BaFin - Navigation & Service

Erscheinung:24.05.2019 „Der Kontakt zu den Kunden – wer gewinnt?“

Impulsvortrag von Felix Hufeld, Präsident der BaFin, am 24. Mai 2019 beim Retail-Bankentag in Frankfurt am Main.

Es gilt das gesprochene Wort.

Meine Damen und Herren,

es ist noch gar nicht so lange her, da nannten manche das Retailbanking-Geschäft einen „Mühlstein des Bankgeschäfts“. Nun hat sich aber gerade das Bankgeschäft mit privaten Haushalten in den Jahren nach der Krise in Deutschland als insgesamt recht stabil erwiesen. So ist der Anteil der Einlagen von Privatpersonen an der Bilanzsumme der in Deutschland tätigen Kreditinstitute in der Dekade zwischen 2008 und 2018 um rund zehn Prozentpunkte von etwa 18 Prozent auf gut 28 Prozent angestiegen. Es ist schon erstaunlich, in welch kurzen Zeiträumen sich Einstellungen ändern können und wie umkämpft das Retailbanking mittlerweile wieder ist. Aber wird das Comeback des Retailbankings von Dauer sein oder ist es nur ein weiterer Trend, der vorübergeht? „Is this the end of history1”, ist langweilig also das neue sexy? Zumindest im Sinne von Paul Krugman, der die Regulierungswelle der 1930er Jahre mit den Worten kommentierte, die Finanzwelt sei ein bisschen langweilig, aber viel sicherer geworden2.

Nun, langweilig, da stimmen Sie mir sicher zu, ist es im Retailbanking momentan wirklich nicht. Angetrieben von der Digitalisierung kündigen sich gravierende Veränderungen an. Lassen Sie mich anhand von drei Beispielen reflektieren, vor welchen großen Herausforderungen das Retailbanking momentan steht. Bevor wir aber in die Welt der Hochtechnologie und der Mobilität einsteigen, möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass natürlich auch der klassische Wettbewerb unter Banken und Sparkassen zu Veränderungen im Markt führt – inklusive Konsolidierung. Nach wie vor übernimmt Bank A ganz klassisch eine Bank B, wenn sie ein besseres Management, bessere Konzepte im Verkauf und Marketing oder eine stabilere Bilanz hat. Konkurrenz hat schon immer zum Geschäft gehört. Was wir aber künftig an Veränderung erleben werden, geht weit darüber hinaus.

Nachfolgend deshalb einige ganz grundsätzliche Schlaglichter auf den bevorstehenden Wandel:

I. Zunehmende Plattformisierung, auch im Retailbanking

In einer digitalisierten Welt interessieren sich Privatkunden, zumal jüngere, immer weniger für Filialen und deren Öffnungszeiten. Sie erwarten von den Finanzdienstleistern schlicht und einfach die Annehmlichkeiten, die sie aus anderen Branchen gewohnt sind, das schließt Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit ebenso ein wie einen bequemen Zugang zu Dienstleistungen oder kundenindividuellen Service. Bei Unternehmen aus der Internetwirtschaft gehört das wie selbstverständlich zur DNA. Sie bieten ihren Kunden eigene und fremde Waren und Dienstleistungen als Plattformen an – und das passgenau und aus einer Hand in kompakten Ökosystemen. Beispiele dafür sind internationale technologiegetriebene Unternehmen, die in den Medien zumeist als Bigtechs bezeichnet werden.

Es ist möglich, dass solche Bigtechs die Finanzwelt, wie wir sie kennen, mittelfristig stark verändern werden. Dabei ist es für das Ergebnis zunächst unerheblich, ob diese Bigtechs Finanzdienstleistungen über eigene Lizenzen oder durch Kooperationen mit lizenzierten Partnern erbringen: In jedem Falle können sie als Gatekeeper die Kundenschnittstelle besetzen und in der Folge kontrollieren. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Technologiekonzerne nicht zwingend darauf angewiesen sind, Erträge mit Finanzdienstleistungen zu erwirtschaften – sie können diese Produkte quersubventionieren und dadurch im Extremfall sogar kostenfrei anbieten. Ihnen geht es vor allem darum, Kunden auf ihrer Plattform und in ihrem Ökosystem zu halten, und da gehören mindestens bequeme Bezahlmöglichkeiten dazu. Insofern dienen Finanzdienstleistungen als Mittel zum Zweck eines einheitlichen und umfassenden Kundenerlebnisses. Gleichzeitig könnten sie über diese Dienstleistungen an wertvolle Transaktionsinformationen der Kunden gelangen. Mit Hilfe von Big Data Analytics personalisieren solche Plattformen ihre Leistungen noch stärker, und auch bei der Preisgestaltung wäre eine maximale Differenzierung möglich.

So mancher etablierten Bank und so manchem klassischen Versicherer, aber auch den jungen Start-ups aus der Fintech-Szene droht bei einem Markteintritt der Bigtechs, viel Ertragspotenzial und vor allem die Kenntnis über ihre Kunden aus erster Hand verloren zu gehen. Für einige dieser klassischen Anbieter könnte nur die Rolle als hochfokussierter Spezialanbieter übrig bleiben, sofern es nicht gelingt, eine eigene Plattform oder gar ein Ökosystem erfolgreich auf dem Markt zu platzieren. Klar ist jedoch, dass nicht jede Bank und nicht jeder Versicherer zu einer eigenen Plattform werden kann; noch sehr viel mehr als heute müssen sich wohl einige mit der Funktion des Zulieferers zu einer Plattform begnügen oder ein alternatives Geschäftsmodell entwickeln oder gar aus dem Markt ausscheiden. Dass inzwischen auch die Vergleichsplattformen erkannt haben, welche Möglichkeiten ihnen Open Banking und der Trend zu Plattformen auf den Finanzmärkten bieten, wird den Wettbewerb um die Kundenschnittstelle zusätzlich verschärfen.

Schwieriger ist es, Prognosen darüber anzustellen, wie sich dieser Wettbewerb genau entwickeln wird. Eine Möglichkeit wäre ein echter Wettbewerb um Marktanteile, den verschiedene Plattformen miteinander ausfechten würden. Denkbar wäre aber auch ein „The winner takes it all“-Szenario, bei dem der eigentliche Konkurrenzkampf letzten Endes darum entbrennt, wer überhaupt an einer dominanten Plattform teilnehmen kann und wer nicht.

Natürlich wird das Retailkundengeschäft in jedem Szenario weiter bestehen bleiben, vermutlich aber in ganz anderen Formaten. Auch Banken werden dann noch Privatkunden bedienen. Manche Institute laufen aber Gefahr, bloß noch als Service-Provider zu fungieren, wenn überhaupt.

II. Digitale Transformation des Retailbankings

Meine Damen und Herren,

selbst wenn wir einmal die Plattformisierung von unseren Überlegungen über das Retailbanking ausklammern, dann werden die klassischen Banken trotzdem von neuen Wettbewerbern herausgefordert. Beispielsweise von den bereits erwähnten Fintechs, die auf einen hohen Technik-Faktor und konsequente Kundenorientierung setzen. Solche Unternehmen können vor allem bei jungen und digital affinen Zielgruppen punkten und werben deshalb oft mit einem gewissen Coolness-Faktor für sich.

Anders als anfangs prophezeit, findet der erbitterte Konkurrenzkampf zwischen traditioneller Bankenwelt und innovativen Fintechs bislang nur in Teilbereichen statt. Vielfach kooperieren junge Player und alt-eingesessene Institute sogar miteinander.

Was häufig auch Sinn macht, da beide Gruppen grundsätzlich komplementäre Stärken haben und sich ergänzen können Banken mit etabliertem Kundenstamm und fachlicher Expertise suchen technisches und kreatives Know-how, während die Fintechs nach mehr Kundenzugang und Reputation streben. Natürlich gibt es hierfür keine Erfolgsgarantie. Wie bei jeder anderen Kooperation oder wie bei jedem anderen Merger müssen auch hier die jeweiligen Geschäftsmodelle und Unternehmenskulturen zueinander passen.

III. Transaktionen ohne Intermediäre mit der Blockchain-Technologie

Viele mögen die gerade genannten Akteure aus der Welt der Plattformbetreiber und der Fintechs cool und hip finden, andere halten auch diese Unternehmen für zu altbacken und konservativ, denn auch sie sind nichts anderes als Intermediäre wie sie schon seit den Zeiten der Medici und der Fugger im Finanzgeschäft unterwegs sind. Viele Bankenkritiker wollen aber genau diese Intermediäre aus dem Finanzkosmos insgesamt verbannen. Sie stoßen sich an der Macht, die Banken und andere Vermittler ausüben können.

Sie möchten lieber auf sie verzichten und hoffen darauf, dass Vertrauen zukünftig nicht durch Institutionen, sondern durch Technologien – wie beispielsweise die Blockchain – hergestellt wird. Aber gerade aus regulatorischer und aufsichtlicher Sicht werfen dezentrale Technologien noch viele Fragen auf. Ich denke hier etwa an Themen aus dem Bereich der Geldwäscheprävention und der Verantwortlichkeit bei regulatorischen Verstößen. Solche Fragen würden umso drängender, je mehr blockchainbasierte Transaktionen an Bedeutung gewönnen.

Meine Damen und Herren,

nachdem ich nun die drei größten Challenger für das klassische Retailbanking genannt habe, werden Sie natürlich fragen, wie hoch ich jeweils deren disruptives Potenzial einschätze und welchen Standpunkt die Aufsicht einnimmt.

Zunächst zu den Bigtechs: Hier warne ich vor allzu viel Kleinmut auf Seiten der klassischen Banken. Bei allem ökonomischen Potenzial, das diese Technologieriesen mitbringen, haben ihnen die Banken und Sparkassen noch immer über Jahrzehnte hinweg aufgebaute Kenntnisse im Bankgeschäft voraus. Zudem verfügen klassische Institute über gewachsene Beziehungen zu ihren Kunden. Dieses Vertrauen der Kunden, aber auch das schlichte Know-how in Banking, muss sich jeder branchenfremde Wettbewerber erst einmal erarbeiten. Und natürlich ist es in Deutschland so, dass nur die Unternehmen, die das Banking auch wirklich beherrschen, von uns eine Bankenlizenz bekommen. Ich warne die klassischen Institute andererseits aber auch davor, sich auf diesen doch recht hohen Eintrittshürden für neue Herausforderer auszuruhen. Natürlich können auch Technologiekonzerne Banking lernen – und das ziemlich schnell, von der Möglichkeit, Kooperationen einzugehen, ganz zu schweigen.

Auf anderen Feldern haben sie bereits bewiesen, wie hoch ihre Lernfähigkeit ist. Wer hätte vor 20 Jahren daran gedacht, dass der Hard- und Softwarekonzern Apple einmal ein führendes Kommunikationsunternehmen wird, oder wer hätte vor zehn Jahren geahnt, dass eine Handelsplattform wie Amazon sich zu einem führenden Filmverleiher und Produzenten entwickelt. Wer diese Stories vor Augen hat, der kann auch davon ausgehen, dass Bigtechs in der Lage sind, Banking zu lernen.

Das führt mich zu einem weiteren Punkt: Finanzdienstleistungen sind nicht ohne Grund schon seit nahezu 100 Jahren ein reguliertes Geschäft. Mehr als andere Wirtschaftszweige lebt die Kreditwirtschaft davon, dass die Allgemeinheit und die Volkswirtschaft darauf vertrauen, dass sie stabil und leistungsfähig ist. Auch heute sind wir Aufseher und Regulierer gefordert, Standpunkte zu entwickeln, wie mit den neuen Technologien und deren Implikationen umzugehen ist. Beispielsweise über die Folgen einer Disaggregation etablierter Wertschöpfungsketten der Finanzdienstleistungsbranche für Aufsicht und Regulierung.

Damit ist gemeint, dass Unternehmen, die keine klassischen Banken und Versicherer sind, mit Aktivitäten, die derzeit für sich betrachtet nicht erlaubnispflichtig sind, zunehmend ins Finanzgeschäft vordringen. Inwieweit wir hier darauf regulatorisch reagieren müssen, etwa, indem wir den traditionellen aufsichtlichen Bezug auf Entitäten auf Aktivitäten ausdehnen, wird sich weisen. Ich halte eine solche Diskussion jedenfalls für geboten und sie hat auch in den internationalen regulatorischen Gremien längst begonnen.

Auch neue Wettbewerber, die wie Start-ups ganz neu, aber mit hohen Ambitionen, in den Markt eintreten, müssen ebenfalls den klassischen Anforderungen der Aufsicht – etwa bei Risikomanagement, Outsourcing und Governance – genügen. Nur weil sie jung und cool sind, stehen sie nicht über dem Gesetz. Je mehr sie wachsen, desto höher werden die Ansprüche und desto mehr werden wir diesen als Aufsicht nachgehen. Aber auch hier – wie im klassischen Bankgeschäft – gilt das Prinzip der Proportionalität, was bedeutet, dass wir kleine Banken nicht wie große und komplexe Banken beaufsichtigen.

Auch was die Blockchain betrifft, sind wir gefordert, die Entwicklungen am Markt genau zu beobachten. Eine technologieneutrale Regulierung erlaubt grundsätzlich eine Anwendung auch auf Blockchain-Sachverhalte. Und dort, wo wir feststellen, dass auf Blockchain basierende Finanzgeschäfte nicht der bestehenden Regulierung unterliegen, muss geprüft werden, ob und in welchem Umfang wir Anpassungen vornehmen müssten.

Als Aufseher jedenfalls beobachten wir die Entwicklungen sehr genau und stärken die Rechtssicherheit, wie beispielsweise mit dem Hinweisschreiben zur rechtlichen Einordnung von Kryptotoken im Februar 2018 geschehen. Solche aufsichtlich-regulatorischen Maßnahmen mögen mit Blick auf den Gründungsmythos dezentraler Technologien und blockchainbasierter Firmen eine auf den ersten Blick irritierende Nachricht sein. War dieser Mythos doch davon beseelt, in einer Welt der Freiheit ohne staatliche Einmischung zu agieren. Doch die Stimmen der Regulierer und zunehmend auch der Blockchain-Branche mehren sich, bitte doch den häufiger werdenden Fällen des Missbrauchs durch staatliche Regulierung entgegenzutreten.

Die Herausforderung ist, in dieser sich schnell entwickelnden Welt die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Auf der einen Seite gilt es, ein funktionsfähiges, stabiles und integres deutsches Finanzsystem und den Schutz der Verbraucher zu gewährleisten. Auf der anderen Seite bedarf die Weiterentwicklung des Status quo gewisser Freiräume. Klar ist: Käme es tatsächlich in weiten Teilen zu einer Blockchain-Ökonomie, also zu dezentralen Ökosystemen ohne zentrale Institutionen und Verantwortung, dann brauchten auch Regulierung und Aufsicht ein Update.

Meine Damen und Herren,

wenn wir abschließend einen Blick in die Glaskugel werfen und uns fragen wollen, wer denn nun beim Kontakt zum Kunden gewinnt, dann lautet die Antwort schlicht und ergreifend: Natürlich die Unternehmen, die sich am besten auf neue Entwicklungen wie die Digitalisierung einstellen und ihren Kunden neben Fachkompetenz auch den besten Service zu wettbewerbsfähigen Kosten bieten können. Im Kampf um die Kundenschnittstelle hat jede der genannten Gruppen ihre spezifischen Stärken. Aber allein auf seine traditionellen Stärken zu bauen, das reicht künftig nicht mehr.

Dies mit Agilität und den Möglichkeiten der Digitalisierung zu verbinden, dürfte die entscheidende Herausforderung sein. Es wird jedoch nicht ausreichen, nur in noch mehr IT-Systeme zu investieren und noch mehr technisch versiertes Personal einzustellen. In vielen Fällen wird ein Neudenken der Geschäftsmodelle insgesamt nötig sein.

Nachrichten über den Tod der klassischen Banken halte ich vor diesem Hintergrund zwar für verfrüht und übertrieben. Aber spannend wir es schon! Sowohl für Sie als auch für die Aufsicht.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und freue mich auf Ihre Fragen.

Fußnoten:

  1. 1 Fukuyama, Francis: Das Ende der Geschichte, aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm, Ute Mihr und Karlheinz Dürr, Kindler, München 1992.
  2. 2 Krugman, Paul, „Die neue Weltwirtschaftskrise“, 2009, Seite 220.

Fanden Sie den Beitrag hilfreich?

Wir freuen uns über Ihr Feedback

Es hilft uns, die Webseite kontinuierlich zu verbessern und aktuell zu halten. Bei Fragen, für deren Beantwortung wir Sie kontaktieren sollen, nutzen Sie bitte unser Kontaktformular. Hinweise auf tatsächliche oder mögliche Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Vorschriften richten Sie bitte an unsere Hinweisgeberstelle.

Wir freuen uns über Ihr Feedback