben wahrzunehmen. Diese Gefahr besteht natürlich, weil man nicht nur zwangsläufig dienstälter, sondern in aller Regel auch erfahrender und besser wird.
Ein Experte zu sein, ist sehr reizvoll. Versetzen Sie sich mal in diese Lage: Sie wissen genau, wo alles steht oder wen Sie fragen müssen. Sie haben alles schon einmal erlebt; nichts kann Sie mehr aus der Bahn werfen. Sie sind ein beliebter Ansprechpartner für die neuen Kollegen und genießen diesen Status sogar ein bisschen.
Trotzdem: Irgendwann sollte der Punkt kommen, an dem Sie sich neuen Herausforderungen stellen. Seien Sie mutig, wechseln Sie das Referat, den Geschäftsbereich oder – auch das steht Ihnen ja offen: die Behörde.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie auch den Punkt erreichen, an dem Sie sich mehr Verantwortung wünschen. Es wäre töricht zu glauben, wir trügen nicht alle ohnehin schon Verantwortung. Natürlich tun wir das – alle hier im Raum. Wir tragen Verantwortung für unsere Entscheidungen, unser Handeln und unsere Arbeitsergebnisse.
Mit einem „Mehr an Verantwortung“ meine ich aber speziell Führungsverantwortung und Personalverantwortung. Die gibt es bei Behörden wie der BaFin und der Bundesbank vornehmlich im höheren Dienst.
Das mag man ungerecht, vielleicht sogar leistungsfeindlich finden, weil es eine gläserne Decke in die Hierarchie einzieht, die sich – jedenfalls mittelfristig – nur mit dem richtigen Studienabschluss durchbrechen lässt. Aber es ist eine planbare und keinesfalls komplett sachfremde Voraussetzung, an die Ihr möglicher Aufstieg da geknüpft wird.
Haben Sie übrigens kein schlechtes Gewissen, wenn Sie am höheren Dienst neben der Aussicht auf mehr Verantwortung auch ein höheres Sälar reizt. Wenn Sie nicht wüssten, dass von Geld eine gewisse Faszination ausgeht und die meisten Menschen lieber mehr als weniger davon hätten, dann wären Sie nicht zur Zentralbank Deutschlands oder zur deutschen Finanzaufsicht gegangen.
Um in den höheren Dienst vorzustoßen, haben Sie zwei Möglichkeiten. Sie können ihre hervorragende Hochschulausbildung fortsetzen und auf ihren Bachelor of Science einen Master-Abschluss draufsetzen – vielleicht in Betriebswirtschaftslehre oder Volkswirtschaftslehre. Dann machen Sie Hachenburg zu ihrem New York und sagen sich wie Frank Sinatra: „If I can make it there I'll make it anywhere
“. Sie können während des Studiums verbeamtet bleiben und steigen auf, wenn Sie – dann als Master – an einem für Regelbewerber vorgesehenen externen Auswahlverfahren erfolgreich teilnehmen.
Der zweite Weg ist länger. Nach zwanzig Jahren Dienstzeit, mindestens fünf Jahren im Endamt ihrer bisherigen Laufbahn, zwei zuletzt hervorragenden oder sehr guten Beurteilungen sowie einem Auswahlverfahren, ist ebenfalls ein Aufstieg vom „gD“ in den „hD“ möglich.
Bei der BaFin haben fünf Beschäftigte diesen langen Weg Ende 2018 erfolgreich beendet. Darunter war auch ein Alumnus aus Hachenburg. Dennoch erscheint mir das Masterstudium im Vergleich verlockender.
Bei uns in der BaFin und sicher auch in der Bundesbank ist „Hachenburger“ ein Gütesiegel. Die Hachenburger kann man überall einsetzen, heißt es. Daher freue ich mich außerordentlich, heute hier sein zu dürfen, um die neue Generation fertiger Hachenburger etwas besser kennenzulernen.
Stichwort „fertig“: Sie mögen in Hachenburg fertig sein. Mit Hachenburg fertig sind Sie hoffentlich nicht. Halten Sie den Kontakt zu Ihren Professoren und Mitstudenten, pflegen Sie dieses Netzwerk und – wer weiß – vielleicht kehren einige unter Ihnen als Lehrbeauftragte ja einmal hierhin zurück.
Meine Damen und Herren: Ich habe selbst einmal studiert. Und dann habe ich erlebt, wie meine Kinder studiert haben. Ich weiß, was Sie, aber auch Ihre Eltern, gelitten und geleistet haben. Ihnen und Ihren Eltern daher nochmals meinen allerherzlichsten Glückwunsch.
Vielen Dank!