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Erscheinung:10.03.2016 Rede im Rahmen der Jahrestagung des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft

Rede von Felix Hufeld, Präsident der BaFin, am 10. März 2016 bei der Internationalen Jahrestagung des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft in Wien

- Es gilt das gesprochene Wort -

Meine Damen und Herren,

Wien ist immer eine Reise wert. Umso mehr, wenn man Gelegenheit hat, auf der Jahrestagung des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft einen Vortrag zu halten. Fast könnte man meinen, dass Sie diesen Ort ganz bewusst gewählt hätten, um über gesellschaftliche Entwicklungen zu beraten, die die Versicherungswirtschaft in Europa und weltweit vor neue Herausforderungen stellen wird. Gerade die Donaumetropole, die einst Sitz der Habsburgischen Kaiser war, hat es immer wieder geschafft, sich neu zu erfinden, frische Ideen zu entwickeln, ohne Tradition und Charme vergangener Epochen aufzugeben.

Mit Ludwig van Beethoven gibt es zudem eine wunderbare Verbindung zwischen Wien und dem BaFin-Sitz Bonn. Die Faszination des Bonners Beethoven für Wien unterstreicht geradezu die Anziehungskraft dieser Stadt. 230 Jahren ist es her, dass Beethoven erstmals an die Donau reiste. Seine zweite Fahrt nach Wien, die ursprünglich als Ausbildungsreise geplant war, mündete dann aus vielerlei Gründen in einem Daueraufenthalt. Ich kann Sie jedoch beruhigen: Ich habe schon vor, die Rückreise nach Bonn anzutreten. Aber ich will mich ja auch nicht mit Beethoven gleichsetzen.

Das Geheimnis dieser Stadt ist wohl, dass Wien immer offen war für das Neue, das Herausfordernde. Gleichzeitig haben sich die Wiener stets ihrer Wurzeln besonnen und teilweise sogar liebevoll ihre Eigenheiten gepflegt. So sollte auch die Versicherungswelt offen für die Veränderungen sein, die beispielsweise der demografische Wandel oder die Digitalisierung mit sich bringen. Niemals aber sollte die Branche ihre Grundprinzipien vergessen. Und die lauten aus meiner Sicht: Kollektiv, Solidarität und Sicherheit. Das sind die Wurzeln, aus denen der Versicherungsgedanke erwachsen ist - und die den Unternehmen auch in Zeiten des Wandels Halt und Bodenhaftung geben können.

Dass sich die Zusammensetzung der Bevölkerung in Deutschland und Europa dramatisch wandelt, ist keine neue Erkenntnis. Dennoch ist der demografische Wandel nach wie vor der Mega-Trend, der unsere Gesellschaft in den nächsten Jahren am nachhaltigsten verändern wird. Sie werden heute Nachmittag noch ausführlich darüber beraten. Ein entscheidender Aspekt ist die höhere Lebenserwartung. Wir können unser Alter aktiv gestalten und genießen. Oder auch noch arbeiten, wenn wir das wollen und können! Das ist absolut positiv, es hat aber konkrete Auswirkungen auf das Geschäft der Versicherer, insbesondere der Lebensversicherer natürlich.

Lange Zeit war der Tenor in der Branche optimistisch: Wenn die Menschen immer älter werden, steigt der Bedarf nach Produkten der Altersvorsorge, so die durchaus richtige Grundannahme.

Angesichts der Situation der Sozialkassen in weiten Teilen Europas musste man auch kein Prophet sein, um ein wachsendes Gewicht der privaten Altersvorsorge gegenüber dem umlagefinanzierten System vorherzusagen. Auch die Politik hat auf die private Vorsorge gesetzt.

Inzwischen, so müssen wir konstatieren, ist die Stimmung nicht mehr ganz so euphorisch. Das außergewöhnlich lang anhaltende Niedrigzinsumfeld fordert gerade die Lebensversicherer heraus, wenn es gilt, langfristig zugesagte Leistungen zu garantieren. Und gesamtgesellschaftlich dürfte die Vorstellung, dass private Vorsorge ausreicht, um die sich auftuende Versorgungslücke zu schließen, möglicherweise ein frommer Wunsch bleiben. Zudem lässt sich die Frage, wie die zunehmende Lebenserwartung auf den europäischen Finanzsektor durchschlägt, ex ante nach wie vor schwer beantworten. Zu vielschichtig sind die Einflussgrößen. Entscheidend hängen sie von zukünftigen wirtschafts-, sozial- und arbeitsmarktpolitischen Weichenstellungen ab - und entziehen sich weitgehend dem Einfluss der Industrie. Wir alle wissen, dass neue Entwicklungen, wie aktuell die Flüchtlingskrise, die fiskalischen Weichen plötzlich ganz anders stellen können.

Dabei ist fast nichts auf dieser Welt so berechenbar wie Bevölkerungsprognosen. Die statistische Basis zur Prognose der Lebenserwartung der Gesamtbevölkerung ist sowohl in Europa als auch in allen anderen entwickelten Volkswirtschaften sehr gut.
Aus den vorhandenen Daten können wir ablesen, dass die Trends zur Verlängerung der Lebenserwartung seit 100 bis 120 Jahren anhalten und stabiler sind, als man denken sollte. In nahezu allen Altersgruppen sterben heute - relativ gesehen - weniger Menschen als vor 100 Jahren. Der deutsche Gesetzgeber hat auf diese Entwicklung bekanntlich mit umfassenden Reformen reagiert, die 2001 begannen und eine Reihe konkreter Maßnahmen beinhalteten. Ein demografischer Faktor wurde in das staatliche Rentensystem eingeführt. Außerdem wurde das Renteneintrittsalter in mehreren Schritten und verteilt über einen Zeitraum von fast 20 Jahren von 65 auf 67 Jahre angehoben. Um die Verminderung des Leistungsniveaus aus dem umlagefinanzierten System zu kompensieren, wurden die kapitalgedeckten Säulen der betrieblichen und privaten Altersvorsorge gefördert.

Was wurde erreicht? Der Verbreitungsgrad der betrieblichen Altersversorgung konnte erheblich gesteigert werden. Die Zahl der Arbeitnehmer mit Anwartschaften auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung wuchs seit 2001 um 5 Millionen auf 19,6 Millionen im Jahr 2015 an. Mittlerweile haben mehr als 60 % aller Arbeitnehmer Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung. Das staatlich geförderte private Altersversorgungsprodukt war ebenfalls erfolgreich. Mehr als 16 Millionen Riesterverträge wurden bis heute abgeschlossen. Inzwischen besitzen 70 % aller Arbeitnehmer, die auch in der staatlichen Säule versichert sind, entweder Ansprüche aus der betrieblichen Versorgung oder einen Riestervertrag.

Obwohl viel getan wurde, bleibt viel zu tun. So ist die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung gerade bei großen Unternehmen sehr hoch, bei kleineren und mittleren liegt der Verbreitungsgrad jedoch viel niedriger. Außerdem nimmt der Anteil der Personen, die Altersvorsorge betreiben, mit sinkendem Einkommen ab. So verfügen 50 % aller Arbeitnehmer in der untersten Einkommensklasse, d.h. mit weniger als 1.500 Euro Monatsverdienst, weder über eine betriebliche Altersversorgung noch über einen privaten Vorsorgevertrag. Dieser Personenkreis ist potenziell am stärksten von Altersarmut betroffen.

Aktuell werden zwei unterschiedliche Vorschläge diskutiert, wie die Versorgungslücke geschlossen werden könnte. Ein als „Sozialpartnermodell“ vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales zur Diskussion gestelltes Modell soll auch reine Beitragszusagen bei der betrieblichen Altersversorgung ermöglichen. Anders als bisher im Betriebsrentengesetz vorgesehen, hätten Arbeitgeber bei reinen Beitragszusagen lediglich die Beiträge zu zahlen. Sie müssten nicht mehr unmittelbar (subsidiär) für Leistungen haften, die den Versorgungsberechtigten garantiert wären. Voraussetzung wäre allerdings, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften einen entsprechenden Tarifvertrag abschließen und die Tarifparteien die betriebliche Altersversorgung in gemeinsamen Einrichtungen organisieren.

Ein anderer Vorschlag kommt von Ministern der Hessischen Landesregierung. Zum Aufbau einer kapitalgedeckten „Deutschlandrente“ sollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Beiträge an den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zahlen. Dieses Geld würde in einem eigenständigen „Deutschlandfonds“ verwaltet. Die Einzahlung wäre für jeden Arbeitnehmer verpflichtend. Allerdings hätten Arbeitnehmer die Möglichkeit, einer Einbeziehung aktiv zu widersprechen – was gemeinhin als sogenanntes Opt-Out-Modell diskutiert wird.

Beide Vorschläge – Sozialpartnermodell und Deutschlandrente – zielen auf eine stärkere Verbreitung der kapitalgedeckten Altersvorsorge ab, da dies von Seiten der Politik als zwingende Voraussetzung für die Vermeidung von Altersarmut angesehen wird. Das Sozialpartnermodell verfolgt den Ansatz, die Rolle der Tarifvertragsparteien beim weiteren Auf- und Ausbau der Betriebsrenten zu stärken und auf diese Weise einen höheren Verbreitungsgrad der betrieblichen Altersversorgung zu erreichen. Vorbild ist offensichtlich das erfolgreiche Modell in den Niederlanden. Dort beträgt der Verbreitungsgrad über 90 %. Die Deutschlandrente weist dagegen Gemeinsamkeiten mit dem britischen System auf. In Großbritannien besteht seit einigen Jahren die grundsätzliche Verpflichtung zur betrieblichen Altersversorgung, verbunden mit der Möglichkeit der Arbeitnehmer, sich gegen eine Einbeziehung zu entscheiden. Außerdem gibt es mit dem National Employment Savings Trust eine Einrichtung, die mit dem angedachten Deutschlandfonds vergleichbar wäre.

Die Diskussionen über die unterschiedlichen Konzepte werden kontrovers geführt. Gewerkschaften und Arbeitgeber stehen einer Deutschlandrente offensichtlich ablehnend gegenüber. Wohl auch, weil dabei der Gestaltungsspielraum für die Sozialpartner geringer wäre. Im Sozialpartnermodell, das von Gewerkschaften und Arbeitgebern ebenfalls kritisch kommentiert wurde, wären hingegen bedarfsgerechte Ausgestaltungen möglich.

Meine Damen und Herren,

da der Vorsorgegedanke, in welcher Form auch immer, zwangsläufig weiter an Bedeutung gewinnen wird, müssen sich Gesetzgeber und Regulierer in regelmäßigen Abständen die Frage stellen, ob auf den Finanzmärkten auch die notwendige Transparenz herrscht. Sind die derzeitigen Standards angemessen? Oder müssen wir angesichts einer alternden Gesellschaft neue Anforderungen stellen? Die Entscheidungen, die ein Anleger für seine Altersvorsorge fällt, sind von solch grundlegender Bedeutung, dass er umfassend informiert sein muss, bevor er sich vertraglich festlegt. Trifft er eine falsche Entscheidung, weil er unzureichend informiert war, fehlt ihm wahrscheinlich zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit, sie noch zu revidieren.

Im Zeitalter der Digitalisierung sind Informationen leichter zugänglich denn je. Mit einem Smartphone und den entsprechenden Apps kann man sie an fast jedem Ort der Erde herunterladen. Allerdings gleicht die Suche nach der passenden Information im Internet manchmal der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Die nötige Transparenz muss deshalb sichergestellt sein. Diese zu gewährleisten, ist auch eine Aufgabe für Gesetzgeber und Regulierer. Was aber mindestens genauso wichtig ist: Die Informationen müssen so fokussiert und verständlich aufbereitet werden, dass sie auch normalen Versicherungskunden einfach zugänglich sind.

Damit sind wir bei der Digitalisierung angelangt, dem zweiten Mega-Trend, der die Versicherungswelt entscheidend prägen wird. Das allein wäre Stoff genug, um einen ganzen Vormittag damit zu bestreiten. Angesichts des begrenzten Zeitrahmens will ich mich auf einige grundsätzliche Aspekte konzentrieren. Nichtsdestotrotz müssen wir uns klar werden, was auf uns zukommt. Nicht nur der Online-Abschluss von Versicherungsverträgen ist längst gang und gäbe. Zum Vergleichen von Tarifen und Versicherungsunternehmen greifen internetaffine Kunden auf Vergleichsportale zurück. Und ist der Vertrag erst einmal abgeschlossen, stehen Apps zur Verwaltung der Versicherungsverträge zur Verfügung.

Die Versicherer setzen auch zur Tarifierung auf die digitale Welt, und das nicht nur, weil die EU-weite eCall-Technik für verunfallte Fahrzeuge vor der Tür steht. War es zu Beginn des Jahres 2014 nur ein einzelner Versicherer, der mit einem Telematik-Tarif in der Kraftfahrtversicherung an den Markt gegangen ist, nahm die Dynamik im Herbst 2015 an Fahrt auf. Weitere Gesellschaften bieten seitdem Telematik-Tarife an oder haben dies für das Jahr 2016 angekündigt. Mit Hilfe einer Telematik-Box, alternativ auch eines Datensteckers oder einer Smartphone-App, werden die Fahrdaten erhoben und daraus die passgenaue Prämie ermittelt.

Die Digitalisierung des Autofahrens wirkt sich auch auf die Schadenseite aus. Da sind zunächst die immer stärker in die Fahrzeuge verbauten Assistenzsysteme zu nennen, die geeignet sind, die Schäden, aber dementsprechend auch die Umsätze zu reduzieren. Darüber hinaus beschäftigt sich die Branche mit den möglichen Auswirkungen des autonomen Fahrens auf die Versicherungsprodukte. So wird überlegt, ob künftig auf die Autoversicherung ganz verzichtet werden kann.

Doch noch ist es nicht so weit: Google, das erhebliche Ressourcen in die Entwicklung eines „Roboterautos“ steckt, hat kürzlich in einem Bericht an die kalifornische Kraftfahrzeugbehörde eingeräumt, dass im Rahmen eines 14-monatigen Tests mit selbstfahrenden Autos in mehr als einem Dutzend Fällen Unfälle wahrscheinlich nur durch Eingreifen des Fahrers vermieden werden konnten. Die Autoversicherer kann ich deshalb beruhigen – auf sie wird man wohl so bald nicht verzichten können.

Eine andere Facette der Digitalisierung ist, dass die Technik der Unternehmen, ob nun Versicherer, Autobauer oder sonstige Unternehmen, angreifbarer wird. Würmer, Trojaner, Viren und allgemein „Hacker“ verursachen Schäden. Wer, wenn nicht die Versicherer, könnten bereitstehen, um entsprechende Produkte, eben „Cyber-Policen“, anzubieten. Was in der Kraftfahrtversicherung eventuell an Umsatzrückgängen zu verkraften ist, wird möglicherweise in diesem Bereich mehr als wettgemacht. Aber auch hier gilt: Schadendaten über einen längeren Zeitraum gibt es nicht. Die Versicherer betreten „Neuland“. Sie werden erhebliche Anstrengungen im Bereich einer angemessenen Steuerung dieser Risiken unternehmen müssen.

Auch „Big Data“ wird die Branche verändern. Inwieweit das möglich sein soll oder darf, das ist eine Frage, die zuallererst der Gesetzgeber entscheiden muss. Aus meiner Sicht nur so viel: Natürlich ist offensichtlich, dass dank technischer Innovationen und Datenauswertungsoptionen Risiken präziser erfasst, bewertet und tarifiert werden können. Wenn wir den Gedanken aber zu Ende denken, kann das letzten Endes zu einer Atomisierung des Kollektivs führen, das sich quasi aufgrund technischer Treiber in ein Nichts auflösen könnte. Das würde nicht ohne Folgen für den Versicherungsgedanken insgesamt bleiben.

Wenn wir beispielsweise über das Sammeln von Gesundheitsdaten durch private Krankenversicherer diskutieren, müssen wir uns auch vor Augen führen, dass erhebliche gesetzliche Hürden existieren. Diese stehen einem unbeschränkten Einsatz von technischen Gadgets - wie Smartphone-Apps in Verbindung mit sogenannten Wearables - entgegen. Insbesondere, wenn Bewegungsverhalten, Puls, Kalorienverbrauch oder andere sensible Daten gemessen werden sollen - und wenn vorgesehen ist, mit den so gewonnenen Erkenntnissen Versicherungsprämien oder Überschussbeteiligungen zu berechnen. Es wird sich zudem erst zeigen müssen, ob eine derartige Datenakquise tatsächlich die Einsparpotenziale bringt, die unter dem Gesichtspunkt einer risikoadäquaten Prämiengestaltung Preisnachlässe rechtfertigen würden. Der Beweis hierfür muss noch erbracht werden.

Eines sollten wir uns unabhängig davon vergegenwärtigen: Im Regelfall wird die Beziehung eines privat krankenversicherten Menschen zu seiner Versicherung ein Leben lang bestehen. Bereits zu dem Zeitpunkt, an dem diese lebenslange „Verbindung“ besiegelt wird, ist klar, dass auch der gesundheitsbewussteste Kunde, der sich in jungen Jahren „gesundheitsoptimiert“ verhält, seine Krankenversicherung im Laufe der Zeit in Anspruch nehmen wird und auch nicht vor schweren (und kostspieligen) Erkrankungen gefeit ist.

An dieser Stelle möchte ich auch das Schlagwort „Solidarität“ nennen. Diesen Wertebegriff sollten wir insbesondere bei einer „lebenslangen“ Beziehung, in deren Verlauf sich auch die eigenen Wertevorstellungen ändern können – und werden – nicht aus den Augen verlieren. Dabei zeigt sich, dass sich Solidarität in zwei ganz unterschiedlichen Hinsichten beweisen muss. Zum einen in der im Versicherungsgedanken begründeten Notwendigkeit, Risiken nach dem Gesetz der großen Zahlen über ein Kollektiv tragen und ausgleichen zu können – und zwar ganz praktisch: Soll heißen zu angemessenen Preisen.

Zum anderen zeigt sich aber auch, dass vor allem bei langfristigen Risiken und Versicherungen eine Art Risikoausgleich über Generationen hinweg besteht. Dies erfordert, wie alle Praktiker genau wissen, über den Lebenszyklus solcher Versicherungen Solidarität – gewissermaßen über Zeit. Was in der Praxis der Spreizung theoretisch zu rechtfertigender Prämienschwankungen gewisse Grenzen setzen muss.

Zum Datenschutz und den Auswirkungen auf die Versicherungstechnik kommt der subjektive Aspekt eines Akzeptanzrisikos hinzu. Auf der einen Seite geben Kunden – insbesondere jüngere – im Internet freiwillig eine Menge Persönliches preis. Auf der anderen Seite zeigen sie sich doch zu Recht skeptisch, fundamental seziert zu werden, also als gläserner Kunde dazustehen. Natürlich höre ich erstaunliche Geschichten, die eine Bereitschaft zur freiwilligen Selbstoffenbarung allerpersönlichster Daten beinhalten, wenn die damit einhergehende App nur cool und modern genug ist. Aber irgendwann wird aus Spaß Ernst. Spätestens, wenn die Algorithmen Daten liefern, die zur Erhöhung oder im Extremfall zur Verweigerung von Versicherungstarifen führen, dürfte auch der größte Technikfreak seine Haltung zu Big Data ändern.

So vielschichtig das Thema ist, so klar ist auch, dass es keine klaren Schwarz-weiß-Antworten gibt. Begreifen Sie mein Statement deshalb nicht als anti-modernistische Auslassungen eines älter werdenden Aufsehers, sondern als Impuls, der uns anregen soll, nachhaltig und qualifiziert über Digitalisierung nachzudenken, also nach vorne zu denken. Dabei dürfen wir diese Frage nicht nur als technische, administrative, kostenmäßige oder datenschutzrechtliche Herausforderung sehen, sondern als fundamentale: Was bedeuten Internet- und Big-Data-Möglichkeiten heutzutage für das Versicherungsgeschäftsmodell schlechthin? Niemand kennt eine abschließende Antwort, mich eingeschlossen. Aber wir müssen uns damit beschäftigen.

Meine Damen und Herren,

so wie die Stadt Wien den Wandel der Zeit überstanden, ja teilweise sogar von ihm profitiert hat, wird dies auch den Versicherungsunternehmen gelingen, neue Herausforderungen zu meistern. Etwa, wenn sie ihre Produkte den Bedingungen der Zeit anpassen, ihre Märkte erweitern und neue Absatzwege suchen.

Als Aufseher verfolgen wir alle diese Schritte natürlich mit größtem Interesse. Nicht weil wir heimlich Produktkontrolle betreiben, sondern mit Blick darauf, dass die Belange der Versicherten gewahrt bleiben. Dabei sind auch wir bereit, unsere Kommunikationswege und unsere Sichtweisen anzupassen, wie ich in der Diskussion um die FinTechs bereits mehrfach gesagt habe.

Mit Blick auf die Zukunft der Versicherungen möchte ich mit einem Zitat des französischen Chemikers Louis Pasteur schließen: „Veränderungen begünstigen nur den, der darauf vorbereitet ist.“ Damit hat Pasteur sicher den Nagel auf den Kopf getroffen. Und deshalb ist es gut, wenn sich die Versicherungswirtschaft so intensiv mit den künftigen Herausforderungen beschäftigt, wie Sie dies im Rahmen dieser Tagung tun.

In diesem Sinne wünsche ich dieser Veranstaltung einen guten Verlauf und Ihnen viele anregende und fruchtbringende Gespräche.

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