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Erscheinung:15.11.2021 | Thema Verbraucherschutz Schlichter gefragt

Auf Einladung der BaFin tauschten sich Ombudsleute, Expertinnen und Experten aus Verbraucherschlichtungsstellen, Ministerien und Ämtern beim diesjährigen Schlichtertreffen aus. Eine Erkenntnis: In einigen Schlichtungsstellen sind die Beschwerdezahlen in den vergangenen zwei Jahren stark gestiegen – auch aufgrund von Grundsatzentscheidungen der Obergerichte.

Jahrzehntelang waren Prämiensparverträge ein beliebtes Anlageprodukt. Am 4. November waren sie eines der zentralen Themen beim 9. Schlichtertreffen der BaFin. In den 1990er- und 2000er-Jahren empfahlen und verkauften Volks- und Raiffeisenbanken, Sparkassen wie auch private Bankenhäuser ihren Kundinnen und Kunden viele dieser langfristig angelegten Sparverträge, die sich durch variable Zinssätze und Boni definieren. Durch das kürzlich verkündete Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zu Zinsanpassungsklauseln (Az.XI ZR 234/20) drohen den Banken nun Nachzahlungen. Über mögliche Auswirkungen und Wege der Einigung diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Schlichtertreffen.

Bei der Veranstaltung trafen sich – erstmals digital – rund 40 Schlichter und Mitarbeiter von Finanzschlichtungsstellen, um sich mit Vertreterinnen und Vertretern der BaFin, des Bundesministeriums der Finanzen (BMF), des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) sowie des Bundesamts für Justiz (BfJ) über aktuelle Entwicklungen auszutauschen. Auf der Tagesordnung standen unter anderem Präsentationen von BaFin-Beschäftigten zur Abteilung Verbraucherschutz, zu Prämiensparverträgen, zum Urteil des BGH zur Änderung Allgemeiner Geschäftsbedingungen mittels stillschweigender Zustimmung (AGB, Az.XI ZR 26/20) und zu Internet-Sweeps. Per Internetrecherche überprüft die BaFin damit, inwiefern Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen die Vorgaben des § 36 Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) einhalten.

Christian Bock, Leiter der BaFin-Abteilung Verbraucher- und Anlegerschutz und Verbraucherschutzbeauftragter, stellte seine neu strukturierte Abteilung vor. Mit der nun auf zehn Referate aufgestockten und in die Gruppen „Präventivmaßnahmen“ und „Operative Maßnahmen“ unterteilten Abteilung wolle die BaFin dem Verbraucherschutz noch mehr Gewicht verleihen und ihn zugleich sichtbarer machen. Gruppe 1 richte den Fokus auf das Marktmonitoring und Verbraucherkontakte, Gruppe 2 auf die operative Marktaufsicht.

Beschwerdezahlen in Schlichtungsstellen deutlich gestiegen

Beim Schlichtertreffen tauschten sich die Teilnehmenden auch über die Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit aus. Das Ergebnis: In einigen Schlichtungsstellen ist die Zahl der Beschwerdefälle stark gestiegen. Die vergangenen zwei Jahre seien in der Schlichtungsstelle bei der BaFin aufgrund einiger Meilenstein-Urteile „äußerst spannend“ gewesen, berichtete Jörg Vahlenkamp, Leiter der Zentralen Rechtsabteilung der BaFin. Dazu zählten unter anderem die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof (EGH) zur Widerrufsbelehrung (Az.: 33/20, C 155/20 und C 187/20), vor allem aber die BGH-Urteile zu Prämiensparverträgen und zu AGB-Änderungen. Laut Dörte Schmidt-Ebeling und Arne Heinrich Huneke von der Schlichtungsstelle bei der BaFin sind bereits 2020 deutlich mehr Eingaben bei der BaFin eingegangen als in den Jahren zuvor. 2021 gab es, Stand 30. September, nochmal eine Steigerung um rund 25 Prozent. Annähernd vervierfacht habe sich sogar die Zahl der grenzüberschreitenden Anfragen. Einen Themenschwerpunkt im laufenden Jahr bildeten die Schlichtungsanträge zu Neobrokern. Hier bezögen sich die Eingaben zumeist auf technische Probleme, mangelnden Service und intransparente Gebühren.

Auf einen Blick:Schlichtungsstelle bei der BaFin

Die BaFin bietet im Streitfall neben der Beschwerde auch die Möglichkeit, sich an die bei ihr eingerichtete Schlichtungsstelle zu wenden. Diese ist zuständig für Streitigkeiten im Zusammenhang mit Vorschriften des Kapitalanlagegesetzbuchs (KAGB) und Bankgeschäfte sowie Finanzdienstleistungen im Sinne der §§ 1 Absatz 1 Satz 2 Kreditwesengesetz (KWG) und 1 Absatz 1a Satz 2 KWG, sofern nicht eine anerkannte private Schlichtungsstelle zuständig ist. Die Schlichtungsstelle bei der BaFin ist also als Auffangschlichtungsstelle für die genannten Finanzdienstleistungen konzipiert. Ziel der Schlichtungsstellen im Finanzsektor ist es, den streitenden Parteien eine leicht zugängliche, kostengünstige, effiziente und vergleichsweise schnelle Möglichkeit zur Streitbeilegung zu eröffnen. Weitere Informationen zu Beschwerden und zur Streitschlichtung finden Sie auf der Internetseite der BaFin.

Die Schlichterstellen der Deutschen Bundesbank, des Bundesverbands der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) und des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) verzeichneten nach eigenen Angaben ebenfalls einen starken Anstieg an Schlichtungsanträgen. Auch hierbei standen Anliegen zu Prämiensparverträgen und zum AGB-Änderungsmechanismus im Vordergrund.

Die Beschwerden über Versicherer bezogen sich 2020 laut Dr. h. c. Wilhelm Schluckebier, dem Ombudsmann des Versicherungsombudsmann e.V., coronabedingt ganz überwiegend auf die Reiseversicherung. Hier sei eine Zunahme der Beschwerden um 80 Prozent zu verzeichnen gewesen. Das habe sich mittlerweile jedoch wieder normalisiert. Die bis zum 31. Oktober 2021 eingegangenen 14.600 Beschwerden waren, wie zuvor auch, thematisch breit gestreut, wobei der Schwerpunkt auf der Rechtsschutz- und in der Lebensversicherung lag. Die Flutschäden nach dem Juli-Starkregen (siehe BaFinJournal September 2021) hätten bislang nicht zu einer nennenswerten Zahl von Eingaben geführt. Das lasse die Vermutung zu, dass die Versicherer die Schäden ganz überwiegend schnell und kulant regulierten.

Prämiensparen-Zinsanpassungsklauseln und AGB-Änderungsmechanismus

Die BGH-Urteile zu Zinsanpassungsklauseln bei Prämiensparverträgen und zum AGB-Änderungsmechanismus sind zwei aktuelle Schwerpunkte in der Arbeit des BaFin-Verbraucherschutzes. Um Kreditinstitute zu verpflichten, Prämiensparkunden über unwirksame Zinsanpassungsklauseln zu unterrichten, hatte die BaFin am 21. Juni 2021 eine Allgemeinverfügung erlassen. „In dieser fordern wir Anbieter auf, im Sinne der Kunden zu handeln“, sagte Astrid Gruschka, Leiterin des BaFin-Referats für verhaltensbezogene Marktaufsicht bei Kreditinstituten gegenüber Verbrauchern. „Entweder mit einer unwiderruflichen Zusage einer Zinsnachberechnung oder dem Angebot eines Änderungsvertrages.“ 1.156 Anbieter haben Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung eingelegt.

Der BGH hatte am 6. Oktober 2021 entschieden, dass Zinsanpassungsklauseln in Prämiensparverträgen unwirksam sind, die Kreditinstituten bei der Verzinsung von Spareinlagen ein uneingeschränktes Ermessen einräumen. Er hatte damit seine bisherige Rechtsprechung zu langfristigen Sparverträgen bestätigt. Der BGH sprach sich deutlich für eine monatliche Zinsanpassung nach der Verhältnismethode aus. Bei dieser Methode wird der anfängliche relative Abstand des Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz beibehalten. Offengeblieben ist, welchen konkreten Referenzzins Kreditinstitute bei der Zinsanpassung zugrunde legen müssen. Hierzu hat der BGH entschieden, dass für die Höhe der variablen Verzinsung für langfristige Spareinlagen ein maßgebender Referenzzinssatz zu bestimmen ist. Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden, das nun wieder zuständig ist, muss festlegen, welcher Referenzzinssatz geeignet ist. In Betracht kommt hierfür laut BGH ein Zinssatz für langfristige Spareinlagen, den die Deutsche Bundesbank erhebt und monatlich veröffentlicht.

In seinem Urteil zum Mechanismus zur Änderung Allgemeiner Geschäftsbedingungen hatte der BGH im April 2021 entschieden, dass eine Klausel in branchenüblichen AGBs von Banken und Sparkassen unwirksam ist – woraus sich Rückzahlungsansprüche von Kunden ergeben können. „Mit dem Urteil ist ein jahrzehntelanges, gängiges Vertragskonstrukt verworfen worden“, betonte Gruschka. „Wir sind daraufhin mit Beschwerden überhäuft worden. Bis heute sind bereits mehr als 950 Verbrauchereingaben eingegangen.“ Die BaFin werte die Eingaben aus und suche gezielt den Austausch mit Kreditinstituten, Spitzenverbänden der Kreditwirtschaft und Verbraucherzentralen. Ziel sei, besser beurteilen können, wie sich das Urteil auswirke. Per Aufsichtsmitteilung habe die BaFin am 26. Oktober zudem ihre Erwartungshaltung an die Kreditinstitute kommuniziert. Darin fordere sie unter anderem, Kundinnen und Kunden über das BGH-Urteil zu unterrichten, neue Vertragsgrundlagen zu implementieren und zu Unrecht erhobene Entgelte zu erstatten.

Wertvolle Einblicke zur Umsetzung von Informationspflichten

„Durch Marktbeobachtungen und Surfdays, bei denen Internetseiten auf bestimmte Inhalte überprüft werden, hat die BaFin wertvolle Praxiseinblicke dazu erhalten, inwiefern Kreditinstitute und Versicherer die Vorgaben des § 36 VSBG einhalten“, berichtete Ulf Linke, Leiter des BaFin-Referats für aktives Marktmonitoring und Mystery Shopping. Nach § 36 VSBG müssen Anbieter, die eine Webseite unterhalten oder AGBs verwenden, Verbraucher in Kenntnis setzen, ob das Unternehmen an Streitbeilegungsverfahren einer Verbraucherschutzstelle teilnimmt, und die jeweils zuständige Stelle klar benennen. Mit seinem Urteil (Az.XI ZR 162/19) habe der BGH im September 2020 veranlasst, dass Unternehmen, die sowohl eine Webseite unterhalten als auch AGB verwenden, die Informationen nach § 36 Absatz 1 VSBG sowohl (gemäß § 36 Absatz 2 Nr. 1 VSBG) auf ihrer Webseite veröffentlichen als auch (gemäß § 36 Absatz 2 Nr. 2 VSBG) in die AGBs aufnehmen müssen.

„Für unsere Surfdays haben wir eine Auswahl getroffen, in die wir 50 Kreditinstitute und 30 Versicherungsunternehmen einbezogen haben“, sagte Linke. Die Auswertung ist noch nicht abgeschlossen. Das BaFinJournal wird in einer der nächsten Ausgaben darüber berichten.

Das nächste Schlichtertreffen ist für das kommende Jahr geplant – dann voraussichtlich wieder als Präsenzveranstaltung in Bonn.

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Zusatzinformationen

BaFinJournal 11/2021 (Download)

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