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Erscheinung:27.06.2016 Regulierung und Aufsicht in bewegten Zeiten

Rede von Felix Hufeld, Präsident der BaFin, am 27. Juni 2016 in Düsseldorf

Es gilt das gesprochene Wort.

Meine Damen und Herren,

der US-Politiker Robert F. Kennedy, Bruder des früheren Präsidenten John F. Kennedy, sagte 1966 bei einer Ansprache: „Es gibt einen chinesischen Fluch, der lautet: „Möge er in interessanten Zeiten leben!'“ Er fuhr fort: „Ob wir es wollen oder nicht – wir leben in interessanten Zeiten...“

Kennedy versuchte sich als Prophet, denn in der Regel entscheiden Geschichtsschreiber, ob eine Epoche als interessant eingestuft wird. Deswegen habe ich zunächst innegehalten, als Sie mich baten, zum Thema „Regulierung und Aufsicht in bewegten Zeiten“ zu sprechen. Spätestens seit dem britischen Votum über den BREXIT am vergangenen Donnerstag muss ich mir solche Sorgen wohl nicht mehr machen.

Nachdem wir am Freitag mit der schlechten Nachricht aufgewacht sind, gerieten die Aktien- und Devisenmärkte erwartungsgemäß unter Druck. Zentralbanken und Regulierer standen bereit, gegebenenfalls stabilisierend einzugreifen. Zwar beruhigten sich die Ausschläge im Laufe des Tages etwas, ich erwarte dennoch, dass in den nächsten Wochen und Monaten eine erhöhte Nervosität und damit auch Volatilität in den Märkten verbleiben wird.

Welche Auswirkungen der BREXIT dagegen mittel- bis langfristig haben wird, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend sagen. Es hängt davon ab, welche grundsätzlichen Entscheidungen die Politik auf EU- wie auch auf nationaler Ebene treffen wird – aber auch, wie die Finanzmärkte und die Unternehmen der Realwirtschaft darauf reagieren werden.

Dabei stünden wir in der Finanzmarktregulierung auch ohne den BREXIT vor anspruchsvollen Aufgaben. Vor allem drei Faktoren sind es, die aktuell die bisherigen Geschäftsmodelle von Banken und Versicherungen unter Druck setzen: die Folgen der Nachkrisenregulierung, das anhaltend niedrige Zinsniveau sowie die Digitalisierung.

Die Zeitschrift capital titelte vor einem Jahr: „Das Ende der Banken wie wir sie kannten“. Andere Blätter warten gelegentlich mit ähnlichen Überschriften auf. Nun ist bekannt, dass der Grundsatz „only bad news are good news“ nach wie vor Anhänger in der Medienlandschaft hat. Und dass die Finanzwelt im Wandel ist, wird kein Marktbeobachter ernsthaft bestreiten können. Dabei ist Veränderung per se ja nichts Schlechtes. Im Gegenteil, Veränderungen gehören zum Leben dazu; oft stoßen sie Weiterentwicklungen und Modernisierungsprozesse an. Im Geschäftsleben ebenso wie im persönlichen Werdegang. Wer dauerhaft am Markt erfolgreich sein will, muss auf Veränderungen reagieren – oder besser noch: sich frühzeitig und aktiv auf sie einstellen.

Sie kennen sicherlich die berühmte Parabel aus der Feder von Bertolt Brecht: „Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: Sie haben sich gar nicht verändert. Oh, sagte Herr K. und erbleichte.“ Nimmt man diese Geschichte zum Maßstab, dann läuft momentan kein Regulierer und kein Aufseher Gefahr, erbleichen zu müssen. Denn unser Arbeitsalltag hat sich enorm gewandelt. So war unser Job in der so genannten guten alten Zeit deutlich seltener von bösen Überraschungen und dramatischen Zuspitzungen geprägt. Das sieht mittlerweile mit Sicherheit anders aus.

Dass Aufsicht und Regulierung heutzutage eindeutig spannendere und äußerst herausfordernde Tätigkeitsfelder sind, hat natürlich mit dem großen Game Changer zu tun: der Finanzkrise 2007/2008. Diese bewegten und für viele auch nervenaufreibenden Zeiten - mit täglichen Hiobsbotschaften über Institutsverluste in Milliardenhöhe - sind uns allen in lebendiger Erinnerung. „Das darf nie wieder passieren“, war die einhellige Reaktion auf diese Ereignisse.

Sicherlich hatte die Finanzkrise verschiedene Ursachen. Mängel im internationalen Regulierungsgefüge, das jahrzehntelang von der Idee der Deregulierung oder, wenn Sie es englisch lieber mögen: des light touch, geprägt war, spielten dabei aber auch eine Rolle. Man hatte stark auf die Selbstkontrolle der Marktteilnehmer gesetzt – und damit auch auf die vermeintlichen Selbstheilungskräfte des Marktes.

Die Verfechter der Deregulierung hatten bedeutende Wissenschaftler auf ihrer Seite, etwa Eugene Fama, einen der geistigen Väter der Hypothese von der Effizienz der Märkte. Für diejenigen unter Ihnen, die berechtigterweise der Meinung sind, dass sich der Markt zumindest langfristig wieder einrenken wird, sei ein Satz von John Maynard Keynes in Erinnerung gerufen: „Markets can remain irrational longer than you can remain solvent.“
Unter dem Eindruck der Krise hat das Denken in der Regulierung eine neue Richtung genommen. Deshalb haben die G 20 auf ihrem berühmten Gipfel in Washington im Jahr 2008 eine weitreichende Forderung aufgestellt: We pledge to strengthen our regulatory regimes, prudential oversight, and risk management, and ensure that all financial markets, products and participants are regulated or subject to oversight, as appropriate to their circumstances.

Nun ging es darum, Finanzinstitute und Realwirtschaft vor einer Neuauflage der Krise zu schützen. Und zwar durch mehr und besseres Eigenkapital, strengere Vorgaben an Liquidität und Verschuldungsgrad, schärfere Anforderungen an verschiedene Bereiche des Risikomanagements, Vorgaben zur besseren Abwicklungsfähigkeit. Außerdem wurden deutlich mehr Daten von den Instituten abgefordert als zuvor.

Das, was manche nun durchaus nachvollziehbar als Belastung empfinden, war allerdings die gewollte Antwort auf eine nie dagewesene Finanzkrise.
Das gilt für Basel III genauso wie für die unmittelbar geltende Eigenkapitalverordnung (Capital Requirements Regulation - CRR) mit ihren gut 500 Artikeln und die Eigenkapitalrichtlinie (Capital Requirements Directive - CRD IV), die Basel III in Europa umsetzt. Es kann selbstverständlich nie Ziel von Regulierung sein, Marktschwankungen schlechterdings zu unterbinden. Das ist weder erstrebenswert, noch möglich. Die Lage stellt sich allerdings anders dar, wenn es um die Stabilität der Finanzmärkte als Ganzes geht - sei es national oder international, was in der heutigen Welt kaum noch zu trennen ist.

Neue Perspektiven verschafft uns auch der Einheitliche Bankenabwicklungsmechanismus (SRM), der zum Jahresbeginn seine Arbeit aufgenommen hat. Er soll möglich machen, was lange Jahre kaum vorstellbar war: Geraten systemrelevante Banken ins Wanken, werden die Abwicklungsbehörden sie künftig – so die Erwartung – geordnet liquidieren können. Die Allgemeinheit und - besonders wichtig - die Steuerzahler sollen dabei keinen Schaden nehmen. Damit wird in einem Ernstfall nicht mehr ein Bail-out, sondern der Bail-in das Mittel der Wahl sein. Das Signal, das so durch den SRM ausgesendet wird, ist stark: Der Staat fängt Banken nicht mehr auf, wenn ihr Geschäftsmodell versagt. Ich bin sicher, das wird seine Wirkung in der Finanzbranche nicht verfehlen. Dass man sich mit diesen neuen Regeln allerdings erst vertraut machen muss, hat ein volatiles Marktumfeld in den ersten Monaten dieses Jahres gezeigt.

Wer SRM sagt, muss auch SSM sagen. Der Start des Einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus im November 2014 war für die aufsichtliche Praxis ein großer Sprung nach vorn. Der SSM ist ein Netzwerk, in dem supranationale Akteure und nationale Aufseher unter der Führung der Europäischen Zentralbank (EZB) eng zusammenarbeiten. Was natürlich vernünftig ist, da die nationalen Aufsichtsbehörden über fundierte Erkenntnisse und Erfahrungen mit den von ihnen beaufsichtigten Banken verfügen.
Andererseits sind die Kapitalmärkte längst so verflochten und die Institute so international aufgestellt, dass auch die Branchenaufsicht sinnvollerweise eine mindestens europäische Perspektive braucht.

Derzeit findet die Fußballeuropameisterschaft in Frankreich statt. In den Nationalteams kommen Spieler aus unterschiedlichen Klubs zusammen. Auch sie brauchen erst ein paar gemeinsame Trainingseinheiten und gegebenenfalls Testspiele bevor alles reibungslos funktioniert. Deshalb konnte nicht erwartet werden, dass beim SSM alle Prozesse vom Start weg perfekt gelingen. Dennoch: Der Aufbau einer 1000-Mann-Struktur innerhalb kürzester Zeit war und ist eine herausragende Leistung. Und meiner persönlichen Einschätzung nach pendelt sich die Arbeit immer besser ein.

In der Wertpapieraufsicht bereiten wir uns darauf vor, dass die EU-Finanzmarktrichtlinie MiFID-II im Januar 2018 scharf geschaltet wird. Lassen Sie mich ein Thema der aktuellen Diskussion beispielhaft herausgreifen: den Umgang mit Research-Material.
Derzeit ist es üblich, dass Portfolioverwaltern von den Emittenten oder Vertriebsstellen Research-Material kostenfrei zur Verfügung gestellt wird. Dies gilt als Zuwendung und wird unter der MiFID-II nicht mehr erlaubt sein. Grundsätzliches Ziel ist ein so genanntes „Unbundling“, also die Entkoppelung des Researchs vom „Orderflow“. Künftig kann Research-Material auf zwei Arten zugänglich gemacht werden: Entweder zahlt es der Portfolioverwalter aus eigener Tasche, oder er vereinbart mit seinem Kunden hierfür eine separate Gebühr. Dann muss ein Research-Konto eingerichtet werden, über das der Portfolioverwalter dem Kunden jährlich Rechenschaft ablegen muss. Gegebenenfalls ist auch ein neues Budget zu vereinbaren.

Die Neuregelung des Researchs war von Anfang an umstritten, unter anderem weil die Fondsindustrie von den Regelungen mittelbar betroffen ist. Auch die größeren Banken, die alle Researchabteilungen unterhalten, trifft die Neuausrichtung. Darüber hinaus fürchtet die Industrie um ihre Wettbewerbsfähigkeit - gerade im Hinblick auf die Konkurrenz aus Asien sowie Nordamerika. Dort ist ein „Unbundling“, allen bisherigen Erkenntnissen zufolge, nicht geplant. Diese Bedenken der Branche wurden von der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) nicht aufgegriffen – und die Konsequenzen daraus unter Abwägung mit den Zielen für den Anlegerschutz als hinnehmbar eingestuft. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich die Industrie mit den neuen Regeln arrangiert.

Der MiFID-II-Prozess mag ein sehr aktuelles und gewichtiges Beispiel sein. Die Lasten verschärfter Regulatorik werden allerdings in allen Sektoren als hoch, gelegentlich als zu hoch, empfunden. Richtig ist, dass Regulierung immer eine sensible Kalibrierung zwischen „zu viel“ und „zu wenig“ erfordert. Aber das allgemeine Regulationsniveau der Vorkrisenzeit wäre schlicht unzureichend.

Was es zu vermeiden gilt, ist ein immer wiederkehrender regulatorischer Schweinezyklus aus Krise – Regulierung – Deregulierung und erneute Krise. So etwas kann in niemandes Interesse sein. Im Gegenteil: Wir müssen unsere regulatorische Strategie natürlich erst international verstetigen.

Deshalb dürfen wir nicht bei den ersten kritischen Äußerungen auf die Bewegungsmuster der Echternacher Springprozession einschwenken. Ansonsten kommen wir bei der Finanzmarktstabilisierung nicht wirklich vorwärts. Entsprechend schlecht wären wir auf künftige Turbulenzen vorbereitet, von denen wir nur wissen, dass sie mit Sicherheit kommen werden. Nur die Fragen nach dem „Wann“ und dem „Wo“ kann heute noch niemand ernsthaft beantworten. Deshalb tut eine verantwortungsvolle Regulierung gut daran, ihre Vorgaben möglichst breit auf den gesamten Finanzsektor wirken zu lassen. Natürlich immer unter Beachtung des Proportionalitätsprinzips.

Meine Damen und Herren,

wenn es um Risikomanagement und Stabilität geht, dann hat sich im Bankensektor seit der Finanzkrise außerordentlich viel verbessert. Was leider nicht für manche Geschäftspraktiken einiger Institute gilt. Manipulationen von Standards, inakzeptable Vertriebspraktiken, Beihilfe zur Steuerhinterziehung oder zur Geldwäsche – hier liegt noch immer einiges im Argen.

Schwierig wird es immer dann, wenn zivil- oder steuerrechtlich strittig ist, ob und zu welchem Zeitpunkt ein bestimmtes Handeln illegal ist - denken Sie an das Stichwort „Cum ex“ bzw. „Cum cum“.

Breiteres Medien-Echo fanden zuletzt so genannte „Short-Attacken“. Diskutiert wurde über Fälle, in denen bekannte Marktteilnehmer oder bis dato unbekannte „Analysehäuser“ gezielt negative Veröffentlichungen zu börsennotierten Unternehmen lancierten. Mutmaßlich um den Börsenkurs dieser Gesellschaften zum Absturz zu bringen - und dann selbst von fallenden Kursen zu profitieren. So ein Verhalten kann unter das Verbot der Marktmanipulation fallen, wenn die veröffentlichten kursrelevanten Informationen falsch oder irreführend sind. Objektiv unrichtige Angaben lassen sich normalerweise auch verhältnismäßig leicht feststellen. Dagegen ist es oft schwierig, einen Vorsatz nachzuweisen - oder manchmal sogar eine Zweifel erweckende Veröffentlichung einer bestimmten natürlichen Person konkret zuzurechnen.

Noch komplizierter wird es, wenn einzelne Angaben zwar für sich genommen richtig sind, sie im Gesamtkontext aber möglicherweise ein verzerrtes Bild von einem Unternehmen widerspiegeln, etwa weil wesentliche Informationen taktisch weggelassen wurden. Ohne stichhaltige Argumente und eindeutige Indizien lässt sich in solchen Graubereichen nur schwer vorsätzliches, das heißt kriminelles Handeln nachweisen. Dennoch gehen wir solchen Fällen selbstverständlich intensiv nach und leiten unsere Erkenntnisse – soweit belastbar – an die zuständigen Ermittlungsbehörden weiter.

Egal, ob Verschleierungen von Handelsgeschäften, Geldwäsche in Offshore-Steuerparadiesen oder irreführende Veröffentlichungen, manche Manipulationen könnten aus dem Drehbuch eines „Tatort“ oder eines „James Bond“-Films stammen.

Die Beispiele sind bunt und vielfältig: Konten und Depots in der Südsee, IT-Server im fernen Asien, Treuhänder und Strohleute in den Alpen – 007-Fans dürfte all dies bekannt vorkommen. Aufseher sind aber keine Hollywood-Superhelden, die regelmäßig die Grenzen ihrer Ermittlungsbefugnisse auf gelegentlich sehr robuste Weise selbst bestimmen. Wir müssen uns an Aufgaben und Zuständigkeiten halten. Dazu zählt nicht, offene Rechtsfragen oder gesellschaftliche Debatten im Vorfeld eines Gesetzgebungsverfahrens oder eines Richterspruchs durch ein forsches Verwaltungshandeln quasi im Vorgriff zu klären.

Und so lässt sich die Frage, wann exekutives Aufsichtshandeln möglich, geboten oder gar rechtswidrig ist, nur eindeutig beantworten, wenn auch das rechtliche Umfeld hinreichend klar ist.

Richtig ist aber auch: Nicht alles, was legal ist, muss auch legitim sein. Darüber kann allerdings nur in einem politischen oder gesellschaftlichen Diskurs geurteilt werden. Aktuelle Fälle, die in Medien und Gesellschaft einen enormen Widerhall gefunden haben, dürften solche Debatten mit Sicherheit weiter angeregt haben. Alle Akteure an den Finanzmärkten täten gut daran, sich immer wieder in Erinnerung zu rufen: Faires und korrektes Verhalten schafft – auch jenseits der harten Fragen der Legalität - Vertrauen. Fehlverhalten zerstört Vertrauen, das geht ganz schnell.

Meine Damen und Herren,

wenn wir in der TV-Sendung „Wünsch Dir was“ wären, würden viele Manager von Banken und Versicherungen zweifellos nach weniger Regulierung rufen. Allerdings würden noch mehr, so vermute ich, steigende Zinsen fordern. Nicht abrupt, sondern langsam zulegend. Und das nicht ohne Grund: Die deutschen Banken hängen im Durchschnitt zu 80 Prozent am Zinsergebnis. Wenn der Zins so gut wie abgeschafft wird, muss man kein Mathematikgenie sein, um zu begreifen, dass diese Unternehmen mittelfristig ein Problem haben werden.

Das Gefährliche an der aktuellen Situation ist, dass sich die Belastungen, die in erster Linie den niedrigen Zinsen geschuldet sind, wie schleichendes Gift in die Bilanzen hineinfressen und nicht über Nacht mit großem Getöse kommen. Zudem haben in den vergangenen Jahren einige positive und nicht beliebig wiederholbare Effekte stark geholfen.

Als Beispiele könnte ich die günstigere Refinanzierung, Volumenausweitungen durch die günstigen Kreditkonditionen, die quasi zu einer Sonderkonjunktur bei bestimmten Finanzierungen geführt haben, und sehr geringe Belastungen aus den Bewertungsergebnissen nennen. Das hat den Eindruck erweckt, dass trotz aller Warnungen vor den niedrigen Zinsen eigentlich alles in Ordnung ist.

Dieser Blick in den Rückspiegel gibt aber nicht die richtige Perspektive für die nächsten Jahre wieder. Alle unsere Analysen zeigen, dass die Belastungen die Bilanzen schwer treffen werden. Aufsicht und Unternehmen müssen alles tun, um gegenzusteuern. Das Spektrum reicht von weiteren Substanzstärkungen über Kostensenkungen und die Veränderung von Produktportfolios bis hin zu einer Überprüfung der Ertragsseite. Letzteres ist natürlich besonders schwierig, denn die Erträge können nicht auf Knopfdruck optimiert werden. Aber es müssen Potenziale gehoben werden. Die hohe Abhängigkeit der Privatkundenbanken vom Zinsergebnis kann unter derartigen Bedingungen jedenfalls auch nicht mehr wie gewohnt bestehen bleiben.

Dass die Lebensversicherer – wie auch weitere kollektive Risikoabsicherungs- oder Sparmodelle – in besonderer Weise unter dem Niedrigzinsumfeld leiden, liegt auf der Hand. Unsere Prognose, dass die Versicherer auf kurze und mittlere Sicht ausreichendes Stehvermögen haben, ihren Verpflichtungen nachzukommen, ist allerdings nach wie vor aktuell. Gründe hierfür sind die schrittweise Absenkung von Gewinnbeteiligung und Zinszusatzreserve, die wir seit 2011 einfordern. Ebenso wichtig ist, dass die Unternehmen ihre Produktportfolios modifizieren und die einseitige Ausrichtung auf Lebensversicherungen mit garantierten Zahlungen um z. B. Produkte mit modifizierten Garantien erweitern.

Niedrigzinsumfeld hin, Regulierungskosten her. Es darf auch nicht übersehen werden, dass die Widerstandskraft der Banken und Versicherungen hoch ist und durch verschiedene Maßnahmen gestärkt wurde. Mit manchen medialen Abgesängen auf die klassischen Banken und Versicherungen verhält es sich daher ähnlich wie mit der berühmten Nachricht über den verfrühten Tod des Schriftstellers Mark Twain und seine gelassene Reaktion darauf: „The reports of my death are greatly exaggerated.“

Meine Damen und Herren,

auch die dritte genannte Entwicklung, die Digitalisierung, fordert die Finanzinstitute zwar heraus, ob und in wie weit sie wirklich eine Bedrohung darstellt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Richtig ist: FinTechs mischen derzeit den Markt auf. Ihre Ambitionen sind groß: Sie wollen nicht schüchtern an die Türen der Etablierten klopfen, sie wollen sie eintreten. Dagegen ist auch nichts zu sagen, im Gegenteil. Auch in der Finanzszene ist „Change“ angesagt. Und wenn junge Unternehmen mit neuen Ideen an den Markt gehen und dort Resonanz finden, dann spricht das dafür, dass dieser Markt funktioniert.
Eine andere Frage ist, wie wir regulatorisch und als Aufsicht mit FinTechs umgehen. Um es kurz zu machen: Wir ziehen weder Schutzzäune um die Etablierten, noch privilegieren wir die Newcomer.

Grundsätzlich gelten für FinTechs – je nach Geschäft - dieselben Vorschriften wie für die etablierten Banken: „Gleiches Geschäft, gleiches Risiko, gleiche Regel“, so einfach ist das. Selbstverständlich beachten wir dabei immer auch den Grundsatz der Proportionalität. Als Aufseher hüten wir uns aber davor, Schiedsrichter über Geschäftsmodelle zu spielen. Das ist Aufgabe des Marktes. Was FinTechs aber von uns als Aufsicht verlangen können, ist eine angemessene Kommunikation. Angemessen heißt: verständlich, schnell und – soweit es geht – elektronisch. So bieten wir beispielweise seit kurzem auf unserer Homepage einen maßgeschneiderten Service für potenzielle FinTech-Gründer an, den wir schrittweise ausbauen werden.

Morgen findet übrigens in Frankfurt unsere Konferenz „BaFin-Tech 2016“ statt. Dort bieten wir Unternehmen die Möglichkeit, einen Einblick in unsere Sicht- und Arbeitsweise zu erhalten – und in einen intensiven Dialog zu treten. Ganz altmodisch: offline, Mensch zu Mensch.

Die meisten Akteure bei den FinTechs sind keine Experten in aufsichtlichen Fragen. Um mit ihren Geschäftsmodellen Erfolg zu haben, brauchen die Start-ups natürlich eher technisch versierte Spezialisten als Kronjuristen. Gleichzeitig erhoffe ich mir auch Impulse für unsere Arbeit. Je mehr wir über die FinTechs und ihre Unternehmenskonzepte wissen, umso schärfer ist unser Bild davon, auf was es in Regulierung und Aufsicht letzten Endes ankommt. Eine solide Datengrundlage sowie fundierte Fachexpertise sind gleichzeitig die wichtigsten Voraussetzungen, um in einem sich wandelnden Umfeld langfristige tragfähige Entscheidungen treffen zu können.

Meine Damen und Herren,

dass die alten Chinesen Veränderungen nicht nur als Fluch verdammt, sondern auch als Chance gesehen haben, beweist ein anderer Satz: „Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Schutzmauern, die anderen bauen Windmühlen.“

Auch wir Regulierer und Aufseher haben die Nachkrisenjahre als Chance gesehen – und sie genutzt, um die Branche resistenter zu machen. Die Institute haben jetzt deutlich mehr Kapital als vor der Krise. Es gibt jetzt außerdem im Euroraum eine gemeinsame Aufsicht für bedeutende Institute und eine Behörde für Bankenabwicklung. Wir sind also deutlich besser für einen Krisenfall gerüstet.

Die Zeiten sind in der Tat interessant für Bankmanager, Regulierer und Aufseher. Uns dürfen herausfordernde Aufgaben aber nicht abschrecken. Wir wachsen mit ihnen – und entwickeln unser Finanzsystem, das in einer Marktwirtschaft eine entscheidende Rolle für Wohlstand und Wachstum spielt, mit ruhiger, aber zupackender Hand weiter.

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