© Bernd Roselieb
Erscheinung:11.03.2020 Aktuelle Fragen der Versicherungsaufsicht
Keynote von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), beim Zukunftsmarkt Altersvorsorge 2020 am 10. März 2020 in Berlin.
Es gilt das gesprochene Wort!
Meine Damen und Herren,
ich bin gewissermaßen das Kontrastprogramm zu dem, was Sie gerade gehört haben. Eben haben mehrere Politiker über das Thema Rente diskutiert; jetzt steht hier ein einzelner Aufseher und spricht über aktuelle Themen der Versicherungsaufsicht.
Ich kann Sie beruhigen: Mein Thema ist natürlich auch die Altersversorgung in Deutschland, aber sie werden von mir nicht hören, dass es diese oder jene regulatorische Veränderung, dieses oder jenes neue Gesetz braucht.
Denn als Aufsichtsbehörde setzen wir nicht die Regeln, nein, wir setzen sie durch. Das gilt selbstverständlich nur mit Blick auf die Säulen 2 und 3, also die Altersversorgung durch Pensionskassen, Pensionsfonds und Lebensversicherer.
Mit Säule 1 haben wir nichts zu tun. Während die Reformen in der gesetzlichen Rentenversicherung um die Frage kreisen, ob die Höhe einer staatlichen Rentenleistung vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und der Lebensleistung eines Menschen gerecht ist, sind regulatorische Veränderungen in der betrieblichen und privaten Altersversorgung im Wesentlichen eine Reaktion auf die anhaltende Niedrigzinsphase.
Ich möchte in meinem Vortrag darauf eingehen, wie die Unternehmen, der Gesetzgeber und die Aufsicht auf die Niedrigzinsphase reagieren oder reagiert haben und zum Abschluss dann einen Blick in die nahe Zukunft werfen.
Lebensversicherer und Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung dürfen nicht auf steigende Zinsen warten, sondern müssen ihr Schicksal – so gut, es geht – selbst in die Hand nehmen. Die Unternehmen haben bereits viele Steine umgedreht. Richtigerweise haben sie die Überschussbeteiligung reduziert und – wenn möglich – für neue, hybride Produkte eine flexiblere Verzinsung eingeführt.
Wir sehen auch, dass einige Unternehmen ihre Eigenmittel gestärkt und ihre Verwaltungskosten reduziert haben.
Ich weiß, dass es schwere Arbeit ist, Steine umzudrehen. Ich finde aber, dass es noch einen großen Brocken gibt, an den Pensionskassen und Lebensversicherer ran müssen. Die selbst gewählte Abhängigkeit vom Höchstrechnungszins und seine unreflektierte Übernahme als Garantiezins ins Neugeschäft mag zu Vertriebszwecken nachvollziehbar sein. Aber ein Unternehmen, das dauerhaft nicht in der Lage ist, die garantierten Zinsen am Kapitalmarkt zu erwirtschaften, spielt mit seiner Existenz und mit dem Geld seiner Kunden. Daher können wir eine Übernahme des Höchstrechnungszinses nur dulden, wenn uns das Unternehmen belegt, dass es einen Garantiezins von 0,9 Prozent auch dauerhaft erwirtschaften kann. Und das dürfte gar nicht mal so einfach sein.
Einige regulierte Pensionskassen verwenden sogar noch Rechnungszinsen oberhalb von 0,9 Prozent im Neugeschäft. Dies halten wir erst recht nicht mehr für angebracht und haben dies den Unternehmen mitgeteilt.
Was hat der Gesetzgeber getan? Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz hat er zum 1. Januar 2018 die Möglichkeit geschaffen, in den bAV-Durchführungswegen Pensionskasse, Pensionsfonds und Direktversicherung Betriebsrenten zu vereinbaren, für die weder Garantiezusagen des Anbieters noch die Subsidiärhaftung des Arbeitgebers gelten. Eigentlich passt das maßgeschneidert in eine lang anhaltende Niedrigzinsphase, wie wir sie derzeit erleben, weil dem Verzicht auf Garantien natürlich auch eine Chance auf höhere Rendite gegenübersteht. Bei der reinen Beitragszusage ist der Anbieter in seiner Kapitalanlage recht frei – beziehungsweise: er wäre es. Denn auf den ersten Tarifabschluss, der eine reine Beitragszusage vorsieht, warten wir noch – allen Jubelmeldungen aus dem Herbst zum Trotz. Die BaFin steht hier übrigens Gewehr bei Fuß.
Bleiben wir noch ein bisschen im Jahr 2018: Damals hat der Gesetzgeber auch beschlossen, die Deckungsrückstellungsverordnung so anzupassen, dass die Zinszusatzreserve deutlich langsamer anwächst, als es einmal vorgesehen war. Diese Rekalibrierung kann zwar an den niedrigen Zinsen als ökonomische Gegebenheit auch nichts ändern; sie verhindert auf Seiten der Unternehmen aber zusätzliche bilanzielle Probleme. So hilfreich die Rekalibrierung ohne Zweifel war: Eine weitere Änderung ist nicht angezeigt.
Neben Versicherungswirtschaft und Gesetzgeber ist auch die Aufsicht aktiv. Wir werden auch 2020 schwerpunktmäßig untersuchen, wie Lebensversicherer und Pensionskassen mit den Herausforderungen umgehen, die ihnen aus dem Niedrigzinsumfeld erwachsen. Hier greifen Analyse und Aktion ineinander.
Zu unseren wichtigsten proaktiven Instrumenten in der Niedrigzinsphase zählt die intensivierte Aufsicht. Darunter fallen Pensionskassen und Lebensversicherer, die ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden möglicherweise nicht dauerhaft erfüllen können.
Ausgangspunkt für die intensivierte Aufsicht ist eine Analyse. Wir führen zum 30. September jeden Jahres Prognoserechnungen bis zu 15 Jahren bei Lebensversicherern und Pensionskassen durch. Je nachdem, ob sich bei den Unternehmen früher oder erst etwas später Probleme zeigen werden, ordnet die BaFin sie verschiedenen Stufen der intensivierten Aufsicht zu.
Die Abstufungen im Detail darzustellen, die Unterschiede zwischen intensivierter Aufsicht über Pensionskassen und Lebensversicherungen herauszuarbeiten und dort auch noch zwischen HGB- und Solvency-II-Betrachtung zu differenzieren, würde hier und heute sicher zu weit führen.
Grundsätzlich geht es bei der intensivierten Aufsicht um einen noch engeren Draht zwischen den Beteiligten – beispielsweise in Form von zusätzlichen Berichtspflichten und Gesprächen. Wir schauen uns dann genau an, mit welchen konkreten Maßnahmen es das Unternehmen durch die Niedrigzinsphase schaffen will.
Pensionskassen halten wir nach wie vor dazu an, bei ihren Trägern oder Aktionären um finanzielle Unterstützung zu werben, damit sie auch weiterhin ihre vollen Leistungen erbringen können. Ich weiß, dass das ein zähes Ringen sein kann, was in einigen Fällen auch schon erfolgreich war. Die Folgekosten, es zu unterlassen, liegen nach meiner Einschätzung viel höher. Wir sprechen dann nämlich bereits über satzungsgemäße Leistungskürzungen, die Schließung der Kasse für den Neuzugang und über die Subsidiärhaftung des Arbeitgebers für die volle zugesagte Leistung.
An dieser Stelle will ich eine Frage aufgreifen, die im Programmheft der Veranstaltung über meinem Vortrag steht. Ich zitiere: „Informations- und Berichtspflichten – Ende in Sicht?“
Um es kurz zu machen: Nein. Jedenfalls dann nicht, wenn damit ersatzlose Streichungen aus Aktionismus gemeint sind.
Um etwas weiter auszuholen: Sowohl bei Solvency II als auch beim EIOPA-Rentendatenprojekt ist es uns sehr wichtig, dass Berichtspflichten einen konkreten Zweck erfüllen und dem Risiko des meldenden Unternehmens entsprechen – also proportional sind.
Sie erkennen schon an den Vorschlägen von EIOPA zum Solvency-II-Review, wohin die Reise geht: Der SFCR soll einen kurzen Teil mit Informationen speziell für Versicherungsnehmer bekommen, gleichzeitig ist bei den Quartalsmeldungen geplant, künftig zwischen Core-Templates und Non-Core-Templates zu unterscheiden. Einzelne QRTs sollen wegfallen, andere besser werden. Zu Testzwecken standen einige neue Berichtsformulare bereits online.
Seit dem 30. September 2019 gilt eine Allgemeinverfügung der BaFin, die alle beaufsichtigten Pensionskassen und Pensionsfonds dazu verpflichtet, uns bestimmte Rentendaten zu melden.
Wir geben die Daten an EIOPA, die Bundesbank und mittelbar auch an die EZB weiter. EIOPA wird aus den Daten Berichte und Statistiken zur Verbreitung und Entwicklung der bAV in Europa generieren. Ich finde das in Zeiten niedriger Zinsen ein absolut legitimes Anliegen. Über die Rechtsgrundlage – Klammer auf, Artikel 35 der EIOPA-Verordnung, Klammer zu – müssen wir uns erst gar nicht unterhalten.
Dass eine europäische Behörde, die der Finanzstabilität verpflichtet ist, dieses Ziel eben auch auf der Grundlage einer einheitlichen Datenbasis verfolgt, erscheint mir weiterhin sehr gut nachvollziehbar.
Wir haben in dieser Angelegenheit stets im Hinterkopf behalten, die Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung in Deutschland nicht über Gebühr zu belasten.
- Deshalb müssen deutsche Einrichtungen mit einer Bilanzsumme bis 100 Millionen Euro keinerlei Daten liefern und erst Einrichtungen mit einer Bilanzsumme über 1 Milliarde Euro das volle Set. Dazwischen liegende EbAV sind von den Quartalsmeldungen und der Jahresmeldung über die einzelnen Kapitalanlagen befreit.
- Deshalb haben wir am 2. Oktober 2019 eine Informationsveranstaltung zu dem neuen Berichtswesen abgehalten.
- Und deshalb gehört es auch dazu, Vertretern der EbAV „Danke“ zu sagen für die ersten Meldungen, die wir jetzt – da der erste Stichtag 30. September 2019 verstrichen ist – bereits erhalten haben.
Meine Damen und Herren: Zu Beginn eines neuen Jahrzehnts ist die Versuchung groß, vorausahnen und voraussagen zu wollen, was die Zukunft bringt. Ich erliege dieser Versuchung nicht. Vielmehr möchte ich mich bei meinen folgenden Ausführungen zur reinen Beitragszusage, zum PEPP und zum Solvency-II-Review an die belastbaren Fakten halten.
Was wird aus der eben schon erwähnten reinen Beitragszusage? Ich kann Ihnen diese Frage nur insoweit beantworten, als dass ihr Schicksal letztlich vom Willen der Tarifparteien abhängt.
Vorbehaltlos optimistisch bin ich auch beim Pan-European Personal Pensions Product, PEPP, nicht. Dabei hat es durchaus Vorteile: Deutsche Lebensversicherer, EbAV und Kreditinstitute könnten das PEPP in der ganzen EU anbieten und – umgekehrt – ausländische Anbieter hierzulande. Die Produktvielfalt und die Auswahl der Anbieter würden sich dadurch erhöhen.
Das Potenzial, über PEPP signifikant mehr Menschen in Deutschland in die private Altersvorsorge einzubeziehen, halte ich für begrenzt.
Hohe bürokratische Anforderungen in Verbindung mit dem angedachten Kostendeckel könnten das Produkt für die Lebensversicherer zusätzlich unattraktiv machen. Zudem ist der Markt für Altersvorsorgeprodukte in Deutschland weit entwickelt, so dass es für deutsche Unternehmen wenig attraktiv erscheint, das Angebot um ein zusätzliches Produkt der privaten Altersvorsorge zu erweitern. Nach meiner Einschätzung werden daher deutsche Lebensversicherer PEPP gar nicht oder nur in seltenen Fällen anbieten, sofern es für PEPP keine staatliche Förderung ähnlich zu den Riesterrenten gibt.
Und dass deutsche EbAV ihre Wachstumschance mit einem Produkt der dritten Säule nutzen, ist aus meiner Sicht unwahrscheinlich.
Der Solvency-II-Review befindet sich auf der Zielgeraden. Eine erste Konsultation lief bis Mitte Januar 2020. Seitdem waren viele Aufseher auch aus den nationalen Aufsichtsbehörden damit beschäftigt, die Kommentierungen zu sichten und erste Ergebnisse zu sichern. Für die BaFin galt dabei die Maßgabe, das Berichtswesen zu schärfen, die Voraussetzungen für die langfristigen Garantien zu erhalten und die Änderungen an der Standardformel ganzheitlich zu betrachten.
Deshalb rechnen wir die vorgeschlagenen Änderungen mit Blick auf die Solvabilitätsanforderung bzw. die SCR-Bedeckungsquote durch. Seit Anfang März befragen wir dazu die Unternehmen. Das wird zeigen, inwieweit die vorgeschlagene Neukalibrierung einerseits die Risiken angemessen abbildet, andererseits aber auch die Unternehmen angemessen – und eben nicht unangemessen – belastet.
Nehmen Sie die Lebensversicherer: Sie können Schwankungen in der Kapitalanlage zu einem gewissen Grad aushalten, weil sie ihre Verpflichtung gegenüber den Kunden in der Regel erst weit in der Zukunft erfüllen müssen. Diese Illiquidität der Verbindlichkeiten gilt es bei der Kalibrierung zu berücksichtigen.
So kommt es insbesondere bei den Vorschlägen zur Volatilitätsanpassung und Extrapolation darauf an, das langfristige Versicherungsgeschäft, wie es für die deutsche Lebensversicherungen typisch ist, angemessen abzubilden.
Meine Damen und Herren: Soweit mein aufsichtlicher Blick auf die Altersvorsorge in Deutschland. Ich wünsche Ihnen für den restlichen Tag heute und für morgen spannende Erkenntnisse und Diskussion – untereinander und mit Menschen, die auf der Bühne stehen, wie jetzt mit mir.
Ich freue mich auf Ihre Fragen. Vielen Dank.