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Porträtaufnahme von Raimund Röseler, Exekutivdirektor Bankenaufsicht. © Bernd Roselieb

Erscheinung:22.08.2022 Interview mit Raimund Röseler, BaFin-Exekutivdirektor Bankenaufsicht, und dem Handelsblatt

geführt von Yasmin Osman und Andreas Kröner am 4. August 2022 und veröffentlicht am 15. August 2022

Herr Röseler, deutsche Finanzinstitute haben zuletzt recht gut verdient. Freut Sie das als Bankenaufseher?

Raimund Röseler: Es ist schön, wenn Banken auch mal Rückenwind bekommen. Aber das ändert nichts an der nachhaltigen Ertragsschwäche, die Banken in Deutschland haben.

Sie fordern seit langem, dass Banken mehr über Gebühren einnehmen sollen, um weniger abhängig vom Zinsgeschäft zu sein. Jetzt steigen die Zinsen, gilt ihr Mantra noch immer?

Auf jeden Fall. Die Institute sollten ihre Ertragsbasis auf breitere Füße stellen. Das haben Banken jetzt in Teilen auch gemacht, kostenlose Girokonten zum Beispiel sind selten geworden. Aber auf der Kostenseite haben Banken immer noch wenig gemacht.

Die meisten Banken sind wegen der steigenden Zinsen zuversichtlich.

Das ist nachvollziehbar, denn ein negatives Zinsniveau wäre für viele Banken auf Dauer nicht tragbar gewesen. Der deutliche Zinsanstieg kam ziemlich abrupt, was die meisten Banken überrascht hat. Höhere Zinsen sind für Banken mittelfristig gut, aber im Moment sind die Bewertungsverluste bei vielen Instituten größer als die positiven Ertragseffekte. Manche Banken stehen hier vor ernsthaften Schwierigkeiten.

Wie viele Banken könnten in ernste Schwierigkeiten geraten?

Ich gehe davon aus, dass eine kleinere zweistellige Zahl von Banken ernsthafte Probleme bekommt. Sie haben langfristige Kredite zu niedrigen Zinsen ausgereicht, müssen für ihre Refinanzierung nun aber mehr bezahlen. Gegen dieses Risiko haben sich nicht alle Häuser ausreichend abgesichert. Das zeigen die vorläufigen Ergebnissen eines Stresstests, den wir im Frühjahr bei kleinen und mittelgroßen Instituten durchgeführt haben. Das härteste Szenario des Stresstests – ein Anstieg der Marktzinsen um zwei Prozentpunkte sowie ein Konjunktureinbruch – ist inzwischen Realität geworden.

Haben Sie die Folgen eines möglichen Gaslieferstopps im Stresstest auch schon berücksichtigt, oder könnte das echte Leben noch härter werden?

Das echte Leben kann härter werden. Allerdings weiß niemand, wie sich ein Gaslieferstopp auswirken würde und welche staatlichen Hilfen es dann gäbe. Bis vor kurzem hatten wir alle Banken unter besonderer Beobachtung, die stark im Energiesektor engagiert sind. Nach der Rettung des Energiekonzerns Uniper hat sich unsere Einschätzung des Risikos bezüglich dieses Sektors entsprechend geändert.

Haben die Banken genügend Risikovorsorge für drohende Kreditausfälle gebildet?

Viele Banken sind noch relativ entspannt – entspannter als wir es sind. Wir wissen noch nicht, ob es wirklich zu einer echten Krise kommt, aber die Voraussetzungen für einen perfekten Sturm sind gegeben. Es gibt hohe Inflationsraten und steigende Zinsen. Zudem können wir weitere Turbulenzen an den Finanzmärkten und eine Rezession nicht ausschließen. Ein Gaslieferstopp hätte gravierende Auswirkungen, die Banken so in ihrer Risikovorsorge bisher noch nicht berücksichtigt haben.

Die EZB macht sich seit Jahren für grenzüberschreitende Fusionen in der Euro-Zone stark. Sind diese im aktuellen Umfeld realistisch?

Zu grenzüberschreitenden Fusionen haben wir eine eher zurückhaltende Meinung. Natürlich kann ein solcher Zusammenschluss Sinn ergeben, um Größenvorteile zu erlangen, Kosten zu senken oder neue Märkte zu erschließen. Gleichzeitig ist damit aber auch eine zusätzliche Komplexität verbunden, nicht zuletzt durch unterschiedliche gesetzliche Rahmenbedingungen außerhalb des Bankenaufsichtsrechts. Hinzu kommt die Unsicherheit über die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges, die sicher auch zu Zurückhaltung in Bezug auf Fusionsgedanken führt.

Wie beurteilen Sie die Gefahren durch Cyberangriffe angesichts des russischen Angriffskrieges?

Wir sind alle in erhöhter Alarmbereitschaft. Es gab seit Februar mehrere Cyberangriffe auf deutsche Finanzinstitute, die jedoch glücklicherweise alle abgewehrt wurden. Wir sehen derzeit keine flächendeckende Angriffswelle auf deutsche Banken. Insgesamt hat sich die Zahl der Attacken auf deutsche Finanzinstitute nicht erhöht, sehr wohl aber die Professionalität und die kriminelle Energie der Angreifer. Dies gilt insbesondere in Zusammenhang mit Ransomware-Attacken, bei denen Hacker Finanzinstitute lahmlegen und dann Geld erpressen wollen.

Einigen Banken wollen trotz aller Unsicherheiten in ein neues Geschäftsfeld vorstoßen: Kryptowährungen. Selbst einige Volksbanken und Sparkassen denken darüber nach. Wie finden sie das?

Zunächst einmal ist es wichtig zu beachten, dass es sich um keine Währungen handelt, sondern um Möglichkeiten zur Geldanlage. Ich sehe das sehr kritisch. Institute sollten nur Geschäfte machen, die sie verstehen – und meine Vermutung ist, dass die allermeisten Kreditinstitute sich mit Krypto-Assets nicht ausreichend gut auskennen. Darüber hinaus hätte ein solcher Schritt eine fatale Signalwirkung.

Wie meinen Sie das?

Die allermeisten Sparkassen und Banken werden von ihren Kunden als solide und bodenständig wahrgenommen. Wenn sie den Handel mit Bitcoin anbieten, kann dies in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, dass Krypto-Assets auch stabile Wertanlagen oder sogar durch die Einlagensicherung gedeckt sind. Beides ist nicht der Fall. Wenn Institute Krypto-Produkte anbieten wollen, wäre mir wichtig, dass sie diese Produkte zumindest mit ganz dicken Warnhinweisen versehen.

Der Krypto-Crash hat die Vermittlungsplattform Nuri nun in die Insolvenz getrieben. Wie groß ist die Ansteckungsgefahr für das traditionelle Bankwesen?

Grundsätzlich gibt es ein Ansteckungsrisiko, wenn eine Bank mit einem Vermittler zusammenarbeitet. Das ist dann der Fall, wenn ein Vermittler unter dem Haftungsdach der Bank aufgehängt ist und seine Kunden nicht ordentlich über die Risiken aufgeklärt hat.

Hätte die Bafin bei Nuri genauer hinsehen müssen, auch wenn die Plattform nicht direkt unter ihrer Aufsicht war? Immerhin war Nuri ein wichtiger Vermittler für die Solarisbank.

Alle Institute unter unserer Aufsicht haben klare aufsichtliche Anforderungen zu erfüllen, wenn sie Aufgaben an Dienstleister auslagern. Vor allem bei Instituten mit White-Label-Geschäftsmodellen schauen wir genauer hin. Auch unabhängig von Nuri überprüfen wir Risiken, die mit Auslagerungen verbunden sind. Wir stehen mit den betroffenen Instituten laufend in Kontakt, um aufsichtlichen Handlungsbedarf frühzeitig feststellen zu können. Uns ist es wichtig, ein gesundes Problembewusstsein zu schaffen. Auslagern lässt sich so einiges, Verantwortung gehört nicht dazu.

Was müssen Banken beachten, wenn sie mit Vermittlern zusammenarbeiten – egal, ob es dabei um Krypto-Assets, Einlagen oder Kredite geht?

Solche Kooperationen haben den Charakter von Outsourcing, also der Auslagerung bankeigener Aufgaben. Wir erwarten von den Banken, dass sie vorab eine saubere Sorgfaltsprüfung ihrer Geschäftspartner machen. Derzeit untersuchen wir übrigens, ob dies bei Kreditvermittlungsplattformen geschieht. Die Vermutung liegt nahe, dass sich Banken auf diese Weise höhere Risiken einkaufen, weil sie Kunden vermittelt bekommen, die sie vorher nicht kannten und auch nicht selbst überprüft haben.

Sie warnen auch schon länger vor den Risiken in der privaten Baufinanzierung. Die Finanzaufsicht hat sogar zusätzliche Kapitalpuffer für solche Darlehen angeordnet. Hat die Branche den Schuss gehört?

Die Banken sind bei Immobilienkrediten risikobewusster geworden. Die finanziellen Auswirkungen des Puffers sind zwar nicht sehr groß, aber wir wollten ein Signal setzen – und das ist uns gelungen. Es besteht dennoch die Gefahr, dass sich Kreditausfälle häufen, weil sich Privatkunden ihre Kreditraten nicht mehr leisten können. Von ihrem verfügbaren Einkommen geht schließlich nun ein größerer Teil für Energie ab. Positiv ist dagegen, dass private Baufinanzierungen in Deutschland überwiegend langfristig abgeschlossen sind. Steigende Zinsen machen sich somit erst zeitverzögert bemerkbar, wenn schon ein spürbarer Teil des Darlehens getilgt ist.

Sie erwarten also keinen Crash am Immobilienmarkt?

Mit einem flächendeckenden Immobiliencrash rechne ich nicht, aber durchaus mit Korrekturen in bestimmten Segmenten. Objekte, die als Kapitalanlage überteuert gekauft wurden, werden sicher an Wert verlieren. Durch die steigenden Zinsen gibt es für Anleger schließlich wieder mehr Anlagealternativen. Auch bei den gewerblichen Immobilen bereiten mir einige Segmente Sorgen, beispielsweise Büro- und Einzelhandelsgebäude.

Wie hart trifft das die Bankenbranche auf der Ertragsseite, wenn der Boom nun abkühlt?

Baufinanzierung ist für die meisten Privatkundenbanken ein sehr wichtiges Geschäftsfeld. Wenn das abschmilzt, fällt eine wichtige Ertragsquelle weg. Allerdings ermöglicht die Zinswende den Instituten auch wieder eine bessere Marge. Welcher Effekt überwiegt, lässt sich noch nicht sagen.

Auf der anderen Seite führen die steigenden Zinsen zur Renaissance von Bausparverträgen. Verhindert die Zinsenwende den Untergang der Bausparkassen?

Positive Zinsen helfen Bausparkassen. Das Geschäftsmodell kann eher wieder funktionieren.

Das heißt, das Geschäftsmodell hat bis zuletzt nicht funktioniert?

In den vergangenen Jahren haben Bausparkassen eine Zinsoption verkauft, die dann aber aufgrund der niedrigen Zinsen selten gezogen wurde. Deshalb gab es bei vielen Bausparkassen ein Ungleichgewicht in der Bilanz. Jetzt können Bausparkassen auch wieder als Kreditgeber attraktiv werden.

Mark Branson steht seit gut einem Jahr an der Spitze der BaFin. Wie sehr hat er die Behörde verändert?

Die BaFin hat sich verändert – durch Mark Branson, aber auch durch die Reformen, die nach dem Zusammenbruch von Wirecard auf den Weg gebracht wurden. Wir sind mutiger geworden. Die Angst vor einem Rechtsstreit und der Gefahr, einen Rechtsstreit verlieren zu können, ist nicht mehr so groß. Mark fordert und fördert diese Risikobereitschaft.

Wie viele Prozesse haben Sie denn im zurückliegenden Jahr verloren?

Nur wenige Entscheidungen haben überhaupt einen Rechtsstreit nach sich gezogen. Wir haben nur einen Prozess gegen ein Unternehmen verloren, welches wir gerne vom Markt ferngehalten hätten. Aber es ist ja nicht so, dass wir Harakiri begehen, unsere Entscheidungen sind nach wie vor gut begründet.

Die BaFin veröffentlicht Maßnahmen gegen Banken häufiger als früher. Warum?

Das Gesetz sieht vor, das Maßnahmen veröffentlicht werden, wenn keine triftigen Gründe dagegensprechen. In der Vergangenheit waren wir sicherlich sehr zurückhaltender. Denn viele Banken wehren sich nicht gegen unsere Maßnahmen, sondern gegen deren Veröffentlichung. Klagen können sie aber nur gegen die Maßnahmen selbst.

Nutzt sich der Effekt des „Naming und Shaming“ mit der Zeit ab? Mittlerweile veröffentlichen Sie jede Woche Dutzende Maßnahmen gegen verschiedene Banken.

Ich denke, nach wie vor möchte keine Bank mit einer Maßnahme auf der BaFin-Website erscheinen.

Ein Thema, das Banken und Finanzaufsicht gleichermaßen frustriert, ist das Meldewesen. Institute müssen heute eine Vielzahl an Tabellen ausfüllen, die Sie dann auswerten. Ist das noch zeitgemäß?

Nein. Wir haben deshalb im Rahmen einer Machbarkeitsstudie eine Lösung entwickelt, die das Meldewesen für beide Seiten effizienter machen kann. Bei diesem Prototyp geben Finanzinstitute ihre granularen Daten, zum Beispiel über einen Kredit, in ein einheitliches Meldesystem ein. Wir können die Daten dann aggregieren, analysieren und daraus unsere Schlüsse ziehen.

Wann wollen Sie die Lösung branchenweit ausrollen?

Wir brauchen eine europäische und keine Einzellösung für Institute in Deutschland, denn viele Institute werden ja federführend von der Europäischen Zentralbank beaufsichtigt. Zudem sollen auch die Notenbanken und die Abwicklungsbehörden auf diese Daten zurückgreifen. Wir haben unsere Lösung in die Diskussionen auf europäischer Ebene eingebracht und dafür positive Rückmeldungen erhalten. Mit einer Umsetzung der ersten Ergebnisse ist aber sicher nicht kurzfristig zu rechnen.

Was wird das ganze kosten?

Wir gehen davon aus, dass für einen solchen Systemwechsel branchenweit sicher ein dreistelliger Millionenbetrag investiert werden müsste. Aber für die Banken würden sich diese Investitionen rechnen, denn für sie fielen dadurch viele manuelle Arbeiten weg. Theoretisch könnte die Finanzaufsicht mit den Daten künftig auch Stresstests allein durchrechnen.

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