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Erscheinung:27.01.2017 Finanzmarktregulierung und Institutionen – Balance zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Stabilität

Rede von Felix Hufeld bei der Finanzmarktklausur 2017 des Wirtschaftsrates Deutschland am 26. Januar 2017 in Berlin

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Damen und Herren,

Finanzmarktregulierung zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Stabilität –ein immerwährender Balanceakt. Lassen Sie mich das Pferd von hinten aufzäumen: Finanzstabilität ist nicht verhandelbar. Und zwar aus folgendem Grund: Ein Finanzsystem ist stabil, wenn es selbst in stürmischen Zeiten funktionsfähig ist und finanzielle Ressourcen immer dorthin lenken kann, wo sie den größten volkswirtschaftlichen Nutzen stiften. So stellt ein funktionsfähiges Finanzsystem eine Verbindung her zwischen Investitionsbedarf und Kapitalbedarf. Es sorgt dafür, dass finanzielle Mittel von Kreditgebern zu Kreditnehmern fließen können: direkt über die Finanzmärkte oder indirekt über Intermediäre wie Banken.

Finanzstabilität ist also kein Selbstzweck. Ein stabiles Finanzsystem, also eines, das seinen Grundfunktionen in allen Wetterlagen nachkommen kann, dient der Entwicklung der Volkswirtschaft und damit dem Wohlstand einer Gesellschaft. Die Abwesenheit von Finanzstabilität bedeutet Krise, und die wiederum horrende private und öffentliche Kosten. Finanzstabilität ist daher ein für alle erstrebenswerter Zustand, ein öffentliches Gut, das es zu schützen gilt.

Wer stellt dieses öffentliche Gut her und wer schützt es? Der Markt allein ist dazu nicht in der Lage – zumindest nicht durchgehend. Der Markt hat Schwächen und kann versagen. Mag sein, dass er sich auf lange Sicht wieder fängt. Doch wer könnte es sich erlauben, darauf zu warten?

Denken Sie an den berühmten Satz des Ökonomen John Maynard Keynes: “The market can stay irrational longer than you can stay solvent.” Nein, dauerhaft schützen kann das öffentliche Gut Finanzstabilität nur der Staat. Und zwar durch eine entsprechende Regulatorik und durch eine staatliche Aufsicht, die auf dieser Basis den Finanzmarkt und seine Akteure kontrolliert.

Staat und Markt stehen sich dabei nicht als Widersacher gegenüber. Im Gegenteil: Der Staat als Garant für Ordnung macht freies wirtschaftliches Handeln und damit Wohlstand erst möglich. Das natürlich nur, wenn er es dabei belässt, einen Regulierungsrahmen zu setzen, in dessen Grenzen sich die Akteure frei entfalten können.

Dabei geht es nicht um Quantität, sondern um Qualität. Die Regulierung vor Ausbruch der Finanzkrise 2007/2008 war nicht gut genug, um das Unheil aufzuhalten, das auf dem US-Immobilienmarkt seinen Anfang genommen hatte. Die Vorkrisenjahre standen im Zeichen von Deregulierung und Aufsicht der leichten Hand.

Man hatte angenommen, dass man den Finanzsektor von der regulatorischen Leine lassen müsse, damit er wachse und gedeihe – und mit ihm die Volkswirtschaft. Einen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung, als 1994 der damalige US-Präsident Bill Clinton ein neues Bankengesetz unterzeichnete. Es beseitigte grundlegende Vorschriften zur Bankenregulierung, die jahrzehntelang Bestand gehabt hatten.

In Anwesenheit hochrangiger Vertreter von Industrie und Politik sagte Clinton: „Wir räumen überflüssige, von der Regierung aufgestellte Hürden aus dem Weg.“ Er kündigte an: „Die neuen Regeln machen uns wirtschaftlich stärker und effizienter, sie sind gut für die Verbraucher.“1) Was sich als Illusion entpuppte.

Ebenso illusorisch ist es zu denken, Krisen ließen sich fortan gänzlich verhindern, wenn man regulatorisch ordentlich aufrüste und Aufseher bis an die Zähne bewaffne. Zu viel Staat bedeutet Stagnation. Wer eine Marktwirtschaft will, muss aushalten, dass Krisen entstehen können. Regulierer und Aufseher machen einen ausgezeichneten Job, wenn es ihnen gelingt, das Finanzsystem so zu stabilisieren, dass es soweit gar nicht kommt oder Krisen zumindest in ihrer Wucht abgemildert werden.

Nach der großen Finanzkrise brauchten wir also nicht mehr Regulierung, wir brauchten eine bessere, eine angemessene Regulierung. Genau das haben die G-20-Staats- und Regierungschefs im November 2008, kurz nach dem Leman-Kollaps, in Washington gefordert. Ich zitiere aus der Abschlusserklärung: „We pledge to strengthen our regulatory regimes, prudential oversight, and risk management, and ensure that all financial markets, products and participants are regulated or subject to oversight, as appropriate to their circumstances.“ Die neue Regulierung sollte effizient („efficient“) sein, Innovation aber nicht unterdrücken („stifle innovation“). Wer das öffentliche Gut Finanzstabilität schützen will, darf das Finanzsystem nicht mit überzogenen Regularien und Kosten erdrosseln.

Die bisherigen Reformen der Nachkrisenzeit haben das Finanzsystem gestärkt – bislang zu vertretbaren Kosten. Und sie haben dem Haftungsprinzip, einem der Grundpfeiler der Marktwirtschaft, wieder zu Geltung verholfen, etwa indem sie ermöglichen, dass systemrelevante Banken ohne Schaden für die Allgemeinheit abgewickelt werden können.

Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg. Aber wir dürfen nicht müde werden, uns immer wieder die Frage der Angemessenheit zu stellen. Dieses Thema steht derzeit auch in Brüssel auf der Tagesordnung – unter dem Label „Proportionalität“. Gut so! Zwar machen wir schon heute in Regulierung und Aufsicht deutliche Unterschiede zwischen systemrelevanten Banken und kleineren. Aber wir müssen den Gedanken der Proportionalität noch stärker umsetzen.

Ich begrüße es daher sehr, dass wir bei der geplanten Revision der Regulierung europäischer Banken auch über Erleichterungen für kleinere Institute sprechen. Wovor wir uns nun hüten sollten, sind holzschnittartige Lösungen. Und eines ist klar: Einen Rückfall in die Deregulierung darf und wird es nicht geben.

Das Thema Angemessenheit spielt aus deutscher Sicht auch bei den Diskussionen über die Finalisierung von Basel III eine Rolle. Sie wissen, dass wir eigentlich am 8. Januar in der GHOS, der Group of Central Bank Governors and Heads of Supervision, eine Schleife um das Regulierungspaket binden wollten. Das Treffen ist verschoben worden, weil wir uns in einigen wenigen, wenn auch zentralen Fragen noch einigen müssen.

Im Wesentlichen geht es um das Design und die Kalibrierung eines Output Floors, mit dem die Variabilität bei der Verwendung interner Modelle eingedämmt werden soll.

Mit der Frage streng oder weniger streng hat das nichts zu tun. Es geht um das Kunststück, eine globale Regulierung schaffen, die zwar tief ins Detail geht, die aber zugleich sehr unterschiedlichen nationalen Marktstrukturen gerecht wird. Stichwort „Angemessenheit“. Daher kann es aus unserer Sicht keinen Kompromiss um jeden Preis geben, auch wenn wir nach wie vor eine tragfähige globale Lösung anstreben.

Risikosensitivität ist eine der regulatorischen Errungenschaften seit Basel II. Wir sind nicht bereit, sie als regulatorisches Prinzip de facto über Bord zu werfen. Richtig ist aber, dass wir die Risikosensitivität des Baseler Regelwerks und damit auch der Anwendung interner Modelle auf sinnvolle Weise einschränken müssen.

Diese Ansicht hat uns übrigens nicht die Bankenlobby eingeflüstert, wir haben sie schon immer vertreten, weil wir sie als Aufseher für vernünftig halten. Davon abgesehen wären auch die Ansätze, die aus unserer Sicht kompromissfähig wären, für eine Reihe von Banken immer noch sehr anspruchsvoll. Wir haben zwar beschlossen, dass es im Durchschnitt keine signifikant höheren Eigenkapitalanforderungen geben soll. Ab wann und für welche Vergleichsgruppe eine Erhöhung als signifikant anzusehen ist und wann Ausnahmen akzeptabel oder sogar gewünscht sind, werden wir als Regulierer und Aufseher entscheiden.

Je komplizierter die Materie, desto verlockender erscheinen einfache Lösungen. Etwa die, die Banken mit einer wesentlich höheren Leverage Ratio wetterfest zu machen. Solche Ansätze machen natürlich im Ergebnis jede Risikosensitivität zunichte. Schlimmer noch: Banken, die Bank- und Handelsbuch mit pauschalen und nicht risikosensitiven Kapitalanforderungen absichern müssen, tendieren dazu, höhere Risiken einzugehen, um die hohen Kapitalkosten wieder reinzuholen. Wir sollten nicht den Fehler machen, in die Welt von Basel I zurückzukehren.
So verständlich die Sehnsucht nach einfachen Antworten sein mag, so wichtig ist es, darauf zu achten, dass die unbeabsichtigten Nebenwirkungen Regulierung nicht größer sind als die eigentlich intendierte Wirkung.

Fußnoten

  1. 1) Zitiert nach http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/oekonomie/nachrichten/folgen-der-deregulierung-die-selbst-gemachte-krise/3765676.html

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