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Erscheinung:08.11.2017 Solvency II - the way forward - GDV-Konferenz zur Versicherungsregulierung

Rede von Dr. Frank Grund bei der GDV-Konferenz zur Versicherungsregulierung am 8. November 2017 in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Herr Dr. Steffen hat Ihnen gerade einen Überblick über die aktuellen Fragen der Versicherungsregulierung gegeben. All diese Themen beschäftigen natürlich auch uns Aufseher. Denn auch wenn die BaFin kein Regulator ist, wirken wir doch an vielen regulatorischen Änderungen mit. So auch an der Weiterentwicklung von Solvency II, dem Gegenstand meiner heutigen Rede. Zu Solvency II – the way forward.

Sie fragen zu Recht: Warum gibt es jetzt schon regulatorische Veränderungen, wo Solvency II doch gerade erst gestartet ist? Warum sammelt man erst nicht mehr Erfahrungen mit Solvency II, bevor man Änderungen anstößt? Vor gerade einmal einem Jahr habe ich Ihnen an dieser Stelle über unsere ersten Erfahrungen mit dem neuen Aufsichtsregime berichtet. Natürlich dürfen Überprüfungen kein Selbstzweck sein. Dass wir uns Solvency II schon so früh noch einmal kritisch ansehen, ist aber in der Richtlinie selbst angelegt. Das Ziel ist, erste Erfahrungen, aber auch geänderte Rahmenbedingungen zeitnah zu berücksichtigen. Was sinnvoll ist. Die Entscheidung für ein Marktwert basiertes Aufsichtssystem steht und daran will auch keiner rütteln. Die Aufgabe besteht darin, dieses System weiter zu verbessern. Die BaFin arbeitet daran auf europäischer Ebene sehr aktiv mit: im SCR- und im LTG-Review, beides unter dem Dach von EIOPA.

Beim SCR-Review befinden wir uns derzeit auf der Zielgeraden. Die zweite Konsultationsphase hat bereits begonnen. Sie umfasst auch ein impact assessment dazu, wie sich vorgeschlagene Änderungen auf die Unternehmen auswirken. Die Themen, über die wir gerade beim SCR-Review sprechen, haben für die einzelnen Mitglied- und Vertragsstaaten naturgemäß eine unterschiedliche Bedeutung.

Bevor ich auf einzelne für Deutschland wichtige Punkte des SCR-Reviews näher eingehe, eine grundsätzliche Anmerkung zu dem Vorhaben: auf dem Prüfstand steht die Ermittlung des SCR mit der Standardformel. Behoben werden sollen Inkonsistenzen, die sich bereits jetzt zeigen. Die Standardformel wird vielfach als zu komplex kritisiert. Diese Kritik teilt die BaFin. Wir setzen uns dafür ein, die Standardformel weniger komplex als bislang zu gestalten. Wir begrüßen die Vereinfachungen, über die derzeit diskutiert wird, vor allem die beim Gegenparteiausfallrisiko und Katastrophenrisikomodul.

Die Standardformel ist aber nicht nur sehr komplex, sie ist in Teilen auch nicht mehr zeitgemäß. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich seit ihrer Entwicklung geändert, und die Standardformel muss diesen Änderungen gerecht werden. Will sagen: Wir müssen die Standardformel anpassen. Etwa das Zinsänderungsrisiko. Es ist das Paradebeispiel für den Änderungsbedarf. Der derzeitige Ansatz sieht – anders als bei internen Modellen – negative Zinsen nicht vor, was nicht sachgerecht ist. Auch in einem Niedrigzinsumfeld, wie wir es derzeit erleben, muss die Standardformel das Risiko eines weiteren Zinsrückgangs berücksichtigen können. Und bei Null Prozent Zinsen können und dürfen wir dabei nicht stehen bleiben. Negative Zinsen sind – leider – keine vorübergehende Randerscheinung. Wir müssen uns der Realität stellen. Ich unterstützte daher eine Anpassung der Methodik. Das Zinsänderungsrisiko muss in verschiedenen Zinsumgebungen adäquat abgebildet werden können. „Adäquat“ heißt natürlich auch, dass dieses Risiko im derzeitigen Niedrigzinsumfeld keinesfalls überschätzt werden darf. Insbesondere beim Zinsrückgangsszenario halte ich eine realistische Begrenzung für ökonomisch sachgerecht. Hierauf werde ich zum Schluss meiner Ausführungen noch einmal eingehen.

Aber nicht nur geänderte Rahmenbedingungen machen es erforderlich, die Standardformel anzupassen. Schon jetzt, nach fast zwei Jahren nach Inkrafttreten von Solvency II, zeigt sich, dass die Aufsichtsbehörden trotz europäischer Harmonisierung mit einzelnen Regelungen unterschiedlich umgehen. Die Aufseher müssen sich fragen, warum dies so ist und wie man dafür sorgen kann, dass alle Mitglieds- und Vertragsstaaten die neuen Regeln möglichst einheitlich handhaben. Ich denke dabei zunächst an die Berücksichtigung der Verlustausgleichsfähigkeit latenter Steuern in der Standardformel, die im Rahmen des SCR-Reviews derzeit auf dem Prüfstand steht. Die Prüfung der Werthaltigkeit von aktiven latenten Steuern ist äußerst komplex – gerade auch vor dem Hintergrund der unterschiedlichen nationalen Steuerregelungen. Wie schaffen wir es, dass die europäischen Aufsichtsbehörden bei dieser Prüfung einheitlich vorgehen? Keine triviale Frage.

Möglicherweise reichen zusätzliche Leitlinien. Es muss aber auch erlaubt sein, weiter zu denken, d.h. also ob es hierzu weitere Aufsichtsinstrumente geben soll. Bei internen Modellen ist etwa eine Begrenzung der Verlustausgleichsfähigkeit latenter Steuern bereits heute aufsichtliche Praxis – und das nicht nur in Deutschland. Diese richtet sich nach dem Saldo der in der Solvabilitätsübersicht vorhandenen latenten Steuerverbindlichkeiten. Eine solche Begrenzung halte ich auch für die Standardformel für durchaus erstrebenswert – gerade mit Blick darauf, dass wir deren Komplexität reduzieren wollen.

Wenn Unternehmen ihre Solvabilitätskapital-anforderungen nur noch erfüllen können, weil sie auf zukünftige Gewinne in einer hypothetischen Situation bauen, dann erfüllt mich das mit Sorgen. Wir setzen uns beim SCR-Review daher dafür ein, dass wir die erforderlichen Aufsichtsinstrumente bekommen, und wir brauchen Regelungen dazu, wann wir diese Instrumente anwenden können. Ich erwarte, dass uns dieses Thema europäisch wie national noch länger die Treue halten wird – denn die Prüfung von Werthaltigkeitsnachweisen ist nach dem ersten Praxisjahr von Solvency II sicherlich noch nicht abschließend erörtert.

Die nächste öffentliche Konsultation im Rahmen des SCR-Reviews steht direkt vor der Tür und wird auch ein impact assessment zu den beiden genannten Themen – also negative Zinsen und latente Steuern umfassen. Eine realistische Chance, uns mit deutschen Spezifika in der europäischen Diskussion ausreichend Gehör zu verschaffen, haben wir nur, wenn sich die Unternehmen hier rege daran beteiligen. Die BaFin hat sich daher entschlossen, das Impact Assessment zu nutzen, um zusätzlich Daten zu erheben, mit denen wir die aus unserer Sicht validen Argumente für deutsche Positionen zusätzlich untermauern können. Ich bedanke mich für Ihre Bereitschaft, diesen zusätzlichen Aufwand zu betreiben!

Im Rahmen des SCR-Reviews beschäftigt uns ein drittes Thema, das ebenfalls dem geänderten wirtschaftlichen Umfeld geschuldet ist: dem Kapitalkostensatz von sechs Prozent, der für die Berechnung der Risikomarge vorgegeben ist. Die Branche kritisiert diesen Satz angesichts des derzeitigen Niedrigzinsumfeldes als zu hoch. Aber Achtung: Kapitalkosten und Anleihezinsen sollten nicht verwechselt werden. Die Aktien-Risikoprämien haben sich in den vergangenen Jahren nicht so entwickelt wie die Anleihezinssätze.
Natürlich können Sie Veränderungen in den Marktbedingungen heranziehen, um eine Änderung der Kalibrierung einzufordern, – gerade in einem risikobasierten und marktwertorientierten Aufsichtssystem. Ich warne aber eindringlich: Ziehen Sie keine vorschnellen Schlüssen. Eine solche Argumentation kann sich schnell ins Gegenteil verkehren.
Um Prozyklizität zu vermindern, hat man bei der Ermittlung der Kapitalkostenrate bewusst darauf verzichtet, nur auf einen Stichtag abzustellen. Aktuelle Marktbedingungen sind nur bedingt dafür geeignet, die Höhe des Kapitalkostensatzes in Frage zu stellen.

Soviel erst einmal zum SCR-Review, meine Damen und Herren. EIOPA hat – wie in der Regulierung vorgesehen – auch eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich bis 2020 der Überprüfung der LTG-Maßnahmen widmet – also der Maßnahmen, die den Besonderheiten langfristiger Garantien Rechnung tragen sollen. Aus BaFin Sicht erfreulich – Deutschland hat den Vorsitz dieser Arbeitsgruppe inne. Und es ist ja auch gerade für die deutschen Unternehmen ein wichtiges Thema.

Zwischen einem Aufsichtssystem, das auf Marktwerten basiert, und dem langfristigen Versicherungsgeschäft besteht naturgemäß ein Spannungsfeld. Das bleibt nicht ohne Folgen: Der Trend, bei neuen Produkten Risiken auf den Kunden zu verlagern, ist bereits deutlich erkennbar. Wir müssen allerdings Wege finden, um den wertvollen Beitrag der Versicherungsunternehmen zur Altersvorsorge zu erhalten. Die Regulierung steht vor der Herausforderung, das Prinzip der Marktkonsistenz zu wahren, zugleich aber dem Charakter des langfristigen Versicherungsgeschäfts angemessen Rechnung zu tragen. Die LTG-Maßnahmen sollen diesen Konflikt mildern – vor allem die Volatilitätsanpassung und die Ausgestaltung der Diskontierung der versicherungstechnischen Verbindlichkeiten.

Bevor ich näher darauf eingehe, einige Takte zu den Übergangsmaßnahmen. In der LTG-Arbeitsgruppe setzt sich die BaFin stark für den Erhalt dieser Übergangsmaßnahmen ein, die bekanntlich ein großer Teil der deutschen Lebensversicherer nutzt. Was nicht schlecht ist, denn so können sich die Unternehmen den neuen Anforderungen unter Solvency II schrittweise stellen. Die Unternehmen haben mit den Übergangsmaßnahmen die Möglichkeit, den Prozess der Portfoliotransformation sachgerecht abzubilden.
Wie gesagt: Die Lebensversicherer haben frühzeitig begonnen, die auf dem deutschen Markt vorherrschenden Garantieprodukte durch neue Produkte zu ersetzen. Im Neugeschäft zeichnet sich ja schon länger ein Schwenk zu Produkten ab, die mit geringeren Kapitalanforderungen verbunden sind als die traditionellen Garantieprodukte. Die Zusammensetzung des Bestandes lässt sich natürlich nur langsam ändern. Abgehende traditionelle Verträge werden nach und nach durch Verträge der neuen Generation ersetzt. An ihre Garantieversprechen bleiben die Unternehmen gebunden – egal, wie niedrig das Zinsniveau aktuell ist. Eine Herkulesaufgabe für die Branche: Um die Garantien im Bestand dauerhaft erfüllen zu können, müssen sich nahezu alle Unternehmen weiterhin erheblich anstrengen. Bei den hieraus entstehenden Solvenzanforderungen helfen eben die Übergangsmaßnahmen.

Ich habe immer davor gewarnt, die Unternehmen, die Übergangsmaßnahmen in Anspruch nehmen, zu stigmatisieren. Im Interesse der Kunden kann es sehr vernünftig sein, diese Möglichkeit zu nutzen. Denn langfristige Garantien – verbunden mit der Volatilität eines marktwertbasierten Systems – können zu derart hohen Kapitalanforderungen führen, dass Unternehmen ihre Kapitalanlagestrategie zum Nachteil der Kunden anpassen müssen. Will sagen: weg von ertragreichen, aber auch riskanteren Anlageklassen hin zu Anlagen, die kaum noch Renditen erwirtschaften.

Nun zu zwei Themen, die den deutschen Versicherern beim LTG-Review auf den Nägeln brennen:
Da ist zum einen die Volatilitätsanpassung, welche die Volatilität im marktkonsistenten System Solvency II dämpfen und prozyklisches Anlageverhalten der Versicherer vermeiden soll. • Einige Stimmen sagen, dass die derzeitige Volatilitätsanpassung nicht das leistet, was sie leisten soll. Daher halte ich es für wichtig, sie im Rahmen der LTG-Überprüfung auf den Prüfstand zu stellen. Effekt der Volatilitätsanpassung ist die Abmilderung der Diskontierung der versicherungstechnischen Rückstellungen der Unternehmen. Statt des eigentlich vorgesehenen risikofreien Zinses erlaubt es die Volatilitätsanpassung, den Zinssatz um einen Teil der Credit spreads zu erhöhen, die sich aus einem von EIOPA ermittelten Referenzportfolio ergeben. Damit sollten die Unternehmen von einem Teil der Volatilität in den credit spreads entlastet werden, die sich eigentlich aus der marktbasierten Vermögensbewertung ergeben. Da die Credit Spreads in dem Referenzportfolio in den letzten Monaten aber immer geringer geworden sind, hat sich die durch die Volatilitätsanpassung vorgesehene Entlastung ebenfalls abgebaut. Mir ist bewusst, dass die Branche damit unzufrieden ist. Rufen nach einer simplen, pauschalen Erhöhung der Volatilitätsanpassung erteile ich aber eine Absage. Wir müssen im LTG-Review auf einer sachlichen Analyse aufbauen. Hier ist noch viel Arbeit zu leisten. Wir sind dazu bereit.

Auch die Extrapolation der Zinskurve oberhalb von 20jährigen Laufzeiten – d.h. also die Festlegung der zur Diskontierung der Versicherungsver-bindlichkeiten verwendeten Zinssätze – werden wir uns im LTG-Review ansehen. Hier sollten wir sehr vorsichtig sein mit Änderungen. Deshalb haben in diesem Jahr die Versicherungsunternehmen bereits die Auswirkungen einer Veränderung der Zinskurve im extrapolierten Bereich berechnet. Hierbei stehen im ersten Schritt die Auswirkungen auf die Solvenzposition der Versicherer im Fokus. Wir müssen das noch vertiefen – insbesondere was die Auswirkungen auf die Produktgestaltung und die Finanzstabilität angeht. Die Auswirkungen auf die Branche können erheblich sein. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir im Laufe des Überprüfungsprozesses zu vertretbaren Ergebnissen kommen werden.

Der LTG-Review läuft ja bekanntlich bis zum Jahr 2020 und damit länger als der SCR-Review. Diese Zeit brauchen wir auch, um die Wirkungsweise der LTG-Maßnahmen tiefgreifend analysieren zu können. Denn hierbei geht es nicht nur um die Auswirkungen der einzelnen Maßnahmen auf die Solvenzposition der Versicherer in Säule 1. Auch die Auswirkungen auf den Schutz der Versicherungsnehmer, die Produktgestaltung, das Investitionsverhalten und die Finanzstabilität spielen eine Rolle – um nur die wichtigsten Aspekte zu nennen.

Und es steht sehr viel auf dem Spiel: Welche Garantien können sich Versicherungsunternehmen künftig unter Solvency II noch leisten? Regulierung ist an dieser Stelle nicht nur eine aktuarielle Übung für Mathematiker, sondern vor allem auch eine gesellschaftspolitische Frage, nämlich die, wie Versicherungsunternehmen allgemein zur Altersvorsorge in Europa und Deutschland beitragen können. Als Aufsicht bringt die BaFin ihre Expertise in den Solvency-II-Review ein. Dabei behalten wir auch die Gesamtauswirkung einzelner Maßnahmen im Auge – und ihre Wechselwirkungen untereinander. Isoliert an einzelnen Parametern zu arbeiten, birgt die Gefahr unerwünschter Nebenwirkungen in der Gesamtschau. Am Ende entscheidet aber die Politik über das Gesamtpaket.

Ein beliebtes Thema im politischen Diskurs ist die Nutzung aufsichtlicher Kapitalanforderungen zur Wirtschaftsförderung – also etwa zur Förderung von Anlagen in Infrastrukturen und nachhaltigen Investments. Auch solche Bestrebungen können regulatorische Änderungen erforderlich machen. Hier ist Vorsicht geboten: Solvency II ist ein prinzipien- und risikobasiertes Aufsichtssystem. Die adäquate Risikomessung steht an erster Stelle und darf nicht durch andere Überlegungen verdrängt werden. Wer die adäquate Risikomessung anderen Zielen untergeordnet, führt das marktkonsistente System ad absurdum. Wir Aufseher haben die Verantwortung, hierauf hinzuweisen. Die BaFin stellt sich dieser Verantwortung.

Nachhaltige Investments werden für die Unternehmen und damit auch für die Aufsicht aber zunehmend wichtig. Die Chancen und Risiken der Kapitalanlage sind unter dem Nachhaltigkeits-aspekt sorgsam zu beachten. Skeptisch bin ich jedoch, sich mittels Regulierung für einzelne Assetklassen stark zu machen bzw. sie zu fördern. Auch hier muss das richtige Riskmanagement der Maßstab bleiben – bei manchen sogenannten nachhaltigen Investments scheint mir das politische Risiko erheblich zu sein. Angesichts der Herausforderung, welche Garantien Versicherer künftig unter Solvency II noch anbieten können, halte ich es für zielführender, sich der Frage zuzuwenden, wie eine angemessene Kapitalanforderung für langfristiges Garantiegeschäft aussehen soll – und das tun wir ja gerade.

Meine Damen und Herren, zum Glück müssen wir uns nicht den ganzen Tag mit der Frage beschäftigen, wie man die Regularien unter Solvency II ändern könnte und sollte. Solvency II ist als prinzipienbasiertes Aufsichtssystem ja auch so flexibel, dass es bis zu einem gewissen Grad auf wechselnde Rahmenbedingungen eingehen kann - zum Beispiel bei den bereits erwähnten negativen Zinsen. So hat sich die BaFin mit den Unternehmen, die interne Modelle anwenden, auseinandergesetzt. Wir wollten sicherstellen, dass diese Unternehmen bei der Bewertung der versicherungstechnischen Rückstellungen, aber auch bei der Risikomessung mit negativen Zinsen umgehen können. Wie bereits erwähnt, wird das Thema auch im Rahmen des SCR-Reviews für die Anwender der Standardformel relevant.

Alle Diskussionen zum Thema „negative Zinsen“ drehen sich um die Frage, ob es eine ökonomische Zinsuntergrenze gibt und, wenn ja, wo diese denn liegt. Das wird jetzt zwar etwas technisch, scheint mir aber in diesem Kreise angemessen zu sein. Dabei wird oft angeführt, dass Zinsen nicht unbegrenzt negativ werden, da es Bargeld als Alternative gebe. Ja, eine Untergrenze wird es wohl irgendwo geben. Ihre Bedeutung wird aber in unserer Diskussion überschätzt. Wir wissen nicht, wie teuer Bargeldhaltung wird, wenn der Zins nachhaltig negativ bleibt. Bei der Bewertung der versicherungstechnischen Rückstellungen würde zudem die Annahme, dass Sie im Mittel mit Bargeld eine höhere Rendite erzielen als durch die risikofreie Verzinsung, das Grundprinzip der Arbitragefreiheit verletzen. Die Berücksichtigung negativer Zinsen macht eine angemessene und robuste marktkonsistente Bewertung in der Modellierung erst möglich. Häufig wird jedoch argumentiert, dass die sehr ungünstigen Kapitalmarktpfade, die sich dann ergäben, nicht mehr realistisch und nicht mehr interpretierbar seien. Diese Modellkritik verfehlt den Kern der komplexen Bewertungsverfahren. Diese dienen dem Zweck, eine ökonomische Bewertung der vertraglich vereinbarten Finanzgarantien und Versicherungsnehmeroptionen zu gewährleisten. Wie extrem die Pfade sind, hängt auch von der Qualität der Modelle ab. Hier haben wir in der jüngeren Vergangenheit Verbesserungen gesehen, weitere Fortschritte sind denkbar. Und ich möchte betonen, dass die Gesamtheit aller Szenarien entscheidend ist, nicht das einzelne Szenario. Nur im Zusammenspiel aller Kapitalmarktpfade ist eine ökonomische Interpretation des Ergebnisses sinnvoll und möglich. Wir sollten also zu einer Untergrenze kommen, fachlich sauber hergeleitet. Bei internen Modellen ist uns das gelungen. Und auch bei der Standardformel werden wir eine fachlich belastbare Lösung finden – mit Augenmaß.

Meine Damen und Herren, mit Solvency II haben wir ein zeitgemäßes Aufsichtssystem eingeführt, das auf breite Akzeptanz trifft und auch in außereuropäischen Ländern als Vorbild für moderne Versicherungsregulierung gilt. Zu Recht. Dennoch gibt es Überprüfungs- und Anpassungsbedarf. Als Aufseher unterstützen wir den angelaufenen Review mit der erforderlichen fachlichen Tiefe und im intensiven Dialog mit der Branche. Die Auswirkungen des Regimes und der angestrebten Änderungen auf die Versicherer sind uns sehr bewusst. Alle Beteiligten müssen verantwortungsvoll damit umgehen – wir Aufseher werden das tun. Natürlich auf der Basis unseres klaren Auftrags, die Belange der Versicherungsnehmer zu wahren.

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