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Erscheinung:20.05.2014 Rede zur Jahrespressekonferenz der BaFin 2014

Rede von Dr. Elke König, Präsidentin der BaFin, am 20. Mai 2014 in Frankfurt am Main

- Es gilt das gesprochene Wort -

Auch ich heiße Sie herzlich zu unserer Jahrespressekonferenz willkommen!

Meine Damen und Herren,

einfache Rezepte sind derzeit en Vogue. Ich kenne sehr gute einfache Rezepte: Spaghetti mit einem Stich Butter beispielsweise. Dazu ein Glas Rotwein. In der Finanzmarktregulierung führen einfache Rezepte meist ins Abseits. Man nehme eine pauschale Kapitalanforderung und reguliere damit alle Banken? Damit lassen sich die Risiken nicht bändigen, die vom Bankgeschäft ausgehen können. Die Materie ist nun einmal komplex. Was wir brauchen, sind umfassende, risikosensitive Regelwerke wie Basel III oder – auf die Versicherer übertragen – Solvency II. Das neue Kapitalanlagegesetzbuch ist auch nicht gerade das, was man sich als leichte Ferienlektüre mit an den Strand nehmen würde. Doch die Aufsicht über Investmentfonds und deren Verwaltungsgesellschaften lässt sich eben nicht in ein handliches Taschenbuchformat zwängen.

Auch für den Verbraucherschutz werden derzeit einfache Rezepte gehandelt. Dabei haben wir es hier mit Fragen zu tun, auf die gleich mehrere Disziplinen Antworten finden müssen. Die Kernfragen lauten: Wie schutzbedürftig ist der Verbraucher? Und wie viel Schutz kann und soll der Staat bieten? Unser Leitbild ist der mündige Verbraucher, der seine Anlageentscheidungen selbstbestimmt und in eigener Verantwortung trifft. Können wir ihn also allein und den Märkten freien Lauf lassen?

Ich sehe den mündigen Verbraucher nicht als nahen Verwandten des überkommenen Kunstproduktes Homo Oeconomicus. Verbraucher handeln nicht immer rational, sondern zuweilen intuitiv. Das wissen wir aus der Verhaltensforschung. Oft haben Verbraucher auch nicht die Zeit oder sie scheuen den Aufwand, sich mit Fragen der Geldanlage und Altersvorsorge auseinanderzusetzen. Sie vertrauen daher vermeintlich unabhängigen Ratgebern, die bei den Ranglisten, die sie veröffentlichen, oftmals auch nur auf das billigste Angebot oder den höchsten Zins schauen. Viele Menschen sind damit überfordert, komplexe Anlageprodukte zu verstehen und zu bewerten. Anbieter wissen mehr als Verbraucher, und diese Kluft wird eher größer als kleiner. Anders als professionellen Investoren stehen privaten Anlegern keine Rechtsabteilungen zur Seite, die die Werbeversprechen und das Kleingedruckte der Anbieter dechiffrieren und bewerten könnten.

Verbraucher sind also tendenziell unterlegen. Und das nicht nur in fachlicher und informationeller, sondern auch in struktureller Hinsicht. In einer sozialen Marktwirtschaft muss daher der Staat den Verbraucher schützen. Er muss einen geeigneten ordnungsrechtlichen Rahmen schaffen, ein Umfeld, in dem Verbraucher grundsätzlich selbst in der Lage sind, sich auf der Basis ausreichender und verständlicher Informationen sachgerecht und risikobewusst für – oder gegen – ein Anlageangebot zu entscheiden. Ohne dieses gewisse Maß an Schutz kann es keine Mündigkeit geben.

Dieser Schutz darf nicht in Gängelei und Entmündigung ausarten. Wir können Verbraucher nicht in einen Kokon einspinnen und alle auch nur ansatzweise riskanten Angebote von ihnen fernhalten und verbieten. Wer privaten Anlegern generell das Recht nimmt, ihr Geld in Risikoanlagen zu investieren, greift unverhältnismäßig tief in ihre Privatautonomie ein und schadet – nebenbei gesagt – dem Wettbewerb. Das sollten wir uns immer wieder vor Augen führen – auch wenn wir über die Regulierung des Grauen Kapitalmarktes diskutieren.

Dort haben wir es mit Marktteilnehmern und Angeboten zu tun, die de lege lata nicht unsere Erlaubnis brauchen und auch nicht unserer laufenden Aufsicht unterliegen. Dass es dieses Marktsegment gibt, ist kein regulatorischer Missstand, sondern Ausdruck der Gewerbefreiheit und der Privatautonomie. Je strenger wir aber den Weißen Kapitalmarkt regulieren – also die Unternehmen, die unsere Erlaubnis brauchen –, desto attraktiver wird für manche Marktteilnehmer der Graue Kapitalmarkt. Dort nutzen sie Gesetzeslücken, verstoßen aber nicht (unbedingt) gegen Gesetze. Manche Konstruktionen verdienen jedoch zumindest das Etikett „missbräuchlich“ oder „undurchschaubar“. Der finanzielle Schaden ist im Einzelfall immens. Doch die Angebote sind nun einmal so gestaltet, dass sie keinen – wie unsere Juristen sagen – Bankgeschäfts- oder Finanzdienstleistungstatbestand erfüllen. Vulgo: Wir können nichts dagegen tun.

Man könnte es sich nun einfach machen und sagen, dass Anleger, die in diesen Markt investieren, ja wissen (müssten), dass sie den Schutz der Regulierung nicht haben. Das wäre zu einfach. Wir sollten uns eher fragen, was wir künftig als erlaubnispflichtiges Einlagengeschäft betrachten und welche eventuellen Schlupflöcher wir schließen sollten, um Anleger vor unkalkulierbaren Schäden zu bewahren. Wobei die BaFin – realistisch betrachtet – nicht jedes Unternehmen beaufsichtigen kann und sollte, wie sie es mit Banken und Versicherern aus gutem Grund tut. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, die Renditeversprechen sämtlicher Unternehmen zu prüfen. Damit würde sich der Staat zum Richter über jedes wirtschaftliche Handeln aufschwingen.

Nachdenken sollten wir auch über das Thema Produktinformation und Transparenz. Wäre es nicht sinnvoll, die Prospektpflicht auszudehnen? Auch an der Verständlichkeit von Informationen könnte man weiter arbeiten. Prospekte lesen vermutlich nur versierte Anleger. Eine Klassifizierung nach Komplexität und Risiko könnte daher helfen, schneller zu erkennen, welches Produkt zu welcher Lebenssituation und Risikobereitschaft passt. Mit einer Risikoampel nach dem Motto „Rot heißt Finger weg!“ oder anderen einfachen Rezepten werden wir der Sache allerdings nicht gerecht. Auch über den Vertrieb von Finanzanlagen sollten wir nachdenken – etwa über die Frage, ob es sinnvoll ist, dass komplexe Produkte über nichtregulierte Kanäle oder den Briefkasten vertrieben werden dürfen.

Ich möchte aber noch einmal wiederholen, was ich beim Neujahrsempfang gesagt habe: Wir können und wollen Anleger nicht am Gängelband führen. Wer sein Geld anlegt, trägt auch die Verantwortung für seine Entscheidungen. Er muss ein gesundes Maß an Skepsis an den Tag legen und wissen, wo seine Grenzen liegen. Und er muss Warnhinwiese lesen und ernst nehmen. Der alte Grundsatz lautet: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Rendite und Risiko.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen kleinen Exkurs: Die Neuregelung der Kapitalanforderungen an Kreditinstitute war Geburtshelfer für eine neue Art von Anleihen: Contingent Convertible Bonds (CoCos). Ich begrüße es sehr, dass die Institute CoCos nutzen, um ihre Eigenkapitalausstattung zu verbessern. Es ist gut, dass sich ein Markt für diese Anleihen bildet und dass es eine Nachfrage danach gibt. Auf der anderen Seite beobachten wir als Wertpapieraufsicht natürlich genau, welchen Investoren die Banken diese zum Teil komplexen, in jedem Fall innovativen Anleihen anbieten. Es geht um Transparenz – und darum, Interessenkonflikte zu vermeiden. Bisher verhalten sich die deutschen Kreditinstitute hierbei sehr verantwortungsbewusst.

Meine Damen und Herren, bei der Finanzstabilität stellt sich dieselbe Frage wie beim Verbraucherschutz: Wie viel Staat, wie viel Regulierung brauchen wir? So viel Regulierung wie nötig und so viel Freiheit wie möglich. Die G-20-Staats- und Regierungschefs haben im November 2008 das Post-Krisen-Regulierungsziel gesetzt:
Alle Finanzmärkte, alle Produkte und alle Marktteilnehmer sollen reguliert werden – aber, und das ist das Entscheidende, angemessen („as appropriate to their circumstances“). Wir brauchen einen regulatorischen Rahmen, der uns Aufsehern hilft, das öffentliche Gut Finanzstabilität zu schützen und die zerstörerische Kraft von Krisen zu mildern; denn gänzlich verhindern lassen sich Krisen nicht. Völlige Risikolosigkeit kann auch nicht das Ziel sein, denn sie bedeutet Stagnation. Ein angemessener Ordnungsrahmen lässt den Akteuren auf den Märkten genug Spielraum für Innovation und unternehmerisches Handeln.

Haben wir diese Maxime der sozialen Marktwirtschaft beachtet und das Ziel der G 20 erreicht? Oder sind wir darüber hinausgeschossen? Mit dieser Behauptung haben erst kürzlich wieder Kommentatoren die öffentliche Diskussion bereichert. Von Überregulierung kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Finanzwelt dürfte in den vergangenen Jahren zwar sicherer und integrer geworden sein. Doch einige wichtige Regulierungsschritte müssen noch getan werden. Jeder Schritt muss – zunächst für sich genommen – angemessen sein und die gewünschte Wirkung haben. Die hohe Schule der Regulierung besteht allerdings darin, die vielen regulatorischen Einzelteile zu einem in sich schlüssigen und angemessenen Gesamtwerk zusammenzufügen. Dieses Thema böte Stoff für eine Rede von Parteitagsformat. Ich vermute aber, dass Sie uns lieber viele Fragen stellen möchten. Daher hier nur eine Tour d’Horizon.

Beginnen soll sie bei der Regulierung von Over-the-Counter-Derivaten. Wie von den G 20 gefordert, hat die Europäische Union im Sommer 2012 mit der EMIR (European Market Infrastructure Regulation) unter anderem die Pflicht eingeführt, standardisierte OTC-Derivate über Zentrale Gegenparteien abzuwickeln. Die brauchen eine Zulassung und unterliegen regulatorischen Anforderungen. Auch Zentrale Gegenparteien aus Drittstaaten können im EU-Raum agieren – wenn die EU-Kommission deren Heimataufsichtsrecht als gleichwertig einstuft und ESMA, die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde, sie anerkennt. Vier Zentrale Gegenparteien mit Sitz in der EU haben bislang eine EMIR-Zulassung, darunter Eurex Clearing. Nach dem Baseler Regelwerk gelten sie damit automatisch als qualifizierte Zentrale Gegenparteien. Werden Geschäfte mit OTC-Derivaten über solche qualifizierten Zentralen Gegenparteien abgewickelt, müssen Banken sie mit weniger Eigenkapital unterlegen.

Sind wir also mit den Zentralen Gegenparteien auf der sicheren Seite? Jein. Wir müssen aufpassen, dass sich dort nicht neue systemische Risiken aufhäufen und die Geister, die wir riefen, außer Kontrolle geraten. Es ist daher nur konsequent, über ein Regelwerk nachzudenken, dass sich der geordneten Abwicklung Zentraler Gegenparteien widmet. Beim Finanzstabilitätsrat (Financial Stability BoardFSB) steht dieses Thema bereits auf der Agenda.

Was die Wirkungskraft von Basel III angeht, so können wir schon heute feststellen, dass die neuen Liquiditätsregeln und verschärften Eigenkapitalanforderungen, die peu à peu bis 2019 Geltung erlangen werden, die Risikotragfähigkeit der Institute verbessert haben. Die deutschen Banken haben ihre Kapitalbasis gestärkt und Risikopositionen abgebaut. Die neuen Vorschriften verursachen zwar Kosten, die – man darf da nicht naiv sein – auch an die Kunden weitergereicht werden.

Doch Sicherheit und Stabilität gibt es nicht zum Nulltarif. Ziel jeder Regulierung ist es, Wohlfahrtsverluste zu minimieren und dabei keine unnötigen Regulierungskosten zu verursachen. Ich weiß: Die durch Margendruck, aber auch durch sinkende Zinsergebnisse belastete Ertragslage erleichtert den Aufbau von Eigenkapital nicht gerade. Doch das spricht nicht gegen die Baseler Regeln, sondern dafür, die Erträge zu steigern – oder die Verwaltungskosten zu senken.

Am Prinzip der Risikosensitivität haben der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht und Brüssel festgehalten. Richtig so. Ich meine sogar, dass wir auf diesem Gebiet noch Nachholbedarf haben: Wir müssen beispielsweise unseren Umgang mit Staatsanleihen ändern. Er ist in Teilen zu pauschal und fördert die Verquickung von Staaten und Banken.

Wer behauptet, Risikosensitivität helfe vor allem, Risiken kleinzurechnen, und wir bräuchten stattdessen pauschale Anforderungen für alle Banken, den verweise ich auf das Problem mit einfachen Rezepten.
Und wer sagt, man müsse diese pauschalen Anforderungen auf 30 Prozent hochschrauben, den verweise ich auf die Stichworte Angemessenheit und Stagnation. Als Ergänzung zu risikosensitiven Anforderungen und zu einem funktionierenden Risikomanagement sind dagegen nichtrisikosensitive Mindestanforderung wie die Leverage Ratio sehr sinnvoll. Und sicher kann man auch über weitere ergänzende Leitplanken nachdenken, etwa was den angemessenen Einsatz von Risikomodellen angeht.

Meine Damen und Herren, einige Banken haben das Potenzial, das gesamte Finanzsystem aus den Angeln zu heben, wenn sie in die Knie gehen. Lehman Brothers – obwohl gar nicht so groß – war solch eine Bank. In der Krise sahen sich Staaten daher immer wieder gezwungen, strauchelnden Instituten mit Steuergeldern unter die Arme zu greifen, um Schlimmeres zu verhindern. Damit wurde eine weitere wichtige Maxime der sozialen Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt: Dass der Staat das Spielfeld absteckt und die Spielregeln festlegt, selbst aber nicht mitspielt – schon gar nicht als Libero oder Ausputzer. Die Akteure auf diesem Spielfeld müssen für ihr Handeln haften. Andernfalls gibt es für sie keinen Anreiz, verantwortungsvoll zu handeln.

Es reicht also nicht, systemrelevante Banken mit höheren Kapitalanforderungen widerstandsfähiger zu machen und sie besonders streng zu beaufsichtigen, was bereits beschlossene Sache ist. Wir müssen systemrelevanten Banken glaubhaft klar machen können, dass wir sie scheitern lassen, wenn ihr Geschäftsmodell nichts taugt.
Dazu brauchen wir, ich werde nicht müde, das zu wiederholen, ein grenzüberschreitendes Abwicklungsregime.

Die EU hat mit ihrer Richtlinie zur [Festlegung eines Rahmens für die] Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen – kurz BRRD – ein solches Regime geschaffen. Auf gutem Wege ist auch der gemeinsame Abwicklungsmechanismus. Beides brauchen wir nicht zuletzt für die Bankenunion und die europäische Bankenaufsicht, die am 4. November starten wird. Dass wir künftig eine klare Haftungsabfolge haben werden, zählt zu den (deutschen) Verhandlungserfolgen in Brüssel: Zuerst sind Eigentümer und Gläubiger gefragt. Sie müssen für Verluste ihrer Bank haften und für deren Rekapitalisierung sorgen, bevor der Abwicklungsfonds die Kosten tragen muss oder – und das erst als letzter möglicher Schritt – die Steuerzahler.

Wenn es jetzt noch gelingt, auch große systemrelevante Banken „abwickelbar“ zu machen, dann sind wir in Europa einen entscheidenden Schritt weiter. In Deutschland haben wir diesen Schritt schon getan: mit dem Abwicklungsgesetz und dem Risikoabschirmungsgesetz. Dass wir uns mit der Entscheidung über eine europäische Einlagensicherung Zeit lassen, ist vernünftig. Denn damit würden wir auch die Haftung vergemeinschaften, was unter den heutigen Gegebenheiten nicht sinnvoll wäre.

Das europäische Abwicklungsregime hat einen entscheidenden Makel: die Reichweite. Was machen wir mit Bankengruppen, die weltweit agieren? Wenn wir die De-facto-Staatsgarantie für systemrelevante Banken abschaffen wollen, müssen wir ein globales und grenzüberschreitend wirksames Abwicklungsregime entwickeln. Schon im Herbst 2011 hat das FSB die Blaupause dafür gezeichnet („Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions“). Bis zum G-20-Gipfel im Herbst dieses Jahres stehen hoffentlich die wesentlichen Teile.

An zwei Fragen arbeiten wir mit Hochdruck: Wie stellen wir sicher, dass eine Bank zum Zeitpunkt der Abwicklung noch hinreichende Mittel hat, um die ins Auge gefasste Abwicklungsstrategie umzusetzen (Stichwort Gone Concern Loss Absorbing Capacity – GLAC) – und das ohne Rückgriff auf den Steuerzahler? Und wie stellen wir sicher, dass wir auch auf globaler Ebene die erforderlichen Durchgriffsrechte haben, wie beseitigen wir also die Hindernisse für grenzüberschreitende Abwicklungen?

Meine Damen und Herren, es klang gerade schon an, und Sie wissen es natürlich: Wir stehen kurz vor der Vollendung eines weiteren Elementes der künftigen Bankenunion. Am 4. November fällt der Startschuss für den Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory MechanismSSM) für die Banken der Eurozone. Exakt ein Jahr nach Inkrafttreten der entsprechenden Verordnung. Wir werden also demnächst eine integrierte europäische Bankenaufsicht mit echten Eingriffsbefugnissen haben – und ab 2016 auch einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus.
Und das nur wenige Jahre, nachdem die EU als Antwort auf die Finanzkrise das dezentrale Europäische System der Finanzaufsicht aus der Taufe gehoben hat. Brüsseler Mühlen mahlen langsam? Hier jedenfalls nicht.

Vor dem Übergang ins neue Aufsichtszeitalter findet ein Hürdenlauf der besonderen Art statt – ohne vorheriges Training und mit hochambitionierter Zeitvorgabe. Allein in Deutschland sind 24 Institutsgruppen oder mehr als 60 Einzelinstitute, mehr als 1.700 Wirtschaftsprüfer und mehr als 230 Aufseher von BaFin und Deutscher Bundesbank am Start. Die Rede ist vom Comprehensive Assessment, der umfassenden mehrteiligen Prüfung all der Banken der Eurozone, die das Etikett „bedeutsam“ erhalten haben, die also voraussichtlich unter der direkten Aufsicht der EZB stehen werden. Diese Institute sollen frei von etwaigen Altlasten und mit sauberen Bilanzen in das neue Aufsichtszeitalter eintreten. Das ist das Ziel der Übung – und die Voraussetzung dafür, dass der Start der neuen europäischen Bankenaufsicht im November reibungslos gelingt.

Vor wenigen Wochen ist der Asset Quality Review angelaufen. Die erste Phase, die Portfolioauswahl, ist abgeschlossen. Wir stecken mitten in Phase 2, der Werthaltigkeitsprüfung. Allein der Asset Quality Review ist ein organisatorischer und administrativer Kraftakt! Und der Zeitdruck ist ein grundsätzliches Problem des Comprehensive Assessments. Der 4. November steht, daran lässt sich nicht rütteln. Entsprechend hoch ist das operationelle Risiko. Viele Arbeiten laufen parallel. Wird eine Hürde gerissen, und sei es nur, dass Daten aus technischen Gründen verspätet geliefert werden, gerät der ganze Prozess ins Stolpern. Und die Uhr läuft weiter. Abstriche an der Qualität sind jedoch keine Option; denn der Review muss – wie auch der Stresstest – glaubwürdig und verlässlich sein. Den Ansprüchen in der Kürze der Zeit gerecht zu werden, ist für die Institute, die Aufseher und die Wirtschaftsprüfer eine – wie es immer so schön heißt – große Herausforderung. Ich habe daher ein gewisses Verständnis für die Klagen einzelne Institute, ihr Tagesgeschäft leide erheblich und der Arbeitsanfall erdrücke sie. BaFin und Deutsche Bundebank haben von Beginn an für ein risikoorientiertes Vorgehen und möglichst selektive Datenanforderungen plädiert – zum Teil mit Erfolg. Dieses Thema wird uns auch in den kommenden Monaten noch beschäftigen. Was mich optimistisch stimmt: Alle Beteiligten, die Institute, wir als nationale Aufseher und auch die EZB, sind sich der Bedeutung der Aufgabe bewusst. Scheitern ist keine Option.

Nun noch einige Worte zum Stresstest, meine Damen und Herren. Die European Banking Authority (EBA) hat, wie Sie wissen, am 29. April die Methodik und die makroökonomischen Szenarien für den Bankenstresstest 2014 bekanntgegeben. Was die Methodik angeht, stellt sich gleich die erste Frage: Die Bankbilanzen, die im Asset Quality Review geprüft werden, dienen als Basis für den Stresstest. Beide Übungen laufen aber aus Zeitgründen mehr oder weniger parallel. Man diskutiert derzeit noch heftig darüber, wie man sie sinnvoll verknüpft, denn natürlich müssen die Ergebnisse des Asset Quality Reviews der Ausgangspunkt des Stresstests sein.

Wie immer gibt es zwei Ansätze: Der Top-down-join-up-Ansatz, bei dem die Institute zunächst den Stresstest auf Basis des Jahresabschlusses zum 31.12.2013 rechnen. Die Ergebnisse aus dem Asset Quality Review bleiben dabei außen vor. Die EZB würde die Stresstestergebnisse anschließend aufgrund pauschaler Annahmen bzw. Skalierungsfaktoren um diese Ergebnisse adjustieren. Die Institute würden bei diesem Ansatz nicht direkt beteiligt. Beim Bottom-up-join-up-Ansatz dagegen stellt man den Instituten die Ergebnisse aus dem Asset Quality Review für die Stresstests zur Verfügung. Die Banken müssten dann bestimmte Teile des Stresstests neu berechnen. Pauschale Top-down-Anpassungen wären entbehrlich. Als Kompromiss und im Sinne einer praktischen Lösung wird nun ein hybrider Ansatz verfolgt.

Wir treten dafür ein, dass – soweit wie möglich – bottom-up und damit institutsindividuell gerechnet wird. Es geht nun einmal um die Einschätzung der einzelnen Institute und nicht um ein „Durchschnittsinstitut“. Nur so kann die EZB im Anschluss rechtssicher und transparent auf Basis der Ergebnisse des Asset Quality Reviews und des Stresstests Aufsichtsmaßnahmen erlassen. Ein Mehr an Transparenz wäre außerdem den Banken gegenüber nur fair und würde sie bei der Kapitalplanung schon in einem frühem Stadium unterstützen.

Über ein Thema wurde in der Presse bereits intensiv diskutiert: Gibt man den Instituten Ergebnisse des Asset Quality Review vor Abschluss des Comprehensive Assessments bekannt, also zum Beispiel für den Stresstest, sind auch wertpapierrechtliche Anforderungen zu beachten – Stichwort Ad-hoc-Berichtspflicht. Die EZB hat die Vorstellung, dass wir nationalen Aufseher die Daten so an die Institute weitergeben, dass diese nicht in die Ad-Hoc-Pflicht kommen. Wir stecken in einem gewissen Dilemma. Die europäische Gesetzeslage ist eindeutig. Jede Information, die als „Insiderinformation“ klassifiziert werden kann, löst eine Ad-hoc-Berichtspflicht aus. Dabei ist es Sache der Institute einzuschätzen, ob eine Nachricht einen Kurs beeinflussen kann.

Eine Bank könnte sich also rechtlich gezwungen sehen, Teilresultate des Comprehensive Assessments schon vor der geplanten Publikation im Oktober zu veröffentlichen, was unerwünschte Nebenwirkungen haben könnte. Weder die EZB noch wir nationalen Aufseher könnten das verhindern. Dieses Risiko besteht allerdings – wenn auch nicht in dieser Größenordnung – bei jeder aufsichtlichen Prüfung und Maßnahme. Man sollte es daher nicht überbewerten. Wir sollten uns jedenfalls nicht auf einen gefährlichen Blindflug begeben. Informationen müssen an die Institute weitergereicht werden, schon allein um sicher zu sein, dass man am Ende belastbare Ergebnisse hat.

Nun zu einer entscheidenden Frage: Wie werden die 24 deutschen Kandidaten beim Asset Quality Review abschneiden? Ich bin vorsichtig optimistisch.
Wie gesagt: Die deutschen Banken haben in den vergangenen Jahren sowohl ihre Kapitalbasis gestärkt als auch Risikopositionen abgebaut. Ich gehe daher unverändert davon aus, dass uns der Review keine großen Überraschungen bringen wird. Auch das Basisszenario des Stresstests sollte nicht für negative Überraschungen sorgen. Ich kann aber nicht ausschließen, dass das adverse Stressszenario für einzelne Institute sehr anspruchsvoll wird. Dieses Szenario hat es in der Tat in sich, wenn ich mir die Parameter ansehe, die für unsere Institute relevant sind.

Zur Frage, wie die Institute eine etwaige Kapitallücke füllen müssen, hat sich die EZB Ende April geäußert. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten: Die Banken können frisches Kapital generieren oder – zumindest in einem gewissen Rahmen – ihre risikogewichteten Aktiva reduzieren. Eine Reduzierung anhand verfeinerter interner Rechenmodelle soll nach den aktuellen Überlegungen der EZB generell nur dann erlaubt sein, wenn diese Änderungen bereits geplant und der jeweiligen nationalen Aufsicht bekannt waren. Das ist sicherlich sinnvoll. Wichtig ist jedoch vor allem, dass etwaige Lücken zuallererst mit privaten Mitteln zu füllen sind. Sollte das nicht möglich sein, wäre es Sache der Mitgliedstaaten, für die Rekapitalisierung der Banken zu sorgen. Es freut mich daher, dass die Verhandlungen in Brüssel in den vergangenen Wochen die nötige Klarheit gebracht haben: Der Staat darf immer nur die letzte Instanz sein.

Meine Damen und Herren, ich hatte Ihnen eine Tour d’Horizon angekündigt. Zum Schluss daher nur noch einige wenige Worte zu zwei Themen, die mir besonders am Herzen liegen: Ich habe vorhin von einem in sich schlüssigen und angemessenen regulatorischen Gesamtwerk gesprochen. Das kann es nur geben, wenn es uns endlich gelingt, auch den Schattenbankensektor umfassend zu regulieren. Der wird bekanntlich umso attraktiver, je mehr wir die Zügel in den regulierten Sektoren anziehen. Wieder einmal ist es so, dass Europa schon einen guten Teil des Weges zurückgelegt hat. Und wieder einmal ist es so, dass das nicht reicht. Wir brauchen ein globales Regelwerk. Ein besonders ambitioniertes Projekt, bei dem wir – es wird Sie nicht überraschen – mit einfachen Rezepten ganz sicher nicht weiterkommen, bei dem wir aber keinesfalls nachlassen dürfen. Dass ich nichts zu Solvency II oder zur deutschen Lebensversicherung und der Beteiligung an den Bewertungsreserven gesagt habe, bedeutet nicht, dass diese Themen nicht mehr der Rede wert wären. Im Gegenteil! Unsere Meinung dazu kennen Sie. Wir können aber gerne jetzt im Anschluss darüber sprechen.

Erst einmal herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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