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Erscheinung:22.01.2013 Neujahrspresseempfang der BaFin 2013

Rede von Dr. Elke König, Präsidentin der BaFin, am 22. Januar 2013 in Frankfurt am Main

- Es gilt das gesprochene Wort -

Meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie herzlich und wünsche Ihnen alles Gute zum neuen Jahr. Sie nehmen nach wie vor regen Anteil an unserer Arbeit. Herzlichen Dank für Ihr Interesse – und die Fairness, die Sie (zumeist) walten lassen. Heute Abend möchte ich bewusst nur einige der zahlreichen Themen ansprechen, die uns 2012 beschäftigt haben und uns auch durch das Jahr 2013 begleiten werden: Ich möchte auf systemische Risiken eingehen, auf einige der regulatorischen Großprojekte, unsere Aktivitäten im Verbraucherschutz und – last but not least – das Niedrigzinsniveau. Doch zuerst möchte ich Herrn Felix Hufeld begrüßen. Ich freue mich sehr, dass Sie seit Anfang des Jahres als Exekutivdirektor der Versicherungsaufsicht an Bord sind und unser Direktorium komplettieren.

Meine Damen und Herren, ein Jahr bei der BaFin – ein Jahr Allfinanzaufsicht. Deren weiter Blickwinkel ist ausgesprochen hilfreich, um nicht zu sagen unersetzlich – wie auch der Blickwinkel der Makroaufsicht neben dem der Mikroaufsicht nicht fehlen darf. Der Allfinanzblick hilft natürlich vor allem bei der Betrachtung systemischer Risiken in den verschiedenen Sektoren des Finanzmarktes. Was die Risiken angeht, die von global systemisch relevanten Banken ausgehen, sind hierzulande, auf europäischer und auf globaler Ebene bereits einige wichtige regulatorische Schritte getan – oder zumindest eingeleitet worden.

Bislang standen dabei die Punkte Kapitalausstattung und Sanierungs- bzw. Abwicklungsplanung im Mittelpunkt. Kapitalausstattung, um die einzelnen Banken zu stärken; Sanierungs- bzw. Abwicklungsplanung als Teil eines in Zukunft hoffentlich grenzüberschreitenden Abwicklungsregimes. Gerade das Abwicklungsregime soll zweierlei erreichen: Es soll Staaten aus der Zwangslage befreien, große Banken im Notfall mit Steuergeldern retten zu müssen, und es soll die Fehlanreize aus der Welt schaffen, die genau daraus für Banken entstehen können.

Um dieses Ziel zu erreichen, hat im vergangenen Herbst eine Gruppe um den finnischen Notenbankpräsidenten Erkki Liikanen einen weiteren Weg aufgezeigt: Liikanen will Banken unter anderem dazu verpflichten, das Handelsgeschäft vom Kredit- und Einlagengeschäft abzutrennen. So soll verhindert werden, dass das für die Realwirtschaft so wichtige und de facto staatlich garantierte Einlagengeschäft für die Refinanzierung risikoreicher Handelsgeschäfte herangezogen werden kann. Zugleich soll durch die rechtliche, organisatorische und wirtschaftliche Trennung eine eventuelle Abwicklung erleichtert werden, während die Vorteile des Universalbankensystems durch die eigentumsrechtliche Verbindung in einer Holdingstruktur erhalten blieben. Kurzum: Niemand soll in Zukunft mit Geldern spekulieren dürfen, die in letzter Instanz der Steuerzahler garantiert. Weder ein „too big to fail“ noch ein „too complex to fail“ ist akzeptabel.

Ein guter Ansatz – der aber auch seine Grenzen hat. Eine strukturelle Trennung allein reicht nicht, um systemische Risiken aus der Welt zu schaffen. Wir gewännen wenig Sicherheit, wenn wir Ausweichbewegungen in den schwach oder gar nicht regulierten Markt förderten. Die Regulierung des Bankensektors kann ihre volle Wirksamkeit nur entfalten, wenn wir auch den Schattenbankensektor endlich international umfassend regulieren und beaufsichtigen.

Meine Damen und Herren, auf den Umgang mit national systemrelevanten Banken, denen der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht im Oktober ein eigenes Regelwerk gewidmet hat, möchte ich heute nicht eingehen. Stattdessen einige Anmerkungen zu den global systemrelevanten Versicherern. Gibt es überhaupt welche? Was sind die relevanten Kriterien? Die Internationale Vereinigung der Versicherungsaufseher IAIS und der Finanzstabilitätsrat FSB diskutieren derzeit intensiv über dieses Thema. Dass auch deutsche Versicherungsgruppen im Fokus sind, versteht sich von selbst. Und Sie können davon ausgehen, dass die BaFin hier am Ball ist. Es geht uns Aufsehern aber nicht nur darum, eine weitere Liste mit systemrelevanten Institutionen zu schreiben. Eine zentrale Frage ist, wie wir regulatorisch mit versicherungstypischen systemischen Risiken umgehen müssen. Ich halte überhaupt nichts davon, pauschal Kapitalzuschläge auf Kapitalanforderungen festzulegen, die derzeit weltweit noch sehr unterschiedlich geregelt sind. Ich bin auch nicht davon überzeugt, dass nach der Gießkannenmethode verhängte gruppenweite Kapitalzuschläge die beste Lösung sind, Systemrisiken einzufangen, die von Versicherern ausgehen können. Gezielte Maßnahmen sind die bessere Wahl – und die müssen sich nicht nur aufs Kapital beziehen.

Was die Sanierung und Abwicklung systemrelevanter Versicherer angeht, überlegt man derzeit, die „Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions“, die das FSB im November 2011 verabschiedet hat, auch auf systemrelevante Versicherer zu übertragen. Auf europäischer Ebene hat kürzlich die EU-Kommission ein Konsultationspapier zur Sanierungs- und Abwicklungsordnung von Nichtbank-Finanzinstitutionen veröffentlicht – zu denen auch Versicherer zählen. Was mir wichtig ist: Die geplanten Regeln müssen mit Solvency II und den dort bereits verankerten Regelungen zu Sanierungsmaßnahmen (in den Artikeln 269 ff.) zusammenpassen. Auch die BaFin prüft derzeit, ob Versicherer Sanierungspläne entwickeln sollten und welche Mindestanforderungen daran zu stellen wären. Wie in der Bankenaufsicht würde sich diese Anforderung natürlich primär an große, in der Regel international tätige Gruppen richten. Sie wissen, dass wir derzeit die Mindestanforderungen an die Sanierungsplanung der Banken konsultieren. Für Banken wie für Versicherer gilt: Sanierungspläne sind ein ausgesprochen sinnvolles präventives Instrument des Risikomanagements, das – indirekt - helfen wird, systemische Risiken weiter einzudämmen. Ich kann die jüngste Kritik der Banken daher nicht nachvollziehen.

Meine Damen und Herren, systemische Gefahren gehen auch von Geldmarktfonds aus – womit wir wieder im Schattenbankensektor gelandet wären, auf den ich später noch eingehen werde. Geldmarktfonds spielen eine wesentliche Rolle als Finanzierungsquelle vor allem für Banken. In der Finanzkrise 2007/2008 litten sie unter großen Mittelabflüssen. Zwar sind daraufhin in den USA und in Europa zügig Reformen eingeleitet worden. Doch noch sind nicht alle systemischen Risiken regulatorisch eingehegt worden. So sind in vielen Ländern Constant-Net-Asset-Value-Fonds weiterhin zulässig, obwohl die Finanzkrise die besondere Run-Anfälligkeit dieses Fondstyps und die damit einhergehenden Risiken eindringlich aufgezeigt hat. Die Internationale Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden IOSCO hat im Auftrag des FSB im Oktober Empfehlungen zur Reduzierung der Run-Anfälligkeit der Geldmarktfonds veröffentlicht. Nun müssen diese Empfehlungen in Europa implementiert werden. Die Europäische Kommission hat bereits eine entsprechende Initiative angekündigt. Hoffen wir, dass auch die USA und andere Länder außerhalb Europas die IOSCO-Empfehlungen stringent umsetzen.

Ich könnte auf dem Gebiet der Wertpapieraufsicht weitere systemische Risiken aufzählen, etwa die auf den OTC-Derivate-Märkten, die durch eine von den G-20-Staats- und -Regierungschefs angestoßene breit angelegte Reform eingedämmt werden sollen. Doch lassen Sie mich nun einige der großen Finanzmarkt-Reformprojekte ansprechen. Ein zentrales Thema für die Bankenaufsicht war und ist der geplante Einheitliche Aufsichtsmechanismus für Banken der Eurozone. Die EU-Finanzminister haben sich im vergangenen Dezember darauf geeinigt, dass die Europäische Zentralbank (EZB) künftig für alle Banken zuständig ist, deren Bilanzsumme 30 Mrd. Euro oder 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ihres Sitzstaates übersteigt. Die EZB soll aus jedem Mitgliedstaat, der am Einheitlichen Aufsichtsmechanismus teilnimmt, wenigstens drei Banken beaufsichtigen. Derzeit gehen wir davon aus, dass die EZB für etwa 30 deutsche Banken zuständig sein wird. Insgesamt würden wohl rund 130 bis 150 europäische Kreditinstitute unter ihre Aufsicht fallen.

Auch wenn die Entscheidungen grundsätzlich gefallen sind, stellen sich noch zahlreiche Fragen: Wird es gelingen, die Bereiche Bankenaufsicht und Geldpolitik ausreichend voneinander zu trennen? Wie ist es um die demokratische Legitimation der künftigen europäischen Bankenaufsicht bestellt, die schließlich tiefgreifende Eingriffsbefugnisse erhalten soll? Und wie wirkungsvoll kann eine europäische Bankenaufsicht sein, die ausgerechnet den bedeutenden Finanzplatz London nicht einschließt?

Unabhängig von diesen sehr grundsätzlichen Fragen gilt: Wenn die EZB vom 1. März 2014 an schrittweise die Aufsicht über rund 150 europäische Banken übernehmen soll, dann kann sie diese Aufgabe aus meiner Sicht nur dann bewältigen, wenn sie eng mit den nationalen Aufsichtsbehörden kooperiert. Für uns heißt das, dass in der neuen Aufsichtsstruktur so viel BaFin-Wissen stecken sollte wie möglich. Ich wünsche mir daher auch, dass möglichst viele Mitarbeiter der BaFin künftig – befristet oder unbefristet – bei der EZB tätig sein werden. Zunächst aber werden wir uns intensiv an der Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit von EZB und nationalen Aufsichtsbehörden beteiligen und an der Entwicklung eines gemeinsamen Aufsichtshandbuchs mitwirken. Unser Ziel ist es, dass sich unsere Erfahrungen aus der Aufsichtspraxis in den künftigen Prozessen niederschlagen. Die europaweite Harmonisierung der Aufsichtsprozesse darf aber nicht in Gleichmacherei ausarten. Das Prinzip der Proportionalität muss auch in Zukunft gewahrt bleiben: Aufsicht muss angemessen sein und zum Institut und seinem Risikoprofil passen. Da der deutsche Bankensektor sehr vielfältig ist, hat die BaFin auch auf diesem Gebiet einiges an Erfahrung beizusteuern. Wenn sich alle Beteiligten konstruktiv am Aufbau der europäischen Bankenaufsicht beteiligen, bin ich zuversichtlich, dass dieses große Vorhaben Erfolg haben wird. Die neue Bankenaufsicht muss vom ersten Tag an funktionieren. Daran will die BaFin auch in diesem Jahr tatkräftig mitwirken.

Ein anders großes Regulierungsprojekt ist leider auf den letzten Metern ins Stocken geraten: das CRD-IV-Paket, bestehend aus einer Richtlinie und einer Verordnung, die unter anderem das globale Regelwerk Basel III auf europäischer Ebene umsetzen werden. Eigentlich hätte die CRD IV schon seit Jahresbeginn für eine quantitativ und vor allem qualitativ bessere Eigenmittelausstattung der Institute sorgen und erstmals EU-weit harmonisierte Liquiditätsanforderungen stellen sollen. Die EU hat das CRD-IV-Projekt zudem um einige weitere Themen angereichert, die ich hier nur als Stichworte anspreche: Single Rule Book, Corporate Governance und Harmonisierung der aufsichtlichen Eingriffs- und Sanktionsbefugnisse. Basel III und CRD IV werden uns helfen, die einzelnen Banken, aber auch den gesamten Finanzmarkt stabiler zu machen.

Umso bedauerlicher ist es, dass die Verhandlungen in Brüssel nicht termingerecht abgeschlossen worden sind. Wann die CRD IV in Kraft treten soll, ist noch nicht verkündet worden. Dabei brauchen Institute und Aufseher dringend Rechts- und Planungssicherheit. Ich hoffe, dass es der irischen Ratspräsidentschaft gelingt, die Verhandlungen bald zum Abschluss zu bringen. Ohne Single Rule Book kann die künftige europäische Bankenaufsicht nicht an den Start gehen. Die Umsetzungsmaßnahmen in Deutschland sind – unter maßgeblicher Beteiligung der deutschen Aufsicht übrigens – weit fortgeschritten. Was wir noch brauchen, ist der endgültige Text der EU.

Ins Stocken geraten ist auch Solvency II, die breit angelegte Reform der europäischen Versicherungsaufsicht. Dies allerdings aus gutem Grund: EU-Kommission, Rat und Parlament haben bei ihren Verhandlungen über die Omnibus-II-Richtlinie wichtige und komplexe Probleme aufgegriffen, die es zunächst zu lösen gilt. Eines davon ist die Frage der Abbildung des Versicherungsgeschäfts mit langfristigen Garantien. Es sind einige Instrumente angedacht, deren Tauglichkeit und etwaigen Nebenwirkungen nun in einer Auswirkungsstudie getestet werden. Dass sich Solvency II dadurch weiter verspäten wird, müssen wir in Kauf nehmen. Im Gespräch ist derzeit die volle Anwendung ab Anfang 2016. Ich meine, der Zeitplan sollte vor allem eines sein: realistisch. Das spricht eher für den Start zum 1. Januar 2017.

Es wird derzeit – auch von der BaFin angestoßen – darüber nachgedacht, Teile des Regelwerks vorzuziehen. Eignen würde sich dafür die Säule II, genauer gesagt das Own Risk and Solvency Assessment, kurz ORSA, also die Einschätzung von Risikotragfähigkeit und Kapitalposition durch das Unternehmen. Darüber werden wir EU-weit diskutieren, auch weil es Aufsichtsarbitrage zu vermeiden gilt. Sollte aber die Diskussion auf europäischer Ebene nicht – oder nicht schnell genug – fruchten, müssen wir überlegen, ob Deutschland nicht – ähnlich wie bereits die Niederlande – eine nationale Lösung anstreben sollte.

Das Feld wäre weitgehend bestellt. In Deutschland haben wir Kernelemente der Säule II schon 2009 eingeführt – und zwar über den § 64a Versicherungsaufsichtsgesetz. Diese rechtlichen Regelungen haben wir mit unseren Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) konkretisiert. Bereits heute müssen sich die deutschen Versicherer mit ihrer Risikotragfähigkeit auseinandersetzen. Die BaFin hat also bereits vorausschauende Elemente einer Risikotragfähigkeitsbetrachtung implementiert. Zudem verlangen wir regelmäßig Stresstests und Szenarioanalysen, um die Auswirkungen verschiedener, auch extremer Situationen auf die Solvabilität von Versicherern zu untersuchen. Im ORSA werden die Versicherer, was die Ermittlung des Kapitalbedarfs angeht, eine mehrjährige Perspektive einnehmen und sich ex ante bewusst machen müssen, welche Auswirkungen ihre strategischen Entscheidungen auf ihren Kapitalbedarf haben. Warum sollte man nicht schon heute die künftig geforderte Verknüpfung zwischen Risiko- und Kapitalmanagement stärken?

Die Signale, die ich bisher aus der Industrie bekomme, bestärken mich jedenfalls in meiner Auffassung. Im aktuellen, auch oder gerade für die Versicherungswirtschaft herausfordernden wirtschaftlichen Umfeld halte ich eine vorausschauende Kapitalplanung und Risikotragfähigkeitsprüfung für unverzichtbar.

Von den zahlreichen regulatorischen Großvorhaben auf dem Gebiet der Wertpapieraufsicht möchte ich nur eines herausgreifen: die europäische Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds. Die AIFM-Richtlinie, die Mitte 2011 in Kraft getreten ist und bis Juli 2013 in nationales Recht umgesetzt werden muss, gehört sicher zu den großen regulatorischen Herausforderungen des Jahres 2013. Sie wird uns – wenn auch nur in Europa – helfen, Licht ins Dunkel des Schattenbankensektors zu tragen. Sie erfasst die Manager von Fonds, die nicht bereits durch die OGAW-Richtlinie reguliert sind. Den betroffenen Marktteilnehmern werden weitreichende Informationspflichten auferlegt, auch gegenüber den Aufsichtsbehörden. Die Aufsicht kann, wenn es für die wirksame Überwachung von systemischen Risiken erforderlich ist, ergänzende Informationen anfordern. Das parlamentarische Verfahren läuft, und wir bereiten uns auf das Inkrafttreten am 22. Juli vor.

Ein recht junges regulatorisches Projekt läuft derzeit unter der Überschrift „Benchmarks und Indizes“. Seit dem Sommer beschäftigt das Thema zahlreiche europäische und globale Gremien. Dazu gehören die europäischen Aufsichtsbehörden EBA und ESMA und die IOSCO, die als Konsequenz aus den Problemen rund um Referenzzinssätze wie LIBOR und EURIBOR derzeit Prinzipien für eine bessere Aufsicht über die Erstellung und Verwendung verschiedener Benchmarks entwickeln. Nach Ablauf der Konsultationen sollen die Ergebnisse kurzfristig umgesetzt werden. Daneben hat die Europäische Kommission eine Ergänzung der Marktmissbrauchsrichtlinie vorgeschlagen, wonach die Manipulation von Benchmarks wie dem LIBOR unter Strafe gestellt werden soll. Die Empfehlungen, über die derzeit diskutiert wird, entsprechen inhaltlich weitgehend den Anforderungen, die wir auf Grundlage unserer Banken-MaRisk, der Mindestanforderungen an das Risikomanagement, bereits an die Quotierungsprozesse der beteiligten deutschen Institute stellen. Und hierbei handelt es sich überwiegend um Selbstverständlichkeiten, keinesfalls um übertriebene neue regulatorische Anforderungen.

Ob eine Bank an der Ermittlung einer solchen privatwirtschaftlichen Benchmark mitwirkt, ist allein ihre Entscheidung. Nimmt sie teil, muss sie allerdings ordnungsgemäße Prozesse implementieren. Dennoch muss man sich aus aufsichtlicher Sicht die Frage stellen, ob die Ermittlung von Sätzen wie LIBOR und EURIBOR überhaupt nachhaltig reformiert werden kann. Schließlich hat sich gezeigt, dass Benchmarks, die nur auf Schätzungen von Marktteilnehmern beruhen, anfällig für Manipulationen sind. Wenn man dann feststellt, dass es immer wieder Phasen geben kann, in denen es kaum reale Transaktionen gibt, auf die sich die Berechnung stützen könnte, steht für mich die Belastbarkeit einer solchen Benchmark in Frage. Ich bin auf die Ergebnisse der Konsultationen gespannt; meines Erachtens müssen wir nicht nur an der Generalüberholung, sondern auch am Ersatz des Systems arbeiten.

Eines unserer wichtigsten internationalen Projekte ist unverändert die Regulierung des Schattenbankensektors. Schon im November 2010 haben die G-20-Staats- und -Regierungschefs das FSB damit beauftragt, mit den Standardsetzergremien bis Mitte 2011 Empfehlungen zu erarbeiten, wie man die Regulierung dieses Sektors stärken könnte. Diese Empfehlungen sind nun erst für September 2013 angekündigt. Für einige Teilgebieten hat das FSB aber bereits bemerkenswerte Regulierungsvorschläge vorgelegt. Die Empfehlungen der IOSCO zu Geldmarktfonds habe ich schon angesprochen. In anderen Bereichen, etwa bei der Regulierung von Finanzierungsgesellschaften und Hedgefonds, stecken wir aber noch mitten in den Überlegungen. Ich fürchte, dass wir dem Anspruch, ein abgestimmtes Gesamtpaket zu entwickeln, nicht gerecht werden, denn je länger das Ganze dauert, desto schwieriger wird es, alle Vorschläge unter einen Hut zu bringen.

Hinzu kommt, dass wir es mit einer heterogenen Gruppe von Unternehmen zu tun haben. Und wenn Innovationsfreude eine Heimat hat, dann ist es der Schattenbankensektor. Das FSB hat daher gut daran getan, sich weg von der Regulierung einzelner Unternehmen und hin zur Regulierung von Aktivitäten zu bewegen. Es wird also ein Set an Instrumenten für schattenbankentypische Aktivitäten entwickelt, das dann national umgesetzt werden muss. Über die Verbindlichkeit dieses Instrumentariums wird noch heftig debattiert. Ich halte eine gewisse Verbindlichkeit für unabdingbar, wenn wir Arbitrage vermeiden wollen. Spielraum sehe ich allenfalls zu Beginn. Wenn die Instrumente mit der Zeit verfeinert werden, gilt es auch den Grad der Verbindlichkeit zu erhöhen. Wichtig ist auch, dass die Länder die Regeln vergleichbar anwenden. Das zu prüfen, wird Aufgabe des FSB sein.

Was die systemischen Risiken im Schattenbankensektor angeht – es gibt dort einige sehr große Global Player – so kann ich nur hoffen, dass die Überlegungen des FSB zu einem Rahmenwerk für systemrelevante sonstige Finanzinstitutionen greifen werden. Allerdings sind im Schattenbankensektor an der Kreditintermediation viele Parteien beteiligt. Wenn wir nur die Systemrelevanz einzelner Unternehmen betrachten, bringt uns das also nicht weiter. Unser Ziel muss sein, das gesamte System zu erfassen und zu regulieren. Diesem Ziel werden wir uns nur in kleinen Schritten nähern können. Aber wir müssen diese Schritte nun endlich tun.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch auf ein anderes Thema zu sprechen kommen, dass Sie und uns beschäftigt: den Verbraucherschutz. Sie alle wissen, dass wir als BaFin Verantwortung tragen für den kollektiven Verbraucherschutz. Ich bin davon überzeugt, dass eine gute Solvenzaufsicht eine der stärksten Waffen der BaFin im Verbraucherschutz ist und bleibt. Aber Solvenzaufsicht allein reicht natürlich nicht. Im Interesse der Verbraucher gilt es auch, die Transparenz der Produkte weiter zu verbessern.

Ich denke dabei an die verschiedenen Produktinformationsblätter. Und neben der Produkttransparenz gilt es, die Vertriebsstrukturen und -anreize sorgfältig im Auge zu behalten. Auf beiden Gebieten hat es regulatorische Änderungen gegeben, und die BaFin wird hier Prüfungsschwerpunkte setzen.

In den vergangenen Monaten gab es im Bankgewerbe erheblichen Unmut über das Anfang November eingerichtete Mitarbeiter- und Beschwerderegister. Sicherlich kann man über einzelne Regelungen streiten. Dennoch: Allein in den ersten Monaten haben wir insgesamt die Daten von etwa 180.000 Mitarbeitern von Wertpapierdienstleistungsunternehmen in unserer Datenbank gespeichert. Kundenbeschwerden haben uns die Unternehmen auch schon gemeldet. Einige haben wir zum Anlass genommen, mit Instituten zu sprechen. Wir unterscheiden genau: Hat sich ein einzelner Berater falsch verhalten oder ist die Vertriebssteuerung in dem Unternehmen grundsätzlich falsch angelegt? Da wir auch die Mitarbeiter, die den Vertrieb steuern, jetzt erfassen, können wir einen Blick hinter die Kulissen der Vertriebsorganisation werfen. Um dies auch häufiger vor Ort tun zu können, haben wir das Personal in diesem Bereich erheblich aufgestockt.

Last but not least: Das Gesetz zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht sieht die Einrichtung eines Verbraucherbeirates bei der BaFin vor. Er wird sich zusammensetzen aus Wissenschaftlern, Vertretern von Verbraucher- und Anlegerschutzorganisationen, außergerichtlicher Streitschlichtungssysteme und des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Ich verspreche mir von diesem Beirat wertvolle Anregungen für unsere Arbeit.

Meine Damen und Herren, die EU-Kommission hat im Juni vergangenen Jahres ein umfangreiches Legislativpaket zum Verbraucherschutz veröffentlicht. Es würde Stoff für mehrere Reden bieten, ich möchte mich aber zum Schluss einem anderen Thema zuwenden, das die Allfinanzaufsicht BaFin seit geraumer Zeit umtreibt: das niedrige Zinsniveau.

Seit fast vier Jahren schon verharren die Zinsen auf niedrigem Niveau. Darunter leiden nicht nur, aber auch die Versicherer und Pensionsfonds, die langfristige Garantien abgegeben haben oder bei denen die Erfüllbarkeit von Verpflichtungen auf andere Weise vom Erfolg der Kapitalanlage abhängt. Ich werde nicht müde, darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber bereits einige stabilisierende Maßnahmen ergriffen hat. Ich denke dabei zum Beispiel an die Zinszusatzreserve und die Begrenzung der Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven aus Zinspapieren. Leider ist die Verabschiedung der zuletzt genannten Regelung ins Stocken geraten. Ich hoffe, dass es kurzfristig gelingt, einen guten Ausgleich zwischen den Interessen des Kollektivs und denen des einzelnen Versicherungsnehmers zu finden. Aber es gilt auch: Das niedrige Zinsniveau mag uns noch viele Jahre begleiten. Die Versicherer müssen sich darauf einstellen und bei der Produktgestaltung neue Wege gehen.

Aus dem niedrigen Zinsniveau entstehen auch für die Bausparkassen Risiken: Bausparkassen vereinbaren mit ihren Kunden bei Vertragsabschluss feste Zinssätze. Sowohl die Guthabenzinsen der Ansparphase als auch die Darlehenszinsen, die die Bausparer zu zahlen haben, wenn sie später ein Bauspardarlehen in Anspruch nehmen, sind völlig unabhängig von der Entwicklung der Markzinssätze. Das führt in der Niedrigzinsphase dazu, dass viele Bausparer zwar sparen und die noch relativ hohen Guthabenzinsen in Anspruch nehmen, aber auf ihr Bauspardarlehen verzichten. Dieses Risiko müssen die Bausparkassen managen. Schon vor Jahren haben sie daher begonnen, das Zinsniveau ihrer Tarife anzupassen. Bleiben die Marktzinsen dauerhaft so niedrig wie derzeit, wird die Branche weiter gegensteuern und das Zinsniveau in neuen Tarifen noch weiter senken müssen.

Auch den Kreditinstituten bereitet das niedrige Zinsniveau nicht nur Freude. Während Zinsen auf Einlagen kaum mehr gesenkt werden können, sind Kreditzinsen auf einem Tiefstand, was den Zinsüberschuss erheblich dezimiert. Ebenso wie die Versicherer sehen sich Banken nun nach alternativen – womöglich riskanten – Einnahmequellen um.

Die Politik des billigen Geldes, welche die Europäische Zentralbank seit einiger Zeit betreibt, verschafft den Banken und den Staaten Zeit. Diese Zeit müssen die Banken nutzen, um ihre Hausaufgaben zu machen und ihre Geschäftsmodelle für die Zukunft zu rüsten. Und wie jede Medizin hat auch die des billigen Geldes Nebenwirkungen – für alle Marktteilnehmer. Wir werden diesem Punkt im Rahmen der vorausschauenden Aufsicht sehr viel Aufmerksamkeit schenken müssen – Stichwort „tragfähiges Geschäftsmodell“. Doch das ist, frei nach Fontane, ein weites Feld, das ich heute nicht mehr beackern möchte – eines von vielen wohlgemerkt. Ich danke Ihnen für Ihr aufmerksames Zuhören und wünsche Ihnen und uns noch einen schönen Abend und anregende Gespräche.

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