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Erscheinung:18.01.2017 Wie viel Regulierung braucht die Finanzwirtschaft?

Rede des Präsidenten der BaFin, am 18. Januar 2017

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren,

um mich auf das Thema des heutigen Abends „Wie viel Regulierung braucht die Finanzwirtschaft?“ vorzubereiten, habe ich eine spontane, nicht ganz repräsentative Befragung dazu durchgeführt. Von drei Personen erhielt ich drei verschiedene Antworten. Ein Banker sprach sich für deutlich weniger Regulierung aus, ein Kollege aus der Aufsicht wollte mehr davon. Hinzu kam ein Jurist; der sagte mir, es komme immer auf den Einzelfall an. Ich zitiere ja eher selten Karl Marx, aber wenn es um die Frage nach der Regulierung der Finanzwelt geht, habe ich den Ein-druck, dass häufig das Sein das Bewusstsein bestimmt.

Es wird Sie nicht verwundern, meine Damen und Herren, dass ich eine stringente Regulierung als Notwendigkeit ansehe, um Finanzstabilität zu sichern. Finanzstabilität ist ein öffentliches Gut. Ihr Schutz darf nur Institutionen übertragen werden, die im öffentlichen Interesse handeln und die auf Basis von guter Regulierung agieren. Sie dürfen auch keine eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgen. Das kann man von keinem Marktteilnehmer erwarten und auch nicht von der Gesamtheit aller Marktkräfte.

Nun war Regulierung zu allen Zeiten mit sich verändernden gesellschaftlichen Einstellungen und neuen technologischen Entwicklungen konfrontiert, auf die jeweils in angemessener Form reagiert werden musste. Aktuell sind es verschärfte Ansprüche an Ethik und Compliance sowie die fortschreitende Digitalisierung, die die Gemeinschaft der Regulierer herausfordern. Auf die aktuellen Diskussionen hierzu werde ich gleich näher eingehen.

Allerdings hat sich die gesellschaftliche Mehrheitsmeinung darüber, was gute Regulierung im Kern ausmacht, mit dem jeweiligen Zeitgeist immer wieder geändert. Auch die Wissenschaft – und in ihrer Nachhut die Politik – hatte je nach Mode immer wieder andere Sichtweisen auf den not-wendigen Härtegrad von Regulierung und den Umfang entsprechender Vorgaben. Bis in die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein dominierte die neoklassische Auffassung, dass der Markt in der Lage sei, sich selbst zu regulieren. Dass dieser Vertrauensvorschuss ein Fehler war, wurde spätestens mit Beginn der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 offenkundig. Man begann, sich Fragen zu stellen, die uns heute fast wie ein Déjà-vu erscheinen: Wie konnte es überhaupt zu so einer Misere kommen und was kann man künftig dagegen tun?

In Folge der Weltwirtschaftskrise kam es 1931 zu einer Bankenkrise – auch in Deutschland. Als die Darmstädter und Nationalbank (Danatbank) in Turbulenzen geriet und ihre Schalter schließen musste, erfasste eine große Vertrauenskrise das gesamte deutsche Bankensystem. Es kam zum gefürchteten Run: Vor allen Banken bildeten sich lange Schlangen. Damals, im Jahr 1931, wurde der Grundstein für eine einheitliche staatliche Aufsicht über alle Banken gelegt. Zuvor hatte es Aufsichtsregeln nur für einzelne Institutsgruppen (die öffentlich-rechtlichen Sparkassen in Preußen seit 1838 und die Hypothekenbanken seit 1899) und einzelne Arten von Bankgeschäften (etwa durch das Depotgesetz und das Börsengesetz von 1896) gegeben.

Ansonsten herrschte bis zu Beginn der 30er Jahre auch im Bankensektor im Wesentlichen der Grundsatz der Gewerbefreiheit (Kern der Gewerbeordnung von 1869). Eine einheitliche Versicherungsaufsicht für das damalige Deutsche Reich wurde im Übrigen 1901 geschaffen.

Man sollte meinen, dass die Erlebnisse der Weltwirtschafts- und der Bankenkrise so verheerend waren, dass niemand mehr am Sinn von Regulierung und Aufsicht zweifeln würde. Aber große Teile der Wissenschaft wandten sich bald wieder der Vorstellung zu, dass der Markt irgendwie von Zauberhand funktioniert. Sie glaubten an den Homo Oeconomicus, der, vereinfacht gesprochen, nicht nur seinen eigenen, sondern auch den Profit aller maximiert. Mit zunehmender zeitlicher Entfernung zum Schwarzen Freitag und der Großen Depression gewann Deregulierung auch in der Politik wieder eine wachsende Anhängerschaft. Vorreiter waren die USA, aber kein Land in der westlichen Hemisphäre wider-setzte sich wirklich diesem Trend.

Einen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung, als 1994 der damalige US-Präsident Bill Clinton ein neues Bankengesetz unterzeichnete. Damit wurden grundlegende Vorschriften zur Bankenregulierung beseitigt, die jahrzehntelang Bestand hatten. In Anwesenheit hochrangiger Vertreter von Industrie und Politik sagte Clinton: „Wir räumen überflüssige, von der Regierung aufgestellte Hürden aus dem Weg.“ Er kündigte an: „Die neuen Regeln machen uns wirtschaftlich stärker und effizienter, sie sind gut für die Verbraucher.“ Mit dem Wissen von heute, meine Damen und Herren, kann man selbstverständlich zu einer völlig anderen Einschätzung kommen.

Und so diagnostizierte die vom US-amerikanischen Kongress eingesetzte Financial Crisis Inquiry Commission (FCIC) Anfang 2011, dass die Finanzkrise eben kein perfekter Sturm und keine unvermeidbare Verkettung unglücklicher Umstände gewesen sei. Vielmehr sei sie durch „menschliche Taten und Tatenlosigkeit verursacht worden". Auslöser seien ein „enormes Versagen" von Regierung und Finanzaufsicht sowie ein „rücksichtsloses Risikomanagement" der Geldindustrie gewesen. Daron Acemoglu, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), erklärte im Januar 2011: „Der Druck in Richtung einer bestimmten Form von Deregulierung war eine Triebfeder für die Finanzkrise." Natürlich gab es auch schon vor der Krise bereits Rufer in der Wüste, die vor den Gefahren der Deregulierung warnten. Auf sie hören wollte je-doch kaum jemand.

2007/2008 nach Ausbruch der Krise wurde der regulatorische Reset-Knopf gedrückt. Viele Politiker und Wissenschaftler konvertierten quasi über Nacht in Anhänger einer konsequenteren Regulierung. Entsprechend hoch waren plötzlich die Erwartungen, die die Öffentlichkeit an Regulierung stellte: Man müsse nur den Schalter umlegen, dann können Krisen künftig völlig verhindert werden. Allerdings ist Regulierung keine Zauberei, und es kann nicht ihr Ziel sein, jede kleine Sicherheitslücke zu schließen. In einer Marktwirtschaft darf der Staat kein „omnipräsenter Leviathan“ sein, der – bis ins kleinste Detail hinein – dieses und jenes regelt. Den Kräften des Marktes müssen auch Freiheiten zugestanden werden, damit sie ihre wohlstandsmehrende Wirkung entfalten können.

Gute Regulierung bietet dafür einen stabilen Ordnungsrahmen. Ein solcher Rahmen hilft uns, die Risiken auf den Finanzmärkten unter Kontrolle zu halten – unter anderem, indem er die richtigen Anreize setzt und die Marktteilnehmer zu risikobewusstem Handeln bewegt. Regulierung mit Augenmaß erfordert immer eine möglichst akkurate Justierung zwischen „zu viel“ und „zu wenig“. Das allgemeine Regulationsniveau der Vorkrisenzeit dagegen war schlichtweg mangelhaft. Was es auf jeden Fall zu vermeiden gilt, ist ein ständig wiederkehrender regulatorischer Schweinezyklus aus Krise – Regulierung – Deregulierung und erneute Krise. Eine neue Deregulierungswelle kann in niemandes Interesse sein. Was sowohl die Industrie als auch das öffentliche Gemeinwesen brauchen, sind regulatorische Stabilität und Verlässlichkeit.

Eine entsprechende Mahnung habe ich auch bei der letzten Kreditpolitischen Tagung im November vergangenen Jahres hier in Frankfurt geäußert. Nun war das genau drei Tage nach den Präsidentschaftswahlen in den USA. Vielleicht haben Sie mitbekommen, wie das Echo in den Medien ausfiel. Meine allgemeine Warnung vor einem unklaren Kurs in Regulierungsfragen wurde vielfach als Kritik am gewählten US-Präsidenten wahrgenommen. An Donald Trump und seine möglichen Pläne für die Kapitalmärkte habe ich damals aber überhaupt nicht gedacht. Mir ging es eher um entsprechende Forderungen der hiesigen Industrie. Außerdem halte ich es, im Sinne der Bergpredigt, so, dass ich Menschen nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten messe. Das gilt auch für die neue Administration in den USA, die ihr neues Amt bekanntlich erst übermorgen antritt.

Sollten sich die Deregulierungsgedanken in der politischen Praxis bestätigen, bleibt meine Mahnung aber in vollem Umfang gültig. Denn auch international brauchen wir keine Deregulierung, sondern eine weitere Verstetigung unserer bisherigen regulatorischen Linie.

Konzeptionelle Stringenz schließt aber nicht aus, den Status quo der Regulierung immer wieder kritisch zu evaluieren und an der einen oder an-deren Stelle ein gewisses Finetuning vorzunehmen. Das ist etwas ganz anderes, als zu deregulieren. Was für mich zählt, ist, dass Regulierung dem jeweiligen Risiko entspricht. Das mag sich in der Theorie einfach anhören, in der Praxis ist das aber schon recht tricky. Unter anderem geht es darum, europaweit möglichst einheitliche Kriterien und Aufsichtsmechanismen zu finden, die den immer noch sehr unterschiedlichen Strukturen der nationalen Märkte Rechnung tragen, die aber andererseits einzelnen nationalen Akteuren keine unausgewogenen Vorteile verschaffen.

Meine Damen und Herren,

wie bereits eingangs erwähnt, gibt es in der Regulierung inzwischen einige „new frontiers“, um einen Begriff zu verwenden, den der frühere US-Präsident John F. Kennedy geprägt hat. So geht es in den politischen Debatten nicht mehr nur um Fragen klassischer, solvenzbasierter Regulierung. Häufig bewegen wir uns im Spannungsfeld von Legalität und Legitimität. Es geht um bestimmte Verhaltensweisen von Bankmitarbeitern und die Erwartungen der Öffentlichkeit an den Staat, diese zu sanktionieren.

Diese Erwartungshaltung hat im Zuge eines gesellschaftlichen Werte-wandels permanent zugenommen. Und ich brauche keine hellseherischen Fähigkeiten, um behaupten zu können, dass sich diese Entwicklung weiter fortsetzen wird.

Inwieweit wir Aufseher den öffentlichen Erwartungen in jedem Fall gerecht werden können, steht auf einem anderen Blatt. Wer es darauf an-legt, gesetzliche Lücken für gewisse Geschäfte zu nutzen, holt sich nicht selten juristischen Rat dazu ein. Es sind ja meist keine heurigen Hasen, die sich mit ihren Geschäften in manche Grauzone begeben. Bei den Schlagworten „Cum ex“ und „Cum cum“ beispielsweise ist nicht immer klar, ob und ab welchem Zeitpunkt gegen geltendes Recht verstoßen wird. Dies gilt insbesondere für eine Aufsichtsbehörde mit weitreichen-den Eingriffsbefugnissen. Und solange sich ein Finanzinstitut formal rechtstreu verhält, sind der Aufsicht die Hände gebunden. In einem Rechtsstaat kann aus vielen guten Gründen nur derjenige zur Verantwortung gezogen werden, der gegen ein Gesetz verstoßen hat – und dem dieser Verstoß auch nachgewiesen werden kann.

Richtig ist aber auch: Nicht alles, was rechtlich zulässig ist, ist zwangsläufig legitim. Bundespräsident Joachim Gauck nannte in einer Rede anlässlich des 20. Deutschen Bankentages im April 2014 exemplarisch über-steigerte Gewinnansprüche und verantwortungsloses Verhalten zu Lasten Dritter. Damit hat der Bundespräsident eine notwendige gesellschaftliche Debatte weiter vorangetrieben.

Über Fragen, die letzten Endes die Ebenen von Ethik und Moral berühren, kann auch nur in einem politischen oder gesellschaftlichen Diskurs geurteilt werden. Dessen Ergebnisse müssen durch den Gesetzgeber allerdings in eindeutig formulierte Normbefehle übersetzt werden.

Staatliche Sanktionen können aber immer nur eine zweitbeste Lösung sein. Vorrang muss ein weiterer Wertewandel in der Finanzindustrie selbst haben. Alle Akteure an den Märkten täten gut daran, sich immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass Vertrauen ein entscheidendes Fundament für den Geschäftserfolg von Finanzunternehmen ist. Faires und korrektes Verhalten schafft Vertrauen – auch jenseits der harten Fragen der Legalität. Fehlverhalten dagegen sät Misstrauen. Zunächst gegen ein konkretes Institut. Häuft sich derartiges Betragen jedoch, kann eine gesamte Branche in Verruf geraten. Deshalb ist das Leitbild vom ehrbaren Kaufmann kein überholtes Ideal aus vergangenen Zeiten, sondern eine Leitplanke, an der sich Manager auch heutzutage orientieren können, ja sogar müssen. Derart anständiges Verhalten zahlt sich auch wirtschaftlich aus. Etwa dann, wenn ein Unternehmen bei seinen Kunden als besonders vertrauenswürdig und verlässlich gilt. Mit einem solchen Institut geht man gerne eine Geschäftsbeziehung ein. Eine nachhaltige Compliance, eine umfassende Risikokultur und eine funktionierende Geldwäschevorsorge wirken auf Dauer stärker als jede Hochglanz-Broschüre einer Bank. Vor allem die Führungskräfte sind gefordert, mit gutem Bei-spiel voranzugehen und Geradlinigkeit im Alltag vorzuleben. Integrität muss fester Bestandteil betrieblicher Abläufe werden oder bleiben.

Leider bezweifle ich, dass sich Vertrauen allein mit Selbstverpflichtungen oder Appellen herstellen lässt. Selbst der Eid, den die Mitarbeiter niederländischer Finanzinstitute seit April 2015 leisten müssen, würde ohne die dahinterstehenden Sanktionen nur bedingt Wirkung entfalten. Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass Bankmitarbeitern in den Niederlanden bei Nachweis eines Fehlverhaltens bis zu 25 000 Euro Bußgeld oder so-gar bis zu drei Jahren Berufsverbot drohen. Natürlich können eine gute Compliance und eine angemessene Risikokultur nicht in jedem Unter-nehmen im Detail herbei reguliert werden. Man kann aber sehr wohl inhaltlich, personell und prozessual das Umfeld und die Voraussetzungen schaffen, auf deren Basis eine angemessene Risikokultur gedeihen kann. Und dies genau adressieren wir im Rahmen unserer Mindestanforderungen an das Risikomanagement, den MaRisk, indem wir solche Grundvoraussetzungen auch aufsichtlich einfordern und uns zukünftig eingehen-der mit dieser Thematik aufsichtlich beschäftigen werden.

Eine zunehmende Aufsicht und Regulierung von Verhalten ist neben traditionellen, bilanzbasierten Kennzahlen – wir nennen dies prudenzielle Regulierung – daher einer der nach wie vor unterschätzten Trends derzeitiger Regulierung. Dieser Aufsichtszweig ist ebenso wichtig wie der solvenzbasierte und gewinnt mit anstehenden europäischen Vorgaben weiter an Bedeutung – zum Beispiel mit den Leitlinien der europäischen Aufsichtsbehörden zur Beschwerdeabwicklung und – bearbeitung sowie den künftigen Neuerungen durch die Finanzmarktrichtlinie MiFID II und die Finanzmarktverordnung MiFIR.

Wenn wir Verbraucher in einer immer komplexeren und datendurchdrungenen Welt angemessen schützen wollen, dann sind solche Vorgaben unvermeidlich. Nur so können wir faire Bedingungen auf den Finanzmärkten sichern. Die Institute, die wir beaufsichtigen, müssen daher in der Verhaltensaufsicht ebenso mit uns rechnen wie in der sogenannten prudenziellen Aufsicht. Verhaltensregulierung ist kein Schmuck am Nachthemd, sondern ein Thema, das wir zielgerichtet weiterentwickeln müssen.

Umgekehrt müssen wir aber die Gefahr vermeiden, gerade in der Verhaltensregulierung eine Regelungsdichte und Komplexität zu schaffen, mit der die flächendeckende Versorgung mit Finanzprodukten fraglich wer-den könnte. Die Anforderungen dürfen nicht derart hochgeschraubt und mit Rechtsrisiken überfrachtet werden, dass es sich nicht mehr lohnt, bestimmte Angebote für einen breiten Kundenkreis aufzulegen. Damit wäre den Verbrauchern sicher nicht geholfen. Wir dürfen den schmalen Grat der Angemessenheit auch in der Verhaltensregulierung nicht verlas-sen.

Meine Damen und Herren,

nicht nur wegen gesellschaftlicher Trends und höherer ethischer Ansprüchen muss sich gute Regulierung ständig weiterentwickeln. Auch die Digitalisierung wird Regulierer und Aufseher noch vor zahlreiche grundlegende Herausforderungen stellen. Sie alle kennen das Stichwort FinTechs. Viele dieser jungen technologiegetriebenen Unternehmen streben derzeit auf den Markt. Wenn man mit deren Gründern spricht, dann klingt das oftmals nach „the sky is the limit“.

Nun wachsen auch bei Start-ups keine Bäume in den Himmel. Aber „Change“ gehört zum Leben dazu, auch auf den Finanzmärkten – und ich begrüße das ausdrücklich. Offenheit für neue Wettbewerber ist ein originärer Wesenszug einer Marktwirtschaft, der sie von anderen, weitaus weniger erfolgreichen Systemen unterscheidet. Ganz praktisch stellt sich für uns aber die Frage, wie wir regulatorisch und als Aufsicht mit FinTechs umgehen. Grundsätzlich gelten für FinTechs – je nach Geschäft - dieselben Vorschriften wie für die etablierten Banken: „Gleiches Geschäft, gleiches Risiko, gleiche Regel“. Selbstverständlich beachten wir dabei immer auch den Grundsatz der Proportionalität. Als Aufseher spielen wir aber nicht den Oberschiedsrichter über Geschäftsmodelle. Das ist nicht unsere Rolle, darüber entscheidet immer noch der Markt. Was FinTechs aber von uns als Aufsicht verlangen können, ist eine zeit-gemäße und zeitnahe, das heißt zielgruppengerechte Kommunikation und Verwaltungshandeln.

Wir dürfen Digitalisierung aber nicht nur als technische, administrative, kostenmäßige oder datenschutzrechtliche Herausforderung sehen, sondern als fundamentale. Was passiert, wenn große Technologie-Player wie Apple, Amazon oder Google mit all ihrer Macht ins Finanzgeschäft streben, oder zumindest versuchen, Teilbereiche klassischer Bankdienstleistungen für sich zu erschließen? Wie gehen wir damit um, wenn durch die Digitalisierung Bankdienstleistungen verstärkt von unregulierten IT-Dienstleistern angeboten werden? Das Musik- und das Buchgeschäft haben diese Konzerne teilweise revolutioniert. Im Finanzsektor werden die alteingesessenen Unternehmen mit der Innovationskraft der jungen und zum Teil gar nicht kleinen Wilden umgehen müssen.
Aber auch wir Regulierer und Aufseher müssen das richtig handhaben und uns inhaltlich auf die unglaubliche Innovationskraft der Fintechs sowie der Apples, Amazons, Googles & Co. einstellen.
Natürlich muss zu diesem Zeitpunkt niemand einen abschließenden Masterplan für Regulierung und Aufsicht in den Zeiten von Vernetzung und Big Data aus der Tasche ziehen. Ich rate uns jedoch, bereits jetzt nachhaltig und qualifiziert über diese „new frontier“ der Regulierung in allen ihren Facetten nachzudenken.

Meine Damen und Herren,

kommen wir zum Abschluss noch einmal zu unserer Ausgangsfrage „Wie viel Regulierung braucht die Finanzwirtschaft?“ zurück. Vom früheren Volkswagen-Manager Daniel Goeudevert stammt das folgende Bonmot: „Es gab neulich eine Umfrage unter Löwen. Ergebnis: Sie lehnen den Käfig ab, wollen aber weiter eine gute Verpflegung.“ Die Reaktion dieser Löwen ist, so meine ich, im Grunde zutiefst rational. Keine Gitterstäbe mehr, dafür aber weiterhin gutes Essen! So einen Deal würden wir alle machen. Deshalb fragt man auch nicht die Löwen, wenn man für sie ei-nen Käfig bauen will. Soll heißen: Natürlich handeln einzelne Interessengruppen rational, wenn sie aus ihrer Sicht ungeliebte Regulierung ab-lehnen oder zumindest abschwächen wollen. Das enthebt die öffentliche Hand aber eben nicht ihrer Verantwortung, Regeln zu entwickeln und durchzusetzen, die aus Sicht der Gesellschaft Wohlstand und Nutzen maximieren und insoweit als politisch notwendig anzusehen sind. Das Phänomen wird Ihnen bekannt vorkommen. Eine gesamte TeilwissenSchaft, die Spieltheorie, beschäftigt sich mit genau diesen Fragestellungen.

Ich denke an dieser Stelle auch mit großem Respekt an meinen Mentor aus meiner Harvard-Zeit, Thomas Schelling, zurück. Einen der Väter der modernen Spieltheorie, der 2005 dafür mit dem Nobelpreis geehrt wurde.

Zwar kann auch die stringenteste Regulierung keine Garantie dafür geben, dass es nicht wieder zu einer Finanzkrise kommen wird. Dennoch ist Laissez-faire in jedem Fall die schlechtere Option. Eine angemessene Regulierung und eine schlagkräftige Finanzaufsicht können verhindern, dass die Maßlosigkeit auf den Märkten so überhandnimmt, wie in den Jahren unmittelbar vor der Krise. Ein stringentes Regelwerk ermöglicht Politikern und Aufsehern auch, zeitnah und wirksam aktiv zu werden, bevor eine lokal begrenzte Problemsituation die globalen Finanzmärkte insgesamt in Kalamitäten bringen kann.

Wie angemessene Regulierung aussehen kann, lässt sich in einer markt-wirtschaftlichen Ordnung auf eine kurze Formel bringen: So viel wie nötig. Sie muss die Stabilität der Finanzmärkte schützen, darf aber Innovationen nicht verhindern und die Mechanismen des Marktes nicht aus-bremsen. Dabei ist Regulierung niemals abgeschlossen, sondern immer – wie es neudeutsch heißt - „work in progress“.

Und eines sollte auch klar sein: Was immer angemessene Regulierung unter diesen Bedingungen auch kosten mag, der Preis dafür wird mit Sicherheit niedriger sein als die Kosten einer neuen weltweiten Finanzkrise.

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