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Symbolfoto mit Windrädern an blühenden Rapsfeldern. © Raiku / stock.adobe.com

Erscheinung:18.01.2022 | Thema Nachhaltigkeit Wie nachhaltig ist die deutsche Versicherungswirtschaft?

Eine BaFin-Umfrage zeigt: Der Versicherungssektor ist in Fragen der Nachhaltigkeit auf einem guten Weg. Aber der ist noch lang.

Dr. Frank Grund bringt es auf den Punkt: „Nachhaltigkeit ist eines der großen Themen unserer Zeit – auch für Versicherer.“ Sie seien als Investoren, aber insbesondere auch als Risikoträger gefragt, führt der BaFin-Exekutivdirektor aus. Sie seien auf der Passiv- und der Aktivseite ihrer Bilanz betroffen und für sie gehe es vor allem darum, den richtigen Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken zu finden. Grund sieht die Unternehmen auf einem guten Weg, der sei aber noch lang.

Das geht aus einer Umfrage der BaFin hervor. Die BaFin wollte im Detail wissen, wie Versicherer und Pensionsfonds mit Nachhaltigkeitsrisiken umgehen und wie sie das BaFin-Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken umsetzen. Dazu hatte sie im Frühjahr auch andere Unternehmen unter ihrer Aufsicht befragt, die Versicherer und Pensionsfonds mussten aber weitaus mehr Fragen beantworten (siehe Infokasten).

Auf einen Blick:BaFin-Umfrage: Versicherungssektor muss detailliertere Fragen beantworten

In seiner Oktoberausgabe berichtet das BaFinJournal über die im Frühjahr 2021 initiierte geschäftsbereichsübergreifende Umfrage der Aufsicht zum Thema Sustainable Finance (nachhaltige Finanzwirtschaft). Ziel dieser Umfrage war es, einen Überblick über den Stand der Umsetzung des BaFin-Merkblatts zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken zu ermitteln. Teilgenommen haben 399 Unternehmen aus dem Banken-, Versicherungs- und Wertpapiersektor.

Dabei erhielten die insgesamt 260 beteiligten Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds, von denen 82 den Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge (EbAV) zuzuordnen sind, einen deutlich umfangreicheren und detaillierteren Fragenkatalog als die anderen beteiligten Unternehmen. Da etwa die Hälfte der beaufsichtigten Versicherer und Pensionsfonds beteiligt waren, sind die Ergebnisse repräsentativ. Der ausführliche Bericht über die Ergebnisse der Versicherer und Pensionsfonds ist auf der BaFin-Website abrufbar.

E(nvironment)-S(ocial)-G(overnance)-Faktoren

Erfreuliches Ergebnis der Umfrage: Der Versicherungssektor ist, wie die gesamte Finanzbranche, bereits größtenteils für das Thema Nachhaltigkeit sensibilisiert. Der weit überwiegende Teil der Befragten berücksichtigt sogar sämtliche Nachhaltigkeitsaspekte – also nicht nur die in den Medien besonders oft erwähnten physischen und transitorischen Klimarisiken, sondern auch soziale und Governance-Faktoren (siehe Abbildung 1). Diese werden häufig unter dem Kürzel ESG zusammengefasst: Das E steht für environment (Umwelt), das S für social (Soziales) und G für governance (Unternehmensführung).

Abbildung 1: Falls sich der Versicherer oder Pensionsfonds mit Nachhaltigkeitsrisiken beschäftigt, welche Themen werden abgedeckt?

Darstellung des Umfrageergebnisses zu Themen der Nachhaltigkeitsrisiken © BaFin Abbildung 1: Falls sich der Versicherer oder Pensionsfonds mit Nachhaltigkeitsrisiken beschäftigt, welche Themen werden abgedeckt?

Die Motivation der Unternehmen ist dabei in erster Linie, Nachhaltigkeitsrisiken zu erkennen und zu beobachten (98 Prozent) sowie Reputationsschäden zu vermeiden (96 Prozent). Positiv ist, dass mehr als drei Viertel der Versicherer und Pensionsfonds auch die Chancen gezielt nutzen wollen, die sich aus dem Übergang der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit ergeben, und dass sie Nachhaltigkeitsrisiken aktiv steuern wollen.

Risikosensitivität: Relevanz und Wesentlichkeit von Nachhaltigkeitsrisiken

Eine deutliche Mehrheit der beteiligten Versicherer und Pensionsfonds nimmt an, dass Nachhaltigkeitsrisiken grundsätzlich alle bekannten Risikokategorien beeinflussen. Mit Auswirkungen auf das Marktrisiko bzw. Anlagerisiko rechnen 93 Prozent, Folgen für das Reputationsrisiko sehen 88 Prozent. Interessanterweise stuft ein deutlich geringerer Teil der Unternehmen diesen Einfluss auch als wesentlich ein. Lediglich für das Reputationsrisiko und das Marktrisiko bzw. Anlagerisiko vermutet noch knapp die Hälfte der Befragten wesentliche Auswirkungen.

Bei der Frage, auf welche Geschäftsfelder und Risikopositionen sich Nachhaltigkeitsrisiken besonders stark auswirken, wird am häufigsten die Kapitalanlage genannt. Das ist angesichts der Einschätzung des Marktrisikos folgerichtig. Von den drei ESG-Faktoren dominieren dabei Auswirkungen der Klimarisiken. Mit wesentlichen Auswirkungen der Nachhaltigkeitsrisiken auf die Passivseite der Bilanz, also die Produkt- und Zeichnungspolitik, rechnen bislang nur wenige Versicherer und Pensionsfonds.

Anpassung der Geschäfts- und Risikostrategien

Etwa die Hälfte der befragten Unternehmen hat bereits seine Geschäfts- und Risikostrategien im Hinblick auf Nachhaltigkeitsrisiken überprüft und entsprechend angepasst. Etliche Versicherer und Pensionsfonds haben jedoch gerade erst damit begonnen, entsprechende Projekte aufzusetzen, oder befinden sich noch in der Umsetzungsphase.

Als konkrete strategische Maßnahmen nennen die Versicherer und Pensionsfonds die Festlegung von spezifischen Nachhaltigkeitszielen oder die Ausrichtung der eigenen Geschäftstätigkeit an politischen Zielen (Alignment). Das geht aus etwas mehr als der Hälfte der Rückmeldungen hervor. Rund ein Drittel setzt auf gezieltes „Engagement“ oder formuliert spezielle Anforderungen an

Kunden/Dritte. Während die vollständige Einstellung von Geschäftsfeldern die Ausnahme bleibt (16 Prozent), rechnen immerhin 30 Prozent der Unternehmen damit, Geschäftsfelder einschränken zu müssen.

Verantwortlichkeit im Unternehmen

Zur Verantwortung der gesamten Geschäftsleitung gehört die Festlegung der Geschäfts- und Risikostrategie sowie deren Kommunikation und Umsetzung im Unternehmen. In die operative Umsetzung können auch andere Unternehmensbereiche eingebunden sein.

Die BaFin begrüßt daher, dass laut Umfrage in rund 92 Prozent der Versicherer und Pensionsfonds die gesamte Geschäftsleitung für den Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken verantwortlich ist. Ungefähr ein Drittel sieht zusätzlich eine Ressortzuständigkeit beim Risikovorstand, beim geschäftsführenden Vorstand oder beim Finanzvorstand.

Geschäftsorganisation

Da die Versicherer und Pensionsfonds der Ansicht sind, dass Nachhaltigkeitsrisiken eine hohe Relevanz für Kapitalanlagen haben, ist die Integration dieser Risiken in die internen Leitlinien (75 Prozent) und jeweiligen Prozesse (77 Prozent) schon weit fortgeschritten. Auch im Risikomanagement wurden Leitlinien und Prozesse bei mehr als der Hälfte der Umfrageteilnehmer entsprechend angepasst.

Zuständig für das Management von Nachhaltigkeitsrisiken sind in 86 Prozent der Unternehmen operative Bereiche wie Front Desk, Markt- oder Portfoliomanagement. Der unabhängigen Risikocontrolling-Funktion wird von 59 Prozent eine entsprechende Rolle zugewiesen.

Risikomanagement

Die Mehrheit der befragten Versicherer und Pensionsfonds hat bereits Aufgaben, Verantwortlichkeiten und den zeitlichen Rahmen definiert, um Nachhaltigkeitsrisiken identifizieren, beurteilen, steuern, überwachen und darüber berichten zu können.

Wie bei der Beurteilung der Risikosensitivität (Relevanz und Wesentlichkeit) gegenüber Nachhaltigkeitsrisiken stellen das Marktrisiko bzw. das Anlagerisiko und das Reputationsrisiko auch für das Risikomanagement die zentralen Größen dar (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: In welchen Risikomanagementbereichen berücksichtigt der Versicherer oder Pensionsfonds Nachhaltigkeitsrisiken?

Darstellung des Umfrageergebnisses zu berücksichtigten Risikobereichen © BaFin Abbildung 2: In welchen Risikomanagementbereichen berücksichtigt der Versicherer oder Pensionsfonds Nachhaltigkeitsrisiken?

Die Bewertung von Nachhaltigkeitsrisiken beruht in mehr als drei Vierteln der Unternehmen bislang auf Expertenschätzungen. Quantitative Methoden sind noch die Ausnahme, da in den meisten Unternehmen entsprechende Datengrundlagen noch nicht vorhanden sind.

Stresstests und Szenarioanalysen

Überraschenderweise setzt bislang nicht einmal ein Viertel der Unternehmen nachhaltigkeitsbezogene Stresstests und Szenarioanalysen ein. Weniger als die Hälfte der Umfrageteilnehmer gibt an, entsprechende Stresstests zumindest vorzubereiten (siehe Abbildung 3).

Abbildung 3: Führt der Versicherer oder Pensionsfonds auf Nachhaltigkeitsrisiken bezogene Stresstests/Szenarioanalysen durch und wenn ja, zu welchem Zweck?

Darstellung des Umfrageergebnisses zu durchgeführten Stresstests/Szenarioanalysen © BaFin Abbildung 3: Führt der Versicherer oder Pensionsfonds auf Nachhaltigkeitsrisiken bezogene Stresstests/Szenarioanalysen durch und wenn ja, zu welchem Zweck?

Weil nur wenige Unternehmen bisher nachhaltigkeitsbezogene Stresstests einsetzen, gab es auf Detailfragen zu Art und Umfang der verwendeten Szenarien und Annahmen nur wenige Antworten. Repräsentative Aussagen sind somit nicht möglich.

Die Diskrepanz zwischen dem ausgeprägten Bewusstsein für die Wesentlichkeit von Klimarisiken und der geringen Zahl durchgeführter Stresstests ist erstaunlich.

Ausblick

Die Umfrageergebnisse haben bestätigt: Nachhaltigkeitsrisiken haben ihren Eingang in die strategischen Überlegungen, die Geschäftsorganisation und das Risikomanagement von Versicherern und Pensionsfonds gefunden.

Dringender Nachholbedarf besteht jedoch bei der Verwendung interner Stresstests und Szenarioanalysen, insbesondere, weil die BaFin klimawandelbezogene Szenarioanalysen im ORSA von Versicherern, für die Solvency II gilt, schon ab diesem Jahr erwartet, sofern diese Risiken für die Unternehmen wesentlich sind. ORSA steht für Own Risk and Solvency Assessment, also für die unternehmenseigene Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung.

Dazu Exekutivdirektor Grund: „Wir erwarten von den beaufsichtigten Versicherungsunternehmen, dass sie Rückstände zügig aufholen.“ Die Versicherungsaufsicht werde sich daher auch 2022 schwerpunktmäßig mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen, die weitere Entwicklung in den Unternehmen eng begleiten und ihre Aufsicht – wenn erforderlich – intensivieren.

Verfasst von

Verena De Coster
Geschäftsbereich Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Zusatzinformationen

BaFinJournal 01/2022 (Download)

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