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Porträtaufnahme von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht. © Bernd Roselieb

Erscheinung:11.09.2019 Aktuelle Fragen der Versicherungsaufsicht

Grußwort von Dr. Frank Grund Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beim Zukunftsforum Assekuranz am 10. September 2019 in Köln

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Informationstechnik wird in unserer heutigen Zeit und Branche immer bedeutsamer. Das sehen Sie am Programmheft dieses Zukunftsforums Assekuranz, das vor Begriffen wie KI, Big Data, Data Analytics, Blockchain, Chatbots & Co. nur so strotzt. Und das sehen Sie auch am Arbeitgeber meines Vorredners Prof. Müller-Peters, der Fachhochschule Köln, die seit geraumer Zeit so eben nicht mehr heißt, sondern Technische Hochschule Köln.

Mir gefällt, wie nüchtern die Definition von Informationstechnik sagt, worum es geht: Um die Verarbeitung von Informationen und Daten. Daraus folgen auch aufsichtliche Fragen. Einige davon will ich heute aufgreifen, bevor ich später dann zur Regulatorik komme.

Wir von der BaFin sind technologieneutral. Sie werden nicht erleben, dass ich über eine Tech-Veranstaltung flaniere und Software, die irgendwie nach meinem Geschmack ist, ein Prüfsiegel verleihe. „Certified by BaFin“ gibt es nicht.

Wir haben auch früher keine Lochkarten, Schreibmaschinen oder Festnetztelefone kontrolliert, also die analogen Mittel zum Zweck, bevor das Internet vieles auf den Kopf stellte.

Aber natürlich – lassen Sie mich das ganz klar sagen – schauen wir uns die Technologien am Markt an. Denn als Inhaber eines Mandats zum Schutz der kollektiven Verbraucherinteressen und als Behörde, die sich um die Belange von Versicherungsnehmern und Begünstigten kümmert, müssen wir wissen, wie die Unternehmen ihre Geschäftsmodelle weiterentwickeln und mit welchen Neuerungen die Kunden konfrontiert sind.

Ein einfaches Beispiel sind die Telematiktarife – kennen Sie alle: Eine App misst die Fahrweise des Kunden, erkennt dadurch vorsichtigere und offensivere Fahrer, und bepreist beide Ausprägungen risikogerecht.
Die Preisgestaltung ist Sache des Unternehmens. Wir als Aufseher legen aber Wert darauf, dass die Prämien dem Risiko entsprechen.

Telematiktarife sind eine sensible Sache, wenn Sie etwa an den Datenschutz denken. Deshalb ist es gut, dass die Unternehmen ihre Produkte üblicherweise mit uns abstimmen, bevor sie sie einführen. Und das erwarten wir auch.

Unsere Technologieneutralität macht uns natürlich nicht blind. Obwohl wir keine Datenschutzbehörde sind, würden wir eine missbräuchliche und rechtswidrige Verwendung von Daten aus einem Telematikvertrag klar benennen und angehen. Es darf zum Beispiel nicht sein, dass Unternehmen Daten verwenden, um ihre Kunden direkt oder indirekt aufgrund der personenbezogenen Merkmale zu diskriminieren, die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt.

Besonders genau schauen wir uns Plattformen an, die etwas anders funktionieren als traditionelles Versicherungsgeschäft. Nennen Sie es Peer-to-Peer oder Versicherung unter Freunden: Jedenfalls schauen wir uns genau an, ob die Rolle, die jemand in einem Kollektiv übernimmt, eine genehmigungspflichtige Tätigkeit als Versicherungsunternehmen darstellt.

Da bin ich also nun schon bei den handelnden Unternehmen angekommen: Ich bin kein großer Freund davon, Firmen in Incumbents auf der einen Seite und Insurtechs auf der anderen Seite einzuteilen. Das birgt die Gefahr, das Eine mit alt, angestaubt und unbeweglich zu übersetzen, das Andere aber mit jung, dynamisch und modern. Auch ein etablierter Versicherer kann sich zum Insurtech entwickeln, wenn er innovative Anwendungen in sein Geschäft implementiert. Daher finde ich es präziser, von Insurtech-Start-ups und etablierten Versicherern zu sprechen.

Als Versicherungsaufseher brauche ich aber auch diese Schubladen nicht. Wenn ich gefragt werde, ob mir Insurtech-Start-ups oder etablierte Versicherer lieber sind, kann ich nur mit dem Kopf schütteln. So muss sich der Fußballtrainer Otto Rehhagel nach einer Journalistenfrage zur Altersstruktur seiner Mannschaft gefühlt haben, auf die er sagte: „Es gibt keine jungen und alten Spieler, nur gute und schlechte.“

Mir hat jedenfalls noch niemand gezeigt, wo es steht, dass wir von der BaFin etablierte Versicherer vor Insurtech-Start-ups schützen oder Insurtech-Start-ups mit Samthandschuhen anfassen müssen.

Statistisch betrachtet sind die jungen Unternehmen im Markt noch unterrepräsentiert. Mehr als 500 etablierten Versicherern1 stehen bis heute gerade einmal fünf Insurtech-Start-ups mit Versicherungslizenz gegenüber.

Globale Technologieriesen aus dem Silicon Valley haben sich in Deutschland noch nicht um eine Genehmigung als Versicherer beworben. Aber auch sie sind prinzipiell nicht ausgeschlossen. Momentan scheinen sich die Bigtechs aber darauf zu konzentrieren, Versicherern Dienstleistungen wie Cloud-Services anzubieten.

Auch das Verhältnis zwischen Insurtech-Start-ups und etablierten Versicherern ist stärker von Kooperation geprägt als von einem ungleichen Wettkampf „5 gegen 500“.

Ich habe nun große und kleine, alte und junge, inländische und ausländische Unternehmen erwähnt. Für uns sind allerdings nicht Alter, Name, Größe und Herkunft relevant, sondern das jeweilige Risiko, das mit der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens einhergeht. Sie alle kennen das als Proportionalität.

Wenn die Aufsicht nicht uns, sondern einem EU-Partnerland obliegt, dann suchen wir den intensiven Austausch mit dieser Sitzlandaufsicht.

Versicherungsschutz außerhalb des angestammten Marktes zu erbringen war übrigens noch nie so leicht und noch nie so verbreitet wie im heutigen Zeitalter der Digitalisierung.

Bei Versicherern aus Drittstaaten außerhalb der EU ist es so, dass wir als BaFin immer die Aufsicht über Auslandstöchter und Niederlassungen in Deutschland behalten. Das bleibt natürlich auch so, wenn der Versicherungsschutz dereinst im Silicon Valley konfiguriert werden sollte.

Mein zweites aufsichtliches Thema ist die Niedrigzinsphase. Zum 30. Juni hat die Zinskurve ihren historischen Tiefstand erreicht.

Dass sie nicht einfach auf ein Ende der Niedrigzinsphase warten können, haben Lebensversicherer und Pensionskassen längst verstanden.

Sie haben reagiert: In Altverträgen haben sie die Überschussbeteiligung reduziert; neue Produkte verzinsen sie flexibler. Wir haben auch beobachtet, dass die Unternehmen ihre Eigenmittel gestärkt haben.

Der Gesetzgeber hat im vergangenen Jahr ebenfalls reagiert und die Deckungsrückstellungsverordnung angepasst. Die Zinszusatzreserve wächst nun deutlich langsamer als ursprünglich vorgesehen, was verhindert, dass die Unternehmen unangemessen belastet werden.

Neben Industrie und Gesetzgeber ist auch die Aufsicht aktiv. Wir als BaFin unterziehen bekanntlich Pensionskassen und Lebensversicherer dann einer intensivierten Aufsicht, wenn bei diesen Unternehmen bereits ergriffene Maßnahmen möglicherweise nicht ausreichen, um die vollen Leistungen dauerhaft zu erbringen.

Intensivierte Aufsicht bedeutet für die betroffenen Unternehmen insbesondere zusätzliche Berichtspflichten und Gespräche mit uns Aufsehern. Darin geht es auch um die Sanierungspläne der Unternehmen, also ihre eigene Einschätzung, wie sie die Niedrigzinsphase überstehen können. Bei Pensionskassen in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit kann das eine Kürzung der Pensionsleistungen auf Basis der Sanierungsklausel umfassen. Es ist auch schon vorgekommen, dass wir das Neugeschäft untersagt haben.

Erst vor wenigen Wochen haben wir angekündigt, die Privilegierung von Nachrangdarlehengläubigern gegenüber den Begünstigten aus Versicherungsverträgen nicht weiter zu tolerieren.2

Nachrangdarlehengläubiger haben bislang oft von Vertragsbedingungen profitiert, wonach sie regelmäßig erst im Insolvenzfall in Anspruch genommen werden konnten.

Die Begünstigten aus den Versicherungsverträgen müssen aufsichtlich angeordnete Leistungskürzungen aber schon vor Eintritt der Insolvenz tragen, weil wir dadurch genau diese Insolvenz abwenden möchten.

Mit unserem gesetzlichen Auftrag, die Belange der Begünstigten zu schützen, ist das nicht vereinbar. Deshalb erwarten wir, dass auch die Gläubiger von Nachrangdarlehen sowohl bei Lebensversicherern als auch bei Pensionskassen früher in Anspruch genommen werden, spätestens dann, wenn wir als BaFin eine Leistungskürzung anordnen.

Trotz allem treffe ich nach wie vor eine verhältnismäßig optimistische Aussage: Den deutschen Unternehmen geht es im internationalen Quervergleich gut. Die meisten Pensionskassen und Lebensversicherer beherrschen ihr Kerngeschäft und werden die Niedrigzinsphase überstehen.

Am 29. Oktober werden wir die Themen der Altersversorgung auch bei unserer Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht in Bonn diskutieren. Ich hoffe natürlich, dass wir uns dort sehen.

Bis hierhin habe ich über zwei aufsichtliche Themen gesprochen. Lassen Sie mich nun zur Regulatorik übergehen. Wir sind zwar nicht der Regulierer, wirken als Aufsicht aber an regulatorischen Änderungen mit und haben eine Haltung zu den Dingen, die sich am Horizont abzeichnen.

Daher eine kurze Tour d’Horizon durch die aktuellen Themen: Beim Solvency-II-Review kommen das Berichtswesen, die Proportionalität und die Kapitalanforderungen in den Blick.

Wir wollen, dass qualitative Berichte wie der SFCR adressatengerechter werden, wir wollen Erleichterungen für bestimmte Versicherer, was die quantitativen Berichtspflichten angeht. Wir wollen den Proportionalitätsgedanken stärken. Und wir wollen, dass die Standardformel auch negative Zinsen berücksichtigen kann, und dass die Voraussetzungen für langfristige Garantien der Lebensversicherer gewahrt werden.

Fünfmal BaFin-Wunschkonzert. Aber Sie wissen, dass wir europaweit verhandeln müssen, bevor EIOPA dann am 30. Juni 2020 auf den Call for Advice der EU-Kommission antwortet.

Zurück nach Deutschland: Wir stellen uns darauf ein, dass der gesetzliche Provisionsdeckel kommt. Auch die Versicherungsgesellschaften, die über Vermittler Restschuld- und Lebensversicherungen verkaufen, müssen sich auf diesen Fall vorbereiten. Und falls der Deckel nicht per Gesetz kommen sollte, stellt sich für uns natürlich die Frage, wie wir mit dem schon jetzt bestehenden Verbot von Fehlanreizen nach § 48a Versicherungsaufsichtsgesetz umgehen.

Meine Damen und Herren: Sicher haben Sie gestern oder auch heute Morgen schon über das Wetter geplaudert. Dass es im Urlaub warm war oder vielleicht auch verregnet. Das, was Sie da gemacht haben, war Small-Talk. Es war keine Klimadiskussion.

Wenn wir zwei Dinge gelernt haben, dann die: Wetter ist nicht Klima und der Klimawandel ist menschengemacht. Und als Brancheninsider sollten wir dann noch wissen, dass es schwierig wird, eine Welt zu versichern, die sich um mehrere Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit erwärmt.

Leider verwenden wir oft noch zu viel Zeit auf diese Basics. Ich will lieber darüber sprechen, welchen Beitrag die Versicherungswirtschaft zum Klima- und Umweltschutz leisten kann – und das ist meiner Meinung nach eine ganze Menge.

Versicherer sind die ersten Ansprechpartner für die Realwirtschaft, wenn es darum geht, Gefahren, die mit dem Klimawandel in Verbindung stehen, finanziell abzusichern. Damit sind sie für die Gesellschaft von essentieller Bedeutung und haben wichtige Einflussmöglichkeiten.

Bei Vertragsabschlüssen analysieren sie zum Beispiel, welche Sicherungsmaßnahmen potenzielle Schäden mindern oder verhindern können und fordern – falls notwendig – konkretes Handeln ein.

Versicherer haben an dieser Schaltstelle große Einflussmöglichkeiten. Sie sollten sie umfassend nutzen – einerseits, um ihre gesellschaftliche Verantwortung aktiv wahrzunehmen und andererseits, um Versicherungsgeschäft auch langfristig und profitabel betreiben zu können.

Diese Kernkompetenz ist ihre Chance, um sich im gesellschaftlichen Diskurs zu profilieren, und ein Pfund, mit dem die Branche wuchern sollte.

Der Versicherungswirtschaft kommt aber noch eine weitere wesentliche Rolle zu. Als Finanzier und Investor soll sie bei der Transformation der Wirtschaft in ein nachhaltiges System helfen – allerdings kann niemand sagen, was genau nachhaltig ist. Ende 2019 wird eine erste Positionierung im Rahmen einer europäischen Taxonomie erwartet, die nachhaltige Investitionen klassifizieren soll.

Eigentlich ist die Versicherungswirtschaft der geborene Definitionsgeber für Nachhaltigkeit, denn Versicherer müssen per sé nachhaltig handeln. Sie haben grundsätzlich ein hohes Eigeninteresse an einer wertbeständigen und langfristigen Kapitalanlage. Wenn das nicht nachhaltig ist.

Die Aspekte Wertbeständigkeit und Langfristigkeit sollten im Rahmen der europäischen Initiativen mehr als mitschwingen, denn eine rein grüne Lesart wäre zu kurz gesprungen.

Lassen Sie mich Ihnen ein reales Beispiel nennen und zwar das eines Indexfonds auf Solaranlagen, der wohl unbestritten als grün und nachhaltig gelten darf. Er wurde 2005 aufgelegt und hat seinen Wert seither halbiert.

Vergleicht man die Kurse auf dem Höhepunkt des Solarbooms 2007/2008 mit heute, dann ergibt sich sogar eine Kapitalvernichtung in Höhe von 90 Prozent.

Das zugegebenermaßen krasse Beispiel zeigt: Eine Kapitalanlage, die zweifellos grün ist, kann privaten und institutionellen Anlegern wirtschaftliche Verluste bringen.

Daher darf die Standardformel, mit der Solvency-II-Versicherer risikobasiert kalkulieren, mit wie viel Kapital sie einen möglichen Ausfall ihrer Kapitalanlagen unterlegen müssen, nicht sachfremd verändert werden.

Wer an einem differenzierten Blick auf nachhaltige Finanzwirtschaft interessiert ist, dem empfehle ich unsere aktuelle Ausgabe der BaFin-Perspektiven, die zu unserer Konferenz über „Nachhaltige Finanzwirtschaft“ im Berliner Umweltforum im Mai herausgekommen ist.

Wir arbeiten derzeit an einem Merkblatt, um Finanzunternehmen wie Versicherern Hinweise zu geben, wie sie sich in ihrer Geschäftsorganisation gezielt mit der Thematik auseinandersetzen können.

Im Merkblatt werden wir auch unsere Erwartungen skizzieren. Es wird gegen Jahresende erscheinen.

Mein letztes Thema am heutigen Tag ist der Brexit. Im Gegensatz zu Großbritannien und der EU kann ich also heute mit dem Brexit abschließen.

Aber Spaß bei Seite: Am 31. Oktober 2019 soll es so weit sein und das Vereinigte Königreich verlässt die Europäische Union, was natürlich auf allen erdenklichen Ebenen ein herber Verlust ist, aber wohl keiner, der sich noch abwenden ließe.

Dank guter Vorbereitung unter ständig wechselnden Vorzeichen sehe ich die deutsche Versicherungsaufsicht sowohl für deutsche Unternehmen mit Geschäft im Vereinigten Königreich als auch für britische Versicherer mit Geschäft in Deutschland gut aufgestellt.

Insbesondere die Abwicklung bestehender Versicherungsverträge ist sichergestellt – und zwar im Interesse der Kunden.

Meine Damen und Herren: Die Versicherungswirtschaft ist eine dynamische Branche und die Themen, die ich heute angesprochen habe, belegen die vielfältigen Herausforderungen, vor denen sie steht.

Man kann zum Abschluss sicher drei Dinge festhalten:

  • Erstens: Der mit der Digitalisierung einhergehende Umbau von Geschäftsmodellen ist ein fortlaufender Prozess ohne absehbares Ende.
  • Zweitens: Solvency II ist derzeit das beherrschende regulatorische Thema auf europäischer Ebene und bleibt es selbstverständlich auch 2020 – im Jahr des Reviews, wenn Sie so wollen.
  • Und drittens: Die Rollen (Plural), die die Versicherungswirtschaft im Klimawandel ausfüllt, werden ihre Arbeit in Zukunft entscheidend prägen.
  • Nun freue ich mich auf Ihre Fragen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Vielen Dank!

Fußnoten:

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