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Porträtaufnahme von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht. © Bernd Roselieb

Erscheinung:20.02.2019 Die Sicht des Regulierers

Rede des Exekutivdirektors Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht, Dr. Frank Grund, bei der 6. SZ-Fachkonferenz Run-Off am 19. Februar 2019 in Hamburg

Es gilt das gesprochene Wort.

Meine Damen und Herren,

seit ich bei der BaFin bin, verfolgt mich ein Running-Gag: Obwohl ich zur Exekutive gehöre, werde ich immer wieder gebeten, über Regulierung zu sprechen. Auch von Leuten, die es besser wissen müssten. Herr Fromme: Auch ich kann nicht raus aus meiner Haut als Versicherungs-Aufseher. Wenn Sie mich einladen, dann bekommen Sie die Sicht des Aufsehers und nicht die Sicht des Regulierers. Aber natürlich wirken wir zuweilen an der Regulierung mit und mal sehen: Vielleicht verliere ich in meiner Rede ja das ein oder andere Wort über regulatorische Bestimmungen.

Ich will mich in meiner Rede auf die prominenteste Form des Run-Offs beschränken, wohl wissend, dass es daneben noch interne Run-Offs gibt (zum Teil mit Rückversicherungskonzepten), und Asset-Deals (also externe Bestandsübertragungen). Mein Thema heute ist der externe Run-Off in Form eines Unternehmensverkaufs, der Share-Deal.

Nach § 17 Versicherungsaufsichtsgesetz ist der BaFin jede Absicht anzuzeigen, eine bedeutende Beteiligung an einem Versicherungsunternehmen – also dem Zielunternehmen – zu erwerben. Bedeutend ist eine Beteiligung ab einem Anteil von mindestens zehn Prozent oder aber wenn der Erwerber maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung des Zielunternehmens erlangt.1

Nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz können wir als BaFin den beabsichtigten Erwerb untersagen, sofern die Belange der Versicherungsnehmer nicht ausreichend gewahrt sind.2

Lassen Sie es mich positiv wenden: Der Erwerber muss zwar einige Anforderungen erfüllen und entsprechende Nachweise erbringen, aber eine bedeutende Beteiligung an einem Lebensversicherer zu erwerben oder ihn gar ganz zu übernehmen, ist sicher kein Ding der Unmöglichkeit.

Dies belegt auch die Statistik über Inhaberkontrollverfahren: Bislang befinden sich sechs Lebensversicherer im externen Run-Off. In fünf Fällen war die Transaktion als Unternehmensverkauf ausgestaltet; in einem Fall kam es zu einer Bestandsübertragung. Die Prüfung eines Erwerbs läuft noch. Hinzu kommen drei Pensionskassen, die sich im externen Run-off befinden.

Klammer auf: Auch nach einem Verkauf unterliegt das betroffene Versicherungsunternehmen weiterhin der vollständigen Versicherungsaufsicht durch die BaFin – Klammer zu.

Im Inhaberkontrollverfahren schauen wir uns die Übernahme in jedweder Hinsicht genau an, insbesondere unter organisatorischen und finanziellen Gesichtspunkten. Zu den organisatorischen Aspekten zähle ich die Strukturen, das IT-System, das Risikomanagement, das Reporting und die Zuverlässigkeit des Erwerbers, zu den finanziellen dagegen sein Geschäftsmodell und seine Bonität. Auf die Organisation will ich zuerst eingehen.

Die meisten Lebensversicherer sind Unternehmen innerhalb eines Konzerns. In solchen Verbund- oder Gruppen-Strukturen existiert ein Geflecht aus vertraglichen Beziehungen und Abhängigkeiten. Sie erkennen das zum Beispiel daran, dass oftmals verschiedene Vorstandsämter bei den Sach-, Lebens- und Krankenversicherern eines Konzerns oder auch mehrere Schlüsselfunktionen in Personalunion wahrgenommen werden.

Im Inhaberkontrollverfahren muss sich der Erwerber zur kurz- und mittelfristigen Besetzung dieser wichtigen Posten äußern.

Beim Run-Off löst der Erwerber das Zielunternehmen regelmäßig aus der gewachsenen Struktur heraus. Seine Angaben zur künftigen Organisation und technischen Ausstattung sind für uns ein Prüfungsschwerpunkt, denn der Erwerber muss selbstverständlich in der Lage sein, den Betrieb des Unternehmens angemessen fortzuführen. In diesem Zusammenhang muss er sich auch zu allen relevanten Vertragsbeziehungen äußern. Ich kann gerne aufzählen, worüber wir konkret sprechen: Unternehmensverträge, Rückversicherungsverträge, Dienstleistungsverträge, Arbeitsverträge mit Mitarbeitern – you name it.

Üblicherweise betreibt die abgebende Gruppe die Vertragsverwaltung, die Leistungsbearbeitung, das Aktuariat, die Kapitalanlagen und das Rechnungswesen eine gewisse Zeit weiter. Diese Phase kann je nach Bereich unterschiedlich lange dauern. Der Erwerber übernimmt die einzelnen Aufgaben oft erst sukzessive in seine eigenen Strukturen. Würden sämtliche Funktionen auf einen Schlag übertragen, wäre möglicherweise der reibungslose Weiterbetrieb gefährdet.

Das Risiko, Know-how in den eigenen Reihen nicht schnell genug aufbauen zu können, muss der Erwerber in Notfallplanungen berücksichtigen. Und wenn er plant, die Dienstleistungen extern einzukaufen, muss er das im Inhaberkontrollverfahren natürlich darlegen.

Weisen diese verwaltungstechnischen oder, wenn Sie so wollen, administrativen Pläne Mängel auf, verlangen wir Nachbesserungen. Das bedeutet: Der Erwerber muss zusätzliche Maßnahmen zum Auf- und Ausbau von Strukturen oder zu den geplanten Ausgliederungen ergreifen.

In der digitalen Welt kommen die Unternehmen selbstverständlich nicht umhin, uns Aufsehern ihre Planungen für die gesamte IT zu schildern.

In der Lebensversicherung spielt das System zur Verwaltung des Versicherungsbestands eine herausragende Rolle. Es ist ein Hochleistungssystem, denn es muss dem Kundenbetreuer, dem Leistungsbearbeiter, dem Aktuar, dem Risikomanager und dem Buchhalter zugleich dienen – und dann auch noch die notwendigen Informationen für die aufsichtliche Berichterstattung bereithalten.

Bei externen Run-Offs ist eine Bestandsmigration der Regelfall. Teilweise ist sie sogar Teil des Geschäftsmodells, da ja Kostenvorteile durch die Migration auf ein angeblich besseres System erst generiert werden sollen. Die Bestandsmigration geschieht aber nicht auf Knopfdruck, sondern ist auch bei gründlicher Vorbereitung eine äußerst komplexe und fehleranfällige Angelegenheit.

Als Aufsicht müssen wir daher auf einer Machbarkeitsstudie bestehen, aus der unter anderem auch der finanzielle Aufwand der Bestandsmigration hervorgeht. Im Zweifel muss diese Machbarkeitsstudie der Überprüfung durch sachkundige Dritte standhalten.

Wenn die Studie an eine erfolgreiche Migration Voraussetzungen knüpft wie etwa Personalmaßnahmen, organisatorische Veränderungen, Anschaffungen von Hard- und Software und den Abschluss von Dienstleistungsverträgen, dann darf der Erwerber das nicht einfach so stehen lassen. Er muss zu den einzelnen Bedingungen Stellung beziehen und überzeugende Lösungen für die aufgezeigten Probleme finden.

Natürlich erwarten wir auch, dass der Run-Off durchgerechnet wird – das sind die finanziellen Aspekte, von denen ich vorhin sprach. Die Bestände werden beim klassischen Run-Off zwar nur abgewickelt und deshalb umfassen solche Planungsrechnungen kein Neugeschäft. Aber weil sich eine Abwicklungsstrategie zum Beispiel auf die langfristige Kostenbelastung, den Risikoausgleich im Kollektiv und die Kapitalanlagen auswirkt, benötigen wir für unsere Prüfung entsprechende Prognosen. Abwickler behaupten ja gerne, dass bei ihnen höhere Gewinne entstehen, weil sie die Bestände günstiger verwalten, Aufwendungen für den Vertrieb einsparen und Kapitalanlagen ertragreicher managen können.3 Für uns ist allerdings entscheidend, ob das im Einzelfall auch überzeugend dargelegt werden kann.

Weil sich die Abwicklung von Lebensversicherungsverträgen Jahrzehnte hinziehen kann, muss sich der Prognosezeitraum der Planungsrechnungen auf mindestens 15 Jahre erstrecken. Bei einem kürzeren Zeitraum könnten wir nicht bewerten, ob die geschäftlichen Pläne angemessen sind, die Belange der Versicherten berücksichtigt wurden und finanzielle Solidität gegeben ist.

Zum Paket, das man uns auf den Tisch legen muss, gehören alle relevanten Unterlagen, aus denen hervorgeht, wie sich das Geschäftsmodell auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage auswirkt – also zum Beispiel Planbilanzen, Plangewinn- und Verlustrechnungen und Solvenzkennzahlen. Was wir auch sehen wollen, sind die Annahmen, die den Prognosen zugrunde liegen: Zinsen, Kapitalanlagerenditen oder Stornoquoten.

Sollte sich aus den Prognosen zur Vermögens-, Finanz- und Ertragslage ein Kapitalbedarf oder Liquiditätsbedarf ergeben, muss der Erwerber schlüssig erläutern, wie er ihn decken will.

Dass aus dem Unternehmensverkauf keine erhöhte Gefahr für eine Insolvenz des Zielunternehmens erwächst, ist gesondert darzulegen.

Als Absicherungsmaßnahme ist es denkbar, dass der Erwerber bzw. die aufnehmende Gruppe eine bestimmte Kapitalausstattung garantiert. Das wiederum setzt voraus, dass nachweislich ausreichende Mittel bei einem Konzernunternehmen im Geltungsbereich des Versicherungsaufsichtsgesetzes hinterlegt werden.

Eine andere mögliche Absicherungsmaßnahme ist die vertragliche Deckelung der Verwaltungskosten durch die Run-Off-Plattform. Natürlich ist dabei die langfristige Fähigkeit der Run-Off-Plattform entscheidend, diese Garantie auch in schwierigen Zeiten erfüllen zu können. Hierfür erwarten wir belastbare Zusagen – beispielsweise eine Kapitalunterlegung innerhalb der aufnehmenden Gruppe. Außerdem muss sichergestellt sein, dass die Vorschriften zur Kapitalausstattung auf Gruppenebene eingehalten werden.

Nun komme ich zu einem Seitenaspekt: Wenn ein Unternehmen ein internes Modell verwendet, kann es sein, dass dort viel Know-how des abgebenden Konzerns drinsteckt. Interne Modelle werden nach unseren Beobachtungen daher in der Regel nicht mitverkauft. Für das Zielunternehmen bedeutet das, dass es zur Standardformel zurückkehrt. Selbstverständlich ist zu überprüfen, ob die Kalibrierung der Standardformel die Risiken des Unternehmens angemessen berücksichtigt.

Gleich noch eine technische Spezialität: Der Erwerber muss nachweisen, dass das Zielunternehmen zum Ende des Übergangszeitraums auch ohne Übergangsmaßnahmen ausreichend kapitalisiert ist.

Da die übernommenen Versicherungsverträge beim Run-Off in Form eines Unternehmensverkaufs unverändert weiterlaufen, sich nicht einmal der Vertragspartner ändert, gelten auch die
garantierten Versicherungsleistungen, die Versicherungsbedingungen und das Recht der Kunden auf eine Beteiligung an den Überschüssen fort.

Verbraucherschützer beobachten zu Recht, ob sich das Niveau der Überschussbeteiligung in Folge des Verkaufs ändert. Auch wir von der BaFin erwarten im Inhaberkontrollverfahren, dass uns der Erwerber über etwaige Konsequenzen für die Verträge mit Überschussbeteiligung informiert.

Auch und gerade mit Blick auf die Überschussbeteiligung gilt, dass Versicherungsnehmer durch eine Bestandsübertragung bzw. einen Unternehmensverkauf nicht schlechter gestellt werden dürfen.

Wenn sich Änderungen in der Struktur der Kapitalanlagen auf die Überschussbeteiligung auswirken, dann wollen wir das wissen. Der Erwerber muss darauf eingehen, ob die Angaben aus den letzten Standmitteilungen nach § 155 VVG noch haltbar sind.

Meine Damen und Herren: Da ich mit der Sicht des Regulierers nicht dienen kann, möchte ich zum Abschluss Finanzstaatssekretär Jörg Kukies zitieren. Er sagte „Aktuar Aktuell“ im vergangenen Dezember: „Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht verfügt zudem über weitreichende gesetzliche Befugnisse, um die Interessen der Versicherten zu wahren. Sie hat ihre Aufsicht auch im Bereich des Run-off sogar intensiviert. Aber diese Beobachtung findet nicht im Öffentlichen statt, daher ist es für das Vertrauen entscheidend, dass der Lebensversicherer aktiv auf die Kunden zugeht und diese ausreichend informiert.“

Den Transparenzgedanken teile ich. Er ist beim Thema Run-Off ganz entscheidend. Deshalb habe auch ich Ihnen heute – aufgepasst, Herr Fromme! – die Sicht des Aufsehers offengelegt. Meine Damen und Herren: In Ihren jeweiligen Funktionen sollten sie ebenfalls die größtmögliche Transparenz walten lassen.

Was bedeutet das? Meines Erachtens stellt sich zum Beispiel die Frage, ob Lebensversicherer nicht gut beraten wären, ihre Kunden über die Einstellung des Neugeschäfts ganz offen zu informieren. Das als Denkanstoß.

Vielen Dank!

Fußnoten

  1. 1 „Vereinfacht dargestellt hält eine bedeutende Beteiligung an einem Zielunternehmen, wer: mindestens 10 % des Kapitals oder der Stimmrechte (bzw. des Gründungsstocks eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit) direkt bzw. unmittelbar hält, mindestens 10 % des Kapitals oder der Stimmrechte (bzw. des Gründungsstocks eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit) indirekt bzw. mittelbar hält oder auf die Geschäftsführung des Zielunternehmens einen maßgeblichen Einfluss ausüben kann“.
    Quelle: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/mb_151123_inhaberkontrolle.html
  2. 2 https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Pressemitteilung/2018/pm_180705_generali.html (Strenge Anforderungen an einen Unternehmensverkauf)
  3. 3 „Run-off-Plattformen begegnen dieser Kritik mit dem Argument, bei ihnen entstünden höhere Gewinne, da sie die Bestände aus den zuvor genannten Gründen günstiger verwalten und keine Aufwendungen für den Vertrieb anfallen. Zudem könnten höhere Kapitalanlageerträge erzielt werden, weil ein besseres ALM umgesetzt und die Kapitalanlagen ertragreicher gemanagt werden können“ (Aktuar Aktuell, Dezember 2018, S. 8 f.)

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