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Porträtaufnahme von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht. © Bernd Roselieb

Erscheinung:09.05.2019 Nachhaltigkeit als versicherungsaufsichtliche Anforderung

Statement des Exekutivdirektors Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht, Dr. Frank Grund, anlässlich der Konferenz „Nachhaltige Finanzwirtschaft“ in Berlin.

Es gilt das gesprochene Wort.

Meine Damen und Herren,

Versicherungsunternehmen können in mindestens drei Rollen nachhaltig handeln:

  • als Risikoträger,
  • als Risikomanager
  • und als Investoren.

Daran sehen Sie schon, dass Nachhaltigkeit nicht bei den Kapitalanlagen aufhört. Aber wovon sprechen wir hier eigentlich?

Einen gesetzlichen Nachhaltigkeitsbegriff gibt es nicht, aber wir alle haben unsere Vorstellung davon, was ESG-Kriterien sind.

Für Versicherer ist das „E“ am wichtigsten. Schließlich decken sie als zahlender Risikoträger in der Konsequenz auch Schäden, die durch Umwelteinflüsse entstehen. Der Gebäudeversicherer bezahlt die Instandsetzung eines Hauses, das niederbrennt, weil ein benachbartes Feld im Sommer Feuer fängt. Und Rückversicherer tragen mitunter große Lasten von Naturkatastrophen weltweit.

Für den Versicherer ist es zwar unerheblich, ob diese Wetterphänomene im Einzelnen menschengemacht sind – versicherte Gefahr bleibt versicherte Gefahr.

Andererseits geht es Versicherern darum, die Häufigkeit und Höhe von Schäden zu reduzieren. Wenn der Klimawandel das Auftreten typischer versicherter Gefahren wie Sturm, Feuer und Hochwasser fördert, dann haben Versicherer ein hohes Eigeninteresse daran, sich am Kampf gegen den Klimawandel zu beteiligen.

Zwar können sich Schaden-/Unfall- und Rückversicherer aus ihren meist nur einjährigen Verträgen schnell lösen. Allerdings bringt dies nichts, wenn Schadenereignisse in nicht kalkulierbarer Höhe auftreten und zudem langfristig das Geschäftsmodell auf dem Spiel steht, weil bestimmte Risiken nicht mehr versicherbar sind. Im ersten Schritt wäre mit steigenden Prämien zu rechnen. Langfristig stellt sich die Grundsatz-Frage, ob Versicherungsgesellschaften ihre Produkte noch zu Preisen anbieten können, die sich Privatpersonen und Unternehmen leisten können.

Wenn existenzielle Risiken nicht mehr versicherbar sind, können Schadenfälle für Unternehmen und Privatpersonen den Ruin bedeuten. Und auch die Versicherungswirtschaft würde unmittelbar darunter leiden, wenn das Prämienvolumen in den Sachsparten zurückginge.

Das ist keine neue Erkenntnis: Versicherungsunternehmen, und hier speziell die Rückversicherer, warnen seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts vor dem Klimawandel und haben ihre Mahnungen auch mit Studien untermauert.1

In ihrer zweiten angesprochenen Rolle, als Risiko-Manager, versuchen Versicherer, Schäden zu verhindern und zu begrenzen. Das Underwriting läuft letztlich darauf hinaus, vor Vertragsschluss gegenüber dem Kunden notfalls auf Sicherungsmaßnahmen zu bestehen.

Eine risikoadäquate Zeichnungspolitik, die Risiken nicht nur transferiert, sondern auch reduziert, ist ein mittelbarer Beitrag zum Umweltschutz.

Versicherungsunternehmen übernehmen an dieser Stelle eine zentrale gesellschaftliche Funktion. Sie sind gefragt, wenn es darum geht, auf der Basis langjähriger Expertise, Risiken einzuschätzen. Diese Kernkompetenz ist ihre Chance, um sich im gesellschaftlichen Diskurs zu profilieren, und ein Pfund, mit dem die Branche wuchern sollte.

Die langjährige Erfahrung der Versicherungsunternehmen speist sich aus der Übernahme von Haftungsrisiken aus Umweltverschmutzung, aber auch aus der Absicherung klassischer Elementarrisiken wie etwa Hochwasser gegen Sachschäden und Betriebsunterbrechung.

Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass klimabedingte Gefahren zunehmen werden.

Die Versicherungswirtschaft sollte ihre Expertise weiter ausbauen und E-Risiken in den Vertragsverhandlungen offen ansprechen. Zudem sollte sie ihr Blickfeld auf S- und G-Risiken weiten. Rückversicherer stehen in der Verantwortung, gezielter zu überlegen, welche Verträge sie abschließen.

Die Versicherungswirtschaft hat die Chance und die Aufgabe, den nachhaltigen Wandel im Zuge ihrer Zeichnungspolitik aktiv zu begleiten und damit auch zu gestalten.

Allein aus Reputationsgründen müssen sich Versicherer fragen, mit wem sie zusammenarbeiten wollen. Bei der Zeichnung von Verträgen gilt das vor allem für Industrieversicherer und – wie bereits erwähnt – für Rückversicherer. Aber auch in der Kapitalanlage stellt sich diese grundsätzliche Frage.

Und damit bin ich bei der dritten Rolle der Versicherungsgesellschaften, der des Investors.

Alleine die deutschen Lebensversicherer und Pensionskassen verfügen über Kapitalanlagen zu Buchwerten von über einer Billion Euro, die langfristig rentabel angelegt werden müssen.

Da der Umbau der Realwirtschaft in ein nachhaltiges System extrem teuer ist, kann ich jeden verstehen, der fordert, dass sich der Finanzsektor daran beteiligen soll.

Zugleich gilt aber: Kapitalanlagen erfüllen für Versicherungsunternehmen einen bestimmten Zweck. Lebensversicherungen zum Beispiel bedecken ihre langfristigen Verpflichtungen mit Kapitalanlagen, die langfristig verfügbar und wertstabil sein müssen. Aus dieser Perspektive handeln Versicherer am Kapitalmarkt bereits im Sinne ihres Geschäftsmodells nachhaltig.

Versicherungsunternehmen stufen bereits heute 73 Prozent ihrer Kapitalanlagen nach eigener Einschätzung als nachhaltig ein, wie wir 2018 in einer Abfrage herausgefunden haben. Dass es – wie schon erwähnt – noch keinen einheitlichen Nachhaltigkeitsbegriff gibt, kann man der Branche nun wirklich nicht anlasten.

Bei allen politischen Forderungen ist festzuhalten, dass Versicherer nicht dazu verpflichtet sind, die deutsche Energiewende oder andere Mammutprojekte mitzufinanzieren, mit denen die Pariser Klimaschutzziele erreicht werden sollen. Dennoch sollten Versicherer auch in ihrem eigenen Interesse einen wesentlichen Beitrag leisten und hierbei die bestehenden Risiken angemessen einpreisen.

Die BaFin wird sich auch in Zukunft vom Grundsatz leiten lassen, dass es für nachhaltige Kapitalanlagen keinen regulatorischen Bonus ohne sachgerechten Bezug geben darf.

Bei allen Kapitalanlagen besteht schließlich ein Ausfallrisiko, das in der Standardformel, mit der Solvency-II-Versicherer ihre Solvenzkapitalanforderung berechnen, auch angemessen kalibriert ist.

Wer über Kapitalentlastung nachdenkt, muss sich zumindest fragen: Sind die nachhaltigen Investments wirklich risikoärmer? Und: Sind transitorische Risiken – zum Beispiel politischer Art – angemessen berücksichtigt?

Die bloße Annahme, nachhaltige Investments verbesserten die Finanzstabilität2, bringt die Diskussion ebenso wenig voran wie die Behauptung, sie beschwörten Blasen und Fehlallokationen herauf.3

Meine Damen und Herren: 2019 ist ein wichtiges Jahr für Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche.

Nicht nur, dass das Versicherungsaufsichtsgesetz seit Anfang des Jahres Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung anhält, ESG-Aspekte in der Geschäftsorganisation4, im Risikomanagement5 und im Reporting6 zu berücksichtigen.

2019 wird sich auch EIOPA ein paar Mal zu Wort melden. Vor zwei Wochen erst hat sie der EU-Kommission in einem Technical Advice dargelegt, wie der europäische Gesetzgeber Nachhaltigkeitsaspekte in Solvency II und in die Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD integrieren könnte.

Uns war es wichtig, dass die Versicherer ESG-Faktoren danach nicht bei jedem Produkt berücksichtigen müssen, sondern nur dann, wenn sie für das Produkt relevant sind. Das würde ich etwa bei fondsgebundenen Lebensversicherungen annehmen, wenn der Sparanteil in erneuerbare Energien fließen soll. Eine Verpflichtung zum Angebot nachhaltiger Produkte lehne ich hingegen ab. Dies bleibt der Geschäftsstrategie vorbehalten.

Ende September beantwortet EIOPA einen Request for Opinion der EU-Kommission zu eher, aber nicht nur, quantitativen Fragen der Säule 1 von Solvency II. Säule 1, das sind die Solvenzkapitalanforderungen. Unter anderem will EIOPA herausfinden, ob sich nachhaltige Investments in ihrem Risikoprofil unterscheiden. Das könnte die Höhe der Eigenmittel beeinflussen, die investierende Versicherer zurücklegen müssten. Wie schon gesagt: Nur im Falle von risikoarmen, nachhaltigen Investments wäre eine Kapitalentlastung gerechtfertigt.

Bei diesen Analysen engagieren wir uns stark. Für uns bleibt Nachhaltigkeit auch 2019 ein Schwerpunktthema. Veranstaltungen wie heute, aber auch unser bewährtes Workshop-Format wollen wir als Plattform nutzen, um den Wissenstransfer zu unterstützen und die Branche dafür zu sensibilisieren, sich noch stärker mit ESG-Risiken in ihrer Geschäftsorganisation und in ihren Prozessen auseinander zu setzen. In der zweiten Jahreshälfte werden wir zwei Branchen-Workshops durchführen.

Beim ersten Workshop wollen wir uns der Frage widmen, wie Versicherer in ihren Unternehmensprozessen ESG-Risiken berücksichtigen – beispielsweise im Underwriting.

Im zweiten Workshop befassen wir uns mit spezifisch ausgerichteten Stresstests als Instrument des Kapitalanlagerisikomanagements. Diese Themen werden wir auch in die Konzeption unseres bereits angekündigten BaFin-Merkblatts einbeziehen.

Wichtig ist uns bei allen Initiativen, dass die Versicherer ihren Blick noch stärker in die Zukunft richten und mögliche Auswirkungen in ihre Entscheidungsprozesse einbeziehen. Dies ist erforderlich, um als Risikoträger der Gesellschaft, aber auch als Anbieter am Markt fest im Sattel zu bleiben.

Meine Damen und Herren: Ich hoffe, ich konnte Ihnen darlegen, wie vielschichtig das Thema Nachhaltigkeit aus der Perspektive der Versicherungsaufsicht ist.

Vielen Dank!

Fußnoten

  1. 1 S. Surminski/Träger, Nachhaltigkeit in der Versicherungswirtschaft: Welche Rolle spielt sie für den “Risiko-Manager der Gesellschaft“?, in: Zeitschrift für Versicherungswesen, 04/2019, S. 122-125.
  2. 2 Europäische Kommission, Nachhaltiges Finanzwesen: Hochrangige Expertengruppe legt Fahrplan für grünere und sauberere Wirtschaft vor, http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-542_de.htm, abgerufen am 18.02.2019.
  3. 3 Schäfers, FDP gegen Brüsseler Pläne zu ethischer Finanzanlage, https://www.faz.net/aktuell/finanzen/finanzmarkt/fdp-gegen-bruesseler-plaene-zu-ethischer-finanzanlage-16027640.html, abgerufen am 20.02.2019.
  4. 4 „Die Geschäftsorganisation ist darauf abzustimmen, ob und auf welche Weise ökologische, soziale und die Unternehmensführung betreffende Faktoren in Bezug auf die Vermögenswerte bei Anlageentscheidungen berücksichtigt werden.“ (§ 234a VAG)
  5. 5 „Das Risikomanagementsystem einer Pensionskasse muss über § 26 Absatz 5 hinaus auch ökologische und soziale Risiken sowie die Unternehmensführung betreffende Risiken abdecken, soweit diese Risiken mit dem Anlageportfolio und dessen Verwaltung in Verbindung stehen.“ (§ 234c VAG)
  6. 6 „Pensionskassen haben der Aufsichtsbehörde eine Erklärung zu den Grundsätzen ihrer Anlagepolitik vorzulegen. […] In der Erklärung ist zumindest einzugehen auf das Verfahren der Risikobewertung und der Risikosteuerung, auf die Strategie sowie auf die Frage, wie die Anlagepolitik ökologischen, sozialen und die Unternehmensführung betreffenden Belangen Rechnung trägt.“ (§ 234i VAG)

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