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Erscheinung:16.01.2020 Neujahrspresseempfang der BaFin 2020

Rede von Felix Hufeld, Präsident der BaFin, am 16. Januar 2020 in Frankfurt am Main

Es gilt das gesprochene Wort.

Herzlich willkommen, meine Damen und Herren. Vor uns liegt ein neues Jahrzehnt. Möge es ein gutes werden! Das wünsche ich Ihnen gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen im BaFin-Direktorium. In eine lange Reihe froher Wünsche und saisonaler Ansprachen stelle ich nun drei kurze Gedanken: welche guten Vorsätze die BaFin für das Jahr 2020 gefasst hat und was die Finanzindustrie damit zu tun hat, was die Arbeit der BaFin mit Ludwig van Beethoven zu tun hat, dessen 250. Geburtstag, wir, vor allem aber die Stadt Bonn, in diesem Jahr feiern, und: Welchen Eckpfeiler guter Regulierung und Aufsicht wir mehr als zehn Jahre nach Ausbruch der globalen Finanzkrise für so wichtig halten, dass wir international dafür eintreten.

Was nehmen wir uns für 2020 vor? Noch bessere Aufseher zu werden! Unsere guten Vorsätze sind allerdings nicht so flüchtig wie die, die Sie und ich üblicherweise jedes Jahr zu Silvester fassen. Wir nennen sie auch anders, nämlich „Aufsichtsschwerpunkte“. Die Schwerpunkte, die wir im neuen Jahr – basierend auf unserem gesetzlichen Auftrag – setzen, sind wieder maßgeblich getrieben von den Entwicklungen rund um die Unternehmen und Märkte, die wir beaufsichtigen. So wird es Sie nicht überraschen, dass wir uns 2020 – neben vielem Anderen – schwerpunktmäßig mit der fortschreitenden Digitalisierung, mit IT- und Cyberrisiken, mit der Bekämpfung von Finanzkriminalität, der Nachhaltigkeit von Geschäftsmodellen und Sustainable Finance beschäftigen wollen. Welche Schwerpunkte wir im Einzelnen planen, können Sie unserer Broschüre „Aufsichtsschwerpunkte 2020“ entnehmen, die wir heute Abend vorstellen. Uns ist wichtig, dass Öffentlichkeit und Beaufsichtigte wissen, was wir tun und welche Prioritäten wir setzen. Nächstes Jahr um diese Zeit können wir uns dann darüber unterhalten, was aus unseren guten Vorsätzen geworden ist.

Einen Schwerpunkt möchte ich herausgreifen: die Nachhaltigkeit von Geschäftsmodellen. Anhaltend niedrige Zinsen, nachlassende Konjunktur, neue digitale Konkurrenz – die Geschäftsmodelle deutscher Banken geraten zusehend in Bedrängnis. Wir werden uns daher sehr genau ansehen, wie die Banken ihre Ertragsschwäche angehen – und was sie tun wollen, um auf lange Sicht am Markt zu bestehen. Die Zeit drängt. Der Uhrzeiger rückt immer näher an die Fünf-vor-zwölf-Marke heran. Häuser, die es besonders schwer haben, beaufsichtigen wir bekanntlich besonders intensiv. Was allerdings nicht heißt, dass wir selbst das Ruder übernehmen oder, komme, was wolle, lebensverlängernde Maßnahmen ergreifen. Das ist nicht der Sinn von Aufsicht. Es kann also durchaus passieren, dass das eine oder andere Institut in den nächsten Jahren aus dem Markt ausscheidet. Schön ist so ein Abschied nie – aus vielen Gründen. Aber eine Katastrophe wäre er in einer Marktwirtschaft auch nicht.

Wie ist es um die Lebensversicherer und Pensionskassen bestellt? Die überraschungsfreie Antwort lautet: um manche von ihnen nicht gut. Die Lebensversicherer steuern seit geraumer Zeit gegen – einige durchaus mit Erfolg. Dennoch wird es für die Branche immer schwieriger, ihre Zinsversprechen am Kapitalmarkt zu erwirtschaften. Besonders schwer haben es die Pensionskassen. Sie haben fast nur lebenslange Renten im Portfolio – mit zum Teil hohen Garantien. Je höher die Risiken der einzelnen Versicherer und Pensionskassen sind, desto intensiver beaufsichtigen wir sie. Unternehmen, die besonders tief in der Zinsklemme stecken, müssen uns umso genauer darlegen, wie sie ihre Lage verbessern wollen und – besonders wichtig – wie sie dafür sorgen wollen, dass sie auch künftig die Versprechen erfüllen wollen, die sie ihren Kunden gegeben haben.

Meine Damen und Herren, den vierten Satz von Beethovens neunter Symphonie habe ich als junger Cellist besonders gerne gespielt. Wie sich der Komponist darin Schillers „Ode an die Freude“ zu eigen macht, hat mich schon damals sehr bewegt – und tut dies heute mehr denn je. Das Motiv „Freude schöner Götterfunken“ erklingt zunächst sehr zart. Mit jeder Wiederholung stimmen mehr Instrumente ein und lassen die Melodie kräftiger werden. Bis uns Beethoven die Lobpreisung der menschlichen Brüderlichkeit mit einer solchen Wucht um die Ohren haut, dass die Europäische Union gar nicht anders konnte, als die Ode an die Freude zu ihrer Hymne zu machen. Als integraler Bestandteil das große Ganze mitgestalten und zugleich als einzelner Spieler unersetzbar sein – so lässt sich auch die Rolle der BaFin im europäischen Aufsichtsorchester treffend charakterisieren.

Das Bundesverfassungsgericht hat im vergangenen Sommer in seinem Urteil zur Bankenunion andere Worte gefunden, die Botschaft ist aber die gleiche. Das Gericht hat dem Zuschnitt der Kompetenzen von SSM und SRM1, also von Aufsicht und Abwicklung, im Rahmen der europäischen Bankenunion seinen höchstrichterlichen Segen erteilt. Was ich sehr begrüße. Der Senat hat aber auch unterstrichen, dass die nationalen Behörden nach wie vor eigene Kompetenzen haben, dass sie aus eigener nationaler – und nicht bloß abgeleiteter – Souveränität agieren. Was ich ebenso begrüße. Diese Kalibrierung von Unionsrecht und nationalem Recht zeigt, wie sich europäische und nationale Aufsicht sinnstiftend ausbalancieren lassen. Ein interessantes Lehrstück – und mögliches Referenzgebiet für die Weiterentwicklung des Unionsrechts auch in anderen Bereichen.

Um die angemessene Balance von europäischer und nationaler Aufsicht ging es im Grunde auch beim Review der drei ESAs2 der drei europäischen Aufsichtsbehörden. Das Ergebnis deckt sich im Großen und Ganzen mit unseren Positionen. Anders als zunächst geplant, hat man der Versuchung widerstanden, alle drei ESAs zu aufsichtlich-regulatorischen Mischwesen aufzublasen. Was hohe bürokratische Kosten nach sich gezogen hätte – das aber nur am Rande. Stattdessen hat man die ESAs da gestärkt, wo sie – es lebe das Subsidiaritätsprinzip! – besser agieren können als nationale Behörden: also etwa bei der Förderung von Aufsichtskonvergenz und der Bewertung von Drittstaatenäquivalenz. Dieser Weg ist richtig!

Was ich für falsch hielte, wäre eine Übertragung der Geldwäscheaufsicht auf die EBA3. Um Geldwäschern das Handwerk legen zu können, werden wir nicht umhinkommen, mehr Geldwäscheaufsicht auf die europäische Ebene zu heben. Soviel ist sicher. Aber die ESAs sind – von begrenzten Ausnahmen abgesehen – eben keine Aufsichtsbehörden, auch wenn ihre Namen etwas anderes suggerieren. Die ESAs sind vor allem regulatorische Harmonisierer. Und es widerspricht dem Primat der Gewaltenteilung, normsetzende und normausführende Kompetenz in eine Hand zu legen. Auch die EZB ist im Gespräch. Die hat aber nur ein Mandat für die 19 Euro-Länder. Hinzu kommt, dass Geldwäschebekämpfung nicht nur ein Thema für Banken ist.

Eine separate neue europäische Behörde, mit den nationalen Behörden zu einem engen Netz verwoben, wäre aus meiner Sicht die beste Lösung, um Geldwäsche im Finanzsektor der EU – und eventuell darüber hinaus – wirksam zu bekämpfen. Was wir dazu auch brauchen: ein wirklich einheitliches europäisches materiellrechtliches Regime. Eine Verordnung, die unmittelbar wirksam würde, wäre mir da lieber als eine Richtlinie, die den Ländern Spielräume bei der Umsetzung lässt – oder gar nicht umgesetzt wird. Stellen Sie sich ein Orchester vor, in dem jede Stimme von einer anderen Partitur abspielt.

Mit dem anstehenden Brexit erleben wir seit einiger Zeit einen Prozess, der die europäische Einigung elementar herausfordert, meine Damen und Herren. Das Vereinigte Königreich wird die Europäische Union verlassen, was ich nach wie vor sehr bedaure. Das Unterhaus in London hat das Austrittsabkommen mit der EU bereits ratifiziert. Wenn nun auch das Oberhaus dem Abkommen zustimmt – und anschließend das EU-Parlament, greift die zugleich vereinbarte Übergangsregelung. Das Brexit-Steuerbegleitgesetz wäre damit hinfällig. Ebenso die darauf fußenden Übergangsmaßnahmen, die wir bei einem No-Deal-Brexit aus der Schublade hätten ziehen können. Das muss den betroffenen Unternehmen klar sein. Ich hoffe daher, dass unsere Appelle gehört werden, sich pünktlich für den Brexit zu rüsten – und die knappe Übergangsphase zu nutzen, um die erforderlichen Übertragungsarbeiten zu erledigen. Ob diese Frist noch einmal verlängert wird, steht derzeit in den Sternen.

Nach einem Jahrzehnt, das geprägt war von Krisenbewältigung und Re-Regulierung, stehen wir an einem Punkt, an dem es regulatorische und aufsichtliche Errungenschaften zu verteidigen gilt, die ich sicher gewähnt hatte. Das Prinzip der Risikoorientiertheit etwa, das eng verwandt ist mit dem der Proportionalität. Die Idee, dass Regulierung und Aufsicht sich am Risiko zu orientieren haben, hat sich bewährt. Nicht ohne Grund lassen wir uns bei der Wahl unserer Aufsichtsschwerpunkte von der Risikolage leiten und haben den Ehrgeiz, diese Art der aufsichtlichen Präzisionsarbeit immer weiter zu verbessern. Und doch gerät die Risikoorientiertheit offenbar immer wieder in Gefahr. Manchmal steckt politischer Lenkungswille dahinter. Stichwort „Nachhaltige Finanzwirtschaft“ – auch einer unserer Aufsichtsschwerpunkte für das neue Jahr. So wichtig Nachhaltigkeit allein mit Blick auf den Klimawandel für uns alle ist: Wer eine Investitionseuphorie entfacht, die blind macht für Risiken, wer grüne Investitionen und Kredite losgelöst von ihren Risiken pauschal privilegiert, etwa mit einem Bonus bei der Kapitalunterlegung, wer diesen Weg beschreitet, der wählt den Weg in die nächste Krise – und schadet der Nachhaltigkeit. Grün bedeutet mitnichten automatisch ein geringeres Risiko!

Wir haben uns in puncto Nachhaltigkeit an die Spitze der aufsichtlichen Bewegung gestellt, indem wir kurz vor Weihachten auf unserer Homepage (www.bafin.de) ein Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken veröffentlicht haben. Natürlich verlangt die Frage, wie mit Nachhaltigkeitsrisiken umzugehen ist, nach internationalen Antworten. Was nachhaltig ist und was nicht, legen wir nicht in einem deutschen Soloauftritt verbindlich fest. Das wird die EU unter anderem mit ihrer Taxonomie erledigen. Unser Ansinnen war ein anderes: Noch sind viele regulatorische Fragen offen. Wir als Aufsicht wollten schon jetzt lernen, mit diesen Fragen umzugehen. Und wir wollten erreichen, dass die Unternehmen, die wir beaufsichtigen, schon jetzt lernen, ihre Nachhaltigkeitsrisiken einzuschätzen und angemessen zu steuern. Und dass sie schon jetzt die Chancen dieser Entwicklung nutzen können.

Eben weil noch viele Fragen unbeantwortet sind, haben wir den Begriff „Nachhaltigkeit“ sehr weit definiert und unser Merkblatt als rechtlich nicht verbindlich angelegt. Vergleichbare Erwartungen wird aber die EU-Kommission in Bälde bei der EBA in Auftrag geben. Sehen Sie es so: Wir gehen mit gutem Beispiel voran. Weshalb wir auch gestern eine englische Version unseres Merkblatts veröffentlicht haben – gewissermaßen als Anregung für EBA, SSM und Co., aber auch für die globalen Standardsetzer. Ich hatte ja schon angedeutet, dass wir als BaFin den Anspruch haben mitzugestalten.

Auch bei der Umsetzung des letzten Teils von Basel III sorge ich mich um das Prinzip der Risikoorientiertheit. Ich erinnere mich noch genau: Vor gut zwei Jahren haben wir einander nach zahllosen Verhandlungen im GHOS, dem Lenkungsgremium des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht, ein Versprechen gegeben: Der Kompromiss zum Finalisierungspaket sollte überall auf der Erde umgesetzt werden – und zwar vollständig. Die regulatorischen Diskussionen der nächsten zwölf Monate werden um die zentrale Frage kreisen, wie dieser Kompromiss in hartes europäisches Recht zu übertragen ist. Sie werden sich ebenfalls erinnern: Wir haben seinerzeit den Outputfloor mitgetragen, der ein nichtrisikosensitives Instrument ist. Akzeptabel ist dieser Outputfloor allerdings nur als einer von mehreren aufsichtlichen Bausteinen, als ein Baustein, der die ungewollte Variabilität bei der Verwendung interner Modelle eindämmt. Als Ansatzpunkt für eine Abkehr von der risikoorientierten Aufsicht und eine Rückkehr in die Vor-Krisen-Methodik à la Basel I darf er dagegen nicht dienen. Auch diese regulatorische Weichenstellung wollen wir in unserem Sinne mitgestalten und für das Prinzip der Risikoorientiertheit eintreten. Das wäre dann ein weiterer guter Vorsatz für 2020.

Und nun hoffe ich, dass Ihre guten Vorsätze dem weiteren Verlauf des Abends nicht im Wege stehen. Wir haben heute den 16. Januar. Da ist man mit sich selbst ja nicht mehr so streng.

Fußnoten:

  1. 1 Einheitlicher Bankenaufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism – SSM) und Einheitlicher Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism – SRM)
  2. 2 European Supervisory Authorities
  3. 3 European Banking Authority

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