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Erscheinung:11.09.2024 | Thema Risikomanagement „Die Deutschen sind besonders stark im Risikomanagement“

(BaFinJournal) Seit zehn Jahren gibt es den Einheitlichen Aufsichtsmechanismus für Banken der Eurozone. Was hat er gebracht und wo steckten die größten Herausforderungen bei dessen Gründung? Ein Interview mit dem ehemaligen EZB-Direktoriumsmitglied Sabine Lautenschläger.

Frau Lautenschläger, die deutsche Bankenlandschaft gilt mit ihren vielen öffentlich-rechtlichen Instituten, Genossenschaftsbanken und Privatbanken als besonders. War dies beim Start des Single Supervisory Mechanism (SSM) eine Herausforderung?

Hätte man meinen können. Aber, wissen Sie, das Spannende und manchmal auch das Frustrierende an der europäischen Bankenaufsicht ist die Vielfalt der nationalen Bankenmärkte. Jeder Bankenmarkt hat seine Herausforderungen und jedes Land hält den eigenen Markt natürlich für ‚besonders‘ besonders.

Hierzulande fürchteten viele, dass die Besonderheiten des deutschen Marktes nicht ausreichend berücksichtigt würden.

In den ersten Jahren des SSM hatten alle Länder genau diese Befürchtungen. Ich denke, dass der SSM sein Bestes getan hat, diese Sorgen zu zerstreuen. Aber natürlich hat die europäische Aufsicht zu einer Angleichung der Aufsichtspraxis geführt, und im Regelfall dort, wo es auch gerechtfertigt war.

Was bedeutete das konkret für die Aufsicht?

Wir haben die Besonderheiten berücksichtigt, die tatsächlich zu einer anderen Risikosituation bei den Instituten führten und eine spezielle Behandlung erforderten. Das galt beispielsweise für die Behandlung von Sicherheiten bei Krediten. Besonderheiten, die nicht berechtigt waren, haben wir gestrichen. Das ist schließlich Aufgabe des SSM und der europäischen Aufsicht: für Harmonisierung zu sorgen, also dafür, dass Risiken und Sachverhalte, die gleich sind, gleichbehandelt werden.

Wie war denn der Stand der Harmonisierung beim Start des SSM?

Am Anfang waren wir erschrocken darüber, wie unterschiedlich manche Dinge angegangen wurden. Und das, obwohl es bereits ein einheitliches europäisches Regelwerk gab, das Single Rulebook. Wenn man nach nur zwei Wochen sieht, wie uneinheitlich die Aufsichtsbehörden der einzelnen Länder europäisches Recht interpretieren, wird deutlich, wie wichtig und notwendig der SSM ist.

Wie haben Sie die ersten Tage des SSM erlebt?

Es herrschte eine tolle Aufbruchsstimmung, und alle waren sich bewusst, dass wir einen historischen Moment erlebten. Die erste Zeit war aber auch unglaublich arbeitsreich. Ein großes Thema war das Personal. Als ich anfing, hatten wir elf Leute – das war alles! Wir mussten 1.000 Stellen besetzen, auf die sich 26.000 Personen beworben hatten, Bewerbungen sichten, Interviews führen und Assessment-Center durchführen – und unsere eigene Organisation aufbauen.

Gleichzeitig begann die umfassende Bankenprüfung, das Comprehensive Assessment.

Das führten zwar überwiegend die nationalen Aufseherinnen und Aufseher durch, aber wir haben es gesteuert. Wir wurden von einer Flut an Fragen, Anwendungsproblemen und Informationen überschwemmt.

…und Sie mussten parallel die Regeln entwickeln, nach denen der SSM funktionieren sollte.

Genau. Wir saßen mit 25 Aufseherinnen und Aufsehern aus 19 Ländern am Tisch, mit denen wir uns auf methodische Ansätze einigen mussten. Nichts war in Stein gemeißelt. Wir haben alles unter die Lupe genommen, uns gefragt: Ist diese Methodik effektiv? Entspricht sie den Best Practices? Ist es bei den nationalen Aufseherinnen und Aufsehern durchsetzbar?

Ein weißes Blatt Papier, das Sie gemeinsam völlig neu beschreiben konnten.

Mein Lieblingstag war immer der Freitag, wenn das Senior Management zusammenkam. Alle haben ihre Erfahrungen aus dem eigenen Land mit den anderen geteilt. Bei Immobilienfragen wandte ich mich zum Beispiel oft an meine spanischen Kolleginnen und Kollegen. Die hatten vor kurzem eine Immobilienkrise erlebt und wertvolle Erfahrungen gesammelt. Ich kannte mich zum Beispiel gut mit Moratorien aus. Wir hatten das zwar nie für eine große Bank in Deutschland gemacht, aber ich war bei mehreren kleineren Instituten beteiligt.

In Deutschland sind zwei Institutionen am SSM beteiligt: die BaFin und die Deutsche Bundesbank. War das aus Ihrer Sicht hilfreich oder hinderlich?

Ich habe diese geteilte Manpower als absolutes Asset für den SSM empfunden. Die BaFin bringt mit ihrem juristischen Wissen eine ganze Menge an zusätzlichem Know-how. Die Kolleginnen und Kollegen sind es gewohnt, in Krisensituationen mit ruhiger Hand die Dinge abzuarbeiten – das ist extrem wichtig. Die Bundesbank wiederum hat unter anderem mit ihren Vor-Ort-Prüferinnen und -Prüfern einen unschätzbaren Wert, und zwar für alle europäischen Institute. Auch ihre betriebswirtschaftliche Analyse und ihr Wissen zum Thema Liquidität sind sehr wertvoll.

Wo ist es besonders gut gelungen, Best Practices in die europäische Aufsicht einzubringen?

Banken und die Finanzstabilität haben sicher am meisten von der neuen Aufsichtspraxis bei notleidenden Krediten profitiert. Aber auch die gemeinsamen Modell- und Vor-Ort-Prüfungen haben einen Riesenschritt nach vorn für die Aufsicht mit sich gebracht. Wie zum Beispiel die Französinnen und Franzosen das Marktrisiko prüfen, fand ich besonders beeindruckend. Das hat sicherlich auch einigen deutschen Vor-Ort-Prüferinnen und -Prüfern neue Perspektiven eröffnet.

Gibt es weitere Beispiele?

Die Prüfung der fachlichen Eignung von Geschäftsleiterinnen und Geschäftsleitern und Aufsichtsratsmitgliedern: Wir haben in Deutschland dabei traditionell viel Wert auf die Krediterfahrung eines Vorstandsmitglieds gelegt. Das ist kein schlechtes Kriterium. Durch den SSM kam jedoch der Fokus auf die Kenntnisse im Gesamtvorstand hinzu. Denn: Es gibt nicht den perfekten Vorstand, der alles kann.

Wo konnten die anderen von uns lernen?

Ich fand, dass die Deutschen besonders stark im qualitativen Risikomanagement und bei IT-Themen waren. Davon haben andere Länder profitiert. Diese Beispiele zeigen, dass es sich lohnt, unterschiedliche Erfahrungshorizonte zusammenzubringen und das Beste herauszuholen.

Wer hat am meisten vom SSM profitiert?

Die kurze Antwort: Die Finanzstabilität in jedem einzelnen Euroland und die Aufsicht in ihrer Gesamtheit – nicht zuletzt, weil wir durch eine gemeinsame Stimme auch außerhalb von Europa an Bedeutung gewonnen haben.

Und die lange Antwort…

Die europäischen Banken sind durch die Stärke des SSM widerstandsfähiger geworden. Das haben wir erreicht, übrigens oft gegen ihren Willen, indem wir mehr Kapital, mehr Liquidität und ein besseres Risikomanagement oder bessere Governance verlangt haben. Banken mit Einheiten im europäischen Ausland profitieren zusätzlich von der einheitlichen Aufsichtskultur und -politik.

Was ist mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern?

Auch die Verbraucherinnen und Verbraucher haben vom SSM profitiert. Eine höhere Widerstandsfähigkeit bedeutet nicht nur, dass Banken mehr Erträge erwirtschaften können, sondern auch, dass sie ihren Kundinnen und Kunden besser dienen können.

Die europäische Bankenregulierung wird immer wieder als zu komplex kritisiert – zu Recht?

Der Bankenmarkt ist sehr innovativ. Die Aufsicht muss schnell und adäquat darauf reagieren können, auch wenn es noch keine detaillierten Regeln gibt. Deswegen plädiere ich für den goldenen Mittelweg zwischen einer rein regel- und einer rein prinzipienbasierten Regulierung. Zu viele Detailregelungen machen unflexibel und langsam. Wer alles bis ins letzte Detail regeln will, hechelt immer hinterher. Deswegen braucht Aufsicht einen gewissen Beurteilungs- und Ermessensspielraum, um flexibel reagieren zu können. Und niemand sollte sich beschweren, wenn die Aufsicht diesen Spielraum nutzt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Bild zeigt Sabine Lautenschläger, ehemaliges EZB-Direktoriumsmitglied. © Covington

Auf einen Blick:Sabine Lautenschläger: Bankenaufseherin mit vielen Perspektiven

Die Juristin war von 2014 bis 2019 Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB) und stellvertretende Vorsitzende des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus für die Banken der Eurozone (Single Supervisory MechanismSSM).

Zuvor war Lautenschläger Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank und leitete dort die Bankenaufsicht. Ihre Karriere als Aufseherin startete sie 1995 beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, einer Vorläuferinstitution der heutigen BaFin. Bei der BaFin stieg sie bis zur Exekutivdirektorin der Bankenaufsicht auf.

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