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Erscheinung:12.07.2007 | Thema Unternehmensübernahmen Merkblatt - Auslegung des § 35 Abs. 3 WpÜG durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht

Gemäß § 35 Abs. 3 WpÜG besteht keine Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebots nach § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG, wenn die Kontrolle auf Grund eines Übernahmeangebots erlangt wurde.

Der Gesetzgeber hat die Übernahme- und Pflichtangebote in wesentlichen Teilen gleich ausgestaltet, so dass der Schutz des Kapitalmarkts und der Minderheitsaktionäre der Zielgesellschaft sowohl durch Übernahme- wie auch Pflichtangebote gewährleistet wird. Daher erschien es dem Gesetzgeber im Rahmen des § 35 Abs. 3 WpÜG gerechtfertigt, ein erfolgreiches, d.h. zur Erlangung der Kontrolle führendes, und ordnungsgemäß durchgeführtes Übernahmeangebot insofern zu privilegieren, als kein anschließendes Pflichtangebot mehr erforderlich ist (vgl. Begr RegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S. 60).

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht legt § 35 Abs. 3 WpÜG weit aus, um den gesetzgeberischen Willen, ordnungsgemäß durchgeführte Übernahmeangebote zu privilegieren, wirksam in der Verwaltungspraxis umzusetzen. Danach muss zwischen dem Übernahmeangebot und der Kontrollerlangung ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang vorliegen, um die Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 WpÜG zu erfüllen.

Vor diesem Hintergrund und der in den Jahren 2006 und 2007 zunehmenden praktischen Relevanz des § 35 Abs. 3 WpÜG lässt sich die Verwaltungspraxis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht anhand der nachfolgenden Fallgruppen wie folgt darstellen:

1. Fallgruppe: Vollzugsfälle (settlement)

§ 35 Abs. 3 WpÜG ist erfüllt, wenn die Kontrollerlangung durch das marktübliche settlement eines vor bzw. auf den Ablauf der Annahmefrist abgeschlossenen Verpflichtungsgeschäftes während der bzw. nach Ablauf der (weiteren) Annahmefrist erfolgt.

Die Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 WpÜG sind erfüllt, wenn der dingliche Vollzug von Vorerwerben zwischen den Veröffentlichungen nach § 10 Abs. 1 Satz 1 WpÜG und § 14 Abs. 2 Satz 1 WpÜG und Parallelerwerben im Sinne des § 31 Abs. 4 WpÜG zur Kontrollerlangung nach § 29 Abs. 2 WpÜG führt. Insoweit besteht ein unmittelbarer zeitlicher und sachlicher Zusammenhang mit dem Übernahmeangebot.

Dies gilt auch für Verpflichtungsgeschäfte, die vor bzw. zum Ablauf der Annahmefrist abgeschlossen (z.B. durch die Annahmeerklärung abgeschlossene Kaufverträge, Kaufverträge für Parallelerwerbe oder Paketerwerbe), jedoch dinglich (settlement) erst nach Ablauf der (weiteren) Annahmefrist bewirkt werden. Sachlich besteht sowohl bei den Kaufverträgen auf Grund der Annahmeerklärungen als Ergebnis des Übernahmeangebots als auch den Parallelerwerben ein enger Zusammenhang zum Übernahmeangebot. Ein zeitlicher Zusammenhang ist stets gegeben, wenn der Zeitraum zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft marktüblich ist (z.B. settlement von Erwerben über die Börse nach zwei Börsentagen, settlement der Kaufverträge des Angebotes regelmäßig bis spätestens zehn Werktage nach Ablauf der weiteren Annahmefrist).

2. Fallgruppe: Fusionskontrollrechtliche Fälle

§ 35 Abs. 3 WpÜG ist erfüllt, wenn die Kontrollerlangung durch das Wirksamwerden des Übernahmeangebotes und/oder eines in das Übernahmeangebot eingebundenen Paketerwerbes in Folge der fusionskontrollrechtlichen Freigabe nach Ablauf der (weiteren) Annahmefrist erfolgt und in der Angebotsunterlage auf diesen Umstand hingewiesen wird.

Die Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 WpÜG sind auch erfüllt, wenn die Kontrolle erst nach Ablauf der (weiteren) Annahmefrist durch einen Paketerwerb erlangt wird, der unter einem fusionskontrollrechtlichen Vollzugsverbot stand und erst nach einer entsprechenden Freigabeentscheidung durch die zuständigen Aufsichtsbehörden vollzogen werden darf.

Die Freigabeentscheidungen ergehen regelmäßig erst erheblich nach Ablauf der (weiteren) Annahmefrist. Es entspricht der Praxis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, in diesem Zusammenhang Bedingungen in der Angebotsunterlage zuzulassen, deren Eintritt oder Ausfall erst deutlich nach Ablauf der (weiteren) Annahmefrist feststeht. Damit geht einher, dass die Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 WpÜG erfüllt sind, wenn die Kontrolle erst nach der fusionskontrollrechtlichen Entscheidung durch den Vollzug des Paketerwerbes bzw. das bedingungsfreie Wirksamwerden des Übernahmeangebotes und des anschließenden Vollzuges des Übernahmeangebotes erlangt wird. Die fusionskontrollrechtliche Entscheidung und die Bedingung sind in der Angebotsunterlage zu erläutern.

3. Fallgruppe: Änderungen in der Beteiligungsstruktur des Bieters während des Übernahmeangebotes

§ 35 Abs. 3 WpÜG ist erfüllt, wenn eine nicht in der Angebotsunterlage aufgeführte Person während des Übernahmeangebots durch eine konzerninterne Umstrukturierung Mutterunternehmen im Sinne des § 2 Abs. 6 WpÜG des Bieters des Übernahmeangebotes wird, diese nicht aufgeführte Person wiederum von derselben Konzernoberperson wie der Bieter beherrscht wird und diese nicht aufgeführte Person mit dem Vollzug des Übernahmeangebotes die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt, sofern Vor- oder Parallelerwerbe dieser nicht aufgeführten Person in einer Veröffentlichung nach § 23 WpÜG offen gelegt werden.

Die Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 WpÜG sind auch hinsichtlich derjenigen Personen erfüllt, die zwischen der Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 2 Satz 1 WpÜG und dem Ablauf der Annahmefrist Mutterunternehmen im Sinne des § 2 Abs. 6 WpÜG des Bieters werden. Dafür ist erforderlich, dass die neu hinzutretenden Personen ihrerseits als Tochterunternehmen entweder von dem auch den Bieter beherrschenden Konzernunternehmen im Sinne des § 18 Abs. 1 AktG oder von einer auch den Bieter beherrschenden Person, die kein Unternehmen im Sinne der §§ 15 ff. AktG ist, beherrscht werden.

Parallel- und Vorerwerbe dieser Personen sowie die Tatsache, dass diese Personen gemeinsam handelnde Personen des Bieters sind, sind im Rahmen des § 23 WpÜG zu veröffentlichen.

Ein Wechsel des herrschenden Konzernunternehmens bzw. der beherrschenden Person, die nicht Unternehmen im Sinne der §§ 15 ff. AktG ist, fällt nicht unter § 35 Abs. 3 WpÜG.

4. Fallgruppe: Nicht offen gelegte Beteiligungsstruktur oberhalb des Bieters

§ 35 Abs. 3 WpÜG ist erfüllt, wenn die Kontrollerlangung auf Grund der Zurechnung nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpÜG durch eine nicht in der Angebotsunterlage aufgeführte Person erfolgt, die sich als Tochterunternehmen innerhalb eines "Konzerns", dem auch der Bieter des Übernahmeangebotes als Tochterunternehmen angehört, befindet, sofern von dieser nicht aufgeführten Person keine die Gegenleistung erhöhenden Vor- und Parallelerwerbe getätigt wurden.

Erlangen innerhalb von "Konzernen" Personen, die nicht in der Angebotsunterlage aufgeführt sind, auf Grund der Zurechnung nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpÜG die Kontrolle über die Zielgesellschaft, werden diese Personen von § 35 Abs. 3 WpÜG umfasst, wenn und soweit diese keine die Gegenleistung erhöhende Vor- und Parallelerwerbe getätigt haben.

Voraussetzung für § 35 Abs. 3 WpÜG ist in dieser Konstellation, dass sich die Höhe der Gegenleistung bei hypothetischer Einbeziehung der nicht angegebenen gemeinsam handelnden Personen des Bieters unter die §§ 31 WpÜG, 4 ff. WpÜG-Angebotsverordnung nicht erhöhen würde. Denn durch den Vollzug des Übernahmeangebotes erlangen diese Personen wegen der Zurechnung nach §§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 Abs. 6 WpÜG die Kontrolle im Sinne des § 29 Abs. 2 WpÜG über die Zielgesellschaft. Zugleich sind diese Personen materiell gemeinsam handelnde Personen des Bieters gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Satz 3 WpÜG.

Weitere Voraussetzung ist, dass diese Personen als Tochterunternehmen entweder von einem ebenfalls die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangenden Konzernunternehmen im Sinne des § 18 Abs. 1 AktG oder von einer ebenfalls die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangenden Person, die kein Unternehmen im Sinne der §§ 15 ff. AktG ist, beherrscht werden (Zugehörigkeit zu einem "Konzern" im weiteren Sinne).

Parallel- und Vorerwerbe dieser Personen sowie die Tatsache, dass diese Personen gemeinsam handelnde Personen des Bieters sind, sind im Rahmen des § 23 WpÜG zu veröffentlichen.

5. Fallgruppe: Verschmelzungsfälle

§ 35 Abs. 3 WpÜG ist erfüllt, wenn die Kontrollerlangung durch die Eintragung der Verschmelzung eines vor Ablauf der Annahmefrist eingeleiteten Verschmelzungsprozesses nach Ablauf der (weiteren) Annahmefrist erfolgt und in der Angebotsunterlage auf diesen Umstand hingewiesen wird.

Bei Verschmelzungen haben Verzögerungen durch die registergerichtliche Eintragung keine Auswirkungen auf den zeitlichen Zusammenhang, da der Bieter die Dauer der Eintragung nicht beeinflussen kann. Insofern kann zwischen dem Ablauf der Annahmefrist und der Kontrollerlangung im Zuge der Verschmelzung ein Zeitraum von deutlich mehr als zehn Werktagen liegen. Zur Wahrung des sachlichen und des (weiteren) zeitlichen Zusammenhangs ist jedoch erforderlich, dass in der Angebotsunterlage des Übernahmeangebots auf diesen Sachverhalt hingewiesen wird.

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