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Porträtaufnahme von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht. © Bernd Roselieb

Erscheinung:06.11.2019 Regulierung und Aufsicht im Niedrigzinsumfeld

Vortrag von Dr. Frank Grund Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beim Handelsblatt Insurance Summit am 5. November 2019 in München

Es gilt das gesprochene Wort!

Meine Damen und Herren, nur die größten Sportfans unter Ihnen werden Witali Petrow kennen. Der russische Rennfahrer musste Gerüchten zufolge vor der Formel-1-Saison 2010 satte 15 Millionen Euro für sein Cockpit bezahlen.1

Für seine Arbeit bezahlen zu müssen statt bezahlt zu werden: Das nennt man wohl verkehrte Welt.

„Negativer Lohn“ ist kein geläufiger Begriff. Negative Zinsen gehen schon deutlich leichter von den Lippen, obwohl sich auch hier die Gesetzmäßigkeiten umdrehen: Sparer und Investoren erhalten keine Zinsen, nein, sie zahlen drauf.

Negativzinsen sind Realität – für Banken, wenn sie Gelder bei der Europäischen Zentralbank deponieren, und für Unternehmen, wenn ihre Bank Negativzinsen auf Einlagen erhebt.2 Und auch die positiven Zinsen, die sich zwischen Anbietern und Nachfragern auf dem Kapitalmarkt bilden, sind in diesen Zeiten historisch niedrig.

Die jüngste Zinssenkung der Europäischen Zentralbank hat das Niedrigzinsumfeld manifestiert und die Lage von Versicherungsunternehmen – insbesondere Lebensversicherern und Pensionskassen – damit noch einmal verschärft. Denn je länger die Niedrigzinsphase anhält, desto länger müssen die betroffenen Unternehmen durchhalten.

Bei der Kapitalanlage geht es Lebensversicherern und Pensionskassen um Sicherheit und Rendite. Dass die Staatsanleihen stabiler Staaten keine nennenswerten Zinsen mehr bringen, stellt langfristig denkende Investoren vor große Probleme. Schließlich sind die potenziell renditestärkeren Alternativen wie Aktien auch mit entsprechend höherem Risiko behaftet.

Bei Lebensversicherern ist es ja so: Sie müssen langfristigen Verbindlichkeiten langfristige Schuldtitel gegenüberstellen und das führt sie tendenziell wieder zu den Staatsanleihen. Lebensversicherer und Pensionskassen können Staatsanleihen in der Realität nicht gänzlich vermeiden – Nullrendite hin oder her.

Da es für Lebensversicherer und Pensionskassen immer schwieriger wird, die Zinsversprechen, die sie ihren Kunden gegeben haben, am Kapitalmarkt zu erwirtschaften, sind mittlerweile ihre Geschäftsmodelle und ihr Beitrag zur kapitalgedeckten Altersversorgung in Deutschland gefährdet.

Das ist die Lage, von der wir als Aufsicht annehmen, dass sie noch eine Weile fortbesteht. Darüber zu klagen, ist menschlich und verständlich, aber es hilft ja nichts: Da die Umstände so sind, muss es darum gehen, wie Regulierung, Industrie und Aufsicht damit umgehen.

Schauen wir – nur ganz kurz – auf den Gesetzgeber. Er hat im vergangenen Jahr die Deckungsrückstellungsverordnung angepasst. Die Zinszusatzreserve wächst seitdem deutlich langsamer als ursprünglich vorgesehen. Diese Nachjustierung verhindert, dass die Unternehmen unangemessen belastet werden.

Die Rekalibrierung der Zinszusatzreserve löst aber natürlich keine ökonomischen Probleme.

Auch die Unternehmen haben gehandelt. Viele Lebensversicherer haben zum Beispiel ihre Verwaltungskosten gesenkt, die Eigenmittel gestärkt und die Überschussbeteiligung reduziert.

Außerdem haben sie Produkte mit flexibleren Formen von Zinsgarantien entwickelt. Der Markt nimmt es an: Nach unserer Einschätzung wird 2020 der weitaus überwiegende Anteil des Neugeschäfts aus Produkten mit flexibleren Zinsgarantien kommen. Klassische aufgeschobene Rentenversicherungen und kapitalbildende Lebensversicherungen machen dann voraussichtlich keine 15 Prozent des Neugeschäfts mehr aus.

Machen wir uns dennoch nichts vor: Das Neugeschäft hilft den Lebensversicherungsunternehmen nur sehr langfristig. Sie sitzen nach wie vor auf einem erheblichen Bestand an Versicherungsverträgen mit einem hohen Garantiezins.

Der durchschnittliche tarifliche Garantiezins der deutschen Lebensversicherer betrug Ende 2018 noch 2,83 Prozent. Die Rekalibrierung der Zinszusatzreserve zeigte sich zum gleichen Stichtag darin, dass der durchschnittliche bilanzielle Garantiezins bei 1,94 Prozent lag. Aber auch das liegt noch deutlich über den Garantiezinssätzen aus jüngeren Tarifgenerationen.

Da schließen manche Unternehmen das Buch: Wenn sich ein Versicherungskonzern dafür entscheidet, seine Lebensversicherungstochter an einen Abwicklungsspezialisten zu verkaufen, schauen wir uns genau an, ob der Erwerber finanziell und organisatorisch in der Lage ist, die Belange der Kunden zu wahren. Das gilt übrigens auch für Bestandsübertragungen. Von beiden Varianten des externen Run-Offs zeichnen sich aber derzeit keine neuen Fälle ab.

Auch als Investoren haben die Unternehmen umgedacht; inzwischen diversifizieren sie ihre Kapitalanlagen stärker. Wir haben zum Beispiel beobachtet, dass einige Versicherer Realwerte höher gewichten.

Festverzinsliche Anlagen bleiben aber die mit Abstand wichtigste Anlageklasse. Innerhalb dieser Kategorie greifen Versicherer je nach Risikoneigung auf Alternativen wie Private Debt zurück.

Bei angemessenem Risikomanagement ist das aus unserer Sicht in Ordnung. Nach unserer heutigen Einschätzung gibt es keine branchenweiten Fehlentwicklungen, was uns selbstverständlich nicht davon abhält, uns die Kapitalanlage einzelner Unternehmen bei Bedarf genauer anzuschauen.

Spätestens jetzt sind wir bei der Frage: Was macht die BaFin? Unser wichtigstes proaktives Instrument in der Niedrigzinsphase ist die intensivierte Aufsicht. Darunter können sowohl Lebensversicherer als auch Pensionskassen fallen, die der Spagat zwischen Marktzinsen und Garantieversprechen besonders herausfordert.

Ziel der intensivierten Aufsicht ist es, rechtzeitig zu intervenieren und zu korrigieren, wenn ein Unternehmen die Verpflichtungen gegenüber seinen Kunden möglicherweise bald nicht mehr erfüllen kann.

Wir unterscheiden zwischen Lebensversicherern und Pensionskassen und innerhalb der Gruppe der Lebensversicherer in „intensivierte Aufsicht nach HGB“ und „intensivierte Aufsicht nach Solvency II“. Das klingt komplizierter, als es ist. Man kann es verstehen – Sie werden sehen.

Die intensivierte Aufsicht nach HGB betrifft Lebensversicherer, bei denen die jährliche Prognoserechnung darauf hindeutet, dass sie mittel- bis langfristig in finanzielle Schwierigkeiten mit ihren HGB-Bilanzen kommen können.

Der intensivierten Aufsicht nach Solvency II unterfallen Lebensversicherer hingegen dann, wenn sie die Eigenmittelanforderungen des europäischen Solvenzregimes aktuell nicht erfüllen oder das nur dank der Übergangsmaßnahmen nach Solvency II schaffen.

Wie wenig unsere intensivierte Aufsicht mit einem One-size-fits-all-Ansatz zu tun hat, sehen Sie auch daran, dass wir mit zwei Intensitätsstufen arbeiten.

Bei Lebensversicherern unter intensivierter Aufsicht nach HGB, Stufe 1, muss uns der Vorstand halbjährlich einen Sachstandsbericht einreichen, aus dem hervorgeht, ob die bestehenden Verpflichtungen mit den bereits ergriffenen oder geplanten Maßnahmen finanzierbar sind.

Wiederum Lebensversicherer, HGB, diesmal Stufe 2: In diesem schwereren Fall sollen sich Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfer in einer Stellungnahme zum Sachstandsbericht des Vorstands äußern.

Bei Lebensversicherern, die wir nach Solvency II intensiviert beaufsichtigen, verlangen wir bei Bedarf bereits auf der ersten Stufe eine Stellungnahme des Aufsichtsrats bzw. Wirtschaftsprüfers zu den Vorstands-Dokumenten. Welche sind das? Ein Maßnahmenplan sowie jährliche Fortschrittsberichte.

Auf Stufe 2 müssen Solvency-II-Lebensversicherer unter intensivierter Aufsicht einen Finanzierungs- und Sanierungsplan vorlegen, zusätzliche Berichtspflichten wahrnehmen und mit weiteren Aufsichtsgesprächen, Aufsichtsbesuchen und örtlichen Prüfungen rechnen.

Ich fasse zusammen: Es geht darum, dass das Unternehmen in einer Schwächephase konkrete Gegenmaßnahmen erarbeitet, die nicht nur auf dem Papier bestehen, sondern umgesetzt und von uns kontrolliert werden können. Mit der intensivierten Aufsicht leisten wir unseren Beitrag dazu, dass die Unternehmen alles erdenklich Mögliche tun, um ihre wirtschaftliche Situation in den Griff zu bekommen.

Schauen wir uns nun die Pensionskassen an – um genauer zu sein, sind das 135 Anbieter unter unserer Aufsicht. Davon betreiben 40 kein Neugeschäft mehr.

Die Maßnahmen, mit denen Lebensversicherer der Niedrigzinsphase entgegenwirken, habe ich eben schon erwähnt. Sie lauten spiegelbildlich bei den Pensionskassen:

  • Verstärkungen der Deckungsrückstellung zur Absenkung des Rechnungszinses,
  • Reduzierung der Überschussbeteiligung,
  • Absenkung der Verrentungsfaktoren für künftige Beiträge,
  • Schließung offener Tarife mit hohen Rechnungszinssätzen,
  • Änderung der Kapitalanlagepolitik,
  • Kostenreduzierungen,
  • Minderzuführungen zu und Entnahmen aus der Rückstellung für Beitragsrückerstattung.

Wir Aufseher ermutigen die Kassen weiterhin, ihre Aktionäre bzw. Trägerunternehmen aufzufordern, zusätzliche Mittel bereitzustellen.

Um als Aufsicht risikoadäquat zu handeln, unterteilen wir die Pensionskassen in Risikoklassen.

Bei Pensionskassen unter intensivierter Aufsicht gehen wir grundsätzlich vor wie bei Lebensversicherern, d.h. wir verlangen Berichte über die ergriffenen Maßnahmen und zusätzliche Stellungnahmen von Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfer. Außerdem intensivieren wir die Aufsichtsgespräche.

Die Besonderheiten von Pensionskassen berücksichtigen wir insofern, als wir natürlich auch über die Einbeziehung von Trägerunternehmen bzw. Aktionären sprechen und die Möglichkeit von Leistungskürzungen diskutieren.

Meine Damen und Herren: Ein dauerhaftes Zinshoch liegt wohl in der etwas ferneren Zukunft. Zum Abschluss meiner Rede möchte ich Sie auf vier Daten aus der näheren Zukunft hinweisen.

Zum 30. September 2019 schauen wir uns wieder an, wie sich das Niedrigzinsniveau mittel- und langfristig auf die Lebensversicherer und Pensionskassen auswirkt.

Für die Prognoserechnung wird zum Beispiel ein Kapitalmarktszenario von nur noch 0,5 Prozent Wiederanlagezins angenommen. Ich habe bereits erwähnt, dass eine Prognoserechnung darüber entscheiden kann, ob wir ein Unternehmen in die intensivierte Aufsicht nehmen.

Im Dezember berichtet EIOPA über die Ergebnisse ihres Stresstests von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung – der EbAV. Aus Deutschland nehmen ausgewählte Pensionskassen und Pensionsfonds daran teil. Der Test erfolgt hierzulande einerseits auf der Grundlage von HGB-Bilanzen und andererseits auf der Grundlage einer von EIOPA entwickelten europaweit einheitlichen, markt-konsistenten Bewertungsmethodik.

Er soll zeigen, wie es sich auf die EbAV und die Unternehmen, die sie finanzieren, auswirkt, wenn die Marktwerte der Kapitalanlagen fallen, während die risikolosen Zinssätze steigen. Höhere Zinsen senken in der markt-konsistenten Bewertungsmethodik den Wert der Verpflichtungen der EbAV gegenüber ihren Kunden.

Stress entsteht aber dadurch, dass die Marktwerte der Kapitalanlagen im Szenario stärker zurückgehen als der Wert der Verpflichtungen der EbAV.

Anfang des kommenden Jahres möchten wir unser Aufsichtsprogramm 2020 vorlegen. Der Umgang mit dem Niedrigzinsumfeld bei Lebensversicherern und Pensionskassen bleibt natürlich weiterhin ein Schwerpunkt. Ebenso die Kapitalanlage in Zeiten niedriger Zinsen und der Solvency-II-Review.

Was mich zum vierten und letzten Datum führt: Zum 30. Juni 2020 legt EIOPA der EU-Kommission technische Empfehlungen zur Überarbeitung von Solvency II vor. Als EIOPA-Mitglied achten wir unter anderem darauf, dass die Bedürfnisse für langfristige Garantien der Lebensversicherer gewahrt werden. Es geht uns dabei um eine sachgerechte Kapitalanforderung für Unternehmen mit stark illiquiden Verpflichtungen.

Wir werden darauf achten, dass man aus Angst vor langfristigen Sorgen keine kurzfristigen Probleme schafft.

Ob dieser Drahtseilakt zwischen ökonomisch richtiger Abbildung der Risiken und zu großer Belastung der Unternehmen ausbalancierbar ist, werden wir uns in einem Testlauf im März 2020 genau anschauen. Wir sollten dann möglichst mit den Daten zum 31. Dezember 2019 rechnen.

Meine Damen und Herren: Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf Ihre Fragen.

Fußnoten:

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