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Symbolfoto © Paul Bradbury/Koto – stock.adobe.com

Erscheinung:27.08.2024 | Thema Versicherungen Kundennutzen im Fokus

(BaFinJournal) Lebensversicherungen sind für die Altersvorsorge vieler Verbraucherinnen und Verbraucher sehr bedeutsam. Die Versicherungsaufsicht der BaFin prüft einige Produkte und ihre Anbieter aktuell intensiv auf ihren Kundennutzen. Erste Ergebnisse liegen nun vor. Von Kaj Hanefeld, Roland Paetzold und Dr. Guido Werner, BaFin-Versicherungsaufsicht

Hohe Kosten schmälern die Rendite von Versicherungsanlageprodukten und gehen zu Lasten des Kundennutzens. Sie können ein Zeichen für Mängel im Produktfreigabeverfahren sein. Nachdem eine BaFin-Abfrage Hinweise auf erhebliche Defizite offengelegt hatte, hat die BaFin im Rahmen der Stärkung der Wohlverhaltensaufsicht im Versicherungssektor zwischenzeitlich mehrere Anbieter geprüft, die besonders auffällig waren.

Im Mai 2023 hatte die BaFin ein Merkblatt zu wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten veröffentlicht, in dem sie darlegt, was sie von den Unternehmen erwartet. Die Wohlverhaltensaufsicht soll dafür sorgen, dass neben der Stabilität des Versicherers, die im Fokus der Solvenzaufsicht steht, der Kundennutzen der Produkte ausreichend berücksichtigt wird.

Die Versicherungsaufsicht hat bereits nennenswerte Verbesserungen für die Kundinnen und Kunden erreicht: Einige Produkte, die keinen angemessenen Kundennutzen bieten, wurden vom Markt genommen. Darüber hinaus konnten Kostensenkungen im Bestand sowie rückwirkende Kompensationsmaßnahmen erzielt werden.

Zum Hintergrund

Die BaFin hat im vergangenen Jahr einen risikoorientierten Aufsichtsansatz zur Prüfung von wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten eingeführt, der sich auf Risikoindikatoren stützt. Basis war eine Auswertung der BaFin von Daten zu den Anbietern und einer Vielzahl von Produkten. Nähere Informationen finden Sie hier.

13 Lebensversicherer, das sind mehr als 20 Prozent des Marktes, hat die BaFin bereits genauer untersucht. Schwerpunkt waren Produkte zur privaten Altersvorsorge. Sie sind gesamtgesellschaftlich und aus Sicht der einzelnen Kundin oder des einzelnen Kunden besonders bedeutsam.

Solche Produkte werden überwiegend mit langen Ansparphasen verkauft, die zum Teil mehrere Jahrzehnte dauern. Nicht alle Kundinnen und Kunden haben jedoch den „langen Atem“, ihre Verträge bis zum Ende zu bedienen, und kündigen vorzeitig (siehe Grafik). Ausgehend von einer Stornoquote von 3,14 Prozent haben sich nach einer Ansparphase von 40 Jahren bereits mehr als 70 Prozent der Kundinnen und Kunden für eine vorzeitige Vertragsbeendigung entschieden.

Entwicklung des Kundenbestands bei fondsgebundenen Lebensversicherungen*

Die Abbildung zeigt Entwicklung des Kundenbestands bei fondsgebundenen Lebensversicherungen (c) BaFin Entwicklung des Kundenbestands bei fondsgebundenen Lebensversicherungen*

*Die Darstellung basiert auf einer jährlichen Stornoquote von 3,14 Prozent, wie sie für fondsgebundene Lebensversicherungen im Jahr 2022 ermittelt wurde, und unterstellt ein konstantes Storno unabhängig von Alter und Bestandszugehörigkeit.

Vorzeitige Vertragsbeendigungen erhöhen die Effektivkosten; das ist die Minderung der jährlichen Rendite durch Kosten. Ein Grund dafür ist die Verteilung der Abschlusskosten auf die Vertragslaufzeit. Da Provisionen für die Vertragsvermittlung einen großen Teil der Abschlusskosten ausmachen, die sofort bei Vertragsbeginn geleistet werden, belasten die Lebensversicherungsunternehmen die Versicherungsnehmerinnen und -nehmer bei ihren kapitalbildenden Produkten in der Regel ebenfalls stark frontlastig mit Kosten. Das bedeutet, dass die Anbieter in den ersten Vertragsjahren einen überproportional großen Teil der Beiträge zur Kostendeckung einbehalten und dieser somit nicht in das Vertragsguthaben der Kundinnen und Kunden fließt.

Daneben gibt es einen weiteren Aspekt der Kostenkalkulation bei kapitalbildenden Produkten, der bei vorzeitigen Vertragsbeendigungen typischerweise die Effektivkosten nach oben treibt: Es ist üblich, dass ein Teil der Kosten in Prozent der Beiträge erhoben wird. Wird ein Vertrag bis zum Ende der regulären Ansparphase durchgehalten, so wird die in Relation zum angesparten Vertragsguthaben höhere Kostenbelastung in den ersten Jahren durch eine entsprechend niedrigere Kostenbelastung in den späteren Jahren ausgeglichen. Kommt es zur vorzeitigen Vertragsbeendigung, gibt es diesen Ausgleich nicht.

Formale Mängel

Die Prüfungen der BaFin legten formale Mängel beim Produktfreigabeverfahren offen. Die Anbieter hatten Defizite bei den „Grundsätzen der Aufsicht und Lenkung“, das sind interne Leitlinien, die sie erstellen müssen, um die Anforderungen an das produktindividuelle Produktfreigabeverfahren zu definieren. Auch das produktindividuelle Produktfreigabeverfahren selbst war betroffen. Die Unternehmen müssen das Verfahren für jedes neue Versicherungsprodukt und bei jeder wesentlichen Änderung eines bestehenden Produkts durchführen.

Zum Inhalt der Leitlinie zum Produktfreigabeverfahren, die die Produkthersteller erstellen müssen, hatte die BaFin bereits im Februar 2018 einen Beitrag im BaFinJournal veröffentlicht. Mehrere Lebensversicherungsunternehmen, die nun geprüft wurden, haben die dort aufgeführten Hinweise nicht beachtet. Das betrifft zum Beispiel die Frage, wie ein Unternehmen eine „wesentliche Änderung“ eines Produktes definiert, die das produktindividuelle Produktfreigabeverfahren notwendig macht.

In den Dokumentationen der produktindividuellen Produktfreigabeverfahren war die Beschreibung des Zielmarkts vage gehalten. Eine nähere Auseinandersetzung mit den Merkmalen und Bedürfnissen der Angehörigen des Zielmarkts war kaum erkennbar. Die BaFin geht den festgestellten formalen Mängeln nach.

Produkte für den Zielmarkt geeignet?

Gravierender ist, dass die Lebensversicherer als Produkthersteller den Vorgaben des Merkblatts zu wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten bislang nicht genügen.
Die Produkthersteller haben für ihre Produkte einen Zielmarkt zu bestimmen, und die Produkte müssen den Bedürfnissen der Kundinnen und Kunden entsprechen, die zum Zielmarkt gehören. Nur dann haben die Produkte einen angemessenen Kundennutzen.

Ein angemessener Kundennutzen setzt nicht voraus, dass jede einzelne Kundin oder jeder einzelne Kunde einen Vorteil erwirbt. Vielmehr kommt es auf den Nutzen für den Zielmarkt insgesamt an. Die Produkthersteller müssen für den jeweiligen Zielmarkt ein Renditeziel formulieren. Das Renditeziel muss mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erreicht werden.

Gerade bei Produkten mit einer langen Ansparphase kündigen die Kundinnen und Kunden ihre Verträge vermehrt vorzeitig. Die Produkthersteller müssen daher Stornoerwartungen für die Ansparphase formulieren. Zu welchem Zeitpunkt ist zu erwarten, dass die Hälfte der Angehörigen des Zielmarkts ihre Verträge vorzeitig beenden?

Das fragliche Versicherungsanlageprodukt muss für alle Angehörigen des Zielmarkts, die ihren Vertrag von diesem Zeitpunkt an kündigen, einen angemessenen Kundennutzen bieten. Andernfalls wäre das Produkt insgesamt für den Zielmarkt nicht geeignet. Wenn die vorzeitige Vertragsbeendigung den Bedürfnissen der Kundinnen und Kunden des Zielmarkts entspricht und daher die Stornoerwartung entsprechend höher anzusetzen ist, muss möglicherweise die zeitliche Verteilung der Kosten angepasst werden.

Sehr hohe Effektivkosten

Bei Produkten mehrerer Unternehmen lag zum maßgeblichen Zeitpunkt die Effektivkostenbelastung bei vier Prozent oder sogar deutlich höher. Damit die Kundin oder der Kunde eine positive Rendite erzielt, müssen diese Kosten erst einmal verdient werden. In dem gegenwärtigen Marktumfeld erscheint das sehr ambitioniert. Gerade bei hohen Effektivkosten müssen die Unternehmen daher prüfen, ob das Renditeziel des Zielmarkts mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erreicht wird.

Bei den Prüfungen fielen außerdem die Stornoquoten einiger Lebensversicherer auf. Diese waren bei den untersuchten Produkten sehr hoch. In einigen Fällen hatte die Hälfte der Kundinnen und Kunden ihren Vertrag bereits innerhalb der ersten Vertragsjahre beendet. Die Tatsache, dass die meisten Kosten in der frühen Phase der Vertragslaufzeit anfallen, führt bei den untersuchten Produkten dazu, dass die Mehrheit der Kundinnen und Kunden mit ihnen hohe Verluste machen wird. Diese Produkte haben keinen angemessenen Kundennutzen.

Rückvergütungen auf dem Prüfstand

Die BaFin richtet bei ihren Prüfungen ihren Fokus auch auf einzelne Kostenpositionen. Diese müssen ebenfalls angemessen sein. Ein Beispiel sind Rückvergütungen, die Fondsgesellschaften bei fondsgebundenen Produkten an die Vertriebspartner des Lebensversicherungsunternehmens zahlen. Steht diesen zusätzlichen Kosten kein Mehrwert für die Kundinnen und Kunden gegenüber, fehlt es an einem angemessenen Kundennutzen.

Vertrieb außerhalb des Zielmarkts

Die Unternehmen müssen im Rahmen ihrer Geschäftsorganisation sicherstellen, dass ihre Produkte an den Zielmarkt vertrieben werden. Eine erhöhte Stornoquote kann darauf hinweisen, dass ein Produkt nicht an den vorgesehenen Zielmarkt vertrieben wird.

Entspricht der Zielmarkt in der Vertriebspraxis nicht der im Produktfreigabeverfahren durchgeführten Zielmarktbestimmung, muss das Lebensversicherungsunternehmen als Produkthersteller die Gründe dafür ermitteln. In der Regel wird es den Vertrieb der betreffenden Produkte in der Zwischenzeit aussetzen müssen. Dann wird es die Definition des Zielmarkts und die Vertriebspraxis oder das Produkt selbst anpassen oder vom Markt nehmen müssen.

Wann besteht ein Missstand?

Fehlt bei einem Produkt der angemessene Kundennutzen oder wurde es außerhalb des Zielmarkts vertrieben, liegt ein Missstand im Sinne der allgemeinen Aufsichtsbefugnisse vor. Die BaFin kann dann gegenüber dem Lebensversicherungsunternehmen, den Mitgliedern des Vorstands sowie sonstigen Geschäftsleiterinnen und Geschäftsleitern alle Maßnahmen ergreifen, die geeignet und erforderlich sind, um Missstände zu vermeiden oder zu beseitigen (vgl. § 298 Abs. 1 Satz 1 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG)).

So kann die BaFin dem Lebensversicherungsunternehmen etwa den weiteren Vertrieb von Produkten untersagen. Die BaFin kann auch anordnen, dass Unternehmen einzelne Vertriebswege oder die Zusammenarbeit mit einzelnen Versicherungsvermittlern einstellen.

Bei fondsgebundenen Produkten, die keinen angemessenen Kundennutzen bieten, müssen die betreffenden Unternehmen ihren Kundinnen und Kunden gegebenenfalls anbieten, in kostengünstigere Fonds (oder Anteilsklassen) mit vergleichbarer Anlagestrategie zu wechseln.

BaFin kann Geschäftsleiter verwarnen

Stellt die BaFin mit Blick auf den Kundennutzen Missstände fest, kann auch die Qualifikation einer Geschäftsleiterin oder eines Geschäftsleiters des Lebensversicherungsunternehmens in Frage stehen. Die BaFin könnte dann zum Beispiel eine Verwarnung aussprechen (vgl. § 303 VAG).

Für den Fall, dass es sich bei den geprüften Lebensversicherungsunternehmen um Unternehmen einer Gruppe handelt, sollte eine Nachbesserung gruppenweit erfolgen.

Sollten in der Vergangenheit Produkte bzw. Anlageoptionen (Fonds im Rahmen fondsgebundener Produkte) mit fehlendem Kundennutzen verkauft worden bzw. an Kundinnen und Kunden außerhalb des Zielmarkts vertrieben worden sein, müssen die Lebensversicherungsunternehmen prüfen, wie sie mit bereits abgeschlossenen und mit bereits stornierten Versicherungsverträgen umgehen. Die BaFin wird die Vorgehensweise der Unternehmen genau beobachten.

Für weitere Fragen zu ihrem Merkblatt zu wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten hat die BaFin FAQs zusammengestellt.

Zusatzinformationen

Pressemitteilung

Rede von Julia Wiens beim Handelsblatt Strategiemeeting Lebensversicherung

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