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Erscheinung:14.11.2024 | Thema Bilanzkontrolle „Es geht uns um die Integrität des Kapitalmarkts“
(BaFinJournal) Wie arbeitet die Bilanzkontrolle der BaFin? Und wie geht sie mit der neuen Nachhaltigkeitsberichterstattung um? Ein Interview mit Ralf Becker, Leiter der Bilanzkontrolle, und Regina Schierhorn, Referatsleiterin in der Bilanzkontrolle.
Welche Unternehmen prüft die Bilanzkontrolle der BaFin zurzeit und welche Schwerpunkte setzen Sie dabei?
Becker: Die Bilanzkontrolle der BaFin deckt alle kapitalmarktorientierten Unternehmen ab. Das sind, vereinfacht gesagt, die Unternehmen, deren Aktien und Anleihen am geregelten Markt gehandelt werden. Insgesamt sind das knapp 500 Firmen, vom DAX-Schwergewicht bis hin zur kleineren Gesellschaft, die gerade erst an die Börse gegangen ist. Für sie alle gilt: Wer die Vorteile des Kapitalmarkts nutzen möchte, muss potenziellen und tatsächlichen Investoren zutreffende und hinreichende Informationen zu seinem Unternehmen zur Verfügung stellen.
Schierhorn: Die Schwerpunkte unserer Prüfungen unterscheiden sich teils deutlich. Bei Bedarf prüfen wir Unternehmen auch unter ganz individuellen Gesichtspunkten. Grundsätzlich arbeiten wir in der Bilanzkontrolle risikoorientiert. Wir schauen also z. B. bei Themen, die uns kritisch erscheinen, ganz genau hin. Daneben orientieren wir uns an allgemeinen Prüfungsschwerpunkten, die in der Regel für ein Jahr gelten. Diese Schwerpunkte greifen beispielsweise Trends oder Auffälligkeiten aus vorangegangenen Prüfungen auf. Manche gelten europaweit und werden von der ESMA festgelegt, der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde. Andere Schwerpunkte betreffen nur den deutschen Markt. Die legen wir als BaFin fest. Für 2025 haben wir uns beispielsweise vorgenommen, einen Fokus auf die Werthaltigkeit von finanziellen und nichtfinanziellen Vermögenswerten zu legen.
Welche Möglichkeiten und Instrumente stehen Ihnen bei einer Prüfung zur Verfügung?
Becker: Zunächst einmal können wir durch das FISG, das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität, viel besser als vorher für Transparenz sorgen. Das Gesetz ist seit Anfang 2022 in Kraft. In unserer täglichen Arbeit unterscheiden wir zwischen stichprobenartigen Prüfungen und Anlassprüfungen. Anlassprüfungen ordnen wir an, wenn uns konkrete Hinweise auf Rechnungslegungsverstöße vorliegen. Und diese Anordnungen machen wir auch bekannt. Denn wir wollen den Kapitalmarkt darüber informieren, bei welchen Unternehmen wir einen Grund sehen, genauer hinzuschauen. Darüber hinaus geben wir auch bekannt, wenn wir einen wesentlichen Rechnungslegungsfehler finden und feststellen – und zwar bei allen unseren Prüfungen.
Mit dem FISG hat der Gesetzgeber zudem unseren Werkzeugkasten erweitert, und zwar um einige ziemlich scharfe Instrumente. Neben verwaltungsrechtlichen Instrumenten wie Auskunftsersuchen können wir jetzt auch Vernehmungen, Durchsuchungen und Beschlagnahmen anordnen.
Schierhorn: Außerdem tauschen wir uns eng mit der Abschlussprüferaufsichtsstelle APAS aus. Und falls der Verdacht einer Straftat im Raum steht, kontaktieren wir natürlich die zuständige Staatsanwaltschaft und stimmen das weitere Vorgehen mit ihr ab.
Ralf Becker, head of balance control, and Regina Schierhorn, department head in balance control.
© BaFin
Warum veröffentlichen Sie unter anderem Prüfungsanordnungen und Fehlerfeststellungen?
Becker: Es geht uns um die Integrität des Kapitalmarkts. Sie ist ein hohes Gut. Mit unseren Bekanntmachungen wollen wir Transparenz schaffen und das Vertrauen in den Kapitalmarkt stärken. Prüfverfahren sind manchmal sehr langwierig. Der Gesetzgeber wollte, dass Kapitalmarktteilnehmer nicht erst über deren Ausgang informiert werden. Der Markt soll bereits erfahren, wenn wir Anlassprüfungen anordnen. Dabei ist ein Aspekt ganz wichtig: Wenn wir eine entsprechende Prüfungsanordnung veröffentlichen, bedeutet das nicht bereits, dass die Rechnungslegung fehlerhaft ist oder dass wir voraussichtlich eine fehlerhafte Rechnungslegung feststellen werden. Darüber hinaus soll der Markt auch über gewichtige Zwischenschritte informiert werden. Unsere Veröffentlichungen können ein Echo in den Medien erzeugen, Investitionsentscheidungen beeinflussen – und damit natürlich auch Kursbewegungen auslösen. Der Markt kann die Informationen also einpreisen.
Was sind typische Beispiele für Fehler, die bei Ihren Prüfungen auffallen?
Schierhorn: Wir haben es häufig mit fehlerhaften Bewertungen von finanziellen und nichtfinanziellen Vermögenswerten zu tun. Also etwa von Grundstücken, von Beteiligungen oder von Goodwill, also immateriellen Vermögenswerten, die beispielsweise durch den Erwerb anderer Unternehmen entstanden sind. Wir sehen auch oft Fehler im Zusammenhang mit der Realisation von Umsätzen oder dass Cash Flows in der Kapitalflussrechnung falsch zugeordnet werden. Auch in den Lageberichten werden wir immer wieder fündig, beispielsweise in der Darstellung des Geschäftsverlaufs, oder in den Risiko- und Prognoseberichten.
Ab dem kommenden Jahr prüfen Sie auch die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen nach der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD). Wo sehen Sie bei diesem Thema die größten Hürden?
Becker: Für ein Vorhaben dieser Größenordnung und Komplexität gibt es keine Blaupause. Die etablierte Finanzberichterstattung hat sich über Jahrzehnte fortentwickelt. Daneben tritt nun ein Regelwerk, das ähnlich umfangreich und komplex ist.
Die Nachhaltigkeitsberichterstattung wirkt sich massiv auf die Praxis von Unternehmen, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Aufsicht aus. Viele Unternehmen beschäftigen sich seit Monaten mit den sehr komplexen Anforderungen. Dabei müssen sie mit vielen unbestimmten Rechtsbegriffen umgehen. Genauso wie wir. Wir werden es daher vermeiden, sofort und flächendeckend mit ganz spitzem Bleistift zu prüfen. Klar ist aber auch, dass wir unsere Möglichkeiten hinsichtlich des neuen Regelwerks von Tag eins an ausschöpfen werden, wenn wir merken, dass uns jemand ein X präsentiert, wo ein U stehen sollte.