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Erscheinung:30.08.2017 Rede anlässlich 35 Jahre Verband der Auslandsbanken in Deutschland

Rede von Felix Hufeld beim Verband der Auslandsbanken am 30. August 2017 in Frankfurt am Main

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Winter,
sehr geehrter Herr Dr. Wagner,
meine Damen und Herren,

Sie kennen sicher die Redewendung vom „Elephant in the room“. In der heutigen Welt der Finanzregulierung hat man allerdings den Eindruck, es geht nicht um einzelne Elefanten, sondern um ganze Elefantenherden. Der Elefant, der heute Abend im Vordergrund steht, ist der Brexit und, damit verbunden, der mögliche Zuzug von Banken aus dem Vereinigten Königreich. Ein weiterer thematischer Dickhäuter weilt heute auch unter uns: Und zwar die Ergebnisse des Niedrigzinsstresstests, die mein Kollege Raimund Röseler vor wenigen Stunden gemeinsam mit Andreas Dombret von der Deutschen Bundesbank vorgestellt hat. Auch hierzu werde ich ein paar Worte sagen.

Zunächst möchte ich mich aber für die Einladung zu dieser Veranstaltung bedanken und dem Verband der Auslandsbanken in Deutschland und allen, die dort Verantwortung tragen, ganz herzlich zum 35-jährigen Bestehen gratulieren. Ich freue mich, dass sich Ihr Verband zu einem wichtigen Ansprechpartner entwickelt hat, der aus Frankfurt nicht mehr wegzudenken ist.
Seit seiner Gründung im Jahr 1982 ist Ihr Verband nicht nur merklich gewachsen, der Finanzplatz ist zugleich noch internationaler geworden. So schlägt das Herz der europäischen Geldpolitik inzwischen hier am Main bei der Europäischen Zentralbank (EZB). Und mit dem Start des Einheitlichen Europäischen Bankenaufsichtsmechanismus (SSM) im November 2014 ist Frankfurt auch das Zentrum der europäischen Bankenaufsicht geworden. Ihr Verband hat seinen Sitz also im Herzen des Geschehens. Ein Standortvorteil, den Sie gewiss zu nutzen wissen.

Zwar hat eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Forsa und der Techniker-Krankenkasse vor vier Jahren festgestellt, dass der Stress mit 35 Jahren am größten sei.1 Bislang habe ich bei Ihnen aber noch keine Anzeichen für einen Burn-out erkennen können. Auch in diesem mittleren Alter scheint mir Ihr Verband frisch genug zu sein, um auch künftig kompetent die Interessen der Mitgliedsbanken zu vertreten, die trotz des dauerhaft niedrigen Zinsniveaus gemäß Bundesbankstatistik weiterhin fast 540 Milliarden € Kundeneinlagen halten.

Würde man Radio Eriwan fragen, ob ein Finanzplatz starke Auslandsbanken braucht, dann dürfte die Antwort lauten: Im Prinzip ja, aber es könnte auch umgekehrt sein. Die Aussage wäre sogar richtig. So sagt die Anziehungskraft eines Finanzplatzes auf Auslandsbanken einiges über dessen Attraktivität aus. Andererseits beleben neue Unternehmen mit zusätzlichen Angeboten den Wettbewerb. Das ist Marktwirtschaft.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht betrachtet, ist grenzüberschreitender Austausch langfristig wohlstandsfördernd. Wer meint, dass Protektionismus wirtschaftliche Probleme löst, der möge einmal einen intensiveren Blick in die Geschichtsbücher werfen. Die Zeiten, in denen sich Nationen gegen Freihandel und fremdes Kapital abgeschottet haben, dürften nicht zu den glücklicheren Phasen der Menschheit gehört haben. Dass entsprechende Tendenzen mancherorts auf dem Vormarsch sind – und das keineswegs nur außerhalb Deutschlands -, sehe ich daher mit einiger Sorge.

Ich kann nur hoffen, dass sich die Befürworter von Freihandel und multilateralen Abkommen mit ihren Argumenten durchsetzen werden. Die Bekenntnisse zu den aktuellen Regelwerken, die wir in jüngster Zeit sowohl von der Vorsitzenden der FED, Janet Yellen, als auch von ihrem Stellvertreter Stanley Fischer gehört haben, sehe ich durchaus als Ermutigung an.

Meine Damen und Herren,

die Entscheidung für den Brexit ist jetzt etwas mehr als ein Jahr alt. Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging, aber ich habe den Brexit als eine Zäsur erlebt, als den vielleicht größten Rückschlag bei der europäischen Einigung seit der Gründung der Montanunion im Jahr 1951. Lange Zeit sah es ja so aus, als habe der frühere Kommissionspräsident Jacques Delors mit seinem Satz „Europa ist wie ein Fahrrad. Hält man es an, fällt es um“ die politische Richtung quasi unumkehrbar vorgegeben. Immer mehr Staaten traten der Europäischen Union bei, immer mehr Kompetenzen fielen in die Zuständigkeit des Europäischen Parlaments und der Kommission.

Und das nicht aus Plaisir oder weil den politischen Entscheidern danach war, sondern weil eine stärker vernetzte Welt nach europäischen, wenn nicht sogar globalen Antworten verlangt hat. Das galt besonders für die Finanzregulierung, die ohne jeden Zweifel inzwischen zu den am dichtesten und stärksten europäisierten Rechtsmaterien überhaupt gehört. Auch das nicht ohne Grund. In einem Umfeld mit komplexen und global aufgestellten Märkten ist Finanzregulierung auf starke europäische Akteure angewiesen. Das Gleiche gilt für die Mitgliedstaaten der EU, die ein Höchstmaß an Harmonisierung sowie Schutz in einem einheitlichen Wirtschaftsraum benötigen. Außerdem braucht Europa eine starke, gemeinsame Stimme im Konzert der globalen Standardsetzung – denken Sie nur an das Stichwort Basel. Erst recht, wenn die USA tatsächlich einen Weg gehen sollten, der da lautet: mehr Deregulierung und weniger internationale Zusammenarbeit.

So notwendig die Europäisierung in der Sache ist, sie erzeugt auch Friktionen. Es hat nicht erst des Brexits bedurft, um vielerorts anschwellende Klagelieder über eine vermeintliche Dominanz internationaler Gremien über die nationalen Interessen wahrzunehmen.
Es wäre falsch, dabei nur auf andere Länder oder andere Kontinente zu schauen - oder bloß die Filterblasen bei Twitter zu betrachten. Ähnliche politische Willens- und Unmutsbekundungen gibt es auch in Deutschland, und das sowohl online als auch analog. Aus meiner Sicht ist das auch nicht verwunderlich. Was in manchen Reden „Zusammenwachsendes Europa“ und „Europäische Harmonisierung“ genannt wird, bedeutet im nationalen Alltag schlicht Souveränitätsverlust.

Dies wird dann besonders relevant, wenn einzelne europäische Regulierungen und ihre nationale Umsetzung zu öffentlichen Debatten führen, wie es kürzlich beispielsweise bei der Wohnimmobilienkreditrichtlinie zu sehen war. Hier tritt eine europäische Richtlinie, deren wesentliche Intention die Sicherung der Finanzstabilität ist, in ein deutliches Spannungsverhältnis mit den Wünschen, Ängsten und Sorgen einzelner Bürger, beispielsweise junger Familien, die eben diese Sorgen gegenüber ihren Abgeordneten des nationalen Parlaments, sprich des Deutschen Bundestages, zum Ausdruck bringen.

Soll heißen: Auch das Zusammenwachsen Europas verlangt nach einer ständigen Kalibrierung zwischen zu viel und zu wenig, zwischen kühner Vision, Machbarkeit und Folgenabschätzung, vor allem mit Blick auf die unterschiedlichen Grade der Betroffenheit verschiedener Interessensgruppen. Und vielleicht muss die Haltung, im Streben nach größtmöglicher Einheitlichkeit, jedes Detail ausbuchstabieren zu wollen, einer neuen europäischen Überzeugung weichen, sich stärker auf Prinzipien zu fokussieren. Um es in der Radsportsprache zu sagen: Die Tour d´ Europe muss weiter vorankommen. Kurs und Tempo müssen aber so gewählt werden, dass das Peloton nicht Gefahr läuft, den Anschluss zu verlieren. Oder schlimmer noch, dass einige den Anschluss verpassen wollen.

Meine Damen und Herren,

so sehr ich den Brexit bedauere, so wenig hilft es, verpassten Chancen nachzutrauern oder Briten-Bashing zu betreiben. Wir sollten nach vorne denken und ein Fundament für die Zeit nach dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union legen. Das wird natürlich keine einfache Aufgabe sein. Über allem schwebt die Frage nach dem künftigen gegenseitigen Marktzugang im Verhältnis von Vereinigtem Königreich und den EU 27-Staaten. Derzeit müssen wir davon ausgehen, dass UK nach dem Brexit zum Drittstaat wird. Und genau das wird eine extrem spannende Herausforderung werden, für die Politiker ebenso wie für die Finanzregulierer und -aufseher.

Es ist klar, dass die bestehenden Bausteine für einen Marktzugang auf der Basis von Äquivalenz, wie wir sie etwa aus dem Verhältnis zur Schweiz oder den Bermuda-Inseln kennen, nicht auf die Trennung des Vereinigten Königreichs angewendet werden können. Dagegen sprechen alleine schon die Größe des dortigen Finanzmarkts und die enorme wechselseitige wirtschaftliche Abhängigkeit, die sich in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut hat.

Mit knapp der Hälfte der Gesamtexporte ist die Europäische Union der weltweit größte Absatzmarkt des Vereinigten Königreichs. Bei den Importen sieht es ähnlich aus. Im Finanzsektor ist die Angelegenheit noch komplexer, weil historisch bedingte Skalen- und Größenvorteile London zu dem Hub für Kapitalflüsse in Richtung EU gemacht haben. Mit einer Situation wie dem Brexit angemessen umzugehen, stellt eine Branche, die derart grenzüberschreitend verflochten ist und in der virtuell Billionen bewegt werden, nun vor einen echten Kraftakt. Und es gibt weder Masterplan noch Notfallhandbuch, die Unternehmen oder Regulierer einfach aus der Tasche ziehen können. Wir alle betreten Neuland und müssen den Weg, der zu gehen ist, pflastern, während wir voranschreiten.

Wenn man das regulatorische Große und Ganze auf seine Einzelaspekte herunterbricht, dann schaut die Lage auf den ersten Blick beherrschbarer aus. In Wahrheit steckt aber an vielen Stellen der Teufel im Detail. Zahlreiche Banken beabsichtigen, ihren Standort unter anderem nach Deutschland zu verlagern, weil sie infolge des Brexits ihren Europäischen Pass verlieren, mit dem sie in den EU-Staaten Geschäfte betreiben können.
Da es einer in der EU zugelassenen Bank bedarf, um den Pass nutzen zu können, werden sicher einige Zweigstellen in den EU 27-Ländern in Tochtergesellschaften umgewandelt. Hinzu kommen Neuansiedlungen. Unser Ziel ist es, diesen Banken Hilfestellungen bei ihren Vorhaben in Deutschland zu geben, Rechtssicherheit zu bieten und zugleich die Stabilität des deutschen Finanzplatzes zu wahren. Außerdem müssen wir sicherstellen, dass die Institute überall im Euro-Währungsgebiet nach denselben Standards beaufsichtigt und reguliert werden. Allerdings ist auch klar: Was wir tun, das tun wir als Aufsichtsbehörden, nicht als Agentur für Standortpolitik. Was wir daher definitiv nicht akzeptieren werden, sind leere Hüllen, in denen es nur einen Briefkasten und ein Telefon mit Rufumleitung nach London gibt.

Zwischen Briefkasten und Komplettumzug sind allerdings viele Möglichkeiten denkbar. Wir schauen uns daher jedes Geschäftsmodell genau an und wägen jede rechtlich mögliche Option ab. Wir schauen auch genau hin, wie es mit dem Vorschlag der EU-Kommission weitergeht, „Intermediate EU Parent Undertakings (IPU)“ zu schaffen, also einheitliche Muttergesellschaften, in denen Banken aus Drittstaaten künftig ihre EU-Töchter bündeln sollen.

Diese Diskussion ist noch nicht abgeschlossen. Zunächst ist der europäische Gesetzgeber gefordert, bei der Überprüfung der Eigenkapitalrichtlinie CRD die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen auf den Weg zu bringen. Als Aufsicht würden wir es zudem begrüßen, in diesem Zusammenhang auch die bislang rein nationalen Regelungen über Drittstaatenzweigstellen EU-weit zu harmonisieren.

Dient es der Finanzstabilität, im Frühjahr 2019 möglicherweise auftretende Klippeneffekte wirksam zu minimieren? Ich meine ja! Deshalb sind wir beispielsweise bereit, Banken bei kurzfristig kaum leistbarem Aufwand zu entlasten. So haben wir uns – im Einklang mit der EZB – dazu entschieden, für eine begrenzte Zeit auch die internen Modelle zur Kapitalberechnung bei Schwesterinstituten zuzulassen, die bereits von der britischen Aufsicht, der Prudential Regulation Authority (PRA), genehmigt wurden - sofern bestimmte Bedingungen eingehalten werden. Allerdings müssen die Institute ihre hierfür erforderlichen Anträge, inklusive Aktionsplan, erst einmal bei uns einreichen. Und selbstverständlich muss es verbindliche Absprachen über konkrete, weiterführende Aktivitäten geben.

In der Regel sind mehrere Aufsichtsgespräche und Workshops nötig, in denen Schritt für Schritt geklärt wird, welche Modelle die Institute bisher verwendet haben und wie mögliche Übergangsprozesse aussehen. Erst nach mehreren Checks kann die Bank ihr internes Modell in der Praxis anwenden. Sie bleibt aber auf dem Radar der laufenden Modelleaufsicht mit dem Ziel, - innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens - eine unsererseits geprüfte Modellwelt zu etablieren.

Mit einigen Instituten haben wir bereits erste Workshops durchgeführt und dabei sehr positive Erfahrungen gemacht. Andere lassen sich mehr Zeit damit, uns ihre Absichten mitzuteilen. Sie alle kennen den Spruch, dass diejenigen, die zu spät kommen, das Leben bestraft. Die Aufsicht ist da nicht ganz so gnadenlos. Ich möchte aber schon darauf hinweisen, dass auch unsere Ressourcen begrenzt sind. Institute tun gut daran, Zulassungserweiterungs- oder Lizenzanträge eher früher als später zu stellen – und möglicherweise fehlende Details im Rahmen eines dialogorientierten Antragsverfahrens nachzuarbeiten. Ansonsten laufen sie Gefahr, an das Ende der Schlange zu geraten.

Meine Damen und Herren,

ein anderes Hot Topic sind die Back-to-back-Modelle. Unter Back-to-back verstehen wir, dass EU-Unternehmen ein Geschäft in Finanzinstrumenten abschließen – und gleichzeitig entgegengesetzte Handelsgeschäfte mit einer in London ansässigen Gesellschaft eingehen, um die Marktpreisrisiken zu transferieren. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Wir erwarten aber, dass die Institute für solche Geschäfte ausreichend geschultes Personal vorhalten, das auch beurteilen kann, wie viele und welche Risiken – auch Marktrisiken - tatsächlich nach Großbritannien abgegeben werden - bzw. anders herum, wie viele in der EU verbleiben sollen. Die Banken müssen in der Lage sein, die verbleibenden Risiken jederzeit sinnvoll zu managen - auch dann, wenn ein Back-to-back plötzlich nicht mehr möglich sein sollte oder Störungen ausgesetzt ist. Eine Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn-Mentalität wäre gefährlich.

Vielen Instituten ist auch daran gelegen, Back-office-Tätigkeiten und interne Kontrollfunktionen wie Risikocontrolling, Compliance oder Interne Revision weitestgehend von einer in London ansässigen Gesellschaft ausüben zu lassen. Auch hier gilt: Grundsätzlich, wie auch in vielen anderen Fällen, sind Auslagerungen möglich.

Wie überall kommt es aber auf das richtige Maß an. Übertreibt es ein Institut mit der Auslagerung sensibler Bereiche, dann könnten die Kontrollsysteme vor Ort soweit ausgedünnt werden, dass sich eine unverhältnismäßig große Abhängigkeit von Partnern in UK oder anderswo entwickelt. Ein ausschließliches Andocken an Gruppenstrukturen wird es daher nicht geben können. Entsprechende Kontrolleinheiten müssen innerhalb der EU-Unternehmen vorgehalten werden. Alle Unternehmen, die sich neu in der EU ansiedeln wollen, sollten sich deshalb darauf einstellen, dass diese Funktionen in einem Institut in den EU 27-Ländern zu verbleiben haben. Dies entspricht der Linie des Einheitlichen Europäischen Aufsichtsmechanismus (SSM), der sich hierzu bereits grundsätzlich positioniert hat – und wir teilen diese Einschätzung natürlich. Ausnahmen von dieser Regel sind allerdings bei solchen Tochterunternehmen denkbar, die unter Risikogesichtspunkten als unwesentlich gelten.

Auslagerungen werden vor allem dort Grenzen gesetzt, wo es um Kernbereiche des Bankings sowie Kontrollfunktionen geht. Und wenn wir bei den Kernbereichen und Kontrollfunktionen genau hinschauen, dann tun wir das bei den Geschäftsleitern erst recht. Die Aufgaben eines Geschäftsleiters kann man nicht erfüllen, indem man „mal vorbeischaut“.
Es muss sichergestellt sein, dass auch die Führungskräfte ihren Aufgaben vor Ort in vollem Umfang nachkommen können. Fly & Drive mag hierbei in Einzelfällen und für eine Übergangszeit akzeptabel sein, auf Dauer erwarten wir aber auch vom Spitzenmanagement, dass es mit mehr als nur einem Türschild in den EU 27-Staaten präsent ist.

Nicht ohne Grund steht aktuell das Euro-Clearing im Fokus. Immerhin werden mehr als 95 % aller Zinsswaps in Euro bislang über London abgewickelt. Läuft dabei etwas schief, könnten schnell Hilferufe an die Notenbanken laut werden, Liquidität beizusteuern. Vor wenigen Wochen hat deshalb die EU-Kommission ihre Vorstellungen für eine strengere Aufsicht über Zentrale Gegenparteien mit Sitz außerhalb der Europäischen Union veröffentlicht. Klar ist, dass Clearing-Aktivitäten in Euro außerhalb der Europäischen Union nicht einfach mit einem Achselzucken begegnet werden kann, sondern EU-Maßstäben der Finanzregulierung und -aufsicht in der einen oder anderen Weise Geltung verschafft werden muss.

Die spannende Frage lautet aber: Wie genau? Die EU-Kommission hat dies im Ergebnis offen gelassen und dafür allerdings ein abgestuftes Verfahren vorgeschlagen. Ich halte das grundsätzlich für richtig. Vor einer Entscheidung sollten wir uns allerdings die Zeit nehmen, um systemische Risiken umfassend zu analysieren und mögliche Reaktionen und Konsequenzen abzuwägen, inklusive möglicher Reaktionen von dritter Seite.

Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass heutzutage nahezu alle Geschäftsprozesse im Finanzsektor von funktionierenden IT-Infrastrukturen abhängen. Und so liegt es in der Natur der Sache, dass gerade die Banken, die eine intensive Arbeitsteilung zwischen Betriebseinheiten in Großbritannien und der EU planen, ein besonderes Augenmerk auf ihre IT-Systeme legen müssen. Hier geht es um hochkomplexe Plattformen, und Plattform heißt nicht nur IT. Wir reden über Know-how, Prozesse und Menschen, die über viele Jahre, quasi als Gesamtkunstwerk, zusammengefunden haben – und nun aufgespalten werden müssen.

Die Aufsicht weiß um die Bedeutung dieses Themas und ist bereit, alte IT-Ökosysteme zunächst temporär weiterlaufen zu lassen, bevor völlig neue Strukturen aufgebaut werden können und diese sich als ausreichend stabil erwiesen haben. In der Vergangenheit mussten wir des Öfteren erleben, dass es bei großen IT-Migrationsprojekten zu Verzögerungen und unerwarteten Problemen kam. Einfach, weil die Komplexität unterschätzt wurde. Theoretisch wäre es denkbar, solche Plattformen ganz am alten Standort zu belassen. Ob dies in der Praxis tatsächlich etwas bringt, daran habe ich meine Zweifel. Neue Standorte müssen so oder so an existierende Infrastrukturen angeschlossen werden, deshalb dürften Umstellungsprozesse unvermeidbar bleiben.

Die Institute müssen also sorgfältig abwägen, welche Strategie sie verfolgen wollen: Teil- oder Komplettumzug. Jeder, der schon privat umgezogen ist, weiß, dass das zwar lästig ist, gleichzeitig aber Chancen zum Entrümpeln bietet. So wie sich Privatleute dann vielleicht von Oma Ernas Transistorradio trennen, können Banken den Anlass nutzen, um veraltete und heterogen gewachsene IT-Systeme und Prozesse zu modernisieren.

Aus der Perspektive einer beispielsweise New Yorker Zentrale könnte entrümpeln aber auch bedeuten, sich bei allzu langwierigen Streitigkeiten zwischen UK und den EU 27-Staaten gleich ganz in Richtung USA oder Fernost zu orientieren.

Lieber Herr Winter, lieber Herr Dr. Wagner,

bei der Planung dieser Jubiläumsfeier haben Sie beinahe prophetische Gaben bewiesen – und die Veranstaltung unmittelbar nach der Vorstellung des Niedrigzinsstresstests terminiert. Es dürfte Sie nicht überraschen, dass die niedrigen Zinsen die Ertragssituation der Institute weiterhin belasten. Zwar ist die Stimmung etwas optimistischer als bei der vorangegangenen Umfrage im Jahr 2015, je nach Szenario deutet sich aber weiterhin ein nachhaltiger Rückgang der Ertragskraft der deutschen Kreditwirtschaft an. Summa summarum erwarten die Institute bis 2021 einen Ergebnisrückgang vor Steuern um 9%. Bei einer geplanten Ausweitung des Geschäftsvolumens um etwa 10% im gleichen Zeitraum würde die Profitabilität um 16% sinken. Haupttreiber für diese Entwicklungen sind insbesondere erwartete höhere Belastungen aus Wertberichtigungen, ermittelt wurde ein Wert von 5,2 Milliarden € für den Zeitraum bis 2021.
Außerdem wird ein deutlicher Rückgang des Zinsergebnisses angenommen – und zwar um 3,3 Mrd. € bis 2021. Letzteres soll jedoch beinahe komplett durch ein steigendes Provisionsergebnis in Höhe von 2,9 Mrd. € kompensiert werden. Das ist ein richtiges, aber auch ehrgeiziges Ziel, das in der Praxis unter harten rechtlichen und Wettbewerbsbedingungen erst einmal erreicht werden will.

Unter Druck geraten naturgemäß Banken mit einem überwiegend zinsabhängigen Geschäftsmodell. Problematisch ist auch, dass die Summe der gering verzinsten Aktiva in den Büchern immer weiter zuzunehmen droht. Wären wir bei „Wünsch Dir was“, sollten wir definitiv auf eine schrittweise durchgeführte Zinserhöhung setzen. Leider sind wir nicht in dieser Show und müssen daher alle möglichen Szenarien im Blick behalten. Der Stresstest hat ergeben, dass bei einer weiteren Verschärfung des Niedrigzinsszenarios oder bei einer inversen Drehung der Zinsstrukturkurve deutlich stärkere Ergebniseinbrüche zu erwarten wären. Im Aggregat ginge das Ergebnis vor Steuern um etwa 40% zurück. Bei einem abrupten Zinsanstieg dagegen sei zwar kurzfristig mit Gewinneinbrüchen durch Wertberichtigungen zu rechnen. Mittel- bis langfristig würden die Dinge aber ins Lot zurückfinden.

Erfreulicherweise zeigt sich das Gros der Institute widerstandsfähiger als noch vor zwei Jahren. Dazu beigetragen hat sicher die eine oder andere Maßnahme mit dem Ziel, die Ertragskraft anderweitig zu steigern. So haben sich viele Institute entschlossen, verstärkt Gebühren und Provisionen zu erheben. Und laut Stresstest plant die Branche, diese noch weiter auszubauen. Dennoch täte die Kreditwirtschaft gut daran, ihre Strukturen und Geschäftsmodelle noch wetterfester zu machen, und dabei wird zweifellos auch ein nachhaltiges Kostenmanagement eine wesentliche Rolle spielen müssen.

Es ist aber nicht nur das Niedrigzinsumfeld, das die Ergebnisse drückt. Gleichzeitig fordern die Digitalisierung und neue Konkurrenz durch junge technologiegetriebene Unternehmen die Finanzwelt heraus. Weil stabile Finanzmärkte ein wichtiges Ziel von Regulierung und Aufsicht sind, führen wir nicht nur regelmäßig Stresstests durch, sondern prüfen die Geschäftsmodelle der Institute wiederkehrend auf ihre Nachhaltigkeit hin. Wir glauben natürlich nicht, dass Aufseher die besseren Banker sind, und wollen die Geschäftsführung sicher nicht an uns reißen. Das ist auch nicht unser Job.

Auch wenn wir nicht den Stein der Weisen gefunden haben – und wie eben gesagt, auch gar nicht finden wollen - und sich am Rednerpult manches leichter sagt, als es in der Praxis umzusetzen ist: Die Institute können schon einiges tun, und die meisten machen das ja auch. Denn eines steht fest: Die Abhängigkeit vom Zinsergebnis kann nicht wie gewohnt bestehen bleiben – und die Rentabilität der europäischen Banken, namentlich der deutschen, ist bedenklich gering und nicht robust genug. Daran muss weiterhin gearbeitet werden.

Meine Damen und Herren,

wenn wir ein Jubiläum feiern, dann blicken wir zwangsläufig auch zurück. Und wenn wir ehrlich sind, fällt uns auf, dass wir auch früher nicht in der perfekten Welt gelebt haben und es gerade im Finanzsektor immer wieder herausfordernde Situationen gab. Heute heißen die Themen Digitalisierung oder Niedrigzinsumfeld, früher war es vielleicht die mangelnde Harmonisierung in Europa. Deshalb bin ich mir sicher, dass wir auch unsere gegenwärtige Situation irgendwann als die gute alte Zeit wahrnehmen werden.

Charles Darwin hat gesagt, dass nicht die stärkste Spezies überlebt, auch nicht die intelligenteste, sondern diejenige, die sich am ehesten dem Wandel anpassen kann. Da ich fest davon überzeugt bin, dass in den Führungsetagen der Auslandsbanken in Deutschland nicht nur intelligente Menschen, sondern auch anpassungsfähige sitzen, werden Sie in ein paar Jahren auch noch Ihr 40-jähriges und 50-jähriges Jubiläum selbstbewusst begehen können. Und dann wird auch der heutige Abend - in der Tat - zur guten alten Zeit gehören.

In diesem Sinne: Nochmals alles Gute. Ich freue mich auf die anschließenden Gespräche.

Fußnoten:

  1. 1 Bleib locker, Deutschland! – Studie zur Stresslage der Nation. Herausgegeben von der Techniker Krankenkasse, Hamburg 2013.

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