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Erscheinung:28.05.2013 Rede zur Jahrespressekonferenz der BaFin 2013

Rede von Dr. Elke König, Präsidentin der BaFin, am 28. Mai 2013 in Bonn

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Damen und Herren, auch ich begrüße Sie herzlich zu unserer Pressekonferenz.

Ich vermute, dass Sie die Banken zu Ihren zuverlässigsten Schlagzeilenlieferanten zählen. Noch vor weniger als zehn Jahren schrieb man ihnen zu, sie könnten über Wasser gehen und hätten mit ihrem financial engineering das Abonnement auf eine rosige Zukunft abgeschlossen. Seit Ausbruch der globalen Finanzkrise findet eine mal schleichende, mal galoppierende Entmystifizierung statt. In jüngerer Vergangenheit scheinen sich einige Institute in eine regelrechte Sympathiekrise manövriert zu haben.

Die Manipulation von Referenzzinssätzen wie Euribor und LIBOR hat einen großen Imageschaden nach sich gezogen und das Vertrauen in die Banken ein weiteres Mal geschwächt. Auch mir kann es nicht egal sein, wo auf der medialen und öffentlichen Beliebtheitsskala Banken rangieren. Als Aufseherin sehe ich die Dinge aber etwas nüchterner. Wir schauen uns die deutschen Panelteilnehmer genau an und haben dazu unter anderem Sonderprüfungen angeordnet. Die endgültigen Ergebnisse liegen noch nicht vor. Eines kann ich aber sagen: Bislang sieht es in Deutschland nicht so aus, als hätten wir es mit systematischer Kriminalität zu tun. Es scheint eher um einzelne Händler zu gehen. Fakt ist, dass Schwächen in der Organisation diese Manipulation möglich gemacht haben. Wir haben daher schon im vergangenen Jahr alle Banken, die an den Euribor- und LIBOR-Panels teilnehmen, dazu veranlasst, für organisatorische Mindeststandards zu sorgen.

Im Nachhinein frage ich mich, wie man jemals glauben konnte, dass so etwas nicht passiert. Euribor und LIBOR sind und bleiben anfällig für Manipulationen. Zwar wird auf europäischer wie auf globaler Ebene daran gearbeitet, das Thema regulatorisch in den Griff zu bekommen – mit ersten Teilerfolgen. Doch mittelfristig führt kein Weg daran vorbei, Alternativen zu etablieren, die so weit wie möglich auf tatsächlichen Transaktionen in liquiden Märkten basieren. Die internationalen Gremien befassen sich bereits damit. Meine Kritik gilt übrigens nicht dem Zinssatz EONIA, dessen Berechnung reale Transaktionen zugrunde liegen. Wenn wir EONIA beibehalten wollen, und daran besteht für mich kein Zweifel, dann sollte aber die Berechnung von der Teilnahme am Euribor-Panel abgekoppelt werden.

Auch die Berichte über etwaige zweifelhafte Geschäfte in Steuerparadiesen waren nicht dazu angetan, die Sympathiewerte der Banken zu erhöhen. Fest steht: Banken müssen das geltende Recht beachten – auch das Steuerrecht und auch in Offshore-Niederlassungen oder -Zweigstellen. Wir sind nicht die Steuerfahndung. Aber wir sind im Boot, wenn es um die Frage geht, ob deutsche Banken jenseits des Aufsichtsrechts systematisch gegen Gesetze verstoßen haben. Dann hätten die Banken auch ein aufsichtsrechtliches Problem. Wir lassen uns von den Instituten erläutern, welche Geschäfte sie in Offshore-Oasen getätigt haben und tätigen und warum sie dort aktiv sind. Je nach Verlauf unserer Untersuchungen werden wir tiefer bohren.

Euribor und Offshore, Spanien und Zypern, aber auch die Niederlande – es scheint, als wollten die schlechten Nachrichten kein Ende nehmen. Dabei gibt es durchaus Positives zu vermelden: Die regulatorischen Kernkapitalquoten der deutschen Großbanken sind stabil und reichen von zehn bis 18 Prozent. Das gilt auch für die Verbünde: Die harte Kernkapitalquote der Genossenschaftsbanken liegt im Durchschnitt bei 11,2 Prozent, die der Sparkassen bei 13,6 Prozent. Was die künftigen Eigenkapitalanforderungen nach Basel III angeht, scheint sich der positive Trend fortzusetzen: Seit dem letzten Basel-III-Monitoring zum Stichtag 30. Juni 2012 ist der prognostizierte Bedarf an hartem Kernkapital bei vollständiger Implementierung von Basel III für die deutschen Großbanken weiter gesunken – und zwar von rund 32 auf 14 Mrd. Euro. Das zeigen die – noch vorläufigen – Zahlen zum Stichtag 31. Dezember 2012.

Auch an der Regulierungsfront hat sich einiges getan – wenn auch noch nicht genug. Wir müssen die Banken und die Finanzmärkte stabiler machen. Wir müssen aber auch die marktwirtschaftliche Ordnung wiederherstellen. Wer den Nutzen hat, soll auch den Schaden wieder tragen müssen. Beide Ziele sind eng miteinander verknüpft. Investitionen würden umso sorgfältiger gemacht, je mehr der Verantwortliche für diese Investitionen hafte, stellte Walter Eucken fest, einer der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft. Den beiden Zielen „mehr Stabilität“ und „mehr Haftung“ sind wir mit Basel II.5, vor allem aber mit Basel III und seinen strengen Eigenkapitalanforderungen ein großes Stück näher gekommen. In der Europäischen Union wird Basel III durch die Capital Requirements Directive IV und die Capital Requirements Regulation umgesetzt. Angewendet werden Richtlinie und Verordnung wahrscheinlich ab Anfang 2014, also ein Jahr später, als geplant, und zwar schrittweise, wie auch das Baseler Original. Hoffen wir, dass dann auch die USA Basel III anwenden. Dort sind leider gewisse Tendenzen zur Renationalisierung erkennbar.

Als im Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht unter dem Eindruck der weltweiten Finanzkrise das Regelwerk Basel III entwickelt wurde, haben daran auch unsere US-amerikanischen Kollegen mitgewirkt. Das erklärte gemeinsame Ziel war, mit weltweit einheitlichen strengeren Standards Banken und Finanzmärkte nachhaltig zu stabilisieren. Mit dem Dodd-Frank Act, genauer gesagt mit den Artikeln 165 f., gehen die USA ihren eigenen Weg und ziehen – so scheint es – nicht länger mit den im Baseler Ausschuss versammelten Aufsichtsbehörden und Zentralbanken der anderen wichtigen Industriestaaten an einem Strang. Zugleich wenden sie sich damit von den G-20-Beschlüssen des Pittsburgh-Gipfels ab, wonach unter anderem gemeinsame Standards erarbeitet und die Fragmentierung von Finanzmärkten, Protektionismus und Aufsichtsarbitrage vermieden werden sollten. Ausländische Banken sehen sich künftig in den USA neuen Anforderungen ausgesetzt, die zum Teil Basel III widersprechen und die es den dortigen Aufsehern etwa ermöglichen, liquide Mittel im Land zu binden. Ein Schritt in die falsche Richtung, denn es besteht die Gefahr, dass komplexe Risikostrukturen so nicht mehr angemessen abgebildet und für das betroffene Institut Risiken insgesamt eher kreiert denn reduziert werden. Das bedeutet außerdem nicht unerhebliche Kosten für die Institute. Und auch auf den internationalen Wettbewerb wird sich das neue US-Aufsichtsregime nicht positiv auswirken.

Hinzu kommt, dass unsere US-Kollegen offenbar dem bislang erfolgreich praktizierten Prinzip den Rücken kehren, gleichwertige Aufsichtssysteme anzuerkennen. Doch ich versichere Ihnen, dass die deutsche Aufsicht diese Differenzen überwinden will. Wir stehen mit unseren US-Kollegen in einem intensiven und, wie ich meine, konstruktiven Dialog. Eine Renationalisierung muss unbedingt verhindert werden, denn das würde alle bisherigen Anstrengungen zunichtemachen und uns von dem eigentlichen Ziel, Banken und Finanzmärkte stabiler und weniger krisenanfällig zu machen, weiter denn je entfernen. Global agierende Institute, globale vernetzte Märkte sind nun einmal eine Realität, der wir uns mit aufsichtlicher Zusammenarbeit stellen müssen – und nicht mit Abschottung.

Was den Umgang mit systemrelevanten Banken angeht, können wir erste regulatorische Erfolge verzeichnen. „Mehr Stabilität“ für national und global systemrelevante Banken erreichen wir künftig zum Beispiel durch Eigenkapitalanforderungen, die über Basel III hinausgehen. Vom Ziel „mehr Haftung“ trennen uns noch einige Meter. Im Oktober 2011 legte der Finanzstabilitätsrat FSB (Financial Stability Board) mit seinen „Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions“ den Grundstein für ein Sanierungs- und Abwicklungsregime, das es ermöglichen soll, in Schieflage geratene international agierende Institute zu sanieren oder geordnet abzuwickeln. Die EU zieht mit einer Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Instituten nach, die unter anderem die FSB-Vorgaben umsetzen wird. Über diese Richtlinie wird derzeit im Rat verhandelt. Bis Mitte des Jahres sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein. Damit hätten wir immerhin für Europa einheitliche und verbindliche Regeln. Einen globalen Gesetzgeber gibt es bekanntlich nicht. Aber wenn wir für den Fall gewappnet sein wollen, eine große international agierende Bank abzuwickeln, dann müssen Aufsichtsbehörden bi- oder multilaterale Vereinbarungen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Krisenfall treffen. Andernfalls drohen regulatorische Renationalisierung und Fragmentierung.

Der Richtlinienentwurf zur Sanierung und Abwicklung von Instituten sieht auch ein neues Instrument vor: Bail-in debt. Es soll ermöglichen, die Gläubiger einer Bank angemessen an den Kosten für deren Rettung oder Abwicklung zu beteiligen. Anleihen im Fall der Fälle in Eigenkapital umzuwandeln, ist sicher sinnvoll. Noch wichtiger für den Kapitalmarkt sind Transparenz und verlässliche Regeln. Es muss klar sein, dass und in welcher Reihenfolge auch Gläubiger haften. Feststehen muss auch, bis zu welcher Höhe Einlagen geschützt sind und ob Einleger bevorrechtigte Gläubiger sind. Ein Hin und Her wie in Zypern darf es nicht mehr geben.

Der deutsche Gesetzgeber hat auf dem Gebiet der Sanierungs- und Abwicklungsplanung eine Vorreiterrolle übernommen – was nicht mit nationalen Alleingängen zu verwechseln ist: Teile der FSB-Forderungen und der geplanten EU-Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Instituten sind hier bereits Gesetz oder befinden sich im Gesetzgebungsverfahren: Mit dem Restrukturierungsgesetz hat der deutsche Gesetzgeber schon 2011 den Rahmen für die Reorganisation und Abwicklung von Kreditinstituten gesetzt und die BaFin mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet, um Banken geordnet abzuwickeln. Der Bundestag hat zudem am 17. Mai das Gesetz zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen beschlossen. Dieses Gesetz sieht unter anderem vor, dass potenziell systemgefährdende Institute Sanierungspläne entwickeln und in ihrer Geschäftsorganisation implementieren müssen. Die BaFin hat für diese Banken Abwicklungspläne zu entwerfen. Die deutsche Aufsicht hat bereits im vergangenen Herbst den Entwurf eines Rundschreibens mit einem detaillierten Rahmenwerk für die Sanierungsplanung veröffentlicht, der alle in Deutschland potenziell systemrelevanten Kreditinstitute betrifft und in der EU bereits als Maßstab angesehen wird.

Deutschland wird auch – neben Frankreich – als erstes EU-Land einen Teil der Vorschläge des finnischen Notenbankchefs Erkki Liikanen umsetzen, die eine Abtrennung bestimmter risikoreicher Geschäfte vorsehen. Nach dem eben erwähnten Gesetz sollen Finanzgruppen, die Einlagengeschäft betreiben, unter Strafandrohung dazu verpflichtet werden, riskante Geschäfte ausschließlich von einem eigenständigen Finanzhandelsinstitut tätigen zu lassen. Dieses soll neben den allgemeinen auch besonderen aufsichtsrechtlichen Anforderungen unterliegen. Und es soll eigenständig sein und sich innerhalb der Gruppe unter denselben Bedingungen refinanzieren wie am Markt. Dadurch ließe es sich auch leichter abwickeln.

Die geplanten Regelungen zur Abschirmung von Risiken sind ein weiterer regulatorischer Mosaikstein, um Einlagen zu schützen und den Zwang aus der Welt zu schaffen, schwankende systemrelevante Banken mit Steuergeldern zu stützen. Das Gesetz ist ein erster Schritt. Bewusst agiert der Gesetzgeber mit Bedacht, um die für die Realwirtschaft wichtigsten Funktionen der Banken nicht zu stören. Es bleibt also abzuwarten, ob man den Katalog der abzutrennenden Geschäfte irgendwann erweitern wird. Schon jetzt entfaltet das Gesetz eine präventive Wirkung, indem es Banken davon abhält, allzu riskante Geschäfte zu tätigen. Denn – und hier schließt sich der Kreis – wenn die BaFin bei der Abwicklungsplanung zu dem Schluss kommt, dass ein Institut zu komplex ist, um ordnungsgemäß abgewickelt zu werden, kann sie vom Institut Maßnahmen verlangen, um die Hindernisse zu beseitigen – unter anderem, dass es Geschäftsaktivitäten einstellt oder verringert.

Ein großes Plus an Stabilität erhoffe ich mir auch vom Einheitlichen Aufsichtsmechanismus, der voraussichtlich Mitte 2014 starten wird. Sie erwarten sicher nicht, dass ich heute alle noch offenen Fragen dazu beantworte. Aus meiner Sicht sprechen gute Gründe für eine integrierte europäische Bankenaufsicht mit echten Eingriffsbefugnissen. Eine solche Aufsicht dürfte in der Lage sein, Risiken über nationale Grenzen hinweg zu identifizieren und das europäische Aufsichtsrecht einheitlich anzuwenden. Die Europäische Zentralbank (EZB) wird alle Banken, die unter ihre Aufsicht fallen, einer Bilanzanalyse unterziehen. Dabei muss Sorgfalt vor Schnelligkeit gehen, und für den Fall, dass sich dabei Lücken auftun, muss klar geregelt sein, wer diese Lücken füllt. Meines Erachtens müssen das die Banken selbst oder die Restrukturierungsfonds ihrer Heimatländer sein. Dass die EBA ihre Planungen für den nächsten Stresstest mit den Vorbereitungen auf den Einheitlichen Aufsichtsmechanismus koordiniert, halte ich übrigens für sehr klug und umsichtig.

Mit dem Einheitlichen Aufsichtsmechanismus sind wir auf der Zielgeraden. Brauchen wir nun auch einen einheitlichen europäischen Abwicklungsmechanismus? Der derzeitige Vorschlag für die Richtlinie zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen sieht eine dezentrale Struktur von nationalen Abwicklungsbehörden und nationalen Restrukturierungsfonds vor. Das halte ich auch für angemessen. Für einen europäischen Abwicklungsmechanismus müsste man die Europäischen Verträge ändern. Abwicklungen sind ohne parlamentarische Legitimation nicht denkbar, da dabei unter Umständen – als ultima ratio – nationale Haushaltsmittel verwendet werden. Außerdem haben wir kein harmonisiertes Abwicklungsregime in der EU, solange die Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung noch nicht umgesetzt ist. Und: Weder das Gesellschafts- noch das Umwandlungs-, das Arbeits- und das Insolvenzrecht sind EU-weit harmonisiert. Doch wir haben schon viel gewonnen, wenn es in allen Ländern der Gemeinschaft ein harmonisiertes Abwicklungsregime und eine abgestimmte Abwicklungsplanung gibt. Wer Banken beaufsichtigt, muss wissen, dass und wie er sie abwickeln kann.

Meine Damen und Herren, ein Satz, den ich ohne jegliche Änderung aus der Rede der letztjährigen Pressekonferenz übernehmen kann, ist folgender: „Ein Problem, das dem Versicherungssektor nach wie vor zu schaffen macht, ist die anhaltende Niedrigzinsphase.“ Auch der daran anschließende Satz hat noch seine Gültigkeit: „Für uns ist es gut zu wissen, dass sich die Unternehmen auf das Problem eingestellt haben und es in ihrer Steuerung berücksichtigen.“ Betroffen sind bekanntlich vor allem die Lebensversicherer. Sie werden zwar kurz- bis mittelfristig ihre Leistungsversprechen erfüllen können. Das haben unsere Stresstests und Prognoserechnungen bestätigt. Doch unter den herrschenden Kapitalmarktbedingungen wird die Ertragskraft ihrer Kapitalanlage zwangsläufig zurückgehen, und zwar schneller als der mittlere Garantiezins. Ohne rechtzeitige Vorsorge kann das auf lange Sicht kaum gut gehen.

Der Gesetzgeber hat bereits einen sehr wichtigen Schritt getan, um Abhilfe zu schaffen: Seit dem Geschäftsjahr 2011 müssen Lebensversicherer eine Zinszusatzreserve aufbauen, um die zu erwartenden geringeren Kapitalerträge zu kompensieren. 2012 hat die Branche etwa fünf Mrd. Euro dafür aufgewendet. Wenn sich die Lage auf den Kapitalmärkten nicht ändert, wird der Aufwand 2013 ähnlich hoch sein. Die Zinszusatzreserve ist für die Lebensversicherer aktuell eine Belastung. Doch sie ist unvermeidlich und ökonomisch richtig, denn sie zeigt den Wert der Garantieversprechen auf und dient der langfristigen Erfüllbarkeit der Verpflichtungen.

Der Gesetzgeber hatte einen weiteren wichtigen Schritt geplant: Die Regelung zur Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven in der Lebensversicherung sollte sachgerechter gestaltet werden – und zwar im Interesse aller Versicherten, was in der überhitzten öffentlichen Diskussion völlig untergegangen ist. Die Neuregelung ist bekanntlich nicht verabschiedet worden, was ich sehr bedauere. Nach wie vor halte ich sie für gerechtfertigt und erforderlich. Sie würde in Zeiten niedriger Zinsen einen sehr wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Erfüllbarkeit der Zinsgarantien leisten und die Interessen ausscheidender und verbleibender Versicherungsnehmer auf faire Weise ausgleichen. Die derzeitigen, seit 2008 geltenden Vorschriften führen dazu, dass die Unternehmen ausgerechnet dann, wenn die Zinsen niedrig sind, irrational hohe Auszahlungen an die ausscheidenden Versicherungsnehmer leisten müssen. Das Nachsehen haben die verbleibenden Versicherten. Die Bundesregierung hat anerkannt, dass die aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen für Versicherer an das anhaltend niedrige Zinsniveaus angepasst werden müssen, und wird umfassend prüfen, welche gesetzgeberischen Handlungsmöglichkeiten es gibt. Die BaFin wird sich weiterhin konstruktiv daran beteiligen, sinnvolle Lösungen zu erarbeiten.

Meine Damen und Herren, immer wieder ist die Frage gestellt worden, ob Solvency II in Zeiten niedriger Zinsen die richtigen regulatorischen Antworten gebe. Solvency II steht unter dem nicht unbegründeten Verdacht, die ökonomische Realität zu überzeichnen und prozyklisch zu wirken. Doch dieser Effekt dürfte durch die nun angedachten Nachbesserungen an der Zinsstrukturkurve abgemildert werden.

Eine besonders überzeugende Antwort nicht nur, aber auch auf das Niedrigszinsproblem gibt Solvency II mit der Säule II, genauer gesagt der unternehmenseigenen Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung, besser bekannt unter dem englischen Kürzel ORSA, das für „Own Risk and Solvency Assessment“ steht. Als sich abzeichnete, dass sich Solvency II verzögern würde, hat sich die BaFin daher im Rat der Aufseher von EIOPA, der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, dafür eingesetzt, Teile des ORSA vorzuziehen. Der ORSA wird die Versicherer zum Beispiel dazu anhalten, im Rahmen ihres Risikotragfähigkeitskonzeptes bei der Ermittlung ihres Kapitalbedarfs eine mehrjährige Perspektive einzunehmen und sich ex ante bewusst zu machen, welche Auswirkungen ihre strategischen Entscheidungen auf ihren Kapitalbedarf haben. Eine vorausschauende Kapitalplanung und Risikotragfähigkeitsprüfung sind unverzichtbar – gerade in schwierigen Zeiten.

EIOPA hat kürzlich Leitlinien unter anderem zum ORSA zur Konsultation gestellt. Von Anfang 2014 an sollen sie anwendbar sein. Die BaFin wird nun prüfen, welche der Leitlinien zum ORSA sich auf der geltenden Rechtsgrundlage in Deutschland anwenden lassen. Mit § 64a Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und unseren Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) ist das Feld weitgehend bestellt. § 64a VAG verlangt von den Versicherern, über eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation zu verfügen. Die MaRisk konkretisieren ihn.

Was Solvency II nicht bietet, sind ökonomische Lösungen für das Niedrigzinsproblem. Die müssen die Unternehmen schon selbst finden, und sie sollten damit nicht zu lange warten. Die explizite Bewertung der Finanzgarantien und Versicherungsnehmeroptionen nach Solvency II wird ihnen aber – so hoffe ich – für die Produkt- und Preisgestaltung wichtige Impulse liefern. Die Erkenntnisse, die uns Solvency II liefern wird, bieten die Chance, auch künftig eine Balance zu finden zwischen den Wünschen der Kunden nach langfristigen Garantien und den damit einhergehenden Risiken für die Versicherer. Die Lebensversicherung wird daher ein gutes und wichtiges Produkt für die langfristige Altersversorgung bleiben.

Meine Damen und Herren, dass es systemrelevante Banken gibt, ist unbestritten. Weit mehr Fragen tun sich auf bei der Definition systemrelevanter Versicherer und der Frage, wie wir regulatorisch mit ihnen umgehen sollten. Fest steht jedoch, dass wir uns auch mit der Sanierung und Abwicklung von Versicherern beschäftigen müssen. Ausgangspunkt sind auch hierbei die „Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions“ des FSB. Die BaFin arbeitet auf europäischer und auf nationaler Ebene an der Frage, welche Mindestanforderungen an Sanierungspläne zu stellen sind. Wir werden diese Fragen für große Versicherungsgruppen sicher anders beantworten als für mittlere und kleinere Unternehmen. Aber ich kann es nur noch einmal wiederholen: Sanierungspläne sind ein sinnvolles präventives Instrument des Risikomanagements.

Nun zu einer anderen regulatorischen Baustelle: Das FSB hat seinen Mitgliedstaaten im April ein schlechtes Zeugnis ausgestellt: Kein Land hat die Beschlüsse der G 20 zur Regulierung von Over-the-Counter-Derivaten (OTC-Derivate) vollständig und fristgerecht bis zum Jahresende 2012 umgesetzt. Mich hat die Feststellung des FSB beunruhigt, dass es in mehr als der Hälfte der Mitgliedstaaten noch keinen grundsätzlichen rechtlichen und regulatorischen Rahmen zur Umsetzung der G-20-Forderungen gebe. Zwar haben die EU und Deutschland ein Lob verdient: Sie sind mit der rechtlichen Umsetzung bereits weit fortgeschritten. Das bescheinigt auch das FSB. Die EU hat mit ihrer Verordnung über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (European Market Infrastructure RegulationEMIR) auf die FSB-Vorgaben reagiert. Das deutsche Gesetz zur Umsetzung von EMIR gilt seit Februar. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die globale Regulierungslandkarte, was OTC-Derivate angeht, einem Flickenteppich ähnelt. Von Einheitlichkeit keine Spur – trotz der G-20-Vorgaben. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel sind die USA, die die Pittsburgh-Beschlüsse zum Handel mit OTC-Derivaten mit ihrem Dodd-Frank Act umgesetzt haben, von dem vorhin schon einmal die Rede war.

Die überschießende extraterritoriale Anwendung des US-Rechts auf ausländische Marktteilnehmer scheint den Reformzielen der G 20 sogar zu schaden. Ich erinnere nur an die Leitlinien der U.S. Commodity Futures Trading Commission vom Juli vergangenen Jahres, die weltweit berechtigte Kritik hervorriefen und bis heute nicht fertiggestellt sind. Die Verhandlungen u.a. zwischen der EU und den USA scheinen festgefahren. Daran haben auch Brandbriefe von Finanzministern aus aller Welt nichts geändert. Bis heute wissen europäische Marktteilnehmer nicht, welche US-Vorschriften für sie gelten. Die wechselseitige Anerkennung der Aufsichtssysteme ist bislang kaum mehr als eine Absichtserklärung. Die andauernde Rechtsunsicherheit ist für Marktteilnehmer und Aufseher mehr als ärgerlich. Eine – zu Recht – befürchtete Renationalisierung des Derivatehandels wäre zudem der Systemstabilität und der Finanzierung der Realwirtschaft nicht gerade zuträglich. Ich hoffe, dass die Verhandlungspartner bis September einen akzeptablen Kompromiss finden werden, wie von den G 20 verlangt. Der Weg dorthin ist steinig.

Ein Wort noch zur EMIR, meine Damen und Herren. Von EMIR sind auch Unternehmen der Realwirtschaft betroffen, die OTC-Derivate nutzen, etwa um Währungsrisiken abzusichern, was in der Exportnation Deutschland nicht gerade wenige sind. Diese Unternehmen kommen nun erstmals in den Fokus kapitalmarktrechtlicher Vorschriften. Anders als etwa Banken, könnte es ihnen Probleme bereiten, die liquiden Mittel vorzuhalten, die sie für die Besicherung von derivativen Positionen brauchen. Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen die neue Regulierung auf das Hedging von Geschäftsrisiken haben wird, zumal es Wechselwirkungen mit Basel III geben wird, da Banken hierfür die typischen Geschäftspartner der Unternehmen sind.

Damit bin ich bei einem weiteren wichtigen Punkt angelangt. In der globalen Finanzkrise haben sich flächendeckend in allen Finanzsektoren regulatorische Schwächen gezeigt. Entsprechend umfangreich waren – und sind – die Reparaturarbeiten. Die große Herausforderung besteht darin, die Fülle an Regulierungsinitiativen zu einem stabilen und in sich schlüssigen Ordnungsrahmen zusammenzufügen. Bei jeder neuen Regulierung müssen wir uns daher nicht nur fragen, ob sie die gewünschte Wirkung hat. Von ebenso großer Bedeutung ist die Frage, ob sie unerwünschte Nebenwirkungen oder gar Wechselwirkungen mit anderen Regularien haben könnte.

Um herauszufinden, welche Aus-, Neben- und Wechselwirkungen regulatorische Initiativen haben, werden Projekte wie Basel III und Solvency II in Auswirkungsstudien getestet. Besonders tückisch sind allerdings Neben- und Wechselwirkungen, die in Auswirkungsstudien nicht oder nur wenig belastbar erfasst werden können und sich erst in der Praxis zeigen.

Ein Beispiel dafür ist die Asset Encumbrance. Seit Ausbruch der Krise haben sich Banken mehr und mehr den besicherten Refinanzierungsformen zugewandt – oft unter dem Druck der Investoren. Neben den Covered Bonds geht es dabei vor allem um so genannte Repurchase Agreements. Besicherte Refinanzierung – das klingt nicht schlecht. Doch durch den wachsenden Anteil dieser Art von Refinanzierung wird bei der Insolvenz einer Bank ein entsprechend größerer Teil der Vermögensgegenstände konkreten Gläubigern zugeteilt. Die Gläubiger unbesicherter Anleihen werden auf die Zuteilungsquote aus einer relativ kleinen und meist weniger werthaltigen Insolvenzmasse verwiesen. Verstärkt wird dieser Effekt durch die – von Investoren und Rating-Agenturen – geforderte Überdeckung besicherter Refinanzierungsformen. Auch die gesetzlichen Einlagensicherungssysteme leiden unter der Asset Encumbrance, denn die Rückflüsse aus der Insolvenzmasse an die Einlagensicherung werden deutlich geringer ausfallen.

Wir gehen davon aus, dass einige Regulierungsvorhaben – etwa Basel III und Solvency II – diesen Trend weiter verschärfen werden. Auch die im Kern sinnvolle Regulierung der OTC-Derivatemärkte wird den Bedarf an hochwertigen Sicherheiten in die Höhe treiben. Da die nicht auf Bäumen wachsen, könnten Marktteilnehmer gerade in Zeiten niedriger Zinsen versucht sein, gute gegen weniger gute Sicherheiten zu tauschen, was mit Risiken verbunden ist. Das kann zwar kein Grund sein, die Anforderungen an Sicherheiten herabzusetzen. Doch wir müssen uns mit dem Thema beschäftigen.

Was mir mindestens ebenso wichtig ist: Wir müssen sehr genau darauf achten, dass eine Zentrale Gegenpartei nicht selbst zum Risiko wird – womöglich gar zu einem systemischen Risiko. Damit bin ich bei einer weiteren wichtigen Frage gelandet: Entstehen durch strengere Regeln neue – vielleicht sogar größere – Risiken? Wir wissen, dass immer dann, wenn wir die regulatorischen Zügel anziehen, der Anreiz steigt, Geschäfte in den schwächer oder gar nicht regulierten Schattenbankensektor zu verlagern. Die Regulierung dieses Sektors müssen wir daher dringend vorantreiben. Aber auch auf diesem Gebiet sind gewisse Fortschritte zu verbuchen – zumindest für Deutschland und Europa: Der Bundestag hat kürzlich das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds angenommen. Die Richtlinie erfasst Manager von Fonds, die nicht bereits durch die OGAW-Richtlinie reguliert sind, also etwa die von Hedgefonds. Auch die Verwalter geschlossener Fonds stehen erstmals unter Aufsicht.

Zum Schluss noch einige Worte zum Verbraucherschutz. Ich werde nicht müde zu betonen, dass die BaFin kollektiven Verbraucherschutz betreibt, also die Verbraucher in ihrer Gesamtheit schützt. Unsere schärfsten Waffen im Verbraucherschutz, auch das sage ich immer wieder, sind die Solvenzaufsicht und die Marktaufsicht. Das Mitarbeiter- und Beschwerderegister, das wir Anfang November vergangenen Jahres in Betrieb genommen haben, hat uns im Verbraucherschutz noch einmal gestärkt. Es bringt uns wertvolle Erkenntnisse für unsere Aufsichtstätigkeit – etwa die, dass hin und wieder gesetzliche Regelungen nicht beachtet werden. In solchen Fällen haben BaFin-Aufseher die Filialen besucht und dort das Personal interviewt. Wir haben auch festgestellt, dass bei Anlageempfehlungen mitunter die Vertriebsvorgaben eine zu große Rolle spielen. Die Datenbank hilft uns, die Dinge noch besser aus der Perspektive der Anleger zu sehen und organisatorischen Schwächen in der Anlageberatung schneller auf die Spur zu kommen. Von den neuen Möglichkeiten, ein Institut oder einen Mitarbeiter zu verwarnen oder gar den Einsatz eines Mitarbeiters zu untersagen, haben wir noch keinen Gebrauch gemacht.

Ein Thema, das mir am Herzen liegt, ist die Transparenz, also etwa die Klarheit und Verständlichkeit von Produktinformationen. Allerdings sind auch die Anleger selbst gefragt. Sie müssen sich die Zeit nehmen, sich mit den Informationen zu befassen und Für und Wider sorgsam abzuwägen. Die Zeit, die man sich für den Kauf eines neuen Autos nimmt, sollte man sich auch für Finanzprodukte nehmen. An die ist man im Zweifel länger gebunden.

Wertvolle Impulse für unsere Arbeit verspreche ich mir vom neuen Verbraucherbeirat der BaFin, der am 20. Juni zum ersten Mal tagen wird. Er wird uns in Fragen des Verbraucherschutzes unterstützen. Doch nun möchte ich Ihnen Gelegenheit geben, Ihre Fragen zu stellen.

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