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Erscheinung:08.02.2019 „Altersvorsorge im Spannungsfeld von Bevölkerungsalterung und Nullzins“

Impulsvortrag von Felix Hufeld, Präsident der BaFin, am 29. Januar 2019 bei der Finanzmarktklausur 2019 des Wirtschaftsrates Deutschland in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort.

Meine Damen und Herren,

Zu Jahresanfang fragt man sich traditionell, was die nächsten Monate bringen werden. Auch wenn derzeit sehr kurzfristige Herausforderungen – nicht zuletzt der Brexit – das finanzpolitische und – regulatorische Geschehen bestimmen, sollten wir nicht den Blick auf langfristige Herausforderungen verlieren.

Dazu zählt insbesondere der demographische Wandel. Prognosen und Statistiken lassen wenig Zweifel daran, dass die Bevölkerung immer älter wird und dass sie – trotz Migration – auf lange Sicht schrumpft. Der alte Adenauer-Satz „Kinder bekommen die Leute immer“, hat zwar nach wie vor Gültigkeit. Die Leute bekommen weiterhin Kinder – aber immer weniger. Sie kennen die Gründe dafür. Hinzu kommt, dass die Lebenserwartung seit Jahrzehnten stetig zunimmt. In nahezu allen Altersgruppen sterben heute – relativ gesehen – viel weniger Menschen als vor 100 Jahren. Was ja eine gute Nachricht ist.

Dass ein derart säkularer Trend Auswirkungen auf die Altersvorsorge haben muss, versteht sich von selbst. Der deutsche Gesetzgeber hat darauf mit umfassenden Reformen reagiert: Im staatlichen Rentensystem wurde der demografische Faktor eingeführt und das Renteneintrittsalter stufenweise auf 67 Jahre angehoben. Die öffentliche Hand fördert zudem verstärkt die kapitalgedeckten Säulen der betrieblichen und privaten Altersvorsorge. Vor allem natürlich, um das Absinken des Leistungsniveaus der gesetzlichen Rente zu kompensieren.

Die Reformen, die Anfang der 2000er Jahre die kapitalgedeckten Säulen der Altersvorsorge stärken sollten, galten lange Zeit als Erfolg. Und in der Tat ist die betriebliche Altersversorgung heute sehr viel weiter verbreitet als damals: Der Verbreitungsgrad stieg von unter 50 Prozent im Jahr 2002 auf mittlerweile rund 60 Prozent. Mehr als 20 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer besitzen inzwischen eine Anwartschaft auf eine Betriebsrente. Auch die Riester-Rente entwickelte sich positiv: etwa 16 Millionen Verträge gibt es mittlerweile. In jüngster Zeit stagnieren aber sowohl die betriebliche als auch die private Altersvorsorge. In der betrieblichen Altersvorsorge ist der Verbreitungsgrad zuletzt sogar wieder leicht gesunken. Unerfreulich ist auch, dass Niedrigverdiener am wenigsten Altersvorsorge betreiben - ausgerechnet der Personenkreis, der am stärksten von Altersarmut betroffen ist.

Auch auf diese Entwicklung hat der Gesetzgeber reagiert. So sieht das vor gut einem Jahr in Kraft getretene Betriebsrentenstärkungsgesetz unter anderem vor, Niedrigverdiener steuerlich zu fördern. Kern des Gesetzes – und zugleich ein absolutes Novum – ist jedoch die Möglichkeit, reine Beitragszusagen zu erteilen. Das heißt: Arbeitgeber müssen nur für die Zahlung des vereinbarten Beitrags haften. Es gibt auch keine garantierten Leistungen. Weder der Arbeitgeber noch die durchführende Einrichtung kann dafür in die Pflicht genommen werden – egal, ob es sich um einen Lebensversicherer, eine Pensionskasse oder einen Pensionsfonds handelt. Grundlage für diese reine Beitragszusage ist ein Tarifvertrag. Sieht er eine verpflichtende betriebliche Altersvorsorge vor, dann hat das natürlich den großen Vorteil, dass er eine ganze Branche abdeckt und sich so die vom Gesetzgeber gewünschten Mengeneffekte erzielen lassen.

Ein anderer Aspekt ist, dass bei reinen Beitragszusagen die Nachteile von Garantien vermieden werden. Das Kapital kann freier und damit langfristig renditeträchtiger angelegt werden, weshalb den Versorgungsberechtigten auch höhere Versorgungsleistungen in Aussicht gestellt werden. Zu Schwankungen kann es dabei natürlich dennoch kommen. Damit die Arbeitnehmer trotzdem über einen gewissen Mindestschutz verfügen, soll daher im Tarifvertrag ein Sicherungsbeitrag festgelegt werden, den der Arbeitgeber zu leisten hat. Natürlich hat auch die Aufsicht ein wachsames Auge auf die reine Beitragszusage und sorgt dafür, dass die durchführenden Einrichtungen gesonderte Sicherungsvermögen vorhalten. Darüber hinaus regeln aufsichtliche Vorgaben bei der reinen Beitragszusage das Risikomanagement, die Berichtspflichten gegenüber der BaFin und die Informationspflichten gegenüber Anwärtern und Rentnern.

Bislang ist zwar noch kein Tarifvertrag über die reine Beitragszusage zustande gekommen. Aber bei vielen der Gespräche, die wir mit Lebensversicherern, Pensionskassen und Pensionsfonds führen, stellen wir fest, dass echtes Interesse an diesem Modell besteht. Das Gleiche gilt für die Tarifparteien, die daran beteiligt sind, die reine Beitragszusage umzusetzen und zu steuern. Zugleich ist allerdings nicht zu übersehen, dass auf beiden Seiten der Tarifpartner Bedenken und Zögerlichkeiten bestehen, von denen ich glaube, dass sie überwunden werden können und sollten. Das Betriebsrentenstärkungsgesetz bietet enorme Chancen für die Stärkung der Altersvorsorge in Deutschland, die wir aus meiner Sicht auf keinen Fall ungenutzt verstreichen lassen sollten.

Davon abgesehen könnte das Instrument der reinen Beitragszusage dem deutschen Kapitalmarkt und sogar dem Projekt der europäischen Kapitalmarktunion neue Impulse geben. Da die durchführenden Einrichtungen bei diesem Modell keine Garantien mehr erbringen, haben sie die Möglichkeit, stärker in Aktienwerte oder Realwerte wie Infrastruktur zu investieren. Letzteres entspricht eins zu eins einem Ziel, das die Europäische Kommission in ihrem „Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion“ verfolgt1.

Die reine Beitragszusage ist aber nicht der einzige Dollpunkt im Betriebsrentenstärkungsgesetz. Das Gesetz umfasst auch Verbesserungen bei der Riester-Rente. Hierzu sind allerdings noch weitere Änderungen zu erwarten. So ist es erklärtes Ziel von Union und SPD, ein stärker standardisiertes und damit kostengünstigeres Riester-Produkt zu schaffen.2 Zudem gibt es Überlegungen, einen Provisionsdeckel für Lebensversicherungen einzuführen, um die Kosten zu begrenzen. Viele empfinden sie als zu hoch. Nicht jeder der genannten einzelnen Schritte hat das Potenzial, die Altersvorsorge tatsächlich demografiefest zu machen. Sie gehen aber allesamt in die richtige Richtung. Angesichts der gesellschaftlichen Dimension, die das Thema Demografie künftig haben wird, müssen nun weitere Maßnahmen folgen. Wir tun sicher gut daran, dabei das Drei-Säulen-Modell aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge zu bewahren und – wie bereits gesagt – hinsichtlich der betrieblichen Altersvorsorge aktiv weiterzuentwickeln.

Unabhängig vom demografischen Wandel setzt aktuell das niedrige Zinsniveau die Versicherer und Pensionskassen unter Druck. Besonders angespannt ist die Lage der Pensionskassen, die lebenslange Altersleistungen erbringen und die versprochenen Garantien heute zum Teil nicht mehr ohne besondere Anstrengungen erwirtschaften können. Im vergangenen Jahr mussten wir erstmals einer Pensionskasse das Neugeschäft untersagen. So etwas soll natürlich nicht zum Regelfall werden. Deshalb haben wir mit fast allen Pensionskassen Gespräche geführt und – wenn geboten – geeignete Maßnahmen eingefordert. In Frage kommen zum Beispiel zusätzliche Rückstellungen, niedrigere Verrentungsfaktoren für künftige Beiträge und eine andere Anlagepolitik. Außerdem erwarten wir von den Kassen, dass sie im Bedarfsfall ihre Trägerunternehmen oder Anteilseigner kontaktieren und mit ihnen über die Bereitstellung zusätzlicher Mittel sprechen. Die Träger beziehungsweise die Aktionäre einer Reihe von Pensionskassen haben bereits Sonderzuwendungen geleistet oder zumindest in Aussicht gestellt. Das begrüßen wir als BaFin sehr. Auch wenn wir bei einigen Kassen nach wie vor Handlungsbedarf sehen, nach derzeitigem Stand gehen wir davon aus, dass der weit überwiegende Teil der Kassen die Niedrigzinsphase überstehen wird. Aus eigener Kraft oder mit Unterstützung des Arbeitgebers oder der Aktionäre.

Unsere besondere Aufmerksamkeit erfahren die Pensionskassen, die trotz der bereits ergriffenen Maßnahmen möglicherweise nicht im Stande sind, die vollen Leistungen auch bei einem andauernden Niedrigzinsniveau zu erbringen. Bei uns läuft diese besonders aufmerksame Begleitung unter der Überschrift „intensivierte Aufsicht“. Unternehmen, die wir besonders intensiv beaufsichtigen, müssen uns vor allem häufiger und umfangreicher berichten. Wir laden aber auch ihre Vorstände und weitere Verantwortliche öfter zu Aufsichtsgesprächen ein.

Meine Damen und Herren,

wie gesagt: Demografische Trends sind nur schwer umzukehren – und staatliche Eingriffe auf diesem Gebiet heikel. Der Gesetzgeber kann aber darauf reagieren und hat – mit Blick auf die Altersvorsorge – genau das getan. Der demografische Wandel ist aber eine dermaßen epochale Herausforderung, dass ein Reformpaket kaum reichen wird. Die Lage der Altersversorgungssysteme muss regelmäßig evaluiert werden, und der Gesetzgeber wird mutmaßlich reagieren, wenn es erforderlich ist. Aktuell stehen wieder grundlegende Weichenstellungen an. Ich weiß, dass es dabei durchaus gegensätzliche Vorstellungen gibt. Zum Beispiel bei der Frage, ob bei der Altersvorsorge weiterhin auf Freiwilligkeit gesetzt werden sollte – oder, wie in anderen Ländern, stärker auf Zwang, verbunden mit der Möglichkeit des opt-out. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Einschätzungen und freue mich auf viele Impulse bei der anschließenden Diskussion.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

Fußnoten

  1. 1 Europäische Kommission: „Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion“, veröffentlicht am 30.9.2015.
  2. 2 „Ein neuer Aufbruch für Europa, eine neue Dynamik für Deutschland, ein neuer Zusammenhalt für unser Land“, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, Berlin, März 2018, abgerufen am 11.1.2019.

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