BaFin - Navigation & Service

Porträtaufnahme von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht. © Bernd Roselieb

Erscheinung:09.09.2020 Aktuelle Fragen der Versicherungsaufsicht

Vortrag von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), bei der SZ-Fachkonferenz Altersvorsorge am 9. September 2020 in Köln.

Es gilt das gesprochene Wort!

Meine Damen und Herren,

vor genau einem Monat wären die Olympischen Spiele in Tokio zu Ende gegangen, wenn die Corona-Pandemie dem Höher, Schneller und Weiter nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Nun soll Japan erst vom 23. Juli bis 8. August 2021 zum Schauplatz der 32. Sommerspiele der Neuzeit werden.

An der griffigen Jahreszahl drehen die Veranstalter nicht. Das bedeutet, dass Sportfans im Jahr 2021 offiziell noch die Olympischen Spiele 2020 und übrigens auch die Euro 2020 schauen werden, wenn sie sich für Fußball interessieren.

Wir Konferenzteilnehmer kennen das ja. Zumindest einige unter uns werden sich im Kalenderjahr 2021 auch über die Jahresabschlüsse 2020 oder über den SFCR 2020 beugen, also den Solvabilitäts- und Finanzbericht des Vorjahres.

Aber so weit sind wir noch gar nicht. Es ist erst wenige Wochen her, dass die auf den SFCRs 2019 aufbauende Solvenzstudie des Bundes der Versicherten für Schlagzeilen sorgte – sogar weit außerhalb der Branche.

In der Zeitung mit den vier großen Buchstaben stand zu lesen: „Lebensversicherer wackeln – was Sie jetzt tun müssen“.1

Damit spielte der Boulevard auf der Klaviatur ein ähnliches Lied wie zuvor schon der BdV. Bei ihm, dem Auftraggeber, hieß es mit Ausrufungszeichen: „Mehr als ein Viertel der Versicherer sind angezählt!“2

Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft hielt ähnlich scharf dagegen, sprach von Fehlinterpretationen und kam – wenig überraschend – zu einem ganz anderen Ergebnis. Ich zitiere: „Lebensversicherer stabil aufgestellt – trotz Niedrigzins werden alle Zahlungsverpflichtungen erfüllt.“3

Heute Nachmittag wird Herr Zielke in seinem Workshop erläutern, wie er bei seiner Analyse der SFCRs vorgegangen ist. Da ich daran nicht teilnehmen kann, möchte ich an dieser Stelle ein paar Dinge vorausschicken, die mir sehr wichtig sind.

Aus meiner Sicht stellt die BdV-Solvenzstudie zu plakativ in erster Linie auf die reine Solvenzquote ab und skandalisiert Instrumente wie die Volatilitätsanpassung fast schon. Das wird der Bedeutung des Themas nicht gerecht. Die Volatilitätsanpassung ist ein wichtiger Bestandteil unseres Solvenzregimes und keinesfalls Schnickschnack.

Lassen Sie es mich noch ein wenig anders ausdrücken: Versicherer stehen auf dem Boden der gesetzlichen Grundlagen, wenn sie die Volatilitätsanpassung anwenden. Ihre SCR-Bedeckung ist keine anrüchige Schönfärberei. Es bibbert da niemand bei 2 Grad Celsius, tut aber so, als sei ihm ganz warm, weil er die Temperatur mit 35,6 Grad angibt und die Maßeinheit Fahrenheit verschweigt.

Ich sage ganz klar: Wir haben uns bei der Einführung von Solvency II für die Volatilitätsanpassung eingesetzt, um der Langfristigkeit des deutschen Lebensversicherungsgeschäfts Rechnung zu tragen.

Auch und gerade im Hinblick auf den Solvency-II-Review sollten wir jetzt nicht so tun, als sei das falsch gewesen. Ich werde gleich noch darauf zu sprechen kommen, wie sich die Volatilitätsanpassung in der Corona-Krise bewährt hat.

Stichwort Corona: Dem BdV ist der Corona-Bezug in einzelnen SFC-Reports zu gering.4 Ich finde und die BaFin hat das auch auf EIOPA-Ebene mitgetragen, dass die Corona-Krise eine wichtige Entwicklung ist, die in die SFCRs 2019 gehört.

Deshalb gibt die oberste FAQ auf der Corona-Seite unter bafin.de auf die Frage „In welcher Form sollen Unternehmen die Coronakrise in den SFCRs aufgreifen?“ eine ziemlich deutliche Antwort. Sie lautet sinngemäß: Jene Versicherungsgesellschaften, die ihren SFCR 2019 wegen Corona acht Wochen später veröffentlicht haben, waren gehalten, darin auch angemessen über Corona zu informieren.

Und Unternehmen, deren SFCR 2019 schon in der Welt war, bevor die Corona-Krise richtig zuschlug, sollten prüfen, ob sie ihren SFCR aktualisieren müssen. Leider mussten wir dann aber feststellen, dass überwiegend keine oder nur unzureichende Angaben zu Corona gemacht wurden. Auch wurden die SFCRs nicht aktualisiert.

Wir haben uns aber ohnehin nicht auf das übliche Reporting verlassen, sondern ganz bewusst auch unsere eigenen Informationen erhoben, um die aktuellen Entwicklungen besser einschätzen zu können. Deshalb haben wir seit Ausbruch der Pandemie drei Sonderabfragen durchgeführt. Ich möchte Ihnen die Ergebnisse vorstellen, bevor ich dann noch etwas zur Niedrigzinsphase und zu Ad-hoc-ORSA-Berichten sagen werde.

Mit unserer dritten, unstrukturierten Corona-Abfrage haben wir die 24 größten Versicherungsgruppen – bis auf einen reinen Rückversicherer allesamt mit Leben-Geschäft – sowie 14 ausgewählte Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung in den Blick genommen.

Sie erkennen also die Unterschiede zur BdV-Solvenzstudie: Weniger Versicherer, mehr EbAV, späterer Zeitpunkt. Keine der beteiligten Gruppen wies zum 31. März 2020 eine SCR-Unterdeckung auf.

Und der 31. März ist ja nicht irgendein Datum: Schauen wir noch einmal zurück – wir haben das ja alle erlebt: Im März wandte sich die Kanzlerin an die deutsche Bevölkerung, sagte das IOC die Olympischen Spiele ab und unterbrach der Deutsche Fußballbund die Bundesliga. Im März nahm auch die Diskussion über Dividendenzahlungen Fahrt auf. Die Versicherungsaufsicht der BaFin hat damals deutlich gemacht, dass sie einen generellen Dividendenstopp zwar ablehnt, dass die Versicherer Ausschüttungen aber sorgfältig abwägen und dabei ihre Eigenmittelsituation sowie Risikotragfähigkeit berücksichtigen sollten. An der Börse endete der Monat März übrigens Corona-bedingt bei 9.936 Punkten.

Aber nicht nur im Dax spiegelte sich die Krise wider. Über die Entwicklung der Spreads in den Kapitalanlagen schlug sie auch auf das Instrument der Volatilitätsanpassung durch. Die Volatilitätsanpassung lag am 31. März 2020 bei 46 Basispunkten nach vergleichsweise niedrigen 7 Basispunkten am 31. Dezember 2019.

In dieser Situation hat die Volatilitätsanpassung geleistet, wofür sie geschaffen wurde: Sie hat entscheidend dazu beigetragen, dass hektische prozyklische Aktivitäten ausblieben, und aus den Verwerfungen keine Unterdeckungen resultierten.

Und wenn sich die Märkte beruhigen, schwingt das Pendel auch wieder zurück. Der bisherige Jahreshöchstwert der VA von 51 Basispunkten am 24. März ist Ende April wieder auf 33 und Ende Mai auf 25 Basispunkte gefallen. Ende August stand er bei 13 Basispunkten.

Meine Damen und Herren: Unsere dritte Corona-Sonderabfrage hat weitere interessante Erkenntnisse gebracht. Etwa dass es Corona-induzierte Stornierungen, Beitragsstundungen und Freistellungen im Bereich Leben gab, diese aber wieder nachgelassen haben und im Vergleich zum Gesamtbestand nicht bedrohlich waren. Oder dass sich das Beschwerdeverhalten der Kunden durch Corona nicht signifikant geändert hat. Oder auch: Dass Corona insbesondere die Lage von Pensionskassen verschärft hat. Rund 35 von ihnen standen bereits vor Ausbruch der Pandemie unter intensivierter Aufsicht, weil ohne die finanzielle Hilfe durch die Trägerunternehmen mittel- bis langfristig Leistungskürzungen drohten. Wenn diese Trägerunternehmen durch Corona aber selbst in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, sinken ihre Bereitschaft und ihre Fähigkeit, der Pensionskasse beizustehen.

Das Paradoxe daran: Geldpolitische Maßnahmen wie das Pandemie-Notfallankaufprogramm der Europäischen Zentralbank in Höhe von 750 Milliarden Euro sollen eine Rezession verhindern, den Abschwung der Realwirtschaft abschwächen und helfen somit indirekt auch Trägerunternehmen aus der Realwirtschaft. Gleichzeitig manifestiert sich aber auch jenes Problem, dass den Pensionskassen seit Jahren am meisten zu schaffen macht – die niedrigen Zinsen.

Ich will das Problem nicht unterkomplex darstellen. Natürlich drücken Leitzinsen in Höhe von null Prozent und Anleiheankäufe durch Notenbanken auf die Marktzinsen. Das Niedrigzinsumfeld hat aber auch andere Ursachen wie die Demographie oder die zunehmende Wertschöpfung im Digitalen.

Und Marktzinsen an der Nulllinie werden vor allem dann zum Problem, wenn die Lücke zu den Garantiezinsen allzu groß wird.

Auch dazu möchte ich ein paar Worte sagen: Nur weil der Höchstrechnungszins für die Berechnung der Deckungsrückstellung derzeit noch bei 0,9 Prozent liegt, heißt das nicht, dass Lebensversicherer ihn auch als Garantiezins im Neugeschäft anbieten müssen.

Richtig ist, dass der Höchstrechnungszins die Obergrenze für den bilanziellen Rechnungszins darstellt. Falsch ist (das wissen Sie), dass es sich um ein Synonym für den Garantiezins handelt und beide Zinssätze stets die gleiche Höhe haben müssen. Und riskant ist es, so wie in Zeiten höherer Zinsen zu verfahren und den Höchstrechnungszins weitgehend ungeprüft als Garantiezins ins Neugeschäft zu übernehmen.

Ich betone also gerne, was ich im Mai auf unserer telefonischen Jahrespressekonferenz gesagt habe und seitdem nicht müde wurde, zu wiederholen: Unter Lebensversicherern und Pensionskassen sollten den Höchstrechnungszins nur die Unternehmen ausschöpfen, die diesen Wert auch dauerhaft erwirtschaften können.

Bei regulierten Pensionskassen werden wir bei neuen Tarifen Garantien jenseits einer Schwelle von 0,25 Prozent nur noch befristet genehmigen – und auch das nur, wenn uns das Unternehmen plausibel erläutert, wie es funktionieren kann.

Ich nehme die erste Frage, die mir im Anschluss sicher gestellt worden wäre, vorweg: Wann und auf welchen Wert ändert sich der Höchstrechnungszins?

Ob und wann der Verordnungsgeber den Höchstrechnungszins senken wird, darüber hat die BaFin keine Erkenntnisse. Ob und wann aber die Zinsgarantien im Neugeschäft eines Lebensversicherers im Hinblick auf seine Risikotragfähigkeit und Ertragskraft zu reduzieren sind, ist unabhängig von der Erwartung an die weitere Entwicklung des Höchstrechnungszinses zu beurteilen.

Zu den regulatorischen Maßnahmen zur Bewältigung der Niedrigzinsphase gehört seit einigen Wochen die Vierte Verordnung zur Änderung von Verordnungen nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz.

Als „Nummer drei“ kam 2018 die Korridormethode zur Berechnung der Zinszusatzreserve daher. Die Rekalibrierung verhinderte damals einen unangemessen schnellen Aufbau der Zinszusatzreserve, der die Unternehmen möglicherweise überfordert hätte.

Nun geht es darum, die Rahmenbedingungen für freiwillige Einschüsse durch die Eigentümer von Lebensversicherungsunternehmen, Pensionskassen und Pensionsfonds zu verbessern.

Diese exogenen Mittel dienen dem Zweck, die Zinsgarantien abzusichern, und sind in der Niedrigzinsphase daher von enormer Bedeutung für die Unternehmen, die den Kunden diese Versprechen gegeben haben.

Die Systematik sieht so aus, dass das zusätzliche Kapital zur Finanzierung von Jahresfehlbeträgen herangezogen werden kann, die durch den Aufbau der Zinsrückstellung entstanden sind.

Entscheidend ist nun die Frage, was passiert, wenn sich die Zinsrückstellung wieder auflöst.

Nach vorheriger Rechtslage erhöhten Auflösungsbeträge – sofern sie nicht zur Finanzierung der Zinsgarantien benötigt wurden –die Mindestzuführung zur RfB. Sie flossen also zumindest in Teilen den Kunden in Form von Überschüssen zu.

Der Kapitalgeber blieb von dieser „Umtopfung“ ausgeschlossen, erhielt seine finanzielle Hilfe also selbst dann nicht zurück, wenn sie gar nicht in Anspruch genommen wurde.

Das neue Recht setzt an diesem Punkt an, so dass etwaige Auflösungsbeträge aus der Zinsrückstellung in positiven Szenarien an den Kapitalgeber zurückfließen können. Das geschieht indirekt über höhere Jahresüberschüsse.

Meine Damen und Herren: Ich werbe seit Jahren dafür, dass Eigentümer und Trägerunternehmen angeschlagenen Pensionskassen noch stärker finanziell unter die Arme greifen. Eben habe ich schon erwähnt, dass die Pandemie seit ihrem Ausbruch die potenziellen Kapitalgeber eher verunsichert hat. Hinzu kam der schwer zu vermittelnde Umstand, dass freiwillige Hilfen selbst in guten Szenarien niemals zurückfließen.

Dass der Gesetzgeber diesen Fehlanreiz in einen Anreiz verwandelt und damit die Wahrscheinlichkeit für finanzielle Hilfen erhöht, begrüße ich mit Blick auf Lebensversicherer, Pensionskassen und Pensionsfonds ausdrücklich.

Beim klassischen Ergebnisabführungsvertrag greift das neue Recht übrigens nicht. Auch ich will einen Ergebnisabführungsvertrag deutlich von freiwilligen Vereinbarungen abgehoben wissen. Wir sprechen hier über einen Vertrag, einen Deal, zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft, der der Mutter in Gewinnjahren den Überschuss der Tochter sichert. In Verlustjahren muss sie aber auch deren Fehlbetrag ausgleichen.

Wir haben der Versicherungswirtschaft in der jüngeren Vergangenheit deutlich kommuniziert, dass wir Kündigungen von Gewinnabführungsverträgen durch Konzerne genau prüfen werden und dass wir von den Tochterunternehmen erwarten, im ORSA-Bericht auf das Risiko einzugehen, dass der Konzern seine Verlustübernahmezusage nicht erfüllt.

Der ORSA ist mein letztes Thema für heute: Einige Versicherungsgesellschaften haben uns bereits Ad-hoc-ORSA-Berichte eingereicht, in denen sie die Folgen der Corona-Krise in den Blick nehmen. Die Tiefe der Berichte ist sehr unterschiedlich. Mancher ORSA umfasst Szenarien, die sowohl die Anlageseite als auch die Versicherungstechnik stressen. Andere belassen es bei ziemlich allgemeinen Betrachtungen.

Wir erwarten von den Unternehmen, dass sie genau prüfen, inwiefern ihr Geschäftsmodell von COVID-19 beeinflusst wird, und das kann in vielen Fällen auch bedeuten, einen Ad-hoc-ORSA durchführen zu müssen.

Wir werden keine Medaillen für besonders Corona-bezogene ORSAs vergeben, wie es der Bund der Versicherten unter dem Aspekt der Transparenz für SFCRs plant. Aber wir behalten uns eine flächendeckende Analyse der Ad-hoc-ORSA-Berichte vor und werden insbesondere Fälle hinterfragen, in denen die Gesellschaft keinen ORSA-Bericht mit Corona-Bezug vorlegt.

Haben Sie vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Fußnoten:

Fanden Sie den Beitrag hilfreich?

Wir freuen uns über Ihr Feedback

Es hilft uns, die Webseite kontinuierlich zu verbessern und aktuell zu halten. Bei Fragen, für deren Beantwortung wir Sie kontaktieren sollen, nutzen Sie bitte unser Kontaktformular. Hinweise auf tatsächliche oder mögliche Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Vorschriften richten Sie bitte an unsere Hinweisgeberstelle.

Wir freuen uns über Ihr Feedback