Erscheinung:01.09.2016 Banken im Niedrigzinsumfeld
Impulsvortrag von Felix Hufeld auf der 21. Handelsblatt Jahrestagung "Banken im Umbruch" am 1. September 2016 in Frankfurt
- Es gilt das gesprochene Wort -
Meine Damen und Herren,
Für den amerikanischen Schriftsteller Josh Billings (1818 - 1885) gab es nichts Unbarmherzigeres auf der Erde als sieben Prozent Zinsen. Sie kennten keine Pause, schrieb er, und keine Religion;
sie arbeiteten nachts und sonntags – und sogar an Regentagen . Billings, der eigentlich Henry Wheeler Shaw hieß, lebte im 19. Jahrhundert. Mit seiner Klage sprach er vielen Kreditnehmern seiner Zeit sicher aus der Seele. Heute wissen wir: Zinsen können pausieren; sie können sogar sehr lange pausieren. Für den Bankensektor wird die derzeitige Zinspause mehr und mehr zur bedrohlichen Durststrecke. Für das Gros der deutschen Banken, die im Durchschnitt immer noch zu gut 80 Prozent vom Zinsergebnis abhängen, gibt es in diesen Tagen kaum etwas Unbarmherzigeres (wenn man von der Aufsicht einmal absieht). Das gefühlt ewige Zinstief lässt die Ertragsbasis der Institute langsam, aber sicher erodieren.
Je länger die Niedrigzinsphase dauert, desto größer wird der Anteil von langfristigen niedrigverzinsten Krediten in den Büchern der Banken. Irgendwann laufen dann auch die letzten hochverzinslichen Aktiva aus und müssen durch niedrig verzinste Aktiva ersetzt werden. Wenn die Zinsen weiter so niedrig bleiben, und davon ist im Moment auszugehen, dann werden sich die Ergebnisse noch deutlich verschlechtern – trotz der immer noch guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Je länger die Niedrigzinsphase dauert, desto problematischer wäre auch eine plötzliche Wende in der Zinspolitik – vor allem für die Banken, die langfristige Finanzierungen anbieten, sich aber kurzfristig refinanziert haben. Bei steigenden Zinsen verteuerte sich deren Refinanzierung – mit der Konsequenz, dass die Ertragslage zunächst noch schlechter würde; die aus den höher verzinslichen Anlagemöglichkeiten resultierende Ertragsverbesserung käme erst zeitversetzt. Einen solchen Zinsschock muss jede Bank aushalten können, und darum legen wir derzeit einen besonderen aufsichtlichen Schwerpunkt auf das Zinsänderungsrisiko der Banken.
Bei vielen Institute, die wir direkt beaufsichtigen, ist dieses Risiko sichtbar. Umso wichtiger ist es, dass die Banken auch dieses Risiko mit ausreichend Kapital unterpolstern. Im SREP, im Supervisory Review and Evaluation Process, machen wir uns ein genaues Bild der Gesamtrisikolage jeder Bank und werfen dabei auch einen kritischen Blick auf das Zinsänderungsrisiko. Die Branche kann davon ausgehen, dass wir flächendeckend auch eine zusätzliche Kapitalunterlegung für dieses Risiko fordern. Die ersten SREP-Bescheide haben wir bereits verschickt, und dabei ist natürlich auch das Zinsänderungsrisiko ein Treiber für die Kapitalfestsetzung gewesen.
Richtig schmerzhaft waren die Kapitalaufschläge aber nur in einzelnen Fällen. Die meisten Institute haben in den zurückliegenden Jahren genug Reserven gebildet, um unsere zusätzlichen Anforderungen erfüllen zu können. Und das ist natürlich ausgesprochen positiv zu würdigen.
Wir werden außerdem die Institute, die wir direkt beaufsichtigen, im kommenden Frühjahr zu einer Neuauflage unserer Niedrigzinsumfrage aus dem vergangenen Jahr bitten. Basis sollen dann die Jahresabschlüsse 2016 sein. Die Ergebnisse der neuen Umfrage wollen wir dann im SREP 2017 berücksichtigen. Die aggregierten Zahlen werden wahrscheinlich Mitte 2017 veröffentlicht.
In Kürze werden wir uns mit den Verbänden zusammensetzen und einen ersten Ausblick auf die neue Umfrage geben. Wichtig ist uns, dass wir gemeinsam mit den Vertretern der Banken überlegen, welche Lehren wir aus der Umfrage 2015 ziehen können. Gemeinsam mit unseren Kollegen von der Deutschen Bundesbank werden wir die Methodik und die Szenarien aus der 2015er Umfrage noch einmal prüfen. Komplett umstricken werden wir das Ganze sicher nicht, denn wir wollen die Institute, die mit den neuen Ergebnissen in den SREP 2017 gehen, nicht grundsätzlich anders behandeln als die, die jetzt beim SREP dabei waren.
Was können die Banken tun, um in Zeiten pausierender Zinsen auskömmliche Erträge zu erwirtschaften? Auf bessere Zeiten warten? Hoffen hilft (fast) immer, hier reicht es aber sicher nicht. Um noch einmal Josh Billings zu zitieren: „Das Leben besteht nicht daraus, gute Karten zu haben, sondern mit denen, die du hast, gut zu spielen.“ Es gibt Wege aus dem Ertragstal, wenn sie auch allesamt beschwerlich sind. Einer führt bekanntlich über Kostensenkungen.
Sie kennen die üblichen Ansatzpunkte: Banken können über ihre Präsenz in der Fläche nachdenken, Verbundinstitute – und nicht nur diese – darüber, ob Kooperationen sinnvoll sind. Auch Fusionen können helfen, Kosten zu senken, ein Allheilmittel sind sie aber nicht. Die erhofften Synergieeffekte müssen erst einmal hart erarbeitet werden. Außerdem wird aus zwei schwachen Instituten nicht automatisch ein starkes.
Konsolidierung ist kein Selbstzweck, aber einer von mehreren denkbaren Wegen zu mehr Effizienz. Und sie kann in sehr unterschiedlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Formen stattfinden – vom vollen Merger zweier Institute über die Bündelung einzelner Wertschöpfungsstufen bis hin zu koordinierten Outsourcingstrategien. One size doesn’t fit all. Und es versteht sich von selbst, dass es die Aufgabe der Branche bzw. der einzelnen Institute ist, dies zu managen, und nicht die des Staates oder der Politik. Konsolidierung wird daher in einer gewissen Vielfalt weiter stattfinden – wahrscheinlich sogar verstärkt.
Ist Ordnungspolitik – und damit auch Konsolidierung – ein eigenständiges Motiv für Finanzregulierung oder gar Handlungsanweisung für Aufsicht? Klare Antwort: entgegen mancherlei Gerüchten, nein! Ist Regulierung eine von mehreren Ursachen und ein Treiber von Konsolidierung? Ja, natürlich – und das ist seit Jahrzehnten so.
Um nach den Verwüstungen durch die Finanzkrise Stabilität, Sicherheit und Vertrauen wiederherzustellen, mussten wir die Regulierung verschärfen. Acht Jahre nach Ausbruch der Krise ist es nun aber an der Zeit, dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit mehr Geltung zu verschaffen. Auf der anderen Seite kann man nicht behaupten, dass es in diesen acht Jahren sämtlichen Banken – insbesondere in Europa – gelungen wäre, ihre Bilanzen angemessen aufzuräumen. In den kommenden Monaten müssen wir überlegen, wie wir die regulatorischen Anforderungen am besten differenzieren können.
Was können die Banken auf der Ertragsseite tun? Sie können zum Beispiel für ihre Dienstleistungen risiko- und kostengerechte Preise verlangen. Über Girokonten, Depots oder Kreditkarten zum Nulltarif mögen sich Kunden freuen. Mangels alternativer Ertragsquellen lässt sich dieses Angebot aber nicht auf die Dauer aufrechterhalten. Trotz des harten Wettbewerbs mit Gratisangeboten wird es hier zu einem Umdenken kommen müssen. In den vergangenen Jahren haben viele Institute auch dadurch einen Ausgleich oder sogar Wachstum erzielt, dass sie ihr Kreditgeschäft ausgeweitet haben – vor allem in der Bau- und in der Mittelstandfinanzierung. Allerdings ist der Wettbewerb in diesen Segmenten extrem, und der konjunkturelle Rückenwind wird irgendwann abflauen. Hier muss sehr genau darauf geachtet werden, dass keine Blasen oder Risikokonzentrationen entstehen.
Mit der Frage „was tun?“ dringen wir ins Innerste der Banken vor, in ihre Geschäftsmodelle. Wie müssen sie beschaffen sein in einer Welt, in der Zinsen weitgehend abgeschafft sind? Die Institute, aber auch wir Regulierer und Aufseher müssen darauf über kurz oder lang eine Antwort finden. Denn wir müssen davon ausgehen, dass die Zinsen dauerhaft niedrig bleiben, und die Banken müssen belastbare Überlebensstrategien für ein solches Szenario entwickeln. Hinzu kommen die Herausforderungen aus der fortschreitenden Digitalisierung und die Konkurrenz durch FinTechs. Ein kritischer Blick auf Produktpalette und Wertschöpfungskette tut daher not. Nicht jedes Institut muss alles anbieten. Möglicherweise ist es angesagt, sich auf bestimmte Produkte zu konzentrieren. Was nicht heißt, dass ich das Universalbankenprinzip zu Grabe tragen möchte.
Mir ist klar, dass wir uns hier auf schwierigem Terrain bewegen. Sich über maßgeschneiderte Produkte von den Wettbewerbern abzusetzen, ist leichter gesagt als getan. Die Banken sollten daher auf der Suche nach Ertragsquellen nicht allzu kurzatmig agieren und langfristig große Risiken aufbauen, die in keinem Verhältnis zu ihren kurzfristigen Erfolgen stehen. Es geht hier auch um die Nachhaltigkeit. Als Aufsicht prüfen wir die Geschäftsmodelle der Banken und auch die Nachhaltigkeit ihrer Geschäftsstrategien. Wir glauben natürlich nicht, dass wir die besseren Banker sind, und wollen die Geschäftsführung nicht an uns reißen. Regulierung gibt einen Rahmen vor, innerhalb dessen sich die Institute frei bewegen sollen. Auch wir Aufseher wandeln gelegentlich auf einem schmalen Grat.
Da wir, wie ich gerade schon sagte, keine Strukturpolitik betreiben, haben wir übrigens keine Vorliebe für das eine oder andere Geschäftsmodell. Es wäre sinnlos und riskant, ein Einheitsmodell inklusive Einheitsrisiko zu züchten. Wir wollen weder die Bankenvielfalt in Deutschland drosseln noch wollen wir Banken generell den Garaus machen. Selbstverständlich haben Finanzintermediäre wie Banken auch künftig eine Daseinsberechtigung. Unternehmen können sich zwar über Anleihen finanzieren, und Anleger können in diese Anleihen investieren. Das allerdings mit all den Risiken und Nebenwirkungen, die damit vor allem für Privatanleger einhergehen. Die verzichten nämlich auf den Schutz der Einlagensicherung, wenn sie ihr Erspartes in Unternehmensanleihen stecken. Mit den Folgen dieses Problems haben wir derzeit akut in einigen europäischen Ländern zu kämpfen.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Es spricht grundsätzlich nichts dagegen, die Finanzierung über den Kapitalmarkt zu stärken. Wir sollten uns in Deutschland allerdings nicht einreden lassen, eine kapitalmarktorientierte Finanzierung sei einer bankbasierten Finanzierung strukturell überlegen, zumal für eine so stark mittelständisch geprägte Wirtschaft wie die unsrige. Also: Banken im Umbruch werden auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, wenn auch möglicherweise eine andere. Und auch nur die, die sich an das immer rauere Marktklima und den dramatisch fortschreitenden technologischen Wandel anpassen können.