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Exekutivdirektor Wertpapieraufsicht/ Asset-Management, Dr. Thorsten Pötzsch © BaFin/Matthias Sandmann

Erscheinung:12.03.2025 | Thema Wertpapiere Zertifikate-Untersuchungen: „Viel Licht, aber auch viel Schatten“

Die BaFin hat 2024 in zwei groß angelegten Studien den Zertifikate-Markt untersucht. Im Fokus: Der Vertrieb von Zins- und Express-Zertifikaten (Anlage-Zertifikate) sowie der Handel mit Turbo-Zertifikaten. Im Interview erklärt BaFin-Exekutivdirektor Dr. Thorsten Pötzsch, was die BaFin herausgefunden hat.

Herr Dr. Pötzsch, warum hat sich die BaFin so umfangreich und detailliert mit Zertifikaten beschäftigt?

Dr. Pötzsch: Der verstärkte Absatz von Zertifikaten hat eine enorme Bedeutung für den Verbraucherschutz. Daher haben wir uns in zwei umfassenden Marktstudien intensiv mit unterschiedlichen Aspekten beschäftigt. Zum einen haben wir vermutet, dass Sparkassen und Banken nach der Niedrigzinsphase eine Art Vertriebsoffensive gestartet haben – und ihre Kundinnen und Kunden stärker dazu beraten haben, in Zins- und Express-Zertifikate anzulegen.

Unabhängig davon haben wir uns mit dem Handelsprodukt der Turbo-Zertifikate beschäftigt. Sie sind für sogenannte Selbstentscheider konzipiert. Eine Beratung durch Banken oder Sparkassen erfolgt bei solchen Produkten nicht. Bei Turbo-Zertifikaten gibt es erhebliche Verlustrisiken. Und wir hatten die Vermutung, dass Privatkunden diese Risiken nicht immer bewusst sind.

Beiden Vermutungen sind wir ergebnisoffen, fair, aber auch sehr hartnäckig nachgegangen. Wenn man die Ergebnisse zusammenfassen möchte: Viel Licht, aber auch viel Schatten.

Besprechen wir zuerst die Analyse zu den Zins- und Express-Zertifikaten. Wie wurde untersucht und zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Dr. Pötzsch: Wir haben von Mai 2024 bis Februar 2025 eine fünfstufige Analyse durchgeführt, in der wir Kreditinstitute, Produkthersteller sowie Verbraucherinnen und Verbraucher direkt befragt haben. Zudem gab es eine Mystery-Shopping-Aktion.

In den einzelnen Untersuchungen haben wir durchaus Mängel festgestellt. Das Gesamtergebnis ist aber erfreulich: Systematische und gravierende Missstände gibt es beim Vertrieb von Anlage-Zertifikaten nicht. Es gibt keine Belege dafür, dass Institute ihre Kunden zum Kauf solcher Zertifikate gedrängt haben. Und es ist nur fair, das ebenso öffentlich festzustellen wie die Fehler, die wir kritisieren.

Wo sind Missstände aufgetreten?

Dr. Pötzsch: Uns ist aufgefallen, dass einige Produkthersteller ihre Product-Governance-Pflichten nicht einhalten, also nicht ausreichend auf einen verantwortungsvollen Herstellungs- und Vertriebsprozess achten. Unter anderem haben sie Marktszenarien wie fallende oder steigende Kurse nicht vollständig betrachtet. Das ist bedenklich – gerade weil es sich um teilweise sehr komplexe Produktstrukturen handelt.

Zudem haben wir herausgefunden, dass Banken und Sparkassen die Margen in den Kosteninformationen nicht einheitlich ausgewiesen haben. Das ist für Kundinnen und Kunden nachteilig, weil sie Produkte schlechter vergleichen können.

Sie haben erstmalig auch Verbraucherinnen und Verbraucher direkt befragt, die zuvor bestimmte Finanzprodukte gekauft hatten. Und zwar zu ihren Erfahrungen mit der Beratung und dem Produkt selbst. Dabei kam heraus, dass rund 20 Prozent derjenigen, die Express-Zertifikate gekauft haben, nicht verstehen, wie das Produkt funktioniert.

Dr. Pötzsch: Das stimmt. Express-Zertifikate haben komplexe Strukturen und viele Kunden wissen nicht, wie sie funktionieren. Das wäre aber wichtig. Wir empfehlen ihnen, bei Express-Zertifikaten immer ein erhöhtes Augenmerk auf die Rückzahlungsbedingungen zu legen und den Basiswert wie etwa die zugrundeliegende Aktie oder Anleihe im Blick zu halten. Wenn sie das nicht tun, können sie nur schwer beurteilen, wie viel Risiko in solchen Produkten steckt.

Aber auch bei der Beratung zu einfacheren Zertifikaten gab es Auffälligkeiten.

Dr. Pötzsch: Wir haben zwei Verbrauchererhebungen zur Anlageberatung gemacht, mit insgesamt knapp 2.000 Teilnehmenden, von denen etwa 320 bei Geldinstituten zu Zertifikaten beraten wurden. Viele gaben an, dass sie dabei Probleme hatten, den Erklärungen der Bankangestellten zu folgen. Zugleich haben wir festgestellt, dass die Kunden ihnen in hohem Maße vertrauen. Die Berater müssen sich dieser stabilen Vertrauensbeziehung aber bewusst sein und ihr mit ihrer Arbeit genügen. Zufrieden waren übrigens auch die Käuferinnen und Käufer der Express-Zertifikate, sowohl mit der Beratung als auch mit dem empfohlenen Produkt.

Nicht zufrieden waren vermutlich Käuferinnen und Käufer der Turbo-Zertifikate. Sie haben viel Geld verloren.

Dr. Pötzsch: Das ist richtig – und wir sind sehr beunruhigt darüber. Im knapp fünfjährigen Untersuchungszeitraum haben mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland Turbo-Zertifikate gekauft; also Produkte, bei denen auf einen bestimmten Basiswert wie eine Aktie, eine Währung oder einen Rohstoff spekuliert wird und die mit einer Knock-Out-Schwelle und einem Hebel ausgestattet sind, der Kursschwankungen verstärkt. Rund 75 Prozent der Käufer haben dabei ihr Geld verloren – über die fünf Jahre insgesamt mehr als 3,4 Milliarden Euro.

Eine provokante Frage: Sind die von Ihnen zuvor genannten Selbstentscheider nicht selbst schuld?

Dr. Pötzsch: Auch wenn die Käuferinnen und Käufer von Turbo-Zertifikaten teilweise erfahrene Anleger sind, müssen die Hersteller und Vertriebsunternehmen die Risiken solcher Produkte ausreichend prominent und transparent aufzeigen. Die Studie zeigt: Hier ist noch Luft nach oben. Auf der anderen Seite haben auch Anleger eine Eigenverantwortung: Sie sollten die verpflichtenden Informationsdokumente aufmerksam lesen.

Wie geht die BaFin mit den gewonnenen Erkenntnissen der beiden Marktuntersuchungen um?

Dr. Pötzsch: Institute, bei denen wir Mängel in der Anlageberatung zu Zertifikaten festgestellt haben, müssen diese abstellen. Dazu fordern wir sie auf. Unsere Ergebnisse werden wir auch mit den Verbänden der Kreditwirtschaft besprechen. Zudem fließen die gewonnenen Erkenntnisse in unsere Informationen für Verbraucher ein. Damit wollen wir ihnen helfen, am Finanzmarkt selbstbestimmt zu handeln und eigenverantwortlich Entscheidungen treffen zu können.

Bei der Untersuchung zu Turbo-Zertifikaten werten wir aktuell noch Details aus. Wir werden Ergebnisse der Studie veröffentlichen. Und wir prüfen, inwieweit wir weitergehende aufsichtliche Maßnahmen ergreifen.

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