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Erscheinung:12.05.2020 Statement zur Jahrespressekonferenz 2020 der BaFin

Statement von Felix Hufeld, Präsident der Bundesanstalt, für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bei der Jahrespressekonferenz 2020 der BaFin am 12. Mai 2020

Es gilt das gesprochene Wort.

Eine telefonische Pressekonferenz ist nicht das Format für längliche Ausführungen, meine Damen und Herren. Ich werde stattdessen in der gebotenen Kürze auf drei Fragen eingehen: Wo steht die BaFin in der Corona-Krise? Wo steht die Finanzindustrie? Wie geht es weiter?

Die BaFin übt sich gerade – wie viele andere Institutionen – in einem anspruchsvollen Dreikampf. Sie schützt ihre Beschäftigten, trägt dazu bei, dass die Ausbreitung des Covid-19-Virus gebremst wird, und zugleich funktioniert sie: an der Aufsichtsfront, in den Querschnittsbereichen und da, wo die wichtigen Weichenstellungen vorgenommen werden, mit denen wir verhindern wollen, dass das Virus auf den Finanzmarkt übergreift.

Wir haben unsere aufsichtlichen Rahmenbedingungen denen der Krise angepasst. So haben wir den Banken erlaubt, Kapitalpolster zu nutzen – Polster, die sie in guten Zeiten für schlechte Zeiten anlegen mussten. Wesentliche Ziele unserer Maßnahmen: den Instituten den Rücken freizuhalten, damit sie zügig die eigenen und die bereitgestellten öffentlichen Mittel dorthin leiten können, wo sie gebraucht werden. Und: sie zu stärken, damit sie eventuelle Kreditausfälle möglichst gut abfedern können.
Ist das blinder Leichtsinn? Nein. Unsere Anpassungen sind temporär. Wir bewegen uns auch nicht außerhalb geltenden Rechts, wir nutzen die darin angelegten Spielräume. Wir gehen also nur so weit, wie es Finanzregulierung, Rechnungslegungsvorschriften und die Finanzstabilität zulassen. Ihnen wird aufgefallen sein, dass wir den Instituten nicht gestatten, ihr Risikomanagement und sämtliche Kreditvergabestandards sausen zu lassen. Das würde sich gleich mehrfach rächen, denn kaum jemand würde den Banken dann noch vertrauen.

Spätestens hinterher – wann auch immer das sein wird – wird es heißen: „Dieses oder jenes hättet Ihr anders machen sollen!“ Damit meine ich nicht nur die notorischen Besserwisser. Hinterher ist jeder klüger – auch ein Aufseher. Aber noch befinden wir uns im Krisenmodus. Und das heißt: unter Zeitdruck und auf einer nicht immer perfekten Faktenbasis tragfähige Entscheidungen zu treffen. Und genau das tun wir.

Wo steht die Finanzindustrie? Die Banken befinden sich in einer heiklen Gemengelage: die Erträge seit Jahren schwach, die Zinsen niedrig, die digitale Konkurrenz umtriebig – und jetzt noch die Corona-Krise. Dennoch ist der deutsche Bankensektor heute relativ widerstandsfähig – und er funktioniert. Jetzt, in der neuen Krise, ernten wir nämlich die Früchte der Regulierungsreformen aus der Zeit nach der Krise 2007/2008. Wir haben mehr Stabilität im Bankensystem, denn wir haben mehr und besseres Kapital. Und wir haben mehr Liquidität – obwohl die Nachfrage gerade hoch ist und obwohl die Institute den Stundungswünschen überwiegend nachkommen und auch neue Darlehen vergeben. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Der andere: Die Lage sähe heute düsterer aus, wenn Bundesregierung, Europäische Zentralbank und Aufsicht nicht ihre weitgehenden Maßnahmen ergriffen hätten.

Was macht die Corona-Pandemie mit den Lebensversicherern? Problem Nr. 1 der Branche ist nach wie vor das Dauerzinstief. Die Krise setzt den Unternehmen in der Kapitalanlage zusätzlich zu. Existenzbedrohend ist die Situation aber aus heutiger Sicht nicht. Zwar werden die Solvenzquoten wohl sinken. Das hat unsere Abfrage bei ausgewählten Lebensversicherern ergeben. Aber bei keinem dieser Unternehmen kommt es zu einer Unterdeckung. Was auch an der Flexibilität des Regelwerks Solvency II liegt, dessen Übergangsvorschriften uns – und vor allem der Branche – gerade sehr helfen. Auch bei der Liquidität kann sich die Krise auswirken: Wenn das Neugeschäft einbricht, Policen gekündigt oder Beiträge gestundet werden, könnten die gewohnten konstanten Zuflüsse gestört werden. Noch sorgen wir uns nicht, aber wir sehen umso genauer hin.

An den Finanzmärkten haben wir hohe Kursverluste und hohe Mittelabflüsse bei Fonds gesehen. Die Branche scheint aber bislang mit einem blauen Auge davongekommen zu sein. Anleger konnten ihre Anteile in aller Regel problemlos veräußern.
Aber wie geht es weiter? Das kann derzeit niemand seriös sagen. Überrollt uns eine zweite Ansteckungswelle? Wann wird ein Medikament gefunden, wann ein Impfstoff? Wie tief rutschen wir in die Rezession? Mit welchen Folgen? Sehr viele Fragezeichen, sehr viele Vermutungen. Erst mit der Zeit werden wir erkennen, wie hoch die Belastungen für den Finanzmarkt wirklich sind.

Ich war bei der Fondsbranche stehengeblieben. Dort könnte es zu erneuten Liquiditätsabflüssen kommen. Den offenen Investmentvermögen kommt aber eine Novelle zur Hilfe, die der Gesetzgeber in Vor-Corona-Zeiten auf den Weg gebracht hat: Sie sollen ihre Liquidität mit einer Reihe von Instrumenten besser steuern können. Es geht darum zu vermeiden, dass Fonds geschlossen werden müssen. Als Aufsicht erwarten wir daher, dass die Kapitalverwaltungsgesellschaften zügig prüfen, ob und welche neuen Tools sie nutzen werden.

Und der Bankensektor? Der dürfte am stärksten betroffen sein. Auch die milliardenschweren Hilfspakete für die Realwirtschaft werden nicht vollständig verhindern können, dass in den kommenden Wochen, Monaten und vielleicht Jahren Kreditnehmer ausfallen. Belastbare Zahlen gibt es noch nicht, Banken und Aufsicht arbeiten derzeit mit Szenariorechnungen. Aber das Thema bereitet uns Sorgen. Weshalb wir die Banken auch wiederholt aufgefordert haben, ihre Kapitalbasis jetzt nicht durch Dividendenzahlungen oder Gewinnausschüttungen zu schwächen. Diese Botschaft ist offenbar weitgehend angekommen.

Immer wieder wird die Frage laut, ob nun eine Systemkrise drohe. Aus heutiger Sicht nicht. Das Finanzsystem ist – wie gesagt – stabiler geworden, der Staat hat umfangreiche Hilfsprogramme für die Realwirtschaft aufgelegt. Ich werde zwar meine Hand nicht für jede einzelne Bank ins Feuer legen – das täte ich auch ohne Corona-Krise nicht. Aber der Bankensektor hat das Zeug, die Krise zu überstehen – wenn auch mit einigen Blessuren. Eines dürfte zudem klar sein: Die Krise verschärft die Probleme, die die Banken vorher schon hatten. Wenn sie vorbei ist, müssen sich die Institute umso dringender mit ihren Geschäftsmodellen beschäftigen.

Wie geht es mit den Versicherern weiter? Die Branche ist alles in allem widerstandsfähig, obwohl auch sie seit Jahren zu kämpfen hat. Noch wissen wir nicht, ob sich die Verwerfungen verstetigen, die wir gerade auf der Assetseite sehen. Wir wissen auch noch nicht, wie schnell sich die Vermögenswerte stabilisieren. Haben wir es mit kurzzeitigen Volatilitäten zu tun? Dann halten sich die Auswirkungen in Grenzen, denn wir haben regulatorische Instrumente, um damit umzugehen. Ändern sich Bewertungen und Ausfallrisiken in den Märkten auf mittlere oder lange Sicht? Dann schlägt sich das deutlicher auf der Kapitalseite nieder.

Fehlt noch ein Blick auf uns: Nach der Krise werden wir zur aufsichtlichen Normalität zurückkehren – in angemessener Zeit und Schritt für Schritt. Wir werden keine Bank dafür bestrafen, dass sie jetzt ihren Beitrag zur Stabilisierung der Wirtschaft leistet. Auch in Regulierungsfragen ist besondere Umsicht gefragt. In der Europäischen Union sollen nun einzelne Erleichterungen aus dem 2019er Bankenpaket vorgezogen werden, während unter anderem der Leverage-Ratio-Puffer für global systemrelevante Institute um ein Jahr verschoben werden soll. Eine sinnvolle Entscheidung, die zuvor schon in Basel gefallen war.

Wer nun aber darin und in unseren temporären Maßnahmen das Fanal für eine neue Deregulierungsoffensive sieht, hat grundlegende Dinge nicht verstanden. Woran liegt es denn, dass der Bankensektor diesmal nicht Auslöser der Krise ist, sondern sogar die Kraft hat, deren Folgen für die Realwirtschaft nachhaltig zu mildern? Nicht nur, aber doch sehr stark an den Regulierungsreformen der Post-Lehman-Zeit. Nein, Abstriche an der Finanzstabilität dürfen wir nie mehr zulassen. Aber vielleicht zeigt uns die Krise ja, wo wir regulatorisch noch besser werden können. Mir fiele da schon etwas ein. Aber dazu sprechen wir uns nach der Krise wieder. Zumal es derzeit viele andere wichtige Themen gibt.

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