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Erscheinung:12.11.2019 | Thema Verbraucherschutz Verbraucherschutzforum

Begrüßungsrede von Felix Hufeld Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) am 12. November 2019 beim Verbraucherschutzforum der BaFin in Frankfurt am Main

Es gilt das gesprochene Wort!

Meine Damen und Herren,

ganz herzlich begrüße ich Sie zum 6. Verbraucherschutzforum der BaFin, bei dem wir uns vor allem mit der Frage beschäftigen, wie schutzbedürftig der Verbraucher heutzutage ist. Dabei spielen insbesondere Aspekte der Digitalisierung und der Nachhaltigkeit eine immer stärkere Rolle. Beide Themen sind derzeit heiß, und beide stehen heute Nachmittag auf dem Programm. Davor wird es aber erst einmal grundsätzlich. Dann werden ich über „Finanzielle(n) Verbraucherschutz heute und morgen“ sprechen – und zwar mit zwei Männern, die dazu eine dezidierte Meinung haben: Dr. Jörg Kukies, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, und Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands.

Lassen Sie mich einleitend die Frage beleuchten, warum sich die deutsche Finanzaufsicht derart intensiv mit Fragen des Verbraucherschutzes befasst. Ich könnte jetzt sagen: Weil es Teil unserer Zuständigkeit ist. Die kollektiven Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen, gehört seit vielen Jahren zu unserem Aufgabenspektrum. Seit 2015 ist der kollektive Verbraucherschutz sogar explizit mit Gesetzesrang als Aufsichtsziel der BaFin fixiert.

Ich könnte aber auch sagen: Weil der Schutz von Verbrauchern wichtig ist. Verbraucher verdienen besonderen Schutz, weil sie Anbietern und professionellen Investoren unterlegen sind. Sie haben nicht das gleiche Wissen, sie haben kein Heer von Juristen, die ihnen helfen, das Kleingedruckte zu dechiffrieren und Renditeversprechen zu bewerten. Wir nehmen den Verbraucherschutz sehr ernst – und zwar in der gesamten BaFin. Verbraucherschutz wird nämlich nicht nur in der Abteilung betrieben, die so etikettiert ist. Verbraucherschutz hat viele Facetten. Wir schützen Verbraucher nicht nur, indem wir Produkte verbieten oder Warnungen aussprechen. Wir schützen sie auch, indem wir dafür sorgen, dass es im Wertpapierhandel mit rechten Dingen zugeht, dass Anleger nicht aufgrund von Insiderhandel oder Marktmanipulation benachteiligt werden.

In der Versicherungsaufsicht ist der Schutz der Belange der Versicherten ein ganz alter Hut – und bildet seit über 100 Jahren geradezu das Mantra der versicherungsaufsichtlichen Tätigkeit und hat von seiner Aktualität nichts verloren.

Die Finanzindustrie ist schließlich auch deshalb eine regulierte Branche, damit sich die Menschen weniger Sorgen um ihr hart erarbeitetes und erspartes Geld machen müssen. Verbraucher müssen darauf vertrauen können, dass eine Bank ihre Einlagen zurückzahlen kann. Versicherte müssen sich darauf verlassen können, dass ihr Versicherer seine Zusagen einhalten kann – auch über eine lange Zeitspanne hinweg. Was passiert, wenn diese Sicherheit ins Wanken gerät, konnte man in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder erleben, zuletzt in der großen Finanzkrise 2007/2008.

Auch hierzulande haben Verbraucher schon am eigenen Leib erfahren müssen, wie eine Finanzkrise ihr wirtschaftliches Auskommen zerstören kann. Zum Beispiel, als Ende der 1920er Jahre, im Zuge der Weltwirtschaftskrise, eine der vier damaligen deutschen Großbanken, die Darmstädter und Nationalbank (Danatbank), in Turbulenzen geriet und schließlich ihre Schalter schließen musste. Es kam zum gefürchteten Bank-Run: Überall im Land bildeten sich vor den Banken lange Schlangen. Mit voller Wucht konfrontierte die Danat-Krise die Menschen mit der Erkenntnis, dass Finanzstabilität ein öffentliches Gut ist, das es zu schützen gilt – und zwar von einer unabhängigen staatlichen Instanz ohne eigene wirtschaftliche Interessen und auf Basis einer ausreichenden Regulierung.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen sollten wir nie vergessen, das klassische Solvenzaufsicht nicht nur dem Schutz der abstrakten Finanzstabilität dient, sondern in allererster Linie Millionen von Kunden – heute würden wir sagen: den Verbraucherinnen und Verbrauchern.

Seitdem hat sich die Finanzindustrie dynamisch fortentwickelt. Das Sparbuch von der Bankfiliale nebenan ist längst nicht mehr das Passepartout für alle Anleger, um nur ein Beispiel zu nennen. In einer immer komplexeren Finanzwelt muss auch der Schutz der Verbraucher ein entsprechendes Upgrade erfahren. In vielen Ländern hat die Politik in diesem Sinne reagiert und neue Vorgaben auf den Weg gebracht, auch in Deutschland und Europa. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind die Finanzmarktrichtlinie MiFID II und die Finanzmarktverordnung MiFIR.

Natürlich ist diese Entwicklung zu begrüßen. Auch im Verbraucherschutz hatten wir gewaltigen regulatorischen Nachholbedarf. Ich warne aber vor falschen Erwartungen. Es gibt einen Automatismus, wie wir ihn auch bei Anlegerskandalen am Grauen Kapitalmarkt immer wieder erleben. Schnell ruft dann alle Welt „feurio“ und fragt, warum der Verbraucherschutz versagt habe und die Finanzaufsicht nicht endlich mit der Faust auf den Tisch haue. Darauf gibt es zwei Antworten.

Zum ersten darf und sollte die Aufsicht in einem Rechtsstaat nur auf Basis klar definierter Ermächtigungsgrundlagen handeln. Liegen deren Voraussetzungen vor, handeln wir durchaus – und zwar energisch. Liegen sie nicht vor, kann keine staatliche Behörde den Mangel an rechtsstaatlicher Ermächtigung durch eigene subjektive Entscheidung ersetzen.

Zum anderen stoßen wir sehr grundsätzlich an Grenzen, was mit den Mitteln öffentlicher Finanzaufsicht zu leisten ist. Die Belastbarkeit von Geschäftsmodellen in der Realwirtschaft – sei es der Betrieb von Windrädern, Waldwirtschaften, Hühnerfarmen, Bienenvölkern und vieles mehr - kann und sollte nicht von einer Finanzaufsicht bewertet werden. Wer das verspricht, verspricht politisch mehr als administrativ jemals gehalten werden kann. So etwas dient niemandem, insbesondere nicht den Verbrauchern.

Ähnlich sieht es bei der Produktintervention aus. Die Politik hat uns zwar 2015 mit dem Kleinanlegerschutzgesetz dieses scharfe Schwert in die Hand gegeben. Das heißt aber nicht, dass die Anbieter des Grauen Marktes nun unter unserer laufenden Aufsicht stünden, sie tun es nicht. Auch hier gilt, dass wir nicht nach Lust und Laune aus der Hüfte schießen und ein Produktverbot raushauen können. Hinzu kommt: Nur in der Verkaufsphase eines Produkts ist es rechtlich möglich, das scharfe Schwert Produktintervention zu ziehen.

Danach hilft ein Produktverbot allenfalls für Folgeangebote. Dieses schmale Fenster ist angesichts hoher verfahrensrechtlicher Standards, die wir in Deutschland haben, nur schwer zu erreichen.

Meine Damen und Herren,

eines der berühmtesten letzten Worte, die so wohl nie gesprochen wurden, wird dem berühmtesten Sohn Frankfurts zugeschreiben: „Mehr Licht!“, soll Johann Wolfgang von Goethe gefordert haben, bevor er seine Augen für immer schloss. Mehr Licht und offene Augen empfehle ich bei der Beurteilung nachhaltiger beziehungsweise grüner Anlageformen. Mehr Licht durch erhöhte Transparenzanforderungen und industrieweite Standards, ist hoch willkommen und erforderlich. Offene Augen allerdings auch, denn „grün“ bedeutet keineswegs automatisch „risikofrei“. Natürlich verstehe ich den Impuls vieler Anleger, mit ihrer Investition etwas Gutes tun zu wollen. Philanthropische Motive sind aber das eine, Rentabilität und Sicherheit einer Geldanlage das andere. Verbraucher müssen auch bei grünen Anlageformen genau wissen, woran sie sind. Ein älterer Anleger sollte beispielsweise nie zu einer riskanten grünen Investition verführt werden, wenn er in Wahrheit bestmögliche Sicherheit für seine Altersvorsorge sucht.

Als Finanzaufseher muss ich daher Widerspruch einlegen, wenn das Schutzinteresse der Finanzstabilität oder von Verbrauchern hinter politischen Lenkungsinteressen zurücktreten soll. Etwa, wenn gefordert wird, grüne Anlageformen oder Investitionen aufsichtlich zu privilegieren. Wie viel Eigenkapital Banken und Versicherer für Kredite oder Investitionen hinterlegen müssen, darf einzig und allein von den Risiken der Vermögenswerte abhängen und nicht davon, ob wir Aufseher die Mittelverwendung ökologisch gut oder schlecht finden. Sonst legen wir sehenden Auges den Keim für die nächste Finanzkrise – und das wäre das Gegenteil von nachhaltiger Finanzwirtschaft.

Meine Damen und Herren,

auch der demographische Wandel fordert den Verbraucherschutz heraus. Wie sehr, ist mir Anfang Juni bei einer G-20-Tagung in Tokio noch einmal bewusst geworden: Japan hat eine der niedrigsten Geburtenraten weltweit, zugleich ist dort die Lebenserwartung besonders hoch. Die Japaner merken bereits, wie der demographische Wandel ihren Alltag deutlich verändert, auch in Finanzangelegenheiten. Deshalb treiben Politik und Unternehmen in Japan Lösungen voran, die es Hochbetagten erlauben, möglichst lange ihre Geldgeschäfte autonom zu regeln. Hierzulande müssen wir erst noch in die Gänge kommen

Es schadet nicht, wenn wir uns das eine oder andere von Japan abschauen, auch wenn wir die Ideen nicht 1:1 kopieren können. Fest steht, dass wir auch hier angemessene regulatorische Antworten finden müssen. Senioren müssen auch in Zeiten galoppierender Digitalisierung einen unverbauten Zugang zu Finanzdienstleistungen haben. Dazu gehören auch seniorengerechte Produkte. Deshalb informiert die BaFin schon heute ältere Menschen gezielt über Finanzthemen. All das ist aber nicht genug. Wenn wir wollen, dass Menschen auch künftig ihre Geldgeschäfte im hohen Alter selbstbestimmt abwickeln können, dann haben wir als Verbraucherschützer noch eine lange To-do-Liste abzuarbeiten. Ich denke, wir alle müssen in diese Themen mehr Zeit investieren.

Zwei zentrale Fragen, die bei alldem mitschwingen, lauten: Wie schützen wir Verbraucherinnen und Verbraucher am besten? Und wie viel Schutz brauchen Verbraucher überhaupt? Schützen wir Verbraucher am besten, indem wir sie in Watte packen? Indem wir alles, was mit Risiken verbunden ist, von ihnen fernhalten? Nein, denn dann kippt Schutz in Bevormundung. Zwei besonders wirksame Mittel des Verbraucherschutzes sind Transparenz und Aufklärung. Denn beides macht Verbraucher stark. Beides versetzt sie in die Lage, fundierte Entscheidungen zu treffen.

Das Verbraucherschutzpaket, auf das sich das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und das Bundesfinanzministerium im August geeinigt haben, hat genau diese Stoßrichtung: Das Paket soll für mehr Transparenz bei den Vermögensanlagen sorgen, damit Anleger am Kapitalmarkt selbstbestimmter entscheiden können, wie sie ihr Geld investieren können. Der Gesetzgeber will Verbraucher also nicht aus der Verantwortung entlassen. Er will ihre Entscheidungsmöglichkeiten verbessern: durch mehr Transparenz, wie gesagt, und durch eine umfangreichere Aufklärung.

Stichwort „Verbraucheraufklärung“: Die BaFin hat auf diesem Gebiet bereits einiges auf den Weg gebracht. Regelmäßig veröffentlichen wir auf unserer Homepage und im BaFinJournal Warnungen und informieren über aktuelle verbraucherrelevante Themen. Wir publizieren auch immer wieder Broschüren zu verschiedenen Aspekten des Anlegerschutzes und stehen Bürgerinnen und Bürgern am Telefon, per Mail, per Brief und bei Messen und Börsentagen Rede und Antwort.

Auch interaktiv sind wir unterwegs: zum Beispiel bei den digitalen Stammtischen, bei denen neben der Bundesarbeitsgemeinsachft der Seniorenorganisationen (BaGSO) auch Expertinnen und Experten der BaFin vor allem ältere Verbraucher informieren und Fragen beantworten.
Es freut mich, dass die Bundesregierung unser bisheriges Engagement in der Verbraucheraufklärung in dem Paket würdigt und uns ermöglichen will, noch mehr auf diesem Gebiet zu leisten.

Meine Damen und Herren,

Sie kennen sicher den Spruch: „‘Gut gemeint‘ ist nicht dasselbe wie ‚gut gemacht‘“. Genau dieser Eindruck drängt sich mir hin und wieder auch im Verbraucherschutz auf. So werden gelegentlich Vorgaben formuliert, die derart komplex sind, dass sie die flächendeckende und rechtssichere Versorgung mit Finanzprodukten zumindest in Teilen gefährden könnten. Ich meine damit nicht einmal eine einzelne Richtlinie im Speziellen.

Es ist eher die Vielzahl einzelner Vorgaben, deren kumulative Wirkung mir Sorgen bereitet.

Ein Beispiel ist das quartalsweise Depot Reporting, das mit der Finanzmarktrichtlinie MIFID II verpflichtend wurde und das bei einigen Bankkunden Befremden auslöst. Viele Verbraucher fühlen sich von der Fülle der Informationen erschlagen, während Finanzunternehmen den Mehraufwand kritisieren. Anleger mit Langfristperspektive wiederum sagen, dass sie die ständig eintreffenden Informationen über kurzfristige Wertschwankungen im Grunde nur unnötig verwirrten.

Aktuell sorgt auch die Zahlungsdiensterichtlinie PSD II für Unmut, konkret die Zwei-Faktor-Kundenidentifizierung bei Online-Bankgeschäften. Viele Verbraucher halten die neuen Sicherheitsvorkehrungen für so kompliziert, dass sie möglicherweise weniger Bankgeschäfte online abwickeln werden. Ein klassischer Konflikt zwischen den gleichermaßen legitimen Zielen, es den Kunden leicht und bequem, zugleich aber auch sicher zu machen.

Sie sehen: Es ist gar nicht so leicht, Verbrauchern genau den Schutz angedeihen zu lassen, den sie brauchen – und wünschen. Das mag auch daran liegen, dass es den Verbraucher gar nicht gibt.

Ich freue mich auf die vielen Anregungen, die wir heute erhalten werden. Wir haben Verbraucherschützer an Bord – und nicht nur solche aus der BaFin –, wir haben die Politik dabei und die Finanzindustrie. Eines ist jetzt schon sicher: Wir werden angeregt diskutieren. Ich freue mich auf ein spannendes Verbraucherschutzforum.

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